Bei Fermi-Aufgaben handelt es sich um Sachaufgaben, die sich außer durch ihre Offenheit auch durch Realitätsbezug und eine besondere Zugänglichkeit auszeichnen. Dadurch sollen sie authentische Lernanlässe darbieten und die SuS zur Lösung der Aufgabe motivieren. In dieser Arbeit wird überprüft, inwiefern sich Fermi-Aufgaben von Standardsachaufgaben abheben und welche mathematischen Bereiche sich in der Grundschule für Fermi-Aufgaben eignen. Zudem liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit darin, herauszufinden, ob die inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen des Kernlehrplans der Mathematik für die Grundschule bei Fermi-Aufgaben umsetzbar sind.
Im Kontext von Sachaufgaben besteht in vielen Grundschulen des Öfteren das Problem, dass Schülerinnen und Schüler (SuS) die Bearbeitungen desinteressiert und lustlos durchführen. In den Sachaufgaben sind Sachsituationen vorhanden, die die Alltagswelt der SuS widerspiegeln sollen, sodass in den SuS Interesse ausgelöst wird. In den meisten Fällen werden jedoch die Alltagsbezüge in den Sachaufgaben erzwungen, damit die Sachsituationen auf der einen Seite Themen aus dem Alltag der SuS beinhalten, aber auf der anderen Seite in dem Ausmaß in der Realität mit geringer Wahrscheinlichkeit auftreten. Für einen gelungen Sachrechenunterricht in der Grundschule gilt es bei der Auswahl der Sachaufgaben authentische Lernanlässe zu schaffen, wodurch sich die SuS in die Sachsituationen hineindenken, dadurch die Aufgabe lösen und Alltagsprobleme damit bewältigen können.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Herkunft der Fermi-Aufgaben
3. Fermi-Aufgaben
3.1 Abgrenzung von Fermi-Aufgaben zu traditionellen Sachaufgaben
3.2 Definition und Merkmale
3.3 Typen von Fermi-Aufgaben
3.4 Bearbeitung von Fermi-Aufgaben
3.4.1 Voraussetzungen und Stolpersteine
3.4.2 Ablauf beim Bearbeiten von Fermi-Aufgaben
3.4.3 Teilzielstrukturierung der Fermi-Aufgaben
3.4.4 Datenbeschaffung bei Fermi-Aufgaben
3.4.5 Möglichkeiten der Umsetzung im Unterricht
3.5 Gründe für den Einsatz von Fermi-Aufgaben im Unterricht
4. Mathematische Bereiche in der Grundschule
4.1. Prozessbezogene Bereiche
4.2 Inhaltsbezogene Bereiche
4.3 Fermi-Aufgaben im Lehrplan
5. Bestandsaufnahme und Entwicklung eigener Aufgaben
5.1 Bestandsaufnahme zweier Arbeitshefte
5.1.1 Arbeitsheft 1: „Forscher Freddis Fermiaufgaben“
5.1.2 Arbeitsheft 2: „Fermi-Aufgabe für die Grundschule – Klasse 2-4“
5.1.3 Lückenbetrachtung beim Bereich der Raum und Formen
5.2 Aufgabenpool für die Erprobung
5.2.1 Auswahl aus den vorhandenen Aufgaben
5.2.2 Erstellen eigener Aufgaben
6. Erproben der Aufgaben in der Grundschule
6.1 Einstiegsstunde
6.2 Zweite Unterrichtsstunde
6.3 Dritte Unterrichtsstunde
6.4 Vierte Unterrichtsstunde
6.5 Fünfte Unterrichtsstunde
6.6 Sechste Unterrichtsstunde
6.7 Abschlussstunde
6.8 Reflexion der Unterrichtseinheit in Bezug auf mathematischen Bereiche
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
8.1 Arbeitshefte
8.2 Zeitschriften
8.3 Bücher
8.4. Elektronische Quellen
9. Abbildungsverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Im Kontext von Sachaufgaben besteht in vielen Grundschulen des Öfteren das Problem, dass Schülerinnen und Schüler (SuS)1 die Bearbeitungen desinteressiert und lustlos durchführen. In den Sachaufgaben sind Sachsituationen vorhanden, die die Alltagswelt der SuS widerspiegeln soll, sodass in den SuS Interesse ausgelöst wird. In den meisten Fällen werden jedoch die Alltagsbezüge in den Sachaufgaben erzwungen, damit die Sachsituationen auf der einen Seite Themen aus dem Alltag der SuS beinhalten, aber auf der anderen Seite in dem Ausmaß in der Realität mit geringer Wahrscheinlichkeit in dem Ausmaß auftreten. Für einen gelungen Sachrechenunterricht in der Grundschule gilt es bei der Auswahl der Sachaufgaben authentische Lernanlässe zu schaffen, wodurch sich die SuS in die Sachsituationen hineindenken, dadurch die Aufgabe lösen und Alltagsprobleme damit bewältigen können (vgl. Franke 2003: 25). Dabei stellt sich die Frage, ob typische Standardsachaufgaben, wie beispielsweise „Tim hat 5 Legokästen. Nino hat dreimal so viele. Wie viele Legokästen hat Nino?“, in ihrer Form diese Authentizität darbieten (ebd.: 26). Wird das Beispiel betrachtet, werden wahrscheinlich in den meisten Fällen die SuS die Zahlen aus den Aufgaben filtern und die Multiplikation aufschreiben. Hierbei würde die Sachsituation nicht beachtet werden, denn sie ist unbedeutend für die Lösung. Um dieses Problem zu umgehen, besteht die Aufgabe der Lehrkraft darin, authentische Aufgaben für den Unterricht auszusuchen. Darüber hinaus sollen diese Aufgaben offen dargestellt werden, damit die SuS frei in ihrer Bearbeitung sind (ebd.: 132ff). Dabei besteht die Schwierigkeit, Aufgaben zu finden oder zu erstellen, die lehrplankonform und zeitlich im Unterricht bearbeitbar sind. Wie können demnach solche Aufgaben aussehen?
