Aufgrund der großen Vielfalt an Kriminalitätstheorien soll sich die
vor vorliegende Hausarbeit mit einigen ausgewählten Theorien
beschäftigen. Dabei sollen speziell die soziologische Anomietheorie,
die sozialpsychologische Kontrolltheorien sowie der
interaktionistische labeling approach und die ökonomische
riminalitätstheorie ratioalen Wahlhandelns nänher beleuchtet werden. Insbesondere sollen ihre Aussagekraft, ihre methodischen
Annahmen und letztendlich ihre Relevanz für die Erklärung von
Kriminalität kritisch untersucht werden. Biologische
Krimina nalitätsthe heor orien sollen aufgrund und ihrer gegenwärtig eher geringen Bedeutung in der wissenchaftlichen Diskussion keine
Rolle spielen, auch wenn an dieser Stelle darauf hingewiesen sei,
dass genetische Anlagen generell natürlich kein komplett zu
vernachlässigender Einflussfaktor für die Erklärung von Kriminalität
sind (vgl. Kunz 2001: 116 ff.; s.a. Schmitt 2001: 18). Bevor nun
jedoch die einzelnen Kriminalitätstheorien dargestellt werden, muss
zunächst ihr genauer Bezugspunkt, nämlich der Begriff der
Kriminalität selbst, definiert werden.
Inhal
1. Einleitung
2. Verschiedene Kriminalitätsbegriffe
2.1. Der strafrechtliche/formelle Kriminalitätsbegriff
2.2. Der ‚natürliche’ Kriminalitätsbegriff
2.3. Der soziologische/materielle Kriminalitätsbegriff
2.4. Zusammenfassung und Ausblick
3. Darstellung verschiedener Kriminalitätstheorien
3.1. Die Anomietheorie
3.1.1. Durkheims Grundlegung
3.1.2. Mertons Weiterentwicklung
3.1.3. Clowards und Ohlins Erweiterung
3.1.4. Die institutionelle Anomietheorie
3.1.5. Die allgemeine Drucktheorie
3.2. Die Kontrolltheorien
3.2.1. Die Halttheorie von Reiss und Reckless
3.2.2. Die soziale Bindungstheorie von Hirschi
3.2.3. Die Theorie der Selbstkontrolle
3.2.4. Die Theorie der Kontrollbalance
3.3. Der labeling approach
3.4. Die ökonomische Kriminalitätstheorie des rationalen Wahlhandelns
4. Kritische Betrachtung der einzelnen Kriminalitätstheorien
4.1. Relevanz der Anomietheorie
4.2. Relevanz der Kontrolltheorien
4.3. Relevanz des labeling approach
4.4. Relevanz der ökonomischen Kriminalitätstheorie des rationalen Wahlhandelns
5. Fazit
6. Literatur
1. Einleitung
Aufgrund der großen Vielfalt an Kriminalitätstheorien soll sich die vorliegende Hausarbeit mit einigen ausgewählten Theorien beschäftigen. Dabei sollen speziell die soziologische Anomietheorie, die sozialpsychologischen Kontrolltheorien sowie der interaktionistische labeling approach und die ökonomische Kriminalitätstheorie rationalen Wahlhandelns näher beleuchtet werden. Insbesondere sollen ihre Aussagekraft, ihre methodischen Annahmen und letztendlich ihre Relevanz für die Erklärung von Kriminalität kritisch untersucht werden. Biologische Kriminalitätstheorien sollen aufgrund ihrer gegenwärtig eher geringen Bedeutung in der wissenschaftlichen Diskussion keine Rolle spielen, auch wenn an dieser Stelle darauf hingewiesen sei, dass genetische Anlagen generell natürlich kein komplett zu vernachlässigender Einflussfaktor für die Erklärung von Kriminalität sind (vgl. Kunz 2001: 116 ff.; s.a. Schmitt 2001: 18). Bevor nun jedoch die einzelnen Kriminalitätstheorien dargestellt werden, muss zunächst ihr genauer Bezugspunkt, nämlich der Begriff der Kriminalität selbst, definiert werden.
