Im Rahmen dieses Essays soll gezeigt werden, welche Entwicklungen sich in der Europäischen Union hinsichtlich wirtschaftlicher und sozialpolitischer Instrumente vollzogen haben und inwieweit sich der Einfluss der EU in dem Themengebiet der Sozialpolitik gewandelt hat.
Um die Forschungsfrage zu klären, soll zu Beginn erläutert werden, welche Maßnahmen in den letzten Jahren und im Zuge der letzten Krisen geschaffen worden sind und wie sich diese auf die Kompetenzen der Europäischen Union ausgewirkt haben. Am Ende soll aufgezeigt werden, wie sich die Europäische Union in diesem Bereich weiter entwickeln könnte.
Einleitung
Die Europäische Union hat sich seit der Gründung von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum kontinuierlich weiterentwickelt. Auch soziale Themen haben in der EU mit den vergangenen Jahren deutlich an Gewicht zugenommen. Begonnen hat dies mit der Festlegung der Grundwerte der Europäischen Union. Zu nennen sind unter anderem die Freizügigkeit für Arbeitnehmer, ein Diskriminierungsverbot, Gleichstellung der Geschlechter und Richtlinien bzw. Standards für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit. Über die Jahre wurden einige weitere Meilensteine für ein „soziales“ Europa gelegt, zum Beispiel wurde 1974 der erste sozialpolitische Aktionsplan für Europa geschaffen und 1989 wurden die sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer schließlich in der Gemeinschaftscharta festgeschrieben (EU-Kommission 2017, S. 34). Die vergangenen Krisen wie der Finanz- und Eurokrise, die Flüchtlingskrise und die derzeit aktuelle Coronakrise haben zum einen dazu geführt, dass neue soziale Sicherungssysteme durch die EU eingeführt worden sind bzw. derzeit erweitert werden. Zum anderen sind durch die eingeführten kostenintensiven Sicherungssysteme der EU kritische Stimmen lauter geworden, die für die Abkehr der Erweiterung der Zuständigkeiten der EU und damit die Entwicklung zu einem supranationalen Staat, stehen.
Im Rahmen dieses Essays soll gezeigt werden, welche Entwicklungen sich in der Europäischen Union hinsichtlich wirtschaftlicher und sozialpolitischer Instrumente vollzogen haben und inwieweit sich der Einfluss der EU in dem Themengebiet der Sozialpolitik gewandelt hat. In seiner Arbeit „The European Social Union: A missing but necessary political good“ sagt Maurizio Ferrera zu Beginn „In historical perspective, the national systems of social protection can be seen as the end result of a long process of 'bounding', 'bonding' and 'binding'" (Ferrera, S. 47). Das heißt, die sozialen Sicherungssysteme wurden seiner Meinung nach durch die Abgrenzung nach außen, einem inneren Zusammenhalt und durch Verbindlichkeit möglich. Bezugnehmend auf die Aussage von Ferrera soll die folgende Forschungsfrage geklärt werden. Inwieweit hat sich die wirtschafts-, währungs- und sozialpolitische Kompetenz der Europäischen Union verändert und wie kann die zukünftige Entwicklung der EU im Bereich der Sozialpolitik aussehen?
Um die Forschungsfrage zu klären, soll zu Beginn erläutert werden, welche Maßnahmen in den letzten Jahren und im Zuge der letzten Krisen geschaffen worden sind und wie sich diese auf die Kompetenzen der Europäischen Union ausgewirkt haben. Am Ende soll aufgezeigt werden, wie sich die Europäische Union in diesem Bereich weiter entwickeln könnte.
Hauptteil
Für die Diskussion ist es wichtig zu erwähnen, dass die Themen der Sozialpolitik nicht die Kernaufgabe der EU sind, sondern die der einzelnen Mitgliedsstaaten. Jedoch hat die Europäische Union durch ihre „sozialen“ Grundprinzipien und dem Erschaffen von verschiedenen Maßnahmen, Organisationen und Instrumenten Einfluss auf die Sozialpolitik in den Mitgliedstaaten.