Auf diese Frage empfiehlt Stefanie Burkhardt, ausgebildete Lehrerin und Autorin des Arbeitsheftes Forscher Freddis Fermiaufgaben, die Verwendung von sogenannten „Fermi-Aufgaben“. Dabei handelt es sich um Sachaufgaben, die „sich außer durch ihre Offenheit auch durch Realitätsbezug und eine besondere Zugänglichkeit“ kennzeichnen (Greefrath 2010: 81). Dadurch sollen sie authentische Lernanlässe darbieten und die SuS zur Lösung der Aufgabe motivieren (vgl. Burkhardt 2017: 3). Anhand der geschilderten Sachlage wird überprüft, inwiefern sich Fermi-Aufgaben von Standardsachaufgaben mit ihrer Problematik abheben und welche mathematischen Bereiche sich in der Grundschule für Fermi-Aufgaben eignen. Zudem liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit darin, herauszufinden, ob die inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen des Kernlehrplans der Mathematik für die Grundschule, die die mathematischen Bereiche der Grundschule darstellen, bei Fermi-Aufgaben umsetzbar sind. Für die Bewältigung der Aufgaben wird im Rahmen der Arbeit im ersten Teil theoretisch anhand Literatur und im zweiten Teil praktisch durch eine empirische Erprobung geforscht. Im ersten Teil wird zunächst ein kurzer Überblick über die Herkunft der Aufgaben verschafft. Anschließend folgt die Vorstellung der Fermi-Aufgaben, indem ihre Eigenschaften, Vielfältigkeit, Gründe für ihren Einsatz und Umsetzung im Unterricht aufgegriffen werden. Darin werden insbesondere die Herangehensweisen der Bearbeiterinnen und Bearbeiter (BuB)2 und die damit verbundenen Schwierigkeiten vertieft, damit ein Gesamtbild der Situation bei der Bearbeitung von Fermi-Aufgaben erstellt wird. Zum Schluss des ersten Teiles wird der Kernlehrplan der Mathematik für die Grundschule betrachtet, indem die einzelnen Kompetenzbereiche aufgeschlüsselt werden, wodurch eine Einordnung der Fermi-Aufgaben im Kontext des Lehrplanes erfolgt. Im zweiten Abschnitt werden zuerst Arbeitshefte begutachtet, die sich mit Fermi-Aufgaben beschäftigen. Dadurch wird eine Aufnahme dieser Arbeitshefte durchgeführt, damit im Anschluss Aufgaben zur Erprobung ausgewählt werden. Darüber hinaus wird der Vorgang der Entwicklung eigener Aufgaben im nächsten Schritt geschildert. Die ausersehenen Aufgaben werden in einer Grundschule erprobt und im Kontext zur Fragestellung der Arbeit analysiert. Abschließend wird im Kontext der Thesen ein Fazit gezogen.
2. Die Herkunft der Fermi-Aufgaben
Um einen besseren Überblick über Fermi-Aufgaben zu erhalten, wird ihre Herkunft zunächst einmal näher untersucht. Hierfür wird ein kurzer Einblick in das Leben des italienischen Kernphysikers Enrico Fermi geboten, welcher den Fermi-Aufgaben ihren Namen gab.
Enrico Fermi wurde am 29. September 1901 in Rom, Italien, geboren und verstarb am 28. November 1954 in Chicago, Illinois. Er war der dritte und jüngste Sohn von Alberto und Ida De Gattis. Durch die Berufung des Vaters, welcher als Angestellter im Verkehrsministerium arbeitete, kam Enrico Fermi mit 15 Jahren in Kontakt mit Eisenbahningenieuren, die seine außerordentliche Begabung für Mathematik entdeckten und durch Literatur auf universitären Niveau förderten. Hinzu freundete er sich mit dem damals gleichaltrigen und ebenfalls mathematisch begabten Enrico Persico an, mit dem er sich über physikalische und mathematische Problemstellungen und ihre selbstentworfenen Lösungen und Studien austauschen konnte (vgl. Bernardini und Bonolis 2001: 24).
Seinen schulischen Werdegang schloss er zusammen mit Enrico Persico an einem Gymnasium in Rom ab und begann im Jahre 1918 mit 17 Jahren das Physikstudium auf der italienischen Elitehochschule Scuola Normale Superiore in Pisa. Während seines Studiums setzte sich Enrico Fermi über sein Studium hinaus mit der Mathematik auseinander, insbesondere der mathematischen Physik. Zu dieser Zeit veröffentlichte er seine ersten wissenschaftlichen Arbeiten, die sich unter anderem mit der Relativitätstheorie beschäftigten. 1922 beendete er sein Studium in Pisa mit seiner Thesis über Röntgenbeugungen und kehrte daraufhin nach Rom zurück, um als „Assitant Professor“ im Institut für Physik zu arbeiten. Zusätzlich hielt er Vorlesungen über mathematische Physik und Newtonsche Mechanik an der Universität Florenz, an der er bis 1934 dozierte (vgl. ebd.: 37f). Derweil heiratete er 1928 Laura Capon, mit der er seine zwei Kinder, Nella und Giulio Fermi, großgezogen hat. Im Jahre 1934, mit der Entdeckung der Kernphysik, wurde sein Interesse auf dieses neue Gebiet gelenkt und er fokussierte seine Forschungen darauf (vgl. ebd.: 39). Daraufhin verfasste er eine wissenschaftliche Arbeit über radioaktive Neutronen, für die er 1938 den Nobelpreis für Physik erhielt (vgl. ebd.: 30). Aufgrund von Rassenverfolgungen in Italien im selben Jahr verließ er mit seiner Frau und seinen Kindern Italien, da er diese als Bedrohung für seine Familie betrachtete. Diesbezüglich wanderten sie nach Amerika aus und Enrico Fermi fing an in der Columbia University in New York zu dozieren (vgl. ebd.: 40).
