Jeder kennt Vertrauen als alltägliches Phänomen. Seine Existenz und den essentiellen Aspekt des sozialen Lebens, welches es darstellt, gilt als sicher. Doch ist die Frage nach dem Ursprung und der Funktionsweise von Vertrauen in der Soziologie bis heute nicht abschließend geklärt. Zwar haben viele Soziologen sich dem Thema im Laufe der letzten Jahrzehnte und verstärkt seit den 1990er Jahren immer wieder angenommen, doch bleiben wichtige Fragen weiterhin im Dunkeln, werden nur angeschnitten, oder werden einseitig behandelt.
Diese Arbeit wird letztlich die offenen Fragen nicht klären können. Vielmehr widmet sie sich der Gegenüberstellung zweier recht unterschiedlicher Perspektiven auf das Thema Vertrauen. Zum einen handelt es sich um Luhmanns funktionale Analyse über Vertrauen und zum anderen um die Rational-Choice Theorie. Diese beiden Perspektiven stellen in der aktuellen soziologischen Auseinandersetzung mit dem Thema auch die dominierenden Entwürfe dar. Der Rational-Choice-Theorie dient James S. Coleman als Vorlage, da er den Vertrauensbegriff recht umfangreich behandelt hat. Des Weiteren soll Rolf Ziegler Abwandlung des Rational-Choice-Ansatzes behandelt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Geschichte des soziologischen Vertrauensbegriffs
2.1. Die >Klassiker<
2.2. Konjunktur eines vernachlässigten Begriffs
2.3. Die unterschiedlichen Perspektiven auf den soziologischen Begriff des Vertrauens heute
3. Vertrauen – eine Definition
4. Niklas Luhmanns Konzept von Vertrauen als sozialem Mechanismus
4.1. Kritische Anmerkungen
5. Rational-Choice: Wann ist Vertrauen rational?
5.1. James S. Coleman: Vertrauen als Wette
5.1.1. Kritische Anmerkungen
5.1. Rolf Ziegler: Das dynamische Vertrauensmodell
6. Abschließende Diskussion
6.1. Rational-Choice und Luhmann
6.2. Vertrauen als soziales Kapital
6.3. Fazit
7. Literatur
1. Einleitung
„Vertrauen ist der Kitt, der im sozialen Leben alles zusammenhält.“[1]
Jeder kennt Vertrauen als alltägliches Phänomen. Seine Existenz und den essentiellen Aspekt des sozialen Lebens, welches es darstellt, gilt als sicher. Doch ist die Frage nach dem Ursprung und der Funktionsweise von Vertrauen in der Soziologie bis heute nicht abschließend geklärt. Zwar haben viele Soziologen sich dem Thema im Laufe der letzten Jahrzehnte und verstärkt seit den 1990er Jahren immer wieder angenommen, doch bleiben wichtige Fragen weiterhin im Dunkeln, werden nur angeschnitten, oder werden einseitig behandelt.
Diese Arbeit wird letztlich die offenen Fragen nicht klären können. Vielmehr widmet sie sich der Gegenüberstellung zweier recht unterschiedlicher Perspektiven auf das Thema Vertrauen. Zum einen handelt es sich um Luhmanns funktionale Analyse über Vertrauen und zum anderen um die Rational-Choice Theorie. Diese beiden Perspektiven stellen in der aktuellen soziologischen Auseinandersetzung mit dem Thema auch die dominierenden Entwürfe dar. Der Rational-Choice-Theorie dient James S. Coleman als Vorlage, da er den Vertrauensbegriff recht umfangreich behandelt hat. Des Weiteren soll Rolf Ziegler Abwandlung des Rational-Choice-Ansatzes behandelt werden.
Doch zunächst soll eine Verortung des Vertrauensbegriffs im soziologischen Theoriekontext geschehen, worauf eine Definition von Vertrauen in Abgrenzung zu verwandten Begriffen folgt.
2. Geschichte des soziologischen Vertrauensbegriffs
2.1 Die Klassiker
Zumeist wird Luhmann als ältester Referenzpunkt zum Thema >Vertrauen< gewählt und die >Klassiker< werden vernachlässigt. Aber schon Hobbes thematisierte immerhin Misstrauen als grundlegendes Dilemma menschlicher Gemeinschaft. Mit der grundlegenden Erfahrung von Misstrauen geht die Betonung der Notwendigkeit von Vertrauen bereits einher.[2]
Bei Georg Simmel finden wir erstmals eine explizite Behandlung von Vertrauen. Er unterscheidet bereits sehr genau verschiedene Formen von Vertrauen und findet eine bis heute viel zitierte Definition von Vertrauen, welches er zwischen Wissen und Nichtwissen ansiedelt: „Vertrauen, als die Hypothese künftigen Verhaltens, die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu begründen, ist als Hypothese ein mittlerer Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen um den Menschen. Der völlig Wissende braucht nicht zu vertrauen, der völlig Nicht wissende kann vernünftigerweise nicht einmal vertrauen.“[3]
Simmel behandelt insbesondere das generalisierte Vertrauen in Kommunikationsmedien, so anhand des Geldes, und betont bereits die Neutralität von diesem Vertrauenstypus. Einige der grundlegenden Überlegungen Simmels finden sich später bei Luhmann wieder.
