Aus Sachsen kommen viele Rekorde: die erfolgreichste deutsche Eiskunstläuferin, das teuerste Porzellan Deutschlands und auch die meisten Verfassungen. Unter den gegenwärtig existierenden Bundesländern hält Sachsen mit vier Verfassungen den Rekord. Diese „Verfassungsinflation“ ist ein Hinweis auf die großen Brüche in der Entwicklung von Gesellschaft und Politik.
Als Ergebnis der Revolution von 1830 wurde am 04.09.1831 die „Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen“ durch König Anton und seinen Mitregenten unterzeichnet. Damit war Sachsen eine konstitutionelle Monarchie geworden und beschritt endgültig den Weg zu einem modernen Verfassungsstaat.
Nach der Abschaffung der Monarchie infolge der Novemberrevolution trat am 01.11.1920 die „Verfassung des Freistaates Sachsen“ in Kraft. Sie begründete zum ersten Mal die republikanische Staatsform und ein parlamentarisch-demokratisches Regierungssystem und verankerte dies juristisch. Die dritte Verfassung entstand nach dem Trauma der deutschen Geschichte: Nationalsozialismus und 2.Weltkrieg. Im Zuge eines Neuanfanges wurde am 28.02.1947 die „Verfassung des Landes Sachsen“ verkündet. Unter sowjetischer Besatzung wurde die Demokratisierung und Parlamentarisierung festgeschrieben und auch umgesetzt, jedoch wurden mit Beginn des Kalten Krieges, der Teilung Deutschlands und der Stalinisierung der Sowjetischen Besatzungszone bald diese Tendenzen und Errungenschaften wieder zunichte gemacht. Die vierte Verfassung ist seit dem 28.02.1992 in Kraft. Sie ist Ergebnis der friedlichen Revolution und der Neugründung des Freistaats nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. In Rückerinnerung an 1920 heißt auch sie „Verfassung des Freistaates Sachsen“.
Über die erste und vor allem die vierte Verfassung bietet die Literatur ausreichend Material, wobei die Geschichtswissenschaften und Juristen die beiden mittleren fast ignorieren. Es ist nachvollziehbar, dass der Verfassung von 1831 als Meilenstein und Anfangspunkt der eigentlichen sächsischen Verfassungsgeschichte viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Auch die aktuelle Verfassung, die nun schon 15 Jahre in Kraft ist, und damit länger als ihre Vorgängerinnen von 1920 und 1947, ist gut dokumentiert. [...]
Inhalt
Einleitung
1. Entstehungsgeschichte der Verfassung
1.1. Novemberrevolution in Sachsen und die ersten Wahlen zur Volkskammer
1.2. „Vorläufiges Grundgesetz für den Freistaat Sachsen“ vom 28.02.1919
1.3. Der Weg zur Verabschiedung und in Kraft treten der Verfassung
1.4. Verfassungsdiskussionen
2. Die Verfassung
2.1. Die Staatsgewalt
2.2. Der Landtag
2.3. Die Regierung
2.4. Die Gesetzgebung
2.5. Das Finanzwesen
2.6. Schluss- und Übergangsbestimmungen
3. Ausblick
4. Anhang
4.1. Volltext der Verfassung
4.2. Wahlergebnisse der Landtagswahlen
4.3. Bildnachweis
4.4. Quellen
Einleitung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Das Königreich Sachsen um 1900 – in den gleichen Grenzen wird der Freistaat ausgerufen
Aus Sachsen kommen viele Rekorde: die erfolgreichste deutsche Eiskunstläuferin, das teuerste Porzellan Deutschlands und auch die meisten Verfassungen. Unter den gegen-wärtig existierenden Bundesländern hält Sachsen mit vier Verfassungen den Rekord. Diese „Verfassungsinflation“ ist ein Hinweis auf die großen Brüche in der Entwicklung von Gesellschaft und Politik.[1]
Als Ergebnis der Revolution von 1830 wurde am 04.09.1831 die „Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen“ durch König Anton und seinen Mitregenten unterzeichnet. Da-mit war Sachsen eine konstitutionelle Monarchie geworden und beschritt endgültig den Weg zu einem modernen Verfassungsstaat.
