Sind erlebnispädagogische Maßnahmen für eine Anwendung in der Eingliederungshilfe geeignet und welche positiven Effekte haben sie auf diese Klientel?
In einem ersten Kapitel sollen dem Leser die theoretischen Grundlagen der Erlebnispädagogik vorgestellt werden.
Hierbei soll explizit auf die Entstehungsgeschichte, die Anwendungsgebiete, die Ziele, der Wirkungsbereich und die Methodik der Erlebnispädagogik eingegangen werden.
Folgend soll in einem weiteren Gliederungspunkt das Hilfesystem der Eingliederungshilfe, anhand ihrer gesetzlichen Einbettung in das SGB IX, näher beschrieben werden und eine Einführung in die durch das BTHG hervorgerufenen Veränderungen gegeben werden.
Darüber hinaus soll untersucht werden inwiefern eine Einbettung der Erlebnispädagogik in das Hilfesystem der Eingliederungshilfe geeignet ist.
Im nachfolgenden praktischen Teil der Arbeit soll in einem Gliederungspunkt Projekt Erlebnispädagogisches Campen, welches mit Klienten der Eingliederungshilfe vollzogen wurde, eine über den Zeitraum von 3 Tagen durchgeführte erlebnispädagogische Maßnahme vorgestellt werden.
Um in diesem Verbund eine strukturierte Vorgehensweise gewährleisten zu können, soll die Vorstellung des Projekts anhand der Projektphasen des Projektmanagementzyklus erfolgen.
Weiterhin kann auf Grundlage der hieraus gewonnenen Erkenntnisse, ein effektives Konzept für die Initialisierung nachfolgender erlebnispädagogischer Maßnahmen im Unternehmen erstellt werden.
Zur Untersuchung der Forschungsfrage soll in einem weiteren Kapitel, Evaluierung, eine Auswertung der durchgeführten Maßnahme vollzogen werden.
Hierbei wird eine differenzierte Auswertung der Eignung und der vermeintlichen positiven Effekte der Maßnahme anhand einer Befragung der Probanden der Aktivität erfolgen.
Abschließend sollen die Ergebnisse der Arbeit hinsichtlich der Forschungsfrage in einem Fazit zusammengefasst werden.
1. Einleitung
2. Die Erlebnispädagogik
2.1 Die Geschichte der Erlebnispädagogik
2.2 Die Ziele der Erlebnispädagogik
2.3 Aktionsfelder der Erlebnispädagogik
2.4 Effektives Lernen; zwischen der Komfort- und der Panikzone
2.5 Erlebnispädagogische Reflexionsmodelle/Metaphorisches Lernen
3. Die Eingliederungshilfe und das BTHG
3.1 Leistungsberechtigter Personenkreis
3.2 Leistungen der Eingliederungshilfe
4. Projekt erlebnispädagogisches Campen
5. Planung des Projekts
5.1 Die Initialisierungsphase
5.2 Die Vorstudie
5.3 Die Konzeptphase
5.4 Die Realisierungsphase
5.5 Die Einführungsphase
6. Angewandte Methoden innerhalb der Maßnahme
7. Evaluierung
7.1 Die Eignung der erlebnispädagogischen Maßnahme für die Klientel der Eingliederungshilfe
7.2 Positive Effekte/Wirksamkeit der erlebnispädagogischen Maßnahme
7.3 Kritische Anmerkung zur Evaluierung
8. Fazit
9. Literaturverzeichnis
10. Onlineverzeichnis
11. Anhang
Abbildungsverzeichnis:
Abbildung 1: 3-Zonen-Modell (Kinne 2017, S.4)
Abbildung 2: Die E-Kette (Paffrath 2017, S. 54)
Abbildung 3: Waage der Erlebnispädagogik (Michl 2020, S. 10)
Abbildung 4: Outward Bound plus (Schad 1993, S. 3)
Abbildung 5: Das metaphorische Modell (Schrad 1993, S.51)
Abbildung 6: Strukturen des SGB IX (eigene Darstellung)
