Adipositas gehört zu den Volkskrankheiten mit ansteigender epidemiologischer Bedeutung. Adipositas ist mit vielfältigen Folgeerkrankungen, Frühverrentungen sowie nicht unerheblichen Kosten für das Versorgungssystem assoziiert, eine frühzeitige Identifizierung von Risikogruppen ist daher von Relevanz. Aus psychologischer Perspektive ist bedeutsam, dass häufig auch psychische Vorerkrankungen normabweichende Essgewohnheiten und damit Adipositas begründen können. Den Hypothesen der Psychoanalyse zur Folge kann Adipositas (verstanden als übermäßiger Essendrang) schließlich als Folge eines Traumas in der frühkindlichen Sexualentwicklung aufgefasst werden.
Ziel der Arbeit soll vor diesem Hintergrund sein, zu untersuchen, ob eine Fixierung der oralen Phase als Risikofaktor für Adipositas bezeichnet werden kann, also ob Personen mit „oralem Charakter“ nach Freud Risikokollektive für Adipositas darstellen.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Hintergrund und Relevanz
1.2 Untersuchungsgegenstand
1.3 Gliederung
2. Theoretischer Hintergrund
2.1 AdipositasundÜbergewicht: (epidemiologische)Bedeutung
2.1.1 Adipositas: Begriff und Klassifikation
2.1.2Epidemiologie
2.1.3 Ursachen und Ätiologie
2.1.3.1 MultikausaleÄtiologieausbiomedizinischerPerspektive
2.1.3.2 Ursachen aus psychotherapeutischerPerspektive
2.1.4 Therapie
2.1.5 Schwerpunkte der psychotherapeutischen Intervention
2.2 Psychosoziale Entwicklung nach Freud
2.2.1 Überblick: Grundannahmen derPsychoanalyse
2.2.2 Sexuelle Entwicklung und Persönlichkeitsentwicklung
2.2.3 Phasen der Sexualentwicklung nach Freud
2.2.3.1 OralePhase
2.2.3.2AnalePhase
2.2.3.3 Phallische Phase
2.2.3.4 Latenzperiode
2.2.3.5 Genitalen Phase
2.2.4 Psychodynamik: Weiterentwicklung in der post-Freud-Ära
2.2.5 Fixierung
2.3 Psychoanalyse und Adipositas
2.3.1 Ätiologie der Adipositas aus Perspektive der Psychodynamik
2.3.2 Therapie
2.3.3 Behavioristische Perspektive
2.4 Forschungsfragen und Hypothesen
3. Methoden
3.1 Studiendesign
3.2 Fragebögen
3.3 Untersuchungsablauf
3.4 Auswertung und statistische Analyse
3.5 Befragungskollektiv
4. Ergebnisse
4.1 GesundheitsbezogeneLebensqualität
4.2 Essverhalten
4.3 Persönlichkeitseigenschaften
4.3.1 Neurotizismus
4.3.2 Extraversion
4.3.3 Gewissenhaftigkeit
4.3.4 0ffenheit
4.3.5 Verträglichkeit
4.4 Besonderheiten der frühkindlichen Entwicklung
5. Diskussion
5.1 Hypothesenüberprüfung
5.2 Beantwortung der Forschungsfragen
5.3 Diskussion der Ergebnisse
5.4 Limitationen
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
GenutzteFragebögen
Anmerkung der Redaktion: Der Anhang wurde aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklung der Übergewichts- und Adipositas-Prävalenz von in Deutschland 1990-2010 nach Alter und Geschlecht
Abbildung 2: Geschätzte Gefährdungsquotienten für einen frühzeitigen Tod in Abhängigkeit vom BMI
Abbildung 3: Ziele der Verhaltenstherapie in der Behandlung der Adipositas
Abbildung 4: Freuds Strukturmodell derPsyche
Abbildung 5: Zwei-Schichten-Modell der Psyche nach Erich Rothecker
Abbildung 6: Vertikales Schichten- und horizontales Schalenmodell nach Lersch
Abbildung 7: Klassifizierte Altersverteilung der Probanden der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 8: Geschlechtsverteilung der Probanden der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 9: Bildungsstand der Probanden der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 10: Familienstand der Probanden der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 11: GewichtsverteilungFallgruppe
Abbildung 12: Gewichtsverteilung Kontrollgruppe
Abbildung 13: Gesundheitsbezogene Lebensqualität: Vergleich Gesamtscore derFall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 14: Klassifizierte Score-Verteilung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 15: Essverhalten derFall- und derKontrollgruppe
Abbildung 16: Heißhunger in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 17: Durchschnittliche Bewertung derFrage-Items derNeurotizismus-Dimension in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 18: Vergleich des Neurotizismus-Gesamtscores in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 19: Durchschnittliche Bewertung der Frage-Items der Extraversions-Dimension in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 20: Vergleich des Extraversions-Gesamtscores in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 21: Durchschnittliche Bewertung der Frage-Items der Gewissenhaftigkeits¬ Dimension in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 22: Vergleich des Gewissenhaftigkeits-Gesamtscores in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 23: Durchschnittliche Bewertung der Frage-Items der Offenheits-Dimension in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 24: Vergleich des Offenheits-Gesamtscores in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 25: Durchschnittliche Bewertung der Frage-Items der Verträglichkeits-Dimension in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 26: Vergleich des Verträglichkeits-Gesamtscores in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 27: Schnullernutzung und Stillerfahrung in der frühen Kindheit in der Fall- und der Kontrollgruppe
Abbildung 28: Kindliches Übergewicht in der Fall- und der Kontrollgruppe
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Lebensphasen im vollständigen Lebenszyklus nach Erik H. Erikson
Tabelle 2: Frage-Items des selbstgenerierten Fragebogens zur frühkindlichen Entwicklung .
