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Ich werde mich in meiner Arbeit auf den Tanz in den Filmen des so genannten „Bollywood-Kinos“ konzentrieren. Das „Bollywood-Kino“ (B- wie Bombay und angelehnt an Hollywood) hat gegenüber den zahlreichen anderen indischen Produktionsstätten den Vorteil, die medial größte Aufmerksamkeit zu genießen und den Geschmack aller Inder zu treffen. Die Bollywood Produktionen sind im übrigen nicht nur auf dem Subkontinent am erfolgreichsten, sondern in weiten Teilen Asiens und Afrikas beliebter als ihr us-amerikanisches Pendant aus Hollywood.
Zunächst werden mich die kulturhistorischen Wurzeln des Tanzes im indischen Kino beschäftigen, darauf folgt die grundsätzliche Frage was „Tanz“, bzw. Tanz im Film überhaupt ist, um dann im analytischen Teil meiner Arbeit den Tanz als besondere Narrationsform im Bollywoodkino zu untersuchen
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Das Genre Bollywood-Film
Die Wurzeln des Tanzes im Bollywoodfilm
Die historische Entwicklung der „song and dance scenes“ im indischen Film
Der Begriff „Tanz“
Der Tanz in seiner narrativen Funktion im Bollywood-Kino
Filmbeispiel
Schlusswort
Quellenverzeichnis
Literatur
Zeitungen
Einleitung
Als Tom Cruise im Film der letzte Samurai“ mit seinen Kriegern in einen letzten, aussichtslosen Kampf zieht, überlebt er als einziger die gegnerischen Maschinengewehrsalven. Ein Medaillon- das Geschenk seiner Liebsten - fängt die tödliche Kugel ab und macht die schon für unmöglich gehaltene Vereinigung des Liebespaares möglich. So utopisch manch ein Happy -End auch sein mag, so ist es doch eine essentielle Zutat eines gelungenen massentauglichen und somit Gewinn einbringenden Hollywoodfilm- Menüs. Der Zuschauer akzeptiert dieses „Wunder“, er freut sich mit Tom Cruise und verlässt zufrieden den Kinosaal.
Wenn jedoch Shahrukh Khan mit seiner Filmpartnerin im indischen Film Kabhi Khushi Kabhie Ghum („Manchmal Glück, manchmal Trauer, 2001) plötzlich den etablierten Ort der Handlung verlassen und zunächst am Meeresstrand, dann in der ägyptischen Wüste in ständig wechselnden Kostümen heiße Liebesgeständnisse in Gesang und Tanz darstellen, wirkt das auf den an Hollywoodfilme gewöhnten Zuschauer fremd. Zumal in diesem nicht selten vorkommenden Fall das tanzende Liebespaar zu diesem Zeitpunkt der Handlung noch gar nicht zueinander gefunden hat; es findet also ein Vorgriff auf zukünftiges Geschehen statt.
Die stilistische Eigenart des populären indischen Kinos liegt entgegen der in den USA und Europa favorisierten narrativen Kontinuität und Stringenz in der Verknüpfung relativ eigenständiger Höhepunkte[1]. Der Bruch der Handlung, sei es, wie in diesem Fall in Form eines Vorgriffs auf die spätere Handlung, oder - und das ist manchmal schwer voneinander zu trennen - in Bild und Ton gefasste Fantasie eines Filmhelden, wirkt auf den Zuschauer der westlichen Filmkultur unverständlich, exotisch und irritierend. Auffällig ist, dass die Brüche der Filmhandlung fast immer und meist ausschließlich in den so genannten „song and dance scenes“ passieren. Es sind auch jene „song and dance scenes“, die nach Dorothee Wenner die Kritiker des populären indischen Films am meisten erregen, anderseits aber „genau jenes Genrespezifikum, das für das indische Publikum neben dem obligatorischen Staraufgebot die Hauptattraktion eines Kinobesuchs ist“[2]
Ich werde mich in meiner Arbeit auf den Tanz in den Filmen des so genannten „Bollywood-Kinos“ konzentrieren. Das „Bollywood-Kino“ (B- wie Bombay und angelehnt an Hollywood) hat gegenüber den zahlreichen anderen indischen Produktionsstätten den Vorteil, die medial größte Aufmerksamkeit zu genießen und den Geschmack aller Inder zu treffen. Die Bollywood Produktionen sind im übrigen nicht nur auf dem Subkontinent am erfolgreichsten, sondern in weiten Teilen Asiens und Afrikas beliebter als ihr us-amerikanisches Pendant aus Hollywood.
