Die vorliegende Arbeit trägt dazu bei, bisher noch begrenzte Erkenntnisse über Zusammenhänge zwischen Resilienz, freiwilligem Arbeitsengagement und organisationaler Bindung zu ergänzen sowie theoretische Modelle zur Erklärung der Entstehung von Arbeitsengagement zu erweitern. Ausgehend von den Ergebnissen liefert die Arbeit praktische Implikationen hinsichtlich der Gestaltung des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der Personalauswahl sowie -entwicklung und gibt einen Ausblick für zukünftige Forschung. Die quantitative Untersuchung wurde in Form einer Querschnittsstudie an einer Stichprobe von in Deutschland beschäftigten Personen (n = 211) durchgeführt.
In einer sich rasant und kontinuierlich verändernden Arbeitswelt ist die Resilienz von Beschäftigten eine bedeutsame Ressource. Der starke wirtschaftliche Wettbewerb um Absatz und Fachkräfte determiniert zudem das Engagement und die Bindung von Beschäftigten zu fundamentalen organisationalen Erfolgsgrößen.
Schlüsselwörter: Resilienz, Arbeitsengagement, Freiwilliges Arbeitsengagement, Organisationale Bindung, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Job Demands-Resources-Modell
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung und Forschungsfragen
1.2 Relevanz für Wissenschaft und Praxis
1.3 Gliederung der Arbeit
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Resilienz
2.1.1 Begriffsbestimmung
2.1.2 Risiko- und Schutzfaktoren
2.1.3 Resilienz im Arbeitskontext
2.1.4 Diskurs in der Wissenschaft
2.2 Freiwilliges Arbeitsengagement
2.2.1 Begriffsbestimmung
2.2.2 Dimensionen
2.2.3 Potenzielle Konsequenzen
2.2.4 Diskurs in der Wissenschaft
2.3 Organisationale Bindung
2.3.1 Begriffsbestimmung
2.3.2 Komponenten
2.3.3 Potenzielle Konsequenzen
2.3.4 Diskurs in der Wissenschaft
2.4 Job Demands-Resources-Modell
3 Forschungsstand und Ableitung der Forschungshypothesen
3.1 Resilienz und Freiwilliges Arbeitsengagement sowie Organisationale Bindung
3.2 Organisationale Bindung und Freiwilliges Arbeitsengagement
3.3 Resilienz und Freiwilliges Arbeitsengagement mit Organisationaler Bindung als Mediator
3.4 Ableitung der Forschungshypothesen
4 Methodisches Vorgehen
4.1 Stichprobe
4.2 Ethische Überlegungen
4.3 Untersuchungsdesign
4.4 Messinstrumente
4.4.1 Skala zur Resilienz
4.4.2 Skala zum Freiwilligen Arbeitsengagement
4.4.3 Skala zur Organisationalen Bindung
4.4.4 Soziodemografische Items
4.5 Untersuchungsdurchführung
4.6 Datenaufbereitung und statistische Verfahren
5 Untersuchungsergebnisse
5.1 Deskriptivstatistische Datenanalyse
5.2 Inferenzstatistische Datenanalyse
5.3 Explorative Datenanalyse
6 Diskussion
6.1 Zusammenfassung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse
6.2 Limitationen und zukünftige Forschung
6.3 Implikationen für Wissenschaft und Praxis
6.4 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Abstract
In einer sich rasant und kontinuierlich verändernden Arbeitswelt ist die Resilienz von Beschäftigten eine bedeutsame Ressource. Der starke wirtschaftliche Wettbewerb um Absatz und Fachkräfte determiniert zudem das Engagement und die Bindung von Beschäftigten zu fundamentalen organisationalen Erfolgsgrößen. Die vorliegende Arbeit trägt dazu bei, bisher noch begrenzte Erkenntnisse über Zusammenhänge zwischen Resilienz, freiwilligem Arbeitsengagement und organisationaler Bindung zu ergänzen sowie theoretische Modelle zur Erklärung der Entstehung von Arbeitsengagement zu erweitern. Ausgehend von den Ergebnissen liefert die Arbeit praktische Implikationen hinsichtlich der Gestaltung des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der Personalauswahl sowie -entwicklung und gibt einen Ausblick für zukünftige Forschung. Die quantitative Untersuchung wurde in Form einer Querschnittsstudie an einer Stichprobe von in Deutschland beschäftigten Personen (n = 211) durchgeführt. Die Ergebnisse der (Partial-)Korrelations- sowie Regressionsanalysen zeigen, dass die Resilienz von Beschäftigen (β =0.45, p ≤ .001) sowie deren organisationale Bindung (β = 0.17, p = .004) signifikante Prädiktoren für freiwilliges Arbeitsengagement sind. Darüber hinaus besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der Resilienz von Beschäftigten und deren affektiver Bindung (rs = .21, p ≤ .001) sowie ein negativer Zusammenhang zur kalkulatorischen Bindung (rs = -.15, p = .014). Diese Ergebnisse erweitern vorhandene theoretische Modelle zur Erklärung der Entstehung von Arbeitsengagement wie das Job Demands-Resources-Modell durch die Darstellung von Resilienz und organisationaler Bindung als Arbeitsressourcen. Zur Bestätigung von Kausalitäten sind weiterführende experimentelle Untersuchungen erforderlich. Die ermittelten Effekte weichen partiell von Forschungsergebnissen anderer Kulturkreise ab. Für weiterführende Studien scheint daher auch eine kulturspezifische Erforschung der inhaltlichen Auffassung sowie Bedeutung der Konstrukte anhand eines qualitativen Untersuchungsdesigns sinnvoll.
Schlüsselwörter: Resilienz, Arbeitsengagement, Freiwilliges Arbeitsengagement, Organisationale Bindung, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Job Demands-Resources-Modell
Abstract
In a rapidly and continuously changing world of work, the resilience of employees is a significant resource. The strong economic competition for sales and skilled workers also determines the commitment and loyalty of employees to fundamental organizational performance measures. This study contributes not only to previously limited findings on relationships between resilience, organizational citizenship behavior and organizational commitment but also to extend theoretical models in which work engagement is incorporated. Based on these results, this study provides practical implications regarding the design of workplace health management as well as human resource management and provides a prospect for future research. The quantitative investigation was conducted in the form of a cross-sectional study on a sample of persons employed in Germany (n = 211). The results of the (partial) correlation as well as regression analyses reveal that employees' resilience (β = 0.45, p ≤ .001) as well as their organizational commitment (β =0.17, p = .004) are significant predictors of organizational citizenship behavior. In addition to this, a positive relationship between employee resilience and their affective commitment (rs = .21, p ≤ .001) as well as a negative relationship with calculative commitment (rs = -.15, p = .014) are existent. These findings enhance existing theoretical models explaining the emergence of work engagement, such as the Job Demands-Resources model, by representing resilience and organizational commitment as work resources. Further experimental studies are required to confirm causalities. The effects identified deviate partially from research findings in other cultural settings. For further studies, a culture-specific exploration of the content and meaning of the constructs based on a qualitative research design appears to be useful.
Keywords: resilience, work engagement, organizational citizenship behavior, organizational commitment, occupational health management, job demands-resources model.