2. Verschiedene Kriminalitätsbegriffe
Was und warum etwas als ‚kriminell’ gilt, lässt sich schon allein dem geschichtlichen Wandel und den Kriminalisierungsprozessen entnehmen. So stehen substantiell nahezu unveränderten Kernbereichen strafbaren Unrechts auf der einen Seite, historische Zufälligkeiten der Strafbarerklärung auf der anderen Seite gegenüber. Den einzelnen Begriffen liegen stets bestimme Annahmen über menschliches Verhalten zu Grunde, das man als sozial auffällig und kontrollbedürftig betrachtet (vgl. Kaiser 1989: 166 f.).
2.1. Der strafrechtliche/formelle Kriminalitätsbegriff
Nach dem strafrechtlichen Kriminalitätsbegriff sind all jene Handlungen ‚kriminell’, die eine strafrechtliche Rechtsfolge – also entweder eine Strafe oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung - nach sich ziehen. Ordnungswidrigkeiten, die nur mit Geldbuße bestraft werden, fallen hingegen nicht unter den strafrechtlichen Kriminalitätsbegriff (vgl. Schwind 2005: 3 f.). Die Schwäche liegt auf der Hand: Da er einseitig abhängig von Gesetzgebung und Strafrechtswissenschaft ist, unterliegt er einem ständigen, fortlaufenden Wandel und kann somit nicht endgültig zufrieden stellen (vgl. Kaiser 1989: 168; s.a Braunek 1974: 26).
2.2. Der ‚natürliche’ Kriminalitätsbegriff
Aufgrund der Abhängigkeit des strafrechtlichen Kriminalitätsbegriffes vom Gesetzgeber und den dadurch verursachten ständigen Wandel, wurde nach einem zeit- und raumunabhängigen Begriff gesucht. Dieser sollte all diejenigen Handlungen umfassen, die zu allen Zeiten und in allen Kulturen als verwerflich eingestuft und dementsprechend bestraft wurden. Dazu zählen beispielsweise Mord, Raub, Vergewaltigung und Diebstahl (vgl. Schwind 2005: 4 f.). Allerdings scheint es wenig zweckmäßig, Delikte, die nicht unter den ‚natürlichen’ Kriminalitätsbegriff fallen und somit die kulturelle Steuerung des Begriffes bei der Betrachtung auszuklammern. Dies gilt insbesondere dann, wenn man berücksichtigt, dass selbst das Tötungsverbot kulturell in sehr unterschiedlicher Weise durch Ausnahmen - wie Tötung des Beleidigers oder die neugeborener Mädchen – durchbrochen ist. Auf der anderen Seite kann es genauso wenig zweckdienlich sein, Verhaltensweisen, die erst in modernen Gesellschaften gefährlich wurden - wie zum Beispiel Wirtschaftsdelikte – bei der Untersuchung zu übergehen (vgl. Braunek 1989: 27). Auch die Beschränkung auf einen Grundbestand des Verbrechens kann also keine zufrieden stellende Lösung sein.
2.3. Der soziologische/materielle Kriminalitätsbegriff
Im Gegensatz zu dem ‚natürlichen’ Kriminalitätsbegriff, der den strafrechtlichen einengt, findet durch den soziologischen Kriminalitätsbegriff eine Ausdehnung auf sozialschädliches beziehungsweise sozialabweichendes Verhalten (Devianz) statt. So wird der strafrechtliche Kriminalitätsbegriff vor allem deshalb kritisiert, weil er mitunter technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherhinkt (vgl. Schwind 2005: 5 f.). Jedoch wird dem soziologischen Kriminalitätsbegriff eine gewisse Beliebigkeit vorgeworfen. Diese Kritik entzündet sich vor allem an dem Begriff der ‚Sozialschädlichkeit’, dessen exakte Anwendung auf die unterschiedlichen Delikte völlig unbestimmt und in unterschiedliche Richtungen interpretierbar ist (vgl. Kaiser 1989: 170). Auch der soziologische Kriminalitätsbegriff hat sich also wegen seines Interpretationsspielraums nicht endgültig durchsetzen können.