Zunächst werden mich die kulturhistorischen Wurzeln des Tanzes im indischen Kino beschäftigen, darauf folgt die grundsätzliche Frage was „Tanz“, bzw. Tanz im Film überhaupt ist, um dann im analytischen Teil meiner Arbeit den Tanz als besondere Narrationsform im Bollywoodkino zu untersuchen.
Das Genre Bollywood-Film
Den in der Einleitung beschriebenen Effekt der Fremdheit als Reaktion eines westlichen Zuschauers auf die „song and dance scenes“ im Bollywoodfilm weiterverfolgend, möchte ich kurz auf das Begriff des Genres eingehen. Spricht man über den populären indischen Film oder auch den us-amerikanischem Mainstram-Film, verwendet man zwar gemeinhin nicht den Begriff „Genre“, andererseits ist es meiner Meinung nach durchaus möglich von einem „Übergenre“ H/Bollywood Mainstream-Film zu sprechen, denn die Struktur entspricht der des Genres, sie ist nur noch weiter gefasst[3]. Peter Wuss bezeichnet in seinem Buch „Filmanalyse und Psychologie“ „Genres“ als Filmkategorien mit einem spezifischen Formengut, die auf erprobten Wirkungsstrategien basieren. Genrefilme bewegen sich in einem abgesteckten „Raum“, in dem Themen, Personenkonstellationen und Stil in einem Maße vorgegeben sind, dass der Wiedererkennungswert für den Zuschauer unverwechselbar ist. Kognitionspsychologisch kann man das Genre mit seinen Struktur-Funktions-Zusammenhängen generell als einen Prozess von Stereotypenbildung vermuten.[4] Denn, so Wuss, „es handelt sich dabei um Gestaltungsphänomene, die intertextuelle Reihen homologer Formen aufbauen und dabei rigide Unterprogramme psychischen Verhaltens festlegen, die in einem kulturellen Lernprozess entstanden sind.“[5] Das Genre gibt immer bestimmte grobe Abläufe oder Schlüsselstellen des Films vor. Georg Seeßlen bemerkt dazu: „Es [Das Genre] besteht aus einer Anzahl von Grundschichten, aus narrativen Bausteinen und aus einer Ikonografie: Bilder, auf die alles hinauslaufen muss. Der Show-down im Western, die endlose Straße im Road Movie oder die hysterische Massenflucht im Katastrophenfilm.“[6] Ein Genre ist aber kein starr konzipiertes Interaktionsmuster, sondern unterliegt kulturhistorisch bedingten Abweichungen und Veränderungen. Es findet ein „Vorgang von Ausdifferenzierung mit seinem Formen- und Funktionswandel statt, freilich ein ganz spezifischer und für die Wissenschaft höchst unübersichtlicher.“[7]
Zwei Erkenntnisse zum Begriff „Genre“ lassen sich nun auf die Thematik Tanz im Bollywood-Film übertragen. Zum einen existiert offensichtlich der Baustein „song and dance scenes“ in der westlichen Filmkultur nur im Musicalfilm, aber in ganz anderer Form. Die Figuren des indischen Film passen nicht zu den bekannten Stereotypen und so erklären sich die Schwierigkeiten des westlichen Zuschauers, das Gesehene einzuordnen und es entsteht beim ihm das Gefühl der Fremdheit. Darüber hinaus spricht Wuss von einem kulturellen Lernprozess, der stetigen Veränderungen unterliegt, letztlich aber die narrativen Bausteine sowie die Ikonografie einer Genrekultur geschaffen hat. Der dem westlichen Publikum fremde Baustein „song and dance