Abkürzungsverzeichnis
BAuA Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
COBB Commitment, Organisation, Beruf und Beschäftigungsform
FELA-S Fragebogen zur Erfassung des leistungsbezogenen Arbeitsverhaltens
JD-R Modell Job Demands-Resources-Modell
OCB-I Auf Individuen gerichtetes freiwilliges Arbeitsengagement
OCB-O Auf die Organisation gerichtetes freiwilliges Arbeitsengagement
POB Positives Organisationsverhalten (Positive Organizational Behavior)
POS Positive Organisationslehre (Positive Organizational Scholarship)
PsyCap Psychologisches Kapital (Psychological Capital)
RMSEA Root Mean Square Error of Approximation
RS-13 Resilienzskala mit 13 Items
RS-25 Resilienzskala mit 25 Items
X Prädiktorvariable oder Unabhängige Variable
Y Kriteriumsvariable oder Abhängige Variable
Z Mediatorvariable
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Interaktionales Risiko-Schutzfaktorenmodell (eigene Darstellung nach Di Bella, 2014, S.95)
Abbildung 2 Bestandteile der Konzepte POB und PsyCap (eigene Darstellung)
Abbildung 3 Konzeptualisierung des Konstruktes Freiwilliges Arbeitsengagement (eigene Darstellung)
Abbildung 4 JD-R Modell (eigene Darstellung nach Bakker & Demerouti, 2007, S. 313)
Abbildung 5 Beispielhaftes Untersuchungsdesign bisheriger Korrelationsstudien zwischen organisationaler Bindung und freiwilligem Arbeitsengagement (eigene Darstellung nach Huang und You, 2011, S.11338)
Abbildung 6 Untersuchungsmodell der Haupthypothesen 1 bis 3 sowie Nebenhypothesen (eigene Darstellung)
Abbildung 7 Untersuchungsmodell der Haupthypothese 4 (eigene Darstellung)
Abbildung 8 Veranschaulichung der Untersuchungsdurchführung (eigene Darstellung)
Abbildung 9 Darstellung der Zusammenhänge zwischen den hypothesenrelevanten Variablen anhand von Streudiagrammen
Abbildung 10 Darstellung der Zusammenhänge zwischen der Variable Resilienz und den Variablen Affektive, Kalkulatorische und Normative Bindung anhand von Streudiagrammen
Abbildung 11 Darstellung der Ergebnisse der inferenzstatistischen Datenanalyse für die Haupthypothesen 1 bis 3 sowie die Nebenhypothesen (eigene Darstellung)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Resilienzfaktoren (eigene Darstellung nach Reivich und Shatté, 2002)
Tabelle 2 Absolute (n) und relative (%) Häufigkeiten des Bildungsstandes innerhalb der Stichprobe
Tabelle 3 Absolute (n) und relative (%) Häufigkeiten der Betriebszugehörigkeit innerhalb der Stichprobe
Tabelle 4 Mittelwerte und Standardabweichungen der hypothesenrelevanten Variablen (getrennte Angaben nach Geschlecht)
Tabelle 5 Ergebnisse des Shapiro-Wilk-Tests auf Normalverteilung der hypothesenrelevanten Variablen
Tabelle 6 Ergebnisse der Korrelations- und Partialkorrelationsanalyse nach Spearman
Tabelle 7 Regressionsanalyse für die Vorhersage des Freiwilligen Arbeitsengagements
Tabelle 8 Multiple lineare Regression zur Vorhersage des Freiwilligen Arbeitsengagements durch die Prädiktorvariable Resilienz und die Moderatorvariablen Alter (Modell 1), Betriebszugehörigkeit (Modell 2) und Beschäftigungsumfang (Modell 3)
Tabelle 9 Multiple lineare Regression zur Vorhersage des Freiwilligen Arbeitsengagements durch die Prädiktorvariable Organisationale Bindung und die Moderatorvariablen Alter (Modell 1), Betriebszugehörigkeit (Modell 2) und Beschäftigungsumfang (Modell 3)
Die Thesis hat einen Umfang von 17.339 Wörtern.
Grundlage ist der Leitfaden zum wissenschaftlichen Arbeiten in der Wirtschaftspsychologie in der Version 1.2 vom 01.08.2021.
1 Einleitung
Das moderne Arbeitsleben ist von starkem Wandel und Schnelllebigkeit geprägt. Digitalisierung, New Work und der Umgang innerhalb der VUKA-Welt bilden die Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt (Praeg & Bauer, 2017; Soucek et al., 2018). Die sich hierdurch kontinuierlich verändernden Arbeitsanforderungen wirken sich auf Beschäftigtenebene dabei oftmals weniger physisch, sondern vielmehr psychisch aus (Patzelt, 2015). So zeigen beispielsweise Studien zur ständigen Erreichbarkeit als neue Arbeitsanforderung, dass selbst kurzfristige Unterbrechungen von Ruhezeiten die Erholungsqualität von Beschäftigten deutlich reduzieren können (Barber & Jenkins, 2014; Derks & Bakker, 2014). Im Kontext der sich verändernden Arbeitsanforderungen gewinnt die individuelle Widerstandskraft gegenüber Belastungen damit für Beschäftigte zunehmend an Bedeutung. In der Psychologie wird diese unter dem Resilienzbegriff beschrieben (Gabriel, 2005).
Der von Megatrends getriebene Wandel des Arbeitsumfeldes wirkt sich jedoch auch auf Organisationsebene aus. So müssen Organisationen ihre Marktposition in einem oftmals turbulenten und unvorhersehbaren Umfeld des zunehmenden Wettbewerbs um Absatz und Fachkräfte halten bzw. verbessern. Die Sicherung des Organisationserfolges und damit einhergehend der Wettbewerbsfähigkeit erfordert dabei die Aufrechterhaltung der Gesundheit von Beschäftigten, um Krankheits- und somit Produktionsausfälle zu senken. Da festzustellen ist, dass resiliente Beschäftigte organisationale Veränderungsprozesse nicht nur gesünder bewältigen, sondern auch aktiver mitgestalten als nicht resiliente Beschäftigte (Rolfe, 2019), nimmt die Resilienz von Beschäftigten damit auch für Organisationen eine wichtige Rolle ein. Als weitere bedeutsame Einflussfaktoren für die Sicherstellung des Organisationserfolges gelten die Bindung qualifizierten Personals sowie ein hohes Maß an individuellem Arbeitsengagement, da diese mit positiven Konsequenzen für die Organisation wie z.B. der Steigerung der Gesamtproduktivität verbunden sind (Rich et al., 2010).
1.1 Problemstellung und Forschungsfragen
Ursprünglich in der Pädagogik und Entwicklungspsychologie ansässig, ist die Resilienzforschung erst vor einiger Zeit in die Arbeits- und Organisationspsychologie eingezogen. Die Erkenntnisse hinsichtlich der Bedeutung von Resilienz im Arbeitskontext sind daher noch begrenzt (Paul & Garg, 2014). Regelmäßig durchgeführte Studien zum Wohlbefinden von Beschäftigten wie z.B. Reports der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) verdeutlichen jedoch durch das Aufzeigen vielzähliger, differenter Arbeitsanforderungen die zunehmende Komplexität der Arbeitswelt und damit den Bedarf einer umfassenden Betrachtung der Resilienz von Beschäftigten. Da sich die bisherige arbeitsbezogene Resilienzforschung überwiegend auf die Beschäftigtenebene bezog, sind die begünstigenden Faktoren sowie die positiven Auswirkungen von Resilienz auf die Gesundheit und Zufriedenheit von Beschäftigten bereits gut erforscht (Siegrist, 2010). Die Schätzung des für das Jahr 2019 durch Arbeitsunfähigkeit entstandenen Verlustes an Bruttowertschätzung in Höhe von 149 Milliarden Euro (BAuA, 2021) verdeutlicht jedoch die Erforderlichkeit, die Resilienz von Beschäftigten auch in der Verbindung zu organisationalen Größen zu erforschen.
Bereits durchgeführte Studien bestätigen positive Verbindungen zwischen der Resilienz von Beschäftigten und deren aufgabenbezogener Leistung sowie Engagement. Die Ergebnisse legen nahe, dass auch zu dem freiwilligen Arbeitsengagement von Beschäftigten eine positive Verbindung bestehen könnte. Dieses hat sich in der, die berufliche Leistung von Beschäftigten betreffenden, arbeits- und organisationspsychologischen Forschung neben der aufgabenbezogenen Leistung als bedeutendes Kriterium für den Organisationserfolg etabliert (Wesche & Muck, 2010). Vor dem Hintergrund des seit Jahren zunehmenden Fachkräftemangels ist für Organisationen zudem die Verbindung zwischen der Resilienz von Beschäftigten und ihrer organisationaler Bindung von besonderem Interesse. Die seit dem Jahr 2001 jährlich durchgeführte Erhebung „Engagement Index“ des Marktforschungsunternehmens Gallup bekräftigt zudem, dass auch die Erforschung des gemeinsamen Zusammenwirkens von Resilienz, freiwilligem Arbeitsengagement und organisationaler Bindung eine hohe Relevanz für die Arbeitswelt aufweist. Der Gallup-Engagement-Index gibt an, in welchen Maß Beschäftigte in Deutschland emotional an ihre Organisation gebunden sind und wie das Arbeitsengagement sowie die Fehlzeiten ausgeprägt sind. Der im Jahr 2021 veröffentlichte Gallup-Engagement-Index gibt an, dass lediglich 17 % der befragten Beschäftigten eine starke, hingegen 68 % eine mäßige und 15 % keine Bindung an ihre Organisation fühlen (n = 1000). Während Beschäftigte mit starker Bindung im Jahresdurchschnitt 5.2 Tage fehlten, lag die Fehlzeit von Beschäftigten mit keiner Bindung hingegen bei 7.1 Tagen. Von dem Gefühl ausgebrannt zu sein klagen 26 % der stark gebundenen Beschäftigten, bei nichtgebundenen Beschäftigten sind hingegen 50 % betroffen.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist die empirische Untersuchung der Verbindungen zwischen der Resilienz von Beschäftigten und deren freiwilligem Arbeitsengagement sowie organisationaler Bindung. Vergangene Studien, die sich der Erforschung dieser Verbindung widmeten und positive Zusammenhänge bestätigen, wurden überwiegend in nichteuropäischen Ländern durchgeführt. Eine Studie von Paul et al. (2016) lässt zudem erstmals auch auf ein Zusammenwirken der drei Konstrukte schließen. Die Autorenschaft bestätigt im indischen Arbeitskontext einen partiellen Mediationseffekt der organisationalen Bindung im Zusammenhang zwischen Resilienz und freiwilligem Arbeitsengagement. Hofstede (2001) merkt an, dass sich die westliche Kultur wesentlich von anderen Kulturen wie z.B. der indischen unterscheidet. Die vorliegende Arbeit evaluiert daher, ob die Ergebnisse bisheriger Studien im deutschen Arbeitskontext repliziert werden können. Die Forschungsfragen der Arbeit lauten:
Inwiefern besteht im deutschen Arbeitskontext ein positiver Zusammenhang zwischen der Resilienz von Beschäftigten und ihrem freiwilligen Arbeitsengagement? Welche Rolle nimmt die organisationale Bindung von Beschäftigten in diesem Zusammenhang ein?