Abbildung 7: Bio-psycho-soziales Modell (DIMIDI 2005, S.23)
Abbildung 8: Leistungen der Eingliederungshilfe (eigene Darstellung)
Abbildung 9: Leistungen der Sozialen Teilhabe (eigene Darstellung)
Abbildung 10: Projektmanagementzyklus (Kuster et al. 2011 S.17)
Abbildung 11: PUMA-Analyse (eigene Darstellung)
Abbildung 12: Physische Belastungsgrenze überschritten (eigene Darstellung)
Abbildung 13: Mentale Belastungsgrenze überschritten (eigene Darstellung)
Abbildung 14: Gefühlsäußerungen Tag 1 (eigene Darstellung)
Abbildung 15: Eindruck der Gruppe auf die Probanden Tag 1 (eigene Darstellung)
Abbildung 16: Mittelwerte der Merkmalsausprägungen der Interventions- und Kontrollgruppe (eigene Darstellung)
Abbildung 17: Veränderungen Pretest zum Posttest (eigene Darstellung)
Abbildung 18: Entwicklungen der Mittelwerte vom Pretest zum Follow-Up (eigene Darstellung)
Abbildung 19:Entwicklung der Mittelwerte bezogen auf die Messzeitpunkte (eigene Darstellung)
1. Einleitung
Mit dem, am 16 Dezember 2016, vom Bundestag verabschiedeten Bundesteilhabegesetz (BTHG) wurde auch der Bereich der Eingliederungshilfe grundlegend reformiert.
Neben einer Veränderung von organisatorischen Zuständigkeiten, hat es sich das BTHG zum Ziel gemacht, eine umfassende Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu bewirken.
Um eine Umsetzung dieses ambitionierten Ziels gewährleisten zu können, müssen sich die Hilfeleistungen der Eingliederungshilfe an diese Zielsetzung anpassen.
Weiterhin entsteht mit der Einführung des BTHGs auch für die Klientel der Eingliederungshilfe eine neue Lebenssituation, welche zugleich neue Anforderungen und Möglichkeiten für diese beinhaltet.
Auf Grund dieser Veränderungen, ist es sowohl für den institutionellen Bereich, als auch für die Klientel der Eingliederungshilfe essentiell neue Methoden zu erproben, um den neuen Anforderungen und Möglichkeiten des BTHGs gerecht zu werden.
In der vorliegenden Arbeit soll daher mit der Erlebnispädagogik, eine potentielle Methode vorgestellt werden, welche die Klientel der Eingliederungshilfe bei der Erlangung neuer Fähigkeiten zur Bewältigung dieser Anforderungen unterstützen kann.
Anschließend soll die Erlebnispädagogik auf ihre Wirksamkeit und Eignung für die Klientel geprüft werden.
Die Erlebnispädagogik zeigt sich hierbei, wie die Eingliederungshilfe ebenfalls, als eine sich im stetigen Wandel befindende Methode, welche sich schon lange von ihrem ursprünglichen Anwendungsbereich der Kinder- und Jugendhilfe losgelöst hat und neue Anwendungsbereiche erschließt.
Der Arbeit liegt ausgehend von den oben stehenden Überlungen folgende Forschungsfrage zu Grunde:
Sind erlebnispädagogische Maßnahmen für eine Anwendung in der Eingliederungshilfe geeignet und welche positiven Effekte haben sie auf diese Klientel?
Weiterhin gliedert sich die Arbeit in folgende Gliederungspunkte:
In einem ersten Kapitel sollen dem Leser die theoretischen Grundlagen der Erlebnispädagogik vorgestellt werden.
Hierbei soll explizit auf die Entstehungsgeschichte, die Anwendungsgebiete, die Ziele, der Wirkungsbereich und die Methodik der Erlebnispädagogik eingegangen werden.