Eins der Ersten von der EU geschaffenen Instrumente, ist der im Jahr 1957 gegründete Europäische Sozialfond (kurz ESF) der mit den Römischen Verträgen ins Leben gerufen worden ist. Ziel der Gemeinschaft war es, die Arbeitslosenzahlen in den Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit zu senken. Hierfür wurden zum Beispiel den Bürgerinnen und Bürger Italiens ermöglicht, in Deutschland, Frankreich oder Belgien zu arbeiten. In den darauffolgenden Jahren wurde der ESF immer wieder neu aufgelegt und hat sich an die Bedürfnisse der jeweiligen Zeit angepasst. Ziel ist es nach wie vor, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Gemeinschaft zu fördern. Das Augenmerk der kommenden Förderperiode wird dabei immer auf die aktuelle Lage angepasst. Derzeit stehen die wirtschaftliche Globalisierung, die zunehmende Alterung der Gesellschaft und ein Arbeitskräftemangel in Verbindung mit einem Qualifikationsdefizit im Fokus. Damit sind die ursprünglichen Ziele wie Beschäftigung und Mobilität der Arbeitskräfte zu fördern, die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewährleisten, nach wie vor aktuell. Durch die stetige Anpassung von „alten“ Programmen zeigt sich zwar eine gewisse Flexibilität an die jeweiligen Herausforderungen, es zeigt aber meiner Meinung nach auch, dass wie in großen supranationalen Organisationen wie der EU eher ein Minimalkonsens die Regel ist.
Dieser Eindruck wird auch durch veröffentlichte Reflexionspapiere und Abhandlungen bestätigt, die durch die Europäische Union in den letzten Jahren veröffentlicht worden sind. Diese sollen, auf die aktuellen Fragen und Herausforderungen, wie die wachsende soziale Ungleichheit, den demografischen Wandel der Gesellschaft in Europa und die Probleme, durch die die letzten Krisen entstanden sind, eine Antwort geben. Beispielsweise wird in den 2017 veröffentlichtem Papier „Europäische Säule sozialer Rechte“ festgehalten, „ein stärkerer Schwerpunkt auf Beschäftigungsund Sozialfragen ist besonders wichtig, um für mehr Stabilität zu sorgen (...)" (EU-Parlament /Rat/Kommission, S. 8)Dabei sollen jedoch die derzeitigen Befugnisse der Europäischen Union gegenüber den einzelnen Mitgliedsstaaten nicht erweitert werden, sondern sich in dem gleichen Rahmen bewegen, der derzeit vertraglich festgelegt ist. Das heißt, die Unterschiede in den nationalen sozialen Systemen sollen geachtet, aber der Dialog zwischen den einzelnen Nationen soll gefördert werden. Dadurch ist zu befürchten, dass bei gleichbleibenden Regularien, zukünftig eher der Minimalkonsens zwischen allen Mitgliedsstaaten gefunden wird, als das tiefgreifende Reformen möglich scheinen.
Durch die Krisen in den letzten Jahren haben auf der anderen Seite doch größere Veränderungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Europäischen Union stattgefunden. Die Euro- Finanzkrise hat es notwendig gemacht, über den gemeinsamen Binnenmarkt hinauszudenken, da die Insolvenz einzelner Staaten dazu geführt hätte, dass die ganze Währungsunion und damit ggf. auch die Europäische Union scheitert. Daher wurde ein Instrument geschaffen, welche die betroffenen Staaten unterstützt. Es war aber auch notwendig, ein zugehöriges Regelwerk zu schaffen, welches die Länder dazu zwingt ihre finanzielle Situation, durch konsequente Haushaltspolitik, zu verbessern. Um das zu erreichen, wurde durch die EU der Europäische Stabilitätsmechanismus (kurz ESM) geschaffen. Das ist eine internationale Organisation, die durch die Staaten des Euro Währungsraums bzw. der EU gegründet worden ist, um die Wahrung der Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet zu gewährleisten. Das wird durch die Gewährung von Krediten und Bürgschaften erreicht, durch die der betroffene Staaten weiterhin ihre Verbindlichkeiten bedienen können. Der ESM ist unabhängig von der EU, hat jedoch die Verpflichtung, sich an die Grundsätze, welche in der Charta verankert worden sind, zu halten. Im Fall, dass einem ESM-Mitglied finanzielle Hilfe gewährt wird, ist dies an ein makroökonomisches Anpassungsprogramm gebunden. In diesem wird festgelegt, an welche Auflagen die finanzielle Hilfe gebunden ist, das heißt, die Auflagen können durchaus Bedeutung auf die Sozialpolitik eines Landes haben, wenn zum Beispiel gefordert wird, dass Ausgaben im Renten- oder Sozialsystem gekürzt werden sollen oder eine Reform des Arbeitsmarktes notwendig ist, um einen stabilen Finanzhaushalt zu gewährleisten (Theodoropoulou 2016, S. 30). Die festgelegten Maßnahmen müssen dabei die Mindestanforderungen des EU-Rechts einhalten, das heißt, eine Unterschreitung zum Beispiel des Urlaubsanspruchs von Arbeitnehmern ist nicht zulässig (Lenaerts & Gutiérrez-Fons 2017, S. 455).