1.2 Relevanz für Wissenschaft und Praxis
Bisher existieren erst wenige Studien, die mögliche Zusammenhänge zwischen der Resilienz von Beschäftigten und deren freiwilligem Arbeitsengagement sowie organisationaler Bindung untersuchen. Über moderierende oder mediierende Faktoren innerhalb der Verbindung von Resilienz und freiwilligem Arbeitsengagement ist wenig bekannt. Die vorliegende Arbeit ergänzt daher die noch begrenzten Erkenntnisse innerhalb der arbeitsbezogenen Resilienzforschung und bietet zudem bedeutende Fortschritte für die Forschung zu freiwilligem Arbeitsengagement. Hierbei liegt der Fokus explizit auf dem deutschen Arbeitskontext, wodurch die Forschungsergebnisse keine Einschränkung hinsichtlich kultureller Unterschiede im Arbeitskontext erfahren. Darüber hinaus trägt die empirische Untersuchung dazu bei, vorhandene theoretische Modelle, die zur Erklärung der Entstehung von Arbeitsengagement von Beschäftigten herangezogen werden, zu erweitern.
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit geben Hinweise darauf, ob die Resilienz von Beschäftigten sowie deren organisationale Bindung in einer Arbeitswelt mit zunehmender Komplexität als Schlüsselfaktoren für die erfolgreiche Bewältigung der zunehmenden Arbeitsanforderungen sowie hohes freiwilliges Arbeitsengagement gelten. Damit bietet die vorliegende Arbeit für Organisationen eine Orientierung hinsichtlich strategischer Entscheidungen zur Sicherstellung des langfristigen Organisationserfolges sowie der organisationalen Widerstands- und Zukunftsfähigkeit. Diese betreffen einerseits die Integration von resilienz- sowie bindungsfördernden Maßnahmen in der Gestaltung des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der Personalentwicklung für bestehende Beschäftigte sowie andererseits die Integration einer gut ausgeprägten Resilienz als vorausgesetztes oder gewünschtes Attribut in der Personalauswahl.
1.3 Gliederung der Arbeit
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in einen einleitenden theoretischen (Kap. 2 und 3), einen empirischen (Kap. 4 und 5) und einen abschließenden, diskursiven Teil (Kap.6). Zur Einleitung in das Forschungsfeld werden in Kapitel2 zunächst die theoretischen Hintergründe der für die Beantwortung der Forschungsfragen relevanten Konstrukte Resilienz, Freiwilliges Arbeitsengagement und Organisationale Bindung dargelegt. Anschließend erfolgt in Kapitel3 die Erläuterung des derzeitigen Forschungsstandes zum Zusammenhang der Konstrukte sowie die Ableitung der Forschungshypothesen. In Kapitel4 wird die methodische Planung und Durchführung der Datenerhebung sowie -auswertung beschrieben. Kapitel5 fasst die Forschungsergebnisse zusammen und stellt diese unterschieden nach deskriptiven, inferenzstatistischen und explorativen Ergebnissen dar. Die Arbeit schließt mit der Interpretation der Ergebnisse, einer kritischen Würdigung dieser sowie dem Aufzeigen weiteren Forschungsbedarfes in Kapitel6 ab.
2 Theoretischer Hintergrund
Nachdem einleitend die Forschungsfragen sowie die wissenschaftliche und praktische Relevanz der vorliegenden Arbeit dargelegt wurden, zielt dieses Kapitel durch den Aufbau eines umfassenden Wissensrepertoires darauf ab, zum Verständnis des weiteren Forschungsverlaufes und der abgeleiteten Forschungshypothesen beizutragen. Hierzu werden zunächst die hypothesenrelevanten Konstrukte Resilienz (Kap.2.1), Freiwilliges Arbeitsengagement (Kap.2.2) und Organisationale Bindung erläutert (Kap.2.3) und abschließend das heuristische Job Demands-Resources-Modell dargestellt (Kap. 2.4).
2.1 Resilienz
Die theoretische Einordnung des Konstruktes Resilienz beginnt mit einer Begriffsbestimmung, innerhalb der auch die Resilienzfaktoren aufgeführt werden (Kap.2.1.1). Darauffolgend wird die Bedeutung von Risiko- und Schutzfaktoren in der Resilienzentwicklung aufgegriffen (Kap.2.1.2) sowie die Einordnung von Resilienz im Arbeitskontext vorgenommen (Kap.2.1.3). Abschließend wird der vorhandene wissenschaftliche Diskurs des Konstruktes Resilienz aufgeführt (Kap. 2.1.4).
2.1.1 Begriffsbestimmung
Der Terminus Resilienz stammt ursprünglich aus der Naturwissenschaft. Dort beschreibt Resilienz in der Physik die Widerstandsfähigkeit, Elastizität und Spannkraft eines Körpers (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2019). Die Wortherkunft liegt im lateinischen Wort resilere, das im Deutschen mit ab- oder zurückprallen übersetzt werden kann. In der Psychologie beschreibt das Konstrukt Resilienz allgemein die menschliche Widerstandsfähigkeit gegenüber belastenden Ereignissen (Gabriel, 2005). Resilienz stellt damit ein positives Konzept gegenüber des Konstruktes Vulnerabilität1 dar und ist Gegenstand der Positiven Psychologie, die Rolfe (2019) „als wissenschaftliche Forschung und Anwendung zur Stärkung der optimalen menschlichen Leistungsfähigkeit“ (S.17) definiert. Über diese konzeptionelle Einordnung hinaus, wird der Resilienzbegriff jedoch über die verschiedenen Disziplinen der Psychologie hinweg mit differenten definitorischen Rahmenparametern belegt. Nach Luthans (2002) ist Resilienz die psychologische Fähigkeit, sich einerseits von negativen Lebensereignissen wie Scheitern oder Traumata, aber andererseits auch von herausfordernden, positiven Lebensereignissen zu erholen. Bonanno (2004) hingegen beschreibt Resilienz als Fähigkeit, die es ermöglicht aus Krisen mit einer Leistungssteigerung hervorzugehen.
In der wissenschaftlichen Literatur wird Resilienz als stabiles Persönlichkeitsmerkmal (Kalisch et al., 2017; Schumacher et al., 2005; Terrill et al., 2019), Anpassungsprozess (Liu et al., 2017) oder Anpassungsergebnis (Fletcher & Sarkar, 2013) klassifiziert. Die Einordnung als stabiles Persönlichkeitsmerkmal (trait) postuliert, dass resiliente Individuen aus sich selbst heraus widerstandsfähig sind. Gegenwärtige Strömungen bilden jedoch weitestgehend den Konsens, dass Resilienz kein reines Persönlichkeitsmerkmal ist, sondern aufgrund vorhandener situativ-veränderlicher Bestandteile durch Interventionen gezielt verändert werden kann (King et al., 2016). So ist Resilienz nach Wurstmann (2011) als „multidimensionales, kontextabhängiges und prozessorientiertes Phänomen zu betrachten, das auf einer Vielzahl interagierender Faktoren beruht“ (S.32). Dabei beschreibt Wurstmann auch differente Charakteristika, die bei der Betrachtung von Resilienz als Anpassungsprozess zu beachten sind. So ist die Fähigkeit zur Resilienz nicht angeboren, sondern entwickelt sich in einem dynamischen Interaktionsprozess innerhalb von Individuen sowie zwischen Individuen und ihrer Umwelt. Hierbei ist für die Resilienzentwicklung das aktive Einwirken eines Individuums auf die Umwelt entscheidend. In Abhängigkeit zu vorhandenen Erlebnissen und Erfahrungen zeigt sich Resilienz zudem nicht in allen Lebensbereichen gleichermaßen und kann als variable Größe auch zeit- und situationsabhängig variieren.
Resilienzfaktoren
In der wissenschaftlichen Literatur werden wie beschrieben differente Ansätze zur individuellen Resilienz aufgeführt. Über die Bestandteile von Resilienz, die sogenannten Resilienzfaktoren (auch Resilienzdimensionen oder -säulen), besteht jedoch weitgehend wissenschaftlicher Konsens. So basieren die Arbeiten vieler Forschenden auf den sieben Resilienzfaktoren nach Reivich und Shatté (2002), die in Tabelle1 aufgeführt sind. Bei den ersten vier Resilienzfaktoren handelt es sich um Fähigkeiten. Die darauffolgenden drei Resilienzfaktoren beschreiben die Haltungen eines Individuums, die durch Erlebnisse und Erfahrungen beeinflusst werden und das Verhalten steuern. Sowohl die Fähigkeiten von Individuen als auch deren Haltungen gelten dabei aufgrund der Neuroplastizität als entwickel- bzw. veränderbar.
