Es hat eingeschlagen in Bonn. Es gab einen Krach und etliches Geknatter, und es stank eine Weile nach
Schwefel. Die Leute in Bonn sprachen miteinander darüber, einer sagte es dem anderen, und der eine oder
andere ging hin in die nächste Buchhandlung und kaufte sich: Wolfgang Koeppen, Das Treibhaus.
Wolfgang Koeppens Roman Das Treibhaus war wohl einer der am kontroversesten
diskutierte Romane der Nachkriegszeit und wurde häufig als „Schlüsselroman“ ausgelegt. Die
aggressive Kritik Koeppens sprang den meisten Literaturkritikern ins Gesicht; dem
Rezensenten von Stimmen der Zeit ging sein „politisches Pamphlet […] so auf die Nerven,
dass er nur noch angeekelt das Buch aus der Hand legt[e]“, einem Anderen ist sogar die
Wand zu schade, um das Buch nach den ersten Seiten gegen selbige zu werfen und Klaus
Harpprecht schlägt in Christ und Welt vor, freiwillig auf neue deutsche Literatur zu
verzichten: „Wir finden uns lieber für einige Jahrzehnte damit ab, das Feld junger deutscher
Literatur unbewohnt anstatt es als Rummelplatz dürftigen Hochstaplertums mißbraucht zu
sehen.“ Fritz René Allemann diffamiert in seiner Kritik schließlich die gesamte Literatur der
Moderne, wenn er Koeppen vorwirft, dieser würde „joycisch, döblinisch in inneren
Monologen drauf los [..] assoziieren“. Mancher Rezensent scheint derart erbost, dass er nicht
einmal den Namen des Autors korrekt wiedergeben kann: „Der Schritt vom verbitterten
Chronisten zum zeitkritischen Schriftsteller ist Walter [Hervorhebung durch d. Verf.]
Koeppen nicht gelungen.“ Koeppen selbst wurde als wirrer Toiletten-Schmierer abgetan, der
von bodenlosem Hass gegen die junge BRD zerfressen sei, sodass Karl-Heinz Götze
resümiert: „Das sich mit dem soldatischen Haß auf die laschen Zweifler und Träumer das
„geh’ doch ’rüber“, das alle Kritik an gesellschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik
Deutschland allemal zu hören bekam.“
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG
2 DIE ANFÄNGE DER ADENAUER-ÄRA
2.1 Die politische Elite
2.2 Politische und wirtschaftliche Ereignisse bis
2.3 Die junge BRD, Intellektuelle und die Entwicklung der Gesellschaft
3 DAS DEUTSCHLANDBILD IN DAS TREIBHAUS
3.1 Die politische Elite aus der Sicht des Abgeordneten Keetenheuve
3.2 Die Darstellung politischer und wirtschaftlicher Ereignisse in Das Treibhaus
3.3 Die Gesellschaftskritik in Das Treibhaus
4 SCHLUSS
5 LITERATUR
5.1 Internet
1 Einleitung
Es hat eingeschlagen in Bonn. Es gab einen Krach und etliches Geknatter, und es stank eine Weile nach Schwefel. Die Leute in Bonn sprachen miteinander darüber, einer sagte es dem anderen, und der eine oder andere ging hin in die nächste Buchhandlung und kaufte sich: Wolfgang Koeppen, Das Treibhaus.1
Wolfgang Koeppens Roman Das Treibhaus war wohl einer der am kontroversesten diskutierte Romane der Nachkriegszeit und wurde häufig als „Schlüsselroman“ ausgelegt. Die aggressive Kritik Koeppens sprang den meisten Literaturkritikern ins Gesicht; dem Rezensenten von Stimmen der Zeit ging sein „politisches Pamphlet […] so auf die Nerven, dass er nur noch angeekelt das Buch aus der Hand legt [e]“2, einem Anderen ist sogar die Wand zu schade, um das Buch nach den ersten Seiten gegen selbige zu werfen3 und Klaus