Ein anderen Beispiel wie sich durch eine Krise in der Europäischen Union Veränderungen durchsetzen, zeigt die Corona-Krise. Zum einen wurden Änderungen des zukünftigen EU-Budgets vorgenommen, um auf zukünftige Krisen besser vorbereitet zu sein und gestärkt aus der jetzigen Krise hervorzugehen. Zum anderen wurde jedoch auch das Programm „NextGenerationEU“ ins Leben gerufen. Dieses sieht vor in Bereichen wie dem Klimaschutz, der Digitalisierung und dem Gesundheitswesen Initiativen zu starten, um die Folgen von Corona zu überwinden und damit ein stärkeres Europa zu schaffen. Die Finanzierung des Aufbauinstruments erfolgt durch gemeinsame Schulden bzw. dem Verkauf von EU-Anleihen, damit Staaten von der guten Bonitätsbewertung und damit niedrigen Zinsen der EU profitieren können. In früheren Jahren wäre eine solche Vorgehensweise nicht denkbar bzw. unwahrscheinlich gewesen.
Die beiden Beispiele zeigen, dass gerade in Krisen die EU-Programme auf den Weg bringen kann, die die Wirtschafts- und Sozialpolitik in über Jahre beeinflusst. Die in der Vergangenheit oder jetzt ins Leben gerufenen Programme, lassen sich dabei auch auf die verwendeten Begrifflichkeiten von Ferrera beziehen. Aus seiner Sicht ist Solidarität ein politisches Gut, welche für den Ausgleich zwischen Markt und Demokratie sorgen muss. Sowohl der ESM, der ESF als auch das NextGenereationEU Programm können nur realisiert werden, weil alle Mitglieder der EU ähnliche Grundsätze und Vorstellungen teilen. Dadurch entsteht ein Zusammenhalt (bonding) in der EU und eine entsprechende Abgrenzung nach außen (bounding). Das „binding“, das heißt, die Verbindlichkeit wird durch Verträge und das Festhalten von Grundsätzen in der Charta festgehalten.
Doch wie kann abseits vom Aufsetzen von „Notprogrammen“ die Zukunft der Sozial- und Wirtschaftspolitik der Europäischen Union aussehen. Die Einigung aller Mitgliedsstaaten auf neue Instrumente oder Standards stellt sich nach meiner Meinung schwierig dar, da selbst in den einzelnen Ländern schon Interessenunterschiede gibt. Zudem gibt es auch großen Unterschiede in den Lebensstandards oder den bereits vorhandenen sozialpolitischen Systemen in den einzelnen Ländern. Das Finden eines gemeinsamen Standpunktes in so einem sensiblen Bereich wie der Sozialpolitik ist auch schwierig, da die Ausgaben in diesen Bereichen in der Regel zu den größten Positionen in jeweiligen den Haushalten gehören (Eurostat 2020, S. 35). In Folge dessen gibt es unterschiedliche Meinungen und Ansichten, sowohl von Mitgliedsstaaten als auch von der Union selbst, wie die Zukunft der Europäischen Union hinsichtlich einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialpolitik aussehen kann.
Zusammenfassung und Ausblick
In dem bereits genannten Reflexionspapier werden ein paar Möglichkeiten vorgestellt, wie eine Entwicklung der EU aussehen könnte. Grob lässt sich diese wie folgt einteilen. Alle Mitgliedsstaaten versuchen sich auf eine stärkere Zusammenarbeit im Bereich der Sozialpolitik zu einigen. Dabei liegt der Handlungsschwerpunkt, wie bisher auch, weiter bei den Nationalstaaten. Um eine Einigung zu erzielen, müssen alle Nationalstaaten einem Kompromiss zustimmen. Eine andere Möglichkeit, die vor allem in liberalen Kreisen beliebt erscheint, ist eine zukünftige Deregulierung von Vorschriften in Europa, das heißt die Abschaffung von bereits geschaffenen sozialen Standards. Die Vertreter von diesen liberalen Ansätzen gehen davon aus, dass sich der Markt selbst reguliert und Europa dadurch wettbewerbsfähiger gegenüber anderen Regionen wird. Bereits vorhandene Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer oder soziale Programme wie Erasmus könnten dadurch abgeschafft werden (EU- Kommission 2017, S. 26f.; Puetter 2009, S. 33f.; Juncker 2017, S. 22).
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- Julia Bauschke (Autor), 2021, Europa unter Druck. Inwieweit hat sich die wirtschafts-, währungs- und sozialpolitische Kompetenz der Europäischen Union verändert?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1183728