Die ständig zunehmende Zahl der Arzt- und Krankenhausserien und auch der zunehmende Fernsehkonsum werden einen Einfluss auf die Erwartungen an die Behandlung im Krankenhaus haben. Vermutet wird eine Verwischung der Grenzen zwischen Krankenhauswirklichkeit und medialer Realität.Anhand eines standardisierten Fragebogens wurden 162 Patienten, die wegen einer elektiven Standardoperation in stationärer Behandlung waren, vor der stationären Aufnahme und kurz vor ihrer Entlassung interviewt. Gefragt wurde nach der sozialen Situation und den Fernsehgewohnheiten unter spezieller Berücksichtigung des Konsums von Arzt- und Krankenhausserien und verschiedenen Aspekten der Zufriedenheit der Patienten.Die aus der Kultivationsforschung bekannten Zusammenhänge zwischen Bildung, Alter, Geschlecht und Fernsehgewohnheiten konnten bestätigt werden. Signifikant zeigte sich, dass die Unzufriedenheit mit der Visite bei hohem Fernsehkonsum und Kenntnis und Konsum vieler Arztserien steigt. Gleichzeitig ist ein hoher Fernsehkonsum signifikant mit einer hohen Zufriedenheit mit dem Klinikessen verbunden. Ein weiteres Ergebnis ist, dass Vielseher von Arzt und Krankenhausserien die medizinischen Inhalte dieser Serien auch für realistischer halten.
Arzt- und Krankenhausserien kultivieren bei Vielsehern das für diese Serien typische Rollenverhalten. Gerade bei der Visite im Krankenhaus zeigt sich die typische Schnittstelle von Fiktion und Realität. Hier kann gezeigt werden, dass die Kultivierung in derart spezifischen und konkreten Zufriedenheitsaspekten in großer Ausprägung existiert. Die hohe Zufriedenheit mit dem Essen bei Vielsehern weist auf eine gewisse medieninduzierte Indifferenz hin.
Die vermuteten Kultivationseffekte bei Krankenhauspatienten durch den Konsum von Fernsehserien konnten mit Signifikanz nachgewiesen werden. Um eine hohe Zufriedenheit aller Patienten zu erzielen, muss sich die Realität des Klinikalltags auch an den positiven Aspekten der Darstellung des Klinkalltags im Fernsehen orientieren.
3. Theoretische Fundierung mit Darstellung des aktuellen Forschungsstands als Übersicht über die aktuelle Literatur
3.1 Die Entwicklung des Fernsehens
Als Fernsehen (auch kurz TV, vom griechisch-lateinischen Kunstwort Television) bezeichnet man die drahtlose oder kabelgebundene Übertragung von bewegten Bildern und Tönen, deren Übertragung an einen anderen Ort sowie ihre dortigen Wiedergabe mit Hilfe eines Fernsehgerätes (Brockhaus 2007). Die Entwicklung des Fernsehens begann in mehreren Ländern gleichzeitig und weitgehend unabhängig voneinander noch vor dem zweiten Weltkrieg. Die technischen Voraussetzungen hierfür wurden bereits im 19. Jahrhundert durch Ferdinand Braun geschaffen, der die so genannte Braunsche Röhre erfand. Erste öffentliche Demonstrationen des Fernsehens fanden Ende der 1920er Jahre auf Funkausstellungen in Berlin statt. 1935 wurde ebenfalls in Deutschland der erste regelmäßige Fernsehprogrammbetrieb in öffentlichen Fernsehstuben eingerichtet.
Nach dem zweiten Weltkrieg schlossen sich 1950 die Landesrundfunkanstalten zur Arbeitsgemeinschaft öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) zusammen und vereinbarten 1953 im so genannten Fernsehvertrag ein gemeinsames, anteilig zu produzierendes Fernsehprogramm auszustrahlen. Im April 1962 nahm das ZDF in Mainz seinen Sendebetrieb auf als zweites, von den Ländern gemeinsam verantwortetes Programm. Längst hält das Fernsehen einen wesentlichen Anteil am Tagesablauf der meisten Menschen. Im allgemeinen Bewusstsein wird man das Fernsehen aber nicht als reine Übertragungstechnik bezeichnen, sondern vielmehr als ein periodisches, in verschiedenen Senderkanälen und Sendeformen differenziertes und entsprechend wählbares Programmangebot, eine öffentliche, Autorität einfordernde und politisch umstrittene Institution wie auch eine alltäglich gewohnte Freizeittätigkeit gleichermaßen (Kübler 1982).
