Die vorliegende Arbeit behandelt im Schwerpunkt den Wendelstein der Albrechtsburg zu
Meißen, so wie er von Arnold von Westfalen geplant und ausgeführt wurde. Zum einen soll
die Herleitung und die Entwicklung der Bauform untersucht werden; ferner wird mit dem
Wendelstein von Schloss Hartenfels zu Torgau ein weiteres berühmtes sächsisches Beispiel
vorgestellt werden. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf die besonders in den letzten
zwei Dekaden erfolgten restauratorischen Maßnahmen; diese haben unser Verständnis von
der Konstruktion und Statik der beiden Wendelsteine nachhaltig beeinflusst.
Abschließend soll der Versuch einer Erklärung unternommen werden, woher Arnold von
Westfalen seine Ideen genommen hatte und ob Vorbilder für den Großen Wendelstein in
Meißen existierten.
Inhalt
I. Einleitung
II. Die Treppe in der französischen Renaissance
III. Der Große Wendelstein der Albrechtsburg zu Meißen
a. Baugeschichte
b. Baumaßnahmen bis 1945
c. Beschreibung des Außenbaus
d. Beschreibung der inneren Konstruktion
e. Baumaßnahmen nach 1945
IV. Der Wendelstein von Schloss Hartenfels zu Torgau
a. Baugeschichte
b. Baubeschreibung
c. Baumaßnahmen nach 1990
V. Der Wendelstein von Schloss Rochsburg
VI. Wendelsteine in Frankreich
a. Schloss Blois, Flügel Franz I
b. Schloss Chambord, Donjon
VII. Schlussbetrachtung
VIII. Abbildungen
IX. Literaturverzeichnis
X. Abbildungsverzeichnis
I. Einleitung
Definition Wendelstein: „Eine dem Bauwerk vorgelagerter Wendeltreppe mit durchbrochenem Gehäuse, in der Renaissance teilweise mit loggiaähnl. Formen.“[1]
Die vorliegende Arbeit behandelt im Schwerpunkt den Wendelstein der Albrechtsburg zu Meißen, so wie er von Arnold von Westfalen geplant und ausgeführt wurde. Zum einen soll die Herleitung und die Entwicklung der Bauform untersucht werden; ferner wird mit dem Wendelstein von Schloss Hartenfels zu Torgau ein weiteres berühmtes sächsisches Beispiel vorgestellt werden. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf die besonders in den letzten zwei Dekaden erfolgten restauratorischen Maßnahmen; diese haben unser Verständnis von der Konstruktion und Statik der beiden Wendelsteine nachhaltig beeinflusst.
Abschließend soll der Versuch einer Erklärung unternommen werden, woher Arnold von Westfalen seine Ideen genommen hatte und ob Vorbilder für den Großen Wendelstein in Meißen existierten.
II. Die Treppe in der französischen Renaissance
„Die Austeilung der Treppen ist so schwierig, dass man sie nur nach reiflichem und gründlich durchgeführtem Studium richtig zuwege bringt. Denn bei den Treppen allein kommen drei Öffnungen vor. Und zwar ist eine davon die Tür, welche den Zugang zur aufsteigenden Treppe bildet. Die zweite ist das Fenster, welches durch sein Licht den Auftritt jeder Stufe zu erkennen ermöglicht. Die dritte ist die Öffnung des Zimmerwerks und der Decke, durch welche zu dem oberen Fußboden und zur oberen Decke gelangen. Deshalb sagt man, durch die Treppen werde ein guter Entwurf für ein Haus verhindert. Aber die vor den Treppen Ruhe haben wollen, sollen nur die Treppen selbst in Ruhe lassen.
Man wird also der Treppe einen eigenen Raum der Grundfläche geben, wo eine freie und unabhängige Bewegung möglich ist bis zur oberen Decke, die unter freiem Himmel liegt. Und es soll dich nicht gereuen, dass ein so großer Teil des Grundes von der Treppe eingenommen wird. Denn sie gewähren gerade dort den größten Vorteil, wo sie für die übrigen Teile des Hauses den geringsten Nachteil bringen.“[2]
In Frankreich herrscht bis zum Tode Franz I.[3] die Form der Ehrentreppe (escalier d´honneur) vor. Im Gegensatz zur Architektur der italienischen Renaissance, wo der Treppe zwar im Grundriss eine gewichtige Position eingeräumt wird, die Treppe aber an der Fassade nie bestimmend in Erscheinung tritt, ist die französische Treppe ein greifbares oder sogar dominierendes Bauelement der Fassadengestaltung.