Nachdem Enrico Fermi 1942 an die Universität von Chicago versetzt wurde, vertiefte er seine Forschungen im Bereich der Neutronenforschung. Dort forschte er vier Jahre lang, bis 1946 die Nuklearforschung offiziell anerkannt wurde und er seine Forschungen verlagerte. Hiermit befasste Enrico Fermi sich bis zu seinem Tod am 28. November 1954 (vgl. ebd.: 41f). Während seiner Forschungen trug Enrico Fermi 1945 bei der Erfindung der ersten Atombombe bei. Um die Sprengkraft dieser Atombombe zu messen, warf er kleine Papierschnipsel in die Luft und konnte durch deren zurückgelegten Weg die Sprengkraft von der Atombombe durch Schätzungen bestimmen (vgl. Elert und Müller 2006: 326). „Dieses Vorgehen, eine Größe zunächst näherungsweise abzuschätzen, hat Fermi in besonderer Weise geprägt, weshalb man in diesem Zusammenhang auch von Fermifragen (oder Fermiproblemen) spricht“ (ebd.: 326). Diese Art der Bestimmung versuchte er seinen Studierenden nahezulegen, indem er sie mit solchen Fermifragen konfrontierte. Dabei wirkte das Lösen solcher Aufgaben auf den ersten Blick unmöglich (vgl. Müller 2001a: 3). Er verlangte von seine Studentinnen und Studenten mit „einem gesunden Alltagswissen Zahlen, Größen und Größenordnungen [zu] überschlagen“ (Bongartz und Verboom 2007: 148). Ein bekanntes Musterbeispiel für solch eine Fermifrage lautet: „Wie viele Klavierstimmer gibt es in Chicago?“ (Büchter et al. 2010: 3).
3. Fermi-Aufgaben
Wie bereits im Kapitel zuvor erwähnt, erhalten die Fermi-Aufgaben ihren Namen von dem Kernphysiker Enrico Fermi, der durch intuitive Abschätzungen physikalische Größen nahezu exakt bestimmen konnte. Seine Aufgaben fordern ihre Bearbeiterinnen und Bearbeiter zu solchen Strategien auf (vgl. Elert und Müller 2006: 326). Im Folgenden werden nun ihre Merkmale, Auffälligkeiten, Typen, Bearbeitungsvoraussetzungen und Bearbeitungsmöglichkeiten im Unterricht erläutert. Außerdem werden Gründe für die Verwendung von Fermi-Aufgaben aufgelistet. Zunächst wird diese Aufgabenform von den herkömmlichen und bekannten Sachaufgaben abgegrenzt.
3.1 Abgrenzung von Fermi-Aufgaben zu traditionellen Sachaufgaben
Bevor der Versuch einer Definition von Fermi-Aufgaben mit ihren Merkmalen folgt, soll erst einmal erläutert werden, was heutzutage unter einer Sachaufgabe verstanden wird und was Fermi-Aufgaben von ihnen unterscheidet.
Unter Sachaufgaben werden im schulischen Kontext Textaufgaben verstanden, in denen Sachsituationen in Form von Texten geschildert werden. Der Kern dieser Aufgaben im traditionellen Sinne ist Rechenoperationen, die aktuell im Unterricht behandelt werden, zu erkennen und zur Lösung des Sachproblems zu verwenden. Dabei lässt sich in vielen Fällen diese im Alltag nicht in derselben Form wiederfinden (vgl. Schütte 2008: 136f). Darum werden Textaufgaben dahingehend konzipiert, dass eine Sachsituation gegeben ist, jedoch der Fokus bei der „Vorbereitung oder Festigung eines bestimmten Rechenverfahrens“ liegt (ebd. 2008: 137).
Heutzutage wird bei Sachaufgaben versucht, den Mangel an authentischen Sachsituationen auszugleichen. Sie sollen Sachsituationen darstellen, die im Alltag der BuB vorkommen und dadurch versuchen das Interesse zu fesseln (vgl. Bongartz und Verboom 2007: 11). Hierbei stellt sich das Problem, „dass eine derartig umfangreiche, komplexe Auseinandersetzung mit realen Phänomenen im Rahmen eines ,echten´ Sachrechnens sehr zeitaufwändig und deshalb nur in beschränktem Maße zu verwirklichen ist“ (ebd.: 11). Dennoch wird versucht mehr Inhalte aus der Alltagswelt der BuB in Sachaufgaben aufzunehmen. Darüber hinaus sollen Sachaufgaben nicht nur als alleinstehende Texte repräsentiert werden, sondern der Text soll unter anderem durch zusätzlichem Material, wie beispielsweise durch Abbildungen, unterstützt werden. Ebenfalls sollen Sachaufgaben mehrere Lösungswege erlauben und sich von dem Gedanken des einen wahren Lösungsweges entfernen (Franke 2003: 21). Diese erwünschten Ziele werden in Fermi-Aufgaben umgesetzt.
Im Gegensatz zu Standardsachaufgaben erzielen Fermi-Aufgaben weder eine spezielle Rechenoperation, noch den einzig die eindeutige Lösung. Der Lösungsweg der Aufgabe bleibt den BuB freigestellt. Ergänzend wählen sie Wege, die sie zuvor für undenkbar erachteten. Ein Beispiel hierfür ist, dass zur Recherche das Internet Daten nutzen dürfen. Darüber hinaus spielt die Sachsituation in Fermi-Aufgaben eine übergeordnete Rolle, da die Aufgaben alltagsnah konzipiert sind und nicht nur das mathematische Wissen, sondern das Alltagswissen der BuB zur Lösung beanspruchen. Das Ziel ist nicht Rechenoperationen in der Aufgabe zu erschließen, sondern den gesamten Sachkontext in die Überlegung einzubeziehen und strukturiert an die Aufgabe heranzugehen. Des Weiteren bestehen die Texte meist aus einem Satz und sind oftmals mit Abbildungen ausgestattet, wodurch die Motivation der SuS beim Lesen nicht schwindet (vgl. Bongartz und Verboom 2007: 148f).
Als Fazit wird zusammengefasst, dass Fermi-Aufgaben im Vergleich zu Standardsachaufgaben nicht nur die mathematische Auseinandersetzung mit der Aufgabe, sondern ebenso die Auseinandersetzung mit der Sachsituation und dem Alltagswissen der BuB erzielen. Demnach schmücken diese in Fermi-Aufgaben die Sachaufgabe nicht nur, sondern stärken damit ihre Authentizität.
3.2 Definition und Merkmale
Fermi-Aufgaben, die ebenso als Fermi-Fragen (auch Fermifragen) und Fermi-Probleme (auch Fermiprobleme) bekannt sind, werden als offene Sachaufgaben verstanden, die das „Vernetzen von Basisfertigkeiten, Strategien und Alltagswissen“ ermöglichen (Büchter und Leuders 2005: 158). Solche Fermi-Aufgaben, die aus einer kurzen Frage bestehen, beinhalten ein Problem, das auf dem ersten Blick unlösbar scheint. Dies ist dadurch bedingt, dass in der Fragestellung keine Zahlen vorhanden sind (vgl. Burkhardt 2017: 4). Solche Aufgaben finden ihren Gebrauch an Grundschulen ab der zweiten Klasse, an weiterführenden Schulen und an Hochschulen. Besonders vertreten sind Fermi-Aufgaben in den Fächern Mathematik und Physik (vgl. Furjanic und Müller 2001: 31).