Harpprecht schlägt in Christ und Welt vor, freiwillig auf neue deutsche Literatur zu verzichten: „Wir finden uns lieber für einige Jahrzehnte damit ab, das Feld junger deutscher Literatur unbewohnt anstatt es als Rummelplatz dürftigen Hochstaplertums mißbraucht zu sehen.“4 Fritz René Allemann diffamiert in seiner Kritik schließlich die gesamte Literatur der Moderne, wenn er Koeppen vorwirft, dieser würde „joycisch, döblinisch in inneren Monologen drauf los [..] assoziieren“5. Mancher Rezensent scheint derart erbost, dass er nicht einmal den Namen des Autors korrekt wiedergeben kann: „Der Schritt vom verbitterten Chronisten zum zeitkritischen Schriftsteller ist Walter [Hervorhebung durch d. Verf.] Koeppen nicht gelungen.“6 Koeppen selbst wurde als wirrer Toiletten-Schmierer abgetan7, der von bodenlosem Hass gegen die junge BRD zerfressen sei,8 sodass Karl-Heinz Götze resümiert: „Das sich mit dem soldatischen Haß auf die laschen Zweifler und Träumer das „geh’ doch ’rüber“, das alle Kritik an gesellschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland allemal zu hören bekam.“9
Friedhelm Luft schreibt, es handele sich um ein Werk, „das unserem bißchen Staatssubstanz schadet“ 10 . Die Welt der Arbeit steigert diesen Vorwurf und sieht in Koeppens Kritik die
„Sehnsucht nach einem alles in Ordnung bringenden Führer“11. Damit wird ein „altbekannter, schon gegen die gesellschaftskritischen Schriftsteller der Weimarer Republik erhobener Vorwurf erkennbar, nach dem die Kritik der Litertaten die Demokratie untergraben und ihren Untergang herbeigeführt haben soll.12
So entstand ein verzerrtes, einseitiges Bild vom Treibhaus als rein politisches Werk, das zwar entgegen Koeppens einleitendem Kommentar durchaus ein Roman mit politischen Ambitionen ist, sich jedoch treffender als politischer Bericht eines scheiternden Charakters definieren lässt. Das hält auch der Autor selbst fest:
Ja, aber in dem Treibhaus ist nicht diese Stadt des Treibhauses, also Bonn, das Thema des Romans, sondern es ist der des einsame Abgeordnete Keetenheuve, der scheitert, es ist der Roman eines Scheiterns, des Scheiterns eines Einsamen, der sich in die Arena begibt, in die Politik.13
Allein aus dem politischen Handlungsstrang lässt sich Keetenheuves Selbstmord nicht plausibel erklären. „Der Roman erzählt von einer politischen Niederlage, und er erzählt von einem persönlichen Verlust. Beides zusammen lässt Keetenheuve scheitern, beides zusammen aber lässt auch überhaupt erst ein Bild seiner Persönlichkeit entstehen.“14
Keetenheuve versteht sich als Literat, Pazifist, Dilettant, Existenzialist, Außenseiter und ist psychisch labil. All diese Gesichtspunkte verschwanden meist hinter den immanenten Ähnlichkeiten der Figuren des Romans mit den Politikern der frühen Bundesrepublik; fast scheint es, als seien die meisten Rezensenten, die das Buch kurz nach seinem erscheinen besprachen, nicht mehr in der Lage gewesen, diese Aspekte wahrzunehmen.
Vermutlich bot Koeppens kryptischer, mit mythologischen und literarischen Anspielungen gespickter Text zudem eine ideale Angriffsfläche: Eine gewisse intellektuell-elitäre und distanzierte Haltung des Autors zu seiner Umwelt lässt sich nicht leugnen, was gepaart mit einer tendenziösen Auseinandersetzung mit dem Text die ungestümen Reaktionen erklärt.
Koeppen hat mit dem Buch die Grenze der damals tolerierbaren Kritik überschritten, so dass selbst die wenigen wohlwollenden Kritiken sich in irgendeiner Form daran stören. Man vermisst trotz einer uneingeschränkten Empfehlung für Tauben im Gras bei Das Treibhaus den „Raum der Stille, Besinnung und Einsamkeit, der unverkrampften Tätigkeit und des
heiteren Genusses“15 der doch nicht über Nacht aus dem Geiste der Republik entfernt worden sein könne, man reibt sich an der „Wollust des Ekels“, einer „forcierten Verruchtheit“ und einem „gelegentlichen Abgleiten in die Perversion“16, obwohl es sich um „eine Klasse Literatur [handelt], wie sie nur selten erreicht wird“17, besonders in Hinblick auf die formale Virtuosität. Dieter Erlach macht daran Koeppens Sonderstellung fest: „Koeppens Roman
paßte nicht mehr in eine Tendenz der westdeutschen Literatur, die sich seit Anfang der fünfziger Jahre immer stärker abzeichnet“18.
