Wohl eines der in philosophischer Hinsicht wie auch in Bezug auf seine politischen Implikationen populärsten Werke Immanuel Kants handelt von der Idee und dem Entwurf des ewigen Friedens – als einem der ältesten und sehnsüchtigsten Wunschträume der Menschheit. Völlig zu Recht wird der Philosoph aus Königsberg meines Erachtens auf Grund dieser und auch weiterer Schriften als einer der Vordenker des Friedensgedankens gewürdigt, und so handelt auch die hier vorliegende Arbeit – unter hauptsächlichem Rückgriff auf Primärliteratur – im weiteren Sinne von eben jenem so immens schwierig und komplex zu stiftenden Zustand zwischenmenschlicher bzw. -staatlicher Eintracht und Rechtssicherheit.
Inhaltliche
I. Einleitung
II. Die Kantsche Grundintention
III. Der vernunftgeleitete Fortschritt der menschlichen Gattung aus dem Dasein in ntürlicher Freiheit
III.I. Vom Naturzustand und dem Wesen des Krieges
III.II. Schwierigkeiten der Implementierung einer republikanisch-bürgerlichen Verfassung
III.II.I. Die komplexe Struktur des zu stiftenden Rechtszustandes
III.II.II. Über die moralische Integrität und handlungsleitenden Motive des Menschen
III.II.III. Die Langwierigkeit des Stiftens einer Friede wirkenden Verfassung und das Verhältnis der Menschen zur Vorsehung der Natur
III.III. Der Fortschrittsglaube bei Kant
III.IV. Der Antagonism als Ausdruck Kantschen Fortschrittsglaubens und „Motor“ der kulturellen Weiterentwicklung der menschlichen Gattung
III.IV.I. Der Antagonism auf der interindividuellen Ebene
III.III.II. Der Antagonism auf der zwischenstaatlichen Ebene
III.III.III. Die Fähigkeit zur Vernunft und zur Erkenntnis des Zweckes der Menschen
III.III.IV. Der Übergang in einen Zustand bürgerlichen Rechts
IV. Literaturverzeichnis
IV.I. Primärliteratur
IV.II. Sekundärliteratur
I. Einleitung
Wohl eines der in philosophischer Hinsicht wie auch in Bezug auf seine politischen Implikationen populärsten Werke Immanuel Kants handelt von der Idee und dem Entwurf des ewigen Friedens – als einem der ältesten und sehnsüchtigsten Wunschträume der Menschheit.[1] Völlig zu Recht wird der Philosoph aus Königsberg meines Erachtens auf Grund dieser und auch weiterer Schriften als einer der Vordenker des Friedensgedankens gewürdigt, und so handelt auch die hier vorliegende Arbeit – unter hauptsächlichem Rückgriff auf Primärliteratur[2] – im weiteren Sinne von eben jenem so immens schwierig und komplex zu stiftenden Zustand zwischenmenschlicher bzw. -staatlicher Eintracht und Rechtssicherheit.
Im Folgenden richtet sich dabei ein thematischer Fokus auf die Rolle und Funktion des Antagonism im Verhältnis der Menschen bzw. auch der Völker und Staaten untereinander. Die „gesellige Ungeselligkeit“ beschreibt Kant als eine konstitutive Voraussetzung bzw. notwendige wie hinreichende Bedingung, um aus dem Zustand der natürlich-wilden Freiheit herauszutreten und sich in einem langwierigen Prozess der Stiftung einer den ewigen Frieden greifbar werden lassenden republikanischen Verfassung anzunähern. Es wird im zweiten Teil dieser Arbeit demnach vornehmlich zu eruieren sein, was unter dem Antagonism überhaupt zu verstehen ist und welchen konkreten Stellenwert dieses Konstrukt im Kontext der Kantschen Konzeption von Herstellung und Stiftung des ewigen Friedens einnimmt.
Des Weiteren gilt es zu Beginn aufzuzeigen, in welchem Rahmen und im Zusammenspiel mit welchen Faktoren die „gesellige Ungeselligkeit“ ihre Wirkmächtigkeit entfaltet und welche Implikationen und Zusammenhänge sich in Bezug zu Kants Auffassungen von Charakter und Handeln der Menschen, dem Wesen der Natur, der kulturellen Entwicklung der Menschengattung bzw. dem Verlauf der Menschheitsgeschichte ergeben.