Tabelle 3: Signifikanzüberprüfung des Essverhaltens der Fall- und der Kontrollgruppe
Tabelle 4: Signifikanzüberprüfung der Unterschiede im Antwortverhalten in der Neurotizismus-Dimension
Tabelle 5: Signifikanzüberprüfung der Unterschiede im Antwortverhalten in der Extraversions-Dimension
Tabelle 6: Statistische Berechnung der Zusammenhangsmaße und des relativen Risikos in der Extraversions-Dimension
Tabelle 7: Signifikanzüberprüfung der Unterschiede im Antwortverhalten in der Gewissenhaftigkeits-Dimension
Tabelle 8: Statistische Berechnung der Zusammenhangsmaße und des relativen Risikos in der Gewissenhaftigkeits-Dimension
Tabelle 9: Signifikanzüberprüfung der Unterschiede im Antwortverhalten in der Offenheits¬ Dimension
Tabelle 10: Statistische Berechnung der Zusammenhangsmaße und des relativen Risikos in der Offenheits-Dimension
Tabelle 11: Signifikanzüberprüfung der Unterschiede im Antwortverhalten in der Verträglichkeits-Dimension
Tabelle 12: Statistische Berechnung der Zusammenhangsmaße und des relativen Risikos in der Offenheits-Dimension
Tabelle 13: Überprüfung der Variable kindliches Übergewicht als Moderationsvariable
Tabelle 14: Überprüfung der Variable Alter als Mediationssvariable 83
1. Einleitung
1.1 Hintergrund und Relevanz
Adipositas gehört zu den Volkskrankheiten mit ansteigender epidemiologischer Be¬deutung: Aktuell gelten 18,1 % aller Erwachsenen in Deutschland als adipös, während bei 54 % Übergewicht einschließlich Adipositas vorliegend ist. Die geschlechtsbezogenen Unter¬schiede haben sich dabei wesentlich nivelliert, da 18% aller erwachsenen Frauen und 18,3% aller erwachsenen Männer unter einer Adipositas leiden. Mit mehr als 31 % findet sich Diag¬nose am häufigsten bei Frauen mittleren Alters (30 bis 44 Jahre), der der untersten Bildungs¬gruppe entstammen (Schienkiewitz et al., 2017). Deutschland folgt damit einem globalen Trend: Die Adipositas-Prävalenz entspricht in etwajener anderer europäischer Staaten und ist in Europa seit Ende der 90er Jahre von 13% auf 17% angestiegen (von Ruesten et al., 2011). In den Vereinigten Staaten wird aktuell sogar von einer Adipositas-Prävalenz von c. 35 % ausgegangen (Hruby & Frank, 2016; Ogden, Carroll, Kit & Flegal, 2014). Adipositas ist mit vielfältigen Folgeerkrankungen, Frühverrentungen sowie nicht unerheblichen Kosten für das Versorgungssystem assoziiert (Haslam & James, 2005), eine frühzeitige Identifizierung von Risikogruppen ist daher von Relevanz. Aus psychologischer Perspektive ist bedeutsam, dass häufig auch psychische Vorerkrankungen normabweichende Essgewohnheiten und damit Adi-positas begründen können (Brewerton et al., 2015; The British Psychological Society, 2019). Den Hypothesen der Psychoanalyse zur Folge kann Adipositas (verstanden als übermäßiger Essendrang) schließlich als Folge eines Traumas in der frühkindlichen Sexualentwicklung auf-gefasst werden.
1.2 Untersuchungsgegenstand
Ziel der vorliegenden Masterarbeit soll vor diesem Hintergrund sein, zu untersuchen, ob eine Fixierung der oralen Phase als Risikofaktor für Adipositas bezeichnet werden kann, also ob Personen mit „oralem Charakter“ nach Freud Risikokollektive für Adipositas darstellen. Im theoretischen Diskurs soll die Arbeitshypothese, dass zwischen der Fixierung in der oralen Phase und der Entwicklung von Adipositas ein Kausalzusammenhang besteht einerseits aus psychodynamischer Perspektive beleuchtet werden, andererseitsjedoch auch im Kontext des Behaviorismus Einbettung erfahren. Die Psychodynamik will allgemein Befind¬lichkeit und Verhalten des Menschen durch innerseelische Kräfte beschreiben, postuliert also, dass zwischen frühkindlichen Erfahrungen (die das Unterbewusstsein steuern) und Persön¬lichkeitsaspekten im Erwachsenenalter Zusammenhänge bestehen. Die Psychodynamik könnte die Fixierung in der oralen Phase aufgrund von nicht ausreichender Befriedigung im Kleinkindalter also theoretisch erklären, ebenso das Bedürfnis von Personen in der oralen Phase, orale Interessen (z.B. übermäßiges Interesse an Nahrungsaufnahme)jederzeit befriedi¬gen zu müssen, was Adipositas begünstigt (Krause, 1998, S. 49 und 87; Brunner , 1985, S. 336-342). Der Behaviorismus geht davon aus, dass Verhalten auch von externen Stimulatoren abhängig ist, übermäßiges Essen (z.B. zur Belohnung) den Antrieb (Hungergefühl) noch wei¬ter steigert, also so etwas wie eine Abwärtsspirale entsteht, in dessen Entwicklung die Be¬troffenen immer weiter zunehmen (Bruder et al., 2009, S. 99ff). Um zu überprüfen, ob bei einer Person eine Fixierung in der oralen Phase vorliegend ist, hat sich das Big Five-Modell als zuverlässige Möglichkeit erwiesen (Fehr, 1998). Aus der Forschung ist bekannt, dass Per¬sonen in der oralen Phase besonders hohe Werte in den Dimensionen Neurotizismus und Ext¬raversion und vergleichsweise niedrige Werte in den Dimensionen Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit aufweisen, weswegen Raucher bereits entsprechend verortet werden konnten (Malouff, Thorsteinsson & Schutte, 2006; Terracciano & Costa, 2004; Terracciano, Löcken- hoff, Crum, Bienvenu & Costa, 2008; Zvolensky, Taha, Bono & Goodwin, 2015). Es wird davon ausgegangen, dass sich bei Adipositas ähnliche Zusammenhänge finden lassen könnten.
1.3 Gliederung
Um die Thematik in der erforderlichen Breite zu analysieren, wird sich das der Einlei¬tung anschließende zweite Kapitel (theoretischer Hintergrund) zunächst mit der epidemiolo¬gischen Bedeutung von Adipositas und der psychosozialen Entwicklung nach Freud auseinan¬dersetzen. Bei Fokussierung von Adipositas wird neben der wachsenden Prävalenz dabei auch auf die Klassifikation, die Ätiologie und die therapeutischen Maßnahmen mit Schwerpunkt von psychotherapeutischen Interventionen eingegangen, während sich das Subkapitel, dass sich mit Freud beschäftigt, mit den Grundannahmen der Psychoanalyse, der sexuellen und Persönlichkeitsentwicklung nach Freud, den Phasen der Sexualentwicklung und der Fixierung auseinandersetzt, wobei auch festgehalten werden soll, wie Adipositas aus Perspektive der Psychoanalyse erklärt werden kann. Ferner wird sich das erste Kapitel mit den Grundannah¬men des Behaviorismus auseinandersetzen, da die Arbeitshypothese, dass zwischen der Fixie¬rung in der oralen Phase und der Entwicklung von Adipositas ein Kausalzusammenhang be¬steht einerseits aus psychodynamischer Perspektive beleuchtet werden, andererseits jedoch auch im Kontext des Behaviorismus Einbettung erfahren soll. Am Ende des zweiten Kapitels sollen dann Forschungsfragen und Hypothesen abgeleitet werden, die im Rahmen der empiri¬schen Untersuchung beantwortet werden sollen. Ziel des dritten Kapitels wird sein, das me¬thodische Vorgehen der empirischen Untersuchung darzulegen, weswegen u.a. das Studien¬design, die Zusammensetzung des Fragebogens, der Untersuchungsablauf und das Befra¬gungskollektiv beschrieben werden, um anschließend auf die statistische Auswertung und die verwendeten statistischen Verfahren einzugehen. Daran anschließend werden im vierten Ka¬pitel die Ergebnisse der Fragebogenbefragung und dessen statistische Auswertung präsentiert, um diese im 5. Kapitel zu diskutieren und im Schlussteil (Kapitel 6) resümierend darzulegen, wobei das Diskussionskapitel auch der Beantwortung der im 2. Kapitel abgeleiteten For¬schungsfragen dient.
