Von den Anfängen des Kinos bis heute war und ist Geschichte eine große Inspirationsquelle der filmischen Erzählung. Dabei spielt der historische Film heute eine nicht zu unterschätzende Rolle bezüglich des Bildes, welches wir uns von der Vergangenheit machen, weshalb er auch in der Geschichtsschreibung zunehmend wahr- beziehungsweise ernst genommen wird. Der historische Film ermöglicht also auch eine Interpretation der Geschichtsauffassung, welche zur Zeit seiner Entstehung vorherrschte und bietet somit einen Zugang zu kulturhistorischen Untersuchungen.
In dieser Arbeit soll also eine kulturhistorische Betrachtung des Gründungsmythos der italienischen Nation in seinem Wandel, anhand von italienischen Spielfilmen über das Risorgimento, gewagt werden. Zunächst wird ein Überblick über den Stand der Forschung und der hier verwendeten Literatur gegeben. Es folgt eine Diskussion über (kultur-) historische Relevanz des Mediums Film, sowie eine Genrebestimmung des historischen Films. Sodann wird, nach einem Überblick über Risorgimento-Filme im Allgemeinen, exemplarisch auf einzelne Filme eingegangen. So für den Beginn des Kinos LA PRESA DI ROMA (Filiteo Alberini, 1905) und für den Faschismus unter Mussolini „1860“ (Alessandro Blasetti, 1934) . Diese beiden Filme repräsentieren eine bestimmte Erzähltradition, mit welcher in den 1960er gebrochen wurde. Zu diesen neueren, kritischen Filmen zählen Luchino Viscontis SENSO (1953/54) und IL GATTOPARDO (1962)
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zum Stand der Forschung
3. Filmtheoretische und kulturhistorische Voraussetzungen
3.1. Film und Geschichtsschreibung
3.2. Das Genre des historischen Films
4. Das Kino des Risorgimento – ein filmhistorischer Überblick
5. Die Tradition des Monumetalismus
5.1. Ein Mythos wird geboren: La Presa di Roma
5.2. Faschismus als Vollendung des Risorgimento: „1860“
6. Der Bruch mit der Erzähltradition
6.1. Luchino Visconti
6.1.1. Senso (1954)
6.1.2. Il gattopardo (1962)
7. Fazit
8. Literatur.
1. EINLEITUNG
„However we think of it, we must admit that film gives us a new sort of history, what we might call history as vision.“ [1]
Von den Anfängen des Kinos bis heute war und ist Geschichte eine große Inspirationsquelle der filmischen Erzählung. Dabei spielt der historische Film heute eine nicht zu unterschätzende Rolle bezüglich des Bildes, welches wir uns von der Vergangenheit machen, weshalb er auch in der Geschichtsschreibung zunehmend wahr- beziehungsweise ernst genommen wird. Der historische Film ermöglicht also auch eine Interpretation der Geschichtsauffassung, welche zur Zeit seiner Entstehung vorherrschte und bietet somit einen Zugang zu kulturhistorischen Untersuchungen.
In dieser Arbeit soll also eine kulturhistorische Betrachtung des Gründungsmythos der italienischen Nation in seinem Wandel, anhand von italienischen Spielfilmen über das Risorgimento, gewagt werden. Zunächst wird ein Überblick über den Stand der Forschung und der hier verwendeten Literatur gegeben. Es folgt eine Diskussion über (kultur-) historische Relevanz des Mediums Film, sowie eine Genrebestimmung des historischen Films. Sodann wird, nach einem Überblick über Risorgimento-Filme im Allgemeinen, exemplarisch auf einzelne Filme eingegangen. So für den Beginn des Kinos LA PRESA DI ROMA (Filiteo Alberini, 1905) und für den Faschismus unter Mussolini „1860“ (Alessandro Blasetti, 1934) . Diese beiden Filme repräsentieren eine bestimmte Erzähltradition, mit welcher in den 1960er gebrochen wurde. Zu diesen neueren, kritischen Filmen zählen Luchino Viscontis SENSO (1953/54) und IL GATTOPARDO (1962)
Die zahlreichen Filme, die zum Mythos des Volkshelden Garibaldi exstieren, werden nicht gesondert behandelt.
2. ZUM STAND DER FORSCHUNG
In Deutschland ist es um Filmliteratur im Allgemeinen und um Literatur zum italienischen Film im Speziellen schlecht bestellt. Sämtliche hier relevante Literatur ist entweder nur in Italien oder aber im englischen Sprachraum erschienen.