Folgend soll in einem weiteren Gliederungspunkt das Hilfesystem der Eingliederungshilfe, anhand ihrer gesetzlichen Einbettung in das SGB IX, näher beschrieben werden und eine Einführung in die durch das BTHG hervorgerufenen Veränderungen gegeben werden.
Darüber hinaus soll untersucht werden inwiefern eine Einbettung der Erlebnispädagogik in das Hilfesystem der Eingliederungshilfe geeignet ist.
Im nachfolgenden praktischen Teil der Arbeit soll in einem Gliederungspunkt Projekt Erlebnispädagogisches Campen, welches mit Klienten der Eingliederungshilfe vollzogen wurde, eine über den Zeitraum von 3 Tagen durchgeführte erlebnispädagogische Maßnahme vorgestellt werden.
Um in diesem Verbund eine strukturierte Vorgehensweise gewährleisten zu können, soll die Vorstellung des Projekts anhand der Projektphasen des Projektmanagementzyklus erfolgen.
Weiterhin kann auf Grundlage der hieraus gewonnenen Erkenntnisse, ein effektives Konzept für die Initialisierung nachfolgender erlebnispädagogischer Maßnahmen im Unternehmen erstellt werden.
Zur Untersuchung der Forschungsfrage soll in einem weiteren Kapitel, Evaluierung, eine Auswertung der durchgeführten Maßnahme vollzogen werden.
Hierbei wird eine differenzierte Auswertung der Eignung und der vermeintlichen positiven Effekte der Maßnahme anhand einer Befragung der Probanden der Aktivität erfolgen.
Abschließend sollen die Ergebnisse der Arbeit hinsichtlich der Forschungsfrage in einem Fazit zusammengefasst werden.
Allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige
Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche
Personenbezeichnungen gelten für beide Geschlechter.
2. Die Erlebnispädagogik
Der Versuch einer Definition:
Da sich die Erlebnispädagogik nicht aus einem homogenen pädagogischen Praxisfeld zusammensetzt und sich mit der Zeit unterschiedliche Methoden, Zielgruppen und Anwendungsbereiche aus dieser gebildet haben, ist es schwer den Terminus der Erlebnispädagogik einheitlich zu definieren.
Auf Grund dessen vollziehen theoretische Ausarbeitungen über die Erlebnispädagogik oft den Versuch einer Annäherung an eine Definition unter zur Hilfenahme von diversen Kriterien/Eigenschaften der Erlebnispädagogik.
Hierbei gilt, umso mehr Kriterien/Eigenschaften zutreffen, desto eher bewegt man sich im Definitionsbereich der Erlebnispädagogik:
- 1. Sie findet ihren Anwendungsbereich unter freien Himmel.
- 2. Sie besitzt eine hohe physische Handlungskomponente.
- 3. Sie stellt die Teilnehmer vor Herausforderungen und intendiert eine Grenzerfahrung.
- 4. Die Teilnehmer müssen einen direkten Zusammenhang zwischen der Aktivität und einer hieraus resultierenden Handlungskonsequenz ziehen können.
- 5. Die Gruppe hat einen wichtigen aktivierenden Charakter für die einzelnen Teilnehmer.
- 6. Eine Reflexion des Erlebten stellt eine Notwendigkeit für den Transfer von Erkenntnissen in den Alltag der Teilnehmer dar.
- 7. Als typische erlebnispädagogische Medien werden klassische Natursportarten (bspw. eine Kanufahrt), künstliche Anlagen (bspw. Kletterpark) Vertrauensübungen und Problemlösungsaufgaben eingesetzt.
(vgl. Michl 2020: S.14)
Trotz der oben angeführten Problematiken, den Begriff der Erlebnispädagogik einheitlich zu definieren, soll folgend der Versuch von Hartmut Paffrath eine Definition zu formulieren, seine Erwähnung finden.