Es lässt sich festhalten, dass „man durch die Besprechung wenig über das besprochene Buch und viel über das Land erfuhr, in dem es geschrieben und gelesen wurde“.19
So bleibt es dabei, dass die Rezeption unmittelbar nach der Veröffentlichung nur bei kleinen Magazinen ausschließlich positiv war. Koeppen erhielt erst in den 1960ern die verdienten Preise: 1961 den „Förderpreis für Literatur“ der Stadt München, 1962 den Georg-Büchner- Preis , 1965 den Literaturpreis der Bayrischen Akademie der Künste, 1967 den Immermann- Preis der Stadt Düsseldorf und den Dichterpreis der Stiftung zur Förderung des Schrifttums , 1971 den Gryphius-Preis , 1974 wurde er erster Stadtschreiber von Bergen-Enkheim und 1978 erhielt er das Schiller-Stipendium . Es scheint nicht vermessen zu behaupten Wolfgang Koeppen wäre in dieser Phase mit Auszeichnungen überschüttet worden.
Marcel Reich-Ranicki machte 1963 in Der gierige Zeuge auf die bis Anfang der 1960er unterschätzte Relevanz der drei Nachkriegsromane Koeppens aufmerksam und als Goverts 1969 eine Sonderausgabe der Nachkriegstrilogie herausbrachte, begann Koeppens Rehabilitierung. Horst Krüger von der Zeit bezeichnete die Romane als „einen unbestrittenen fast legendären Gipfel der Nachkriegsprosa“20 oder „große Literatur“21 und stellte Koeppen neben Kurt Tucholsky und Thomas Mann22. Man spricht den Autor von dem Vorwurf frei, Deutschland übel nachgeredet zu haben: „Der Autor Koeppen, dessen Beschwörungsformeln selten Anklang fanden, ist, seit sich seine Befürchtungen bewahrheitet haben, unversehens auch als Stilist legitimiert“.23
Goetze sieht die späte, fast ausschließlich positive Kritik auch kritisch; er argwöhnt das
„verspätete Lob der Nachkriegsromane Koeppens ist gerade Ausdruck der Tatsache, dass die Entscheidungen alle gefallen waren und dass keine Gefahr bestand, dass sie revidiert würden .“24 Erlach weist auf die Tatsache hin, dass die Kritik nun die Entpolitisierung der Romane vorantreibt: Jost Nolte beschreibt Koeppens Visionen als „Schreckensbild“25 und
„Beschreibung einer Resignation“26 und beraubt sie mit der daraus folgenden „wertvollen
Allgemeingültigkeit“27 der „nach wie vor zutreffende [n] Zeitkritik, allerdings auf elegantere Art, als die empörten Rezensionen der fünfziger Jahre es taten.“28 Die Verfilmung von Das Treibhaus 1987 von Peter Goedel unter Mitarbeit von Wolfgang Koeppen, der das Geschehen in die 1980er und damit eine Konfliktphase des Kalten Krieges29 versetzte, betonte wiederum den politischen Aspekt.
In einem ersten Teil der Arbeit werden die politischen Umstände der Bonner Republik bis 1953 untersucht um diese dann in einem zweiten Kapitel mit den Eindrücken des Angeordneten Keetenheuve in das Treibhaus zu kontrastieren. An dieser Stelle stellt sich dann die Frage: Ist Koeppen wirklich der sensible Seismograph oder gar der Prophet gewesen, für den man ihn mittlerweile hält? Oder ist Das Treibhaus ein „deutsches Märchen“, wie der Autor selbst behauptet?
Da sich die von Koeppen aufgedeckten latenten Prozesse oftmals erst in der jüngsten Vergangenheit manifestiert haben, lässt sich die eine oder andere „Zeitreise“ nicht vermeiden. Durch einen synchronen Vergleich mit der westdeutschen Nachkriegsliteratur wird die Sonderstellung Wolfgang Koeppens verdeutlicht.