Peter M. Blau ist wiederum der erste, der die tauschtheoretische Perspektive auf Vertrauen anwendet.[4] Aus seiner Abhandlung wird aber eine Ableitung zur Rational-Choice-Theorie nicht ermöglicht, da er sehr genau zwischen Markt- und sozialen Mechanismen zu unterscheiden weiß.[5]
Letztlich gibt es zwei unterschiedliche Perspektiven der >Klassiker< zum Thema Vertrauen. Das ist zum einen die grundlagentheoretische Bestimmung des Vertrauensphänomens wie etwa bei Georg Simmel oder Alfred Schütz und zum anderen die entwicklungstheoretische Unterscheidung von persönlichem Vertrauen in der Vormoderne, auch als Vertrautheit bezeichnet, und dem Systemvertrauen in der Moderne.
Allerdings sind sich alle Autoren darin einig, dass Vertrauen als funktionale Notwendigkeit jeder Form von Sozialität angesehen werden muss.
2.2. Konjunktur eines vernachlässigten Begriffs
„Was das Vertrauen als soziologische Kategorie zunächst einmal interessant macht, ist, daß es sich nicht um ein Merkmal handelt, das an irgendwelche Einzelakteure gebunden ist, sondern um ein Merkmal von sozialen Beziehungen, so daß also stets mindestens zwei Akteure involviert sind.“[6]
Das Thema Vertrauen erlebt seit den 1990er Jahren in der Soziologie, aber auch in vielen anderen Disziplinen, wie etwa der Psychologie, der Philosophie, der Ökonomie und der Pädagogik, Konjunktur. Verschiedene Teilbereiche der Soziologie (so genannte Bindestrich-Soziologien) wählen dabei jeweils eine andere Perspektive und haben dementsprechend unterschiedliche Zugriffe auf das Thema. So etwa die Techniksoziologie, die Industrie- und Arbeitssoziologie, die Managementforschung und die Organisationssoziologie.
Angesichts dessen, dass dem Vertrauen in der soziologischen Literatur heute ein ähnlich grundlegender Stellenwert eingeräumt wird, wie etwa Normen oder Rollen, ist es doch erstaunlich, dass diesem so elementaren Thema erst relativ spät in der soziologischen Theorieentwicklung Beachtung geschenkt wurde; zudem doch die Soziologie in ihrer Entstehung als Disziplin von der Grunderfahrung einer Verunsicherung, sprich eines Vertrauensverlustes, durch den Modernisierungsprozess und einer aus der gesellschaftlichen Transformation erwachsenden Notwendigkeit eines neuen Vertrauens (so zum Beispiel das Vertrauen in Technik) geprägt ist.
Insbesondere in Zeiten der Veränderung wird Vertrauen hinterfragt. „Die Bedeutung von Vertrauen wird oftmals erst bemerkt, wenn Störungen in der alltäglichen organisationalen Routine und damit verbundene Vertrauenserosionen auftreten.“[7] Gleichzeitig erlangt es in Umbruchszeiten eine ungleich wichtigere Stellung im sozialen Gefüge. Erst wenn Erwartungen Gefahr laufen enttäuscht zu werden und vertraute Dinge sich verändern, wird Vertrauen notwendige Vorraussetzung der Konsolidierung und kann gar erst entstehen. „Speziell in Zeiten der Transformation der Gesellschaft [...] braucht das System Zeit, und diese Ausdehnung des Zeithorizonts kann durch einen Vertrauensvorschuß erreicht werden.“[8]
Insofern ist immerhin der Zeitpunkt des Aufschwungs eines vernachlässigten Themas in Zeiten gravierender gesellschaftlicher Transformationsprozesse durch die Auflösung des Ostblocks nachvollziehbar.