Die grundsätzlichen, methodischen Überlegungen zur Rolle des Films in der Geschichtsschreibung hat Robert A. Rosenstone in: „History on Film/ Film on History”[2] von 2006 hervorragend dargelegt. Des weiteren bietet Bernd Roecks Buch von 2004 „Das historische Auge – Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit“[3] einen interdisziplinären Zugang zur Frage inwiefern Kunstwerke der Interpretation zugänglich sind und inwiefern sie Rückschlüsse auf die Vergangenheit zulassen.
Zum Risorgimento-Film ist bislang sehr wenig erschienen. Die umfassendste Arbeit dazu stammt von 1961. Es handelt sich dabei um „Meccoli, Domenico: Il Risorgimento italiano nel teatro e nel cinema“.[4] Darin wird sowohl ein Überblick über die verschiedenen bis dahin erschienen Filme gegeben, als auch auf deren kulturhistorische Relevanz eingegangen. Auf den Mythos des Risorgimento im Film geht David Forgacs am Beispiel von Blassettis „1860“ mit seinem kurzen Aufsatz „Nostra Patria: Revisions of the Risorgimento in the Cinema“ ein.[5] Marcia Landy behandelt in „Cinematic Uses of the Past“[6] von 1996 die Filme „1860“ und IL GATTOPARDO um die Funktion von opernhafter Inszenierung (‚operativ’) im historischen Film zu bestimmen. Obwohl ihr Aufsatz einer anderen Argumentation folgt, war er für diese Arbeit äußerst hilfreich. Giovanni Spagnoletti geht in „Perspektiven auf das Risorgimento und die Resistenza“[7] wiederum auf die Entstehung des Nationalmythos im italienischen Film anhand von LA PRESA DI ROMA ein, was, angesichts dessen, dass dieser Film heute nicht mehr zu bekommen ist, eine wichtige Quellen zur Einschätzung des Filmes für diese Arbeit wurde. Alle anderen Filmbeschreibungen und -interpretationen entspringen hauptsächlich meiner Feder. Dabei hatte ich zur Ansicht die Nachkriegsversion von „1860“ zur verfügung und SENSO habe ich in der italienischen Version, welche im Gegensatz zur englischen, nicht durch die 20th Century-Fox gekürzt wurde.
3. Filmtheoretische und Kulturhistorische Vorraussetzungen
3.1. film und geschichtsschreibung
„Kulturgeschichte hat ausschließlich mit Zeichen und ihren Bedeutungen zu tun. Sie rekonstruiert die kulturellen Kontexte, in denen jene Zuschreibungsprozesse vonstatten gehen, die Zeichen mit Bedeutungen versehen, und sie reflektiert den Umstand, daß [ ... ] “ historische Fakten „allein über Zeichen vermittelt fassbar werden. [ ... ] Die Kunst ist neben Wissenschaft und Religion das umfassendste Symbolsystem der Menschheitsgeschichte; schon daraus rührt ihre Relevanz für kulturgeschichtliche Fragestellungen.“[8]
Wie bereits einleitend erwähnt, beeinflusst der historische Film unsere Sicht auf die Vergangenheit zunehmend. Film funktioniert dabei anders, als beispielsweise historische Fachliteratur. Er erweckt die Vergangenheit zu neuem Leben und ermöglicht dem Zuschauer so einen affektiven Zugang zur Geschichte, insofern nimmt der historische Film bereits eine spezifische Funktion in der Geschichtsschreibung ein.[9]
Dabei ist nicht außer Acht zu lassen, dass der historische Film, und sei er noch so gründlich recherchiert, größtenteils Fiktion bleibt. Nach Rosenstone birgt der historische Film einige Element, welche ihn von anderen Medien der Geschichtsschreibung unterscheiden: er behandelt Vergangenheit als Geschichte (history as story), mit der Implikation es wird besser, er erzählt Geschichte als eine Geschichte von Individuen, er behandelt historische Ereignisse als abgeschlossene Geschichten mit der Konnotation des Schicksalhaften, er dramatisiert, personalisiert und emotionalisiert die Ereignisse der Vergangenheit und er vermittelt einen Eindruck, wie die Welt einmal ausgesehen hat, wie bestimmte Tätigkeiten verrichtet wurden und bestimmte Objekte benutzt wurden.[10]
Fiktion wurde dem historischen Film schon immer zum Vorwurf gemacht. Erst in den 1960er Jahren wurde der Film langsam als Medium der Geschichtsschreibung ernst genommen, dennoch konnte er sich der Skepsis seitens der Kritiker und der Historiker nie ganz entledigen. So gilt für viele bis heute die, aus Rosenstones Sicht fragwürdige, Trennung von Dokumentarfilm, als historisch weitestgehend authentisch, und Spielfilm als fiktional und somit historisch irrelevant.[11] „Ohne langes Nachdenken könnte man meinen, authentisch sei eben allein die >>Urfassung<<, denn nur diese sei noch frei von Auslassungen und Zutaten.“[12] Da ein Blick auf die Urfassung uns aber verwehrt bleibt und wir immer auf Interpretationen angewiesen sind, bleibt die Frage: welche Wahrheit kann oder soll der historische Film transportieren?[13] Denn es gibt nicht die eine historische Wahrheit.
