[...] Bekannt ist, dass es „die Jugend“ nicht gibt, genauso wenig wie „die Erwachsenen“.
Gerade in den letzten drei Jahrzehnten hat sich die Lebenspha se Jugend sehr aufgefächert.
So kann ein 16jähriger bereits einen Beruf ausüben, während ein 30jähriger noch studiert
und finanziell von seinen Eltern abhängig ist. Warum sollten sich also Altersdifferenzen auf
das Wahlverhalten auswirken?
Generell geht man davon aus, dass das Verhalten der Jungwähler sich von dem der
Erwachsenen unterscheidet, weil ihr politisches Weltbild weniger gefestigt ist, und sie sich
noch in einem Prozess der Identitätsbildung befinden (vgl. Kuhn 2001: 9).
Wahlverhalten wird zudem ganz entscheidend von Sozialfaktoren beeinflusst und die
soziale Situation hängt auch vom Alter ab. Häufig deutet ein junges Lebensalter auf einen
allgemein geringeren ökonomischen Status. Junge Menschen sind in dieser Phase des
Lebensverlaufs vielfach noch in der Ausbildung und wirtschaftlich abhängig oder haben
ihren Beruf gerade erst begonnen. Ganz allgemein kennzeichnet sich diese Phase durch
weniger berufliche und familiäre Verantwortungsrollen. Das Alter kann aber auch ein
Hinweis auf andere Sozialfaktoren sein. Nicht jeder Generation in der Bundesrepublik
standen die gleichen Bildungs- und Berufschancen zur Verfügung. So drückt das Alter auch
die Zugehörigkeit zu einer Generation mit spezifischen sozialen Merkmalen und ähnlichen
historischen Erfahr ungen aus.
Wenn man das Alter als eigenständige Erklärungsvariable betrachtet, muss also
unterschieden werden zwischen dem Alter, das auf eine Phase im Lebensverlauf deutet und
der Variable Alter als Merkmal für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation.
Diese Unterscheidung ist das Ziel dieser Arbeit. Darüber hinaus wird zu fragen sein, ob
sich im Wahlverhalten der Jugend auch die geänderten sozialen Bedingungen verschiedener
Generationen niederschlagen. Um diese Einflüsse bestimmen zu können, nimmt auch der
soziale Wandel eine zentrale Stellung in der Arbeit ein. [...]
INHALTSVERZEICHNIS
II. Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Jugendwahlverhalten in der Bundesrepublik
2.1. Wahlbeteiligung
2.1.1. Altersstruktur der Wahlbeteiligung
2.1.2. Das Jungwählerdefizit
2.1.3. Der Jüngstwählersprung
2.1.4. Geschlechtsspezifische Wahlbeteiligung
2.1.5. Parlamentshierarchie
2.2. Parteipräferenzen
2.2.1. Wahlentscheidung der Jungwähler
2.2.2. Jungwähler als Trendverstärker
2.2.3. Geschlechtsspezifische Wahlentscheidung
2.2.4. Die Europawahlen
2.2.5. Die Bundestagswahl 2002
3. Theoretische Erklärungsmodelle des Wahlverhaltens
3.1. Die sozialstrukturellen Ansätze
3.2. Der sozialpsychologische Ansatz
3.3. Der rationale Ansatz
3.4. Die aktuelle Situation der Wahlforschung
3.5. Eine “Age-gap” des Wahlverhaltens ?
4. Die Merkmale jugendspezifischen Wahlverhaltens: Hintergründe und Erklärungsansätze
4.1. Wahlbeteiligung
4.1.1. Jungwählerdefizit
4.1.2. Jüngstwählersprung
4.2. Parteipräferenzen
4.2.1. 1972: Sozial-liberale Präferenz
4.2.2. 1983: Jungwählererfolg der Grünen
5. Sozialer Wandel und Wertewandel
5.1. Zur Theorie des Wertewandels
5.2. Sozialer Wandel: Änderung der Sozialfaktoren von Jugendlichen
5.3. Einstellungswandel: Politische Beteiligung und politische Themen
6. Jugendwahlverhalten: Lebenszyklus- oder Generationseffekte?
6.1. Theoretische Konzeptionen
6.2. Die politischen Generationen und ihr Wahlverhalten
6.3. Lebenszyklus und Wahlverhalten
6.4. Generations- und Lebenszykluseffekte im Jugendwahlverhalten
7. Resümee und Ausblick
III. Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1972 bis 1990 und 2002nach Altersgruppen in Prozent
Abbildung 2 Abweichung der Wahlbeteiligung der Jungwähler zurdurchschnittlichen Wahlbeteiligung 1953 bis 1990 und 2002 inProzent
Abbildung 3 Abb.3 Zu- und Abnahme der Wahlbeteiligung zur vorherigen Wahl beiJungwählern und in der Wählerschaft in Prozent.
Abbildung 4 Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1953 bis 1961 nachAltersgruppen in Prozent
Abbildung 5 Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1965 bis 1969 nachAltersgruppen in Prozent
Abbildung 6 Wahlentscheidung der Jungwähler gegenüber dem Durchschnitt allerWähler bei den Bundestagswahlen 1953 bis 1990 und 2002 in Prozent
Abbildung 7 Abweichung der Wahlentscheidung der Jungwähler vomDurchschnitt aller Wähler 1953 bis 1990 und 2002 in Prozent
Abbildung 8 Gewinne und Verluste der SPD zur jeweils vorherigenBundestagswahl bei Jungwählern und beim durchschnittlichenWähler in Prozent
Abbildung 9 Gewinne und Verluste der CDU/CSU zur jeweils vorherigenBundestagswahl bei Jungwählern und beim durchschnittlichenWähler in Prozent
1. Einleitung
Jungwähler sind eine begehrte Zielgruppe der Parteien. Zwar stellen die unter 30jährigen weniger als 20% der Wählerschaft, jedoch glauben die Parteien „wem die Jugend gehört, gehört die Zukunft“ (vgl. Rattinger 1992: 73). Die SPD sieht sich als Partei der Jugend und auch die Grünen. Es gibt aber auch richtige Jugendparteien, die auf kommunaler Ebene bereits kleine Erfolge erzielen: 1999 konnte die Jugendpartei „PETO “ in Monheim 6,1% und „KIDitiative“ in Bergisch-Gladbach 4,6% der Stimmen gewinnen.
Doch wie können Jungwähler gewonnen werden? Gibt es eine spezifische Interessenlage von Jugendlichen? Sind Jugendliche überhaupt eine einheitliche Wählergruppe? Weiterführend ist zu fragen, wie stabil das Wahlverhalten ist. Investiert eine Partei wirklich in die Zukunft, indem sie Jungwähler anspricht oder ändern sich die Parteipräferenzen im Lebensverlauf?
Bekannt ist, dass es „die Jugend“ nicht gibt, genauso wenig wie „die Erwachsenen“. Gerade in den letzten drei Jahrzehnten hat sich die Lebenspha se Jugend sehr aufgefächert. So kann ein 16jähriger bereits einen Beruf ausüben, während ein 30jähriger noch studiert und finanziell von seinen Eltern abhängig ist. Warum sollten sich also Altersdifferenzen auf das Wahlverhalten auswirken?
Generell geht man davon aus, dass das Verhalten der Jungwähler sich von dem der Erwachsenen unterscheidet, weil ihr politisches Weltbild weniger gefestigt ist, und sie sich noch in einem Prozess der Identitätsbildung befinden (vgl. Kuhn 2001: 9).
Wahlverhalten wird zudem ganz entscheidend von Sozialfaktoren beeinflusst und die soziale Situation hängt auch vom Alter ab. Häufig deutet ein junges Lebensalter auf einen allgemein geringeren ökonomischen Status. Junge Menschen sind in dieser Phase des Lebensverlaufs vielfach noch in der Ausbildung und wirtschaftlich abhängig oder haben ihren Beruf gerade erst begonnen. Ganz allgemein kennzeichnet sich diese Phase durch weniger berufliche und familiäre Verantwortungsrollen. Das Alter kann aber auch ein Hinweis auf andere Sozialfaktoren sein. Nicht jeder Generation in der Bundesrepublik standen die gleichen Bildungs- und Berufschancen zur Verfügung. So drückt das Alter auch die Zugehörigkeit zu einer Generation mit spezifischen sozialen Merkmalen und ähnlichen historischen Erfahr ungen aus.