Tabelle 1 Resilienzfaktoren (eigene Darstellung nach Reivich und Shatté, 2002)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.2 Risiko- und Schutzfaktoren
Basierend auf der Annahme, dass sich Resilienz in einem Interaktionsprozess entwickelt, hat die wissenschaftliche Forschung in den vergangenen Jahrzehnten differente Risiko- und Schutzfaktoren für die Entstehung individueller Resilienz identifiziert, die entweder internal oder external begründet sind. Die zentrale Erhebung dieser Faktoren geht dabei auf Studien von Werner, z.B. aus den Jahren 1989 und 2004 zurück. Während die traditionelle Entwicklungspsychologie die Risikofaktoren für Individuen fokussiert, erfolgt mit der Resilienzforschung ein Paradigmenwechsel. Analog zum Modell der Salutogenese, das eine gesundheitsorientiere Methodik postuliert und sich damit vom krankheitszentrierten Modell der Pathogenese abwendet, fokussiert sich die Resilienzforschung primär auf Schutzfaktoren und ihre Wirkung im Individuum.
Als Risikofaktoren werden alle Faktoren aufgefasst, die die Vulnerabilität eines Individuums erhöhen und somit die Resilienz mindern. So definieren Holtmann und Schmidt (2004) Risikofaktoren als krankheitsbegünstigende, entwicklungshemmende und risikoerhöhende Merkmale, die eine gesunde Entwicklung von Individuen potenziell gefährden können. Risikofaktoren erzeugen demnach bei Individuen Belastungen und begünstigen eine Maladaption. Die global am häufigsten vorkommenden externalen Risikofaktoren sind Armut, mangelnde soziale Unterstützung sowie ein niedriger sozioökonomischer Status (Wadsworth et al., 2018). Aber auch das Erleben von Gewalt und Missbrauch innerhalb der Familie oder ein chronisch disharmonisches Familienklima gelten als externale Risikofaktoren (Thun-Hohenstein et al., 2020).
Den Risikofaktoren gegenüber stehen Schutzfaktoren, die resilienzbildend wirken und zu einer Adaption oder Bewältigung einer Situation führen (Werner, 2004). Sie können zudem die Risikofaktoren eines Individuums mildern, sodass sie auch als protektive, entwicklungsfördernde und risikomindernde Faktoren definiert werden (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2019). Schutzfaktoren dienen Individuen demnach als Ressourcen. Zu den internalen Schutzfaktoren zählen nach Rolfe (2019) z.B. Eigenständigkeit, Ausgeglichenheit, hohes Durchhaltevermögen sowie effektives Stressmanagement. Als externale Schutzfaktoren führt Rolfe (2019) z.B. soziale Partizipation, ein konstruktives, bestärkendes und wertschätzendes Arbeitsumfeld sowie positive Beziehungen zu nahestehenden, einfühlenden Bezugspersonen an. In der Psychologie gilt die positive Beziehung zu nahestehenden Bezugspersonen dabei als der bedeutsamste Schutzfaktor für die Entwicklung individueller Resilienz (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2019).
Schutzfaktoren bewirken jedoch keine Resistenz gegenüber Risikofaktoren. Sie vermindern vielmehr die Wahrscheinlichkeit, dass ein negatives Bewältigungsergebnis auftritt (Bengel & Lyssenko, 2012). Es bedarf also zunächst der Existenz einer Gefährdungssituation, damit Schutzfaktoren wirksam werden (Rutter, 1999). Je mehr Schutzfaktoren bei einem Individuum vorhanden sind, umso stärker ist die protektive Wirkung in einer Gefährdungssituation. Dennoch können sich Risiko- und Schutzfaktoren nicht gegenseitig ausgleichen, indem sie miteinander verrechnet werden. Stattdessen ist die jeweilige Betrachtung der konkreten Gefährdungssituation erforderlich, um mögliche Auswirkungen einzelner Faktoren sowie deren Qualität beurteilen zu können (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2019). Abbildung1 stellt das beschriebene interaktionale Risiko-Schutzfaktorenmodell dar.
Abbildung 1 Interaktionales Risiko-Schutzfaktorenmodell (eigene Darstellung nach Di Bella, 2014, S. 95)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.3 Resilienz im Arbeitskontext
Von der Positiven Psychologie inspiriert, widmeten sich Organisationsforschende ab dem Jahr 2000 vermehrt Elementen, die Organisationen insbesondere auch in Krisenzeiten stärken. Diese Bestrebungen werden unter dem Terminus der Positiven Organisationslehre (engl.: positive organizational scholarship [POS]) zusammengefasst. Nach Cameron und Caza (2004) umfasst diese Wissenschaft das Positive, Aufblühende und Lebensspendende in Organisationen, das zu Vitalität und herausragenden individuellen sowie organisationalen Leistungen beiträgt. Hierbei fokussiert die Positive Organisationsforschung insbesondere auf die Mikroebene, das heißt die Beschäftigten einer Organisation. Die aus dieser Wissenschaft resultierenden Konzepte des Positiven Organisationsverhaltens (engl.: positive organizational behavior [POB]) sowie des Psychologischen Kapitals (engl.: psychological capital [PsyCap]) beinhalten dabei unter anderem die Komponente der Resilienz. Die Bestandteile des POB sowie PsyCap sind in Abbildung 2 dargestellt. Neben der Berücksichtigung in diesen Konzepten wird Resilienz in der Arbeits- und Organisationspsychologie auch als alleinstehendes Konstrukt abgebildet.
Seit dem Einzug in die Arbeits- und Organisationspsychologie hat das Konstrukt Resilienz zunehmend an Forschungsinteresse gewonnen, da Beschäftigte in einem sich wandelnden Umfeld mit diversen Veränderungen und Widrigkeiten konfrontiert sind. So konnte die Forschung bereits einige Erkenntnisse zur Bedeutung der Resilienz im Arbeitsleben liefern. Dabei widmeten sich Forschende primär den Bedingungen von Resilienz im organisationalen Umfeld sowie den Auswirkungen auf die Gesundheit von Beschäftigten. Nach Soucek et al. (2018) unterstützen sowohl individuelle als auch organisationale Achtsamkeit resilientes Verhalten. Durch resilientes Verhalten wird wiederum die psychische Gesundheit von Beschäftigten sichergestellt. So weisen resiliente Beschäftigte weniger Stresserleben, psychosomatische Beschwerden sowie Stress- und Burnout-Symptome auf (Patzelt, 2015). Die positiven Auswirkungen von Resilienz auf die Gesundheit von Beschäftigten beeinflussen damit, z.B durch sinkende Fehlzeiten, auch organisationale Ergebnisgrößen wie die Produktivität. Die unmittelbaren Verbindungen zwischen der Resilienz von Beschäftigten und organisationalen Größen wurden hingegen erst vereinzelt untersucht, sodass die Erkenntnisse zu arbeitsbezogener Resilienz insgesamt begrenzt sind (Paul & Garg, 2014).
2.1.4 Diskurs in der Wissenschaft
In der wissenschaftlichen Literatur liegt eine weit verbreitete Kritik in der fehlenden allgemeingültigen Definition sowie Klassifizierung von Resilienz und der damit einhergehenden differenten Operationalisierung des Konstruktes (vgl. King et al., 2016; Siegrist, 2010). So postulieren einige Forschende Resilienz weiterhin als stabiles Persönlichkeitsmerkmal. Mit dieser Auffassung besteht die Gefahr der Annahme, dass Individuen, die Herausforderungen und Widrigkeiten nicht erfolgreich überwinden, nicht das persönliche Potenzial dazu haben. Dies kann zu einer Stigmatisierung der Individuen führen, die über eine schwache Resilienzausprägung verfügen (Bengel & Lyssenko, 2012). Weiterhin ist unter der Prämisse eines stabilen Persönlichkeitsmerkmals keine Resilienzförderung möglich (Luthar et al., 2000). Im Arbeitskontext wurde zudem bislang die Integration theoretischer Grundlagen vernachlässigt, die erklären, wie sich die Resilienz von Beschäftigten auf verschiedene Arbeitsergebnisse überträgt (King et al., 2016).
Darüber hinaus entwickelte sich der Resilienzbegriff in den letzten Jahren aufgrund des Übergangs in die Populärwissenschaft und Massenmedien zu einem „Modewort“. Die Vorstellung, dass Menschen trotz widrigster Umstände nicht psychisch oder physisch erkranken, sondern schwierige Lebenssituationen meistern oder sogar gestärkt aus ihnen hervorgehen können, ist verlockend. So finden sich zum Thema Resilienz inzwischen regelmäßig und in hoher Anzahl vielfältige Ratgeber, Dossiers und Fernsehbeiträge (Wickert & Meents, 2020). Bezogen auf den Arbeitskontext birgt die zunehmende gesellschaftliche Prägung des Resilienzbegriffs die Gefahr einer Verschiebung der organisationalen Verantwortung hin zum Individuum. Die gesellschaftliche Prägung propagiert, dass resiliente Individuen alles aushalten können. Dabei sind bestimmte Situationen wie z. B. wirtschaftliche Dauerkrisen auch für hochresiliente Individuen nicht veränderbar, sodass Organisationen nicht aus der Verantwortung entlassen werden können, für Beschäftigte eine gesundheits- und arbeitsförderliche Umgebung zu schaffen (Gebauer, 2017; Ottomeyer & Reddemann, 2017).
