Die zweite Belagerung Wiens durch die Osmanen fällt in die Regierungszeit des Sultans
Mehemmed IV. Er war der 19. Sultan des Osmanischen Reiches und regierte von 1648
bis 1687. Die politischen Geschäfte des Reiches leitete der Sultan größtenteils nicht
selbst, vielmehr hatte er sie seinem Großwesir Kara Mustafa Pasha Merzifonlu
übertragen. Dieser galt als „von Ehrgeiz und Machtgier erfüllter Mann, der zur
Eroberung Ungarns drängte.“
Die politischen Umstände schienen Anfang der 80er-Jahre des 17. Jahrhunderts günstig
für einen Angriff auf Wien. So hatten nach dem ersten russisch-osmanischen Krieg
1678 – 1681 die verfeindeten Parteien den Frieden von Bahcesaray (Krim) geschlossen.
Die Beziehungen des Osmanischen Reiches zu Russland konnten also zu jener Zeit als
stabil gelten. Auch das Verhältnis zu Polen war nicht angespannt, weshalb Kara
Mustafa sich Ungarn zuwenden und einen Angriff auf Österreich planen konnte.
Im Dezember 1682 schließlich brach eine große Armee mit Kara Mustafa und
Mehemmed IV an der Spitze von Edirne aus in Richtung Ungarn und Österreich auf.
Während die Truppen unter Kara Mustafa bis vor Wien zogen, nahm der Sultan nicht
selbst am Feldzug teil. Er blieb stattdessen in Belgrad zurück.
Über die Belagerung Wiens existieren einige zeitgenössische Aufzeichnungen. Fußend
auf diesen Augenzeugenberichten stellt die vorliegende Arbeit den zweiten Feldzug der
Osmanen gegen Wien dar. Sie wird sich jedoch nicht auf eine reine Schilderung
der Abläufe beschränken, sondern sich auch der Frage nach der Aussagekraft der zeit- und
ortsnah am Geschehen verfassten Dokumente widmen. Bilden die von an der
militärischen Auseinandersetzung Beteiligten verfassten Quellen die Ereignisse
tatsächlich so objektiv ab, wie von ihren Autoren immer wieder betont?
Um dieser Frage näher zu kommen, werden zunächst die Quellen vorgestellt, auf die sich die Darstellung stützt. Daran schließt sich eine Schilderung der Ereignisse um Wien an, zu der hauptsächlich zwei Augenzeugenberichte von Osmanischer Seite und einer aus Sicht der in der Stadt Eingeschlossenen herangezogen werden. Abschließend folgt eine Einschätzung und
Bewertung dieser Augenzeugenberichte.
[...]
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung: Historischer Rahmen und Fragestellung
II Quellen
III Die Belagerung Wiens (14. Juli – 12. September 1683)
IV Schlussbemerkungen
Literatur
I Einleitung: Historischer Rahmen und Fragestellung
Die zweite Belagerung Wiens durch die Osmanen fällt in die Regierungszeit des Sultans Mehemmed IV. Er war der 19. Sultan des Osmanischen Reiches und regierte von 1648 bis 1687. Die politischen Geschäfte des Reiches leitete der Sultan größtenteils nicht selbst, vielmehr hatte er sie seinem Großwesir Kara Mustafa Pasha Merzifonlu übertragen.1 Dieser galt als „von Ehrgeiz und Machtgier erfüllter Mann, der zur Eroberung Ungarns drängte.“2
Die politischen Umstände schienen Anfang der 80er-Jahre des 17. Jahrhunderts günstig für einen Angriff auf Wien. So hatten nach dem ersten russisch-osmanischen Krieg 1678 – 1681 die verfeindeten Parteien den Frieden von Bahçesaray (Krim) geschlossen. Die Beziehungen des Osmanischen Reiches zu Russland konnten also zu jener Zeit als stabil gelten.3 Auch das Verhältnis zu Polen war nicht angespannt, weshalb Kara Mustafa sich Ungarn zuwenden und einen Angriff auf Österreich planen konnte.
