Während sich trotz einiger Konfliktpotentiale die innergesellschaftliche Situation vor 1914 in der Habsburgermonarchie nahezu als „goldenes Zeitalter“ darstellte, verschärfte sich die außenpolitische Lage seit der Annexion Bosnien-Herzegowinas 1908 und den zwei Balkankriegen 1912/13 doch in erheblichem Maße. Auf Seiten der militärischen Führung Österreich-Ungarns kreisten die Gedanken in Negation der Suche nach politischen und diplomatischen Kompromissen bewusst um eine bewaffnete Klärung der Situation auf dem Balkan, jedoch hegte man verbreitet die Vorstellung, den zu führenden Krieg lokal begrenzen zu können. Es zeugte diesbezüglich allerdings von einer wenig realistischen Einschätzung der internationalen politischen Konstellation, in Erwägung zu ziehen, Russland, Großbritannien, Frankreich oder Italien mit einem Dossier über die Schuld Serbiens ruhig zu stellen – entsprechend der „Bündnisautomatik“ weitete sich der Konflikt innerhalb von 16 Tagen zum europäischen Krieg aus.
Gliederung
I. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg
I.I. Die Entfesselung des Krieges
I.II. Die Rolle Österreich-Ungarns als Krieg führende Großmacht: Satellit des Deutschen Reiches und sekundärer Kriegsgegner der Entente
I.III. Friedensbemühungen von und um die Habsburgermonarchie während des Krieges
II. Die Pariser Friedenskonferenz und der Vertrag von Saint Germain
II.I. Der mentale und politisch-historische Entstehungskontext
II.II. Die inhaltlichen Bestimmungen des Vertrages mit Österreich-Ungarn
III. Aspekte der Bewertung
III.I. Die Pariser Friedensordnung
III.II. Das Anschlussverbot an das Deutsche Reich
III.III. Der Entschluss zur Auflösung der Habsburgermonarchie und das Selbstbestimmungsrecht der Völker
IV. Literaturverzeichnis
IV.I. Monographien und Aufsätze
IV.II. Internetquellen
I. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg
I.I. Die Entfesselung des Krieges
Während sich trotz einiger Konfliktpotentiale die innergesellschaftliche Situation[1] vor 1914 in der Habsburgermonarchie nahezu als „goldenes Zeitalter“[2] darstellte, verschärfte sich die außenpolitische Lage seit der Annexion Bosnien-Herzegowinas 1908[3] und den zwei Balkankriegen 1912/13 doch in erheblichem Maße.[4] Auf Seiten der militärischen Führung Österreich-Ungarns kreisten die Gedanken in Negation der Suche nach politischen und diplomatischen Kompromissen bewusst um eine bewaffnete Klärung der Situation auf dem Balkan,[5] jedoch hegte man verbreitet die Vorstellung, den zu führenden Krieg[6] lokal begrenzen zu können.[7] Es zeugte diesbezüglich allerdings von einer wenig realistischen Einschätzung der internationalen politischen Konstellation, in Erwägung zu ziehen, Russland, Großbritannien, Frankreich oder Italien mit einem Dossier über die Schuld Serbiens ruhig zu stellen – entsprechend der „Bündnisautomatik“[8] weitete sich der Konflikt innerhalb von 16 Tagen zum europäischen Krieg aus.[9]
Es entspräche einer in der Sache falschen, weil verkürzten und einen geschichtlichen Automatismus suggerierenden Darstellung, dass es nach der Ermordung des Thronfolgerehepaares[10] durch den jungen bosnischen Nationalisten Gavrilo Princip[11] unweigerlich zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam.[12] Vielmehr stellte dieses Attentat seitens der Habsburgermonarchie ein nachträgliches Konstrukt zur Legitimation der Aggression gegenüber Serbien dar, de facto wirkte Österreich-Ungarn in einer ideologisierten und „explosiven Mischung aus Nationalprestige, imperialistischen Zielen und Träumen, Frustration und letzter Entschlossenheit“ direkt an der Entfesselung der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ mit.[13]