2 Die Anfänge der Adenauer-Ära
Von Relevanz für dieses Kapitel sind die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse die entweder im Treibhaus angesprochen oder eng damit verknüpft sind. Dazu zählen die Personen des Buches, die zum Teil frappierende Ähnlichkeit mit Personen der politischen Szene der Ära Adenauer aufweisen, sowie die Schilderung Bonns und der Umgebung. Mit dem Charakter Keetenheuve spielt Koeppen auf das Spannungsfeld Politik und Intellektualität an. Er greift die Geschichte der Oppositionspartei und deren Entwicklung auf, verarbeitet die Historie des Liberalismus, geht auf die Doppelmoral der Regierungspartei ein, kritisiert die Ausschussarbeit und die parlamentarische Arbeit, sowie die Macht der Geheimdienste.
Im Zentrum der Erzählung steht die Debatte über die Europäische Verteidigungsgesellschaft, also die de facto Wiederbewaffnung der BRD, woran sich eine Diskussion über Pazifismus anschließt. Das Thema der Wiederbewaffnung ist dabei eng mit dem Wunsch nach Wiedervereinigung verknüpft. Allgegenwärtig ist das Thema Restauration, dass deutlich alle anderen Themen überlagert.
Seine Gesellschaftskritik zielt auf die Werbeindustrie und Konsum, die Künstlichkeit der Gesellschaft & Familie, Politikverdrossenheit sowie Erziehung.
Der Roman ist also gespickt mit konkreten politischen und historischen Anspielungen und einer Gesellschaftskritik, die ihrer Zeit weit voraus war; so ist es nahe liegend die konkreten politischen Umstände zu resümieren und anhand dieser Fakten Koeppens Darstellung der Tatsachen Revue passieren zu lassen.
2.1 Die politische Elite
Am 15. September 1949 wurde30 Konrad Adenauer mit 202 von 402 Stimmen zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Der begeisterte Rosenzüchter31 hatte diese von der Deutschen Partei und der FDP mitgetragene Koalition in einem inoffiziellen Treffen am 21. August in seinem Rhöndorfer Haus möglich gemacht, da er dort von 20 führenden CDU/CSU-Persönlichkeiten „grünes Licht“ für diese kleine Koalition bekam32.
Es stellte sich von Anfang an heraus, daß Adenauer die Richtlinien der Politik souverän bestimmte. Er war die unangefochtene Führungspersönlichkeit der neuen Regierung. Ihm gelang es, aus dem politischen System der Bundesrepublik eine sogenannte Kanzlerdemokratie zu formen.33
Diese Kanzlerdemokratie
war machtorientiert, sie suchte und gewann die Unterstützung jener politischen und sozialen Kräfte, ohne die seine Politik nicht durchzusetzen gewesen wäre. [… Sie] war die Konzentration der Macht im Amt des
Bundeskanzlers. Sie war der erfolgreiche Versuch, die übrigen Machtträger der Politik und der Gesellschaft so weit wie nötig einzubeziehen, um mit ihrer Hilfe die politische Führung stark zu machen.34
So richtete er für jedes Ministerium eine „gespiegelte“ Koordinierungsstelle ein, die er mithilfe seines Personalreferenten Hans Globke, der während der NS-Zeit einen juristischen Kommentar die anti-jüdischen Gesetze verteidigt hatte35, mit loyalen Mitarbeitern besetzte, die die Ministerien betreuten und so faktisch kontrollierten.36 Ebenso umstritten war der heimliche Aufbau des Auswärtigen Amtes (anfänglich noch „Organisationsbüro für die konsularisch-wirtschaftlichen Vertretungen im Ausland“) ab 1950 und des Bundesministeriums der Verteidigung (unter Theodor Blank wurde das Amt noch
„Beauftragter des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen“ umschrieben).