Im Dezember 1682 schließlich brach eine große Armee mit Kara Mustafa und Mehemmed IV an der Spitze von Edirne aus in Richtung Ungarn und Österreich auf. Während die Truppen unter Kara Mustafa bis vor Wien zogen, nahm der Sultan nicht selbst am Feldzug teil. Er blieb stattdessen in Belgrad zurück.4
Über die Belagerung Wiens existieren einige zeitgenössische Aufzeichnungen. Fußend auf diesen Augenzeugenberichten soll die vorliegende Arbeit den zweiten Feldzug der Osmanen gegen Wien darstellen. Sie wird sich jedoch nicht auf eine reine Schilderung der Abläufe beschränken, sondern sich auch der Frage nach der Aussagekraft der zeit- und ortsnah am Geschehen verfassten Dokumente widmen. Bilden die von an der militärischen Auseinandersetzung Beteiligten verfassten Quellen die Ereignisse tatsächlich so objektiv, wie von ihren Autoren immer wieder betont, ab?
Um dieser Frage näher zu kommen, sollen im folgenden Abschnitt zunächst die Quellen selbst vorgestellt werden, auf die sich die Darstellung stützt. Daran anschließen wird sich eine Schilderung der Ereignisse um Wien, zu der hauptsächlich zwei Augenzeugenberichte von Osmanischer Seite und einer aus Sicht der in der Stadt
Eingeschlossenen herangezogen werden. Abschließend folgt eine Einschätzung und Bewertung dieser Augenzeugenberichte.
II Quellen
A „ Vekayi‘-i Beç “ (Die Ereignisse um Wien)
Es handelt sich dabei um ein anonymes Tagebuch, welches in zwei Handschriften erhalten ist. Die Manuskripte finden sich in Bibliotheken in London und Istanbul. Ganz offensichtlich ist die Londoner Handschrift von der Istanbuler abgeschrieben, und auch diese ist, wie an einem Vermerk des Kopisten erkennbar, eine Abschrift. Das Original ist bislang unentdeckt geblieben.5 Abgesehen von zahlreichen Abschreibfehlern und Unterschieden in der Rechtschreibung stimmen die beiden Texte im wesentlichen überein.
Worum es sich bei den Aufzeichnungen handelt, enthüllt der Text selbst: um das Zeremonialregister (Teçrîfât defteri) des damaligen Zeremonienmeisters (teçrîfâtcı). Sein Name konnte bislang nicht herausgefunden werden.6 Geschildert werden in seinen Niederschriften im Stile eines echten Tagebuchs immer nur die Ereignisse eines betreffenden Tages. Nachträge finden sich nur in wenigen Fällen, in denen der Verfasser wohl keine Gelegenheit hatte, das Erlebte unmittelbar schriftlich zu fixieren. Was den Großteil des Textes betrifft, wird jedoch angenommen, dass die Aufzeichnungen oft nur wenige Stunden nach dem von ihnen erfassten Geschehen niedergeschrieben wurden.7
Unbedingt erwähnt werden muss im Zusammenhang mit den beiden Handschriften der „Ereignisse um Wien“ auch die Reichschronik „Silihdar Tarihi“ (Geschichte des Waffenträgers). Der Verfasser, der Waffenträger Mehmed, war nicht unmittelbar bei der Belagerung Wiens dabei, er blieb stattdessen gemeinsam mit dem Sultan in Belgrad.8 Zur Darstellung der Geschehnisse vor Wien übernahm er den Text von „Vekayi‘-i Beç“, den er selbst bearbeitete und stellenweise auch kürzte oder verbesserte. Auf diese Weise lassen sich in der Gegenüberstellung mit der „Silihdar Tarihi“ einige Fehler der beiden Handschriften richtig stellen. Andererseits hat der Silihdar den Zeremonienmeister auch in einigen Punkten missverstanden und fehlerhaft interpretiert.