2.4. Zusammenfassung und Ausblick
Die tatsächliche, endgültige Definition, was als ‚kriminell’ zu bewerten ist, gestaltet sich augenscheinlich sehr schwierig. Bis heute hat sich kein allumfassender Kriminalitätsbegriff herausgebildet, der die unbestrittenen Stärken der vorgestellten Begriffe miteinander verknüpft und ihre Schwächen verringert. Dies dürfte allerdings schon von der Natur der Sache her ein sehr schwieriges Unterfangen sein (vgl. Schwind 2005: 6). In der Kriminologie wird deshalb meistens noch der materielle Kriminalitätsbegriff als Anknüpfungspunkt gewählt, um der Gesetzgebung und der Strafrechtswissenschaft nicht prinzipiell unkritisch gegenüber stehen zu müssen.
3. Darstellung verschiedener Kriminalitätstheorien
Im Folgenden werden die einzelnen Kriminalitätstheorien in ihrer historischen Entwicklung dargestellt und es wird herausgearbeitet, welche weiterreichenden Konsequenzen sie implizieren.
3.1.Die Anomietheorie
Die Anomietheorie selbst ist kein einheitliches Konzept in dem Sinne, als dass Autoren wie Durkheim oder Merton ihre eigenen Aussagen zur Anomie später erweiterten und diese wiederum von anderen Autoren modifiziert wurden (vgl. Lamnek 1977: 46).
3.1.1. Durkheims Grundlegung
Als Basis für speziellere Theorien ist die Theorie der strukturell funktionalen Zusammenhänge von Durkheim anzusehen, für den Anomie ein Zustand der Normlosigkeit ist. Demnach sind Verbrechen die normale Kehrseite sozialer Regelungen, in denen sich die innere Struktur der Gesellschaft gegenüber Abweichungen manifestiert. Andererseits tragen sie aber auch zum Erhalt der gesellschaftlichen Strukturen bei, haben also eine funktionale Bedeutung, da die auf die Verbrechen folgenden Strafen die bedrohten Kollektivgefühle wieder intensivieren (vgl. Kaiser/Schöch 1994: 40). Am Beispiel des Selbstmordes entwickelte Durkheim das Anomiekonzept weiter. Er ermittelte dabei, dass sowohl in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität als auch in Zeiten großer Depression die Selbstmordraten zunahmen. Diese Zunahme interpretierte er dabei als durch unzureichende Bedürfnisbefriedung verursacht. So kann beispielsweise gerade im Wohlstand eine höhere Selbstmordrate dadurch erklärt werden, dass die Bedürfnisse wegen der Prosperität so grenzenlos werden, dass sie nicht mehr zu befriedigen sind (vgl. Lamnek 1977: 48).
3.1.2. Mertons Weiterentwicklung
Robert K. Merton ging nun aufbauend auf Durkheims Hypothesen der Frage nach, wie es zu erklären sei, dass die Häufigkeit abweichenden Verhaltens schichtspezifisch variiert. Dies wird durch die schichtspezifische Diskrepanz zwischen den als legitim anerkannten gesellschaftlichen Zielen und den reduzierten Zugangsmöglichkeiten zu den legitimen Mitteln erklärt. Generell gilt dabei: Je weiter Ansprüche und der Zugang zu den legalen Mitteln auseinanderklaffen, desto häufiger und stärker kommt es zu abweichendem Verhalten (vgl. Springer 1973: 12; s.a. Kerscher 1978: 39). Während alle Schichten die Konsumansprüche der Ober- und Mittelschicht verinnerlicht haben, sind die institutionalisierten Mittel zur Erreichung dieser Ansprüche bei der Unterschicht nur in ungenügendem Ausmaße vorhanden (vgl. Schwind 2005: 129 f.). Um mit dieser Stress-Situation fertig zu werden bestehen für die Betroffenen generell fünf Verhaltensoptionen:
1) Konformität: Die kulturellen Ziele und legalen Mittel werden bejaht und gegebenenfalls dem sozialen Wandel angepasst.
