Nach einfachem Diebstahl ist Betrug die am häufigsten begangene Straftat in Deutschland. Ziel dieser Arbeit ist es, kriminologische und psychologische Erkenntnisse zum Phänomen Betrug um die Aspekte der digitalen Kommunikation zu ergänzen und so einen ersten Ausblick zu wagen, welche Herausforderungen die zunehmende Digitalisierung für die Betrugsbekämpfung und Betrugsprävention erwarten lässt und wie diesen Herausforderungen adäquat begegnet werden kann.
Zunächst wird eine Einführung in gängige Kommunikationsmodelle der aktuellen Forschung gegeben, die auf die Neuordnung durch die in den letzten Jahrzehnten eingesetzte digitale Transformation angewendet werden. Weiterhin erfolgt ein psychosoziale Einordnung des Phänomens Betrug anhand bestehender Studien und Literatur zu Betrugsmustern und Betrugsmotivationen. Schließlich werden die Erkenntnisse der Kommunikationspsychologie auf das Phänomen Betrug hinsichtlich Betrugserkennung und Betrugsprävention angewendet.
Aus den gewonnenen Erkenntnissen können mögliche präventive und repressive kommunikative Maßnahmen abgeleitet werden, die die Grundlage für einen Handlungsleitfaden für Betrugsbekämpfung im digitalen Zeitalter bilden können.
Die bisherige Forschung zu dem Thema hat sich maßgebliche auf kriminogene und wirtschaftliche Faktoren des Betrugs fokussiert und bietet keine Antworten auf die Frage der Relevanz des digitalen Wandels für den Betrug. Psychologische Faktoren, insbesondere Faktoren der Kommunikationspsychologie und der Nutzung digitaler Kommunikationskanäle blieben in dem Zusammenhang bisher weitestgehend unberücksichtigt.
INHALTSVERZEICHNIS
ABSTRACT
INHALTSVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1. Ausgangssituation und Problemstellung
1.1. Zielsetzung
1.2. Forschungsfragen
1.3. Zielgruppe der Forschungsarbeit
1.4. Methode und Aufbau der Arbeit
2. Begriffsabgrenzung
2.1. Digitale Transformation
2.2. Face-to-Face Kommunikation (FtF)
2.3. Medienvermittelte Kommunikation (mvK)
2.4. Betrug
3. Theoretische Grundlagen und Reflexion der bestehenden Literatur
3.1. Face-to-Face Kommunikation
3.1.1. Überblick über eine Auswahl gängiger Kommunikationsmodellen
3.1.2. Integratives Kommunikationsmodell nach Hargie & Dickson (2004)
3.2. Kommunikationsformen und ihre Mittel
3.2.1. Interpersonelle Kommunikationsformen
3.2.2. Verbale Kommunikationsmittel
3.2.3. Nonverbale Kommunikationsmittel
3.3. Medienvermittelte Kommunikation
3.3.1. Unterschiede der medienvermittelten zur Face-to-Face Kommunikation
3.3.2. Aspekte und Theorien medienvermittelten Kommunikationsverhaltens
3.3.3. Medienwahl
3.3.4. Interpersonales Verhalten und soziale Phänomene in der medienvermittelten Kommunikation
3.4. Betrug
3.4.1. Betrugsmodelle
3.4.2. Allgemeine Aspekte der betrugshandelnden Persönlichkeit
3.4.3. Typische TäterInnenprofile
3.4.4. Das Fraud-Triangle und die Dunkle Triade
3.4.5. Motivationsaspekte für Betrug
3.4.6. Muster des Betrugs
4. Beantwortung der theoretischen Subforschungsfragen
4.1. Welche Aspekte der Kommunikation sind bei Betrug relevant?
4.2. Welche Aspekte des digitalen Wandels sind bei Betrug relevant?
5. Erhebung und Auswertung der empirischen Ergebnisse
5.1. Forschungsdesign, Zielgruppe und Forschungsziel
5.1.1. Sampling / Stichprobenauswahl
5.1.2. Erhebungsmethode
5.1.3. Qualitätssicherung / Gütekriterien
5.1.4. Interviewleitfaden und Aufbau des Interviews
5.1.5. Datenauswertung und Kategorienbildung
5.2. Darstellung und Interpretation der empirischen Ergebnisse
5.2.1. Kategorie 1 (K1) – Angaben zur Dubiosschadenbearbeitung
5.2.2. Kategorie 2 (K2) – Medienvermittelte Kommunikation
5.2.3. Kategorie 3 (K3) – Digitale Medien
5.2.4. Kategorie 4 (K4) – Face-to-Face Kommunikation
5.2.5. Kategorie 5 (K5) – Einfluss der Gruppengröße auf die Wahl des Kommunikationswegs
5.2.6. Kategorie 6 (K6) – Wandel der Betrugssachbearbeitung durch Digitalisierung
5.2.7. Kategorie 7 (K7) – Formen des Betrugs
5.2.8. Kategorie 8 (K8) – Persönlichkeits-Typen des Betrugs
5.2.9. Kategorie 9 (K9) – Betrugsfaktoren
5.2.10. Kategorie 10 (K10) – Rechtfertigungsfaktoren
5.2.11. Kategorie 11 (K11) – Faktoren der Betrugsbekämpfung und Betrugsprävention
5.2.12. Kategorie 12 (K12) – Grundsätzliche Einstellung zu Versicherungsbetrug
5.2.13. Kategorie 13 (K13) – Grundsätzliche Einstellung zum Einfluss medienvermittelter Kommunikation auf Betrug
6. Beantwortung der empirischen Subforschungsfragen
6.1. Wie beschreiben die befragten Personen die Aspekte der digitalen Kommunikation für ihren Arbeitsalltag?
6.2. Welche Wahrnehmung haben die betroffenen Personen bezüglich der Relevanz des digitalen Wandels für die Betrugshandlung?
6.3. Welche Wahrnehmung haben die betroffenen Personen bezüglich der Relevanz des digitalen Wandels für die Betrugsbekämpfung?
7. Conclusio und Ausblick
7.1. Welche Relevanz hat der digitale Wandel der Kommunikation für Betrug?
7.2. Reflexion und Limitation der Ergebnisse
7.3. Praktische Implikation und Ausblick
LITERATURVERZEICHNIS
ABSTRACT
Nach einfachem Diebstahl ist Betrug mit 15,3% die am häufigsten begangene Straftat in Deutschland im Jahr 2019 (Statista, 2021). SchadensachbearbeiterInnen in Versicherungen berichten von einem erheblichen Anstieg von Betrugsfällen in den letzten Jahren. Laut Köneke et al. (2015) enthält jede zehnte Schadenmeldung mittlerweile Falschangaben. Die bisherige Forschung zu dem Thema hat sich maßgebliche auf kriminogene und wirtschaftliche Faktoren des Betrugs fokussiert und bietet keine Antworten auf die Frage der Relevanz des digitalen Wandels für den Betrug. Psychologische Faktoren, insbesondere Faktoren der Kommunikationspsychologie und der Nutzung digitaler Kommunikationskanäle blieben in dem Zusammenhang bisher weitestgehend unberücksichtigt.
Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, kriminologische und psychologische Erkenntnisse zum Phänomen Betrug um die Aspekte der digitalen Kommunikation zu ergänzen und so einen ersten Ausblick zu wagen, welche Herausforderungen die zunehmende Digitalisierung für die Betrugsbekämpfung und Betrugsprävention erwarten lässt und wie diesen Herausforderungen adäquat begegnet werden kann. Aus der allgemeinen Zielgruppe wurde spezifisch das Beispiel Versicherungen gewählt. Betrug ist für Versicherungen kein gelegentliches Vorkommen, sondern gehört zum Tagesgeschäft in der Schadensachbearbeitung (Köneke et al., 2015). Für das Sampling wurden Personen aus der (Dubios-) Schadensachbearbeitung unterschiedlicher deutscher Versicherungsgesellschaften ausgewählt und in einem leitfadengestützten Interview befragt. Die empirische Untersuchung erfolgte auf der Grundlage der Erkenntnisse des vorher durchgeführten theoretischen Forschungsteils, ohne daraus deduktive Vorgaben zu generieren.