II. Die Kantsche Grundintention
Wenngleich in seinen politischen Implikationen hier deutlich herausgearbeitet und schon im Titel auf das Klarste erkennbar, so ist es doch auch über Kants Werk „Zum ewigen Frieden“ von 1795 hinaus der Zweck seiner praktischen Philosophie und Rechtslehre, ebendiesen Zustand qua Austritt aus dem noch näher zu definierenden Naturzustand herbeizuführen und auf Dauer zu stellen, zumindest aber das Anstreben dessen in Gang zu bringen. Anders als bei den politischen Entscheidungsträgern seiner Zeit üblich – was Kant durchaus kritisiert[3] – intendiert er somit nicht die Beendigung eines bestimmten Konfliktes, sondern möchte vielmehr einen Weg aufzeigen, „ den Krieg in den Frieden [zu überführen],“[4] wobei sich unter dem Terminus des Krieges nicht ausschließlich die definitorische Dimension als bewaffnete bzw. gewaltsame Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren Konfliktparteien verstehen lässt. Es geht Kant daneben vor allem auch darum, derartige Fehden gewissermaßen als Symptom des Zustandes wilder, gesetzloser und natürlicher Freiheit unter den Menschen bzw. zwischen den Völkern darzustellen. Folglich verweist der Philosoph in diesem Zusammenhang darauf, dass der von ihm angestrebte Frieden auf interindividueller bzw. zwischenstaatlicher Ebene als ein künstlicher Zustand – und vor allem Ergebnis einer vernunftgeleiteten und kulturellen Höher- bzw. Weiterentwicklung der menschlichen Gattung – zu betrachten ist: „Der Friedenszustand unter Menschen, die neben einander leben, ist kein Naturzustand […]. Er muss also gestiftet werden […].“ (Frieden: BA 19)[5]
III. Der vernunftgeleitete Fortschritt der menschlichen Gattung aus dem Dasein in ntürlicher Freiheit
III.I. Vom Naturzustand und dem Wesen des Krieges
Als Ausgangspunkt der Kantschen Argumentationskette lassen sich im Kontext der Fragestellung dieser Arbeit zunächst einmal die Existenz des Menschen sowie deren modus vivendi im Naturzustand identifizieren, welche die Stiftung eines dauerhaften friedlichen Miteinanders überhaupt erst nötig zu machen scheinen. Für eine erste Abstraktion und um „nicht in Mutmaßungen [zu] schwärmen“ (Menschengeschichte A 4)[6] erscheint es demnach konstruktiv, zunächst diese beiden Punkte einmal näher zu untersuchen.
Es fällt dem Betrachter nach dem Studium der entsprechenden Lektüre unschwer ins Auge, dass der Philosoph die Begriffe Naturzustand bzw. Zustand natürlicher Freiheit im Grunde synonym verwendet mit einer beständigen Bedrohung durch Krieg und Fehde. So reflektiert er an einer Stelle über den „Naturzustand (status naturalis), der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d. i. wenn gleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben.“ (Frieden BA 19) Auch in seiner Abhandlung über das öffentliche Recht spricht Kant sinngemäß davon, „[…] daß dieser Zustand ein Zustand des Krieges (des Rechts des Stärkeren), wenn gleich nicht wirklicher Krieg und immerwährende wirkliche Befehdung (Hostilität) ist […].“ (Metaphysik B 246/247)[7] Schon die Menschengeschichte begann nur mit einem Paar von Mann und Frau, „damit nicht so fort der Krieg entspringe, wenn die Menschen einander nahe und doch einander fremd wären […].“ (Menschengeschichte (A 4) Dieses enorme antagonistische Potential des menschlichen Charakters findet sich dabei sowohl auf zwischenmenschlichen als auch zwischenstaatlichen Ebene: „[…] Staaten, können wie einzelne Menschen beurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d. i. in der Unabhängigkeit von äußern Gesetzten) schon durch ihr Nebeneinander lädieren […].“ (Frieden BA 31)