Die angeführte Definition soll in diesem Verbund jedoch nur als Verständigungsgrundlage dienen und keineswegs eine umfassende Definition des Bereichs der Erlebnispädagogik für die vorliegende Arbeit widerspiegeln:
„Erlebnispädagogik ist ein handlungsorientiertes Erziehungs- und Bildungskonzept. Physisch, psychisch und sozial herausfordernde, nicht alltägliche, erlebnisintensive Aktivitäten dienen als Medium zur Förderung ganzheitlicher Lern- und Entwicklungsprozesse. Ziel ist es, Menschen in ihrer Persönlichkeitsentfaltung zu unterstützen und zur verantwortlichen Mitwirkung in der Gesellschaft zu ermutigen.“
(Paffrath 2017: S. 21)
2.1 Die Geschichte der Erlebnispädagogik
Der Grundgedanke der Erlebnispädagogik spiegelte sich bereits in den Arbeiten der Philosophen John-Jacques Rousseau (1712 – 1778) und Henry David Thoreau (1817 - 1862) wieder.
So betonte, der aus Ermenonville stammende, französische Philosoph und Pädagoge Rousseau in seinem pädagogischen Hauptwerk Emil oder Über die Erziehung :
„Und denkt daran, dass ihr in allen Fächern mehr durch Handlungen als durch Worte belehren müsst. Denn Kinder vergessen leicht was sie gesagt haben und was man ihnen gesagt hat, aber nicht, was sie getan haben und was man ihnen tat“
(Rousseau 1975: S. 80)
Hiermit benannte bereits Rousseau zwei der oben erwähnten Grundeigenschaften/Kriterien der Erlebnispädagogik.
Zum einen die physische Handlungskomponente der Erlebnispädagogik und zum anderen den Zusammenhang aus der erlebnispädagogischen Aktivität und einer direkten Handlungsfolge. (vgl. Kriterien 2. und 4., S. 7f.)
Der amerikanische Philosoph und Schriftsteller Henry Thoreau ging in seinem Selbstexperiment und den hieraus entstandenen Buch Walden oder Leben in den Wäldern (1854) der Grundfrage nach, welche Lebensbedürfnisse beim Menschen befriedigt werden müssen, damit dieser ein erfülltes Leben führen kann.
Thoreau kritisierte in diesem Verbund die vom Staat abhängige industrielle Gesellschaft seiner Zeit. Er postulierte weiterhin, dass die hieraus erwachsene Bequemlichkeit und Abhängigkeit des Individuums vom Staat hinderlich für seine persönliche Entwicklung sei:
„Fast jeder Luxus und viele der sogenannten Bequemlichkeiten des Lebens sind nicht nur absolut überflüssig, sondern geradezu Hindernisse für die fortschreitende Entwicklung des Menschengeschlechts.“
(Thoreau 2018: S. 47)
Als Folge seiner Überlegungen/Kritik begibt sich Thoreau, am 4. Juli 1845, symbolträchtig am amerikanischen Unabhängigkeitstag, über einen Zeitraum von 2 ½ Jahren, in eine selbstgebaute Hütte an einem Waldsee, um hier jenseits der urbanen Einflüsse zu leben.
Die Natur ist die große Erzieherin und Lehrmeisterin
Hierbei sah Thoreau in der Natur (vgl. Definition „sie findet häufig in der Natur ihren Anwendungsbereich“) und nicht in der staatlich gelenkten Gesellschaft den Quell für neue Erkenntnisse.
„Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegungen zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen musste, dass ich nicht gelebt hatte.“
(Thoreau 1971: S.184)
Thoreau gilt mit seinem Selbstexperiment bis heute, gerade im amerikanischen Raum, als einer der Pioniere der Erlebnispädagogik/Adventure Education.
(vgl. Michl 2020: S. 26 ff.)
Kurt Hahn der Urvater der Erlebnispädagogik
Der deutsche Reformpädagoge Kurt Hahn (1886 – 1974) wird im angelsächsischen Raum als Begründer der Erlebnispädagogik angesehen.
Kurt Hahn wird deshalb auch oft als Urvater der Erlebnispädagogik bezeichnet.