Tatsächlich darf die Geschichtsschreibung auf Zelluloid nicht wörtlich genommen werden, sie ist immer metaphorisch, symbolisch und suggestiv gemeint. „Yet the best of historical films [...] can intersect with, comment upon, and add something to the larger discourse of history out of which they grow and to which they speak.“[14] Darin stimmt Rosenstone mit Roeck überein, der ebenfalls rät, ein Kunstwerk niemals isoliert, sondern im Kontext zu sehen und zur Interpretation weitere Informationen heranzuziehen.
„We come to understand the past in the stories we tell about it, stories based on the sort of data we call fact, but stories which include other elements that are not directly in the data but arise from the process of story telling.“[15] Der Film ist ein Dokument, der über die Zeit in welcher er entstanden ist Auskunft geben kann. Film kann insofern als Text verstanden werden, welchen man ebenso lesen kann, wie schriftliche Dokumente (Bilder, Fotos, Zeitungen,...). Somit kann der Film Rückschlüsse auf den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext seiner Entstehungszeit ermöglichen. Dies bleibt bei der Besprechung der Risorgimento-Filme zu berücksichtigen, da die Zeit in welcher ein Film entstand, wichtig ist um die spezifische Konstruktion von Geschichte interpretieren zu können.[16] Das besondere am historischen Film, ist die zweite Zeitebene, die sich bei seiner Betrachtung zwangsläufig ergibt. Es handelt sich im Luhmannschen Sinne um eine re-entry -Situation, um eine Beobachtung der Beobachtung. Das heißt, sieht man sich einen Film über das Risorgimento an, so sieht man eine Interpretation der Vergangenheit. Interpretiert man seinerseits den Film, so handelt es sich um eine Interpretation der Interpretation.
3.2. Das Genre des historischen Films
Die ersten historischen Filme hatten keineswegs das Ziel Vergangenheit zu verstehen oder gar zu vermitteln. Diese Filme waren, für unser heutiges Verständnis, sehr kurz. Die Topoi waren von nationaler Bedeutung und so ausgewählt, dass der Zuschauer sie schnellst möglich erkennen konnte. Eine moderne Bezeichnung dieses Genres lautet ‚Kostümfilm’. Darunter sind Filme wie etwa GLADIATOR oder TITANIC zu verstehen. Derjenige historische Film, der im Zusammenhang dieser Arbeit von Bedeutung ist, benutzt die historische Situation nicht als bloße Kulisse oder als Anlass zur Kostümierung, sondern hat ein ernstzunehmendes Anliegen an Geschichte und deren Vermittlung.
Solche Filme gibt es bereits seit den 1910er Jahren. Nach Rosenstone lassen sich wiederum drei unterschiedliche Arten von historischen Filmen unterscheiden:
Das klassische (Melo-)Drama (the dramatic feature film), der Dokumentarfilm und der innovative historische Film (the opposition or innovative historical film)[17]. Dabei kann der dramatische Film, als die wichtigste, oder zumindest am deutlichsten wahrgenommene, Form des historischen Films angesehen werden. Egal, ob die Figuren in diesen Filmen erfunden sind, oder auf historischen Biographien beruhen, der dramatische Film zielt darauf ab, dem Publikum einen emotionalen Blick in die Vergangenheit, durch die Augen dieser Figuren zu ermöglichen.[18] Das historische Drama ist hochgradig rhetorisch gestaltet. Exponierte Geräusche wie Seufzen und Stöhnen, innere Monologe, Flashbacks, eine Vorwärts- und Rückwärtsbewegung des Narrativen sind häufig verwendete Stilelemente.[19] Der innovative Film hingegen geht experimenteller und zumeist wesentlich abstrakter mit Vergangenheit um. Er bewegt sich in der Tradition von Eisensteins Filmen der 1920er Jahren. Hier geht es darum eine tiefer gehende Geschichte, als die oberflächlich sichtbare zu erzählen. Meinem Erachten nach stellen Viscontis Filme eine Mischform der beiden letztgenannten Formen des Historienfilms dar.