2) Ritualismus: Die kulturellen Ziele werden heruntergeschraubt oder aufgegeben, die legalen Mittel werden aber beibehalten.
3) Rückzug: Es werden sowohl die kulturellen Ziele als auch die legalen Mittel abgelehnt.
4) Innovation: Es werden zwar die kulturellen Ziele akzeptiert, aber mit illegalen Mitteln angestrebt.
5) Rebellion: Die kulturellen Ziele und legalen Mittel werden aktiv bekämpft.
Die entscheidende Frage, unter welchen Bedingungen welche Verhaltensoption gewählt wird, lässt Merton allerdings weitestgehend offen und verweist auf die unterschiedliche Sozialisation und das Rollenverhalten in bestimmten Situationen (Kaiser/Schöch 1994: 41).
3.1.3. Clowards und Ohlins Erweiterung
Eine Erweiterung der Anomietheorie fand anschließend durch Cloward und Ohlin statt. Sie fügten ihr das Element des Zugangs zu illegitimen Mitteln, das aus Sutherlands Theorie der differentiellen Assoziation entliehen ist, hinzu. Dieser Aspekt wäre lediglich dann zu vernachlässigen, wenn davon ausgegangen werden könnte, dass die Zugangschancen zu illegitimen Mitteln über die sozialen Schichten gleich verteilt wären. Da davon aber eben nicht ausgegangen werden kann, muss diese zusätzliche Variable
mitberücksichtigt werden. Des Weiteren versuchte Cloward eine Brücke zur Subkulturtheorie zu schlagen, indem er anmerkte, dass die Konstituierung von Subkulturen den Zugang zu illegitimen Mitteln erleichtert. Clowards und Ohlins Theorie der differentiellen Gelegenheiten kann somit insgesamt als ein Integrationsversuch der Anomietheorie mit der Theorie der differentiellen Kontakte und der Subkulturtheorie verstanden werden (vgl. Lamnek 1977: 56 ff.).
3.1.4. Die institutionelle Anomietheorie
In jüngster Zeit haben Messner und Rosenfeld eine institutionelle Anomietheorie entwickelt, die die Entstehung von Kriminalität durch die Vorherrschaft der Wirtschaft und die relative Machtlosigkeit und Entwertung nichtökonomischer Institutionen - wie der Familie oder der Kirche - zu erklären versucht. Sie behauptet, dass in westlichen Gesellschaften der Erfolg allein in ökonomischen Kategorien gemessen werde und die nichtökonomischen Institutionen ihre soziale Kontrollfunktion verloren haben, weil auch diese sich an wirtschaftlichen Maßstäben messen lassen müssen. Deshalb wird das monetäre Ziel unabhängig davon angestrebt, ob es mit moralisch annehmbaren Mitteln erreicht werden kann oder nicht (vgl. Schneider 2000: 12; s.a. Schmitt 2001: 22).
3.1.5. Die allgemeine Drucktheorie
In der neueren kriminologischen Theorie-Diskussion hat dann Agnew das Anomiekonzept erweitert und umformuliert. Bei seiner Drucktheorie wird durch das Auseinanderklaffen von Bestrebungen und Erwartungen auf der einen und den tatsächlichen Errungenschaften auf der anderen Seite Druck hervorgerufen. Der notwendige Druckabbau schlägt sich dann oft in abweichendem Verhalten nieder, wobei zwischenmenschliche Beziehungen die Wirkung des Drucks vermindern können (vgl. Schneider 2000: 12; s.a. Schmitt 2001: 22).
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- Quote paper
- M.A. Carsten Bobe (Author), 2006, Eine kritische Betrachtung von Kriminalitätstheorien und ihren Implikationen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119096
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