Diese wissenschaftliche Abhandlung geht der Frage nach, in wiefern eine Global Governance von Gewalt existiert. Aufbauend auf einer Abhandlung der beiden Kernbegriffe ‚Global Governance’ und ‚Gewalt’, wird der Ordnungsstruktur des interdependenten Globus auf den Grund gegangen. Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft werden dabei als die drei elementaren Bestandteile der globalen Interaktion zwischen Industriestaaten und Peripherie verstanden. Es soll verdeutlicht werden, dass ihre jeweils unterschiedliche Dimensioniertheit zu divergierenden Selbstverständnissen und Handlungslogiken führt, so dass eine globale Regulierung von Gewalt nur bedingt vorhanden sein kann.
INHALT
1 EINLEITUNG
2 GRUNDLEGENDES
2.1 Die Vielschichtigkeit des Begriffs ‚Gewalt’
2.2 Das politisch-strategische Konzept ‚Global Governance’
3 GLOBAL GOVERNANCE VON GEWALT
3.1 Ordnungstheoretische Konzeptionen
3.1.1 Selbstverwaltung und legitimes Gewaltmonopol
3.1.2 Governance, Macht und Sicherheit im Kontext der Genese moderner Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft
3.1.3 Regimeanalytische Theorie und globale Zivilgesellschaft
3.2 Globale Regulierung von Gewalt
3.2.1 Wandel des Konfliktmanagements am Beispiel der UNO
3.2.2 Die Grenzen der menschlichen Sicherheit
4 SCHLUSSBETRACHTUNG
5 LITERATURVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
Waren noch Zeit des Kalten Krieges Staaten die entscheidenden Akteure des Umgangs mit Gewalt, Zivilgesellschaft und globale wirtschaftliche Verflechtung erst im Entstehen begriffen, zeichnet sich die derzeitige Akteursstruktur durch eine aus genannten Komponenten bestehende Multipolarität aus. So wurden internationale Organisationen bis Mitte der Achtziger Jahre vor allem von Homogenität und regional begrenzter Reichweite charakterisiert. Am Beispiel der aus dem General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) hervorgegangenen World Trade Organisation (WTO) wird dagegen die Ausweitung der transnationalen Verflechtung ersichtlich: Unterschrieben 1947 nur 23 Industriestaaten das Abkommen, partizipieren heute 152 Staaten, wovon etliche Entwicklungsländer sind. „Entsprechend unterscheiden sich Problemwahrnehmung und Problemdefinition der staatlichen Akteure in der internationalen Politik.“ (Behrens 2004: 116) Die dadurch entstehende Interessenheterogenität wird dabei zusätzlich durch jenes zivilgesellschaftliche Engagement untermauert, welches vor allem westliche Industrienationen als Folge einer staatlichen Schlankheitskur prägt. Hier reiht sich das Phänomen Privatwirtschaft nahtlos ein. Global Governance soll folglich als Konzept dazu dienen, die horizontale und vertikale Vernetzung von Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft als vielfältigen Regulierungsprozess zu analysieren.
„Weltweit lebten im Jahr 2002 rund 1011 Millionen Menschen in extremer Armut (d.h. mit einem Einkommen von unter einem US-$ pro Tag), das sind 21,1 % der Weltbevölkerung. […] Die Anzahl der absoluten Armen ist weltweit seit 1990 um 120 Millionen gesunken. […] Auf den zweiten Blick trübt sich jedoch das positive Bild, denn diese Entwicklung ist weitgehend auf Erfolge bei der Armutsbekämpfung in China und anderen ostasiatischen Ländern zurückzuführen.“ (Eberlei und Führmann 2006: 172f) Die Armutsraten der meisten Entwicklungsländer stagnierten jedoch oder entwickelten sich gar negativ. Gewalt in Form von Kriminalität, Sezessions- oder Bürgerkriegen kann direkte Folge der, aus Armut resultierenden, mangelhaften Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols sein. Ihre Produkte - z.B. Migrationsströme und Umweltverschmutzung - verbleiben dabei jedoch häufig nicht innerhalb klar definierbarer Grenzen. Nicht mehr abschätzbare Ausmaße von Gewalt sind somit elementarer Bestandteil jenes neuen Sicherheitsverständnisses geworden, welches staatliche, zivilgesellschaftliche sowie wirtschaftliche Akteure aushandeln. Auf Grundlage dieser ‚Global Governance von Gewalt’ werden im Folgenden die jeweiligen Selbstverständnisse und Handlungsziele besagter wohlfahrtsstaatlicher Komponenten beleuchtet um zu eruieren, ob diese gemeinsames Handeln im Sinne einer globalen Eindämmung von Gewalt ermöglichen.