Wenn man das Alter als eigenständige Erklärungsvariable betrachtet, muss also unterschieden werden zwischen dem Alter, das auf eine Phase im Lebensverlauf deutet und der Variable Alter als Merkmal für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation. Diese Unterscheidung ist das Ziel dieser Arbeit. Darüber hinaus wird zu fragen sein, ob sich im Wahlverhalten der Jugend auch die geänderten sozialen Bedingungen verschiedener Generationen niederschlagen. Um diese Einflüsse bestimmen zu können, nimmt auch der soziale Wandel eine zentrale Stellung in der Arbeit ein.
Jugendwahlverhalten gilt in der Wahlsoziologie nur als Randerscheinung. Größere Bedeutung wird etwa dem Frauenwahlverhalten beigemessen, da Frauen eine viel größere Wählergruppe stellen. Aufmerksamkeit erlangte die Jungwähler abrupt 1972, als sie - begünstigt durch die Senkung des Wahlalters - die SPD zum Wahlsieg führten. In den 80er Jahren brach dann eine regelrechte Welle des Forschungsinteresses los, als junge Menschen besonders auffällig durch Demonstrationen und Bürgerinitiativen ihre politischen Forderungen in die Öffentlichkeit brachten und mit den Grünen sogar das Parteiensystem nachhaltig veränderten. Dabei wurde vielfach eine „Kluft“ zwischen den links eingestellten jungen Menschen und den eher konservativen älteren Menschen festgestellt. Sogar von einer neuen Konfliktlinie im Wahlverhalten, die Alt und Jung in „Materialisten“ und „Postmaterialisten“ trennt, wurde gesprochen (vgl. Inglehart 1977).
Im Vordergrund dieser Arbeit sollen jedoch nicht die Einzelaspekte des Jugendwahlverhaltens stehen, sondern die Entwicklung im Laufe der Jahrzehnte in der Bundesrepublik. Es soll versucht werden, Merkmale jugendspezifischen Wahlverhaltens zu finden und - soweit möglich - zu systematisieren.
Die Hauptfrage der Arbeit ist, ob es ein Wahlverhalten gibt, das hauptsächlich durch das Alter einer Person bedingt ist, ob also ein jugendspezifisches Wahlverhalten existiert. Explizit haben sich diesem Versuch bisher nur Berger u.a. (1985: 481ff) in einem kurzen Aufsatz gestellt. Hofmann-Göttig (1984) ermittelte zwar das Wahlverhalten der Jungwähler anhand der Repräsentativen Wahlstatistik bis 1984, ohne jedoch die Daten tiefer zu interpretieren. Es fehlt also an grundlegender Forschung in diesem Bereich. Viele Studien behandeln Teilgruppen innerhalb der Jugend, die besonders hervortreten (siehe Heitmeyer 1993, 1995; Sinus 1983). Wichtig sind diese Teilgruppen zumeist als Initiator für Veränderungen, vor allem für den sozialen Wandel. In einer neueren Längsschnittstudie brandenburgischer Erstwähler richteten Kuhn u.a. (2001) ihren Blick eher auf die Sozialisationsinstanzen, die gerade für die erste Wahl eine große Rolle spielen. Es gibt jedoch wenige Untersuchungen, die das politische Verhalten von Jugendlichen in ihrer Gesamtheit und über einen längeren Zeitraum analysieren (siehe Kaase 1990: 154).
Da das Wahlverhalten untersucht werden soll und bei Bundestags- und Landtagswahlen das Wahlrecht erst ab 18 Jahren besteht, werden Jugendliche in dieser Arbeit als über 18jährige definiert. Das Ende der Jugendphase ist hingegen schwieriger zu bestimmen. Vielfach schiebt sich heute besonders bei Höhergebildeten im „Bildungsmoratorium“ zwischen Jugend und Erwachsenenphase eine Phase der sogenannten „Postadoleszenz“ (vgl. Zinnecker 1981: 100ff). Sie wird definiert als Zeitraum ökonomischer Abhängigkeit und Unselbständigkeit bei gleichzeitiger intellektueller und politischer Reife (vgl. Shell 1981). Zusätzlich wird Jugendlichkeit immer mehr zum Idealbild der Gesellschaft, so dass sich selbst über 25jährige noch als Jugendliche sehen. Dieser Ausdehnung der Jugendphase wird Rechnung getragen, indem die Altersgruppe der Jugendlichen mit bis zu 30 Jahren
sehr weit gefasst wird. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die Daten der Repräsentativen Wahlstatistik in dieser Altersgruppe erhoben werden und sich eine Vielzahl von Studien mit unterschiedlichen Alterskategorien in diese Altersgruppe der 18 bis 30jährigen unterordnen lassen.
Untersuchungsverlauf
Die Forschungsfrage soll aus politikwissenschaftlicher Sicht in einer exploratorischen Untersuchung beantwortet werden. Die Wahlentscheidung ist zwar ein individueller Akt, jedoch werden gesellschaftlich bedeutende Unterschiede sozialstruktureller Merkmale erst in der Kumulation der Wahlentscheidungen sichtbar. Es liegt daher in der Natur des Forschungsgegenstandes begründet, dass sich die Arbeit hauptsächlich auf quantitative Daten stützt. Zum einen sind dies die Ergebnisse der Repräsentativen Wahlstatistik, die sich durch hohe Genauigkeit auszeichnen, und zum anderen Umfragedaten, welche eine wesentlich höhere Fehlerwahrscheinlichkeit aufweisen und auch den methodischen Forschungsstand der Zeit reflektieren. So ist ein Problem, dass besonders für die 50er und 60er Jahre kaum methodisch zureichende Daten vorliegen.
Um einen genauen Überblick über das Jugendwahlverhalten zu vermitteln, steht am Anfang der Arbeit die deskriptive Darstellung des Jugendwahlverhaltens seit 1953 anhand der Repräsentativen Wahlstatistik. Hierbei wird nach Wahlbeteiligung und Wahlentscheidung von Jugendlichen differenziert. Durch die Aussetzung der Repräsentativen Wahlstatistik 1994 und 1998 stehen für das Wahlverhalten in Ostdeutschland nur sehr wenige Daten zur Verfügung. Um festzustellen, ob es ein jugendspezifisches Wahlverhalten gibt, muss das politische Verhalten aber über einen längeren Zeitraum betrachtet werden, deshalb erfolgt eine notwendig Eingrenzung der Analyse auf Westdeutschland.
Das Kapitel drei beschäftigt sich mit den theoretischen Erklärungsmodellen des Wahlverhaltens. Neben den drei wichtigsten Forschungsanätzen werden die neueren Erkenntnisse der Wahlforschung vorgestellt. Abschließend wird die Frage aufgeworfen, ob ein Erklärungsansatz des Jugendwahlverhaltens möglich ist. Dabei wird die Hypothese aufgestellt, dass ein junges Alter aufgrund der unsicheren ökonomischen Stellung positiv auf die Wahl „linker“ Parteien mit Sozialprogrammen wirkt.
Nach diesen theoretischen Vorüberlegungen nimmt das vierte Kapitel die Merkmale jugendlichen Wahlverhaltens auf. Die historisch-statistische Beschreibung des zweiten Kapitels zeigte zum einen die generell niedrigere Wahlbeteiligung der Jungwähler, zum anderen ein besonders auffälliges Jugendwahlverhalten bei den Bundestagswahlen 1972 und 1983. Anhand dieser herausragenden Merkmale lassen sich die Ursachen jugendspezifischen Wahlverhaltens besonders gut bestimmen. Dabei wird deutlich, dass veränderte Sozialfaktoren als ausschlaggebend für das abweichende Verhalten der Jungwähler angesehen werden.
Deshalb wird in Kapitel fünf der soziale Wandel und der damit im Zusammenhang stehende Wertewandel genauer betrachtet. Im Mittelpunkt stehen dabei die sozialen Faktoren, die sich gerade für Jugendliche seit den 70er Jahren stark verändert haben.
Die Frage, ob die Altersunterschiede im Wahlverhalten insgesamt auf Alters- oder Generationseffekte zurückgeführt werden können, steht im Zentrum des sechsten Kapitels. Aufgrund der starken Generationseffekte nimmt die Beschreibung der politischen Generationen eine zentrale Stellung in diesem Kapitel ein. Abschließend kann die Frage beantwortet werden, ob ein jugendspezifisches Wahlverhalten existiert. Zudem wird ein kurzer Ausblick auf das zu erwartende Jungwählerverhalten gegeben.