2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Adipositas und Übergewicht: (epidemiologische) Bedeutung
2.1.1 Adipositas: Begriff und Klassifikation
Gemäß den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kann Übergewicht bei Erwachsenen definiert werden als ein Body-Mass-Index (BMI) größer oder gleich 25 kg/m2, während Adipositas bei Personen vorliegend ist, deren BMI größer oder gleich 30 kg/m2 ist (WHO, 2017). Grundsätzlich lassen sich drei Grade der Adipositas unterscheiden: Adipositas Klasse I (BMI: 30,0-34,9 kg/m2), Adipositas Klasse II (BMI: 35,0-39,9 kg/m2) und Adipositas Klasse III (BMI: > 40,0 kg/m2) (WHO, o.J.), wobei in der Literatur die Adipositas Klassen II und III in weitere Kategorien unterteilt werden, deren genaue Werte in der For¬schung noch umstritten sind: Häufig wirdjeder BMI >35 kg/m2 als schwere Adipositas oder morbide Adipositas bezeichnet, währendjeder BMI > 45 kg/m2 als Super-Adipositas bezeich¬net werden kann (Sturm, 2007). In Übereinstimmung mit der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) können fünf Formen der Adipositas in Abhängigkeit von derjewei- ligen Ätiologie unterschieden werden: Adipositas aufgrund eines Kalorienüberschusses (E66.0), medikamenteninduzierte Adipositas (E66.1), extreme Adipositas mit alveolärer Hy¬poventilation (z. B. Adipositas-Hypoventilationssyndrom oderPickwickian-Syndrom, E66.2), sonstige (morbide) Adipositas (E66.8) und nicht spezifizierte Adipositas (E66.9) (WHO, 2016).
2.1.2 Epidemiologie
Adipositas gehört zu den Krankheiten, die in fast allen Ländern zunehmend an Bedeu¬tung gewinnen, weshalb die WHO Adipositas formell als globale Epidemie anerkannt hat (Ca¬ballero, 2007). Insbesondere die Industrienationen sind von steigenden Prävalenzraten betrof¬fen, auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern zeigen sich jedoch (zumindest in den wohlhabenden Schichten) zunehmend adipöse Personen. Adipositas als komplexe Krankheit betrifft alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen, wovon zunehmend auch die Entwick¬lungsländer betroffen sind. Gab es 1995 weltweit noch 200 Millionen adipöse Jugendliche, so waren es im Jahr 2000 bereits 300 Millionen, von denen 115 Millionen in Entwicklungslän¬dern lebten (Nguyen & El-Serag, 2010). In der entwickelten Welt ist die höchste Prävalenz in den Vereinigten Staaten zu finden: Hier sind wahrscheinlich mehr als 30 % von einem BMI> 30 betroffen (Ogden, Carrol, Curtin, McDowell, Tabak & Flegal, 2006). (Mensink, Schienkiewitz, Haftenberger, Lampert, Ziese & Scheidt-Nave, 2013)
Auch in Deutschland hat der Anteil übergewichtiger und adipöser Menschen in den letzten Jahren zugenommen; derzeit gelten etwa 25 % der erwachsenen deutschen Bevölke¬rung als adipös, wobei die Inzidenz mit zunehmendem Alter zunimmt. Abbildung 1 zeigt die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas in den letzten drei nationalen Gesundheitsuntersuchungen nach Geschlecht und Altersgruppe für den Altersbereich 25-69 Jahre (Mensink, Schienkiewitz, Haftenberger, Lampert, Ziese & Scheidt-Nave, 2013; Yates et al., 2016).
In den OECD-Ländern giltjedes fünfte Kind als übergewichtig oder fettleibig (WHO, 2017). Im Jahr 2013 waren schätzungsweise 2,1 Milliarden Erwachsene übergewichtig, 1980 waren es 857 Millionen.8 Von den übergewichtigen Erwachsenen sind 31% fettleibig (WHO, 2017). Die Zunahme der Adipositas ist am stärksten in städtischen Gebieten zu be¬obachten (WHO, 2000). Da Körperfett auf verschiedene Weise gemessen werden kann, vari¬ieren die Statistiken über die Epidemiologie der Adipositasje nach Quelle. Während der BMI der grundlegendste und am häufigsten verwendete Indikator für Adipositas ist, werden auch der Taillenumfang, das Verhältnis von Taille zu Hüfte, die Dicke der Hautfalten und die bio¬elektrische Impedanz gemessen (Hu, 2008).
Da auch soziodemographische Risikofaktoren für Adipositas bestehen, ist die Prä- valenzjedoch nicht gleichverteilt: So ist aus Studien bekannt, dass insbesondere Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status hinsichtlich Bildungsstand und Einkommen über ein er-höhtes Risiko für die Entwicklung von Adipositas verfügen (Booth, Charlton & Gulliford, 2017; Jiwani et al., 2019). So zeigte sich z.B. im Vereinigten Königreich für Männer des un¬tersten Einkommensquartils ein 1,83-fach so hohes Risiko für eine morbide Adipositas und für Männer ohne Schulabschluss sogar ein 2,57-fach so hohes Risiko, während die Wahr¬scheinlichkeit, adipös zu werden, bei Frauen der untersten Einkommensgruppe um den Faktor 2,18 erhöht war und bei Frauen ohne Schulabschluss um den Faktor 2,18 im Vergleich zu Personen mit mittlerem Schulabschluss und Bildungsstand (Booth, Charlton & Gulliford, 2017). Auch in Deutschland ist das Adipositas-Risiko bei Personen mit niedrigem sozio-öko¬nomischen Status höher (Schienkiewitz, Damerow, Brettschneider & Schaffrath Rosario, 2018). Aus psychotherapeutischer Perspektive ist von Bedeutung, dass Adipositas häufig mit psychischen Komorbiditäten vergesellschaftet ist, adipöse Personen i also deutlich höhere Prä¬valenzraten an affektiven Störungen und Angststörungen zeigen als normalgewichtige Perso¬nen. Von Relevanz ist dabei, dass psychische bzw. psychosomatische Erkrankungen dabei einerseits Adipositas verursachen bzw. begünstigen können, Adipositas gleichzeitig aber auch die Wahrscheinlichkeit von psychischen Störungen erhöht, es kann also eine wechselseitige Abhängigkeit angenommen werden (Mühlhans & de Zwaan, 2008).
2.1.3 Ursachen und Ätiologie
2.1.3.1 Multikausale Ätiologie aus biomedizinischer Perspektive
Grundsätzlich kann Adipositas als multikausale Krankheit beschrieben werden, da ver-schiedene Ursachen unterschieden werden können. Der Lebensstil ist in den meisten Fällen entscheidend, da Adipositas fast immer durch Bewegungsmangel und falsche Ernährung (zu viel, zu oft, zu fett) verursacht wird (Haslam & James, 2005). Der Bedarf an Fett (und den darin enthaltenen fettlöslichen Vitaminen) ist grundsätzlich von der körperlichen Aktivität ab¬hängig, sollte aber durch die aktuelle Nahrungsergänzung gedeckt werden. Wenn Fett nicht durch Ausdauertraining konsumiert wird, wird es im Organismus mit dem Ziel eingelagert, für spätere Leistungen verfügbar zu sein. Ein übermäßiger Energieeintrag im Verhältnis zum Verbrauch führt zur Anhäufung von viszeralem Fett (Toplak, 2001).