2.2 Freiwilliges Arbeitsengagement
In diesem Kapitel wird das Konstrukt Freiwilliges Arbeitsengagement erläutert. Die theoretische Einordnung beginnt mit einer Begriffsbestimmung (Kap.2.2.1). Darauffolgend werden die Dimensionen des Konstruktes erörtert (Kap2.2.2). Einen weiteren zentralen Aspekt des Kapitels bildet die Erläuterung potenzieller Konsequenzen von freiwilligem Arbeitsengagement (Kap.2.2.3). Abschließend wird der kritische Diskurs des Konstruktes Freiwilliges Arbeitsengagement aufgeführt (Kap.2.2.4).
2.2.1 Begriffsbestimmung
Das Konstrukt Freiwilliges Arbeitsengagement (engl.: Organizational Citizenship Behavior) ist in der wissenschaftlichen Literatur nicht einheitlich definiert. Dennoch wird oftmals auf die Begriffsbestimmung von Organ (1988) verwiesen, nach der freiwilliges Arbeitsengagement als Verhalten von Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz definiert ist, das nicht innerhalb eines formalen Belohnungssystems erfasst oder von diesem begünstigt wird. Freiwilliges Arbeitsengagement ist demnach nicht Inhalt des Arbeitsvertrages und folglich auch nicht sanktionierbar, wenn es von Beschäftigten nicht gezeigt wird. Freiwilliges Arbeitsengagement umfasst u.a. Verhaltensweisen wie die intrinsisch motivierte Hilfestellung für andere Beschäftigte oder die Verrichtung von unbezahlten Überstunden (Lambert, 2000). Nicht jede Arbeitsleitung, die über die Inhalte des Arbeitsvertrages hinausgeht, kann jedoch als freiwilliges Arbeitsengagement klassifiziert werden. Die aufgeführte Definition von Organ (1988) verdeutlicht, dass dieses Verhalten nur dann vorliegt, wenn den Beschäftigten organisationsseitig keine Belohnung zugesichert wurde oder diese zu erwarten ist. So ist auch die Intention des Handelns der Beschäftigten zu berücksichtigen (Organ et al., 2006). Streben Beschäftigte durch ihr Verhalten z.B. bewusst eine Gehaltserhöhung oder einen hierarchischen Aufstieg an, ist dies nicht dem freiwilligen Arbeitsengagement zuzuordnen. Die Definition von Organ (1988) umfasst weiterhin die Bedeutung von freiwilligem Arbeitsengagement für Organisationen. So wirken sich erst die aggregierten freiwilligen Verhaltensweisen mehrerer Beschäftigter positiv auf die Effektivität einer Organisation aus. Einzelne Verhaltensweisen im Sinne freiwilligen Arbeitsengagements führen i.d.R. nicht zu einer merklichen Beeinflussung der Organisationseffektivität.
Freiwilliges Arbeitsengagement wird wie auch die Konstrukte Prosocial Organizational Behavior (Brief & Motowidlo, 1986), Organisational Spontaneity (George & Brief, 1992) und Contextual Performance (Borman & Motowidlo, 1993) den Extra-Rollenverhalten-Konzepten zugeordnet. All diese Konstrukte umfassen freiwilliges oder spontanes Verhalten von Beschäftigten, das den Organisationserfolg fördert. Freiwilliges Arbeitsengagement ist dabei das am umfassendsten untersuchte und validierteste Konstrukt der Extra-Rollenverhalten-Konzepte (Hertel et al., 2000; Wenzel et al., 2017).
2.2.2 Dimensionen
Die ersten explorativen Untersuchungen zur Konzeptualisierung des Konstruktes Freiwilliges Arbeitsengagement führten Smith et al. (1983) durch. Aus halbstrukturierten Interviews mit Führungskräften wurden 16 Items zur Erfassung von freiwilligem Arbeitsengagement gewonnen, die sich den Dimensionen Hilfsbereitschaft (altruism) und Gewissenhaftigkeit (general compliance) zuordnen ließen. Während Hilfsbereitschaft freiwillige Unterstützungsleistungen für andere organisationszugehörige Personen umfasst, beschreibt Gewissenhaftigkeit, in welchem Maß organisationale Regeln befolgt werden. Mit diesen Dimensionen sahen Smith et al. (1983) die zentrale Funktion von freiwilligem Arbeitsengagement in der Übertragung der Arbeitszufriedenheit von Beschäftigten auf ihre Leistung. Später ergänzte Organ (1988) die zweidimensionale Konzeptualisierung des Konstruktes um die Dimensionen Höflichkeit (courtesy), Unkompliziertheit (sportmanship) und Eigeninitiative (civic virtue). Nach Organ (1988) umfasst Höflichkeit solche Handlungen von Beschäftigten, die der Entstehung von Problemen im Arbeitsumfeld vorbeugen. Unkompliziertheit beschreibt einen toleranten Umgang mit Ärgernissen innerhalb der Organisation sowie die Offenheit für organisationale Veränderungen und Eigeninitiative die Bereitschaft, über die reguläre Arbeitstätigkeit hinaus am organisationspolitischen Leben teilzunehmen und sich in diesem verantwortungsvoll einzubringen. Die Zuordnung der Dimensionen von Smith et al. (1983) und Organ (1988) verdeutlicht, dass sich freiwilliges Arbeitsengagement auf das Leistungsverhalten von Beschäftigten und nicht auf ihre aufgabenspezifische Leistungsorientierung bezieht. Die zweidimensionale Konzeptualisierung von Smith et al. (1983) wurde faktorenanalytisch mehrfach bestätigt. Weiterführende Differenzierungen des Konstruktes wie von Organ (1988) sind in einer inhaltlichen Schärfung der Dimension Gewissenhaftigkeit begründet (Konovsky & Organ, 1996).
Aufbauend auf der fünfdimensionalen Konzeptualisierung von Organ (1988) existiert in der wissenschaftlichen Literatur auch eine Differenzierung hinsichtlich des Focus von freiwilligem Arbeitsengagement. Williams und Anderson (1991) unterscheiden zwischen auf Individuen (OCB-I) und auf die Organisation als Ganzes gerichtetes freiwilliges Arbeitsengagement (OCB-O). Dem OCB-I werden dabei die Dimensionen Hilfsbereitschaft und Höflichkeit zugeordnet, dem OCB-O die Dimensionen Gewissenhaftigkeit, Unkompliziertheit und Eigeninitiative. Andere empirische Studien bestätigen die Abgrenzung dieser beiden Foci (vgl. Arthaud-Day et al., 2012; Ilies et al., 2009; Islam et al., 2012). Die Differenzierung der einzelnen Dimensionen sowie die Abgrenzung der Foci wird in Abbildung3 grafisch veranschaulicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit wird zur Erfassung des freiwilligen Arbeitsengagements auf das deutschsprachige Messinstrument von Staufenbiel und Hartz (2000) zurückgegriffen. Die Entwicklung des Messinstruments basiert auf den ursprünglich von Smith et al. (1983) und Organ (1988) abgeleiteten Dimensionen des Konstruktes Freiwilliges Arbeitsengagement. Weiterhin berücksichtigten Staufenbiel und Hartz (2000) die in der amerikanischen Forschung verbreiteten Messinstrumente der Autorenschaft um Podsakoff und MacKenzie zur Erfassung freiwilligen Arbeitsengagements (vgl. Podsakoff et al., 1990; MacKenzie et al., 1991). Der Aufbau sowie die Güte des Messinstruments werden in Kapitel4.4.2 beschrieben.
2.2.3 Potenzielle Konsequenzen
Freiwilliges Arbeitsengagement birgt sowohl auf Beschäftigten- als auch auf Organisationsebene positiven Nutzen, der jedoch nicht zwangsläufig entstehen muss. Auf Beschäftigtenebene wird dabei diskutiert, welche indirekten und direkten Auswirkungen freiwilliges Arbeitsengagement auf betriebswirtschaftliche Entscheidungen wie z.B. Gehaltserhöhungen hat. Da sich freiwilliges Arbeitsengagement nach der aufgeführten Definition von Organ (1988) jedoch primär auf die positiven Auswirkungen innerhalb der Organisationsebene fokussiert, wird der potenzielle Nutzen auf Beschäftigtenebene nachfolgend nicht weiter betrachtet. Auf Organisationsebene liegt der maximale Nutzen von freiwilligem Arbeitsengagement im Organisationserfolg. Dieser wiederum resultiert nach der Definition von Organ (1988) aus einer Effektivitätssteigerung aufgrund von aggregierten Verhaltensweisen im Sinne des freiwilligen Arbeitsengagements. Legt man die Dimensionen des Konstruktes Freiwilliges Arbeitsengagement zugrunde, existieren zahlreiche konzeptionell plausible Auswirkungen von freiwilligem Arbeitsengagement, die zur Effektivität respektive zum Erfolg einer Organisation beitragen.