Im Vorfeld der umstrittenen Reise von Franz Ferdinand[14] wurde von vielen Seiten, auch seitens der serbischen Regierung, Bedenken geäußert, welche jedoch in Wien – freilich vor dem Hintergrund der latent permanenten Gefahr eines solchen Anschlages – nicht sonderlich ernst genommen wurden, fielen sie doch nicht nachhaltiger aus als bei anderen Auslandsbesuchen auch.[15] Nach der Ermordung zeigte man europaweit Verständnis für die Haltung Österreichs, Serbien für die Tat zur Verantwortung ziehen zu wollen. Allerdings stieß die Note, welche am Morgen des 23. Juli an Belgrad übergeben wurde, ob ihrer – auch auf deutschen Nachdruck hin – harten bzw. als unannehmbar intendierten Bedingungen zum Teil auf Unverständnis.[16] Überraschend akzeptierte Belgrad bei der Rückgabe am 25. Juli die meisten Bestimmungen des Ultimatums, lediglich jene Punkte, welche die nationale Souveränität verletzten, stießen auf Ablehnung.[17] Da die Note also nicht wie von gefordert uneingeschränkt angenommen wurde, war der Weg in den von der Habsburgermonarchie gewünschten Krieg frei[18] – ein von Österreich-Ungarn konstruierter bewaffneter Zwischenfall an der serbischen Grenze bildete schließlich den unmittelbaren Anlass des Krieges, welcher die serbischen Ambitionen auf einen unabhängigen südslawischen Staat im Keim ersticken sollte.[19]
[...]
[1] Zur komplexen wie labilen Struktur Österreich-Ungarns vgl. Hanisch (1994), S. 225 und Parker (1967), S. 33/34.
[2] Hanisch (1994), S. 20. Vgl. außerdem Sked (1993), S. 7, 14 und 40.
[3] Zu dem dieser Annexion inhärenten Konfliktpotential zwischen der Habsburgermonarchie und Russland vgl. Hösch (1993), S. 182 und zur Unterstützung Österreich-Ungarns durch das Deutsche Reich, Canis (2003), S. 113. Erst ab diesem Zeitpunkt wuchs in Österreich-Ungarn das Interesse und Bewusstsein an einer schlagkräftigen Rüstung, Wirtschaft und Industrie waren überraschender Weise im Stande, die immensen Belastungen zu tragen. Vgl. Reinschedl (2001), S. 17 und 127-133.
[4] Vgl. Pelinka (2001), S. 201 und Hanisch (1994), S. 234, der die außenpolitischen Leitlinien dieser Zeit anschaulich darlegt.
[5] Vgl. hierzu Kronenbitter (1996) und Rauchensteiner (1994), S. 67-87. Die Befürworter eines Präventivkrieges waren in der Minderheit.
[6] Die Idee, dass ein Krieg unvermeidlich sei, war in ganz Europa zu finden, wenngleich unterschiedlich stark ausgeprägt. In der Habsburgermonarchie verband sich damit sehr deutlich die Intention, innere Konflikte nach außen abzuleiten, vgl. Strachan (2004), S. 252, Rauchensteiner (1994), S. 59, Kronenbitter (1996), S. 170/171 und 185, Hanisch (1991), S. 79, Jeřábek (1994), S. 960, Sked (1993), S. 40/41, Görlich (1988), S. 265, Dülffer (2003), S. 233 sowie Niedhart (2002), S. 190 und Pelinka (2001), S. 202.
[7] Vgl. Rauchensteiner (1994), S. 58 und Kronenbitter (1996), S. 160-163, der auf den diesbezüglichen Gleichklang deutscher und österreichischer Interessen genauso hinweist wie die divergierenden Prioritätensetzungen der jeweiligen Generalstäbe. Vgl. Rauchensteiner (1994), S. 76 und Kronenbitter (1996), S. 169/170.
[8] Zur Rolle der Allianzen in Europa am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts vgl. Strachan (2004), S. 246.