Bedingt durch die Stellung der französischen Treppe in der Fassadengestaltung ergibt sich ein wichtiges Problem für ihre eigentliche Bedeutung als Funktionsträger. Bei der in Frankreich beibehaltenen traditionellen Flügelbauweise kann die Ehrentreppe nie das gesamte Bauwerk erschließen; zahlreiche Nebentreppen müssen in die Bauplanung einfließen, um diese Funktionslücke zu schließen.
Die sich im Zeitalter der Renaissance entwickelte Dominanz der Treppe ist ein Produkt aus der neuen Bedeutungsweise der Profanbauten mit Residenzfunktion in Frankreich. Das Konzept der bestmöglichen Verteidigung aus dem Zeitalter des klassischen Burgenbaus weicht nun der Forderung nach höfischem Zeremoniell und steht ganz im Zeichen des Repräsentationsbedürfnisses ihrer Erbauer. Klassische Elemente der Verteidigung, wie sie noch im hohen Mittelalter von großer Bedeutung waren, werden nun von der Entwicklung neuer Waffen und Kriegstechniken in den Schatten gestellt. Das Aufkommen von Feuerwaffen verlangt nach einer Verlegung der Verteidigungslinie vom eigentlichen Residenzbau hin zu vorgelagerten Bauelementen, wie etwa Bastionen oder Festungsgürtel. Diese Entwicklung begünstigt neue Formen der Fassadengestaltung; die Treppe, welche bisher immer auch nach strategischen Überlegungen angelegt wurde, kann nun die Fassade des Residenzbaus gefahrlos dominieren.
Das neue Selbstbewusstsein der Fürsten und ihrem Drang nach Repräsentation trägt die Treppe aber auch insofern Rechnung, da sie sich ornamental ausschmücken lässt und somit einen künstlerischen Eigenwert im Gesamtbauensemble gewinnt. Sie ist somit nicht mehr bloß Funktionsträger im eigentlichen Sinne.
Ein typisches Element des repräsentativen französischen Profanbaus des mittleren und späten Mittelalters ist die sich in einem vor dem Wohntrakt gestellten Treppenturm befindliche Wendeltreppe. Die Position des Treppenturms im Baukörpergefüge ergibt sich aus der Idee, dass sich nun neue, autonome Flügel errichten lassen können, ohne die Abfolge der Räume im Innern zu zerstören, da jeder neue Flügel ebenfalls durch einen eigenen Treppenturm erschlossen werden kann.
Ein frühes Beispiel für einen solchen Treppenturm findet sich in Paris. Es handelt sich um den sehr aufwendigen, im Jahr 1365 unter Karl V. durch Raymond du Temple errichteten Treppenturm vor der Hoffassade des nördlichen Wohnflügels (corps de logis) im Alten Louvre[4]. Der eigentliche Baukörper wurde jedoch schon 1620 zerstört und ist heute nur noch durch die Beschreibungen Sauvals bekannt, nach der im 19. Jahrhundert Viollet-le-Duc eine zeichnerische Rekonstruktion versuchte.
Dieser über zwanzig Meter hohe Treppenturm war demnach in seinem äußeren Umriss von polygonaler Gestalt; je ein mächtiger Strebepfeiler akzentuierte jede der zehn Ecken. Die Verbindung des freistehenden Treppenturms mit dem Wohnflügel erfolgte in jeder Etage durch ein kleines, rippengewölbtes Vestibül. Im Inneren des Treppenturms befanden sich Podestzonen, welche über die sich halbkreisförmig um eine Hohlspindel empor windenden Treppenläufe erreicht werden konnten. Die Podestzonen befanden sich vor den Zugängen zum Wohnflügel bzw. auf der entgegen gesetzten Seite zum gedeckten Verbindungsgang. Der in der Hohlspindel entstandene Raum war in Geschosse gegliedert, die der Geschossgliederung des Wohnflügels entsprachen; dadurch entstanden in der Spindel kleine gewölbte Räume in jeder Etage. Der Raum im Untergeschoss besaß eine Durchgangsfunktion; in Höhe des dritten Obergeschosses lag über der Hohlspindel eine kleine Wendeltreppe, die den Zugang zu der den Treppenturm abschließenden Terrasse ermöglichte.