Hilfsbereite Verhaltensweisen im Sinne des freiwilligen Arbeitsengagements wie z.B. die Einarbeitung von neuen Beschäftigten durch das Kollegium, können schneller zu einer produktiven Mitarbeit der neuen Beschäftigten führen. Auch die Unterstützung von überlasteten Beschäftigten durch das Kollegium sorgt dafür, dass die Produktivität eines Teams nicht ins Stocken gerät und so die organisationale Leistung stabilisiert wird (Podsakoff & MacKenzie, 1997). Weiterhin bergen hilfsbereite Verhaltensweisen das Potenzial, die Moral sowie den Zusammenhalt innerhalb eines Teams zu stärken (MacKenzie et al., 1998). Diese Stärkung des Teamgeistes können auch Verhaltensweisen der Dimension courtesy unterstützen, indem Konflikte innerhalb des Teams verringert werden. Betriebswirtschaftlich resultiert hieraus wiederum die Reduktion des Zeitaufwandes im Bereich Konfliktmanagement sowie durch eine Verbesserung des Arbeitsklimas die Aufrechterhaltung der Teamproduktivität (Podsakoff & MacKenzie, 1997). Auch das eigeninitiierte Mitwirken von Beschäftigten innerhalb der Organisationsaktivitäten kann die Leistungsfähigkeit von Teams und Arbeitsgruppen erhöhen, indem ablauforganisatorische Maßnahmen wie die Koordination von Projektaktivitäten oder die Struktur von Arbeitsabläufen aktiv verbessert werden (Smith et al., 1983). Gewissenhafte Verhaltensweisen wie Pünktlichkeit oder äußerst geringe Fehlzeiten können hingegen durch eine effiziente Zeitnutzung die Arbeitsleistung einzelner Beschäftigter erhöhen (Smith et al., 1983). Zeigen Beschäftigte unkompliziertes Verhalten, indem sie sich veränderten Situationen wie z.B. einem Standortwechsel des Arbeitsplatzes anpassen, können sich zudem interne Beschwerden gegenüber des Managements reduzieren (Podsakoff & MacKenzie, 1997). Nicht zuletzt sollten die aufgeführten internen Auswirkungen auch in eine erhöhten Kundenzufriedenheit und -loyalität münden und so das Organisationsimage am Markt verbessern respektive festigen (Chahal & Mehta, 2011).
Die aufgeführten internen und externen Auswirkungen verdeutlichen den hohen Wert von freiwilligem Arbeitsengagement für Organisationen. Es macht Ressourcen von Beschäftigten verfügbar und steigert so die Produktivität von Beschäftigen sowie des Managements, ohne organisationsseitig kostenintensive Kontrollmechanismen einrichten zu müssen.
2.2.4 Diskurs in der Wissenschaft
In der wissenschaftlichen Literatur werden sowohl in der definitorischen Einordnung als auch in der Konzeptualisierung des Konstruktes Defizite diskutiert. Forschende wie Podsakoff et al. (2000) kritisieren, dass sich die wissenschaftliche Literatur vorrangig mit dem Verständnis der Verbindungen zwischen freiwilligem Arbeitsengagement und anderen Konstrukten auseinandersetzt anstatt mit einer sorgfältigen, allgemeingültigen Definition freiwilligen Arbeitsengagements. Auch die oftmals herangezogene Definition von Organ (1988) ist insbesondere in ihrer Bedeutung für die Entwicklung von Messinstrumenten und folglich der Erhebung von freiwilligem Arbeitsengagement defizitär. So merkt Organ (1997) selbst an, dass viele Beschäftigte wie auch das Management freiwilliges Arbeitsengagement nicht als Extra-Rollenverhalten sondern als Bestandteil der ausgeübten Stelle ansehen. Weiterhin sei beobachtbar, dass Stellenprofile zunehmend abstrakter und allgemeiner gestaltet werden, sodass die Grenzen zwischen vereinbarten Stelleninhalten und freiwilligem Arbeitsengagement verschwimmen.
Hinsichtlich der Konzeptualisierung des Konstruktes ist insbesondere die von Smith et al. (1983) und Organ (1988) postulierte Dimension altruism umstritten. Der Terminus Altruismus unterstellt, dass die Motive der Beschäftigten, diese Verhaltensweisen zu zeigen, frei von Eigennutz ist. Bisherige Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass das freiwillige Arbeitsengagement von Beschäftigten sowohl eigennützig als auch idealistisch motiviert sein kann, sodass in Abgrenzung zu Rational-Choice-Modellen ein Motivdualismus aus Gemeinwohl und Eigeninteresse angenommen werden kann (Spieß, 2000). Der in der deutschen Literatur verwendete Terminus Hilfsbereitschaft löst diese begriffliche Diskrepanz weitgehend auf und auch in der englischen Literatur findet sich vermehrt die Umbenennung der Dimension in Helping Behavior. Bisherige Forschungsergebnisse zeigen zudem, dass oftmals keine eindeutige Abgrenzung der Dimensionen Hilfsbereitschaft und Höflichkeit möglich ist (Organ, 1997; Organ et al., 2006).
Ein weiterer defizitärer Aspekt in der Konzeptualisierung des Konstruktes Freiwilliges Arbeitsengagement besteht in der fehlenden Berücksichtigung kultureller Unterschiede. Bislang existieren insgesamt nur wenige Studien, die sich der Bedeutung von kulturellen Unterschieden für das freiwillige Arbeitsengagement widmen. Einige Forschende wie z.B. Moormann und Blakely (1995) postulieren jedoch, dass Beschäftigte aus kollektivistischen Kulturkreisen ein höheres Maß an freiwilligem Arbeitsengagement aufzeigen als Beschäftigte aus individualistischen Kulturkreisen. Andere Forschende bestätigen, dass freiwilliges Arbeitsengagement abhängig von der Kultur different interpretiert wird (vgl. Coyne & Ong, 2007; Paine & Organ, 2000). Demnach scheinen sich Forschungsergebnisse zum freiwilligen Arbeitsengagement nicht zwangsläufig auf andere Kulturkreise, als den jeweils untersuchten, projizieren zu lassen.
2.3 Organisationale Bindung
Mit der Organisationalen Bindung liegt der Forschungsarbeit ein weiteres komplexes Konstrukt zugrunde, das in diesem Kapitel erläutert wird. Zunächst erfolgt eine Definition von organisationaler Bindung sowie eine Abgrenzung zu anderen, inhaltsnahen Konstrukten (Kap.2.3.1). Darauf aufbauend werden die Komponenten organisationaler Bindung (Kap.2.3.2) sowie die potenziellen Konsequenzen auf Organisations- und Beschäftigtenebene (Kap.2.3.3) erläutert. Abschließend wird der vorhandene wissenschaftliche Diskurs des Konstruktes aufgeführt (Kap. 2.3.4).
2.3.1 Begriffsbestimmung
Individuen können sich an eine Vielzahl von Objekten binden. Felfe (2020) differenziert die Beschäftigungsform, eigene Karriere, Führungskraft, Team/Arbeitsgruppe, Beruf/Tätigkeit und Organisation. In der Wissenschaft werden diese Objekte als Foci oder auch Richtungen der Bindung bezeichnet. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird ausschließlich der Fokus Organisation und damit die Bindung von Beschäftigten an eine Organisation (engl.: Organizational Commitment) betrachtet. Als Organisation wird dabei in der vorliegenden Arbeit ein Unternehmen verstanden, welches das kollektive Miteinander durch eine funktionale Aufgabenverteilung auf die Erfüllung der Unternehmensaufgabe sowie die Erreichung der Unternehmensziele ausrichtet (Weber et al., 2014). Alternativ zu dem Terminus Organisationale Bindung werden in der Literatur auch die Termini Organisationsbindung oder Mitarbeiterbindung verwendet (Van Dick, 2017).
Eine weitgehend akzeptierte Definition von Brinkman (1987) versteht Bindung als Kraft, die das individuelle Verhalten in solchen Umständen stabilisiert, in denen ein Individuum versucht wäre, sein Verhalten anzupassen. Die Bindung gegenüber einer Organisation ist nach Scholl (1981) demnach eine stabilisierende Kraft, die der Aufrechterhaltung einer Verhaltensrichtung innerhalb einer Organisation dient, wenn die individuellen Erwartungen von Beschäftigten nicht erfüllt sind. Auch Meyer und Herscovitch (2001) definieren organisationale Bindung als handlungssteuernde Kraft, die Beschäftige an eine zielrelevante Handlung bindet. Mowday et al. (1979) sehen in organisationaler Bindung hingegen allgemein eine aktive Beziehung von Beschäftigten zur Organisation, die eine passive Loyalität übersteigt. Diesen Ansatz greifen Meyer und Allen (1991) auf. Sie definieren organisationale Bindung als psychischen Zustand, der die Beziehung von Beschäftigten zu einer Organisation charakterisiert und die Entscheidung beeinflusst, ein bestehendes Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen oder zu beenden. Nerdinger et al. (2014) ergänzen in ihrer Definition, dass die Bindung von Beschäftigten an eine Organisation das Ergebnis einer erfolgreichen organisationalen Sozialisation darstellt. Den aufgeführten Definitionen ist obgleich leicht variierender Auffassungen gemein, dass organisationaler Bindung ein eher längerfristiger Charakter unterstellt wird.