Landy trifft eine andere Kategorisierung innerhalb des Genres. Sie unterscheidet Monumentalismus, Nostalgie und den kritischen Historienfilm[20]. Der monumentalistische Film hat das Anliegen, die Bedeutung eines historischen Geschehens subjektiv, das heißt durch die Möglichkeit der Anteilnahme des Publikums, zu vermitteln. Er betont das Einzigartige, das Atemberaubende und versucht, auch um den Preis, historische Fakten zu ignorieren, zu begeistern. Elemente der Monumentalismus sind Patriotismus, Folklore und Heroismus.[21] Der nostalgische Film[22] legt wert auf eine möglichst detailgetreue Darstellung der Vergangenheit. Diese bezieht sich vor allem auf Gegenstände, Raumausstattungen, Architektur und Kostüme. Die kritische Geschichtsverarbeitung im Film wiederum wird zumeist als moderne Geschichtsauffassung angesehen. Nach Landy birgt sie eine ganz andere Gefahr, als die beiden anderen Formen, denn ihrer Meinung nach werden häufig wichtige geschichtliche Informationen ausgespart, zudem wird nicht selten mit Vorurteilen gearbeitet. Außerdem wirft sie dem kritischen Historienfilm vor, er erschlage den Betrachter mittels gewaltsamer Bilder. Während die anderen beiden Formen mittels Artefakt und Dokument(ation) sich auf die Vergangenheit beziehen arbeitet die kritische Historisierung mit psychologischen Momenten.[23] Da die Gefahr des Vorurteils und der Geschichtsverfälschung durch Auslassungen, Glorifizierung und Heroisierung sehr stark auch in der monumetalistischen und der nostalgischen Darstellung gegeben ist, halte ich diese These Landys für unhaltbar, zumal sie ihre These in den einzelnen Filmanalysen nicht untermauert.
[...]
[1] Rosenstone 2006, S. 160
[2] Robert A. Rosenstone: History on Film/ Film on History, Pearson Education Limited, Harlow (GB) 2006
[3] Bernd Roeck: Das historische Auge – Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit. Göttingen 2004
[4] Guido Cinotti: Il Risorgimento al cinema, In: Meccoli, Domenico: Il Risorgimento italiano nel teatro e nel cinema, Rom 1961
[5] In: Albert Russell Ascoli (Hg.): Making and remaking Italy: the cultivation of national identità around the Risorgimento, Oxford (u. a.) 2001
[6] Marcia Landy: Cinematic Uses of the Past, University of Minnesota Press 1996
[7] Giovanni Spagnoletti: Perspektiven auf das Risorgimento und die Resistenza - Der italienische Film, In: Mythen der Nation: Völker im Film, 1998
[8] Bernd Roeck 2004, S. 11f
[9] Wobei gewissermaßen der Regisseur an die Stelle des Historikers tritt.
[10] Vgl.: Rosenstone S. 47ff
[11] Vgl.: Rosenstone 2006, S. 25
[12] Bischof 1996, S. 63
[13] Vgl.: Rosenstone 2006, S. 28f
[14] Rosenstone 2006, S. 31
[15] Rosenstone 2006 S. 155
[16] Vgl.: Rosenstone 2006, S. 23
[17] Vgl.: Rosenstone 2006, S. 14ff
[18] Vgl.: ebd.
[19] Vgl.: Landy S. 116
[20] Vgl.: Landy 1996 S. 112ff
[21] Vgl.: Landy S. 111f
[22] Landy nennt diese Form „Antiquarianism“ (Vgl. S. 112), doch halte ich die Übersetzung in Nostalgie für zutreffend.
[23] Vgl.: Landy 1996, S. 113
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