Ausgehend von den eigenen Schulderfahrungen sollen die Schüler das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11-32) kennen lernen und seine Botschaft unter dem Aspekt „Schuld – Vergebung – Neuanfang“ erschließen. Sie sollen sich der Hoffnungsperspektiven des eigenen Lebens bewusst werden und ihr Gottesbild um den Aspekt „Gott als bedingungslos liebenden Vater“ erweitern.
1. Einbindung in die Unterrichtsreihe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2. Darstellung der Sache bezogen auf die Unterrichtsstunde
2.1 Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11 – 32)
Gleichnisse sind Bestandteil der allgemeinen und insbesondere der religiösen Bildersprache. Sie eignen sich vor allem zur „Veranschaulichung der übersinnlichen Wirklichkeit“.[1] Jesus erzählte in Gleichnissen, um Hinweise über Gott und das Leben als gottgläubiger Mensch zu geben. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn steht im Lukasevangelium mit zwei weiteren Gleichnissen („Vom verlorenen Schaf“, „Von der verlorenen Drachme“) unter der Gesamtthematik „Freude über die Auffindung der Verlorenen“.
In dem Gleichnis vom verlorenen Sohn tritt der jüngere von zwei Söhnen eines jüdischen Großbauern an den Vater mit der Bitte heran, ihm den Pflichtteil seines Erbes auszuzahlen. Kurzerhand packt er seine Sachen und wandert aus, um sich eine eigene Existenz aufzubauen. Das vom Vater geerbte Vermögen „verprasst“ er in einem verschwenderischen Leben. Auf diese Weise wird er vor seinem Vater schuldig. Nachdem er all sein Geld vergeudet hat herrscht Hungersnot im Land. Die Not zwingt ihn dazu, im Dienste eines fremden Bürgers Schweine zu hüten. Dies war damals eine „erniedrigende, kultisch unrein machende Arbeit, zudem ohne Möglichkeit zur Feier des Sabbats oder der Einhaltung ritueller Speiseangebote“[2]. Somit wird er auch religiös schuldig. Sein Hunger wird dennoch nicht gestillt und in seiner verlorenen Lage erinnert er sich an seinen guten Vater und die guten Zeiten, die er zu Hause hatte. Schließlich wird er sich seiner Schuld vor Gott und seinem Vater bewusst und fasst den Entschluss, zu seinem Vater umzukehren. Der Vater vergibt seinem Sohn und bringt ihm bedingungslose Liebe entgegen, indem er seinen Sohn mit offenen Armen entgegen läuft, ihn willkommen heißt und ihn sogleich mit Kleidung, Nahrung und Schmuck beschenkt.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn veranschaulicht die Liebe Gottes zu jedem reuigen Menschen. Es zeigt, das Gott niemanden verstößt, der voller Reue umkehrt und Buße tut, an seine Tür klopft. Deshalb spendet dieses Gleichnis dem Verzweifelten Trost und dem Sünder Hoffnung.
2.2 Die Begriffe „Schuld“ und „Vergebung“
In der Alltagssprache wird der Begriff „Schuld“ häufig in Aussagen wie „schuld sein an“ oder „schuld haben an“ verwendet. „Schuld“ kann jedoch von der ethischen und der rechtlichen Seite betrachtet werden. Im Bezug auf die vorliegende Unterrichtsreihe ist ausschließlich der ethische Bezug von Bedeutung. Ethisch verstanden wird der Begriff „Schuld“ im positiven und negativen Sinne verwendet. „So kann im Schuldigsein die positive Richtung einer Dankerwiderung oder eines Verpflichtetseins liegen, während die negative Bedeutung die Verschuldung eines Übels oder die Verletzung eines Rechtes oder einer Pflicht meint. Einige Verschuldungen kann man wieder gut machen, andere lassen „sich nicht abtragen“[3], sondern können nur durch Vergebung aufgehoben werden.[4]
3. Didaktisch-methodische Überlegungen
3.1 Begründung und Relevanz der Unterrichtsreihe
Ziel der vorhergehenden Unterrichtsreihe „In mir wohnt mein Seelenvogel“ war die ganzheitliche Auseinandersetzung mit eigenen Gefühlen und denen anderer Menschen. Nach und nach entwickelte sich innerhalb der Lerngruppe eine vertraute Atmosphäre, in der die Schüler einander ihre Gefühle anvertrauten. Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen möchte ich mit der vorliegenden Unterrichtsreihe durchführen.
Ausgehend von den Fragen und Empfindungen der Kinder habe ich mich dafür entschieden, das „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ als Anlass zu nehmen, das Gefühl Schuld im Religionsunterricht aufzugreifen.