Der digitale Wandel der Kommunikation hat eine erhebliche Relevanz sowohl für die potenzielle Betrugshandlung als auch für die Betrugsbekämpfung und Betrugsprävention. Das Schlüsselmerkmal medienvermittelter Kommunikation ist die fehlende räumliche und zeitliche Kopräsenz. Mit ihre einher gehen die Aspekte der Kanalreduktion, der Anonymisierung, der emotionalen Desensibilisierung und der Deindividuation, aber auch Aspekte der Effektivität, Beschleunigung, Erweiterung des Teilnehmerkreises und des Wahrnehmungs- und Handlungsraumes, die sämtlich einen erheblichen Einfluss auf das Kommunikationsverhalten im Zusammenhang mit Betrug haben.
Die Ergebnisse der Untersuchung richten sich an Personen, die in ihrem beruflichen Alltag regelmäßig mit dem Thema Betrug konfrontiert sind. Aus den in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnissen können mögliche präventive und repressive kommunikative Maßnahmen abgeleitet werden, die die Grundlage für einen Handlungsleitfaden für Betrugsbekämpfung im digitalen Zeitalter bilden können.
„Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrigbleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.“
Sir Arthur Canon Doyle, brit. Arzt und Schriftsteller, 1859-1930
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Komponenten interpersonaler Kommunikation nach Hargie & Dickson (2004); Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 2: Interpersonelle Kommunikationsformen in Anlehnung an Röhner und Schütz (2004) und Döring (2003); Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 3: Betrugsdreieck in Anlehnung an Cressey, 1953; Wolfe & Hermansson, 2004; Albrecht et al., 1984 Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 4: Einfluss der dunklen Triade auf betrügerische Handlungen. Modell nach Harrison et al., 2016; Quelle: entnommen aus Allwin et al., 2018, S. 41.
Abbildung 5: Betrugspyramide in Anlehnung an Hoffmann, 2015; Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 6: Wahrscheinlichkeit von Betrugshandlungen in Anlehnung an Sutherland, 1972; eigene Darstellung
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Ausgangssituation und Problemstellung
Kommunikation ist die Schlüsselform des sozialen Handelns (Habermas, 1981) und gewinnt umso mehr an Bedeutung, je vielfältiger die Möglichkeiten der Kommunikation werden. In der heutigen Zeit ist Kommunikation kaum noch ohne digitale Medien zu denken. Internet, Social-Media-Plattformen, Email, Webchats, Videokonferenzen, SMS und vieles mehr haben in der interpersonellen Kommunikation eine entscheidende Durchdringung in private, beruflich und soziale Bereich der Gesellschaft errungen (Beck, 2014). Dokumente werden kaum noch auf klassischem Druck- und Postweg ausgetauscht. Verträge werden Online geschlossen, Formulare Online ausgefüllt, Fotos digital verschickt und Belege Online generiert. Schriftverkehr findet via Email oder Chat statt und ein verbaler Austausch erfolgt maßgeblich per Telefon oder Videokonferenz. All diese digitalen Kanäle ermöglichen unterschiedliche Kommunikationsformen und erfordern unterschiedlichen Kommunikationskompetenz (Döring, 2003).
Diese Entwicklung stellt Personen und Institutionen vor neue Herausforderungen. Anonymisierung, Einschränkung und Verrohung von Sprache, Cybermobbing und Verletzung grundlegender Persönlichkeitsrechte, ungefilterte Verbreitung von „Fake-News“ und suchtähnliche Dauernutzung sind nur einige Schlagworte, die den beinahe täglichen medialen Meldungen zum Thema entnommen werden können. Viele Institutionen stellen sich diesen Herausforderungen bereits aktiv. Schulen organisieren Präventionsveranstaltungen zum sinnvollen Umgang mit digitalen Medien. Unternehmen implementieren Maßnahmen, die Ihre Mitarbeiter für das digitale Miteinander im Bereich Führung und Zusammenarbeit qualifizieren. Es scheint, als sei ein Bewusstsein dafür entstanden, dass ein digitaler Wandel auch mit einem Wandel der Kommunikation einher geht (Döring, 2003).
Doch gilt dies auch für den sehr spezifischen Kommunikationsbereich des Betrugs? Welche Relevanz hat der digitale Wandel für die Kommunikation im Zusammenhang mit Betrugshandlungen? Nach einfachem Diebstahl ist Betrug mit 15,3% die am häufigsten begangene Straftat in Deutschland im Jahr 2019 (Statista, 2021). SchadensachbearbeiterInnen in Versicherungen berichten von einem erheblichen Anstieg von Betrugsfällen in den letzten Jahren. Laut Köneke et al. (2015) enthält jede zehnte Schadenmeldung mittlerweile Falschangaben.
Die bisherige Forschung zu dem Thema hat sich maßgebliche auf kriminogene und wirtschaftliche Faktoren des Betrugs fokussiert und bietet keine Antworten auf die Frage der Relevanz des digitalen Wandels für den Betrug. Psychologische Faktoren, insbesondere Faktoren der Kommunikationspsychologie und der Nutzung digitaler Kommunikationskanäle, die nach Bauer und Müßle (2020) ihre eigenen psychologischen Regeln haben, blieben in dem Zusammenhang bisher weitestgehend unberücksichtigt.
1.1. Zielsetzung
Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, kriminologische und psychologische Erkenntnisse zum Phänomen Betrug, um die Aspekte der digitalen Kommunikation zu ergänzen und so einen ersten Ausblick zu wagen, welche Herausforderungen die zunehmende Digitalisierung für die Betrugsbekämpfung und Betrugsprävention erwarten lässt und wie diesen Herausforderungen adäquat begegnet werden kann.
Im theoretischen Teil der Arbeit sollen Faktoren der Kommunikation und des Betrugs in enger Bezugnahme auf bestehende Erkenntnisse der Literatur der Kommunikations- und Sozialpsychologie, sowie der Kriminologie untersucht werden. Dabei sollen insbesondere Aspekte des digitalen Wandels in der Kommunikation im Fokus stehen. Ziel der empirischen Untersuchung ist es, unmittelbare - auch subjektive - Erfahrungen von ExpertInnen zu den Themen digitale Kommunikation und Betrug in ihrem System zu erhalten. Die empirische Untersuchung soll als Grundlage für eine Verknüpfung der theoretischen Erkenntnisse mit dem tatsächlich Erlebten der Befragten dienen.
Gesamtziel der Arbeit ist es einen Beitrag zum Schließen der oben beschriebenen Forschungslücke zwischen Kriminologie, Psychologie und Kommunikationswissenschaft zu leisten und aus den theoretischen und empirischen Forschungsergebnissen Erkenntnisse zu relevanten Aspekten digitaler Kommunikation für den Betrug in Organisationen abzuleiten. Die daraus generierten Faktoren können als Grundlage für einen Handlungsleitfaden für Betrugsprävention im digitalen Zeitalter dienen und somit einen praktischen Nutzen für Organisationen im Allgemeinen und die Versichertengemeinschaft im Besonderen darstellen.
1.2. Forschungsfragen
Von der Problemstellung und dem Ziel abgeleitet ergibt sich folgende Hauptforschungsfrage:
„Welche Relevanz hat der digitale Wandel der Kommunikation für Betrug?“
Aus theoretischer Sicht ergeben sich daraus nachfolgende Subforschungsfragen, die durch Erkenntnisse aus der bestehenden Literatur zum Forschungsthema beantwortet werden sollen: „Welche Aspekte der Kommunikation sind bei Betrug relevant?“, „Welche Aspekte des digitalen Wandels sind bei Betrug relevant?“.
Um sich der Hauptforschungsfrage empirisch anzunähern, bilden sich folgende weitere Fragen: „Wie beschreiben die befragten Personen die Faktoren der digitalen Kommunikation für ihren Arbeitsalltag?“, „Welche Wahrnehmung haben die betroffenen Personen bezüglich der Relevanz des digitalen Wandels für die Betrugshandlung?“, „Welche Wahrnehmung haben die betroffenen Personen bezüglich der Relevanz des digitalen Wandels für die Betrugsbekämpfung?“
1.3. Zielgruppe der Forschungsarbeit
Die Arbeit richtet sich an Personen, die sich in ihrem Arbeitsalltag regelmäßig mit den Herausforderungen der Betrugserkennung und Betrugsprävention auseinandersetzen. Aufgrund des vorgegebenen Umfangs der Arbeit wurden die empirischen Studien nur mit Personen aus der Versicherungsbetrugsbearbeitung durchgeführt. Die Arbeit ist jedoch so angelegt, dass die Erkenntnisse größtenteils auch auf alle weiteren Bereiche des Wirtschaftsbetrugs übertragen und angewendet werden können.