Um diese zu bewältigen, müssen die BuB fehlende Daten durch unterschiedliche Methoden erheben. „Hieran zeigt sich besonders deutlich, dass es keine richtige oder falsche Lösung geben kann, sondern lediglich plausible und unplausible Ergebnisse“ (Kaufmann 2006: 16). Somit existieren keine vorbestimmten Lösungen, wodurch sich die BuB bei solchen Aufgaben eher trauen, verschiedene und ausgefallenere Lösungswege und Zugänge auszuprobieren, da vor allem die Angst vor einem klar definiertem „Falsch“ nicht vorhanden ist. Besonders die Offenheit der Bearbeitungsmöglichkeiten steht hier im Vordergrund. Das liegt daran, dass bei diesen Aufgaben Wert auf die Lösungswege und Beurteilen der unterschiedlichen Ergebnisse gelegt wird, wobei das eigentliche Rechnen in den Hintergrund tritt (vgl. Witzel 2018: 4). Hierbei stellt sich heraus, „dass man unter einem Fermiproblem weniger einen bestimmten Aufgabentypus als eine Art der Herangehensweise an eine Fragestellungen [sic!] versteht. Es handelt sich um eine Methode, um Fragestellung [sic!], die auf den ersten Blick als zu komplex erscheinen oder zu deren Lösung die gegebene Information nicht ausreicht, dennoch näherungsweise beantworten zu können“ (Müller 2001a: 3). Ein weiteres Merkmal ist der Realitätsbezug der Sachsituation in den Aufgabenstellungen. Sie orientieren sich am „Erlebnis- und Interessenbereich“ der BuB, wodurch an Inhalte des „gegenwärtigen Erfahrungsbereiches“ der BuB geknüpft werden (Witzel 2018: 4). „Fermi-Aufgaben sind im Prinzip unterbestimmte offene Aufgaben mit klarem Endzustand aber unklarem Anfangszustand sowie unklarer Transformation, bei denen die Datenbeschaffung – meist durch mehrfaches Schätzen – im Vordergrund steht“ (Greefrath 2010: 80).
3.3 Typen von Fermi-Aufgaben
Bei näherer Betrachtung einzelner Fermi-Aufgaben können Unterschiede in ihrer Formulierung, ihrem Ansatz und ihrer Art festgestellt werden. Um die verschiedenen Aufgabentypen der Fermi-Aufgaben zu verdeutlichen, werden Beispiele aus Die Fermi-Box 5. bis 7.3 Klasse zu den acht verschiedenen Aufgabentypen aufgelistet.
1. Größen und Zahlen sollen geschätzt und überschlagen werden
- Zum Beispiel: „Wie viele Matheaufgaben hast du in deinem Leben schon bearbeitet?“ (Büchter et al. 2010: 46).
2. Größen und Zahlen sollen veranschaulicht werden
- Zum Beispiel: „,Wussten sie, dass ein Mann in 18 Monaten die Fläche eines Fußballfeldes rasiert?´ In 18 Monaten ein Fußballfeld rasieren – kann das stimmen?“ (ebd.: 134).
3. Größen und Zahlen sollen sowohl geschätzt und überschlagen, als auch veranschaulicht werden
- Zum Beispiel: „Elf Jahre lang nur Marmeladen-Brote – stimmt es, dass die gegessene Marmelade den Kofferraum von 13 Autos füllen würde?“ (ebd.: 202).
4. Größen und Zahlen sollen durch Alltagswissen angenommen werden.
- Zum Beispiel: „Wie viel wiegen alle Schülerinnen und Schüler deiner Schule zusammen?“ (ebd.: 52).
5. Größen und Zahlen sollen anhand von Abbildungen ermittelt werden
- Zum Beispiel: „Wie viel Stoff benötigt man für dieses Trikot?4 “ (ebd.: 182).
6. Größen und Zahlen sollen gemessen, gewogen oder durch einfache Versuche gewonnen werden
- Zum Beispiel: „Wie viele Luftballons passen in deinen Klassenraum?“ (ebd: 56).
7. Größen und Zahlen sollen recherchiert werden
- Zum Beispiel: „Wie lange würdest du brauchen, um zu Fuß von Flensburg bis nach Freiburg zu kommen?“ (ebd.: 106).
8. Ergebnisse sollen durch Experimente oder kleinen Versuchen kontrolliert werden
- Zum Beispiel: „Wie viel Wasser (alternativ: Kreide, Toilettenpapier, Bleistifte oder Klebstoff) wird jedes Jahr in eurer Schule verbraucht?“ (ebd. 48).
Durch diese Auflistung wird deutlich, dass Fermi-Aufgaben unterschiedlich sind und verschiedene Ansätze für ihre Lösung benötigen. Bei Fermi-Aufgaben erfolgt jedoch kaum eine genaue Zuordnung ihrer zu den Aufgabentypen, da diese Ansätze aus mehreren Aufgabentypen brauchen, um der Lösung näherzukommen. Zum Beispiel wird bei der Aufgabe „Wie lange würdest du brauchen, um zu Fuß von Flensburg bis nach Freiburg zu kommen?“ (Typ 7) die alleinige Recherche nicht zur Lösung ausreichen. Diesbezüglich müssen die BuB sich überlegen, wie lange sie für eine gewisse Strecke zu Fuß benötigen, also somit ihr Alltagswissen (Typ 4) mit einbinden, dies auf eine längere Entfernung abschätzen (Typ 1) und den Weg durch eine Skizze veranschaulichen (Typ 2 und 3).
3.4 Bearbeitung von Fermi-Aufgaben
Durch die vorherigen Kapitel wurde ein Überblick verschafft, was Fermi-Aufgaben sind und was sie ausmacht. In diesem Kapitel wird ihre Thematisierung im Unterricht näher betrachtet.