Um den durch den ersten Weltkrieg entstandenen „ zivilisatorischen Verfallserscheinungen“ der Moderne entgegenzuwirken, konzipierte Hahn mit seinem Konzept der Erlebnistherapie einen pädagogischen Gegenpol zu diesen.
In Anlehnung an den medizinischen Heilungsprozess einer Krankheit verwendet Hahn deswegen auch die Begriffe Diagnose und Therapie.
Hahns Diagnose zu den vorherrschenden Verfallserscheinungen sieht in diesem Verbund folgende Defizite bei der modernen Gesellschaft:
- Das Schwinden von körperlichen Fähigkeiten/Fitness
- Der Verfall von Selbstinitiative/Kreativität
- Die Verringerung von Genauigkeit/Sorgfalt
- Den Mangel an Empathie/Mitgefühl
Sein pädagogischer Therapieansatz sieht folgende Themenbereiche vor:
- das körperliche Training zur Steigerung von Kondition, Vitalität und Mut
- das Projekt Aufgaben im handwerklichen, technischen und musischen Bereich zur Entwicklung von Sachkompetenz und Entfaltung der eigenen Fähigkeiten
- die Expedition einschließlich der Planung, Organisation und Umsetzung dieser zur Entwicklung von Selbstständigkeit, Entschluss- und Überwindungskraft des Individuums
- der Soziale Dienst, ein soziales Engagement (Einführung von Rettungsdiensten) als Divergenz zu vorherrschenden egoistischen Verhaltensweisen
(vgl. Paffrath 2017: S.43 ff.).
Hieraus erarbeitet Hahn die Salemer Gesetze, welche ein pädagogisches Konzept darstellen und den Grundprinzipien der Erlebnispädagogik stark ähneln:
1. Gebt den Kindern die Gelegenheit sich selbst zu entdecken.
2. Laßt die Kinder Triumph und Niederlage erleben.
3. Gebt den Kindern Gelegenheit zur Selbsthingabe an die gemeinsame Sache. 4. Sorgt für Zeiten der Stille.
5. Übt die Phantasie.
6. Laßt Spiele eine wichtige, aber keine vorherrschende Rolle spielen.
7. Erlöst die Söhne reicher und mächtiger Eltern von dem entnervenden Gefühl der Privilegiertheit.
(vgl. Hahn 1998: S. 151 ff.)
Zusammenfassung:
John-Jacques Rousseau und Henry David Thoreau können mit ihren Gedankengängen als Pioniere der Erlebnispädagogik erachtet werden.
Kurt Hahn gilt weiterhin mit seinem Konzept der Erlebnistherapie als Begründer der Erlebnispädagogik.
Der ausschlaggebende Impuls zu ihren Überlegungen erwuchs bei allen erwähnten erlebnispädagogischen Vorreitern aus einer rudimentären Kritik an den Normen und Werten des gesellschaftlichen Systems.
2.2 Die Ziele der Erlebnispädagogik
Da sich die Erlebnispädagogik als eine zielgerichtete Methode versteht, ist es bei der Planung eines erlebnispädagogischen Programms schon im Vorfeld notwendig, eine grobe Zielsetzung für das jeweilige Programm zu definieren.
Die Ziele können sich hierbei auf einer individuellen, einer gruppenbezogenen oder einer gesellschaftlichen Ebene beziehen.
Hartmund Paffrath benennt in diesem Verbund 5 Leitziele der Erlebnispädagogik, die er wiederum in einzelne Teilziele unterteilt:
Persönlichkeitsbildung:
Unter Persönlichkeitsbildung oder auch Persönlichkeitsentwicklung kann eine Aktivierung/Entwicklung der individuellen Potentiale des Individuums verstanden werden.
Diese sind oft bereits beim Individuum vorhanden und können von der Erlebnispädagogik aktiviert werden.
Zu möglichen Teilzielen der Persönlichkeitsbildung können u.a. eine Steigerung des Selbstbewusstseins, des Selbstwertgefühls, der kreativen Fähigkeiten, der Frusttoleranz, sowie eine Verbesserung der Eigenreflexion und Kritikfähigkeit zählen.