Seit Mitte der 1980er Jahre gibt es in Deutschland das duale Rundfunksystem: öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Anbieter. Durch die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für privates Fernsehen und die technischen Voraussetzungen durch die Verbreitung von Kabel- und Satellitenfernsehen waren die Grundlagen für eine Vermehrung des Programmangebots geschaffen (Hickethier 1991). Zu Beginn der 1990er Jahre sind in den meisten Kabelnetzen bereits mehr als 25 Programme zu empfangen.
Durch diese ubiquitäre Verbreitung hat das Medium Fernsehen in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert erlangt. Seine exponierte Stellung und permanente Verfügbarkeit erhebt es zum Leitmedium in allen Bevölkerungsgruppen, ohne das der Alltag schwer vorstellbar ist. Die Einflussnahme des Fernsehens auf die gesellschaftliche Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist unübersehbar (Mikos 1994).
Die Fernsehanbieter konkurrieren im dualen System um den Programmerfolg, das heißt um die Aufmerksamkeit der Zuschauer und um Werbeeinnahmen als notwendige Finanzierungsquellen. Programmerfolg und Werbeeinnahmen hängen dabei eng zusammen: Je größer und aus der Perspektive der Werbung attraktiver das erreichte Publikum, desto größer sind die potenziellen Webeeinnahmen. Die durchschnittlich pro Tag ausgestrahlten Fernsehspots haben sich zwischen 1992 und 2000 mehr als verfünffacht. Für die öffentlich-rechtlichen Veranstalter sind diese Webeeinnahmen aufgrund ihrer primären Finanzierung durch Zuschauergebühren weniger wichtig. Für die privaten Veranstalter sind sie jedoch als einzige Einnahmequelle von zentraler Bedeutung. In den 1980er Jahren gewannen die privaten Anbieter kontinuierlich Marktanteile beim Fernsehpublikum hinzu, so dass im dualen TV-Markt zwei nahezu gleichbedeutende Anbietergruppen entstanden sind.
3.2 Das Fernsehen und der Begriff des Alltags
Elias definiert 1978 den Begriff „Alltag“ im zeitlichen Kontext. Der Alltag ist keine autonome Sonderstruktur, sondern ist integraler Bestandteil der Struktur von Gesellschaftsschichten und gesamtgesellschaftlicher Machtstrukturen.
Elias hält das alltägliche Handeln jedes Individuums für symbolisch vermittelt und beschreibt es als „symbolische Gewalt“, die der Alltag mit sich bringt. Hieraus wird Zwang und Routine des Alltags mit eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten abgeleitet.
Auch im Bereich des Fernsehens kann man von alltäglichen Zwängen ausgehen (Mikos 1994). Dieser potenziell zwanghafte Charakter wird für den Konsumenten beispielsweise durch die regelmäßige Wiederkehr von Berichterstattung oder Einbettung einzelner Sendungen in Programmstrukturen unterstrichen. Hierüber können sich sowohl die Mitarbeiter der Rundfunkanstalten als auch Zuschauer nicht hinwegsetzen. Sie sind diesen institutionellen Zwängen des Fernsehens ebenso ausgesetzt wie den alltäglichen Gewohnheiten ihres eigenen Lebens (Hipp 2001).
Laut Mikos (1994) versuchen die Fernsehzuschauer die institutionellen Zwänge des Fernsehens mit den Zwängen ihres eigenen alltäglichen Lebens in Übereinstimmung zu bringen. So wird das Fernsehen zur alltäglichen Tätigkeit mit kulturellen und sozialen Aspekten.
3.3 Programmangebote und Nutzung
Seit Jahren liefern sich das Fernsehen und der Hörfunk ein enges Wettrennen um die Spitze der quantitativen Mediennutzung in Deutschland. Das Fernsehen konnte hierbei in den vergangenen Jahren weiter steigende Nutzungszahlen verbuchen. Die durchschnittliche Verweildauer vor dem Fernsehgerät stieg von 262 Minuten in 2001 auf 283 Minuten in 2005 (Gerhards und Klingler 2006). Bei der Differenzierung nach Bildungsniveau differenzierte sich die durchschnittliche tägliche Fernsehdauer zwischen 260 Minuten bei Personen mit Hauptschulabschluss und 167 Minuten bei Personen mit Abitur.