So schreibt der Zeremonienmeister über einen Tagesmarsch, auf dem es weder Wasser noch Brücken gegeben habe. Ausdrücken wollte der Schreiber damit, dass es auf dem Weg keine Hindernisse gegeben habe: keinen Fluss, den es zu überqueren galt und keine Brücke, die für den Heereszug ein Engpass gewesen wäre. Der Silihdar allerdings deutet diese Aufzeichnungen dahingehend, dass es Mangel an Wasser und vermeintlich notwendigen Brücken gegeben habe.9
B „ ² Istoriai ’ Alexandrou Maurokordatou “
Bei der zweiten wichtigen Augenzeugen-Quelle von osmanischer Seite handelt es sich um die so genannten „Historien“ des Chefdolmetschers der Hohen Pforte, Alexandros Mavrokordatos, über die Osmanischen Kriegszüge 1683 sowie 1685 – 1687. Die auf Neugriechisch verfassten Schilderungen wurden im Jahre 1891 in einer Istanbuler Bibliothek aufgefunden.
Es war im 17. und 18. Jahrhundert durchaus üblich, dass die Beziehungen zwischen Osmanen und abendländischen Völkern wesentlich von griechischen Dolmetschern mitgestaltet wurden. In dieser Hinsicht stellte Mavrokordatos auf diesem Posten keineswegs eine Besonderheit dar. Der studierte Philosoph und Mediziner hatte das Amt von 1673 an inne und war zur Zeit des Wien-Feldzuges 41 Jahre alt.10
Seine Historien haben die Form von Chronik-, teilweise auch tagebuchartigen Aufzeichnungen. Am ausführlichsten beschreibt Mavrokordatos den Feldzug gegen Wien, an dem er selbst als wichtigster Berater Kara Mustafas in außenpolitischen Angelegenheiten teilnahm.11
Seine Erzählung beginnt unvermittelt ohne jegliche Einleitung, die den Zweck der Aufzeichnungen angibt. Erheblich erschwert wird das Text-Verständnis durch die vom Autor gewählte Sprache: Es handelt sich dabei um ein „zwischen vulgären und klassizistischen Formen regellos schwankendes und ohne gute Türkischkenntnisse geradezu unverständliches Griechisch mit weitgehend türkisiertem Wortschatz“.12
Der Dolmetscher Mavrokordatos war dem Zeremonienmeister an Allgemeinbildung überlegen und hatte aufgrund seines Amtes auch viel umfassendere Einblicke in die politischen Geschehnisse: Er ist, wie seinen Schilderungen zu entnehmen ist, stets frühzeitig, detailliert und umfassend über die Ereignisse informiert.
[...]
1 Vgl. Kramers, J. H.: Mehemmed IV. In: C. E. Bosworth u.a. (Hrsg.): The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Leiden, 1991. Bd. VI, S. 982 f.
2 Sturminger, Walter (Hrsg.): Die Türken vor Wien in Augenzeugenberichten. Düsseldorf, 1968.
3 Vgl. Kreiser, Klaus: Der Osmanische Staat 1300 – 1922. Oldenbourg, 2001 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 30.), S. 31.
4 [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]
5 Vgl. Kreutel, Richard F. und Treply, Karl (Hrsg.): Kara Mustafa vor Wien: 1683 aus der Sicht türkischer Quellen. Übersetzt und erläutert von Richard F. Kreutel. Stark verm. Ausg. besorgt von Karl Treply. Graz, Wien, Köln, 1982. (Osmanische Geschichtsschreiber; Neue Folge, Bd. I.), S. 18.
6 Vgl. ebd., S. 18.
7 Vgl. ebd., S. 40.
8 Vgl. ebd., S. 24.
9 Vgl. ebd., S. 26.
10 Vgl. ebd., S. 57.
11 Vgl. ebd., S. 22.
12 Ebd., S. 22.
- Arbeit zitieren
- Nicolas A. Zeitler (Autor:in), 2004, Die zweite Türkenbelagerung Wiens (1683) nach Feldzugsaufzeichnungen und Augenzeugenberichten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119328
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