Soziale Interaktion und Kommunikation:
„Der Mensch für sich allein vermag gar wenig und ist ein verlassener Robinson: nur in der Gemeinschaft mit den anderen ist und vermag er viel.“
(Schoppenhauer 1851: S.58)
Schon der deutsche Philosoph Arthur Schoppenhauer wies mit dieser Erkenntnis auf die Prägnanz von menschlicher Interaktion für den Fortschritt des Menschen hin.
Ein weiteres Leitziel der Erlebnispädagogik ist deshalb treffenderweise eine Förderung der Sozialen Internaktion und Kommunikation.
Als Teilziele können hier u.a. eine Verbesserung/Steigerung der Teamfähigkeit, der Toleranz gegenüber dem Nächsten, die Konfliktlösung und die Entwicklung einer prosozialen Attitüde angesehen werden.
Gesellschaft und Kultur:
Das Teilziel Gesellschaft und Kultur gliedert sich, nach Paffrath wiederum in 2 Bereiche.
Zum einen die Integration der Teilnehmer in das bestehende Kultur- Gesellschaftssystem . Als Teilziele können hier die Befähigung zu einer Rollenübernahme, das Erlernen eines funktionalen Verhaltens und Sach- und Methodenkompetenzen angesehen werden.
Zum anderen eine Stärkung gesellschaftlichen Emanzipation. Mögliche Teilziele können hier eine Ausprägung des Bewusstseins über eine Rollenveränderung, der gesellschaftlichen Teilhabe und eines solidarischen Handelns sein.
Natur:
Als ein weiteres Leitziel soll die Erlebnispädagogik seiner Klientel einen besseren Bezug zur Natur vermitteln.
Teilziele sind hierbei u.a. das Wahrnehmen der Natur als Lebensraum, die Einsicht in ökologische Kreisläufe und die Verantwortung für einen nachhaltigen Umgang mit dieser.
Spirituelle Dimension:
Zu den ganzheitlichen Teilzielen der Spirituellen Dimension zählen nach Paffrath u.a. die Schaffung eines meditativen Zugangs der Teilnehmer zu sich selbst und seiner Umwelt und die Auseinandersetzung mit Urphänomenen des Lebens, wie die Vergänglichkeit und der Tod.
(vgl. Paffrath 2017: S. 82)
Eine Bearbeitung aller von Paffrath angeführten Ziele und Teilziele würde selbstverständlich den Rahmen einer Erlebnispädagogischen Maßnahme sprengen.
Somit müssen schon im Vorfeld einzelne, auf die Klientel der jeweiligen Maßnahme abgestimmte Ziele, selektiert werden.
Weiterhin besitzt eine erlebnispädagogische Aktivität auch immer einen spontanen und unberechenbaren Charakter.
Neue Lernziele können sich so erst während der Aktivität eröffnen, so dass die Erlebnispädagogen einen gewissen Handlungsspielraum zu Bearbeitung dieser neuen Ziele bei ihrer Planung berücksichtigen sollten.
2.3 Aktionsfelder der Erlebnispädagogik
Der deutsche Erlebnispädagoge Werner Michl unterscheidet die zurzeit angewanden Erlebnispädagogischenangebote in 4 Aktionsfelder:
Natursport und Wildnispädagogik, Problemlösungsaufgaben und kooperative Abenteuerprojekte, künstliche Anlagen, sowie Selbsterfahrung und Therapie.
(Michl 2020: S.87)
Natursport und Wildnispädagogik:
Zu diesem erlebnispädagogischen Handlungsfeld zählen u.a. das Wandern, Mountainbike-Touren und das Naturcamping.
Auf die beiden letzteren Handlungsfelder soll im späteren praktischen Verlauf der vorliegenden Arbeit noch Bezug genommen werden.
Alle angeführten erlebnispädagogischen Medien besitzen ein hohes physisches Aktivierungspotential für ihre Teilnehmer und werden somit oft im Bereich von verhaltensauffälligen Menschen zur Schaffung eines sportlichen Ausgleichs verwendet.