Die Presse war für Adenauer immer ein notwendiges Übel, was die „Spiegel-Affäre“ im Oktober 1962 besonders deutlich machte: Sie
offenbarte nämlich, daß die Regierung auch in rechtsstaatlicher Hinsicht nicht gerade »pingelig« war. Sie scheut sich nicht, ihre Machtmittel einzusetzen, um ein ärgerliches und einflussreiches Organ der öffentlichen Meinung zu verfolgen und in seiner Wirkung auf die öffentliche Meinungsbildung zu beeinträchtigen .37
Am 12. September war die Wahl Theodor Heuss’ (FDP) zum Bundespräsidenten vorausgegangen. Er repräsentiert als Bundespräsident die politische und geistige Einheit der der Bundesrepublik. Er wollte über den Parteien stehen und eine ausgleichende Kraft im politischen Leben sein. Dazu war er von seinen Anlagen und von seinem Lebenskauf prädestiniert: Er war Journalist, Schriftsteller, Intellektueller, mit vielfältigen Kontakten zu seinesgleichen38.
Er nahm diese vermittelnde Rolle durchaus ernst, was ihm den Ruf einbrachte, ein „der Tagespolitik eher entrückte [r] Bundespräsident“39 zu sein. Dass er dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hatte, welches Hitler an die Macht brachte, wurde ihm immer wieder vorgehalten.
Der Oppositionsführer Kurt Schumacher war eine autoritäre und charismatische Führungsfigur.40 Er selbst wurde während des Dritten Reichs als SPD-Politiker in einem KZ interniert und engagierte sich gleich nach dem Krieg für seine Partei. Er stand für eine klare Abgrenzung der SPD zur KPD und für eine Politik, deren eindeutiges Primat die Wiedervereinigung war. „Die SPD-Opposition stilisierte sich unter dem beherrschenden Einfluss Schumachers zur wahren Hüterin der nationalen Interessen Deutschlands und damit für eine aktive Wiedervereinigungspolitik.“41 Im Gegensatz zum kühlen Adenauer war er ein leidenschaftlicher und faszinierender Redner.42
Adenauer wirkte durch Einfachheit, Nüchternheit, betonte Bürgerlichkeit; auch seinen scharfen, zum teil demagogischen Parlaments- und Wahlreden fehlten rhetorischer Aufwand, ganz im Gegensatz auch zur leidenschaftlichen Rhetorik seines Kontrahenten Kurt Schumacher43.
Carlo Schmid repräsentierte die intellektuelle Seite der SPD; so war er als Übersetzer tätig und übertrug Baudelaires „Fleures du Mal“44 und machte immer wieder durch geistreiche Bemerkungen auf sich aufmerksam. Neben Heuss war er einer der wenigen Politiker, die das Interesse und die Öffnung der politischen Elite für die Künste voranzutreiben versuchte: „Der Kunst zugetane Politiker wie Theodor Heuss und Carlo Schmid setzten deutliche Zeichen für ein weltoffenes Kunstverständnis.“45
Reinhard Gehlen wurde von den Amerikanern 1946 als Leiter der „Organisation Gehlen“ eingesetzt, die als Geheimdienst für die USA und BRD zu verstehen war.46 1956 ging daraus der Bundesnachrichtendienst hervor, dessen Leiter Gehlen bis 1968 war. Er war während des Zweiten Weltkriegs Chef der „Abteilung Fremde Heere Ost" und somit auch Chef der Ostspionage. Trotz mäßigen Erfolgs wurde er 1944 zum Generalmajor befördert. Es wird angenommen, dass er sich der Ansicht des Russlandkenners Heinz Herre – welcher forderte, Slawen nicht als Untermenschen, sondern als Menschen einzustufen – nur aus Opportunismus anschloss. Dafür spricht auch, dass Gehlen kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs belastendes Material verschwinden ließ. Während seiner Zeit als Geheimdienstleiter stellte er zudem verstärkt Personen ein, die NS-belastet waren.