In der das Konstrukt Organisationale Bindung betreffenden wissenschaftlichen Literatur wird eine Nähe zu den Konstrukten Arbeitszufriedenheit, Involvement und Identifikation diskutiert. Zur Abgrenzung der Arbeitszufriedenheit schreibt Moser (1996), dass diese eine affektive Reaktion auf bestimmte Erfahrungen am Arbeitsplatz, organisationale Bindung hingegen auf die Organisation selbst bezogen sei. Auch Felfe und Six (2006) nehmen eine Abgrenzung zur Arbeitszufriedenheit vor. So werde Arbeitszufriedenheit in der wissenschaftlichen Forschung als „die Einstellung des Mitarbeiters gegenüber seiner Arbeit insgesamt oder gegenüber einzelnen Facetten der Arbeit“ (S.39) aufgefasst, während organisationale Bindung das Verhalten von Mitarbeitenden bestimmt. Auch die Konstrukte Involvement und Identifikation grenzen einige Autoren von organisationaler Bindung ab. So erklärt Weinert (2015) Involvement als arbeitsbezogenen Aspekt, der die Identifikation mit der Arbeitstätigkeit und die Durchführung dieser beschreibe. Organisationale Bindung hingegen beziehe sich auf die Organisation als Ganzes. Der Terminus Identifikation wird von einigen Autoren synonym bzw. als Erklärung organisationaler Bindung verwendet, sodass eine Abgrenzung hier weniger eindeutig vorgenommen werden kann. Während organisationale Bindung jedoch die individuellen Einstellung von Beschäftigten gegenüber ihrer Organisation beschreibt, schreibt Felfe (2020) zum Identitätsansatz, dass dieser eher die Gruppenperspektive aufgreife, nach der Organisationen und deren Bereiche als soziale Gruppen betrachtet werden. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe erkläre die Entwicklung organisationaler und sozialer Identität.
2.3.2 Komponenten
In der Commitment-Forschung werden historisch drei eindimensionale Commitment-Ansätze unterschieden. Ein erster Ansatz geht auf die side-bet-theory von Becker (1960) zurück. Becker postulierte, dass Beschäftigte die Vor- und Nachteile eines Fortbestehens bzw. Aufhebens des Beschäftigungsverhältnisses im Sinne einer Kosten-Nutzen-Betrachtung gegeneinander abwägen. Dabei würden sich Beschäftigte primär an materiellen Größen wie dem Gehalt oder erworbenen Sozialleistungen orientieren. Auf dieser Theorie basiert der Ansatz des continuance commitments oder auch kalkulatorisches Commitment, nach dem die Bindung an eine Organisation durch das Fortsetzen von Handlungen aufgrund rationaler Kosten-Nutzen-Abwägungen entsteht. In der Commitment-Forschung wird dieser Ansatz dem verhaltensbezogenen Commitment zugeordnet (Meyer & Allen, 1991; Stebbins, 1970).
Konträr zu diesem Ansatz entwickelte sich eine Bewegung, die emotionale Aspekte der Bindung von Beschäftigten an eine Organisation aufgriff. So charakterisieren Porter et al. (1974) organisationale Bindung als starken Glauben an die Ziele einer Organisation und eine hohe Akzeptanz sowie Vertrauen in die Geschäftstätigkeit, einhergehend mit der Bereitschaft von Beschäftigten, sich im Interesse der Organisation beträchtlich zu engagieren und dem absoluten Willen, das Beschäftigungsverhältnis aufrechtzuerhalten. Dieser Ansatz wird dem einstellungsbezogenen Commitment zugeordnet, nach dem Bindung als Einstellung im Sinne eines psychologischen Zustandes betrachtet wird, aus der berufsrelevante Verhaltensweisen von Beschäftigten resultieren und vorausgesagt werden können (Schüßler & Weller, 2017).
Ein dritter Ansatz der organisationalen Bindung basiert auf vorhandenen Normen und Werten, aus denen die Aufrechterhaltung eines Beschäftigungsverhältnisses resultiert (Marsh & Mannari, 1977; Wiener, 1982). Die organisationale Bindung besteht nach diesem Ansatz aufgrund internalisierter Normen, nach denen sich Beschäftigte einer Organisation gegenüber verpflichtet fühlen und eine Aufhebung des Beschäftigungsverhältnisses als unmoralisch beurteilen. Die Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses ist dabei unabhängig davon, welche Statusverbesserung oder Zufriedenheit innerhalb der Organisation erlangt wird (Marsh & Mannari, 1977).
Erste Gedankengänge, dass organisationale Bindung nicht alleinig aus einer Komponente besteht bzw. resultiert, sind auf Meyer und Allen (1984) zurückzuführen. Die Autoren fassen organisationale Bindung als mehrdimensionales Konstrukt auf und führen die eindimensionalen Commitment-Ansätze zusammen. Sie differenzieren eine affektive, kalkulatorische und normative Komponente, auf denen organisationale Bindung beruhen kann. Die Autoren postulieren, dass sich organisationale Bindung nicht auf eine der Komponenten reduzieren lässt, sondern alle drei Komponenten zeitgleich in unterschiedlicher Ausprägung auftreten. Nachfolgend werden die drei Komponenten organisationaler Bindung nach Meyer und Allen (1991) erläutert. Das integrative Modell ist die derzeit führende Konzeptualisierung der Commitment-Forschung (Schüßler & Weller, 2017) und liegt der vorliegenden empirischen Untersuchung zugrunde.
Affektive Bindung
Die affektive Komponente beschreibt die emotionale Bindung von Beschäftigten an ihre Organisation. Als Antezedenzien führen Meyer et al. (2002) die vergangenen Erlebnisse und Erfahrungen im Organisationsumfeld an. So werden Organisationen, die ihre Beschäftigten fördern und unterstützen vergleichsweise mehr Beschäftigte mit einer hohen affektiven Bindung aufweisen als solche, die dies nicht tun (Van Dick, 2017).
Kalkulatorische Bindung
Die kalkulatorische Komponente resultiert aus einer Kosten-Nutzen-Abwägung der Beschäftigten (Felfe, 2020) und beschreibt demnach die Bindung an eine Organisation im Kontext der Kosten, die mit dem Beenden des Beschäftigungsverhältnisses verbunden sind. Meyer et al. (2002) führen vorhandene Alternativen am Arbeitsmarkt sowie bisherige Investitionen als Antezedenzien an. So lassen Beschäftigte ihr Beschäftigungsverhältnis bestehen, wenn die von ihnen eingeschätzten Kosten für einen Organisationswechsel höher sind als der ihnen entstehende Nutzen. In die Bewertung einfließende Kosten können z.B. der Verlust von Begünstigungen oder auch sozialer Beziehungen sein. Einer hohen kalkulatorischen Bindung liegt demnach häufig der Wunsch nach Absicherung zugrunde, die anhand vieler Beschäftigungsjahre erworben wurde.
Normative Bindung
Die normative Komponente beschreibt die Bindung an eine Organisation aufgrund moralischer oder sozialer Normen, wegen denen sich Beschäftigte der Organisation gegenüber verpflichtet fühlen. Beschäftigte mit einer hohen normativen Bindung werden von ihrer Organisation oftmals fair behandelt und es besteht eine Vereinbarkeit der persönlichen Werte mit denen der Organisation. Als weiteren Antezedenz führen Meyer et al. (2002) zudem die Investitionen an, die eine Organisation für ihre Beschäftigten erbringt.
Während der Verbleib von Beschäftigten in einer Organisation bei einer hohen affektiven Bindung also auf das Wünschen und Wollen zurückzuführen ist, bildet bei einer hohen kalkulatorischen Bindung eine Vernunftentscheidung bzw. ein Müssen die Grundlage. Bei einer hohen normativen Bindung ist der Verbleib hingegen durch ein Verpflichtungsgefühl bzw. ein Sollen geprägt.
2.3.3 Potenzielle Konsequenzen
Organisationale Bindung gilt in der wissenschaftlichen Forschung als intervenierendes Konstrukt, das differente Ergebnisgrößen auf Beschäftigten- sowie Organisationsebene vermittelt und bestimmt. So bestätigen Studien den positiven Einfluss organisationaler Bindung – insbesondere der affektiven Bindung – auf Zufriedenheit, Leistung, Engagement und eine geringe Fluktuationsneigung der Beschäftigten (vgl. Felfe, 2020; Staufenbiel, 2000; Suharto et al., 2019).