3.4.1 Voraussetzungen und Stolpersteine
Der Einsatz von Fermi-Aufgaben wird von Lehrkräften mit Bedacht eingesetzt, da die Herausforderung, vor die die BuB stehen, viele Risiken besitzt. „Nicht zuletzt können solche Fermi-Fragen nur als Herausforderung an eine Klasse (und an die Lehrerin/den Lehrer) gestellt werden, die es gewohnt ist, im Mathematikunterricht offen, selbstständig, forschend, probierend und kommunikativ zu arbeiten“ (Bongartz und Verboom 2007: 148). Somit gilt es für die Lehrkräfte einen Raum zu schaffen, in der Voraussetzungen geschafft werden, um „Stolpersteine“ zu umgehen. Hierfür halten die Lehrkraft sich während der Bearbeitung der Aufgaben zurück, um die BuB während Diskussions- und Denkphasen nicht zu unterbrechen. Stattdessen nehmen sie die Rolle des Beobachters ein, um die Arbeitsmuster der BuB zu analysieren, Förderbedarf zu erkennen und Hilfestellungen zu leisten. Bei dieser Art von Aufgabe korrigieren Lehrkräfte während der Bearbeitung der Aufgaben falsche Wege nicht, da die BuB diese selbstständig erkennen und durch Einschätzungen der Plausibilität der Ergebnisse gegebenenfalls einen anderen Weg einschlagen sollen. Dabei kann es bei der Bearbeitung jedoch zu dem Fall kommen, dass sie Ergebnisse ohne weitere Bedenken annehmen, obwohl diese realitätsfremd sind. Um dies zu vermeiden, ziehen die Lehrkräfte im Voraus in Erwägung, die „notwendigen inhaltlichen und methodischen Teilqualifikation im Unterricht isoliert zu thematisieren“ (Kaufmann 2006: 19). Darunter fällt gleichermaßen das Abschätzen der Plausibilität und der Sinnhaftigkeit der Lösung und der Lösungswege. Des Weiteren zählen hierzu die Gliederung der Hauptfrage in kleinere Teilfragen und das Beschaffen von fehlenden Zahlen und Größen (vgl. ebd.: 19). Darüber hinaus kann das Beschaffen fehlender Daten den BuB schwer fallen, da sie an das „Frage-Rechnung-Antwort“ Prinzip gewöhnt sind. Ein erhöhter Anspruch besteht, wenn sie aus Texten zwischen relevanten und irrelevanten Informationen abwägen müssen (vgl. Braun 2013: 1). Hierbei kann es dazu kommen, dass wahllos relevante und irrelevante Zahlen durch Operationen verknüpft werden, die zum aktuellen Zeitpunkt im Unterricht verstärkt behandelt werden. Damit dies vermieden wird, sollen Lehrkräfte überprüfen, ob die BuB relevante und irrelevante Daten unterscheiden und angemessene Operationen wählen (vgl. Kaufmann 2006: 19).
Nach Bongartz und Verboom (2007: 148) gehört gleichermaßen zu den Voraussetzungen die Selbstständigkeit der BuB dazu. In diesem Punkt ist es wichtig, dass das selbständige Arbeiten in anderen Kontexten im Unterricht angeeignet wurde, da Fermi-Aufgaben größtenteils aus selbstständigen Arbeitsschritten bestehen und darauf aufbauen (vgl. Kaufmann 2006: 19). Die Aufgaben können mit verschiedenen Sozialformen realisiert und verschiedene Leistungstypen und -stände kombiniert werden (vgl. Düringer 2014: 3). Eine weitere Schwierigkeit der Fermi-Aufgaben ist der Transfer von der Sachebene zur mathematischen Ebene. Ebenfalls gehört das Rückbeziehen von den Rechenoperationen und Zahlen zurück zur Sachsituation dazu. Diese Fähigkeit zu übertragen, wird nur durch wiederholtes Üben erlangt (vgl. Korff 2016: 12f).
Die Lehrkraft muss viel Geduld und Zeit für diese Aufgaben einplanen und darf gleichzeitig nicht die Geduld der BuB überstrapazieren. Zudem wird berücksichtigt, wie lange die BuB fähig sind, den anderen Gruppen bei der Lösungsvorstellung zuzuhören und ihr Interesse dafür beizubehalten. Dabei kann es zu Verwirrungen kommen, wenn mehr als eine Lösung existiert, da sie nichtsdestotrotz an eine feststehende Lösung gewohnt sind. Dies muss aufgegriffen werden. Es wird ihnen gezeigt, wie sie eigene Lösungswege ausdrücken und sich ihrer eigenen Lösungswege bewusst werden. Für sie ist es im selben Maße eine Umgewöhnung aktiv am Stück lange nachzudenken, statt wie gewohnt Mathematikaufgaben karg abzuarbeiten (vgl. ebd.: 10).
Die Lehrkraft ist verpflichtet „das Einüben der organisatorischen Öffnung (in Gruppen zusammenarbeiten, den Arbeitsprozess strukturieren, Informationen einholen, Aufgaben verteilen, etc.)“ zu gewährleisten und „Unterstützung der inhaltlichen Öffnung (Darstellungsformen, die es allen Kindern ermöglichen, ein Verständnis für die Aufgabe zu entwickeln, Materialauswahl für unterschiedliche Zugänge, Austausch über Ergebnisse unter Nutzung verschiedener Repräsentationsformen etc.)“ anzubieten (Korff 2016: 13). Da die Kreativität zur Bearbeitung der Fermi-Aufgaben beansprucht wird, wird diese stetig gefördert. Bei Bedarf werden auch Unterrichtsinhalte, die für die Lösung der Aufgaben erforderlich sind und länger zurückliegen, wiederholt (vgl. Müller 2001a: 3).
3.4.2 Ablauf beim Bearbeiten von Fermi-Aufgaben
Ein wichtiger Aspekt bei der Bearbeitung von Fermi-Aufgaben ist, dass „[...] von Anfang an Kompetenzen im Bereich Modellieren“ als Teil des Bildungsstandards und des Lehrplans Mathematik in NRW weiterentwickelt werden (Büchter et al. 2010: 6). Die Abläufe, die in diesem Kontext bei der Bearbeitung solcher Aufgaben durchlaufen werden, können anhand des Modellbildungskreislaufes von Werner Blum5 veranschaulicht werden. Nach seinem Modell verläuft der Ablauf in sieben aufeinander folgenden Schritten, worauf im Folgenden genauer eingegangen wird.
