Die Kommunikationswissenschaft beschäftigt sich, wenn auch nicht sehr intensiv, seit ihren Anfängen mit Emotionen in den Medien (vgl. Schramm/Wirth 2006: 25). Dabei treten starke emotionale Reaktionen auf. Besonders im Zuge der audiovisuellen Rezeption von Massenmedien können tiefe emotionale Erfahrungen gemacht werden (vgl. Schenk 2002: 192).
Der situative Rahmen der Rezeption kann die emotionale Erlebniswelt des Zuschauers erheblich verändern. Im Flughafen von Hong Kong werden 4D-Kinofilme präsentiert, jede Vorstellung ist restlos ausverkauft.
Gliederung
1. Einleitung
2. Rezeption – eine komplexe Situation
3. Mult i-Reference Appraisal Model of Emotion (MAME)
4. Methoden
4.1. Befragung
4.1.1. Expertenbefragung
4.2. Methode des Lauten Denkens
4.3. Gedankenauflistung
4.4. Bilder-Sortier-Technik
4.5. Beobachtung
4.5.1. Mimikanalyse
4.6. Continuous Response Measurement (CRM)
4.7. Blickbewegungsmessung („Eyetracking“)
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Kommunikationswissenschaft beschäftigt sich, wenn auch nicht sehr intensiv, seit ihren Anfängen mit Emotionen in den Medien (vgl. Schramm/Wirth 2006: 25). Dabei treten starke emotionale Reaktionen auf. Besonders im Zuge der audiovisuellen Rezeption von Massenmedien können tiefe emotionale Erfahrungen gemacht werden (vgl. Schenk 2002: 192).
Der situative Rahmen der Rezeption kann die emotionale Erlebniswelt des Zuschauers erheblich verändern. Im Flughafen von Hong Kong werden 4D- Kinofilme präsentiert, jede Vorstellung ist restlos ausverkauft.
“Unlike conventional 2D or 3D movie theatres, the 4D EXTREME SCREEN will employ the latest F/X special visual and audio effects that bring strikingly real three-dimensional images right before audiences' eyes, while simultaneously allowing them to experience sensory thrills timed to the visual action. Cinema goers watching 4D movies can wade through drifting snow, splash in water and breathe in pleasant outdoor fragrances.”1
So soll das Filmerleben intensiviert, (Mit-)fühlen gesteigert werden. Leider sind die Grafikdarbietungen so mangelhaft, dass der Rezipient die Produktion als Werk zur Kenntnis nimmt. Das hindert ihn daran so sehr in den Film „einzutauchen“, dass er alles andere um sich herum vergisst. Viele Zuschauer ärgern sich über die schlechte Animation. Und während sie sich ärgern, können sie vermutlich nicht emphatisch mit dem Protagonisten mitfühlen.
Bei allen Medienangeboten können Emotionen während der Rezeption auftreten. Diese Arbeit konzentriert sich auf eine theoretische Ausrichtung, die Emotionen als Konsequenz subjektiver Bewertung erlebter Situationen ansieht (Appraisal- Theorien). Da der Umfang der Arbeit begrenzt ist, wird lediglich der audiovisuelle Bereich thematisiert.
Die Situationsdefinition bei der Medienrezeption ist komplex. Der Rezipient kann die medial vermittelte, die eigene Situation oder auch eine Mischung von beiden Situationen bewerten, mit Konsequenz für seine Emotion.
„[...] mit einer modifizierten Situationsdefinition muss sich aus appraisaltheo- retischer Sicht zwangsläufig auch die erlebte Emotion ändern“ (Wirth/Schramm 2007: 157).
Wirth und Schramm nennen die bei der Medienrezeption unterschiedlichen subjektiven Situationsdefinitionen „situationale Referenzen“ (Wirth/Schramm 2007: 161).