Nach der Abschaffung der Monarchie infolge der Novemberrevolution trat am 01.11.1920 die „Verfassung des Freistaates Sachsen“ in Kraft. Sie begründete zum ersten Mal die republikanische Staatsform und ein parlamentarisch-demokratisches Regierungssystem und verankerte dies juristisch.
Die dritte Verfassung entstand nach dem Trauma der deutschen Geschichte: National-sozialismus und 2.Weltkrieg. Im Zuge eines Neuanfanges wurde am 28.02.1947 die „Ver-fassung des Landes Sachsen“ verkündet. Unter sowjetischer Besatzung wurde die De-mokratisierung und Parlamentarisierung festgeschrieben und auch umgesetzt, jedoch wurden mit Beginn des Kalten Krieges, der Teilung Deutschlands und der Stalinisierung der Sowjetischen Besatzungszone bald diese Tendenzen und Errungenschaften wieder zunichte gemacht.
Die vierte Verfassung ist seit dem 28.02.1992 in Kraft. Sie ist Ergebnis der friedlichen Re-volution und der Neugründung des Freistaats nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. In Rückerinnerung an 1920 heißt auch sie „Verfassung des Frei-staates Sachsen“.
Über die erste und vor allem die vierte Verfassung bietet die Literatur ausreichend Mate-rial, wobei die Geschichtswissenschaften und Juristen die beiden mittleren fast ignorie-ren. Es ist nachvollziehbar, dass der Verfassung von 1831 als Meilenstein und Anfangs-punkt der eigentlichen sächsischen Verfassungsgeschichte viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Auch die aktuelle Verfassung, die nun schon 15 Jahre in Kraft ist, und damit län-ger als ihre Vorgängerinnen von 1920 und 1947, ist gut dokumentiert. Doch baut die letzte auf den Vorherigen auf. Trotzdem ist die Quellenlage sehr spärlich. Woran liegt das? Frackowiak sieht die Gründe in der „ideologisch bedingten Ablehnung von ‚Landes-geschichte’“ in der unitarischen DDR und weil kaum Rechtsgeschichte an den Universitä-ten der DDR gelehrt wurde, weil Landesgeschichte, und damit auch Landesverfassungs-geschichte, ideologisch abgelehnt wurde. Dies führte dazu, dass sich kaum ein Jurist mit den Verfassungen auseinander setzte. Auch nach der Wende wurden Forschungen nicht zur Verfassungsgeschichte Sachsens geführt, was mit der Unterschätzung der Verfas-sungsfrage als Machtfrage zu begründen sei.[2]
Diese Hausarbeit wird die Verfassung von 1920 genauer betrachten, sowie ihre Entste-hungsgeschichte, ihren Aufbau und die Auswirkungen auf Sachsen beleuchten.
1. Entstehungsgeschichte der Verfassung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1.1. Novemberrevolution in Sachsen und die ersten Wahlen zur Volkskammer
Schon am 25.10.1918 rief Otto Rühle, Spartakist und Reichstags-abgeordneter, in Pirna zur bewaffneten Revolution auf. Unter dem Eindruck der Matrosenaufstände in Kiel am 3. November flammten auch die ersten Aufstände in Sachsen auf. Bis zum 8. November hatte sich die Revolution in Dresden, Chemnitz, Leip-zig und anderen sächsischen Städten etabliert – die Revolution hatte ganz Sachsen erfasst.
In der Fliegerkaserne Großenhain wählten etwa 3000 Soldaten am 06.11.1918 den ersten Soldatenrat Sachsens.