Das Gefühl des Schuldigseins beschäftigt die Schüler dieser Lerngruppe vor allem, seitdem Jan-Philipp, ein ehemaliger Schüler unserer Religionslerngruppe, die Schule verlassen hat. Er wechselte die Schule, weil er sich innerhalb seines Klassenverbundes von seinen Mitschülern gehänselt und ausgeschlossen fühlte. Einige Schüler meiner Lerngruppe brachten dieses Ereignis im Rahmen der letzten Unterrichtsreihe zur Sprache. Sie fühlten sich mitverantwortlich für Jan-Philipps Schulwechsel. Der Begriff „schuldig“ wurde dabei häufig verwendet.
Mir ist es ein Anliegen, diese Gefühle der Schüler zum Thema im Religionsunterricht zu machen und den Schülern Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man mit einem Schuldgefühl umgehen kann. Wichtig war mir, den Schülern Raum und Ruhe zu lassen, sich mit dem Gefühl „Schuld“ auseinanderzusetzen und ihnen zudem eine Hoffnungsperspektive aufzuzeigen.
3.2 Vernetzung mit anderen Bereichen
„Der konkrete Unterricht muss die Bereiche, Aufgabenschwerpunkte und Unterrichtsgegenstände wo immer möglich aufeinander beziehen und miteinander vernetzen.“[5] Im Sinne eines vernetzten Religionsunterrichts werden die Inhalte dieser Unterrichtsreihe mit bereits bekannten Elementen verknüpft:
- Das Symbol „Weg“
- Der Seelenvogel
- Psalmworte
- Zachäus, Kindersegnung
3.3 Didaktische Entscheidungen für die Unterrichtsreihe und Unterrichtsstunde
Um unmittelbar an die vorhergehende Unterrichtsreihe anzuknüpfen, setzt auch diese Unterrichtsreihe bei den „angenehmen“ und „unangenehmen“ Gefühlen der Kinder an. Davon ausgehend wird das Gefühl „Schuld“ thematisiert. Die Schüler denken über eigene Schulderfahrungen nach. Ihnen ist freigestellt, ob sie diese Erfahrungen mit ihren Mitschülern teilen oder sie für sich behalten wollen. In einem weiteren Schritt werden verschiedene Möglichkeiten zusammengetragen, mit einer Schuld umzugehen (bspw. „jemandem die Schuld in die Schuhe schieben“, „eine Schuld leugnen“, „eine Schuld zugeben"). Die Schüler erkennen das Zugeben einer Schuld als sinnvoll und entlastend.
Anschließend lernen sie in Teilabschnitten das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11-23) kennen. Die Auseinandersetzung mit dem Gleichnis ermöglicht den Schülern, die Problematik des Schuldigwerdens zu erschließen und von der bedingungslosen Vergebung und Annahme des Vaters zu hören. Die theologische Aussage liegt in der Parallelität des Vaters zu Gott. Die nachdrückliche Schilderung dessen, was der Vater nach Heimkehr des Sohnes unternimmt (Entgegenlaufen, Umarmung, Kuss als Zeichen der Vergebung, Freudenfest) dient der Hervorhebung seiner vergebenden Liebe.[6]
Gegen die ausführliche Thematisierung des eifersüchtigen Bruders habe ich mich entschieden, um von dem eigentlichen Lernziel der Unterrichtsreihe, dem Bewusstwerden der Hoffnungsperspektiven des eigenen Lebens nicht abzulenken. Auch der Lehrplan macht diese Bibelstelle nicht verbindlich.
Das Symbol „Weg“ wird eingesetzt, um den Weg des Sohnes zu repräsentieren. Die Schüler greifen somit auf Erfahrungen aus der Unterrichtsreihe „Wir sind nie allein auf unserem Lebensweg“ zurück. Schon dort haben sie harte, spitze oder eckige Gegenstände und dunkle Farben genutzt, um einen schweren Lebensabschnitt darzustellen.
Die Schüler sollen die Geschichte vor allem aus Sicht des Sohnes betrachten. Mit ihm sollen sie sich identifizieren und in Ansätzen Parallelen zum eigenen Leben entdecken. Sie sollen über das Schuldigsein vor Gott und das Schuldigsein vor Menschen nachdenken und wissen, dass Menschen Gott immer um Vergebung bitten dürfen und dass Gott ihnen vergibt.
Ein Perspektivwechsel soll erst am Ende der Unterrichtsreihe stattfinden. Indem sich die Schüler mit dem Vater identifizieren wird ihnen die Wichtigkeit bewusst, auch ihren Mitmenschen Schuld zu verzeihen und zu vergeben.