Hat der Rezipient wegen belastender Emotion nicht mehr das Gefühl, die Situa- tion kontrollieren zu können, nimmt er (meist unbewusst) einen Rahmenwechsel vor. Diesen Wechsel thematisiert das Multi-Reference Appraisal Model of Emotion (MAME), welches zusammenfassend ein Konzept der situationalen Referenz (vgl. Wirth/Schramm/Böcking 2006: 234) darstellt. Beispielsweise kann das empathische Mitfühlen mit dem Protagonisten (Sozio /Medienperspektive) den Rezipienten so stark berühren, dass er seine Emotionen reguliert indem er den technischen Aspekten des Films (Produktionsperspektive) Beachtung schenkt (vgl. Wirth/Schramm/Böcking 2006: 238).
Diese wissenschaftliche Arbeit stellt sich der Frage, wie das Konzept der situationalen Referenz gemessen werden kann. Zunächst wird hierzu kurz auf die komplexe Rezeptionssituation eingegangen. Dann wird das MAME als Gegenstand der Arbeit vorgestellt. Anschließend werden verschiedene Forschungsmethoden dargestellt und in Bezug auf MAME diskutiert. Die Auswahl der Methoden konzentriert sich auf die Messungsmöglichkeiten kurzfristiger, unmittelbarer Wirkungen und stellt die Emotionen und Kognitionen des Rezipienten in der Rezeptionssituation in den Mittelpunkt. Die zugrunde liegende Literatur ist die Quelle der in dieser Arbeit diskutierten Methoden. Weitere Methoden sind denkbar.
Laut den Appraisal-Theorien (Scherer 1998: 276-293) ist für die Entstehung einer Emotion eine physiologische Erregung nicht unbedingt notwendig. Appraisaltheoretisch betrachtet entsteht eine Emotion durch einen Bewertungsprozess. Der Schwerpunkt liegt ergo auf der Kognition. Dies würde bedeuten, dass eine physiologische Messung keine Daten liefern muss, es aber dennoch eine Emotion stattgefunden haben kann. MAME ist auf den Appraisal- Theorien aufgebaut. Demzufolge können und müssen die psychophysiologischen Methoden nicht vorgestellt werden.
Eine qualitative Herangehensweise ist für die Erforschung eines Modells wie MAME mit seinen kognitiven und emotionalen Prozessen einer quantitativen Methodik unbedingt vorzuziehen. Die innerpsychischen Vorgänge sind sehr komplex und es kann hier nur von einer Annäherung ausgegangen werden, die bei Weitem kein fertiges Werkzeug liefern kann, um die Möglichkeiten des MAME zu untersuchen.
2. Rezeption – eine komplexe Situation
Filme können ihren vom Macher intendierten Sinn nur unter der Bedingung entfalten, dass bei den Zuschauern bestimmte (Lebens-)Erfahrungen vorhanden sind. Denn Filme können Emotionen zwar beleben, aber das Wissen um Situationen und Konstellationen, die Gefühle entstehen lassen, muss beim Zuschauer gegeben sein. Filmerleben und –wirkung ergeben sich also aus dem Prozess der Interaktion von gezeigter Geschichte und eigener Geschichte der Rezipienten (vgl. Eichhorn/Mehling 2002: 293). Die Aneignung eines Films durch ein Individuum wird von vielen aktuellen und dauerhaften Momenten beeinflusst. Der Rezipient verarbeitet Medienangebote individuell aufgrund seiner sozialen Lage und seinen persönlichen Dispositionen (vgl. Vorderer/Schramm 2002: 125), wie es auch der dynamisch-transaktionale Ansatz von Früh und Schönbach (1982, 1984) mitunter beschreibt.
Situationsabhängige und interindividuelle Unterschiede der Rezipienten erschweren eine Vorhersage des
Rezeptionserlebnisses. Eine Emotion ist das Ergebnis einer fortwährenden Situationsbewertung (vgl. Mangold/Unz/ Winterhoff-Spurk 2001: 178). Demzufolge können sich Emotionen schnell ändern.
„Durch interpersonale Kommunikation wird ein Re-/Metaappraisal im sozialen Kontext vorgenommen, das sich wiederum auf die affektive Disposition des Rezipienten auswirkt und so in einem reziproken Effekt zu einem Gefühlsmanagement führt“ (Döveling/Sommer 2008: 157).