1.4. Methode und Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf die Frage der Aspekte digitaler Kommunikation für den Betrug. Im Hinblick auf eine bessere Handhabbarkeit des Forschungsthemas wurde die Untersuchung im empirischen Teil auf den Betrug in Versicherungen als ein Beispiel für Wirtschaftsunternehmen begrenzt.
Grundsätzlich ist die Masterarbeit in einen literaturgestützten, theoretischen und einen empirischen Teil gegliedert. Der literaturgestützten Teil greift auf bestehende Erkenntnisse aus der Literatur zum Thema Kommunikation, digitaler Wandel und Betrug zurück. Die relevante Literatur wurde unter Maßgabe der theoretischen Subforschungsfragen analysiert, zueinander in Bezug gesetzt und kritisch bewertet. Die empirische Untersuchung des Forschungsthemas erfolgte auf der Grundlage der Erkenntnisse des theoretischen Forschungsteils, ohne daraus deduktive Vorgaben zu generieren. Hierzu wurden qualitative mündliche Interviews mit speziell zum Thema ausgewählten ExpertInnen durchgeführt. Die grundsätzliche Konzeption und Durchführung der Experteninterviews orientierte sich an den fünf Postulaten nach Mayring (2002). Die Auswertung der Interviews erfolgte auf Grundlage der qualitativen Inhaltsanalyse Mithilfe eines Kodierleitfadens und induktiver Kategorienbildung nach Mayring (Mayring & Frenzl, 2014). Über diese transparente Methode konnte das umfangreiche Material der Befragungen regelgeleitet ausgewertet werden.
2. Begriffsabgrenzung
Die tragenden Begriffe der Arbeit werden nachfolgend operationalisiert, um eine durchgängig kongruente Verständlichkeit der Begriffe für den Gesamtzusammenhang der Arbeit zu gewährleisten.
2.1. Digitale Transformation
Aktuell findet sich in der Literatur keine einheitliche Definition für die Bezeichnung „digitale Transformation“. Die für diese Arbeit als zielführend angesehene Definition, ist die durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse Cooper (2013, zitiert nach Schallmo, 2016, S. 4) verwendete, in der „die digitale Transformation den grundlegenden Wandel der gesamten Unternehmenswelt durch die Etablierung neuer Technologien auf Basis des Internets mit fundamentalen Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft“ beschreibt. Sowie, als Erweiterung dessen, die Definition von Boueé und Schaible (2015, zitiert nach Schallmo 2016, S. 4), die digitale Transformation als „durchgängige Vernetzung aller Wirtschaftsbereiche und als Anpassung der Akteure an die neuen Gegebenheiten der digitalen Ökonomie“ sehen. Demzufolge umfassen „Entscheidungen in vernetzten Systemen […] Initiierung von Handlungen und Einleitung von Konsequenzen.“
Beiden Definitionen ist gemein, dass es beim digitalen Wandel insbesondere um einen Wandel in der Gesellschaft und den damit verbundenen interpersonellen Aktionen durch das Internet und weitere vernetzte Systeme geht. Da in der vorliegenden Arbeit die Untersuchung interpersoneller Aktionen im Vordergrund stehen sind diese Definitionen zielführend für das weitere Verständnis.
2.2. Face-to-Face Kommunikation (FtF)
Face-to Face Kommunikation meint im Zusammenhang mit dieser Arbeit die direkte interpersonelle Kommunikation, in der sich die an der Kommunikation beteiligten Personen in einer Kopräsenz zur selben Zeit am selben Ort befinden und es zu einem verbalen und nonverbalen Austausch kommt (Döring, 2003). Informationen der FtF Kommunikation werden demnach ausschließlich durch primäre Medien, wie Licht und Luft übertragen, sodass es sich um eine gänzlich technikunvermittelte Kommunikation handelt.
2.3. Medienvermittelte Kommunikation (mvK)
Der Begriff der digitalen Kommunikation wird in dieser Arbeit nicht im Sinne der Kommunikationsgrundsätze Watzlawicks (1969) verwendet, sondern als Synonym für „Computervermittelte Kommunikation“ und „technisch vermittelte Kommunikation“ (Döring, 2013) umgesetzt.
Unter Computervermittelter Kommunikation wird die interpersonale Kommunikation zwischen Einzelpersonen oder in Gruppen verstanden, die über Computernetzwerke, wie zum Beispiel Email, Online-Foren und Social Network, vermittelt wird (Döring, 2003). Hier einzuordnen ist auch die technisch vermittelte interpersonale Kommunikation, wie Telefon und SMS-Kommunikation. Medienvermittelte Kommunikation findet demnach ausschließlich über sekundäre und tertiäre Medien statt. Nach Döring sind diese Formen der Kommunikation, bei der die Kommunizierenden räumlich getrennt sind, der FtF-Kommunikation gegenübergestellt (Döring, 2003). Der Einfachheit halber werden die Begriffe computer- und technikvermittelte Kommunikation in Anlehnung an Döring (2003) im Begriff der medienvermittelten Kommunikation zusammengefasst.
2.4. Betrug
Betrug ist als ein Vermögensdelikt ein Tatbestand des deutschen Strafrechts und ist in §263 StGB geregelt. Wichtige objektive Tatbestandsmerkmale sind Täuschung, Irrtumserregung, Vermögensverfügung und Vermögensschaden. Wichtige subjektive Tatbestände sind darüber hinaus Vorsatz und Bereicherungsabsicht. Über den strafrechtlichen Zusammenhang hinaus ist der Begriff umgangssprachlich sehr gebräuchlich. Der Duden definiert Betrug als „bewusste Täuschung, Irreführung einer anderen Person“.
Im Zusammenhang mit dieser Arbeit soll der Begriff des Betrugs mit seiner strafrechtlichen Bedeutungszuweisung verstanden werden. Jedoch geht es in der Arbeit nicht um die Prüfung strafrechtlich relevanter Tatbestandsmerkmale. Vielmehr sollen die psychologischen Merkmale der genannten Tatbestandsmerkmale Grundlage der Begriffsbestimmung des Betrugs und dessen Selbstverständnisses für diese Arbeit sein.
3. Theoretische Grundlagen und Reflexion der bestehenden Literatur
Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über bestehende Erkenntnisse aus der Literatur zum Thema Kommunikation, digitaler Wandel und Betrug. Bei der verwendeten Literatur handelt es sich um eine Auswahl relevanter Literatur mit dem Ziel der Beantwortung der theoretischen Subforschungsfragen.
3.1. Face-to-Face Kommunikation
Sprachwissenschaftlich geht der Begriff der Kommunikation auf das lateinische communicatio, also Mitteilung / Unterredung zurück. Das Verständnis von Kommunikation ist jedoch je nach Betrachtungsansatz sehr unterschiedlich. Langläufig werden unter Kommunikation die unterschiedlichen Formen der Übermittlung von Informationen in interpersonellen Aktionen verstanden (Röhner & Schütz, 2012). Im Folgenden werden ausgewählte Aspekte der Kommunikation insbesondere im Hinblick auf den Unterschied von FtF Kommunikation gegenüber der medienvermittelten Kommunikation (Döring, 2003) dargestellt. Die Darstellung einer Auswahl bekannter Kommunikationsmodelle soll zunächst für ein grundlegendes Verständnis von Kommunikation sorgen.
3.1.1. Überblick über eine Auswahl gängiger Kommunikationsmodellen
Shannon und Weaver (1949) betrachten in Ihrem Sender-Empfänger Modell Kommunikation aus einer mathematisch-technischen Perspektive und definieren sechs notwendige Elemente für eine Kommunikation. Ausgangspunkt ist dabei immer der Sender, der seine Nachricht mit Hilfe eines Kodierers in Form von Signalen über einen Kanal überträgt. Der Empfänger nimmt die Nachricht mithilfe eines Dekodierers auf, bzw. entschlüsselt sie. Demzufolge ist in diesem Modell Kommunikation gleichzusetzen mit einer Signalübertragung, die Störungen ausgesetzt sein kann, dass zu einem Rauschen in der Übertragung führt (Shannon & Weaver, 1949).
Häufig wird Kommunikation mit Hilfe des Eisberg-Modells beschrieben (u.a. Pinnow, 2009). In dem Modell wird davon ausgegangen, dass sich wie bei einem Eisberg nur ein geringer Teil der menschlichen Kommunikation, nämlich der inhaltliche, offensichtlich an der Oberfläche befindet. Der überwiegende Teil der Kommunikation findet demnach unsichtbar unter der Oberfläche statt (Pinnow 2009).