In der heutigen Stunde lernen die Schüler den dritten Teilabschnitt des Gleichnisses vom verlorenen Sohn (Lk 15, 20) kennen. Der Schwerpunkt der heutigen Stunde liegt darin, das Gefühl nachzuempfinden, nach einer Schuld mit offenen Armen empfangen zu werden. Insbesondere nach der Thematisierung belastender bzw. unangenehmer Gefühle – hier der Schuld - ist es von großer Bedeutung, ein positives Gefühl erfahrbar zu machen. Die Schüler sollen mit ihren negativen Gefühlen nicht allein gelassen werden, sondern Hoffnung schöpfen im Vertrauen auf ihre Mitmenschen und im Vertrauen auf Gott. Die Schüler sollen spüren, dass auch sie mit ihrer Schuld bedingungslos angenommen werden. Diese Hoffnungsperspektive soll erfahrbar, spürbar gemacht werden und den Schülern als positive Erfahrung im Herzen bleiben. Das nachempfundene Gefühl sollen sie als befreiend und persönlich bedeutsam erfahren. Anknüpfend an diese Empfindungen sollen sie in den nächsten Stunden dafür sensibilisiert werden, wer sie im Leben stets mit offenen Armen empfängt.
Um den Schülern den Inhalt des biblischen Textes nahe zu bringen, habe ich mich für die Methode des „schauenden Erzählens“[7] entschieden. Geschichten hören die Schüler am liebsten im Kreis. Besondere Aufmerksamkeit wird bei ihnen geweckt, wenn sich parallel zum Erzählen noch ein Schaubild in der Mitte entwickelt. Während des Erzählens wird der Gang der Geschichte auf dem Boden durch einzelne, markante Symbole (hier u.a. Symbol Weg, Steine, Farben) veranschaulicht. So lässt sich die Geschichte visuell nachvollziehen. Die Bibelstelle (Lk 15, 20) werde ich zu diesem Zweck in eine kindgerechte Erzählung umschreiben ohne dabei inhaltlich von dem biblischen Text abzuweichen. So betont auch Halbfas, dass biblische Texte „entfaltet“ werden müssen, indem „wir ihren geschichtlichen und sozialen Hintergrund darstellen, einzelne Personen in ihrem Verhalten verständlich machen [...]“[8]. Die Geschichte soll laut Baldermann „ausführlicher und breiter“ erzählt werden, damit die Erzählung nicht schon vorüber ist, ehe sich die Schüler in die Erzählung „hineinhören“ können.[9]
Nachdem die Schüler ihre Vermutungen geäußert haben, wie sich der Sohn gefühlt haben könnte als er freudig von seinem Vater empfangen wurde, sollen sie selbst die Möglichkeit haben, dieses Gefühl nachzuempfinden. Nur so gelingt es, die Erfahrungen der Schüler mit einzubeziehen und in den weiteren Stunden auf die eigene Lebenswelt zu übertragen. Um von dem Inhalt des biblischen Textes einen Zugang zu den Gedanken und Gefühlen der Schüler zu erlangen und sie auf den Arbeitsauftrag einzustimmen, bietet sich eine meditative Hinführung in Form einer Stilleübung an. Um sie dem Stundeninhalt und Lernziel der Stunde anzupassen, werde ich diese Stilleübung selbst schreiben (siehe Anhang).
Unmittelbar nach der Meditation werden den Schülern verschiedene Zugänge angeboten, um das wahrgenommene Gefühl zu vertiefen und zum Ausdruck zu bringen (s. Anhang für detaillierte Auflistung):
1. Gefühl in Farben, Formen, Mustern ausdrücken;
2. Gefühl in Worten, Sätzen, Psalmworten ausdrücken;
3. Dem Gefühl Bilder , Fotos, Seelenvögel zuordnen;
4. Dem Gefühl Gegenstände zuordnen;
5. Das Gefühl in Pantomimen oder Standbildern ausdrücken;
6. Das Gefühl in Klängen, Geräuschen, Melodien ausdrücken.
[...]
[1] Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Band 1, 1965, S.1615
[2] RU praktisch, Klasse 3, S.19
[3] RGG3, Band 6, 1965, S.500
[4] RGG3, Band 6, 1965, S.500
[5] Lehrplan Evangelische Religionslehre 2003, S.134.
[6] vgl. Kuhl, Lena, 2006, S.13.
[7] vgl. von Braunmühl, Susanne 2002, S.7.
[8] Halbfas, S.205.
[9] Baldermann. In: Halbfas 1988, S.206.
- Quote paper
- Sabrina Gräf (Author), 2006, Unterrichtsstunde: „Du empfängst mich mit offenen Armen.“ (UPP Religion, Lehramt Primarstufe), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120454
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