„Aufgrund der sozial vermittelten Deutung sozialer Wirklichkeit ist von einer konstitutiven >latenten Fragilität< menschlicher Sichtweisen auf die soziale Welt zu sprechen, insofern in Interaktionen die jeweils eigene Weltsicht stets notwendig >auf dem Spiel steht<. Resultate dieser Balanceakte zwischen fraglos Hingenommenem und fragwürdig Gewordenem können Missverständnisse, Vertrauensverluste, Misstrauen oder die Auflösung vertrauter Handlungskontexte sein.“[9]
2.3. Die Unterschiedlichen Perspektiven auf den soziologischen Begriff des
Vertrauens Heute
Luhmann schreibt 1968: „Ohne jegliches Vertrauen [... ] könnte“ der Mensch „morgens sein Bett nicht verlassen.“[10] Oder wie Martin Endreß es über drei Jahrzehnte später knapper formuliert: „Vertrauen braucht man.“[11]
Die dominanten soziologischen Perspektiven auf Vertrauen sind zum Einen die funktional-systemische Luhmanns und die der Rational-Choice Theorie zum Anderen. Beide werden hier ausführlicher behandelt. Neben diesen beiden Perspektiven gibt es seit einiger Zeit aber auch Herangehensweisen, welche kulturtheoretische Überlegungen in den Mittelpunkt ihrer Analysen stellen. Im Rahmen dieser Arbeit werden diese Arbeiten nicht behandelt, doch sollen exemplarische zwei Autoren genannt werden: Piotr Sztompka beschäftigt sich explizit mit Vertrauenskultur[12] und Barbara Misztal unterscheidet nicht nur verschiedene Funktionen von Vertrauen, sondern betrachtet Vertrauen auch als kulturelle Praktik.[13]
3. Vertrauen – eine Definition.
„Vertrauen bewegt sich [... ] von Vertrautheit über Zuversicht hin zu Zutrauen und Vertrauen oder in der englischen Literatur von familiarity über confidence und reliance hin zu trust.“[14]
Niklas Luhmann beginnt seine Abhandlung über Vertrauen mit folgenden Worten: „Vertrauen im weitesten Sinne eines Zutrauens zu eigenen Erwartungen ist ein elementarer Tatbestand des sozialen Lebens.“[15]
Bereits hier wird klar, dass eine nähere Bestimmung des Begriffs Vertrauen in Abgrenzung zu verwandten Begriffen vor einer eingehenden soziologischen Betrachtung notwendig ist. Im Folgenden soll Vertrauen von Vertrautheit, Zuversicht, bzw. Zutrauen, Hoffnung und Gewissheit deutlich abgegrenzt werden. Zudem soll Misstrauen als Negativfolie kurz diskutiert werden.
Anhand einer trennscharfen Definition sollte es möglich sein, die zwei hier relevanten soziologischen Theorien über Vertrauen, Luhmanns systemischen Ansatz und den Rational-Choice Ansatz, hinsichtlich ihrer Erklärungskraft eingehend zu analysieren.
Vertrautheit
Vertrautheit bedeutet selbstverständliches Hinnehmen der Umwelt und basiert zu weiten Teilen auf Gewohnheit. Das Kind in den Armen seiner Mutter nimmt ihre Pflege und Fürsorge als gegeben an, eine weniger differenzierte Gesellschaft erfährt die Gemeinschaft als selbstverständlich und wiederholt und festigt die gemeinschaftliche Vertrautheit in die Umwelt durch Riten und Bräuche, die nicht hinterfragt werden. Vertrautheit ist in diesem Sinne auf die Vergangenheit hin orientiert, nach dem Motto: >das war schon immer so und wird immer so sein<. Aktuelle Probleme werden durch Rückschau gelöst. Es dominiert also die Vergangenheit über Gegenwart und Zukunft. „Dadurch, dass es in der Vergangenheit keine >>anderen Möglichkeiten<< mehr gibt, lösen vormoderne Gesellschaften das Problem der Sozialdimension durch die Zeitdimension, da die Vergangenheit unerwartetes Verhalten einfach ausschließt.“[16] Die so definierte Vertrautheit steht im Gegensatz zu allem Fremden. Vertraut ist die Gemeinschaft, fremd ist das Außerhalb der Gemeinschaft. In vormodernen Gesellschaften kann also keine Unterscheidung gemacht werden zwischen Vertrauen und Vertrautheit. Erst wenn sich der Interaktionskreis der Gemeinschaft ausweitet und ein Bewusstsein für die Folgen des eigenen Handelns entsteht, wird „die Bindung von Vertrauen als Vertrautheit [...] problematisch.“[17]
[...]
[1] Miller 1997, S. 237
[2] Vgl.: Endreß 2002, S. 11; Luhmann spricht von der Mobilität der Themen Misstrauen, Vertrautheit und Vertrauen.
[3] Simmel [1908] 1992, S. 393
[4] So in: Blau 1967
[5] Vgl.: Endreß 2002, S. 23
[6] Preisendörfer 1995, S. 264
[7] Schweer 2003, S. 81
[8] Preisendörfer 1995, S. 270
[9] Endreß 2002, S. 8
[10] Luhmann [1968] 2000, S. 1
[11] Endreß 2002, S. 5
[12] So in: Sztompka 1995
[13] Vgl.: Endreß 2002, S. 50f
[14] Germanis 2002, S. 69
[15] Luhmann [1968] 2000, S. 1
[16] Germanis 2002, S. 71
[17] Germanis 2002, S. 72
- Arbeit zitieren
- Edda Laux (Autor:in), 2006, Wie ist Vertrauen möglich? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120046
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