Darüber hinaus spielen auch soziodemographische Faktoren bei der Entstehung der Adipositas eine Rolle: So treten Adipositas und Übergewicht häufiger bei Menschen mit nied¬rigem sozioökonomischen Status auf (Dinsa, Goryakin, Fumagalli & Suhrcke, 2012). Auch körperliche Erkrankungen (Stoffwechselkrankheiten (Monteiro & Azevedo, 2010), Cushing- Syndrom (Tiryakioglu et al., 2010) oder Hypothyreose (Sanyal & Raychaudhuri, 2016) und psychische Erkrankungen (insbesondere Essstörungen (Haslam & James, 2005; Day, Tern- outh & Collier, 2009) oder Depressionen (Luppino et al., 2010) können zu Adipositas führen, ebenso wie bestimmte Medikamente (Ness-Abramof & Apovian, 2005). Mütterliches Rauchen während der Schwangerschaft (AI Mamun et al., 2006) und Depressionen in der Adoleszenz (Anderson, Cohen, Naumova & Must, 2006) werden ebenfalls als Risikofaktoren für Adipositas diskutiert. Auch genetische Faktoren sind von Bedeutung, wie insbesondere in Zwillingsstudien gezeigt wurde (Stunkard, Harris, Pedersen & McClearn, 1990).
Obwohl die Vererbung der Ausprägung des Körpergewichts hoch ist, konnten mole-kulargenetische Faktoren bisher nur einen kleinen Teil davon erklären. Es sind nur wenige monogene Formen der Adipositas identifiziert worden, bei denen der Ausfall eines einzigen Genprodukts bereits zu extremer Adipositas führt. So haben funktionell relevante Mutationen im Leptin- oder Leptinrezeptor-Gen eine monogene Wirkung auf die Entstehung der Adipo¬sitas, diejedoch weltweit nur in wenigen Familien gefunden werden konnte. Funktionell rele¬vante Mutationen im Melanocortin-4-Rezeptor-Gen werden bei bis zu 6% der extrem adipösen Kinder und Jugendlichen sowie bei Erwachsenen gefunden (Blüher et al., 2013). Für die fol¬genden 10 mutmaßlichen zusätzlichen Erklärungen in Bezug auf die erhöhte Prävalenz von Adipositas in den letzten Jahrzehnten wurden in einem Review unterstützende Hinweise iden¬tifiziert: (1) unzureichender Schlaf, (2) endokrine Disruptoren (Umweltschadstoffe, die den Lipidstoffwechsel stören), (3) verminderte Variabilität der Umgebungstemperatur, (4) vermin¬derte Raten des Rauchens, (5) vermehrter Gebrauch von Medikamenten (z.B, atypische An- tipsychotika), (6) proportionale Zunahmen in ethnischen und Altersgruppen, die tendenziell schwerer sind, (7) Schwangerschaft in höherem Alter (die eine Anfälligkeit für Adipositas bei Kindern verursachen kann), (8) epigenetische Risikofaktoren, die von Generation zu Genera¬tion weitergegeben werden, (9) natürliche Selektion für einen höheren BMI und (10) assorta¬tive Paarung (Keith etal., 2006).
Übergewicht und Adipositas gelten als Ursache vieler sogenannter Zivilisationskrank¬heiten oder sind mit einem erhöhten Krankheitsrisiko verbunden: Adipositas gilt als Risiko¬faktor für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettstoffwechselstörungen (ho¬hes Cholesterin oder Low Density Lipoprotein (LDL)) oder arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2, Reflux, Herzinfarkt, Arteriosklerose, Schlaganfall, Brustkrebs, Arthrose, de¬generative Wirbelsäulenerkrankungen, Gallenblasenerkrankungen, Gicht, restriktive Ventila¬tionsstörungen und das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (Guh, Zhang, Bansback, Amarsi, Birmingham & Anis 2009; Abdelaal, le Roux & Docherty, 2017). Adipositas stellt auch einen Risikofaktor für Osteoporose (Zhao et al., 2008) sowie für kognitiven Rückgang und Demenz, einschließlich der Alzheimer-Krankheit dar (Beydoun, Beydoun & Wang, 2008). Aufgrund der hohen Morbidität und der zahlreichen Komorbiditäten ist die Adipositas weltweit eine der führenden vermeidbaren Todesursachen (Aune et al. 2016) Wie in Abbildung 2 dargestellt, verdoppelt sich das Mortalitätsrisiko, wenn der BMI um 10 Punkte ansteigt (Berrington de Gonzalez et al., 2010).
Adipositas sowie die Faktoren arterielle Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen und Insulinresistenz (als Hauptursache des Diabetes mellitus) bilden zusammen das metabolische Syndrom (Kaur, 2014), das als Hauptrisiko für arterielle Gefäßerkrankungen gilt, z.B. die ko-ronare Herzkrankheit als koronare Manifestation der Arteriosklerose (Jahangir, De Schütter & Lavie, 2014). Das metabolische Syndrom entsteht dabei durch hypokalorische Ernährung und mangelnde körperliche Aktivität. Die daraus resultierende Adipositas führt zu einer Insulinre-sistenz, die bis zum Typ-2-Diabetes fortschreiten kann. Dies geschieht, wenn die Bauchspei-cheldrüse nicht mehr in der Lage ist, genügend Insulin für den Organismus zu produzieren. Dem viszeralen Fettgewebe wird dabei ein großer Einfluss auf die Entstehung des metaboli¬schen Syndroms zugeschrieben, wobei selbiges als ein an Fettzellen (Adipozyten) reiches Ge¬webe gilt, das sich zwischen den Organen der Bauchhöhle (intraabdominal) befindet. Diese Adipozyten sind hormonell aktiv und unterliegen einer erhöhten Lipolyse, die nicht mehr auf die hemmende Wirkung des Insulins anspricht. Zu den Substanzen, die sezerniert werden, gehören die Entzündungsmediatoren Tumor-Nekrose-Faktor-a und Interleukin-6, die die In¬sulinresistenz fördern. Gleichzeitig sinkt die Konzentration von Adiponectin, einem von Adi¬pozyten produzierten Hormon, das insulinsensitiv, anti-atherogen und entzündungshemmend ist. Die vermehrte Freisetzung nicht veresterter Fettsäuren (= freie Fettsäuren) durch diese Adipozyten hemmt die Wirkung des Insulins auf die Leber und auf die Muskeln. Dies fördert die Glykogenolyse und Glukoneogenese in der Leber und erhöht die Freisetzung von Glukose aus der Leber. Parallel dazu tritt eine atherogene Dyslipidämie auf, eine spezifische Verände¬rung der Blutfettwerte, die durch niedrige Werte von High-Density-Lipoprotein (HDL) sowie hohe Werte von Triglyceriden und kleinen, dichten LDL-Partikeln gekennzeichnet ist. Durch den Einfluss freier Fettsäuren nimmt die Produktion von Lipoproteinen sehr niedriger Dichte in der Leber zu. Diese Lipoproteine zeichnen sich durch eine hohe Konzentration von Trigly¬ceriden aus, die so in die Peripherie gelangen. Die Partikel werden durch die Lipoproteinlipase im Rahmen des Lipidstoffwechsels unter Ausscheidung von Fettsäuren zu Lipoprotein mittle¬rer Dichte und LDL metabolisiert. Diese Lipoproteine interagieren mit HDL-Partikeln und tauschen über das Cholesterylester-Transferprotein Triglyceride gegen Cholesterinester aus. Dadurch sinkt der Cholesteringehalt in den HDL-Molekülen und ihre Konzentration nimmt ab. Auch die Zusammensetzung der LDL-Partikel verändert sich aufgrund einer Senkung des Cholesterinspiegels in den Lipoproteinen. Die resultierenden kleinen dichten LDL-Moleküle sind atherogener als LDL-Partikel normaler Größe (Eckel, Grundy & Zimmet, 2005; Reaven, 2002).