Friedemann Schulz von Thun (2008) verwendet in seinem Kommunikationsquadrat für den inhaltlichen, sichtbaren Teil den Begriff Sachebene. Er definiert für den unsichtbaren Teil weitere drei Ebenen einer Nachricht: die Beziehungsebene, die Selbstoffenbarungsebene und die Appellebene. Auch Schulz von Thun (2008) greift bei seiner Erklärung einer guten Kommunikationsqualität auf die Idee der Dekodierung zurück. Je besser Sender und Empfänger ihre Nachrichten dekodieren – also auch Beziehungs-, Selbstoffenbarungs- und Appellebene an die Oberfläche bringen – desto gelungener ist die Kommunikation. Einseitige Empfangsgewohnheiten auf der Empfängerseite oder starke Kodierung von Nachrichten auf der Senderseite führen nach Schulz von Thun zu Kommunikationsstörungen.
Große Bedeutung für das Verständnis von Kommunikation haben die fünf Axiome der Kommunikation von Paul Watzlawick (1969). Auch Watzlawick greift für seine Axiome auf das Eisbergmodell zurück. So hat jede Kommunikation eine Inhalts- und eine Beziehungsebene (Watzlawick et al., 2016). Watzlawick führt die Überlegung jedoch weiter. Er postuliert, dass Kommunikation ein ununterbrochener Austausch von Mitteilungen und somit ein ununterbrochener Regelkreis von Ursache und Wirkung ist. Die KommunikationspartnerInnen geben diesem Regelkreis subjektiv Struktur und setzen somit eine Interpunktion von Ereignisfolgen (Watzlawick et al., 2016). Weiterhin postuliert Watzlawick (1969), dass sich menschliche Kommunikation digitaler und analoger Modalitäten bedient. Digitale Kommunikation definiert Watzlawick als die verbalen Inhalte, also das gesprochen oder geschriebene Wort. Diese haben ihm zufolge jedoch auf der Beziehungsebene eine unzulängliche Semantik, weshalb sich menschliche Kommunikation weiterer, analoger Modalitäten, wie Gestik, Mimik, Tonfall und Proxemik bedient, die die verbalen Inhalte näher spezifizieren. Interpersonelle Kommunikation findet nach Watzlawick grundsätzlich entweder symmetrisch oder komplementär statt. In Abhängigkeit davon, ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit beruht, interagieren die Kommunikationspartner symmetrisch (spiegelbildlich) oder komplementär (ergänzend zum anderen). In beiden Fällen existiert eine „verzahnte Natur der Beziehung“ (Watzlawick et al., 2016, S. 80), bei der unterschiedliche, aber einander ergänzende Verhaltensweisen sich gegenseitig auslösen.
Das wohl bekannteste Axiom Watzlawicks ist sein Postulat „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick et al., 2016, S. 60). Kommunikation beginnt demnach, sobald es zu einer interpersonellen Aktion kommt, also mindestens zwei Menschen aufeinandertreffen und das Verhalten des jeweils anderen Menschen wahrnehmen können. Jedes Verhalten aus dieser interpersonellen Situation hat Mitteilungscharakter. Worte und Schweigen – Handeln und Nichthandeln. Die an der interpersonellen Situation beteiligten Personen beeinflussen durch ihre Kommunikation die jeweils andere(n), die ihrerseits nun nicht nicht auf die Kommunikation reagieren können und somit selbst kommunizieren (Watzlawick et al., 2016).
Jürgen Habermas definiert Kommunikation 1981 in seiner komplexen Forschungsarbeit Theorie des kommunikativen Handelns als Sprechhandlung. Habermas unterscheidet vier Handlungsformen des Sprechens: die konstative, die regulative, die repräsentative und letztlich die kommunikative Sprechhandlung. Jeder Sprechhandlung weist er einen Geltungsanspruch in einem Weltbezug und einen Handlungstyp zu. Die konstative Sprechhandlung hat nach Habermas (1981) den Anspruch der Wahrheit und resultiert in instrumentellem oder strategischem zielorientiertem Handeln und findet seinen Bezug in der objektiven Welt. Die Regulative Sprechhandlung hat dagegen den Anspruch der normativen Richtigkeit. Sie resultiert in normenregulierendem Handeln und findet in der sozialen Welt statt. Die repräsentative Sprechhandlung ist in der subjektiven Welt zu finden. Ihr Geltungsanspruch ist auf Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit ausgelegt und resultiert in dramaturgischem Handeln mit dem Ziel der Selbstpräsentation. Die kommunikative Sprechhandlung schließlich hat nach Habermas (1981) Bezug zu allen drei Welten und stellt den Anspruch der Verständlichkeit. Sie resultiert letztlich in kommunikativem Handeln. Im Gegensatz zu instrumentellem und strategischem Handeln ist kommunikatives Handeln nicht erfolgsorientiert, sondern verständnisorientiert und findet in sozialen Handlungssituationen statt. Ähnlich, wie im normativen und dramaturgischen Handeln geht kommunikatives Handeln nicht allein vom Akteur aus. Während normatives Handeln sich auf Verhaltenserwartungen und gemeinsame Normen von Gruppen ausrichtet und dramaturgisches Handeln zuschauerbezogene Selbstdarstellung beschreibt, geht es beim kommunikativen Handeln um eine Verständigung zwischen den Handelnden und um einen Diskurs, der zugunsten einer offenen Auseinandersetzung keiner Zielorientierung folgt (Habermas, 1981).
3.1.2. Integratives Kommunikationsmodell nach Hargie & Dickson (2004)
Unter anderem basierend auf den im vorherigen Kapitel dieser Arbeit vorgestellten Kommunikationsmodellen, entwickelten Owen Hargie und David Dickson in den 1990er Jahren ein komplexes Modell zur qualifizierten interpersonalen Kommunikation, das auf drei Grundannahmen beruht: Personen agieren zielgerichtet, sind sensibel für die Folgen ihrer Handlung und modifizieren ihre nachfolgende Handlungsschritte (Hargie & Dickson, 2004). Dieses Modell hat insbesondere für die spätere Betrachtung des Betrugsphänomens für diese Arbeit Relevanz und soll aus dem Grund nachfolgend ausführlicher dargestellt werden.
Hargie und Dickson (2004) postulieren sechs miteinander verbundene Komponenten als bedeutsam für interpersonale Kommunikation (siehe Abbildung 1):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Komponenten interpersonaler Kommunikation nach Hargie & Dickson (2004); Quelle: Eigene Darstellung
Die Komponente des Person-Situations-Kontextes ergibt sich zunächst aus den Merkmalen der Person (Hargie & Dickson, 2004). Hierzu zählen neben dem Alter und Geschlecht der Person, ihre grundsätzliche Persönlichkeit, ihre Emotionen, ihre Motive und Einstellungen, sowie ihr (Vor-) Wissen. Alle Merkmale können den Kommunikationsprozess beeinflussen, indem sie die Wahrnehmungs- und Interaktionsmuster, sowie die Ziele der Kommunikation beeinflussen. In Korrelation mit diesen Personenmerkmalen bestimmen auch Situationsfaktoren den Kommunikationsprozess. Maßgeblicher Faktor sind nach Hargie und Dickson (2004) in der Situation zu erreichenden Ziele oder Teilziele. Auch die Rollen der Personen und das damit für die Situation angemessene, bzw. erwartete Verhalten, sowie die Umgebungssituation, also der äußere Rahmen, sind für die Kommunikation relevant. Letztlich stellt nach Hargie und Dickson (2004) auch die situationsbedingt angemessene oder erwartete Sprache und Sprechweise eine Schlüsselmerkmal für die Kommunikation dar.
Als weitere Komponente der Kommunikation nennen Hargie und Dickson (2004) die Ziel gerichtetheit interpersoneller Kommunikation. In Abhängigkeit von der Zielkompatibilität der kommunizierenden Personen (gleich, komplementär oder gegensätzlich) verändert sich auch deren Kommunikationsverhalten. Neben der Unterscheidung von Inhalts- und Prozesszielen, sind hier zum einen Ziele, die den eigentlichen Zweck darstellen (konsumatorische Ziele) und Ziele, die Mittel zum Zweck sind (instrumentelle Ziele) zu unterscheiden. Weiterhin sind selbst zugängliche, wahrnehmbare Ziele (explizite Ziele) und eher reflexive, automatische, schwer wahrnehmbare Ziele (implizite Ziele) zu unterscheiden (Röhner & Schütz, 2012).