scene“ ist also aus einer Filmkultur entstanden, die auf einer im Vergleich zum Westen andersartigen Kultur aufbaut und sich eigenständig weiterentwickelt hat, bzw. ihre Besonderheiten im Verlauf der Zeit dieser noch jungen Kunstform Film beibehalten konnte. Den kulturellen Wurzeln des Tanzes in der indischen Filmkultur will ich mich nun widmen, zuvor aber noch der Hinweis, dass nicht nur die Gesellschaft und ihre Kultur den Film geprägt hat, sondern dass gerade in Indien mit einem so kinoverrückten Volk auch der Film eine beständige Wirkung auf die Gesellschaft ausübt, also ein dialektische Beziehung vorliegt. Dazu Auszüge aus einen Statement von Daynita Singh, einer bedeutenden Fotografin Indiens: „Das Kino ist unsere zweite, in manchen Fällen sogar unsere erste Religion. Der Grund, weshalb Hindi als Sprache in diesem vielsprachigen Land so populär geworden ist, liegt beim Kino. (…) Der Film formt unsere Vorstellungen von Schönheit, Liebe und von den Beziehungen zwischen Menschen. Ich denke nicht, dass das Kino irgendwo sonst auf dieser Welt eine so große Bedeutung hat wie in Indien.“[8]
Die Wurzeln des Tanzes im Bollywoodfilm
Mündliche Überlieferungen hatten in Indien seit je eine weit aus größere Bedeutung als das geschriebene Wort. So erfuhren auch die beiden großen epischen Dichtungen der indischen Kultur, Mahabharata und Ramayana, die vermutlich aus Mitte des ersten Jahrtausend vor Chr. stammen, über die Zeit hinweg immer wieder Veränderungen:
„Auf Grund der oralen Tradierung gibt es zahlreiche Versionen der großen indischen Epen in verschiedenen lokalen Sprachen und Dialekten, die zusammen einen panindischen Metatext bilden.“[9] Die in ihnen enthaltene Fülle von Geschichten sind laut Amrit Gangar bis heute so tief in der indischen Kultur verwurzelt, dass gerade in Nordiniden nahezu jeder Hindu von ihnen weiß. Sonja Majumder zitiert Esselborn zur Thematik der beiden Epen wie folgt: „ Inhaltlich betrachtet gehen alle thematischen Motive des Hindi-Kinos wie Hass, Konflikt, Liebe, Verrat, Rache und Pflichterfüllung („Dharma) auf die Epen zurück (Esselborn 2002:13)“[10] Zunächst war es das Theater, später das Kino, das die Geschichten aufnahm und sie auf die Bühne brachte. Dabei wurden entweder dieselben Geschichten erzählt oder auf sie Bezug genommen. Entsprechend äußert der in den 70er und 80er Jahren sehr erfolgreiche Regiesseur Manmohan Desai, alle seine Filme seien vom Mahabharata inspiriert.[11]
Einen besonderen Einfluss auf das indische Kino hatte nach Mathias Uhl und Keval J. Kumar der Narrationsstil beider Werke. Sie attestieren dem Bollywood-Kino eine narrativ- strukturelle Vielfalt, die im Rahmen einer übergreifenden Story verschiedene Elemente zu integrieren vermag. Diese Narrationsstruktur fußt, so Uhl/ Kumar, auf dem großen Reichtum an Unterhandlungen, zyklischen Einschüben und kausal nur sehr entfernt in Verbindung stehenden Ereignissen innerhalb der beiden Epen Mahabharata und Ramayana.[12] Die literarische Stringenz, wie wir sie beispielsweise aus westlichen Märchen kennen, ist in beiden Epen nicht vorhanden.