2.1.3.2 Ursachen aus psychotherapeutischer Perspektive
Auch aus psychotherapeutischer bzw. psychosomatischer Perspektive wird eine mul¬tikausale Ätiologie der Adipositas akzeptiert, zusätzlich werden jedoch auch psychische As¬pekte als mitursächlich postuliert (Herpertz & Senf, 2003). Grundsätzlich wird davon ausge¬gangen, dass Adipositas auch als Ausdruck einer suboptimalen bis gestörten Affektregulation aufgefasst werden kann, wobei die verstärkte Nahrungsaufnahme zum Zweck der Spannungs¬abfuhr und des zumindest temporären Aufschubs dysphorischer Gefühle dient und zusätzlich mit einer psychischen Beschwerdesymptomatik verbunden sein kann (Herpertz & Senf, 2003). Angenommen wird, dass verschiedene Essstörungen bestehen, die durch ungewöhnliches Ess-verhalten gekennzeichnet sind und so Adipositas bedingen können. Eine Essstörung stellt da¬bei eine psychische Störung dar, die durch abnorme Essgewohnheiten definiert ist, die die physische und/oder psychische Gesundheit einer Person negativ beeinflussen. Neben den nach ICD-10 codierten Störungsbildem Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und Binge Eating (ohne eigenen Code), können noch diverse andere Essstörungen unterschieden werden, die üblicherweise als sonstige Essstörungen subsummiert werden, u.a. Pica, bei der Betroffene Nichtessbares essen. Relevant für die Entstehung von Übergewicht und Adipositas sind dabei die Binge Eating Störung und die Bulimie (Fumi, Naab & Voderholzer, 2018; Erzegovesi & Bellodi, 2016).
Die Binge-Eating-Störung stellt eine Essstörung dar, die durch häufige und wiederkeh¬rende Essattacken mit damit verbundenen negativen psychologischen und sozialen Problemen gekennzeichnet ist (Agüera, Lozano-Madrid, Mallorqui-Bague, Jimenez-Murcia, Menchon & Femändez-Arand, 2020). Die Störung gehört zu den häufigeren Essstörungen beim Erwach¬senen mit einer angenommenen Prävalenz in der westlichen Welt von 1 bis 3% der Erwach-senenbevölkerung (Perkins, Murphy, Schmidt & Williams, 2006). Im Gegensatz zur Bulimia nervosa folgen auf Essanfälle nicht regelmäßig Aktivitäten, die eine Gewichtszunahme ver¬hindern sollen, wie z. B. selbst herbeigeführtes Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln oder Einläufen oder übertriebene sportliche Betätigung, durchaus berichten Patienten aber von Schuld-, Scham- oder Ekelgefühlen nach einer Essensattacke (Brownley, Berkman, Peat, Lohr, Cullen, Bann & Bulik, 2016).
Die Binge-Eating-Störung ist stark mit dem BMI assoziiert und gilt daher als wesent¬liche Erkrankungsursache für Adipositas. Berechnet werden konnte, dass 30,7% derjenigen Personen, die im Lebensverlauf mindestens einmal die Diagnose Binge-Eating-Störung ge¬stellt wurde, Übergewichtigkeit vorlag und sogar bei 32,8% eine Adipositas bestand, insge¬samt also mehr als 60% der Patienten mit zu hohem BMI temporär von einer Binge-Eating- Störung betroffen waren (Agüera, Lozano-Madrid, Mallorqui-Bague, Jimenez-Murcia, Menchon & Femändez-Arand, 2020; Hudson, Hiripi, Pope & Kessler, 2007; Kessler et al., 2013). Hier zeigen sich jedoch offenbar Schwächen in der Diagnostik, da Adipositas auch viele andere Ursachen haben kann (z.B. vermehrte Lust am Essen, die nicht mit einem Stö¬rungsbild in Verbindung gebracht werden kann und daher eine Untersuchung aus Perspektive der Psychoanalyse interessant macht oder nicht-psychische, z.B. medikamentöse Ursachen, wie in Kapitel 2.1.3.1 dargestellt) (Agüera, Lozano-Madrid, Mallorqui-Bague, Jimenez-Mur¬cia, Menchön & Fernändez-Arand, 2020).
Auch bei der Bulimie (Bulimia nervosa) besteht ein erhöhtes Adipositas-Risiko, was aber aufgrund der Tatsache, dass bei den Betroffenen die übermäßige Nahrungsaufnahme mit Aktivitäten, die eine Gewichtszunahme verhindern sollen und einer ausgeprägten Angst vor dem Zunehmen verbunden ist, deutlich geringer ausgeprägt ist als bei der Binge-Eating Stö¬rung. Studienergebnisse weisen auf eine Lebenszeit-Prävalenz bulimischer Erkrankungen bei adipösen Jugendlichen, die stationär therapeutisch betreut werden, von 17 % hin (Britz et al., 2000; Mieg, 2004).
Die epidemiologische Bedeutung der Bulimie ist bisher nur unzureichend erforscht: Die meisten Studien, die bisher durchgeführt wurden, beziehen sich auf Kollektive von Kran-kenhauspatienten, Schülern und Studenten. Diese haben ein breites Spektrum von Ergebnissen erbracht und deuten an, dass eine Lebenszeitprävalenz zwischen 0,1 und 1,4 % bei den Män¬nern und zwischen 0,3 und 9,4 % bei den Frauen angenommen werden kann (Makino, Tsuboi & Dennerstein, 2004). Nach Gelder, Mayou und Geddes (2005) ist Bulimia nervosa bei Frauen im Alter von 15 bis 40 Jahren mit einer Gesamtprävalenz von 1 bis 2 % am häufigsten diag-nostizierbar. Bulimia nervosa tritt häufiger in entwickelten Ländern auf, ferner ergab eine Stu¬die, dass Bulimie in Städten fünfmal häufiger vorkommt als in ländlichen Gebieten (van Son, van Hoeken, Barteids, van Furth & Hoek, 2006).