Vermittelnde Prozesse stellen die Verbindung zwischen den Zielen und den Wahrnehmungen, Verhalten und Ereignissen dar. Dabei ermöglichen kognitive Prozesse ein strategisches Vorgehen, während affektive Prozesse das Verhalten steuern und Entscheidungen beeinflussen (Hargie & Dickson, 2004).
Auf Grundlage dieser vermittelnden Prozesse kommt es zu einem Antwortverhalten, in dem es den kommunizierenden Personen darum geht, ihre Ziele, Pläne und Strategien auszuführen. Neben adäquatem Antwortverhalten sind hier nach Röhner & Schütz (2012) zwei Fehlformen im Antwortverhalten zu benennen. So kann es zu Fehlhandlungen kommen, wenn Antworten auftreten, die nicht geplant waren oder zu Auslassungsfehlern, wenn geplante Antworten entfallen.
Als fundamentales Element interpersonaler Kommunikation beschreiben Hargie und Dickson (2004) die Feedback Komponente. Hierbei ist internales und externales Feedback zu unterscheiden. Internales Feedback übermittelt sich direkt aus Signalen des eigenen Körpers (z. B. Herzklopfen, Schwitzen, Rotwerden als Zeichen für Aufregung). Externales Feedback wird über die Umgebung vermittelt und visuell, auditiv und taktil wahrgenommen (z. B. Mimik und Gestik des Gegenübers). Zur Vermeidung von Interpretationsfehlern kann externes Feedback auch aktiv in der Kommunikation gegeben werden.
Schließlich definieren Hargie und Dickson (2004) die Komponente der Wahrnehmung als maßgeblich für interpersonelle Kommunikation. Hier weisen sie darauf hin, dass Wahrnehmung in der Regel selektiv erfolgt und so nur die Informationen wahrgenommen werden, die für die Kommunikation benötigt werden. Zudem wird die Wahrnehmung durch die Personen aktiv gestaltet und ist dadurch Erfahrungen, Erwartungen und Attributionsprozessen unterworfen, was zu einer fehlerhaften Wahrnehmung führen kann (Hargie& Dickson, 2004).
Nach Hargie und Dickson (2004) kann es in allen Komponenten der interpersonellen Kommunikation zu Barrieren kommen, die den Kommunikationsprozess erschweren und behindern können.
3.2. Kommunikationsformen und ihre Mittel
Nach Watzlawick (1969) bedient sich menschliche Kommunikation verbaler und nonverbaler Inhalte. Insbesondere im Hinblick auf die mögliche Relevanz für eine Unterscheidung von FtF zu medienvermittelter Kommunikation wird auf die unterschiedlichen Kommunikationsformen, die möglichen Kommunikationsmittel und deren Funktion in der Kommunikation nachfolgend näher eingegangen.
3.2.1. Interpersonelle Kommunikationsformen
Grundsätzlich ist in dieser Arbeit in Anlehnung an Döring (2003) die interpersonellen Kommunikationsform FtF der medienvermittelten Kommunikation gegenübergestellt. Darüber hinaus sind Kommunikationsformen jedoch deutlich weiter zu differenzieren. Abbildung 2 visualisiert die Kommunikationsformen in Anlehnung an Röhner und Schütz (2012) und Döring (2003) und gibt einen Überblick über die mögliche Unterscheidung und die Zusammenhänge der einzelnen Kommunikationsformen interpersoneller Kommunikation.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 : Interpersonelle Kommunikationsformen in Anlehnung an Röhner und Schütz (2004) und Döring (2003); Quelle: eigene Darstellung
Unterschieden wird hier zunächst intrakulturelle von interkultureller Kommunikation. Beide können individuell, also in einer Dyade (1:1) oder Gruppe (n:n), oder als Massenkommunikation (1:n) stattfinden. Individualkommunikation kann zudem FtF oder medienvermittelt stattfinden. Während Massenkommunikation in der Regel nur medienvermittelt stattfinden kann, da die Verbreitung von Informationen an eine Masse ohne den Einsatz von Medien nur schwer adäquat umgesetzt werden kann (Döring, 2003). Während FtF Kommunikation auf eine zeitliche und räumliche Kopräsenz angewiesen ist und somit immer synchron abläuft, kann bei medienvermittelter Kommunikation zudem zwischen synchroner und asynchroner Kommunikation unterschieden werden. Innerhalb der medienvermittelten Kommunikation ist letztlich auch zwischen digitaler und nicht digitaler medienvermittelter Kommunikation zu unterscheiden (vgl. Röhner & Schütz, 2012; Döring, 2003).
Losgelöst von diesem Schema ist bei der Betrachtung aller möglichen Kommunikationsformen Watzlawicks (1969) fünftes Axiom der symmetrischen und komplementären Kommunikation zu berücksichtigen. Lauer (2014) greift dieses Axiom auf, indem er postuliert, dass zwischen symmetrischer und asymmetrischer Kommunikation unterschieden werden muss. Im Fall symmetrischer Kommunikation verhalten sich die KommunikationspartnerInnen spiegelbildlich – ihre Interaktion ist symmetrisch. Im Fall asymmetrischer Kommunikation verhalten sich die KommunikationspartnerInnen hingegen jeweils ergänzend – ihre Interaktion ist komplementär. Dabei nehmen die KommunikationspartnerInnen jeweils eine superiore, primäre Stellung oder eine inferiore, sekundäre Stellung ein. Diese Stellung hat in Anwendung des Kommunikationsmodells von Hargie und Dickson (2004) eine starke Abhängigkeit vom Person-Situations-Kontext. In Abhängigkeit des Person-Situations-Kontextes und der damit verbundenen symmetrischen oder asymmetrischen Kommunikation ergeben sich entsprechende unterschiedliche Kommunikationsmittel (Lauer, 2014).
3.2.2. Verbale Kommunikationsmittel
Verbale Kommunikation ist nach Watzlawick (2016) grundsätzlich das gesprochene oder geschriebene Wort, das insbesondere dazu geeignet ist Informationen der Sachebene zu übermitteln (Schulz von Thun, 2008). Informationen der weiteren drei Ebenen können in der verbalen Kommunikation nur selten transportiert werden, es sei denn, es findet Metakommunikation, also Kommunikation über die Kommunikation, statt (Schulz von Thun, 2008). Insbesondere auf der Beziehungsebene haben verbale Kommunikationsmittel eine unzulängliche Semantik (Watzlawick et al., 2016). Mittel verbaler Kommunikation sind nach Röhner & Schütz (2012) Fragen stellen, Erklären, Zuhören und Humor. Diese Mittel sind ubiquitär auf alle Formen der Kommunikation anwendbar.
Fragen und Erklären erscheint im Zusammenhang mit dem gesprochenen und geschriebenen Wort selbstverständlich. Unterschiedliche Frage- und Erklärungstypen in Abhängigkeit vom Person-Situations-Kontext haben dabei unterschiedlichen Einfluss auf das Antwortverhalten und bilden so die Grundlage gelingender oder misslingender Kommunikation (Röhner & Schütz, 2012). Allgemein sind offene Fragen (W-Fragen) und geschlossenen Fragen (Ja-Nein-Antworten), sowie Suggestivfragen zu unterscheiden. Aber auch die Formulierung der Fragen, also z. B. die Länge und die Betonung, kann Auswirkung auf das Antwortverhalten haben. Bei den Erklärungstypen unterscheiden Röhner & Schütz (2012) interpretative Erklärungen (zum „Was“), deskriptive Erklärungen (zum „Wie“) und begründende Erklärungen (zum „Warum“). Letztere beinhalten auch Erklärungen zu Ursache-Folgen-Beziehungen (kausal) oder zu Funktionen.