2.2 Politische und wirtschaftliche Ereignisse bis 1952
Der Streit um die Ernennung Bonns zur Hauptstadt der BRD begann eigentlich schon vor deren Gründung. Ebenso zur Debatte stand Frankfurt a. M., welches auch eine bessere Infrastruktur geboten hätte.47 Der Entscheidung für Bonn war ein gewieftes Taktieren und Intrigieren vorausgegangen. So wurde z. B. das Informationsmaterial, auf dessen Grundlage der parlamentarische Rat entscheiden sollte, durch die CDU manipuliert48 und eine gefälschte Pressemeldung über eine verfrühte Siegesfeier der SPD für Frankfurt durch CDU-
Parteimitglieder in Umlauf gebracht49. Der „Ärger über das Verfahren mit dem Bonn zur Hauptstadt gemacht wurde, blieb ebenfalls haften. […] Es störte die Oberschicht und Intellektuelle, dass sich der rheinisch-katholische Konservative Adenauer mit seinen restaurativen Tendenzen so rasch durchsetzte.“50
Oft wurde kritisiert, dass die Abgeordneten zum Großteil in einem separaten Regierungsviertel lebten, was viele zu einem Vergleich mit einem Getto anregte. Im Feuilleton wurde darüber rege diskutiert; Walter Henkel unkte es werde „wohl kaum ein echtes hauptstädtische Gefühl aufkommen“51, in der FAZ monierte man den kulturellen Missstand52 und oft war von Provinzialität, Enge und Provisorium die Rede. So kam es, dass die meisten Amtsträger nur für die Parlamentsarbeit zwischen Dienstag und Freitag anreisten, sich zwischendurch innerhalb des vier Quadratkilometer großen Bundesbezirks vergnügten und danach wieder in ihre Heimatorte entschwanden.
Ein ganzes Bündel von Themen wird durch Walter Dirks Begriff „Restauration“ geprägt. Dirks stellte eine gesamtgesellschaftliche Rückwärtsgewandtheit fest, die nicht unwidersprochen blieb. Das von Adenauer eingesetzte politische Personal war hinsichtlich dieses Aspekts z. T. offenkundig belastet, aber auch die Verwaltung und andere zentrale Bereiche, wie Justiz und Bildungsinstitutionen, waren betroffen.
Wegen Deutschlands neuer Rolle als Frontstatt des Kalten Krieges, zeigten Amerikaner und andere Besatzungsmächte kein wirkliches Interesse an einer umfassenden Entnazifizierung.
In den Verfahren nach 1948 wurden manche Nationalsozialisten, die im Dritten Reich »große Tiere« gewesen waren, rücksichtsvoller behandelt als vorher die kleinen Mitläufer. […] [H] öchstens 3 Prozent der vor die Spruchkammern geladenen ehemaligen Nationalsozialisten wurden in diesen Verfahren als Hauptbeschuldigte oder Belastete eingestuft.53
[...]
1 Ernst von Salomon: Gewitter in der Bundeshauptstadt, in: Über Wolfgang Koeppen. Hg. v. Ulrich Greiner. Frankfurt a. M. 1976, S. 50.
2 Anonym (C. F.): Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus, in: National-Zeitung (8.5.1954), zit. n.: Dietrich Erlach: Wolfgang Koeppen als zeitkritischer Erzähler. Uppsala 1973 (= Studia Germanistica Upsaliensis, Band 11). S. 200.
3 Vgl. Anonym (WiPl): Treibhaus - Bundeshaus, in: Stuttgarter Nachrichten (7.11.1953), zit. n.: Erlach, a. a. O., S. 200.
4 Klaus Harpprecht: Die Treibhausblüte, in: Christ und Welt (17.12.1953), zit. n.: Erlach, a. a. O., S. 200.
5 Fritz René Allemann: Treibhaus Bonn im Zerrspiegel, in: Über Wolfgang Koeppen. Hg. v. Ulrich Greiner. Frankfurt a. M. 1976, S. 62.
6 Peter Holz: ohne Titel, in: Welt der Arbeit (24.12.1953), zit. n.: Karl-Heinz Götze: Wolfgang Koeppen »Das Treibhaus«. 1985 München, S. 126.
7 Vgl. H. Becher S. J.: Koeppen, Wolfgang: Das Treibhaus, in: Stimmen der Zeit, Heft 9 (1954), S. 234, zit. n.: Erlach, a. a. O., S. 200.
8 Vgl. Anonym (W.): Treibhaus Bonn, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, zit. n.: Erhard Schütz: Ein Dilettant in der geschriebenen Geschichte. Was an Wolfgang Koeppens Roman »Das Treibhaus« modern ist, in: Wolfgang Koeppen. Hg. v. Eckart Oehlenschläger. Frankfurt a. M. 1987, S. 278.