2 GRUNDLEGENDES
Zur Verdeutlichung der Gegenstände dieser wissenschaftlichen Abhandlung bedarf es einiger grundlegender Überlegungen, handelt es sich bei ‚Global Governance’ und ‚Gewalt’ doch einerseits um zeitlich und räumlich verschieden dimensionierte Begrifflichkeiten, welche andererseits einen gemeinsamen Nenner in ihrer jeweiligen Komplexität aufweisen. Es kann daher kein Anspruch auf eine allgemeingültige Definition beider Termini bestehen; diese muss dagegen individuell bei spezifischen Anwendungen erfolgen.
2.1 Die Vielschichtigkeit des Begriffs ‚Gewalt’
Obschon der Begriff ‚Gewalt’ im medialen Alltag in erster Linie als Beschreibung ordnungswidriger bis barbarischer, dem Selbstverständnis der jeweiligen Gesellschaft widersprechenden, Handlungen verwendet wird, beschreibt der Terminus doch weit mehr als nur die Ausübung direkter physischer Gewalt. So verkörpert beispielsweise Folter als Mixtur körperlicher und psychischer Pression die beiden diametralen Bestandteile unmittelbare und indirekte Gewaltanwendung.
Dabei entspringt jene Mehrdeutigkeit gesellschaftshistorischen Wandlungsprozessen der Aushandlung und Ausdifferenzierung von Macht. Verstand Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert diese als die Möglichkeit eines Individuums, sich mit seinen gegenwärtigen Mitteln ein Gut zu eigen zu machen, beschrieb Michel Foucault, drei Jahrhunderte später, Macht als jene Essenz von Gesellschaft, die einen Wandel erlebte vom Fokus auf territoriale Macht im Fürstenstaat über die Disziplinierung der innerstaatlichen Individuen bis hin zu deren Nutzbarmachung im Fordismus und Selbstregulierung in der Moderne (Foucault 1999). Gewalt - anfangs unmittelbar, später psychisch-strukturell angewandt - diente den europäischen Eliten also als „Chance, in-nerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“ (Weber 1985: 62). Die direkte Abhängigkeit der Gewalt vom amorphen Begriff der Macht verdeutlicht unter anderem der Terminus ‚Gewaltenteilung’. Dieser impliziert die Ablösung der Zentralgewalt im Zuge der erfolgreichen Etablierung von Demokratie, besteht jedoch aus ‚Gewalt’ anstatt ‚Macht’. Während sich „im Laufe der Jahrhunderte [die Unterscheidung] von direkter persönlicher Gewalt einerseits und legitimer institutioneller Gewalt andererseits“ (Imbusch 2002: 29) im romanischen und anglophonen Sprachraum vollzogen hat, besteht in der deutschen Sprache die Gefahr einer Verwischung.
Darüber hinaus kann Gewalt definitionstheoretisch und handlungstheoretisch analysiert werden. Da letztgenanntes gewolltes Verhalten voraussetzt, kann es nur unter Berücksichtigung der Intention des Gewalttäters seine Erklärungskraft entfalten. Neue globale, von amorphen Akteuren ausgeübte, Gewaltphänomene – wie zum Beispiel Erderwärmung, Nord-Süd-Konflikt, Migration – lassen sich aus dieser Perspektive nicht hinreichend analysieren. Zudem können „kollektive und nicht-legitime staatliche Gewalt nicht nur nicht einfach als Summe individueller Gewaltakte verstanden werden […], sondern [folgen] vollkommen anderen Strukturprinzipien, die sich gerade nicht aus den Handlungen Einzelner ableiten lassen“ (Imbusch 2002: 43). Von daher stützt sich diese Arbeit auf das individuelle Gewaltverständnis des Autors sowie die daraus resultierenden, unterschiedlichen Definitionen. Im Fokus steht überdies nicht die Frage nach der Kausalität von, sondern die Analyse des Umgangs mit Gewalt im Geflecht der Global Governance.