Im ersten Schritt machen die BuB sich die Ausgangssituation und die Fragestellung der Fermi-Aufgabe bewusst. Für diesen Schritt lesen sie sich die Aufgabenstellungen aufmerksam durch, sortieren Informationen im Text nach ihrer Relevanz und schlagen gegebenenfalls unbekannte Wörter nach. Somit werden die Aufgabenstellungen aufgenommen und mit eigenen Gedanken verinnerlicht. Hieraus wird ein selbst entwickeltes „Situationsmodell“ konstruiert (Blum 2006: 10ff).
Darauf folgt der zweite Schritt, welcher dazu dient, dass das entwickelte Situationsmodell nun bearbeitet und daraus ein „Realmodell“ erstellt wird. „Das resultierende Situationsmodell muss dann strukturiert und vereinfacht werden“ (ebd.: 10). Dabei ist mit „vereinfachen“ gemeint, dass Aussagen aus der Aufgabenstellung, die bereits im ersten Schritt verinnerlicht worden sind, zu etwas Greifbarem und Alltäglichem umgeformt werden. Zum Beispiel können hierfür vereinfachte Skizzen oder Tabellen genutzt werden, worin komplexere und unbekannte Inhalte, wie zum Beispiel die Erde, auf eine konkrete Art, wie zum Beispiel als Kugel, dargestellt werden (vgl. ebd.: 10).
Da nun im zweiten Schritt aus dem Situationsmodell ein Realmodell entwickelt wurde, wird der dritte und vierte Schritt, das „Mathematisieren“ und das „Mathematisch arbeiten“, eingeleitet (vgl. ebd.: 10). Beim „Mathematisieren“ geht es darum, dass die BuB aus dem Realmodell ein dazu passendes mathematisches Modell finden und zuordnen können. Somit wird die Sachsituation in einen mathematischen Kontext übersetzt (vgl. Franke 2003: 74f). In diesem mathematischen Modell werden das vorhandene mathematische Wissen und bekannte Verfahren der BuB auf die Problemstellung angewendet, um die Problematik der Aufgabe zu lösen und um ein „mathematisches Resultat“ zu erhalten. Dafür wenden sie sogenannte „heuristische Strategien“ an, um strukturiert die Aufgabe mathematisch zu bewältigen (vgl. ebd.: 24/75). Was genau unter „heuristischen Strategien“ verstanden wird, soll im nächsten Kapitel näher betrachtet werden.
Im fünften und sechsten Schritt wird das mathematische Resultat interpretiert und validiert. Diesbezüglich kommt es zu einer „Rück-Interpretation“, bei der das mathematische Resultat als Lösung der eigentlich Aufgabenstellung und Sachsituation eingesetzt und auf seine Plausibilität als Lösung dieser bewertet wird (Blum 2006: 10). Demnach wird das mathematische Resultat als reales Resultat beurteilt. Fragestellungen, wie zum Beispiel „Waren die Annahmen vernünftig?“ und „Ist die Ergebnis-Genauigkeit angemessen?“ können bei der Rück-Interpretation als helfender Impuls herangezogen werden (ebd.: 10). Zeigt sich beim Interpretieren und Validieren des mathematischen Resultats seine Fehlerhaftigkeit, so wird das erstellte Modell korrigiert und der Kreislauf erneut durchlaufen (vgl. ebd.: 10). Die Rückinterpretation ist die größte Hürde und daher in gleicher Weise eine Grenze des Models. Größtenteils interpretieren BuB das mathematische Ergebnis fehlerhaft in das reale Ergebnis zurück oder machen bereits bei der Entwicklung des mathematischen Modells aus dem Realmodell Fehler. „Die Einsicht in die Grenzen mathematischer Modellbildung sollte auch Inhalt des Mathematikunterrichts sein“ (Franke 2003: 75).
Abschließend wird die Lösung mit dem durchlaufenem Lösungsweg transparent vor- und dargestellt (vgl. Blum 2006: 14). Wird der Modellkreislauf auf den Bearbeitungsprozess der Fermi-Aufgaben übertragen, so kann dieser Prozess durch folgendes Verlaufsschema skizziert werden.6
3.4.3 Teilzielstrukturierung der Fermi-Aufgaben
„Die Kunst bei der Bearbeitung eines Fermiproblems ist, auf die richtige Weise zum Kern des Problems auf systematische Weise zu strukturieren und aufzugliedern“ (Müller 2001a: 3). Dieses systematische Gliedern und Strukturieren erfolgt im Sinne einer Aufteilung der Hauptfrage in einzelne Teilfragen und Lösungshilfen, die zur Lösung notwendig und hilfreich sind. Hierbei können die Teilfragen und Lösungshilfen nach Aufgabenform und Aufgabenstellung variieren. Jedoch gibt es einheitliche Teilfragen und Lösungshilfen, die sich in den meisten Fermi-Aufgaben anwenden lassen:
- „Suche alle Daten zusammen, die mit dem Problem zu tun haben könnten.
- Welche Zahlen und Größen werden gesucht?
- Frage vorwärts: Was kann ich aus den bekannten Daten berechnen?
- Frage rückwärts: Was müsste ich noch kennen, damit ich eine gesuchte Größe berechnen kann?
- Zahlen und Werte, die man nicht kennt, kann man schätzen.
- Wenn du schätzen musst, frage dich: Was ist der kleinste oder größte vernünftige Wert?
- Überprüfe das Ergebnis: Ist es sinnvoll oder verständlich? Erscheint es eher zu groß oder zu klein?
- Kontrolliere: Was passiert, wenn ich größere oder kleinere Werte nehme?
- Überlege, bevor du rechnest: Wie wirkt sich ein kleinerer/größerer Wert auf das Ergebnis aus – wird es größer oder kleiner?“ (Büchter und Leuders 2005: 161).