2. Jugendwahlverhalten in der Bundesrepublik
Das Wahlverhalten kann in der Bundesrepublik seit 1953 anhand der Repräsentativen Wahlstatistik genau ermittelt werden (siehe Statistisches Bundesamt 1990; 2002). Die Stimmabgabe der Bundesbürger wird dazu in zufä llig ausgewählten Wahlbezirken nach Alter und Geschlecht gesondert ausgezählt. Betroffen sind davon 3,4% bis 5% der Wahlberechtigten. Obwohl die Wahlstatistik keine Personen mit Wahlschein erfasst, ist sie das präziseste Analyseinstrument der Wahlforschung, da sie gegenüber Umfragedaten tatsächliches Stimmverhalten abbildet.1 Für die Bundestagswahlen der Jahre 1994 und 1998 wurde die Wahlstatistik aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken ausgesetzt2, deshalb werden für die Analyse auch die Ergebnisse der Europawahlen 1979 bis 1999 und für die Untersuchung der Wahlbeteiligung ausgewählte Landtagswahlen der Jahre 1998 bis 2002 herangezogen. Auf eine Einbeziehung von Umfragedaten soll an dieser Stelle aufgrund der geringeren Genauigkeit verzichtet werden.
Junge Erwachsene konnten bis zur sechsten Bundestagswahl 1969 erst ab 21 Jahren das aktive und ab 25 Jahren das passive Wahlrecht ausüben. Angeregt durch die Studentenbewegung in den späten 60er Jahren wurde für die Bundestagswahl 1972 das Wahlalter auf 18 Jahre und die Wählbarkeit auf 21 Jahre gesenkt. Seit 1975 können Jugendliche für den Bundestag, für sieben Landtage und seit 1990 auch für die Landtage der neuen Bundesländer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr gewählt werden.3 Die Anzahl der Altersgruppen der repräsentativen Wahlstatistik bei Bundestagswahlen wurde schrittweise erhöht: Für die Wahlbeteiligung stehen bis 1961 sieben Gruppen, 1965 bis 1969 neun und ab 1972 zehn Altersgruppen zur Verfügung. Die Stimmabgabe wurde bis 1961 in drei, 1965 bis 1969 in vier und ab 1972 in fünf Altersklassen gesondert ausgezählt. Diese häufige Neuaufteilung der Altersgruppen innerhalb der Wahlstatistik und zudem die Unterschiede der Alterskategorien zwischen Wahlbeteiligung und Stimmabgabe beeinträchtigen die Vergleichbarkeit leider erheblich (siehe Jesse 1972: 317). Die Bezeichnung der jungen Wähler richtet sich nach den Altersgruppen der Wahlstatistik: Die unter 30jährigen werden folgend als Jungwähler bezeichnet, die Gruppe der 18 bis 20jährigen als Jüngstwähler. Eine Ausnahme ist die Wahlentscheidung ab 1972, hier können nur die unter 25jährigen als Jungwähler gelten. Die Vergleichsgruppe stellt jeweils den durchschnittlichen Wähler dar.4
2.1. Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung in der Bundesrepublik geht bei Bundestagswahlen in der Tendenz seit ihrem Höhepunkt 1972 von 91,1% zurück und erreichte bei der ersten Bundestagswahl nach der Wiedervereinigung 1990 ihr bisher niedrigstes Ergebnis von 77,8%. Seit 1994 konnte wieder eine leichte Zunahme der Wahlteilnahme auf 74% und 1998 auf 82,2 % verzeichnet werden. Bei der Bundestagswahl 2002 lag die Wahlbeteiligung mit 79,1% etwas niedriger als 1998.
Altersstruktur der Wahlbeteiligung
Die Auswertung nach Altersgruppen zeigt jedoch erhebliche Abweichungen von der durchschnittlichen Wahlbeteiligung. Bei der Bundestagswahl 1990 gingen die jüngsten Wähler im Alter von 18 bis 20 Jahren nur zu 64,7% zur Wahl, das liegt 11,6% unter der durchschnittlichen Wahlbeteiligung5. In der Gruppe der 21 bis 24jährigen sinkt die Wahlbeteiligung nochmals um 2,9% auf ihren absoluten Tiefststand von 61,8 %, insgesamt wählten 14,5% weniger Wahlberechtigte als der Durchschnitt in der zweitjüngsten Altersgruppe. Die Wahlbeteiligung der nächsten Altersklassen steigt treppenförmig an: Die Teilnahme der 25 bis 29jährigen wächst leicht auf 66,3%, bleibt aber immer noch um 10 Prozentpunkte unterdurchschnittlich. Die Wähler zwischen 30 und unter 35 Jahren mit einer Wahlteilnahme von 71,3% sind noch 5 Prozentpunkte unterdurchschnittlich. Die Gruppe der 35 bis 39jährigen liegt nur noch 0,6% unter dem Mittelwert, während sich die Gruppe der 40 bis 44jährigen mit 79,5% schon 3,2 Prozentpunkte überdurchschnittlich an der Wahl beteiligte. Die Wahlbeteiligung nimmt mit dem Alter weiter zu: 45 bis 49jährige beteiligen sich um 5,8% häufiger an der Wahl, 50 bis 54jährige um 8,3 Prozentpunkte und die höchste Wahlbeteiligung wird 1990 mit 86,5% bei den 60 bis unter 70jährigen gemessen, immerhin 10,2% über dem Durchschnitt. Bei allen vorangehenden Bundestagswahlen lag die höchste Beteiligung bereits in der Gruppe der 50 bis 59jährigen. 1990 ist erst bei den über 70jährigen die Wahlbeteiligung wieder abnehmend, bleibt mit 1,6% unter dem Durchschnitt aber noch deutlich über den drei jüngsten Altersgruppen der 18 bis 34jährigen.
Abb. 1 Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1972 bis 1990 und 2002 nach Altersgruppen in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 1990: 11. Ohne Personen mit Wahlschein.
Die Teilnahmebereitschaft an Bundestagswahlen zeigt sich somit lebenszyklisch bedingt. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahlbeteiligung bis auf ihren Höchststand zwischen 50 und 69 Jahren, erst bei den über 70jährigen geht die Wahlbereitschaft wieder leicht zurück.
Jungwählerdefizit
Dieser altersspezifische Verlauf stellt sich, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau, bei allen Bundestagswahlen seit der Absenkung des Wahlalters 1972 auf 18 Jahre dar (siehe Abb. 1). Jungwähler unter 30 Jahren beteiligen sich seitdem um 7,5% unterdurchschnittlich. Trotz nicht adäquat vergleichbarer Alterskategorien zeigt Abbildung 2, dass die Wahlenthaltung der Jungwähler vor 1972 mit durchschnittlich 6,2% auf ähnlich niedrigem Niveau lag. Dieses „Jungwählerdefizit“ (Hofmann-Göttig 1984: 34) ist somit ein seit 1953 auftretendes Phänomen, zugleich unterliegt es jedoch auch Schwankungen: So stieg die Wahlbeteiligung der 21 bis 24jährigen 1972 abrupt um 3,1 Prozentpunkte an, die der 25 bis 29jährigen um 2,1 Punkte. Damit wies die Wahl 1972 das geringste Jungwählerdefizit aller Bundestagswahlen auf, sie war jedoch auch aufgrund der insgesamt höchsten Wahlbeteiligung in der Geschichte der Bundesrepublik eine Ausnahmewahl. Bei den folgenden Bundestagswahlen nimmt die Wahlteilnahme der Jungwähler wieder monoton ab. Erst 1983 ist ein erneuter Anstieg der Jungwählerbeteiligung zu sehen, sie erreicht jedoch nicht das Niveau von 1972. Das Jungwählerdefizit verringert sich bei den jüngsten Wählern um 3,1%, bei den 21 bis 24jährigen um 1,8% und bei den 25 bis 29jährigen nur um 0,8%. Seitdem ist die Wahlteilnahme der jungen Wählerschaft wieder stark rückläufig und erreichte 1990 ihren Tiefstand.
Abb. 2 Abweichung der Wahlbeteiligung der Jungwähler zur durchschnittlichen Wahlbeteiligung 1953 bis 1990 und 2002 in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 1990: 11;2002. Ohne Personen mit
Wahlschein.
Die Differenz der unter 30jährigen zur durchschnittlichen Wahlbeteiligung stieg 1990 auf 12% und ist damit verglichen mit 1972 fast doppelt so hoch: Wählten 18 bis 20jährige 1972 nur 6,2% unterdurchschnittlich, so waren es 1990 11,6 Prozentpunkte. Bei 21 bis 24jährigen stieg das Defizit zur allgemeinen Wahlbeteiligung von 6,4% 1972 sogar auf 14,5 Prozentpunkte 1990.