Laut den Beschreibungen Souvals treten nun in einem bis dahin in der profanen Treppenarchitektur unbekannten Ausmaß bildkünstlerische Elemente hinzu. So sollen an der Außenseite in Nischen mit Konsolen und Baldachinen die zehn Statuen des Königs, der Königin und ihrer Söhne aufgestellt worden sein; der Treppenturm wurde ferner von einer Madonnenstatue und der Figur des heiligen Johannes bekrönt. Im Innern soll ebenfalls reicher Bauschmuck in Form von Statuen vorhanden gewesen sein; die Schlusssteine des Rippengewölbes im Turmabschluss waren, der Beschreibung nach, mit dem Wappen von Königin und König verziert gewesen, während die Wappen der Söhne die Gewölbekappen schmückten.
Der Treppenturm des Alten Louvre bildet einerseits den Höhepunkt der mittelalterlichen Treppenarchitektur in Frankreich und wird zur Grundlage für die Treppenkonstruktion des frühneuzeitlichen Schlossbaus; dort erfolgt die vertikale Erschließung weiterhin über Treppentürme, die vor die Hoffassade des jeweiligen Flügels gestellt sind. Es entsteht jedoch eine Rangfolge, bedingt durch die funktionelle Hierarchie der einzelnen Gebäudeteile. Die Haupttreppe rangiert dabei als wichtiger Bestandteil des Wohntraktes an erster Stelle.
Die ikonographische Aussage der Treppentürme erreicht dabei einen hohen Stellenwert im französischen Schlossbau. Die Treppe dient als Mittel der Erschließung des neuzeitlichen Schlossbaus und vermittelt den Machtanspruch und das Selbstverständnis des Bauherrn; sie führt die Lebensart und die Prachtentfaltung vor Augen. Bis gegen Ende der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts prägt diese traditionelle Form des Treppenturms wesentlich das Erscheinungsbild des französischen Schlossbaus.[5]
III. Der große Wendelstein der Albrechtsburg zu Meißen
a. Baugeschichte
Mit dem Bau des Schlosses wurde am 24. Juni 1471 begonnen, drei Wochen nach der Ernennung Arnolds von Westfalen zum Werkmeister. Die Baugeschichte der Albrechtsburg lässt sich in drei größere Bauabschnitte gliedern, welche hier kurz erläutert werden sollen. [6]
In der ersten Bauphase wurden bis 1478 vom Südflügel, dem Mittelbau und dem großen Wendelstein zunächst nur die unteren Teile bis zum ersten Obergeschoss errichtet. Danach wurde der Südflügel und der südliche Teil des Mittelbaus um das zweite und dritte Obergeschoss erweitert sowie der Dachbereich ausgebaut. Die Turmspitze des großen Wendelsteins fehlte vermutlich noch. Es ist anzunehmen, dass vom kleinen Wendelstein und vom angrenzenden Wandstück des Westflügels schon der untere Teil gestanden hat[7].
Der zweite große Bauabschnitt von 1478 – 1483 konzentrierte sich auf den Mittelbau. Es erfolgte die Errichtung des zweiten und dritten Obergeschosses bis zum Dachbereich. Der kleine Wendelstein wurde nach oben gezogen, um 1483 scheint auch schon die Turmspitze auf dem großen Wendelstein gesetzt worden zu sein.[8] Auf einem Brüstungsrelief im dritten Obergeschoss ist die Jahreszahl 1485[9] vermerkt.
Im letzten großen Bauabschnitt wurden Westflügel und Nordostbau errichtet, ebenso Wirtschaftsgebäude und ein Zwischentrakt, der als Küche sowie als Bau- und Backhaus benutzt worden ist[10].
b. Baumaßnahmen bis 1945
Im Jahr 1645 wurde die alte Turmspitze, bestehend aus einem Giebelkranz mit schiefer gedeckter Turmhaube, durch einen Brand zerstört. Der Brand stand im Zusammenhang mit der Einnahme der Albrechtsburg im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges am 14.08.1645 durch die Schweden.
Kurfürst Johann Georg I. ließ im Jahre 1653 ein viertes Turmgeschoss in bewusst ausgewählter gotischer Formensprache errichten.
Eine Beschädigung ist aus dem Jahre 1679 erwähnt. Es wurde berichtet, dass „der Meißner Landsknecht samt seinen Söhnen gestäupt und dann auf den Bau abgeführt wurde, weil er das Kurfürstliche Schloss erbrochen, das künstliche Schneckenwerk an der Treppe verstümmelt … habe“.