[9] Vgl. Hösch (1993), S. 187 und Strachan (2004), S. 247. „Wechselseitiger Argwohn hatte wechselseitige Paranoia geschürt.“ (ebd., S. 255)
[10] Vgl. Sked (1993), S. 296/297, Hanisch (1994), S. 234/235 und Zöllner (1990), S. 479/480.
[11] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gavrilo_Princip sowie Hösch (1993), S. 186/187.
[12] Während in der älteren österreichischen Forschung die Rolle Österreich-Ungarns am Kriegsausbruch noch für gering gehalten wurde – vgl. beispielhaft Wandruszka / Urbanitsch (1989), S. 365-367 –, wird mittlerweile doch eine Hauptschuld der Habsburgermonarchie konstatiert, allerdings im Zusammenspiel mit einer „initiierenden Verantwortung“ (Niedhart (2002), S. 193) des Deutschen Reiches. Vgl. Görlich (1988), S. 267, Zöllner (1990), S. 480/481, Jeřábek (1994), S. 960/961, Sked (1993), S. 314, Strachan (2004), S. 242/243 und 253 sowie Hanisch (1994), S. 235/236.
[13] Rauchensteiner (1997), S. 66. Sked (1993), S. 297/298, formuliert es wie folgt: „[Letztlich führte die] Verbindung von [militärischem, N. H. ] Prestigebedürfnis und Zukunftsangst [..] dazu, daß sich in Wien letzten Endes eine irrationale Einschätzung der eigenen Interessen durchsetzen konnte.“ Zu den Motivlagen vgl. außerdem Hanisch (1991), S. 79, Jeřábek (1994), S. 960 und Görlich (1988), S. 265.
[14] Der Thronfolger verstand es, stets seine rationalen strategischen Überlegungen mit pazifistischen Elementen zu verbinden, nach außen dominierte nicht zu unrecht sein Bild des beständigen Friedensbefürworters, vgl. Rauchensteiner (1994), S. 59, Jeřábek (1994), S. 961 und Kronenbitter (1996), S. 166. In seiner liberalen Haltung stand Franz Ferdinand begrenzten Autonomiebestrebungen durchaus positiv gegenüber. Der Aspekt, dass insofern auch die Rolle der konservativen Kreise der Habsburgermonarchie bei diesem Attentat näher zu hinterfragen wäre, resultierte aus der ergiebigen Seminardiskussion mit Prof. Dr. Pommerin am 19.06.2007. Vgl. hierzu auch Strachan (2004), S. 242.
[15] Dem Attentäter selbst war die Dimension seiner Tat kaum bewusst, ging es ihm doch lediglich um eine nachdrücklichere Politik der serbischen Regierung gegenüber Österreich-Ungarn. Vgl. Rauchensteiner (1994), S. 64, 65 und 77.
[16] In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit seit dem Attentat hatte man eine solche Note nicht mehr unbedingt erwartet, vgl. Rauchensteiner (1994), S. 78/79 und 82/83.
[17] Vgl. Strachan (2004), S. 242.
[18] Der in Planung befindliche Weltfriedenskongress in Wien war somit obsolet. Vgl. Rauchensteiner (1994), S. 60/61 und 85 sowie Rauchensteiner (2003), S. 65/69 und Kronenbitter (1996), S. 175/176 und 185-187. Unter dem Strich war die Entscheidung zum Krieg gegen Serbien rational nicht erklärbar Zur Rolle Serbiens vgl. Newman (1965), S. 207 und Strachan (2004), S. 242, der den raschen Meinungsumschwung in Europa zugunsten Serbiens thematisiert.
[19] Wenngleich Serbien aus den beiden Balkan-Kriegen gestärkt hervorging, war die von Wien perzipierte Gefährdung der Großmachtstellung in dem Ausmaß nicht realistisch, vgl. Sked (1993), S. 297, Rauchensteiner (1994), S. 52 und Strachan (2004), S. 249 und 252/253.
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