(vgl. Pardey 2014)
Problemlösungsaufgaben und kooperative Abenteuerprojekte
In diesem Aktionsfeld stellen sich die Gruppenteilnehmer einer Problemsituation, die es folgend als Team zu lösen gilt.
Problemlösungsaufgaben haben in diesem Verbund einen spielerischen Charakter und intendieren einen Lernzuwachs in den Bereichen Kooperation, Kommunikation und Rollenaufteilung innerhalb einer Gruppe.
Künstliche Anlagen
Als wohl bekanntestes Medium dieses Aktionsfeldes kann das Klettern in einem Hochseilgarten angesehen werden.
Das erlebnispädagogische Klettern hat hierbei einen ganzheitlichen Charakter und fördert verschiedene motorische Grundfähigkeiten seiner Teilnehmer.
Zu den durch das Klettern aktivierten motorischen Fähigkeiten gehören u.a. der Gleichgewichtssinn, die Körperkraft, die Ausdauer, der Orientierungssinn und die Beweglichkeit.
Alle angeführten Fähigkeiten finden nur selten ihre Anwendung im Alltag von psychisch oder physisch beeinträchtigten Menschen und stellen somit ein für die Klientel wichtigen Themenbereich dar.
(vgl. Boecker 2004: S. 119f.)
Als Beispiel für eine praktische Anwendung dieses Aktionsfeldes soll in diesem Verbund der Hochseilgarten des Wildwalds Vosswinkel genannt werden.
In mehreren, auf verschiedene Zielgruppen abgestimmten Angeboten (bspw. Hoch hinaus- Schulklassen) kann hier die Erlebnispädagogik erlebt werden.
(Wildwald Vosswinkel 2020)
Selbsterfahrung und Therapie
In diesem Verbund soll exemplarisch die tiergestützte Erlebnispädagogik mit Pferden angeführt werden.
Unter zur Hilfenahme von Tieren als Medium können hier erlebnispädagogische Szenarien konstruiert werden, die einen viel versprechenden Heilungsprozess zur Folge haben können:
„Motorische sowie hyperkinetische Störungsbilder, körperliche Haltungsschäden oder aggressive Verhaltensweisen lassen sich durch die gezielte Arbeit mit Pferden verbessern.“
(Paffrath 2017: S. 128)
2.4 Effektives Lernen; zwischen der Komfort- und der Panikzone
Nach dem aktuellen Kenntnisstand der Lernpsychologie ist ein möglicher Lernzuwachs des Menschen nur geringfügig, solange sich dieser in seiner eigenen Komfortzone bewegt.
In dieser beruht das Handeln des Individuums auf bereits Bekanntem und ist von Sicherheit, Bequemlichkeit und Geborgenheit gekennzeichnet, wie die nachfolgende Grafik zeigt.
Ein Lernzuwachs kann deshalb nur in geringem Maße erzielt werden, da sich das Handeln hier auf bereits bekannten Mustern stützt.
Als Divergenz zur Komfortzone ist die Panikzone anzusehen. In dieser handelt unser Nervensystem in meist unerwarteten und bedrohlichen Handlungssituationen mit einer instinktiven Abwehrreaktion. Dies kann sich in einem Fluchtverhalten, oder in einer aggressiven Reaktion des Individuums äußern.
Ähnlich wie in der Komfortzone ist ein möglicher Lernzuwachs in der Panikzone
nur geringfügig, oder bleibt gänzlich aus.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: 3-Zonen-Modell (Kinne 2017, S.4)
Um der Klientel einen größtmöglichen Lernzuwachs zu ermöglichen, kreiert die Erlebnispädagogik handlungsbezogene Lernszenarien, die sich zwischen der Komfort- und Panikzone bewegen; Sie arbeitet innerhalb der sogenannten Wachstumszone als Grenzerfahrung (vgl. Kriterium 3., S. 7).