Der Architekt Otto Wanckel ließ während der großen Instandsetzungsphase zwischen 1851 und 1855 die alte Turmspitze abtragen und durch die heute noch bestehende Lösung ersetzen. Im zeitgenössischen Verständnis entsprach diese Lösung der Anlehnung an gotische Formen und Elemente; sie zitiert jedoch die Formensprache des 13. Jahrhunderts und entspricht damit nicht dem Baustil Arnolds von Westfalen. Die Gesamthöhe erreichte nun 57,50m. Ferner wurden die Fenster des großen Wendelsteins verglast.[11]
In den letzten Kriegstagen im Jahre 1945 kam es abermals zu verheerenden Beschädigungen sowohl am Schloss als auch am großen Wendelstein. Die genauen Schäden sind jedoch nicht aufgelistet.[12]
c. Beschreibung des Außenbaus
Die Vertikalen in den Strebepfeilern des großen Wendelsteins, des kleinen Wendelsteins und der steilen Westgiebel sind in der Westfassade überwiegend; jedoch scheinen die den ganzen Baukomplex umlaufenden, schattenunterfangenen Sandsteingesimse und die durch Reliefs betonten Brüstungen des großen Wendelsteins die horizontalen Kräfte dominierend hervorzuheben. Der Abstand zwischen den einzelnen Fenstern und den Dachgauben erweißt sich als ungleich; ungleich hoch sind auch die Bögen des großen Wendelsteins, verschieden gestaltet die Fensteröffnungen des Treppenhauses und die seine Strebepfeiler durchbrechenden torartigen Durchgänge der Loggien.[13] [14]
Der große Wendelstein setzt, bedingt durch seine aufsteigenden, mächtigen Strebepfeiler, einen senkrechten Akzent in der Schaufront; er lehnt sich dabei mit seiner Rückseite an die Fassade an und entwickelt sich nach außen hexagonal. Die vier Geschosse besitzen in jedem Geschoss einen offenen, mit Zellengewölben überspannten Umgang. Diese werden von breiten, charakteristisch profilierten Spitzbögen getragen; Jene sind, den vier Geschossen entsprechend, mit den Strebepfeilern verbunden. In den ersten beiden Geschossen setzen sich diese Umgänge in Richtung Dom fort und schaffen eine Verbindung zum senkrecht gegliederten Domschiff. Ein Portalkranz umgibt das Sockelgeschoss des Treppenturmes, der mit seinen vier breiten, die Eingänge überspannenden Bögen die Gestaltung der oberen Umgänge des Wendelsteins einleitet.
[...]
[1] Koepf, Hans: Bildwörterbuch der Architektur, Stuttgart 1999, S. 495.
[2] Zitat Leon Battista Alberti (italienisches Architekturtheoretiker, 1404-1472), zitiert nach Prinz, Wolfram: Das französische Schloss der Renaissance. Berlin 1994. S. 262, Fußnote 45.
[3] (1494-1547).
[4] Abb. I & II.
[5] Prinz, Wolfram: Das französische Schloss der Renaissance. Berlin 1994, S. 261-296.
[6] Vgl.: Donath, Matthias: Vom Keller bis zum Dach – Neue Forschungen zur Baugeschichte der Albrechtsburg. In: Monumenta Minensia. Jahrbuch für Dom und Albrechtsburg zu Meißen, Band 7 – 2005/2006, Meißen 2006, S. 159-162.
[7] Abb. III.
[8] Abb. IV.
[9] Harksen, Sibylle: Zum Bauverlauf auf der Albrechtsburg. In: Mrusek, Hans-Joachim (Hg): Die Albrechtsburg zu Meißen. Leipzig 1972, S. 31, 33.
[10] Abb V.
[11] Nadler, Hans: Denkmalpflegerische Arbeiten an der Albrechtsburg im 19. und 20. Jahrhundert. In: Mrusek, Hans-Joachim (Hg): Die Albrechtsburg zu Meißen. Leipzig 1972, S. 98.
[12] Für diesen Abschnitt vgl. auch Donath, Günter: Baubericht zu den Arbeiten an der Albrechtsburg Meißen im Jahr 2005. In: Monumenta Minensia. Jahrbuch für Dom und Albrechtsburg zu Meißen, Band 7 – 2005/2006, Meißen 2006, S. 217.
[13] Vgl. Czeczot, Ursula: Die Meißner Albrechtsburg. Leipzig 1975, S. 99-117.
[14] Abb. VI.
- Quote paper
- Marco Chiriaco (Author), 2008, Konstruktion und Ableitung des Großen Wendelsteins der Albrechtsburg zu Meissen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118403
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