Darüber hinaus ist auf Beschäftigtenebene insbesondere eine Betrachtung der Auswirkungen auf die individuelle Gesundheit erforderlich. Einerseits wird organisationale Bindung hier als Ressource betrachtet (Meyer & Maltin, 2010), andererseits im Zusammenhang mit den Termini Selbstausbeutung und interessierte Selbstgefährdung als mögliches Gesundheitsrisiko (Krause et al., 2012). Schon im Jahr 1990 nahmen Mathieu und Zajac einen Zusammenhang zwischen organisationaler Bindung und dem individuellen Stresserleben an. Beschäftigten, die sich mit ihrer Organisation verbunden fühlen, diene dieses positive Gefühl der Verbundenheit und sozialen Zugehörigkeit als Ressource, die eine negative psychische Beanspruchung2 reduziere. Seitdem wurde der positive Zusammenhang zwischen organisationaler Bindung und mentalem sowie psychischem Wohlbefinden mehrfach bestätigt (vgl. Grawitch et al., 2007; Meyer et al., 2002; Siu, 2002). Positive Auswirkungen resultieren dabei insbesondere aus einer hohen affektiven Bindung. Basiert die Bindung an eine Organisation hingegen eher auf der kalkulatorischen Komponente, sind negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten, z.B. das individuelle Stresserleben, wahrscheinlicher (Meyer et al., 2002). Die Auswirkungen einer hohen normativen Bindung auf die Gesundheit von Beschäftigten wurden bisher kaum untersucht. Franke und Felfe (2011) stellten in ihrer Studie jedoch fest, dass der negative Zusammenhang zwischen affektiver Bindung und individuellem Stresserleben durch die normative Bindung moderiert wird und sich in einen positiven Zusammenhang umkehrt. Als mögliche Erklärung dieses Befundes führen Felfe und Wombacher (2016) an, dass eine hohe normative Bindung das Achtgeben auf die eigenen Bedürfnisse einschränkt und stattdessen das Risiko erhöht, sich für die Organisation aufzuopfern. Während eine hohe affektive Bindung an eine Organisation nach den Forschungsergebnissen also als gesundheitsförderlich klassifiziert werden kann, stellt eine hohe kalkulatorische Bindung eher ein Gesundheitsrisiko für Beschäftigte dar.
Neben der Entstehung einer negativen psychischen Beanspruchung, besteht für Beschäftigte auch die Gefahr der Ungleichbehandlung innerhalb der Organisation. Das Retention-Management zielt primär auf Schlüsselkräfte ab, die aufgrund ihrer Leistungen oder Potenziale besonders auffallen oder wegen ihrer spezifischer Kenntnisse oder Kompetenzen am Arbeitsmarkt nur mit erheblichem Aufwand zu beschaffen sind (Kolb, 2010). Kostenintensive Bindungsmaßnahmen erfahren demnach nur Beschäftigte, die aus Sicht der Organisation wertvoll sind. Während dieses Vorgehen aus betriebswirtschaftlicher Sicht im Kontext des ökonomischen Prinzipes durchaus sinnvoll ist, führt es aus sozialer Sicht zu einer Ungleichbehandlung der Beschäftigten.
Auf organisationaler Ebene ermöglicht eine hohe Bindung der Beschäftigten eine langfristige Personalplanung, aus der zunächst die Existenzsicherung der Organisation sowie eine Reduzierung von Personalmarketingkosten resultieren (Kolb, 2010). Weiterhin erhält sich eine Organisation durch die Bindung von Beschäftigten grundlegendes, für den Geschäftsbetrieb benötigtes Wissen sowie Kompetenzen. Aus einer hohen organisationalen Bindung resultiert jedoch auch die Gefahr, dass Beschäftigte ihre Verhaltensweisen und Einstellungen an die soziale Umgebung innerhalb der Organisation anzupassen. Dieses Phänomen wird unter dem Terminus der Konformität beschrieben (Johann, 2011). Eine hohe Konformität oder der Wunsch hiernach führt wiederum zu Gruppendenken, das häufig in homogenen Gruppen auftritt. Für Organisationen birgt eine hohe organisationale Bindung ihrer Beschäftigten daher das Risiko, dass Unternehmensentscheidungen nicht kontrovers diskutiert und aufgrund eines zu schnellen Konsens Fehlentscheidungen getroffen werden (Weinert, 2015).
Die aufgeführten potenziellen Konsequenzen verdeutlichen die hohe strategische Relevanz der organisationalen Bindung von Beschäftigten für Organisationen. Durch die Beeinflussung differenter organisationaler Größen sowie der Gesundheit von Beschäftigten wirkt sich die organisationale Bindung von Beschäftigten mittelbar auf den Organisationserfolg aus.
2.3.4 Diskurs in der Wissenschaft
Die Entwicklung des Konstruktes Organisationale Bindung erfolgte ebenso wie dessen vorrangige empirische Bestätigung im anglo-amerikanischen Raum. Damit sind sowohl die inhaltliche Auffassung als auch die Konzeptualisierung des Konstruktes durch im anglo-amerikanischen Raum vorherrschende, kulturelle Gegebenheiten geprägt. In der wissenschaftlichen Literatur liegt eine Kritik des Konstruktes Organisationale Bindung daher in der fehlenden Berücksichtigung kultureller Unterschiede. Demnach scheinen sich Forschungsergebnisse zur organisationalen Bindung nicht zwangsläufig aus dem amerikanischen Arbeitskontext auf andere Kulturkreise übertragen zu lassen. Explizit für den deutschen Arbeitskontext bestehen bislang nur wenige empirische Überprüfungen des Konstruktes.
Weitere Defizite bestehen nach Haase (1997) in der rein deduktiven Entwicklung der Konzeptualisierung des Konstruktes Organisationale Bindung sowie der fehlenden kausalanalytischen Überprüfung und Berücksichtigung organisationaler Eigenschaften, die sich auf die organisationale Bindung auswirken. Darüber hinaus kritisiert Haase, dass in der Forschung trotz der allgemeinhin akzeptierten mehrdimensionalen Konzeptualisierung von Meyer und Allen (1991) weiterhin Messinstrumente wie das Organizational Commitment Questionnaire von Mowday et al. (1979) verwendet werden, die die organisationale Bindung ausschließlich eindimensional über die affektive Bindungskomponente abbilden.
2.4 Job Demands-Resources-Modell
In der Arbeits- und Organisationspsychologie wird zur Erklärung von arbeitsbezogenen Einflüssen auf die Arbeitsleitung von Beschäftigten häufig das etablierte Job Demands-Resources (JD-R) Modell von der Autorenschaft um Demerouti (vgl. Bakker & Demerouti, 2007, 2017; Demerouti et al., 2001) als heuristisches Rahmenmodell angewandt.
Das JD-R Modell erklärt positive und negative Befindensindikatoren im Arbeitskontext und umfasst drei zentrale Annahmen: (1) Arbeitsbedingungen können in arbeitsbezogene Anforderungen (demands) und Ressourcen (resources) unterteilt werden, die sich auf psychische, physische, emotionale und organisationale Aspekte beziehen. (2) Arbeitsanforderungen führen zu Erschöpfung und stoßen daher den Prozess der Gesundheitsbeeinträchtigung (health impairment process) an. Arbeitsressourcen hingegen bedingen den motivationalen Prozess (motivational process), der zu mehr Arbeitsengagement führt. Erschöpfung wirkt sich negativ und Arbeitsengagement positiv auf die Arbeitsleitung aus. (3) Arbeitsanforderungen und -ressourcen interagieren miteinander. Einerseits können Arbeitsressourcen die negative Wirkung von Arbeitsanforderungen abschwächen, andererseits können die Arbeitsanforderungen die motivationalen Effekte von Arbeitsressourcen abschwächen. Abbildung4 stellt die zentralen Annahmen des JD-R Modells grafisch dar.
Arbeitsanforderungen werden von Demerouti et al. (2001) als physische, organisationale oder soziale Aspekte der Beschäftigungstätigkeit definiert, die anhaltende physische und psychische Anstrengung voraussetzen und daher mit physiologischen und psychologischen Kosten verbunden sind. Arbeitsanforderungen führen zu psychischer Beanspruchung, wenn Beschäftigte sich nicht mehr hinlänglich erholen können (Sonnentag & Zijlstra, 2006). Sonnentag und Zijlstra führen z.B. das Arbeiten unter Zeitdruck, Rollenambiguität und lange Arbeitszeiten als Arbeitsanforderungen auf.
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1 Vulnerabilität beschreibt in der Psychologie die genetisch oder biografisch erworbene Verletzlichkeit, die zusammen mit Vulnerabilitätsfaktoren zu Vulnerabilitätssymptomen wie z.B. Depressionen führen kann (Noam, 1996).
2 Nach dem Belastungs-Beanspruchungsmodell von Rohmert und Rutenfranz (1975) wird als psychische Beanspruchung die Auswirkung einer Belastung im Individuum definiert. In Abhängigkeit zu den persönlichen Fähigkeiten kann die entstehende psychische Beanspruchung sowohl positiv als auch negativ sein.
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