Bedeutsam ist, dass auch andere (nicht-essstörungsbezogene) psychische Erkrankun¬gen bzw. Störungsbilder einen erhöhten BMI bedingen können und damit das Risiko für die Entwicklung einer Adipositas erhöhen. So besteht ein signifikanter statistischer Zusammen¬hang z.B. zwischen AD(H)S und Adipositas der Natur, dass sowohl Erwachsene als auch Kin¬der mit AD(H)S signifikant häufiger eine Adipositas entwickeln als Personen ohne AD(H)S (Cortese, Moreira-Maia, St Fleur, Morcillo-Penalver, Rohde & Faraone, 2016). Auch für an¬dere Störungsbilder ließen sich entsprechende Zusammenhänge nachweisen: So finden sich Depressionen, bipolare Störungen, Angststörungen und Suchterkrankungen signifikant häufi¬ger in Personen mit Übergewicht oder Adipositas als in normalgewichtigen Personen, wie sich in Kohortenstudien und Metaanalysen deutlich nachweisen ließ (Simon et al., 2006; Rajan & Menon, 2017). Bei Personen mit Adipositas besteht ein mehr als 6-fach so hohes Risiko für behandlungsbedürftige psychosoziale Probleme, ferner geben Adipöse mehr als 4-mal so häu¬fig an, suizidale Gedanken zu haben (van Vuuren et al., 2019). In Deutschland beträgt die Lebenszeitprävalenzrate für psychische Störungen bei adipösen Frauen zwischen 46,7 % und 60,1 % im Vergleich zu 41,7 % bei normalgewichtigen Frauen und zwischen 48,0 % und 54,4 % bei adipösen Männern im Vergleich zu 29,8 % bei normalgewichtigen Männern (Herpertz, 2006). Aufgrund der hohen epidemiologischen Bedeutung von psychischen Komorbiditäten bei Adipositas und vor dem Hintergrund, dass die Forschung zu den psychosozialen Aspekten der Adipositas im Laufe der Jahre immer ausgefeilter geworden ist, ist von Bedeutung, nicht nur ätiologisch psychisch-soziale Besonderheiten bei Adipositas-Patienten zu berücksichti¬gen, sondern im therapeutischen Setting auch psychotherapeutische Ansätze zu implementie¬ren, die möglichst allen Betroffenen zu Gute kommen sollten (Fabricatore & Wadden, 2004; Sarwer & Polonsky, 2016).
2.1.4 Therapie
Übergewicht und Adipositas werden maßgeblich durch die Emährungsgewohnheiten beeinflusst. Es ist bekannt, dass Übergewicht das Ergebnis eines langfristigen übermäßigen Kalorienverbrauchs ist (Haslam & James, 2005; Toplak, 2001). Auf der anderen Seite bleibt umstritten, inwieweit Emährungsgewohnheiten und Emährungsmuster die Entwicklung von Adipositas beeinflussen. Es wird vermutet, dass diätetische Faktoren mögliche BMI-Verände- rungen nur unzuverlässig Vorhersagen können (Togo, Osler, Sörensen & Heitmann, 2004) aber es gibt klare Korrelationen zwischen Emährungsmustern und Übergewicht (Mu, Xu, Hu, Wu & Bai, 2017; Lucock et al., 2014). Ernährungsfaktoren bezeichnen den Verzehr einzelner Le-bensmittelgruppen (z. B. fleischhaltige Produkte), während das Konzept der Emährungsmus- ter darauf abzielt, die tatsächliche Häufung der konsumierten Lebensrnittel widerzuspiegeln, indem der Verzehr möglichst aller Aspekte des Ess- und Trinkverhaltens eines Individuums kombiniert wird, um die Emährungsgewohnheiten möglichst multidimensional zu erfassen. Bei der Darstellung von Ernährungsmustern lassen sich zwei Erklärungsmuster unterscheiden: Zum einen der explorative Ansatz, der auf die Bildung von Mustervariablen abzielt, die tat¬sächlich bestehende Emährungsmuster in der Studienpopulation widerspiegeln (posteriori- Ansicht). Zum anderen der hypothesenorientierte Ansatz, der auf der Konstruktion von Mus¬tervariablen basiert, die eine Klassifizierung der Studienpopulation in Bezug auf vordefinierte Muster ermöglichen sollen (a priori-Sicht) (Jacques & Tucker, 2001; Michels & Schulze, 2005; Rabenberg, Richter & Mensink, 2010; Hu, 2002). A-priori-Ansätze legen nahe, dass Ernährungsmuster mit einem hohen (unausgewogenen) Anteil fleischhaltigerNahrungsmittel Adipositas verursachen, während Ernährungsmuster mit einer substanziellen Dominanz von pflanzlichen Lebensrnitteln und Bohnen oder „kalten Speisen“ negativ mit der Entwicklung von Übergewicht korreliert sind (Maskarinec, Novotny & Tasaki, 2000). Da die Wahrschein¬lichkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Stoffwechselanomalien signifikant vom BMI beeinflusst wird, beeinflussen die Ernährungsmuster implizit auch die Wahrscheinlichkeit von Stoffwechselkrankheiten (Mu, Xu, Hu, Wu & Bai, 2017).
Da Ernährung wesentlich für die Entstehung von Adipositas verantwortlich ist, gilt als wesentliche therapeutische Maßnahme die Gewichtsabnahme durch kalorienreduzierte Diät und körperliche Bewegung. Eine Diät als Teil einer Änderung des Lebensstils führt zu einer anhaltenden Gewichtsabnahme, auch wenn das Gewicht im Laufe der Zeit nur langsam ab¬nimmt (Jensen et al., 2014; Strychar, 2006). Obwohl 87% der Teilnehmer eines Nationalen Gewichtskontrollregisters in der Lage waren, eine 10%ige Körpergewichtsabnahme über 10 Jahre hinweg aufrechtzuerhalten (Thomas, Bond, Phelan, Hill & Wing, 2014), ist der am bes¬ten geeignete diätetische Ansatz zur langfristigen Aufrechterhaltung der Gewichtsabnahme immer noch unbekannt (Yannakoulia, Poulimeneas, Mamalaki & Anastasiou, 2019). Empfoh¬len werden intensive verhaltensorientierte Interventionen, die sowohl Emährungsumstellung als auch Bewegung kombinieren. Intermittierendes Fasten hat im Vergleich zu kontinuierli¬cher Energieeinschränkung hingegen keinen zusätzlichen Vorteil der Gewichtsabnahme.189 Die Einhaltung ist ein wichtigerer Faktor für den Erfolg der Gewichtsabnahme als jede Art von Diät, die ein Individuum unternimmt (Yannakoulia, Poulimeneas, Mamalaki & Anasta¬siou, 2019). Grundsätzlich gelten mehrere hypokalorische Diäten als wirksam (Jensen et al., 2014): Während kurzfristig v.a. kohlenhydratarme Diäten zur Gewichtsabnahme besser ge¬eignet zu sein scheinen als fettarme Diäten, können langfristig gesehen alle Arten von kohlen¬hydrat- und fettarmen Diäten gleichermaßen vorteilhaft sein (Johnston et al., 2014). Eine Überprüfung im Jahr 2014 ergab, dass auch die mit verschiedenen Diäten verbundenen Risi¬ken für Herzkrankheiten und Diabetes ähnlich zu sein scheinen, die Förderung mediterraner Diäten bei Adipösen das Risiko für Herzkrankheiten allerdings senken kann (Naude, Schoonees, Senekal, Young, Garner & Volmink, 2014).Die Erfolgsraten bei der langfristigen Gewichtsabnahme mit Änderungen des Lebensstils sindjedoch gering und liegen zwischen 2¬20% (Wing & Phelan, 2005).