An dieser Stelle möchte ich kurz auf Maya Deren eingehen, die sich zum Narrationsstil im westlichen Film äußert. M. Deren war eine der wichtigsten Initiatorinnen des Experimental-Kinos der 50er und 60er Jahre in den USA. Sie sah die Erzählstruktur im Mainstream-Film kritisch und hoffte auf die Entwicklung einer eigenen Filmsprache: „Dass sich eine filmische Sprache bisher nicht entwickelt hat, liegt aber entscheidend daran, dass unser Zeitalter sich so ausdrücklich dem Alphabet verschrieben hat. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, in linearer Logik einer literarischen Erzählung zu denken, dass dieses narrative Muster inzwischen auch den filmischen Ausdruck vollständig dominiert, obgleich dieser grundsätzlich eine visuelle Form ist. Wir übersehen, dass Malerei zum Beispiel nach visueller Logik aufgebaut ist oder Musik nach einer Logik von Tonalität und Rhythmus und es visuelle und auditive Erfahrungen gibt, die gar nichts mit beschreibenden Erzählformen zu tun haben.“[13]
Aurit Gangar schreibt in seinem Artikel „Mythos, Metapher, Masala - Kultgeschichtliche Aspekte des Bollywoodfilms“[14] einem weiteren literarischen Werk einen besonderen Einfluss auf das indische Kino zu. Die Rasa-Theorie aus dem Lehrbuch des Sankrit-Theater-Schauspiels „Natayasarta“ vom Weisen Bhatran, verfasst vermutlich zwischen 200 vor und 200 nach Christus, schreibt die Evozierung von Rasas, das sind durch Dichtung und Kunst erfahrbare fiktionalisierte Emotionen[15], vor. Dazu gehören: Liebe, Komik, Traurer, Heldentum, Schrecken, Ekel, Wut, Wundersames und Friedvolles. Gangar bezeichnet die Rasas als „Schlüsselkonzept der klassischen inidischen Ästhetik“ und „Kern der Drama-Erzählstruktur“. „Der Rasa-Theorie zufolge hebt die Dichtung unsere Erfahrungen - auch profane oder auf Fakten beruhende - auf eine höhere Ebene, eine Art emotionale Einsicht. Die Theorie - die in Indien Basis für jede intellektuelle und praktische Beschäftigung mit Poesie (und Film) darstellt - zielt mit anderen Worten weniger auf bloße Erkenntnis ab als vielmehr auf ein Beschwören von Emotionen. Für Sankrit-Kenner ist Kunst weniger ein Medium zur Vermittlung metaphysischer Visionen als vielmehr ein Gegenstand der Erbauung. Die ästhetische Erfahrung ist einfach die Freude, ein Kunstwerk wahrzunehmen; das Lustprinzip ist ein integraler Bestandteil der ästhetischen Kontemplation.“[16]
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[1] Vgl. Mathias Uhl, Keval J. Kumar „Indischer Film. Eine Einführung“, Bielefeld 2004, S.21
[2] Dorothee Wenner „Das populäre Kino Indiens“ in „Bollywood - das indische Kino und die Schweiz“, Hrsg. A. Schneider, Zürich 2002, S. 28
[3] siehe Seite 1: Auch D. Wenner spricht von einem „Genrespezifikum“ des Bollywoodkinos.
[4] vgl. Peter Wuss „Filmanalyse und Psychologie - Strukturen des Films im Wahrnehmungsprozess“, Berlin 1993, S.317
[5] P. Wuss a.a.O., S. 317
[6] Georg Seeßlen „Das audiovisuelle Lebkuchenherz“ in „Die Tageszeitung“ 16. März 2006, S.13
[7] P. Wuss a.a.O., S. 313
[8] Daynita Singh zitiert in „Bollywood - das indische Kino und die Schweiz“, S. 78
[9] Amrit Gangar „Mythos , Metapher, Masala. Kulturgeschichtliche Aspekte des Bollywood-Films in „Bollywood - das indische Kino und die Schweiz“ a.a.O., S. 40
[10] Magisterarbeit von Sonja Majumder„Der Hindi-Film der 90er Jahre als Spiegel der poltiischen und wirtschaftlichen Umstände seiner Zeit untersucht anhand der Filme „Hum Aapke Hain Koun…!“, „Dilwale Dulhania Le Jaenge“ und Kuch Kuch Hota Hai“, Hamburg 2003, S.14
[11] vgl. S. Majumdar a.a.O., S.14
[12] vgl. Uhl/ Kumar a.a.O., S.22
[13] Maya Deren, „Choreographie für eine Kamera - Schriften zum Film“, 1995 Hamburg, S.42
[14] A. Ganagar a.a.O., S.40
[15] vgl. A. Ganagar a.a.O., S.49
[16] A. Ganagar a.a.O., S.49
- Citation du texte
- Jonas Lobgesang (Auteur), 2007, Tanz im Bollywood-Kino, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119941
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