Unter dem Aspekt wird ebenfalls von der Anwendung „heuristischer Strategien“ gesprochen. Zu diesen gehören unter anderem die „Analogiebildung“, bei der das Wissen aus ähnlichen und bereits gelösten Aufgaben zur Lösungsfindung genutzt wird, die „Suchraumeingrenzung“, bei der das Ergebnis in einem eingegrenzten Bereich erwartet wird, das „Vorwärts- und Rückwärtsarbeiten“, bei dem entweder zur Lösung hin oder von ihr aus gearbeitet wird, die „Ziel-Mittel-Analyse“, bei der heuristische Hilfsmittel zur Lösung ausgesucht und genutzt werden und die „Bergsteigermethode“, bei der die Problematik zerlegt wird und diese einzeln gelöst werden (Franke 2003: 71ff).
Zusätzlich folgt aus der Teilzielstrukturierung, dass sich die Lösungen jeder Aufgabe bei jeder BuB unterscheiden können. Demnach verändert sich die Endlösung der Aufgabe bei jeder unterschiedliche Lösung innerhalb der Teilzielen, mit denen darauf folgend weiter gerechnet wird. Damit lassen sich die Vielfalt und die Mehrdeutigkeit der Lösungen begründen (vgl. Burkhardt 2017: 4).
3.4.4 Datenbeschaffung bei Fermi-Aufgaben
Wie genau die Ansätze, die in Kapitel 3.3 angedeutet wurden, aussehen und wie sich die BuB fehlende Daten beschaffen, wird in diesem Kapitel thematisiert.7
Daten, die sich nicht aus der Alltagswelt der BuB gewinnen lassen, werden alternativ durch Recherche und Nachforschungen gefunden. Da Fermi-Aufgaben sich größtenteils thematisch aus ihrer Alltagswelt widerspiegeln, stellt die Beschaffung von fehlenden Daten auf diesem Weg eine umsetzbare Option dar. Trotzdem soll die Lehrkraft über das Alltagswissen der BuB informiert sein, da sich Alltagswissen bei jeder Person unterscheidet (vgl. Franke 2003: 112). Manche Daten werden nicht aus der Alltagswelt der BuB gewonnen. Solche Daten lassen sich alternativ durch Recherchearbeit und Nachforschungen finden. Diesbezüglich eignet sich die Recherche in elektronischen Medien und Printmedien (vgl. Bönig und Ruwisch 2004: 8). Darüber hinaus werden Experten, wie unter anderem Lehrkräfte und Eltern, zur Gewinnung von Daten zu Hilfe genommen.
Für einige Daten, wie beispielsweise der Flächeninhalt eines Raumes, lassen sich problemlos Durchschnittswerte per Recherche finden. Jedoch gibt es für solche Fälle ebenfalls die Möglichkeit der selbstständigen Messung. Sowohl mit skalierten Messgeräten (beispielsweise Waagen und Maßbänder) als auch mit Standardmaßen (beispielsweise der Meterstab) können die BuB die benötigten Daten von Objekten herausfinden. Bei großen Gegenständen, Flächen oder Räumen ist es ihnen außerdem möglich, diese Größen mit Gegenständen kleinere Größe zu ermitteln, während die Größe des kleineren Gegenstandes durch ein Messgerät oder einem Standardmaß wiederum genauer bestimmt werden kann (vgl. Schwarzkopf 2013: 9). Zum Beispiel nutzten SuS einer fünften Klasse einen Besen zum Ausmessen der Höhe, Länge und Breite ihres Klassenraumes. Hierfür wurde im Voraus die Länge des Besens per Lineal ermittelt. Problemlos wird die zu ermittelnden Daten des Klassenzimmers mit dem Besen bestimmt (vgl. Büchter et al. 2010: 2). Zu den Daten, die durch solche Messgeräte oder Standardmaße ermittelt werden, zählen die Länge, das Gewicht, der Flächeninhalt, das Volumen und die Zeitspanne (vgl. Schwarzkopf 2013: 10f).
Abschließend müssen fehlende Daten von den BuB geschätzt werden. „Schätzen ist das Ermitteln einer ungefähren Größenangabe durch gedankliches Vergleichen mit eingeprägten Repräsentanten“ (Franke 2003: 254). Dabei werden die Daten der Gegenstände, die bestimmt werden sollen, gedanklich mit bekannten Repräsentanten verglichen, wobei zwischen direktem und indirektem Vergleich unterschieden wird. Bei einem direkten Vergleich werden Repräsentanten, die greifbar in der Nähe sind, ausgesucht. Hierfür wird des Öfteren die eigenen Körpergröße gewählt. Dagegen wird bei indirekten Vergleichen mental vorgegangen, bei dem bekannte Größen aufgerufen und mit der Größe des zu bestimmenden Gegenstandes abgeglichen werden. Dafür werden oftmals bekannte Vergleichsgrößen, wie zum Beispiel die Körpergröße von Familienmitgliedern verwendet (vgl. Franke 2003: 259f). Wichtig beim Schätzen ist es, dass einerseits „authentische Schätzanlässe“ im Kontext angeboten werden, damit sich die BuB bewusst sind, in welchem Verhältnis sie Vergleichsobjekte für eine genaue Schätzung benötigen und andererseits sie entscheiden müssen, wann eine Schätzung angemessen ist und ob ein geschätzter oder gemessener Wert für die Weiterrechnung übernommen oder eher überschlagen werden sollte (Schwarzkopf 2013: 12).
3.4.5 Möglichkeiten der Umsetzung im Unterricht
In Kapitel 3.4.1 wurden die optimalen Voraussetzung in einer Klasse, sowie die möglichen Hindernisse bei Fermi-Aufgaben behandelt. Nun sollen Möglichkeiten dargestellt werden, wie diese im Unterricht, in dem Fall der Mathematikunterricht in der Grundschule, eingebunden und angewandt werden können. Um Fermi-Aufgaben im Unterricht zu thematisieren, kann bei der Planung des Unterrichts die klassische, dreiteilige Struktur einer Unterrichtseinheit vorgenommen werden. Die Stunde wird mit einem Einstieg eröffnet, worauf eine Arbeitsphase folgt. Zum Schluss wird die Unterrichtseinheit mit einer Reflexionsphase abgeschlossen (vgl. Boysen et al. 2007: 12f).