Es wird an dieser Stelle meines Erachtens klar deutlich, dass nach der Auffassung Immanuel Kants keinesfalls „die Rechtsbeziehungen der Menschen untereinander durch bloßes Naturrecht geregelt werden könnten“,[8] wenngleich hier durchaus rechtmäßige Zustände wie eheliche oder häusliche Gesellschaften vorherrschen.[9] Jedoch werden im Rahmen der existierenden unbegrenzten und wilden Freiheit, in der die Menschen ungehemmt ihrem natürlichen Nahrungs- oder Sexualtrieb folgen, keine der wechselseitig stattfindenden Feindseligkeiten und Fehden als unrechte Handlungen geahndet bzw. bestraft:[10] „Niemand ist verbunden, sich des Eingriffs in den Besitz [und damit auch der Rechte, N. H. ] des anderen zu enthalten […].“ (Metaphysik AB 157) Alle Beteiligten gehen willkürlich ihren teils qua Geburt, teils anderweitig legitim erworbenen Rechten nach, jedoch mangelt es diesen, wie eben angedeutet, an Sicherheit:[11] „Der Mensch aber (oder das Volk) im bloßen Naturzustande benimmt mir diese Sicherheit [eines bürgerlich-gesetzlichen Zustandes unter der Obhut einer Obrigkeit bzw. legitimen öffentlichen und austeilenden Gerechtigkeit, N. H. ], und lädiert mich schon durch eben diesen Zustand, indem er neben mir ist, obgleich nicht tätig (facto), doch durch die Gesetzlosigkeit seines Zustandes (statu iniusto), wodurch ich ständig von ihm bedroht werde […].“[12] (Frieden BA 18/19) Es handelt sich bei dem Miteinander in natürlicher Freiheit dem Kantschen Duktus nach um keinen Zustand der Ungerechtigkeit („iniustus“), sondern vielmehr um einen der „Rechtlosigkeit (status iustitia vacuus) wo, wenn das Recht streitig […] war, sich kein kompetenter Richter fand, rechtskräftig den Ausspruch zu tun, aus welchem nun in einen rechtlichen zu treten ein jeder den anderen mit Gewalt antreiben darf […].“[13] (Metaphysik B 193) Gegenseitige Fehde zwischen einzelnen Individuen oder aber auch das Führen von Kriegen zwischen Staaten stellt im Zustand natürlicher Freiheit die erlaubte Art und Weise dar, sein jeweiliges Recht einzufordern bzw. seinem partikularen Willen zu folgen.[14]
[...]
[1] Trotz einiger theoretisch-philosophischer Vorarbeiten war bis zu derVeröffentlichung der Überlegungen Kants auf diesem Gebiet doch ein beachtliches Defizit auszumachen. Vgl. Adler (1974): 269 und Höffe (1995): 11-15.
[2] Rekurriert wird auf folgende Werke, welche in der Arbeit unter ihren jeweiligen Abkürzungen auftauchen: „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ (Idee); „Mutmasslicher Anfang der Menschengeschichte“ (Menschengeschichte); „Kritik der Urteilskraft“ (Kritik); „Über den Gemeinspruch. Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“ (Gemeinspruch); „Zum ewigen Frieden“ (Frieden); „Die Metaphysik der Sitten“ (Metaphysik); „Der Streit der Fakultäten“ (Fakultäten).
[3] Die Beschränkung der jeweiligen Entscheidungsträger auf die politischen Konfliktfelder ihrer Zeit lässt sich meines Erachtens nicht wirklich als haltbarer Vorwurf formulieren, sondern entspricht vielmehr den funktionslogischen Zwängen der Auseinandersetzungen mit den jeweils aktuellen Problemlagen seitens der politisch Verantwortlichen. Vom Standpunkt des Philosophen aus und damit ohne diese angesprochene Verantwortung zu politischem Handeln vermag es Kant, Reflektionen anzustellen, die über den konkreten Einzelfall hinausreichen.
[4] Saner (1995): 45.
[5] Zitiert wird aus dem Werk „Zum ewigen Frieden“ nach Weischedel (1981), Bd. 9.
[6] Zitiert wird aus dem Werk „Mutmasslicher Anfang der Menschengeschichte“ nach Weischedel (1981), Bd. 9.
[7] Zitiert wird aus dem Werk „Die Metaphysik der Sitten“ nach Weischedel (1981), Bd. 7.
[8] Höffe (2000): 226.
[9] Vgl. Metaphysik B 155.
[10] Vgl. hierzu auch Höffe (2000): 228.
[11] Aus diesem Grund bleiben auch sämtliche individuell erworbenen Besitzstände und Errungenschaften bis zum Eintritt in einen bürgerlich-gesetzlichen Zustand in jedem Falle provisorisch.
[12] „Im Naturzustand […] ist jeder durch den anderen schon allein dadurch in seinen Rechten verletzt, daß ein solcher Zustand der Rechtlosigkeit zwischen ihnen besteht […].“ (Kersting, 1995: 89)
[13] Laut Kersting stellt der Naturzustand bei Kant aus „strukturellen Gründen“ einen Kriegszustand dar, da es hier weder auf der Ebene zwischen den Individuen noch der Ebene zwischen Staaten gewaltfreie und auf allgemein anerkannten Rechtsnormen basierende „Verfahren der Konfliktregulierung und Ordnungsherstellung gibt.“ (Kersting (1995): 87/88)
[14] Vgl. Metaphysik B 250 und 257.
- Citar trabajo
- Norbert Hanisch (Autor), 2008, Die Funktion des Antagonism in Bezug auf die Stiftung des ewigen Friedens im Kontext natürlicher Freiheit und des kulturellen Fortschritts der menschlichen Gattung bei Immanuel Kant, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120639
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