Maßgeblich verantwortlich für dieses erhöhte Jungwählerdefizit 1990 war die Wahlbeteiligung im neu hinzugekommenen Wahlgebiet Ost. Der altersspezifische Verlauf der Wahlteilnahme war bei der ersten gesamtdeutschen Wahl in Ost und West sehr ähnlich, jedoch war die Wahlbeteiligung der jungen Ostdeutschen auf deutlich niedrigerem Niveau. Lagen die Jungwähler unter 30 Jahren im Westen 9,2% bei den Männern und 11,6% bei den Frauen unter dem Durchschnitt, so waren es im Osten 17% bzw. 17,4%. Das Defizit der jungen ostdeutschen Wähler zu ihren westdeutschen Altersgenossen nimmt mit zunehmenden Alter ab: Es betrug bei den jüngsten Wählern 8% und sinkt bei den 21 bis 24jährigen auf 7% und bei den 25 bis 29jährigen auf 5,2%. Die 30 bis 34jährigen liegen noch 3,2% unter ihren gleichaltrigen Westdeutschen, während ab 35 Jahren das Defizit unter einem Prozentpunkt liegt. Bei den jüngeren Wählern unter 30 Jahren war somit 1990 ein starkes West-Ost-Gefälle (vgl. Rattinger 1992: 270) und zudem ein maßgeblicher Abfall der Frauen- gegenüber der Männerwahlbeteiligung sichtbar.
Diese Zunahme des Jungwählerdefizits 1990 wurde vielfach schon als neue Wahlmüdigkeit der jungen Menschen gewertet und mit der steigenden Politikverdrossenheit in Zusammenhang gebracht (vgl. Feist 1991: 51, 40f). Abbildung 3 zeigt, dass im Vergleich zur allgemeinen Wahlbeteiligung zu erkennen ist, dass Jugendliche auch „Trendverstärker“ (vgl. Roth 1992: 64) sind. Sowohl eine Steigerung, als auch ein Rückgang der Wahlbeteiligung ist bei Jungwählern jeweils deutlich ausgeprägter. So waren die Wahlen 1972 mit einem Jungwählerdefizit der unter 30jährigen von nur 5% auch diejenigen mit der insgesamt höchsten Wahlbeteiligung von 91,1%. Die ersten gesamtdeutschen Wahlen 1990 hatten dagegen mit einem Jungwählerdefizit von 12% zugleich die bisher niedrigste Wahlbeteiligung mit 77,8% in der Geschichte der Bundesrepublik.
Abb.3 Zu- und Abnahme der Wahlbeteiligung zur vorherigen Wahl bei Jungwählern und in der Wählerschaft in Prozent.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 1990: 11;2002. Ohne Personen mit Wahlschein.
Auch die jüngste Bundestagswahl 2002 bestätigte die Vermutung, die Jugendlichen seien Trendverstärker der Teilnahmebereitschaft. Gegenüber 1990 steigt die Wahlbeteiligung insgesamt um 1,3%, die Wahlbeteiligung der Jungwähler nimmt sogar um 2,5% zu. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Partizipationsbereitschaft der jungen Menschen stärker als bei Erwachsenen abhängig ist vom jeweiligen Mobilisierungsgrad der Wahl und der Umstrittenheit des Wahlausgangs.
Jüngstwählersprung
In der Altersstruktur der Wahlbeteiligung ist der konstante Einbruch der Wahlbeteiligung in der zweitjüngsten Altersgruppe auffällig. Die 21 bis 24jährigen Wähler beteiligen sich 9% unterdurchschnittlich, während die jüngsten Wähler im Alter von 18 bis unter 21 Jahren seit 1972 dazu mit 7% unter der durchschnittlichen Beteiligung leicht häufiger an Wahlen teilnehmen (siehe Abb. 1). Diese charakteristisch höhere Wahlbeteiligung der jüngsten gegenüber der zweitjüngsten Altersgruppe zeigt sich seit Senkung des Wahlalters 1972 und wird folgend als „Jüngstwählersprung“6 bezeichnet. Fiel der Unterschied zwischen jüngsten und zweitjüngsten Wählern in den 70er Jahren mit 0,2% und 1,2% noch gering aus, steigert er sich auf 3 Prozentpunkte 1987 und 2,9% 1990. Die allgemeine Abnahme der Wahlbeteiligung von Jungwählern zeigte sich also verstärkt bei den 21 bis 24jährigen.
Die Vermutung liegt nahe, die erhöhte Wahlbeteiligung der jüngsten Wähler steht im Zusammenhang mit dem Reiz des erstmaligen Wählens oder auch mit der Enttäuschung der „Zweitwähler“ über ihre erste Wahlteilnahme (vgl. Hofmann-Göttig 1984: 57). Demzufolge müsste bei den Bundestagswahlen von 1953 bis 1969 - vor der Senkung des Wahlalters auf 18 Jahre - ebenfalls ein Jüngstwählersprung bei den damaligen Erstwählern, den 21 bis 24jährigen zu erkennen sein. Die Wahlbeteiligung der 25 bis 29jährigen liegt jedoch konstant zwischen 4 und 5 Prozentpunkten über der Wahlteilnahme der in diesen Jahren jüngsten Wählergruppe (siehe Abb. 4 und 5). Damit entspricht sie der Teilnahmebereitschaft der 25 bis 29jährigen nach 1969, die durchschnittlich 3,8% über den 21 bis 24jährigen liegt. Die erhöhte Wahlbeteiligung der 18 bis 20jährigen ist somit nicht von ihrer ersten Wahlteilnahme abhängig.
Abb. 4 und Abb. 5 Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1953 bis 1961 und 1965 bis 1969 nach Altersgruppen in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Jesse 1975: 314. Ohne Personen mit Wahlschein .
Geschlechtsspezifische Wahlbeteiligung
Die beobachteten Altersunterschiede in der Wahlbeteiligung könnten auch auf einen geschlechtsspezifischen Effekt zurückzuführen sein. Insgesamt liegt die Wahlbeteiligung der Frauen bis 1969 deutlich hinter der Teilnahmebereitschaft der Männer zurück und gleicht sich in den 70er Jahren schrittweise an die der Männer an. Betrug die Differenz 1957 noch 3,3%, sinkt sie bis 1969 auf 2,6% und erreicht 1972 1,2% Prozentpunkte. 1976 ist die Wahlbeteiligung der Frauen und Männer fast ausgeglichen, Frauen beteiligten sich nur noch 0,8% weniger an Bundestagswahlen als Männer. Danach nimmt das Defizit der Frauen jedoch wieder zu: 1980 betrug es 2,1% und 1990 1,3 Prozentpunkte.
Der altersspezifische Verlauf der Teilnahmebereitschaft ist ebenfalls in der Frauenwahlbeteiligung zu erkennen, die einzige Ausnahme ist die Bundestagswahl 1972. Bei dieser Ausnahmewahl zeigt sich bei den jungen Frauen kein Jüngstwählersprung.
Frauen unter 21 beteiligten sich in diesem Jahr zu 84,3%, die Wahlbeteiligung der zweitjüngsten Frauen war 1972 erwartungsgemäß jedoch nicht noch unterdurchschnittlicher, sondern liegt mit 85% leicht darüber. Auch die Wahlbeteiligung der 25 bis 29jährigen Frauen liegt mit 88,8% nur 2% unter dem Durchschnitt. Der Vergleich mit der Wahlbeteiligung der Männer in Tabelle 1 zeigt, dass in diesem Jahr sowohl die 21 bis 24jährigen, als auch die 25 bis 29jährigen und 30 bis 35jährigen Frauen deutlich über der Männerwahlbeteiligung liegen. Dies scheint mit der erhöhten Wahlfreudigkeit der jungen Frauen in den 60er Jahren zusammenzuhängen: 1961 beteiligten sich die 21 bis 24jährigen und 1965 bis 1969 die 21 bis 29jährigen Frauen häufiger als Männer an den Bundestagswahlen.
Tab. 1Differenz der Frauen- zur Männerwahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1953 bis 1990 in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 2002: 60
1972 dehnte sich die höhere Wahlbeteiligung auf Frauen im Alter zwischen 21 und 34 Jahren aus. 1976 und 1980 lag sie in der Gruppe der 25 bis 39jährigen und ab 1983 in der Gruppe der 30 bis 44jährigen. Diese Erkenntnisse deuten auf eine Generation besonders wahlfreudiger Frauen hin (vgl. Metje 1991: 367f). Auch die Ergebnisse der Europawahlen zeigen die Verschiebung der wahleifrigen Jahrgänge bei Frauen. 1979 war die Gruppe der 25 bis 44jährigen Frauen besonders wahlfreudig, 1984 die 30 bis 50jährigen und 1989 die 35 bis 50jährigen Frauen. 1999 verschiebt sich der erhöhte Wahleifer bis in die Altersgruppe der 50 bis 60jährigen.