Ein Vorteil von Fermi-Aufgaben ist ihre Variabilität beim Einsatz im Unterricht. Dadurch können sie in vielen Unterrichtskontexten, wie beispielsweise beim Einführen neuer Inhalte, im Mathematikunterricht eingesetzt werden (vgl. Büchter et al. 2010: 9). Einerseits dienen sie als Einführungsaufgabe, damit „problemorientierte Einstiege, die sich schon noch dazu aus anschaulichen Kontexten heraus entwickeln“, gewährleistet werden (ebd.: 9). Andererseits werden sie als Zusatzaufgaben genutzt, um Wissen der aktuellen Unterrichtsreihe zu vertiefen und „die Schüler mit der Bearbeitung von Fermi-Aufgabe mehr und mehr vertraut zu machen“ (Düringer 2014: 4). Zusätzlich können in diesem Kontext Fermi-Aufgaben zum Wiederholen von Inhalten genutzt werden, deren Behandlung bereits längere Zeit zurückliegen. Dadurch wird überprüft, inwiefern sich besprochene Inhalte verfestigten und diese bei Bedarf aufgerufen werden (vgl. Büchter et al. 2010: 10). Zudem werden Fermi-Aufgaben nicht nur im Mathematikunterricht aufgegriffen, sondern gleichfalls in offenen Unterrichtsformen, wie in Freiarbeits-, Wochenarbeitsphasen und Vertretungsstunden sinnvoll verwendet (vgl. Burkhardt 2017: 5). Sie können genauso vom Unterrichtsgeschehen gelöst und in Projektarbeiten AGs vertieft werden (vgl. Büchter et al. 2010: 11).
Im Gegensatz zu partiellen Beschäftigung mit Fermi-Aufgaben, können ebenfalls Unterrichtsreihen zu Fermi-Aufgaben vorbereitet werden. Diesbezüglich sollte die Einstiegsstunde für die Gewöhnung an die Herangehensweise der Aufgabenform in Anspruch genommen werden. Zu diesem Zweck sollte die erste Fermi-Aufgabe im Plenum gemeinsam mit der Klasse besprochen und vorgenommen werden. Dadurch haben Lehrkräfte mehr Zeit für den Unterrichtseinstieg, da sowohl die Herangehensweisen, als auch die Möglichkeiten zur Beschaffung von Daten mit den SuS besprochen werden müssen. Während der darauf folgenden Aneignungsphase sollen sie sich zuerst eigenständig Gedanken zur Lösung der Aufgabe machen, damit sie sich mit dem Sachverhalt der Aufgabe intensiver befassen. Daraufhin bilden sich Gruppen, um sich an die Aufgabe Schritt für Schritt heranzuarbeiten. Am Ende werden die Lösungen und die Lösungswege im Plenum gesammelt und auf ihre Plausibilität überprüft. Dieser Reflexionsansatz eignet sich für die erste Unterrichtseinheit, wodurch die Wichtigkeit und die Wirkung des Lösungsweges hervorgehoben wird, dass es keine eindeutige Lösung gibt (vgl. ebd.: 10f). Bei der Wahl der Fermi-Aufgaben als Unterrichtseinheit muss die Reihenfolge der Aufgaben beachtet werden. Um die SuS an die Offenheit der Aufgaben zu gewöhnen, werden Aufgaben schrittweise geöffnet, sodass zu Beginn mit wenig offenen Fermi-Aufgaben gestartet wird und im Laufe der Einheit die Offenheit der Aufgaben stetig steigt (vgl. ebd.: 11). Nun werden die verschiedenen Phasen einer Unterrichtsstunde dargestellt.
Durch die Einstiegsphase werden die SuS an die Aufgabenstellung der Fermi-Aufgabe hingeführt. Dieser Einstieg ist interessant und motivierend für sie, damit das Engagement steigt. Des Weiteren werden den SuS die Arbeitsabläufe verständlich erklärt, sodass sie in der Arbeitsphase selbstständig arbeiten. Gegebenenfalls werden wichtige Ergebnisse und Fazite aus der vergangenen Stunde wiederholt (vgl. Boysen et al. 2007: 12f). Dabei wiederholt die Lehrkraft in den ersten Unterrichtseinheiten die Herangehensweise an Fermi-Aufgaben im Allgemeinen oder lassen diese wiederholen, damit sich die SuS diese einprägen. Die Aufgaben werden am Anfang der Stunde mit verschiedenen Medien vorgestellt. Falls Material notwendig ist, wird dieses auf einen Materialtisch gestellt und darauf aufmerksam gemacht. Gegebenenfalls werden Impulse zum Einstieg aufgeführt. In dieser Phase erfolgt die Gruppeneinteilung, wobei eine Gruppe maximal aus vier Kindern besteht (vgl. Burkhardt 2017: 5). In diesem Kontext werden die Gruppen zufällig erstellt, indem die Lehrkraft zum Beispiel auszählt oder Karten austeilt, worauf die SuS mit derselben Zahl eine Gruppe bilden. Dadurch treten sie mit anderen SuS in Kontakt, mit denen sie seltener zusammenarbeiten (vgl. Plamenig und Schmut 2006: 18). Überdies eignen sich ebenso andere Sozialformen, wie beispielsweise Einzel- und Partnerarbeit für die Bearbeitung von Fermi-Aufgaben (vgl. Düringer 2014: 3). Ist die Klasse mit der Sozialform „Gruppenpuzzle“ vertraut, so können einzelne Unterrichtseinheiten gleichermaßen in dieser Sozialform bearbeitet werden (vgl. Büchter et al. 2010: 20ff).
[...]
1 Für ein besseren Lesefluss wird im Verlauf der Arbeit die Abkürzung „SuS“ genutzt.
2 Im theoretischen Teil der Arbeit wird größtenteils von Bearbeiterinnen und Bearbeitern gesprochen, um hervorzuheben, dass Fermi-Aufgaben sowohl von Kindern als auch von Erwachsene und Jugendliche bearbeitet werden können. Darüber hinaus wird die Abkürzung „BuB“ für ein besseren Lesefluss genutzt.
3 (vgl. Büchter et al. 2010: 8).
4 Siehe Abbildung 1.
5 Siehe Abbildung 2.
6 Siehe Abbildung 3.
7 (vgl. Burkhardt 2017: 4).
- Arbeit zitieren
- Koray Eski (Autor:in), 2018, Welche mathematischen Bereiche eignen sich für Fermi-Aufgaben? Bestandsaufnahme, Entwicklung eigener Aufgaben und praktische Erprobung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1189736
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