Die entscheidenden Prozesse liefen jedoch in der Landeshauptstadt ab. Am Abend und in der Nacht des 8. Novem-ber kam es zu Unruhen in Dresden; Kasernen und der Haupt-bahnhof wurden besetzt und große Sachschäden angerichtet. Die Unruhen setzten sich am nächsten Tag fort. Das kein Blut floss, war König Friedrich August III. von Sachsen (1865-1932, Regierungszeit:1904-1918; Abb. 2) zu verdanken, der Waffenanwendungen untersagt hatte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Am 09.11.1918 bildeten sich in Dresden zwei Arbeiter- und Soldatenräte, die sich am 10. No-vember im Zirkus Sarrasani (Abb. 3) versammelten. Dort schlossen sie sich zum „Vereinig-ten revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat von Groß-Dresden“ zusammen und riefen die Republik Sachsen aus. Als Zeichen des Sieges hisste man die rote Fahne auf dem Dresdner Schloss. Dieses Ereignis wurde im Hof-journal als letzter Eintrag dokumentiert[3].
Schon am 9. November war Friedrich Au-gust III. aus Sachsen geflohen. Dabei soll er geäußert haben: „Dann machd doch Eiern Dregg alleene!“.[4] Er ging ins Exil auf Schloss Guteborn, jenseits der sächsi-schen Grenze bei Ruhla gelegen. Am 13.11.1918 dankte er, unter Zwang, offi-ziell ab. Damit endete in Sachsen nicht nur die seit 1124 ununterbrochene Herrschaft der Wettiner, sondern auch die Monarchie selbst. Der König zog sich daraufhin nach Sybillenort bei Breslau zurück. Am nächsten Tag über-nahm der „Rat der Volksbeauftragten“ die Regierungsgeschäfte, der sich aus den Arbeiter- und Soldatenräten von Chemnitz, Dresden und Leipzig zusammensetzte.
Ebenfalls am 14.11.1918 wurde eine „Proklamation an das sächsische Volk“ herausgege-ben, in dem die Ziele der Revolution zusammengefasst wurden, unter anderem die Umwand-lung von einer kapitalistischen in eine gesellschaftliche Produktion, Enteignungen, Trennung von Staat und Kirche und die Auflösung des sächsischen Staats zugunsten einer einheitli-chen sozialistischen Republik.
Schon bald aber wurde von den linkssozialistischen Forderungen abgerückt, da es innerhalb der Regierung zu Zerwürfnissen kam. Am 16. November folgte eine „Bekanntmachung über die Weiterführung der Dienstgeschäfte“, die das Fortbestehen der Verwaltungsorganisation verkündete. Zwei Tage darauf wurden in der Regierungserklärung die demokratischen Erru-ngenschaften, die Erhaltung Sachsens als Staat und eine wirtschaftliche Umgestaltung ohne Enteignungen festgelegt – Sachsen sollte eine parlamentarische Demokratie werden. Der Rat der Volksbeauftragten arbeitete nun als Gesamtministerium, was ein Synonym für Re-gierung ist.
Am 28.11.1918 setzte das Gesamtministerium für den Januar 1919 Kommunalwahlen an. Dazu wurde das Wahlrecht geändert: nun wurde allgemein, gleich, geheim und direkt ge-wählt, Frauen durften zum ersten Mal mit an die Wahlurnen. Alle, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten, waren wahlberechtigt und konnten gewählt werden. Eine Listenwahl und das Verhältniswahlrecht komplettierten das moderne Wahlrecht.
Am 27.12.1918 fand die Landesversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte statt, auf der die Land- und Reichstagswahlen für Anfang 1919 festgelegt wurden. Mit 41,6% der Stimmen für die Sozialdemokraten bei der Wahl der sächsischen Volkskammer am 02.02.1919 bestä-tigte Sachsen seinen Ruf als „rotes Königreich“, freilich jetzt als „rote Republik“ (Wahlerge-bnisse unter 4.2.). Die MSPD wurde staatstragende Partei.
Am 25.02.1919 fand die konstituierende Sitzung der Volkskammer statt. Julius Fräßdorf (MSPD) wurde zum Präsidenten gewählt. Er sollte bis Dezember 1922 Landtagspräsident bleiben.