Aber auch der als passiv wahrgenommene Aspekt des Zuhörens ist wichtiger Bestandteil verbaler Kommunikation. Zuhören ist nach Röhner & Schütz (2012) ein Mittel der Interessenbekundung, der Fokussierung und der möglichen Rückfragenbildung. Jedoch kann Zuhören vom Gegenüber ohne die Kenntnis der Mimik und Gestik der Zuhörerin/des Zuhörers als Desinteresse ausgelegt werden, da im Moment des Zuhörens Stille herrscht und die Rednerin/der Redner aufgrund fehlender nonverbaler Signale die Wahrnehmung der Zuhörerin/ des Zuhörers als aktiven Zuhörers fehlt (vgl. u.a. Röhner & Schütz, 2012). Hilfreich bei einer fehlenden Möglichkeit des Einsatzes nonverbaler Mittel kann es sein, verbale Techniken des aktiven Zuhörens einzusetzen, um Kommunikation dennoch gelingen zu lassen. Hier sind insbesondere Aspekte des offenen und aktiven Zuhörens nach Rogers und Wood (1974) relevant. Aktives Zuhören greift demnach auf die verbalen Mittel der Paraphrasierung (Zusammenfassung des Gesagten in eigenen Worten), der Verbalisierung (Emotionen des Kommunikationspartners werden in eigenen Worten wiedergegeben), der Zusammenfassung und des Nachfragens zurück. Aber auch auf einfache Verständnislaute, wie z. B. „hmmm“, „aha“ oder „ja“ an geeigneter Stelle (Rogers & Wood, 1974).
Letztlich beschreiben Röhner & Schütz (2012) auch Lachen und Humor als wichtiges Mittel verbaler Kommunikation je nach Person-Situations-Kontext. Eingesetzt wird dieses Mittel vor allem, um eine Beziehung zwischen den Personen herzustellen.
Der alleinige Einsatz verbaler Mittel kann ein Auslöser von Kommunikationsstörungen sein, da verbale Mittel - also das gesprochene oder geschrieben Wort - überwiegend Informationen der Sachebene transportieren (vgl. Schulz von Thun, 2008; Watzlawick et al., 2016). Für eine Verständigung auf allen weiteren Ebenen ist die Unterlegung verbaler Kommunikation mit nonverbaler Kommunikation notwendig (Watzlawick et al., 2016).
3.2.3. Nonverbale Kommunikationsmittel
Watzlawick (1969) postuliert in seinem vierten Axiom, dass nonverbale Kommunikation verbale Kommunikation im Hinblick auf die Semantik näher spezifiziert. Indem wir uns in der interpersonellen Kommunikation nonverbaler Mittel, wie Körpersprache, haptischer Signale, Proxemik und physischer Charakteristika bedienen, geben wir auch einen Blick auf die drei Kommunikationsebenen unter der Oberfläche, die Beziehungs-, die Selbstkundgabe und die Appellebene, frei (in Anlehnung an Schulz von Thun, 2008).
Während bei der verbalen Kommunikation das WAS im Vordergrund steht und diese in der Regel sequenziell abläuft (z. B. abwechselndes Sprechen), geht es bei der nonverbalen Kommunikation um das WIE und das eher kontinuierlich im gesamten Kommunikationsprozess (Röhner & Schütz, 2012).
Jede Körpersprache ist nonverbale Kommunikation (vgl. u.a. Röhner & Schütz, 2012). Zur Körpersprache zählen Mimik und Gestik, Körperhaltung, Augen- und Blickkontakt. Gesten erfüllen unterschiedliche Funktionen. Sie können darstellend (z. B. Darstellung eines Telefonhörers als Zeichen für Telefonieren) und regulierend/appellierend (z. B. Handteller mit ausgestrecktem Arm zeigen als Stopp-Funktion) eingesetzt werden. Sie können aber auch eine Ausdrucksfunktion über den (emotionalen) Zustand einer Person haben. Insbesondere letztere Funktion ist sowohl als bewusstes als auch als unbewusstes nonverbale Mittel in interpersoneller Kommunikation zu finden. Berücksichtigt werden sollte dabei, dass Gesten interkulturell variabel sind (Röhner & Schütz, 2012).
Mimik stellt eine reichhaltige Informationsquelle zu Emotionsausdrücken in der nonverbalen Kommunikation dar und spielt eine wesentliche Rolle bei sozialen Interaktionen und zur gelingenden Kommunikation. Der Gesichtsausdruck beeinflusst, wie Personen sich untereinander wahrnehmen (freundlich, traurig, aggressiv, etc.) und ist somit entscheidender Faktor der Wahrnehmungskomponente interpersoneller Kommunikation (Hargie & Dickson, 2004). Diverse Studien ergaben, dass Mimik, im Gegensatz zur Gestik, in ihrer Art universell unabhängig von der Kultur der Personen gültig ist (Ekman et al., 2002). Lediglich in ihrer Ausprägung weicht Mimik je nach kulturell geprägten Darstellungsregeln und der damit verbundenen stärkeren oder weniger starken Kontrolle des Emotionsausdrucks ab (Ekman et al., 2002). Neben der Mimik gibt auch die Körperhaltung Aufschluss über die Emotionen einer Person und teilt darüber hinaus auch Informationen über die Einstellungen und den Status von Personen mit (Röhner & Schütz, 2012). Augenkontakt (einseitiges Anschauen) und Blickkontakt (wechselseitiger Augenkontakt) sind ebenfalls als nonverbale Mittel der Körpersprache zuzuordnen. Sie können wichtige Informationen für die soziale Wahrnehmung übermitteln und in dem Zusammenhang bei der Einschätzung von mentalen Zuständen und Emotionen der Kommunizierenden helfen (Röhner & Schütz, 2012).
Physische Charakteristika bilden ein weiteres Element nonverbaler Kommunikation. Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand und Ethnie, Körpergröße und Kleidung beeinflussen Kommunikation maßgeblich (vgl. u.a. Hargie & Dickson, 2004). Und auch Proxemik, also alle Aspekte der Territorialität, der Ausrichtung und Anordnung, des persönlichen Raums und der interpersonellen Distanz, ist ein bedeutender Aspekt nonverbaler Kommunikation (Hargie & Dickson, 2004). Insbesondere in der FtF Kommunikation ist die interpersonelle Distanz ein entscheidender Faktor (Hall, 1966). Hall unterscheidet vier Kategorien: die intime Distanz (15-45 cm), die gesellig-persönliche Distanz (45-120 cm), die soziale Distanz (1,20 – 3,70m) und die öffentliche Distanz (3,70m bis Hörweite). Je nach Person-Situations-Kontext und kulturellem Hintergrund ist demnach die richtige Distanz zwischen den Kommunizierenden ein maßgeblicher Faktor für das Gelingen interpersoneller Kommunikation (Watson,1970).
3.3. Medienvermittelte Kommunikation
Versteht man Kommunikation als Austausch von Informationen in interpersonellen Aktionen, impliziert dies, dass Kommunikation stattfindet, seitdem interpersonelle Aktion stattfindet. Und so wie interpersonelle Aktionen im Verlauf der Evolution durch technische und gesellschaftliche Entwicklungen einem Wandel unterliegen, kann damit einhergehend auch ein Wandel und eine Evolution der Kommunikation wahrgenommen werden (vgl. u.a. Merten, 1994).
Während interpersonelle Kommunikation ursprünglich in der FtF Kommunikation an körperliche Kopräsenz gebunden war, erlaubt eine mvK eine Vergrößerung der kommunikativen Reichweite. Insbesondere durch das Internet als komplexes, multifunktionales Hybridmedium, ist neben Individual-, auch Gruppen und Massenkommunikation möglich (Döring, 2003). Die nachfolgenden Kapitel geben einen Überblick über die Aspekte der Kommunikation, die sich in der Folge der digitalen Entwicklung der Technik und der Gesellschaft insbesondere in den letzten Jahrzehnten seit der Implementierung und der rasanten Diffusion des Internets in den 1990er Jahren ergeben haben.
3.3.1. Unterschiede der medienvermittelten zur Face-to-Face Kommunikation
Nach Trepte & Reinecke (2018) ist digitale Kommunikation das Erstellen und Empfangen, sowie das Austauschen und das Reagieren auf Informationen unter Einsatz von Technologien als Medien der Kommunikation. Bei Döring (2003) erfolgt eine weitere Abgrenzung von der persönlichen FtF Kommunikation, indem auch Kommunikation, die nicht über Computer, sondern über andere Technik (wie z. B. das Telefon) vermittelt wird, über die Begrifflichkeit der medienvermittelten Kommunikation mit einbezogen wird. Die Unterscheidungskriterien von der FtF Kommunikation zur computer- oder technikvermittelten Kommunikation sind identisch, weshalb im Folgenden zusammenfassend von der medienvermittelten Kommunikation gesprochen wird.