Die nachfolgende Frauengeneration scheint wieder etwas wahlmüder zu sein. Die 18 bis 20jährigen Frauen beteiligten sich seit 1972 wieder deutlich weniger als gleichaltrige Männer, dies setzt sich 1976 bis in die zweite Altersgruppe und ab 1983 bis in die dritte Altersgruppe etwas schwächer fort. Zudem scheint die Wahlmüdigkeit der jüngsten Frauen zuzunehmen: Lag sie 1976 noch bei 1,7%, steigerte sie sich bis 1980 auf 4,3%. Die leichte Abnahme des Defizits 1990 auf 3,2% wurde dagegen nur durch die erhöhte Wahlfreudigkeit ostdeutscher Frauen hervorgerufen.
Deutliche und langfristige Geschlechtsunterschiede finden sich nur in der Wahlbeteiligung der über 60jährigen und noch stärker bei den über 70jährigen Frauen, seit 1972 jedoch auch bei den 18 bis 20jährigen Frauen. Diese Einflüsse des weiblichen Geschlechts auf die Wahlbeteiligung sind jedoch im Gegensatz zu den Alterseffekten marginal: So betrug der Effekt des Geschlechts bei den 18 bis 20jährigen nur -1,22%, der Alterseffekt hingegen -9%. Bei den 21 bis 29jährigen verringerte sich der Effekt des weiblichen Geschlechts auf unter -0,5%, während der Alterseffekt zwischen -5% und -7% lag. Zudem ist der altersspezifische Verlauf der Wahlbeteiligung, mit Ausnahme der Bundestagswahl 1972, ebenfalls bei den Frauen zu erkennen. Der Altersverlauf der Teilnahmebereitschaft ist demnach nicht auf Geschlechtseffekte zurückzuführen.
Parlamentshierarchie
Die altersabhängige Wahlteilnahme zeigt sich ebenfalls bei den fünf vergangenen Wahlen zum europäischen Parlament. Das Jungwählerdefizit war 1989 mit 7,8% am geringsten und bei der ersten Europawahl 1979 mit 11,2% am stärksten ausgeprägt. Das Defizit der Jungwähler unter 30 Jahren steigt damit von durchschnittlich 6,9% bei Bundestagswahlen auf 9,6% bei Europawahlen, obwo hl auch die Gesamtwahlbeteiligung bei Europawahlen mit 55% wesentlich niedriger ausfällt.
Insgesamt nahmen die jüngsten Wähler 1979 bis 1999 6,1 Prozentpunkte unterdurchschnittlich teil, während die zweitjüngsten Wähler im Mittel 11,6 Prozentpunkte unter der allgemeinen Wahlbeteiligung lagen. Bei den Europawahlen blieben jedoch auch die 25 bis 29jährigen und mit Ausnahme der Wahl 1979 sogar die 30 bis 35jährigen unter der Wahlbeteiligung der 18 bis 20jährigen. Der Jüngstwählersprung lag zwischen 4,9% und 6,5% und zeigte sich damit konstanter, aber auch deutlich höher als bei Bundestagswahlen. Nicht nur bei den Europawahlen, auch bei Landtagswahlen ist der altersabhängige Verlauf der Wahlbeteiligung und der Jüngstwählersprung zu erkennen. Dabei unterliegt die Teilnahmebereitschaft in den Ländern sehr hohen Schwankungen: In Sachsen-Anhalt beteiligten sich 1998 56% der 21 bis 24jährigen, in Brandenburg 1999 nur 30%.
Die Einschätzung der Wertigkeit der Wahl scheint sowohl bei den Jungwählern, als auch bei Erwachsenen die Höhe der Wahlbeteiligung zu beeinflussen. Diese „Parlamentshierarchie“ (Hofmann-Göttig 1984: 72ff) ergibt für den durchschnittlichen Wähler ein klares Gefälle: Die Bundestagswahlen bis 1990 haben mit durchschnittlich 86% die höchste Wahlbeteiligung, gefolgt von Landtagswahlen mit 76%. Die niedrigste Wahlbeteiligung weisen die Wahlen zum Europäischen Parlament mit durchschnittlich 55% Beteiligung auf. Jungwähler partizipieren mit 79,4% ebenfalls am häufigsten an Bundestagswahlen, aber mit 45,6% deutlich weniger als der durchschnittliche Wähler an den Europawahlen. Insgesamt zeigt sich, dass die Höhe der Wahlbeteiligung aller Wähler von der Wahlart abhängig ist, jedoch schätzen Jugendliche die Europawahlen und die Landtagswahlen als wesentlich unwic htiger ein als Erwachsene.
Im Überblick lässt sich feststellen, dass die Wahlbeteiligung in der Bundesrepublik seit einem halben Jahrhundert nahezu unabhängig von der Wahlart eine stabile Altersstruktur aufweist. Junge Wähler unter 30 Jahren partizipierten seitdem durchschnittlich 7% weniger an Bundestagswahlen als der durchschnittliche Wähler. Dabei differiert die Wahlbeteiligung auch unter den Jungwählern erheblich: die Jüngsten beteiligen sich annähernd 7% unterdurchschnittlich, danach fällt das Jungwählerdefizit bei den 21 bis 24jährigen auf 9% und steigt bei den 25 bis 29jährigen wieder auf durchschnittlich 5%. Eine leichte Verringerung des Jungwählerdefizits war in den Jahren 1972 und 1983 zu beobachten. Die Verschärfung des Defizits im Wahljahr 1990 war dagegen überwiegend auf die Wahlmüdigkeit der jungen Ostdeutschen zurückzuführen und hat sich 2002 nicht weiter fortgesetzt. Der Wahltypus hatte nur geringen Einfluss auf den Verlauf, jedoch großen Effekt auf das Niveau der Wahlbeteiligung: Das Jungwählerdefizit vergrößert sich bei Europa- und Landtagswahlen drastisch.
Die Differenzen zwischen jungen Frauen und jungen Männern sind vergleichsweise gering. Das Frauendefizit betrug bei den 21 bis 29jährigen seit 1953 durchschnittlich unter einem Prozentpunkt und in der jüngsten Altersgruppe seit 1972 2,4%. Einen etwas stärkeren Einfluss übt das weibliche Geschlecht noch bei den älteren Wählern aus, über 70jährige Frauen beteiligten sich 9,36% weniger als Männer. Insgesamt hat das Merkmal Alter jedoch einen wesentlich größeren Einfluss auf die Wahlbeteiligung als das Merkmal Geschlecht.
Im Jahr 1990 waren 10,8 Millionen Wahlberechtigte unter 30 Jahre, dagegen doppelt so viele über 50 Jahre alt. Die niedrige Wahlbeteiligung der jungen Wähler führt dazu, dass nur 10% aller an Wahlen partizipierenden Bürger unter 25 Jahre alt und weniger als 20% unter 30 Jahre alt sind. Hingegen stellen Wähler über 50 Jahre mit 46% fast die Hälfte der Wählerschaft.7 Da die Lebenserwartung künftig weiter ansteigt und die Geburtenrate sinkt, nimmt der Anteil der Jugendlichen in der Gesamtbevölkerung weiter ab. Zusammen mit der ungebrochenen Wahlmüdigkeit der Jungwähler führt dies zu einem schwindenden Einfluss junger Menschen auf die Politik.
2.2. Parteipräferenzen
Die Parteipräferenzen der Jungwähler8 in der Bundesrepublik lassen sich in drei Phasen unterteilen (siehe Hofmann-Göttig 1984: 117f): In der ersten Phase bis 1965 sind die Unterschiede in der Stimmabgabe zwischen der jungen und der gesamten Wählerschaft nur gering. Mit der Bundestagswahl 1969 beginnt eine Verschiebung der Parteipräferenzen der Jungwähler nach links, die Sozialdemokraten können deutliche Gewinne verzeichnen, während die Unionsparteien drastisch Stimmen unter den jungen Wählern verlieren. In der dritten Phase ab 1980 büßt die SPD ihr überdurchschnittliches Ergebnis bei Jungwählern wieder ein, während die Grünen nun überproportional junge Menschen ansprechen. Die CDU/CSU weist weiterhin ein Jungwählerdefizit auf (Abb. 6).
Abb. 6 Wahlentscheidung der Jungwähler gegenüber dem Durchschnitt aller Wähler bei den Bundestagswahlen 1953 bis 1990 und 2002 in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 2002: 61, Jungwähler sind bis 1969 21 bis 29jährige, ab 1972 18 bis 24jährige Wähler. Angaben ohne Briefwahl, 1953 ohne Saarland, Rheinland-Pfalz und Bayern, 1957 ohne Saarland. Ab 1990: alte und neue Bundesländer.