2.1.5 Schwerpunkte der psychotherapeutischen Intervention
Um von Adipositas betroffene Patienten langfristig zu einer Änderung ihres Ernäh- rungs- und Bewegungsverhaltens zu motivieren, sollten therapeutische Maßnahmen dringend um psychotherapeutische Interventionen ergänzt werden. Unabhängig von der Ursache der individuell vorliegenden Adipositas gilt die kognitive Verhaltenstherapie als Goldstandard, da sie bei vielen Betroffenen Anwendung finden kann (Jacob & Isaac, 2012). Die kognitive Verhaltenstherapie bei Adipositas ist dabei durch einige Charakteristika gekennzeichnet: So sollten mit den Patienten zu Beginn leicht realisierbare, evaluierbare Ziele festgelegt werden (z.B. drei Mal die Woche zügiges Gehen oder Erhöhung der Intervalle zwischen eigenomme¬nen Mahlzeiten um 10 Minuten), wobei die Fokussierung auf kleinen Änderungen statt auf großen Änderungen liegen sollte (Jacob & Isaac, 2012; Wadden & Foster, 2000). Eine zielge¬richtete Therapie sollte dabei Maßnahmen in den acht Dimensionen Selbst-Überwachung, Reizsteuerung, Verlangsamung des Essens, Orientierung an erreichbaren Zielen, verhaltens¬bedingte Kontraktion, Erhöhung der Health Literacy, Förderung der körperlichen Aktivität und Miteinbeziehung des sozialen Umfeldes beinhalten (Jacob & Isaac, 2012; Guare et al., 1989; Foster, 2002; Wing, 2004; Wing & Phelan, 2005).
Primäres Ziel der Verhaltenstherapie bei Adipositas-Patienten ist die Einübung und
Verinnerlichung von alternativen Verhandlungsweisen, die den Patienten dazu befähigen, seine Umwelt umzugestalten, um der langfristigen Durchsetzung der neu erlernten Verhal¬tensweisen Vorschub zu leisten (Herpertz & Senf, 2003). Dabei gilt als „spezifische Behandlungsmetho-de der Verhaltenstherapie im Rahmen der Adipositasbehandlung [...] die Vermittlung von Techniken, die der Selbst- und Stimuluskontrolle dienen, das heißt eine sys¬tematisch Eingrenzung von Bedingungen, unter denen das problematische Essverhalten auf¬tritt, ermöglichen“ (Herpertz & Senf, 2003).
Wie in Abbildung 2 dargestellt, können entsprechend den Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft bei der kognitiven Verhaltenstherapie bei Adipositas-Patienten fünf wesentliche Ebenen der Verhaltensänderung unterschieden werden: Konkret sollen die Pati¬enten dazu befähigt werden, ihre Lebensgewohnheiten zu ändern, damit sie ihr Essverhalten modifizieren und motiviert sind, auch langfristig mehr körperliche Aktivität in ihrem Leben zuzulassen. Ferner soll therapeutisch die Patienten-Compliance gesteigert werden, damit die Patienten Emährungsempfehlungen beachten und verstehen. Mittels sozialem Kompetenztrai¬nings sollte drittens die soziale Kompetenz der Betroffenen verbessert werden, weiterhin sol¬len durch Problemlösungstrainings Maßnahmen zur Lösung von intrapsychischer und inter¬professioneller Problemen erarbeitet (damit die Betroffenen nicht wie bisher Probleme einfach durch zusätzliche Nahrungsaufnahme bewältigen) und Stressbewältigungstrainings zur Stress¬reduktion durchgeführt werden (Herpertz & Senf, 2003).
Eine zielgerichtete psychotherapeutische Behandlung kann insbesondere dann durch¬geführt werden, wenn anamnestisch eine Essstörung diagnostiziert wurde. Die Behandlung variiert dabei allerdings nach Art und Schweregrad der Essstörung, und in der Regel wird mehr als eine Behandlungsoption eingesetzt, mit dem Ziel z.B. medikamentöse Therapien mit psy-chotherapeutischen Ansätzen zu ergänzen (Halmi, 2005). Die American Psychiatrie Associa¬tion (APA) empfiehlt zur Behandlung von Essstörungen einen multidisziplinären Ansatz unter Beteiligung von Psychiatern, Psychotherapeuten und Diätassistenten, sowie ggf. von Fachärz¬ten weiterer Disziplinen (z.B. Innere Medizin oder Psychosomatik) (APA, 2006). Hausärzten kommt in der Behandlung vor allem eine einweisende Funktion zu, der Natur, dass sie Patienten zur stationären oder ambulanten Psychotherapie ermutigen können (Gelder, Mayou & Geddes, 2005).
Bei vorliegender Binge-Eating-Störung hat sich die kognitive Verhaltenstherapie als wirksamste Behandlungsmöglichkeit erwiesen. Hier deuten die Studien an, dass bei 50 % der Patienten mit Binge-Eating-Störung eine vollständige Remission erreicht werden kann (Wes¬terburg & Waitz, 2003), bzw., dass sich bei 68-90% die Anzahl der Binge Eating Episoden signifikant reduziert (Chevinsky, Wadden & Chao, 2020). Die kognitive Verhaltenstherapie hat sich auch als wirksame Methode erwiesen, um eine positive Einstellung zum eigenen Kör¬per zu entwickeln (Chevinsky, Wadden & Chao, 2020). Kürzlich durchgeführte Übersichtsar¬beiten sind zu dem Schluss gekommen, dass psychologische Interventionen wie Psychothera¬pie und Verhaltensinterventionen bei der Behandlung von Binge-Eating-Störungen wirksamer sind als pharmakologische Interventionen (lacovino, Gredysa, Altman & Wilfley, 2012). Der Metanalyse von Hilbert et al. (2019) folgend kann eine kognitive Verhaltenstherapie nicht nur die Binge-Eating-Symptomatik signifikant verbessern, sondern auch den BMI eines Klienten im Rahmen der Nachsorge sowie länger als 12 Monate nach Behandlungsende signifikant senken und damit der erfolgreichen Adipositas-Behandlung Vorschub leisten.
Ähnlich positive Effekte von psychotherapeutischen Interventionen ließen sich auch in der Behandlung von adipösen Patienten mit Bulimia nervosa nachweisen (Agras et al., 2000; Hay, Bacaltchuk, Stefano & Kashyap, 2009). Ähnlich wie bei Patienten mit Binge-Eating- Störung hat sich die Anwendung der kognitiven Verhaltenstherapie auch bei der Behandlung der Bulimia nervosa bei Erwachsenen als recht wirksam erwiesen, während bei Jugendlichen nur unzureichende Forschungsergebnisse über die Wirksamkeit derselben zur Verfügung ste¬hen (Keel & Haedt, 2008). Obwohl die kognitive Verhaltenstherapie auch bei Kindern und Jugendlichen als kosteneffizienter angesehen wird, werden hier v.a. familientherapeutische Ansätze als wirksame Alternativen diskutiert, insbesondere vor dem Hintergrund, dass häufig Ernährungsgewohnheiten der gesamten Familien angepasst werden müssen und Heranwach¬sende häufig noch nicht ihr Verhalten insofern reflektieren können, dass sie die schädlichen Folgen der Bulimie allumfassend begreifen, was aber eine der Voraussetzungen für eine er¬folgreich durchgeführte kognitive Verhaltenstherapie wäre (Keel & Haedt, 2008; Le Grange, Lock & Dymek, 2003; Nadeau & Leichner, 2009).