In der ursprünglichen FtF Kommunikationsform befinden sich die teilnehmenden Personen zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Im Rahmen dieser körperlichen Kopräsenz werden während des kommunikativen Prozesses auf allen Kommunikationsebenen verbale, paraverbale und nonverbale Botschaften ausgetauscht. Potenziell sind in der FtF Kommunikation alle Sinnesmodalitäten (sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen) nutzbar und involviert (Döring, 2003). Dies kann zu einem gelingen der Kommunikation beitragen, wenn die so übermittelten Informationen ohne Störungen codiert und decodiert werden (vgl. u.a. Hargie & Dickson, 2004; Schulz von Thun, 2008; Shannon & Weaver, 1994; Watzlawick, 1969). Die Botschaften der Kommunikation werden dabei durch primäre Medien, wie Licht und Luft, übertragen, die jedoch auf kopräsente Situationen angewiesen sind und aus dem Grund nur eine begrenzte Reichweite haben (Döring, 2003). Sekundäre Medien, wie Mikrofone, Briefe und Bücher, sowie tertiäre Medien, wie Telefon, Email, Radio, Fernsehen und Computer, erweitern den Kommunikationsradius und setzen keine körperliche Kopräsenz mehr voraus. Neben der Erweiterung des Kommunikationsradius ermöglicht mvK so auch eine Erweiterung des Adressatenkreises (Döring, 2003).
Döring (2003) unterscheidet weiter synchrone und asynchrone Medien. Synchrone Medien, wie Telefon, Text- oder Videochats, haben einen eher dialogischen Charakter und erfordern eine zeitliche Kopräsenz. Dadurch entsteht eine Telepräsenz mit einem gemeinsamen, immateriellen Wahrnehmungs- und Handlungsraum (Krueger, 1991). Dieser ist gegenüber dem materiellen Wahrnehmungs- und Handlungsraum der FtF Kommunikation teils beschränkt (z. B. eingeschränkte nonverbale Botschaften), teils aber auch erweitert (z. B. Agieren unter Pseudonym). Insbesondere textbasierte synchrone Medienkommunikation, wie Online-Chats, leidet unter einem Mangel an Kohärenz, da differenzierte Argumentation und Elaboration von Sachverhalten kaum möglich ist (Döring, 2003).
Asynchrone Medien, wie Emails, Newsgroups, Social Media und Websites, haben nach Döring (2003) eher den Charakter abgeschlossener, monologischer Gebrauchstexte und eignen sich demnach eher, elaborierte Botschaften zu verfassen und langfristige Diskurse mit klarem Themenbezug zu führen. Email ist als typischer asynchronen Internetdienst in der Individualkommunikation zu nennen, während Mailinglisten und Newsgroups der Gruppenkommunikation und Websites der Uni- und Massenkommunikation zugeschrieben werden. Der Vorteil asynchroner Medien ist, dass auch passiv-rezeptive Personen, die selbst nicht aktiv posten, von derartiger medienvermittelter Kommunikation partizipieren (Döring, 2003).
Während Emails, Mailinglisten und Newsgroups der multidirektionalen mvK zuzuordnen sind, handelt es sich bei klassischen Websites um unidirektionale Medien. Diese dienen weniger der echten Interaktion. Sowohl instrumentelle als auch expressive Homepages sind neben der Darstellung von Botschaften zu Themen und Services auch Instrumente zur Selbstdarstellungen von Personen und Organisationen. (Döring, 2003). Dennoch schaffen diese virtuellen Präsenzen insbesondere im Zeitalter des interaktiven Web 2.0 in der Web-Öffentlichkeit Anknüpfungspunkte für soziale Kontakte und Beziehungen, insbesondere im Hinblick auf Webpräsenzen in sozialen Netzwerken. Facebook und Instagramm z. B. beinhalten eine Feedback- und Verknüpfungsoption und werden so zu einem Public-Relation-, also Beziehungs-, Instrument (Döring, 2003).
Als Vorteile asynchroner medienvermittelter Kommunikation postuliert Döring (2003) zudem, dass diese nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Kommunikationsvermeidung erleichtern. Dadurch, dass weder eine körperliche noch eine zeitliche Kopräsenz erforderlich ist, ist der Austausch über asynchrone Medien individuell bezüglich der Inhalte, der Antwortlatenz und der Kommunikationsfrequenz steuerbar (Döring, 2003).
Obwohl bei der medienvermittelten Kommunikation die körperliche Kopräsenz und mit ihr der Träger nonverbaler Kommunikation fehlt, findet nach Döring (2003) dennoch, insbesondere in der textbasierten medienvermittelten Kommunikation, nonverbale Kommunikation statt. An die Stelle von Körpersprache und Körperdekoration treten Textdekorationen (Emoticons), Schrift- und Hintergrundfarben. Email-Adressen und Email-Signaturen beinhalten zudem Botschaften über Selbstdarstellung und Identitätskonstruktionen (Döring, 2003). Während in der FtF Kommunikation para- und nonverbale Signale oft unreflektiert, unbewusst und spontan eingesetzt werden, sind die nonverbalen Signale in der medienvermittelten Kommunikation in der Regel wohl überlegt und bewusst eingesetzt und zudem explizit, editierbar und reproduzierbar (Döring, 2003).
Aber auch hier muss zwischen asynchroner und synchroner medienvermittelten Kommunikation unterschieden werden. Während in der asynchronen medialen Kommunikation Zeit ist z. B. Emoticons und Akronyme überlegt einzusetzen, muss in einem synchronen, textbasierten Chat gleichzeitig gelesen, formuliert und sehr schnell agiert und reagiert werden. Emoticons und Akronyme sind deshalb häufig überrepräsentiert und eher unreflektiert eingesetzt (Döring, 2003).
Weiterhin sind bei der Unterscheidung von medienvermittelter zu FtF Kommunikation Aspekte der Chronemik zu betrachten. In der synchronen medienvermittelten Kommunikation signalisieren prompte Antworten Interesse und Aufmerksamkeit. In der asynchronen medienvermittelten Kommunikation beeinflussen z.B. Antwortlatenzen und Absendezeiten die Wahrnehmung von Dringlichkeit und Intimität der Botschaften (Walther & Tidwell, 1995). Gerade in textbasierten Chats und in der Email-Kommunikation wird das mediale Kommunikationsverhalten häufig als Indikator für die Beziehungsqualität verstanden: Es kann genau nachvollzogen werden, wie viele Botschaften wann, mit wem und in welcher Antwortlatenz mit welchem zeitlichen Faktor ausgetauscht werden. So können zum Beispiel fehlende oder zeitlich verzögerte Nachrichten auf der Meta-Ebene als negative Beziehungsbotschaft gewertet werden (Walther & Tidwell, 1995).
Walther (1992, zitiert nach Trepte & Reinecke, 2018) erklärt in seinem Social Information Processing Ansatz darüber hinaus, dass die mvK aufgrund der fehlenden Möglichkeit verbale und nonverbale Informationen zu kombinieren länger braucht, um eine sozio-emotionale Tiefe herzustellen.
3.3.2. Aspekte und Theorien medienvermittelten Kommunikationsverhaltens
Medienvermittelte, bzw. digitale Kommunikation ist von bestimmten Aspekten geprägt, die die Kommunikationsqualität und den Kommunikationsprozess beeinflussen können. Diese sind in unterschiedlichen Modellen zur medienvermittelten Kommunikation beschrieben.
Ein entscheidendes Modell insbesondere im Zusammenhang mit textvermittelter digitaler Kommunikation ist das Kanalreduktionsmodell von Sproull und Kiesler (1986). In der medienvermittelter Kommunikation sind aufgrund fehlender körperlicher Kopräsenz maßgebliche nonverbale Botschaften, die durch Sinnesmodalitäten vermittelt werden, ausgeschlossen. Vertreter des Kanalreduktionsmodells postulieren, dass mit der Kanalreduktion in medienvermittelter Kommunikation im Vergleich zur kanalreichen FtF Kommunikation eine Verarmung der Kommunikation einher geht. Das Kanalreduktionsmodell geht davon aus, dass es zu einer Reduzierung sozialer Hintergrundinformationen und Hinweisreize aufgrund der medienvermittelten Kommunikation kommt (Sproull & Kiesler, 1986). Diese Reduktion führt demnach zu einer Ent-Sinnlichung, Ent-Emotionalisierung, Ent-Kontextualisierung und Ent-Menschlichung und aufgrund von Asynchronalität auch zu einer Ent-Räumlichung und Ent-Zeitlichung (Winterhoff-Spurk & Vitouch, 1989, Bleuel, 1984, Eurich, 1983, Raulet, 1992 u.a. zitiert nach Döring, 2003, S. 149). Die Kanalreduktionstheorie postuliert, dass das typisch Menschliche zugunsten von Effizienz, Geschwindigkeit, Überschaubarkeit, Kontrollierbarkeit und Manipulierbarkeit über die mvK verloren geht und ist somit technikdeterministisch ausgelegt (Döring, 2003).