9 Karl-Heinz Götze: Wolfgang Koeppen »Das Treibhaus«. München 1985, S. 127.
10 Walter Karsch: Verpasste Gelegenheit, in: Der Tagespiegel, 24.1.1954, zit. n.: Schütz, a. a. O., S. 278.
11 Holz, a. a. O., S. 126.
12 Dietrich Erlach: Wolfgang Koeppen als zeitkritischer Erzähler. Uppsala 1973 (= Studia Germanistica Upsaliensis, Band 11), S. 201f.
13 Horst Krüger: Selbstanzeige, in: Wolfgang Koeppen. Einer der schreibt. Gespräche und Interviews. Hg. v. Hans-Ulrich Treichel. Frankfurt a. M. 1995, S. 35.
14 Ebd., S. 30.
15 Horst Rüdiger: Wespennest im Treibhaus, in: Über Wolfgang Koeppen. Hg. v. Ulrich Greiner. Frankfurt a. M. 1976, S. 57.
16 Karl Korn: Satire und Elegie deutscher Provinzialität, in: Über Wolfgang Koeppen. Hg. v. Ulrich Greiner. Frankfurt a. M. 1976, S. 48f.
17 Ebd., S. 47.
18 Erlach, a. a. O., S. 203.
19 Götze, a. a. O., S. 130.
20 Horst Krüger: „Tauben im Gras“/ „Das Treibhaus“/ „Der Tod in Rom“, in: Die Zeit (11.4.1969), zit. n.: Erlach, a. a. O., S. 213.
21 Anonym: Koeppen Heute, in: Publik (12.5.1969), zit. n.: Erlach, a. a. O., S. 213.
22 Ebd..
23 Anonym: Koeppen Heute, in: Publik (12.5.1969), zit. n.: Götze, a. a. O., S. 130.
24 Götze, a. a. O., S. 133.
25 Jost Nolte: Revision im Fall Koeppen, in: Welt der Literatur (8.5.1969), zit. n.: Erlach, a. a. O., S. 213.
26 Ebd..
27 Erlach, a. a. O., S. 214.
28 Ebd..
29 Der Film stellt eine Debatte im Bundestag über den Nato-Doppelbeschluss in den Mittelpunkt. Durch diesen wurde 1979 die Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen in Europa zur Wiederherstellung des „Gleichgewichts des Schreckens“ festegelegt und die Sowjetische Invasion in Afghanistan führte zu einer Unterstützung des Widerstands islamischen Mudjahedin.
30 Die historischen Informationen der folgenden drei Unterkapitel werden Kurt Sontheimer: Die Adenauer-Ära. Grundlegung der Bundesrepublik. Hg. v. Martin Broszat, Wolfgang Benz et al. München 1996² (= Deutsche Geschichte der neuesten Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart), entnommen und nur durch Seitenzahlen gekennzeichnet. Informationen aus anderen Quellen werden wie üblich zitiert.
31 Vgl. Klaus Dreher: Treibhaus Bonn – Schaubühne Berlin: deutsche Befindlichkeiten. Stuttgart 1999, S. 108.
32 S. 27.
33 S. 28.
34 S. 173f.
35 Vgl. Dreher, a. a. O., S. 118.
36 Ebd., S. 119f.
37 S. 63.
38 S. 13.
39 S. 14.
40 S. 10.
41 S. 166.
42 Vgl. S. 12.
43 Karl Dietrich Bracher: Die Kanzlerdemokratie, in: Die zweite Republik. Hg. v. Richard Löwenthal, Hans- Peter Schwarz. Stuttgart 1974, S. 190, zit. n.: Sontheimer, a. a. O., S. 174.
44 Josef Quack: Wolfgang Koeppen. Erzähler der Zeit. Würzburg 1997, S. 149.
45 S. 150.
46 Anonym: Reinhard Gehlen, im Internet: http://de.wikipedia.org/wiki/Reinhard_Gehlen.
47 Noch im September 1949 kam ein Bericht zu dem Schluss, dass der Ausbau Frankfurts zum Regierungssitz 25 Millionen Mark gekostet hätte, in Bonn hingegen rechnete man mit 120 Millionen.
48 Ebd., S. 65.
49 Ebd., S. 68ff.
50 Ebd., S. 129.
51 Ebd., S. 126.
52 Vgl. Ebd., S. 127.
53 S. 175.
- Arbeit zitieren
- Philip Baum (Autor:in), 2005, Das Deutschlandbild in Wolfgang Koeppens „Das Treibhaus“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120867
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