2.2 Psychosoziale Entwicklung nach Freud
2.2.1 Überblick: Grundannahmen der Psychoanalyse
Die Psychoanalyse gehört allgemein zu den bedeutendsten Theoriesträngen der Psy¬chologie und wurde vom Wiener Neurologen Sigmund Freund um 1890 begründet. Der Be¬griff der Psychoanalyse bezeichnet dabei eine „Theorie zur Erklärung des menschlichen Ver¬haltens sowie zur Entstehung und Behandlung psychischer Störungen. Aus langjährigen Er¬fahrungen heraus entwickelte Freud eine bis dahin unbekannte Lehre von der Seele, die aus einzelnen, aus dem Unbewussten auf den Menschen wirkenden Trieben aufgebaut ist. Dabei räumte er der Sexualität eine Vorrangstellung ein. Demnach werden manche Triebregungen von der Zensur des Bewusstseins in das Unbewusste zurückgedrängt und kehren nach ihrer Verdrängung teils als neurotische Störungen aller Art, teils verfeinert, sublimiert, als wissen¬schaftliche, künstlerische oder religiöse Bestrebungen wieder. Das heißt, dass alle seelischen Inhalte und Strebungen von sexueller Energie (= Libido) gespeist werden. Mit Hilfe der Psy¬choanalyse versuchte Freud, die in das unbewusste Seelenleben verdrängten Erlebnisse, Ge¬fühle und Triebe in das Bewusstsein zu heben, wodurch sie ihre krank machende Wirkung verlieren sollten. Die verschiedenen Neurosen sah Freud als Auswirkung der verdrängten Ge¬fühle und »unverdauten« Erlebnisse an, die nun durch die Psychoanalyse geheilt werden soll¬ten“ (Lecturio, 2017).
Bedeutsam ist, dass der Begriff der Psychoanalyse zugleich eine Wissenschaft, eine Methodik und eine Therapie beschreibt. Sie fungiert als „Wissenschaft des Unbewussten“ mit dem Ziel, unbewusste psychische Vorgänge zu theoretisch zu erklären bzw. (nach Ansicht Freuds) die Sphäre des Mentalen und seine Verbindungen zu den Bereichen des Körperlichen unter Berücksichtigung der soziokulturellen Besonderheiten darzulegen (Mertens, 2000, S. 7¬43; Leuzinger-Bohleber, 2010; ausführlich: Danis, 2006). Die Psychoanalyse kann zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften verortet werden, wie auch Freud als „philo-sophischer Arzt“ bezeichnet werden kann - Freud war interessiert an Philosophie und Geis-teswissenschaften, was seine Fokussierung auf der Traumdeutung widerspiegelt. Zugleich war er bestrebt, die (geisteswissenschaftlichen) Prämissen der Psychoanalyse naturwissenschaft¬lich bzw. mittels naturwissenschaftlicher Präzision zu beweisen und wehrte sich entschieden gegen Bestrebungen, die Psychoanalyse der Medizin einzugliedem (Leuzinger-Bohleber, 2010). Die Psychoanalyse als Wissenschaft befindet sich also am Querschnittsbereich zwi¬schen Naturwissenschaft, Geisteswissenschaft und Medizin.
Als wissenschaftliche Methodik dient die Psychoanalyse der Untersuchung des menschlichen Erlebens, Verhaltens und Denkens und zwar sowohl auf Individual- als auch auf Gruppen- bzw. Kulturebene. Psychoanalytische Forschung war seit jeher Bestandteil der Psychoanalytik, auch Freud vertrat die Auffassung des „Heilens und Forschens“, also der Idee, klinische Tätigkeit stets mit einer Forschungsidee zu verknüpfen. Wenngleich der Forschungs¬aspekt vor allem in jüngerer Zeit auch kritisch reflektiert wird (da sich die Grundannahmen der „klassischen“ Psychoanalyse niemals empirisch bewiesen ließen), verwundert es vor die¬sem Hintergrund nicht, dass an der Entwicklung der Psychotherapieforschung seit den 1960er Jahren insbesondere auch Psychoanalytiker beteiligt waren (Hau, 2008, S. 7-37).
Als therapeutische Intervention versucht die Psychoanalyse schließlich als aufde¬ckende Therapie beim Patienten ein vertieftes Verständnis der seelischen Ursachen seines Lei¬dens und der ursächlichen Zusammenhänge zu vermitteln. Sie versucht also, die für die Mil¬derung des Leidens notwendige Verhaltensänderung beim Patienten durch eine durch das Verständnis der Ursachen vermittelte Einsicht zu erreichen, womit sie sich von verhaltensthe¬rapeutischen Ansätzen absetzt, die versucht sind, die Verhaltensänderung durch trainierende Verfahren durchzusetzen. Kennzeichnend für die Psychoanalyse ist, dass die Patienten auf der Couch liegend frei assoziieren, was ihnen zu bestimmten Thematiken durch den Sinn geht, was vom Therapeuten immer wieder gedeutet wird. Ziel dieser Deutungen ist es, beim Patien¬ten ein Verständnis für seine eigenen Denk- und Verhaltensmuster zu wecken, um diese ggf. modifizieren zu können (Boeger, 2009, S. 51-65).
Psychoanalyse als Therapie beruht auf dem von Freud entwickelten Strukturmodell der Psyche, wie in Abbildung 4 dargestellt. Demnach entsteht die menschliche Psyche aus den drei Instanzen „Ich“, „Es“ und „Über-Ich“. Das „Ich“ bezeichnet dabei die Instanz des be¬wussten Denkens und Handelns in der Wirklichkeit, also das auf Selbstbewusstsein aufbau¬ende rationale Agieren im Alltag. Während das „Es“ die unbewussten Triebe (z.B. Nahrungs¬trieb, Sexualtrieb, Todestrieb), Bedürfnisse (z. B. Geltungsbedürfnis, Angenommenseinsbe- dürfnis) und Affekte (Neid, Hass, Vertrauen, Liebe) repräsentiert, werden mit dem Begriff des „Über- Ichs“ soziale Normen und Werte umschrieben. Im Alltag agiert das „Ich“ im ständigen vermittelnden Ausgleich zwischen dem „Es“ und dem „Über-Ich“ (Brühlmeier, 2010; Freud, 1975; Freund, 1964).
Insgesamt bestehen bei der Psychoanalyse acht Grundannahmen, die teilweise auch in die konzeptionellen Überlegungen der Neuropsychoanalyse eingeflossen sind, wie im Folgen¬den dargestellt (Funke, o.J.):
1. Das Objekt der Psychoanalyse ist Verhalten. Sie zeichnet sich durch die Annahme ei¬ner psychologischen Determiniertheit von allem Verhalten aus, d.h. alles Verhalten ist motiviert, nichts passiert zufällig. Freud braucht für diesen Determinismus die An¬nahme von unbewussten Prozessen.
2. Jedes Verhalten ist unteilbar, ist also mehrfach determiniert, nicht einfach nur Verhal¬ten einer Instanz.
3. Kein Verhalten ist isoliert. Alles Verhalten ist Teil der unteilbaren Persönlichkeit.
4. Alles Verhalten ist Teil einer genetischen Reihe.
5. Die entscheidenden Determinanten des Verhaltens sind unbewusst.
6. Alles Verhalten ist letzten Endes triebbestimmt.
[...]
- Citar trabajo
- Martin Klumpp (Autor), 2020, Psychosoziale Faktoren der oralen Phase in der frühen Kindheit und die orale Fixierung im Erwachsenenalter als Indikatoren für die Entstehung von Adipositas, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1188862
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