Erst wenn sich das Individuum aus der Sicherheit der Komfortzone begibt und sich mit der Unsicherheit und Herausforderung der Wachstumszone konfrontiert, kann es neue Erkenntnisse und Einsichten aus der Handlungssituation erlangen.
Die in der Wachstumszone gesammelten Erfahrungen und Einsichten führen weiterhin dazu, dass sich die Komfortzone des Individuums, durch die herbeigeführte Grenzüberschreitung erweitert.
Somit kommt es zu einer Erweiterung des Wissenstandes durch einen Lernzuwachs, der die Komfortzone vergrößert.
(vgl. Paffrath 2017: S.59 ff.)
Die Wachstumszone wird im englischsprachigen Raum auch als Stretch Zone bezeichnet, was dem Hintergedanken einer Dehnung (to stretch) der Komfortzone durch die Wachstumszone zur Grunde liegt.
(vgl. Hildmann 2018: S.66)
Hierbei ist es ebenfalls essentiell, dass die erlebnispädagogische Maßnahme die Grenze zur Panikzone nicht überschreitet und so einen Lernzuwachs negiert.
Der Transfer/ erlebnispädagogisches Grundverständnis
„Wir sprechen erst dann von Erlebnispädagogik, wenn nachhaltig versucht wird, die Erlebnisse durch Reflexion und Transfer pädagogisch nutzbar zu machen.“
(Michl 2020: S.13)
Hiermit benennt Michl das 6. Kriterium der oben angeführten (vgl. Kriterium 6., S. 8)
Der Prozess dieser Transferleistung kann hierbei gut mit der sogenannten
E-Kette veranschaulicht werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Die E-Kette (Paffrath 2017, S. 54)
Wie aus der oben angeführten Abbildung ersichtlich wird, steht zu Beginn des Transferprozesses ein Ereignis.
Ereignisse, wie beispielsweise ein erlebnispädagogisches Klettern, oder eine Mountainbiketour werden vom Erlebnispädagogen zur Verfügung gestellt und von den einzelnen Teilnehmern zu einem Erlebnis verarbeitet.
Hierbei führen verschiedene Faktoren wie das Alter, die Biografie und die Gemütslage der Teilnehmer zu individuellen Erlebnissen.
In einem vom Erlebnispädagogen intendierten Reflexionsprozess können aus diesen Erlebnissen nachhaltige Erfahrungen gebildet werden, die wiederum in einer Erkenntnis/als neues Wissen in den Alltag der Teilnehmer übernommen werden.
(vgl. Paffrath 2017: S.54 f.)
Weiterhin ist ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen dem Ereignis einer Erlebnispädagogischen Aktivität und der Reflexion für einen effektiven Alltagstransfer von essentieller Bedeutung, wie die nachfolgende Abbildung der Erlebnispädagogische Waage ersichtlich macht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Waage der Erlebnispädagogik (Michl 2020, S. 10)
Findet in einer Erlebnispädagogischen Maßnahme lediglich ein Ereignis, ohne Reflexion des hieraus entstehenden Erlebnisses statt, so senkt sich die Waagschale des Ereignisses nach unten und wir befinden uns nicht mehr in einem erlebnispädagogischen Szenario, sondern in dem Themenbereich der Freizeitpädagogik.
Zwar gibt es in diesem Verbund, mit dem, in den 60 Jahren konzipierten erlebnispädagogischen Modell the mountains speak for themselves, das auf eine ähnliche Art und Weise fungiert, aber auch schnell auf Grund dessen in Kritik geriet.
Würde auf der anderen Seite ein zu großer Fokus auf der Reflexion der Erlebnisse liegen, so würde sich die Erlebnispädagogische Waage nach rechts senken und man befinde sich ebenfalls nicht mehr im Bereich der Erlebnispädagogik, sondern in der Selbsterfahrung.
[...]
- Quote paper
- Anonymous,, 2022, Erlebnispädagogische Maßnahmen in der Eingliederungshilfe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1192133
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