In der ersten Phase von 1953 bis 1965 lag die Abweichung der 21 bis 29jährigen zur gesamten Wählerschaft im Mittel bei nur 1,2 Prozentpunkten, wobei die Sozialdemokraten 1957 den höchsten Gewinn von 2,8% bei den Jungwählern verzeichnen konnten. Die CDU/CSU wurde in dieser Zeit jedoch sowohl unter der gesamten Wählerschaft als auch unter den Jungwählern mit großem Abstand stärkste Partei. Anteil daran hatten vor allem die Frauen aller Alterskategorien, die überproportional häufig für die Unionsparteien votierten. Die Stimmabgabe der Jugendlichen für die FDP war bis 1965 leicht unterdurchschnittlich. Die sonstigen Parteien spielen nur bis 1969 eine nennenswerte Rolle (vgl. Hofmann-Göttig 1984: 107), sie wiesen jedoch stets ein Jungwählerdefizit auf. Insgesamt stellen sich in dieser Phase die Alterseffekte als sehr gering dar. Ab 1969 jedoch öffnet sich die Schere zwischen Jungwählern und der gesamten Wählerschaft zuerst zwischen den Volksparteien und ab 1983 zwischen den Grünen und den Unionsparteien (Abb. 7).
Abb. 7 Abweichung der Wahlentscheidung der Jungwähler vom Durchschnitt aller Wähler 1953 bis 1990 und 2002 in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 2002: 61, Jungwähler sind bis 1969 21 bis 29jährige, ab 1972 18 bis 24jährige Wähler. Angaben ohne Briefwahl, 1953 ohne Saarland, Rheinland-Pfalz und Bayern, 1957 ohne Saarland. 1990: alte und neue Bundesländer.
In der zweiten Phase verändern sich die Parteipräferenzen der Jungwähler erheblich, die Sozialdemokraten können überproportional viele Jungwählerstimmen gewinnen. Die Wahl 1969 gewinnt wieder die CDU/CSU mit 46%, erreicht bei den Jungwählern jedoch nur 43,1%. Die SPD schnitt insgesamt mit 42,8% schlechter als die Unionsparteien ab, wurde aber zur stärksten Kraft bei den 21 bis 29jährigen Wählern. Dieser Trend setzte sich von 1972 bis 1980 verstärkt fort, zum Teil bedingt durch die Herabsetzung des Wahlalters und die Verkleinerung der Alterskategorien der Wahlstatistik. Am größten sind die Unterschiede zwischen der Wählerschaft und den Jungwählern im Jahre 1972: Die SPD erreichte ihr höchstes Ergebnis mit insgesamt 46,3%, bei den 18 bis 24jährigen konnte sie sogar die absolute Mehrheit mit 54,7% erreichen. Für die Unionsparteien entschieden sich in diesem Jahr 44,6% der Wähler, jedoch nur 35,3% der Jungwähler. Die SPD gewinnt damit unt er den Jungwähler 8,4%, während die CDU/CSU 9,3% bei Jugendlichen gegenüber dem durchschnittlichen Wahlergebnis verliert. Aufgrund des knappen Endergebnisses der beiden Parteien 1972 kann man davon ausgehen, dass die CDU/CSU ohne Senkung des Wahlalters auf 18 Jahre stärkste Fraktion geblieben wäre (vgl. Jesse 1975: 319).
1976 und 1980 gewinnen die Unionsparteien insgesamt mit 48% und 44% vor der SPD mit 43,3% und 43,5%. Bei den unter 25jährigen ist die SPD jedoch in beiden Jahren wieder deutlich stärkste Kraft mit 49,8% und 48,9% und kann bei jungen Leuten damit 5,4% bis 6,5% Stimmen über Durchschnitt gewinnen. Die Union dagegen verliert abermals mit 7,8% und 9,6% dramatisch unter den Jungwählern.
Ein erneut unterschiedliches Wahlverhalten der Jungwähler lässt sich ab 1980 feststellen: Die Grünen verzeichnen erste Erfolge, sie erreichen zwar insgesamt lediglich 1,4%, unter den jungen Wählern aber schon 4,8%. 1983 können sie sich auch insgesamt durchsetzen und gewinnen 5,3% der Stimmen, bei den Jungwählern sogar 13,9%. Dagegen büßt die SPD ihren Jungwählervorsprung vollständig ein, die Sozialdemokraten werden bis 1990 nur noch durchschnittlich von jungen Leuten gewählt. Der Verlust an jungen Stimmen der SPD scheint den Grünen zugute gekommen zu sein (vgl. Jesse 1987: 236). Die Unionsparteien weisen ab 1983 erneut ein konstantes Jungwählerdefizit zwischen 7,3% und 7,8% auf. Damit liegen die beiden großen Parteien in den Jahren 1983 bis 1990 in der Präferenz der jungen Wähler auf gleicher Höhe. Die Grünen können sich 1987 erneut auf 8% steigern und erreichen unter den Jugendlichen 15,5%. 1990 jedoch brechen auch die Grünen stark ein, sie erringen insgesamt nur 3,6%, bei den jungen Wählern 8,1%.
Insgesamt zeigt sich seit 1969 ein maßgeblich vom Endergebnis differierendes, jugendspezifisches Stimmverhalten. Die Abweichung der Wahlentscheidung der Jungwähler zur Wählerschaft erreichte 1972 ihr Maximum, als 8,4% mehr Jungwähler für die SPD und 9,6% weniger Jugendliche als der Durchschnitt für die CDU/CSU votierten. Die SPD ist bis zur Bundestagswahl 1980 klarer Favorit unter den Jungwählern, konnte jedoch nur 1972 die Wahl für sich entscheiden.
Ab 1983 ändert sich das Wahlverhalten der jungen Menschen, die SPD wird nur noch durchschnittlich von Jugendlichen gewählt. In den Präferenzen der Jungwähler liegen die beiden Volksparteien jetzt annähernd gleich auf. Die Schere zwischen der Wahlentscheidung der Jungwähler und der gesamten Wählerschaft wurde jedoch nicht geringer, da nun die Grünen von jungen Leuten überdurchschnittlich häufig gewählt werden. Sie werden sogar 1983 und 1987 so deutlich drittstärkste Partei, dass eine rotgrüne Koalition unter Jugendlichen eine Mehrheit gehabt hätte.
Die Bundestagswahl 1990 lässt sich nur schwer mit den vorangegangenen Wahlen vergleichen, da die Wahlentscheidung im Wahlgebiet Ost erheblich von der im Westen abweicht. Im Westen sind die Veränderungen gegenüber 1987 nur gering, die Sozialdemokraten gewinnen 0,7% bei Jungwählern hinzu, die Unionsparteien weisen abermals ein Jungwählerdefizit von 7,9% auf. Im Wahlgebiet Ost brach die SPD jedoch stark ein, sie wurde insgesamt von 11,7% weniger Ostdeutschen gewählt und sogar von 13,8% weniger Jungwählern. Damit wäre die SPD im Wahlgebiet West bei den 18 bis 24jährigen knapp stärkste Partei mit 37,3% geworden, bei den jungen Ostdeutschen lag sie jedoch über 10 Prozentpunkte hinter der CDU/CSU zurück.
Die sonstigen Parteien erleben 1990 einen Aufschwung wie zuletzt 1961. Verantwortlich waren die Stimmen für die PDS im Osten Deutschlands und für die Republikaner. Die Republikaner waren im Osten und Westen mit 2,2% gleichermaßen stark, zeigten jedoch ein Altersgefälle: die jüngste Altersgruppe wählte die rechte Partei mit 3,6%, die 25 bis 34jährigen mit 2,4% und die mittlere Altersgruppe der 35 bis 44jähigen mit 2%. Wähler ab 45 Jahren wählten die rechte Partei mit 1,8 bis 1,9%. Männer präferierten dabei in allen Altersgruppen die Republikaner doppelt so häufig wie Frauen. Im Gegensatz dazu zeigt sich die PDS im Osten 1990 in allen Altersgruppen und bei Männern und Frauen etwa gleich stark. Sie kann bei den jüngsten Wählern insgesamt 2,5%9 erreichen, bei den 25 bis 34jährigen 2,8% und unter den 35 bis 44jährigen 2,9%. Bei Wählern über 45 Jahren verringert sich das Ergebnis leicht auf 2,6% und 2,5%. Frauen wählten mit durchschnittlich 0,3% weniger die PDS als Männer. Während bei den Republikanern als „Männerpartei“ die Geschlechtseffekte die Alterseffekte überwiegen, stellt sich die PDS als eine Partei fast ohne alters- oder geschlechtsspezifische Besonderheiten dar.