Kock (2001, zitiert nach Döring 2003) argumentiert evolutionstheoretisch, dass der Mensch aufgrund seiner biologischen Anlagen optimal auf die vollständige FtF Kommunikation vorbereitet ist und kanalreduzierte mvK aus dem Grund zunächst, wie auch im Kanalreduktionsmodell beschrieben, defizitär wahrnimmt. Jedoch beschreibt er weiter, dass sich diese Defizite durch Medienkompetenz und Medienwahl kompensieren lassen. Diese Kompensation bewirkt eine soziale Informationsverarbeitung, in der die Beziehungsebene in der medienvermittelten Kommunikation nicht ausgeblendet, sondern aktiv durch kommunikative und soziale Fertigkeiten gestaltet wird (Kock, 2001, zitiert nach Döring, 2003). Durch bewusste Übermittlung paraverbaler und nonverbaler textbasierter Botschaften, wie z. B. Emoticons und durch Verbalisierung von Gedanken und Gefühlen kommt es in der medienvermittelten Kommunikation zu einem neuen „sozialen Handlungsraum, in dem Menschen auf kreative Weise Gefühle ausdrücken, Beziehungen realisieren und soziale Fertigkeiten erlernen, ohne dass dabei automatisch Kommunikationsstörungen und Beziehungsarmut resultieren müssen“ (Döring, 2003, S. 163).
Als technischer Aspekt medienvermittelter Kommunikation ist die Digitalisierung an sich zu nennen. Transportgeschwindigkeiten und Teilnehmerkreise werden über digitale Kommunikation erweitert. Digitale Texte können verarbeitet, verändert, weitergeleitet, wiederverwendet, gespeichert und durchsucht werden und sind vor allem nicht nur linear, sondern vernetzt kommunizierbar (Döring, 2003). Im Zusammenhang mit dem Media-Richness -Ansatz nach Daft und Lengel (1986, zitiert nach Trepte & Reinecke, 2018), kommt es so zu einer Relativierung der oben beschriebenen technikdeterminierten Kanalreduktionstheorie. Nach der Media-Richness-Theorie kann Kommunikation besonders effektiv sein, wenn aufgrund der Reichhaltigkeit der Medien Unsicherheit und Mehrdeutigkeit in der Kommunikation verringert werden können (Daft & Lengel, 1986, zitiert nach Trepte & Reinecke, 2018)
Ein weiterer Aspekt insbesondere textbasierter medienvermittelter Kommunikation ist die Anonymisierung bzw. Pseudonymisierung, die so auch im Kanalreduktionsansatz zu finden ist (Trepte & Reinecke, 2018). Durch die Ent-Kontextualisierung in der digitalen Kommunikation werden weniger Informationen über den sozialen und soziodemografischen Hintergrund der Personen vermittelt (Döring, 2003). Dies kann sich positiv auswirken, in dem Statusunterschiede weniger ersichtlich sind und Hemmungen, Hürden und Privilegien abgebaut werden. Die GesprächspartnerInnen können sich so vorurteilsfreier begegnen (Trepte & Reinecke, 2018). Im Konfliktfall oder im Fall einer ohnehin bestehenden Störung in der Kommunikation kann das aber auch Feindlichkeiten und normverletzendes, antisoziales Verhalten verstärken. Anonymität stellt Sicherheit her und öffnet Handlungsräume in pro- und antisozialer Richtung und begünstigt so auch deviantes Verhalten (Döring, 2003).
Die alleinige Nutzung asynchroner textbasierter medienvermittelter Kommunikation ermöglicht es in dem Zusammenhang zu einem großen Teil selbst zu bestimmen, welche Informationen wann und wie mitgeteilt werden. Selbstdarstellungen und Personenwahrnehmungen über digitale Kanäle können dabei erheblich von den FtF-Eindrücken abweichen. Über exzessives Impression Management können im Gebrauch text- oder bildbasierter medienvermittelter Kommunikation Hyperrealitäten und simulierte Identitäten konstruiert werden, während in der FtF Kommunikation die Person qua Körper stets als dieselbe Person identifizierbar gemacht wird (vgl. Mummendey, 1990 und Döring, 2003).
In dem Zusammenhang ist das Hyperpersonal Model von Walther (2011) zu nennen. Hierbei handelt es sich um die auf spezifische Eigenschaften fokussierten Selbstdarstellung des Senders und die damit verbundene selektive Wahrnehmung und Verstärkung durch den Empfänger. Wichtige Grundlage des Models ist die Annahme, dass mvK ohne körperliche Kopräsenz stattfindet. Da die physische Erscheinung der KommunikationspartnerInnen somit zum Zeitpunkt der Kommunikation nicht wahrnehmbar ist, kann der Sender die gesendeten selbstbezogenen Informationen selektiv wählen, vor dem Senden prüfen und verändern. So entsteht die Möglichkeit einer maximal positiven Selbstdarstellung (Trepte & Reinecke, 2018). Je nach Vorerfahrungen oder Vorinformationen ergänzt und interpretiert der Empfänger das Bild des Senders positiv oder auch stereotypisierend.
Dies wird nach Walther (2011) insbesondere dadurch unterstützt, dass mvK neben der fehlenden körperlichen Kopräsenz auch keiner zeitlichen Kopräsenz bedarf und somit häufig asynchron verläuft. Auf dieser Grundlage steht den KommunikationspartnerInnen ausreichend Zeit für das Editieren ihrer Nachrichten zur Verfügung, ohne dabei den eigentlichen Kommunikationsfluss zu stören, wie es bei einer FtF Kommunikation der Fall wäre. Walther (2011) schlussfolgert daraus, dass die KommunikationspartnerInnen sich aufgrund des Zeitgewinns in der medienvermittelten Kommunikation eher der Idealisierung ihrer Selbstdarstellung widmen als in einer FtF Kommunikation. Die selektive und idealisierte Selbstdarstellung wird im Verlauf der medienvermittelten Kommunikation verstärkt, da die KommunikationspartnerInnen Feedback auf bestimmte Inhalte geben, andere Inhalte vernachlässigen und damit die Selektion unterstützen (Walther, 2011).
Ein weiteres entscheidendes Modell zur medienvermittelten Kommunikation ist das Modell der sozialen Identität und Deindividuation SIDE (Spears et al., 1995). SIDE geht von den salienten Identitäten der NutzerInnen medienvermittelter Kommunikation aus. Überwiegt bei den NutzerInnen eine kollektive oder soziale Identität, so setzt eher eine Identifikation mit einer Gruppe ein, wohingegen sich die NutzerInnen bei einer eher personalen, individuellen Identitätssalienz eher ihrer individuellen Besonderheiten bewusst werden und sich als Individuen von der Gruppe abgrenzen. Nach Döring (2003) werden soziale Identitäten durch die Anonymität der medienvermittelten Kommunikation eher verstärkt, da diese die individuellen Besonderheiten der anderen Gruppenmitglieder nicht wahrnehmen können und so die Gruppe homogen wahrnehmen. So kommt es bei einer kollektiven Identitätssalienz eher zu einer konfliktlosen Identifikation mit dieser illusorisch homogenen Gruppe und dem inneren Bedürfnis, sich konsistent zum eigenen Selbstverständnis als Mitglied dieser Gruppe zu verhalten (Döring, 2003). Bei einer eher individuellen Identitätssalienz verstärkt die Anonymität medienvermittelter Kommunikation die personale Identität. Auch hier können die individuellen Merkmale der Gruppenmitglieder aufgrund der medienvermittelten Kommunikation nicht wahrgenommen werden, sodass gegebenenfalls mögliche Gemeinsamkeiten nicht realisiert werden können. Es kommt in dem Fall zu einer verstärkten Abgrenzung der eigenen Individualität gegenüber der Gruppe. Dieser Ansatz findet sich auch in der Kanalreduktionstheorie. Auch hier wird davon ausgegangen, dass aufgrund des Mangels an sozialen Hinweisen sowohl Individualität als auch Normativität verloren gehen (Kiesler et al., zitiert nach Trepte & Reinecke,2018).
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- Quote paper
- Stefanie Willenbrink (Author), 2020, Digitale Kommunikation und Betrug. Eine qualitative Untersuchung relevanter Aspekte am Beispiel von Versicherungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1188068
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