Das Fernsehprogramm weist eine hohe Vielfalt auf, die sich zum einen im Bereich der Genres, zum anderen aber auch in dem der behandelten Themen und Formate widerspiegelt (Zubayr und Brosius 1996). Mit der zunehmenden Vielfalt geht eine Differenzierung der Fernsehkonsumenten nach Nutzertypen einher, die nicht nur nach der Häufigkeit ihres Fernsehkonsums, sondern auch nach der Art der Selektion von Sendungen unterschieden werden können (Schulz 1997).
3.4 Die Wirkung des Fernsehens auf die Zuschauer
Die Wirkung der Medien ist abhängig von der Einstellung, mit der die Konsumenten ihnen begegnen, von der Funktion, die sie ihnen zuschreiben: wer sich von Serien wie „Dr. Stefan Frank – der Arzt, dem die Frauen vertrauen“ Informationen über die Arbeitsweise und Aufgabenbereiche von Frauenärzten verspricht, auf den wirkt diese Sendung anders als auf den Konsumenten, der sich nur Unterhaltung erhofft.
Winterhoff-Spurk untersuchte daher 1986 die Funktionen, die die Medien für den Rezipienten haben. Solche Funktionen sind beispielsweise Flucht vor Langeweile, Unterhaltung, Entspannung, Wirklichkeitsflucht, Phantasieanregung, Informationssuche, Ersatz für soziale Kontakte, Teilnahme am politischen Leben oder Suche nach Gesprächsstoff und weitere Motive. Diese Motive lassen sich in drei große Gruppe einteilen: Entspannung, persönliche Bedürfnisse (Flucht vor der Realität, Ersatz für Sozialkontakte usw.) und Kognition (Wissens- und Informationserwerb) (Jäckel 1999). Genau diese Unterteilung konnten Gerhards und Klingler (2006) bestätigen. Die meistgenannten Antworten auf die Motivation zum Fernsehen waren Information, Spaß und Entspannung. Individuelle Persönlichkeitsmerkmale stellen die Grundlage für die unterschiedlichen Motive für den Fernsehkonsum dar.
Krampen et al. befragten 1982 knapp 200 Fernsehzuschauer in Deutschland und konnten dabei zwei grundlegende Persönlichkeitsmerkmale herauskristallisieren: Die internale Kontrollüberzeugung ist die Überzeugung, dass die Welt und das Leben durch eigene Aktivitäten kontrollierbar und veränderbar sind. Von Zuschauern mit internaler Kontrollüberzeugung werden Sendungen, die auf selbstbestimmtes Verhalten und aktive Informationssuche (z.B. Nachrichtensendungen oder Wissensmagazine) schließen lassen, bevorzugt. Die externale Kontrollüberzeugung geht von der Grundhaltung aus, dass das eigene Leben vorwiegend von fremden Einflüssen beeinflusst ist und nur bedingt selbst aktiv gestaltet werden kann. Dies führt zu einem vermehrten Konsum von Unterhaltungssendungen.
Bonfadelli (1994) klassifiziert diese Modelle dahingehend, ob sie die Wirkungsbilanz des Mediensystems insgesamt eher als homogenisierend oder mehr als differenzierend und andererseits ob sie den gesellschaftlichen Beitrag der Medien als funktional oder dysfunktional bewerten.
Zudem lassen sich nach Merten (1994) die neuen Ansätze der Medienwirkungsforschung entstehungsgeschichtlich in einem Stammbaum der Wirkungsforschung verorten, der auf drei Schulen basiert, die je von einem anderen zentralen Wirkungsprinzip ausgehen:
Das „Transmissions- / Stimulus-Response“ - Prinzip stellt die Wiederaufnahme der von McCombs (1972) beschriebenen Agenda-Setting Theorie dar. Sie umfasst homogenisierende und integrierende Wirkungen der Medien als Fokussierung der gesellschaftlichen Öffentlichkeit auf eine begrenzte Zahl geteilter Themen am Beispiel des politischen Prozesses. Die nachfolgend näher beschriebene Kultivierungsanalyse postuliert demgegenüber einen homogenisierenden Effekt des Fernsehens auf die Gesellschaft, der aber zu verzerrten Realitätsvorstellungen führt, ähnlich wie ältere Manipulationstheorien (neo-)marxistischer Prägung, die den Massenmedien ideologische Gleichschaltung und Entfremdung vorgeworfen haben.