Jungwähler als Trendverstärker
Hofmann-Göttig geht davon aus, dass Jugendliche wie schon bei der Wahlbeteiligung, auch bei der Wahlentscheidung „Trendsetter“ sein könnten (1984: 132). Zur Überprüfung dieser These werden die Gewinne und Verluste von CDU/CSU und SPD zur jeweils vorherigen Wahl sowohl beim durchschnittlichen Wähler, als auch bei den Jungwählern untersucht.
Bis 1965 zeigt sich, dass junge Wähler zwar dem allgemeinen Trend folgen, aber bei der SPD 1961 und 1965 und bei der CDU 1957 sogar leicht unterdurchschnittlich (Abb. 7 und 8). Mit den Bundestagswahlen 1969 und 1972 ändert sich dieses Bild: Der allgemein positive Trend für die Sozialdemokraten verstärkt sich bei den Jungwählern maßgeblich. 1969 gewann die SPD durchschnittlich 3% und 1972 3,5% Stimmen hinzu, bei den Jungwählern waren es mit 6,7% und 8,3% mehr als doppelt so viele. Die Unionsparteien verlieren dagegen in beiden Jahren jeweils durchschnittlich 1,3%, bei den Jungwählern 1969 6,3% und 1972 sogar 7,8%. Die jungen Wähler haben 1969 und 1972 den positiven Trend für die Sozialdemokraten um 3,7% und 4,8% und den Negativtrend für die Unionsparteien um 5% und 6,5% verstärkt.
1980 gewinnt die SPD gegenüber der vorherigen Wahl leicht um 0,2%; bei Jungwählern verliert sie zwar Stimmen, jedoch nur 0,9 Punkte. Die CDU/CSU bricht 1980 insgesamt um 4% ein, bei den jungen Wählern um 5,7%. Auch 1983 verstärkt sich der Trend bei den Jungwählern noch einmal deutlich, die Unionsparteien gewinnen zur vorherigen Wahl wieder 4,5%, unter den Jungen sogar 6,8%. Die SPD verliert fast 10% unter Jugendlichen, insgesamt 4,6%. 1987 und 1990 weist die Wahlentscheidung der jungen Wähler nur noch leicht überdurchschnittlich in die Richtung des Trends, für die SPD 1990 sogar leicht unterdurchschnittlich.
Abb. 8 und Abb. 9 Gewinne und Verluste der SPD und der CDU/CSU zur jeweils vorherigen Bundestagswahl bei Jungwählern und beim durchschnittlichen Wähler in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 2002: 61, Jungwähler sind bis 1969 die 21 bis 29jährigen, ab 1972 18 bis 24jährige. Angaben ohne Briefwahl, 1953 ohne Saarland, Rheinland-Pfalz und Bayern, 1957 ohne Saarland. 1990: alte und neue Bundesländer.
In der Wahl der FDP folgen die Jungwähler insgesamt dem allgemeinen Trend, nur 1983 verstärken sie den Negativtrend merklich um 2,2%. Die jungen Grünenwähler zeigten sich jedoch wieder deutlich als Trendverstärker. Die Grünen konnten 1980 um 1,4% und 1983 um 3,9% zulegen, bei jungen Wählern wesentlich stärker um 4,8% und 9,1%. 1987 gewinnen sie nur noch 2,7% bei allen Wählern und 1,6% bei Jungen hinzu. 1990 verlieren sie wieder an Stimmen, 4,4% insgesamt und sogar 7,4% bei den jungen Wählern.
Insbesondere bei den Bundestagswahlen 1969 bis 1983 und bei der Stimmabgabe für die Grünen zeigten sich die Jungwähler klar als Trendverstärker. Jugendliche scheinen sensibler auf Trendänderungen zu reagieren und stärker und schneller zur Wechselwahl bereit zu sein (vgl. Hofmann-Göttig 1984: 135; Pickel 2000: 240f). Dies könnte auch ein Indiz dafür sein, dass Parteibindungen sich erst mit zunehmenden Alter und wiederholter Stimmabgabe für eine Partei festigen.
Geschlechtsspezifische Wahlentscheidung
Die Differenzierungen der Wahlentscheidung nach Geschlecht zeigen insbesondere zwischen 1953 und 1969 deutliche Unterschiede: Frauen aller Altersgruppen wählten deutlich konservativer als Männer: Die Unionsparteien wurden in diesen Jahren von durchschnittlich 9,2% mehr Frauen als Männern bevorzugt, die Sozialdemokraten dagegen von 6,2% weniger Frauen als von Männern gewählt. 1969 konnte die SPD ihr Frauendefizit leicht auf 5,2% verringern. Anteil daran hatten vor allem die jungen Frauen, die 21 bis 29jährigen wiesen nur noch ein Defizit von 3,3% auf. Der Frauenüberschuss der CDU/CSU blieb jedoch weiterhin mit 7,6% auf hohem Niveau. Ursächlich waren zum Teil auch die Stimmengewinne der NPD bei den Männern, es entschieden sich 6,6% der Männer, aber nur 2,8% der Frauen für die NPD. Die rechte Partei scheiterte damit 1969 mit insgesamt 4,3% nur knapp an der Fünfprozent-Hürde.
Ab 1972 zeigt sich eine Angleichung der Geschlechter in der Wahlentscheidung. Die SPD konnte ihr Frauendefizit auf -1,2% weiter abbauen und auch bei den Unionsparteien verringerte sich der Frauenüberhang auf 3 Prozentpunkte. 1972 waren es insbesondere junge Frauen zwischen 18 und 34 Jahren, die kaum anders als ihre männlichen Altersgenossen wählten. Die Unterschiede waren bei den 45 bis 60jährigen Frauen am größten: Das Frauendefizit unter den Wählern der SPD betrug in dieser Alterklasse 1,4% und der Frauenüberschuss bei den CDU/CSU-Wählern noch 3,5%. 1976 und 1980 glich sich das Wahlverhalten der Geschlechter weiter an. 1980 konnte die SPD sogar insgesamt einen Wählerinnenüberhang von 0,8% verzeichnen, während nun die Union ein Frauendefizit von 0,4% aufwies. Bei den jüngsten Frauen konnte die SPD von 1972 bis 1990 sogar ausnahmslos mehr Stimmen erzielen als bei den gleichaltrigen Männern. Die FDP weist mit Ausnahme der Wahl 1980 ein geringfügiges Frauendefizit auf. Insgesamt sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede der Jahre 1972 bis 1980 jedoch gering.
Mit dem Auftreten der Grünen vergrößerten sich auch die Differenzen im Wahlverhalten von Männern und Frauen wieder leicht, stiegen jedoch nicht auf das Niveau vor 1972. Obwohl die Grünen Frauenthemen besetzten, wurden sie bis 1983 überraschend von Frauen aller Altersgruppen etwas weniger als von Männer gewählt. Erst 1987 war der Unterschied der Geschlechter ausgeglichen, insbesondere 18 bis 35jährige Frauen votierten in diesen Jahren leicht häufiger für die Grünen. Größere Abstände gab es bei den Unionsparteien, sie wurden seit 1983 wieder bevorzugt von Frauen gewählt. Dies lässt sich durch die größere Zurückhaltung der Frauen gegenüber den Grünen 1983 und besonders den sonstigen Parteien erklären. Der Frauenüberschuss der Union betrug 1983 1,5% und stieg 1987 auf 2,6% und 1990 auf 2,8%. Die Gewinne für die Union sind maßgeblich auch auf das Wahlverhalten der ältesten Wählerinnen zurückzuführen. Der weibliche Vorteil für die Union betrug bei den über 60jährigen 1983 2,6%, 1987 3,4 Prozentpunkte und steigerte sich 1990 auf 5,3%. Bei den Sozialdemokraten zeigt sich hingegen kein einheitliches Bild: 1980 und 1983 wiesen sie insgesamt leichte Gewinne und 1987 sowie 1990 leichte Verluste bei Wählerinnen auf. Insbesondere die jungen Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren entschieden sich um durchschnittlich 3% häufiger für die SPD, die mittleren und älteren Jahrgänge allerdings etwas weniger als Männer. Die Liberalen lassen 1983 bis 1990 abermals ein geringes Wählerinnendefizit erkennen.
Durch das konservative Wahlverhalten der Frauen zeigt sich nur bis 1969 ein Geschlechtseffekt auf die Wahlentscheidung. Durch die deutliche Angleichung der Wahlentscheidung der Frauen überwiegen jedoch ab 1972 die Alterseffekte. Sowohl die von Jugendlichen bevorzugte Wahl der SPD in den 70er Jahren, als auch die Wahl der Grünen ist damit nicht auf Geschlechtseffekte zurückzuführen.