Eine gesonderte Stellung im Kontext nimmt ‚strukturelle Gewalt’ ein. Dieser, vom norwegischen Friedensforscher Johann Galtung konzipierte, Terminus dient der Beschreibung einer spezifisch-destruktiven Handlung eines Täters, welche es dem Opfer verwährt, seine menschlichen Bedürfnisse hinreichend zu befriedigen. „Entsprechend liegt […] Gewalt immer dann vor, ‚wenn Menschen so beeinflusst werden, daß ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung’. Gewalt ist somit Ursache für den Unterschied zwischen dem Aktuellen und dem Potenziellen, zwischen dem, was ist, und dem, was auf einem bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsniveau hätte sein können.“ (Imbusch 2002: 40) Galtung erweiterte also das ursprüngliche Gewaltverständnis, so dass dieses nun seine Erklärungskraft sowohl bei individueller Drangsalierung als auch im Falle mangelhafter Teilhabegerechtigkeit großer Gruppen entfaltet. Suboptimale Asymmetrien beschreibende Einkommensdisparitäten und Wohlstandsgefälle rücken ebenso in den Mittel-punkt des Gewaltdiskurses wie Werte, Normen und Institutionen – als strukturelle Indikatoren. Gerade weil sich in diesem Geflecht Opfer und Täter häufig nicht mehr als solche wahrnehmen, muss definitionstheoretisch argumentiert werden.
2.2 Das politisch-strategische Konzept ‚Global Governance’
Entscheidend für das Verständnis von Global Governance ist es, das Ende der Systemkonkurrenz zu beachten. Obgleich bereits die beiden Ölkrisen der Jahre 1973 und 1979/80 eine stetig wachsende globale Interdependenz und damit einhergehende Machtzunahme ‚kleinerer’ Staaten aufzeigten, verharrten Politik wie auch Wissenschaft, aufgrund der Existenz zweier starker Blöcke, auf den soliden Prämissen der neorealistischen Schule: Während die USA und Russland nach dem Maximalziel einer unipolaren Hegemonie streben, wenden sich schwächere Nationen mit dem Ziel ihrer Selbsterhaltung einem der beiden Antagonisten zu; gemäß Spieltheorie dem zum Zeitpunkt der Zuwendung Inferioren, da eine bipolare Konstellation ihre Existenz am besten zu sichern vermag. (Waltz 1979: 79ff) Zwar verdeutlicht die failing states-Debatte, dass die Niederlage des Sowjetkommunismus tatsächlich eine notwendige Bedingung für die, in verschiedenen Erdteilen stattgefundene und stattfindende, Eruierung des staatlichen Gewaltmonopols gewesen ist. Doch kann der Staatszentrismus den Umgang mit Staatszerfall und komplexen Phänomenen der Moderne nicht hinreichend erklären. Längst hat sich eine hierarchische Arbeitsteilung auf globaler Strukturebene etabliert, wo Akteure verschiedenster Couleur – wirtschaftlich, sozial oder politisch verwoben – grenzüberschreitend interagieren. Schon in den Achtzigern mag die polnische Gewerkschaft Solidarność nur ein Vorgeschmack des zivilgesellschaftlichen empowerings gewesen sein.
Global Governance rekurriert folglich auf der Ausdehnung des Terminus Governance, welcher bedeutet: „Regierung und Regieren, aber auch Regeln, Regulierungsmechanismen, Ordnung, Herrschaft, nicht allein Staat und Politik, sondern ganz generell überall dort, wo in der Gesellschaft individuelle Interaktionen und soziale Transaktionen systematischen Handlungsmustern, festen Regeln, Ordnungen folgen“ (Schultze 2005: 323). So stellte sich in den Neunzigern die Frage nach der Regierbarkeit des neuen, nicht länger zweigeteilten, Glo-balismus. Eine Einreihung in das durch die Gründung des Club of Rome im Jahre 1968 initiierte transnationale Risikomanagement , das in der 1992 von den Vereinten Nationen in Rio de Janeiro veranstalteten Conference on Environment and Development seinen ersten Höhepunkt fand, war die Folge. Bereits die multilateral verabschiedeten, horizontalen Instrumente des neuen Umweltbewusstseins zeigten die Einsicht auf, globale Probleme gemeinsam lösen zu müssen. „Alle Weltkommissionen und die Weltkonferenzen der 90er Jahre nahmen Bezug auf gemeinsame Überlebensinteressen (‚global commons’) und folgerten daraus Leitideen für globales Handeln, die dann später die Global Governance-Architekten aufgriffen.“ (INEF Report 67/2003: 4) Folglich kristallisiert sich aus der Betrachtung einer möglichen Implementierung der auf internationaler Ebene beschlossenen Maßnahmen jene Struktur heraus, welche Global Governance zu beschreiben sucht: Globale Beschlüsse bedürfen lokaler Umsetzung und dies bedarf wiederum einer Koordination aller überlappenden Handlungsebenen.
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- Citation du texte
- Christoph Gollasch (Auteur), 2008, Global Governance von Gewalt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119619
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