1.2. „Vorläufiges Grundgesetz für den Freistaat Sachsen“ vom 28.02.1919
Die erste Amtshandlung der gewählten Volkskammer war die Verabschiedung des „Vorläufi-gen Grundgesetzes für den Freistaat Sachsen“ am 28.02.1919, gegen die Stimmen der USPD und der DNVP. In diesem Dokument wurde rechtsgültig die Staatsform, der Freistaat, festgelegt. Dieses vorläufige Grundgesetzt war die Grundlage für die sächsische Verfassung von 1920.
Die Schaffung eines vorläufigen Grundgesetzes war zum einen nötig, da man der Verfas-sungsgebung auf Reichsebene nicht vorgreifen konnte und wollte, zum anderen aber, damit in Sachsen die „Politik der Tatsachen“ (Gradnauer) beseitigt und ein Gesetzgebungsverfah-ren festgelegt wird. Das Grundgesetz enthielt allgemeine Bestimmungen über die Befugnisse der Volkskammer und des Gesamtministeriums, ein Gesetzgebungsverfahren und das Amt eines Staatspräsidenten, der aber vor der endgültigen Verabschiedung des Grundgesetzes wieder gestrichen wurde.[5]
Die Fraktion der USPD gab zu diesem Grundgesetzt eine „Entschließung“ heraus, eine pro-grammatische Erklärung zur künftigen Entwicklung Sachsens zum „demokratisch-sozialisti-schen Freistaat“. Dies fand auch bei der MSPD Gehör, jedoch konnte das geforderte Zwei-kammersystem (Parlament und Arbeiter- und Soldatenräte) von der MSPD nicht mitgetragen werden. Durch dieses Zerwürfnis kam es zu keiner gemeinsamen Regierungsbildung, die MSPD führte eine Minderheitenregierung unter Ministerpräsident Dr. Georg Gradnauer (MSPD, Vorsitzender „Rat der Volksbeauftragten“: 22.01.-14.03.1919, Ministerpräsident: 14.03.1919-22.04.1920).
Gradnauer war ein überzeugter Demokrat und Föderalist. Noch als Volksbeauftragter hatte er zum Beispiel auf der 2. Länderkonferenz am 25.01.1919 eine Aufwertung Sachsens auf Kosten Preußens gefordert. Auf dieser Versammlung wurden weitreichende Mitspracherech-te für die Einzelstaaten im Reich erreicht, zum Beispiel durch Anträge der Vertreter Bayerns und Sachsens.[6]
[...]
[1] Frackowiak, Johannes: Verfassungsdiskussionen in Sachsen nach 1918 und 1945. – Sonderausgabe für die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung. – Köln : Böhlau, 2005. – S. 11.
[2] Frackowiak, Johannes: Verfassungsdiskussionen in Sachsen nach 1918 und 1945. – Sonderausgabe für die
Sächsische Landeszentrale für politische Bildung. – Köln : Böhlau, 2005. – S. 14-15.
[3] Groß, Reiner: Geschichte Sachsens. – Sonderausgabe für die Sächsische Landeszen-trale für politische
Bildung. –3., durchgesehene Aufl. – Leipzig : Edition Leipzig, 2004. – S. 255
[4] Rellecke, Werner: Freistaat Sacchsen. aus: Wehling, Hans-Georg (Hrsg.): Die deutschen Länder – Geschichte,
Politik, Wirtschaft. – Opladen : Leske + Budrich, 2000. – 376 S. – S. 227.
[5] Frackowiak, Johannes: Verfassungsdiskussionen in Sachsen nach 1918 und 1945. – Sonderausgabe für die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung. – Köln : Böhlau, 2005. – S.36-37.
[6] Ebd. S. 28-29.
- Arbeit zitieren
- Christiane Arndt (Autor:in), 2007, Die sächsische Verfassung von 1920, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118821
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