Die Europawahlen
Europawahlen stellen aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung einen nicht ganz vollwertigen Ersatz für die Bundestagswahlen dar. Sie werden als weniger wichtig empfunden und deshalb auch mitunter zur Protestwahl genutzt. So schafften die Republikaner 1989 den Einzug in das Parlament mit 7,1%. Bei Jungwählern ist bei Europawahlen eine stärkere Tendenz zu kleineren Parteien, insbesondere zu den Grünen, zu erkennen.
Die Jungwählerverluste der SPD nach 1972 setzen sich bei den Europawahlen fort: 1979 wird sie noch 2,8% über dem Durchschnitt von Jugendlichen gewählt, 1984 und 1989 jedoch nur noch leicht unterdurchschnittlich. 1994 und 1999 verliert sie mit -5,6% und - 6,7% sogar deutlich bei jungen Wählern und wird 1999 mit 24,6% nur zweitstärkste Partei bei den unter 25jährigen.
Die CDU weist auch bei den Europawahlen bis einschließlich 1994 ein hohes Jungwählerdefizit zwischen 7,7% und 9,7% auf. 1999 kann sie jedoch überraschend viele Stimmen unter den Jugendlichen gewinnen und wird mit 13,1% Vorsprung vor der SPD und mit 37,7% stärkste Fraktion bei den unter 25jährigen, das Jungwählerdefizit beträgt nur noch 1,4%. Die Grünen werden bei Europawahlen noch häufiger als bei Bundestagswahlen von jungen Leuten gewählt. Schon 1979 stimmten 10,4% der 18 bis 24jährigen für die Grünen, zwischen 1984 und 1994 waren es 16,2% bis 19,8%. Damit lagen sie in diesen Jahren in der Gunst der Jugendlichen nur noch 5% bis 9% hinter der CDU. 1999 entschieden sich nur noch 9,1% der Jungwähler für die Grünen - ihr Jungwählervorsprung von 9% verringerte sich dramatisch auf 2,7%. Die Stimmabgabe der Jugendlichen für die FDP ist bei den Europawahlen zwischen 0,3% und 1,2% überdurchschnittlich, nur 1984 musste sie ein Jungwählerdefizit von 1,1% verbuchen, dies lag an dem hohe n Ergebnis von fast 20% der Jungwähler für die Grünen.
1989 schafften die Republikaner mit 7,1% den Einzug ins Europaparlament, 1994 verfehlten sie ihn mit 4% nur knapp. Die Alterszusammensetzung der republikanischen Wählerschaft war 1989 noch vergleichs weise homogen: Die 18 bis 24jährigen wiesen die höchste Stimmabgabe mit 7,9% auf, während die mittleren Alterskategorien der 25 bis 45jährigen mit 7% für die Republikaner stimmten. In der Gruppe der 45 bis 60jährigen stieg die Stimmabgabe wieder leicht auf 7,4% und am geringsten war die Präferenz für die Republikaner unter den über 60jährigen, trotzdem lag sie noch bei 6,8%. 1994 zeigt sich eine erhöhtere Stimmabgabe für die rechte Partei bei den Jungwählern. Bei einem Gesamtergebnis von 4% konnte sie bei den 18 bis 24jährigen 5,3% gewinnen und bei den
25 bis 35jährigen 4,2%. In den nächsten Altersgruppen nimmt die Wahl für die Republikaner ab, liegt aber immer noch bei 3,8 bis 3,9%. Der Jungwählerüberschuss der Republikaner stieg damit von 0,8 Prozentpunkten 1989 auf 1,3% 1994. Größer als die Altersunterschiede sind jedoch auch bei den Europawahlen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Das Frauendefizit der Republikaner lag 1989 bei 4,7% und 1994 bei 3,4% annähernd konstant in allen Altersgruppen. Diese Befunde korrespondieren mit den Ergebnissen der Republikaner bei der Bundestagswahl 1990: Rechte Parteien werden nicht nur von Jugendlichen gewählt, der Jungwählerüberschuss betrug 1990 1,4%. Stärker sind jedoch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, rechte Parteien sind vor allem „Männerparteien“ (Falter 1994).
Die Bundestagswahl 2002
Die jüngste Bundestagswahl ist aufgrund der Unterbrechung der Wahlstatistik 1994 und 1998 schwer einzuordnen. Das Wahlverhalten der Jungwähler unterscheidet sich deutlich von der Bundestagswahl 1990. Insgesamt lagen die SPD und die Unionsparteien etwa gleich auf. Das Jungwählerdefizit der CDU/CSU, das seit 1972 zwischen 7,3 und 9,6 Punkten lag, verringerte sich jedoch abrupt auf 4,2%. Damit setzt sich ein positiver Trend für die CDU/CSU fort, der schon bei den Europawahlen 1999 zu erkennen war. Die SPD musste erstmals bei Bundestagswahlen auch ein Jungwählerdefizit von 0,7 Punkten verzeichnen. Die Jungwähler wenden sich verstärkt der FDP zu. Die Liberalen wiesen eine n deutlichen Jungwählervorsprung von 2,3% auf, während sich der Jungwählerüberhang der Grünen weiter auf 1,4% abbaute.
Dabei zeigte sich auch 12 Jahre nach der Vereinigung ein deutlich unterschiedliches Wahlverhalten in den neuen Bundesländern. Die Unionsparteien erreichten im Westen 42,4% im Osten dagegen nur 28,3%, während die SPD im Wahlgebiet Ost stärkste Partei mit 40,8% wurde. Gegenüber der Wahl 1990 zeigt sich das ostdeutsche Wahlverhalten der Volksparteien also fast spiegelbildlich. Dies könnte ein Indiz für noch nicht gefestigte Parteibindungen und stärkere Bereitschaft zur Wechselwahl in den östlichen Wahlgebieten sein.
Auch die ostdeutschen Jungwähler votierten annähernd 15% weniger für die Unionsparteien als ihre westdeutschen Altersgenossen, die Stimmen kamen der PDS und den Liberalen zugute. Beide Parteien konnten mit 11% ein überraschend gutes Ergebnis bei den ostdeutschen Jungwählern erreichen.
[...]
1 Die größte Abweichung 1953 bis 1990 lag bei 2,7 Prozentpunkten, im Durchschnitt beträgt sie 0,4 Punkte (vgl. Hofmann-Göttig 1991: 119). Zur genauen Fehleranalyse der repräsentativen Wahlstatistik siehe Statistisches Bundesamt 1990 Seite 102ff.
2 Für die Bundestagswahl 2002 wurde die repräsentative Wahlstatistik wieder eingeführt.
3 Zunehmend wird über ein sogenanntes Familienwahlrecht oder über eine Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre bei Bundestagswahlen diskutiert (siehe Knödler 1996; Hoffmann-Lange/de Rijke 1996). So besteht das aktive Wahlrecht ab 16 Jahren bei Kommunalwahlen seit seiner Einführung in Niedersachsen 1996 bereits in fünf weiteren Bundesländern.
4 Das Alter des durchschnittlichen Wählers lag 1953 bis 1990 zwischen 46,1 und 47,4 Jahren (vgl. Rattinger 1994a: 107).
5 Die durchschnittliche Wahlbeteiligung ist aufgrund der besseren Vergleichbarkeit folgend das Ergebnis der Sonderauszählungen ohne Wähler mit Wahlschein.
6 Hofmann-Göttig bezeichnet die erhöhte Wahlteilnahme der 18 bis 20jährigen gegenüber den 21 bis 25jährigen als „Erstwählersprung“, da er aus praktischen Gründen die Gruppe der 18 bis 20jährigen „Erstwähler“ und die 21 bis 24jährigen „Zweitwähler“ nennt (siehe auch Hofmann-Göttig 1984: 34f; 63). Folgend wird der „Erstwählersprung“ als Jüngstwählersprung bezeichnet, da er nicht von der ersten Wahlteilnahme abhängig ist.
7 Ohne Wähler mit Wahlschein (vgl. Statistisches Bundesamt 1990: 8; 11).
8 Jungwähler sind aufgrund der Änderungen der Alterskategorien der repräsentativen Wahlstatistik folgend bis 1969 die Altersgruppe der 21 bis 29jährigen, ab 1972 die der 18 bis 24jährigen.
9 Bezogen auf das gesamte Bundesgebiet.
- Citar trabajo
- Cornelia Hendrich (Autor), 2003, Gibt es ein jugendspezifisches Wahlverhalten?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12018
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