Das „Selektivitäts-Prinzip“ zeigt die in der Gesellschaft positiv bewertete Differenzierung als personale Selbstverwirklichung und kulturelle Vielfalt bzw. Meinungspluralismus.
Folgen des „Reflexivitätsprinzips“ als undifferenzierte Reflexion des Dargestellten können nach Bonfadelli (2004) Normlosigkeit und Spaltung der Gesellschaft, aber auch ein Verlust an kultureller Identität sein.
Die oben genannten Modelle sind Theorien darüber, welche gesellschaftlichen Folgen sich aus dem Medienkonsum ergeben. Sie befassen sich jedoch nicht mit der Art, wie diese gesellschaftlichen Folgen zustande kommen. Bereits 1932 lieferte Rudolf Arnheim hierzu erste Ansätze einer wahrnehmungspsychologischen Filmanalyse. Er erarbeitete systematisch die Unterschiede zwischen „Weltbild“ und „Filmbild“. Ein wesentlicher Gegenstand der aktuellen Medienforschung ist die Untersuchung des Einflusses aktueller Berichterstattungen und fiktionaler Darstellungen auf die Kenntnisse, Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen der Zuschauer (Masters, Sullivan 1993).
In der Medienwirkungsforschung bildeten die „Payne-Fund-Studies“ einen ersten theoretischen und methodischen Höhepunkt. Sie untersuchten von 1929 bis 1932 die Wirkung von Filmen auf die Kenntnisse, Einstellungen und Emotionen von Kindern und Jugendlichen (Degen 1980). Diese Studie fällt in die Phase der starken Medienwirkungen, die von 1910 bis 1945 zu sehen ist. Hiernach folgen die Phasen der schwachen Medienwirkung (1946-1970) und der moderaten Medienwirkung (seit 1971) (McQuail 1994). Charakteristisch für die erste Phase sind die Reaktionen auf Orson Welles Radiohörspiel „War of the Worlds“: zahlreiche Zuhörer waren nicht in der Lage, die dargestellten Ereignisse als fiktiv zu erkennen, was zu Paniken führte.
Die zweite Phase ist gekennzeichnet durch das Auftreten wiederkehrender Routineereignisse, wie zum Beispiel der Wahl des amerikanischen Präsidenten mit einer nahezu standardisierten, weit weniger spektakulären Form der Berichterstattung (Katz et al. 1955). Die Vermutung einer schwachen Medienwirkung in dieser Zeit hat unter dem Namen Minimal-Effekt-These wesentliche Bedeutung erlangt.
Die Phase der moderaten Wirkung als dritte Phase kann durch Elisabeth Noelle-Neumanns Forschungsbericht „Return of the Concept of Powerful Mass Media“ (1973) gekennzeichnet werden. Begleitet wurde diese theoretische Neuorientierung von einer wachsenden Zahl von Langzeitstudien, die die Medienwirkungen als doch stärker als zuvor vermutet darstellten. Insgesamt seien die Medienwirkungen bei herausragenden Ereignissen ebenso stark wie bereits in der ersten Phase (Noelle-Neumann 1973), was beim Anschlag auf das World Trade Center in 2001 deutlich wurde: die in alle Welt ausgestrahlten Bilder der brennenden Türme und der in den Tod springenden Menschen haben zum Teil hochemotionale Reaktionen ausgelöst. Eine solche Reaktion war ein massives Erstarken patriotischer Gefühle in den Vereinigten Staaten, nicht zuletzt bedingt durch die als kleines Icon von allen führenden Fernsehsendern in die Berichte eingeblendete wehende amerikanische Fahne. Eine weitere Ursache für die zunehmende Einflussnahme der Medien in dieser Phase ist wohl auch die bereits oben erwähnte Zunahme des Medienangebots.
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- Prof.h.c. Dr.sc.hum. Dr.med. Kai Witzel (Author), 2007, Wem helfen die Fernsehärzte? Auswirkungen des Fernsehkonsums auf stationäre Patienten im Krankenhaus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120571
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