Die Beobachtung auftretender interpersoneller Kommunikation kann ein Indiz für einen Referenzwechsel sein, der der Gefühlsregulation dient.
3. Multi-Reference Appraisal Model of Emotion
Mit dem Multi-Reference Appraisal Model of Emotion (MAME) heben Wirth und Schramm die Bedeutung der situationalen Referenzen hervor, die während der Medienrezeption vorkommen können. Wie bereits erwähnt, ist die >Rezeptionssituation sehr komplex, da der Rezipient sich je nach subjektiver Interpretation in einer anderen Situation befinden kann. Die Appraisal-Theorien, auf die MAME aufgebaut ist, betonen, dass eben diese subjektive Situationsinterpretation die Grundlage für Emotion darstellt und nicht die objektive Situation:
„Emotions arise in response to the meaning structures of given situations“ (Frijda 1988: 349).
Demnach kann eine Person während einer Beerdigung lachen, weil ihr lustige Gedanken zu dem Toten in den Kopf kommen, während die restliche Trauergemeinde niedergeschlagen ist. Oder umgekehrt ist es denkbar, dass eine Person inmitten eines fröhlichen Festes traurig ist, weil sie an den Verlust einer geliebten Person denken muss. Übertragen auf die Medienrezeption ergibt sich, dass die individuellen Gedanken des Rezipienten die Emotionen stark beeinflussen können. Objektiv betrachtet befindet er sich in einer Situation, in der er eine medial präsentierte Situation alleine oder zusammen mit anderen rezipiert. Wirth, Schramm und Böcking definieren „situationale Referenz als diejenigen Aspekte einer tatsächlichen oder imaginär vorgestellten Situation, die interpretativ die Basis für die erlebten Emotionen bilden“ (Wirth/Schramm/Böcking 2006: 235) und unterscheiden sechs situationale Referenzen bei der Medienrezeption:
Als erste situationale Referenz wird der Medieninhalt genannt. Sie zeigen fiktionale oder reale Geschehnisse. Rezipienten erleben die Emotion nach, die auch die Protagonisten in den gezeigten Geschehnissen erleben, in dem sie deren Situation nachvollziehen. Dies ist der Rahmen für die empathischen Emotionen.
Die zweite Referenz ist die Re z e ptio nssituation . Der Rezipient macht sich hier die eigene Beobachterrolle bewusst, indem er beispielsweise die bequeme Couch, auf der er liegt, die Kartoffelchips und ein Glas Wein wahrnimmt. Hier könnten angenehme Gefühle durchaus die Folge sein. Dies ist die häusliche Rezeptionssituation, sie ist proximal und wird unmittelbar erlebt. Weiterhin kann auch die kollektive Publikumsrolle wahrgenommen werden. Teil eines Millionen- publikums zu sein, und sich das bewusst zu machen, kann als Folge Emotionen wie Stolz oder Nationalgefühl hervorrufen. Die kollektive Rezeptionssituation wird in der Regel distal und kann lediglich imaginär erlebt werden.
Eine dritte Referenz liegt vor, wenn sich der Rezipient den Produktcharakter eines Medienangebots und dessen mediale Vermitteltheit ins Bewusstsein ruft, es steht also der Werkcharakter im Mittelpunkt. Der Rezipient kann sich ärgern oder freuen über die Produktion, also negative oder positive Emotionen haben.
Bei der vierten situationalen Referenz spielt das Medienangebot keine Rolle, es findet also keine aktive Rezeption statt. Die Person denkt hier an eine erlebte oder fiktive Situation, deswegen wird diese Referenz E r i nn e r un g e n oder Tagträumen genannt.
Die fünfte situationale Referenz kann als Interaktion bereits beschriebener situationaler Referenzen verstanden werden. Wenn Rezipienten den Medieninhalt auf sich und ihre eigene Situation beziehen, liegt eine Interaktion zwischen Medieninhalt und der eigenen Person vor. Das kann beispielsweise vorkommen, wenn es in einem Spielfilm um die Trennung von der Ehefrau geht und sich der Rezipient vor kurzer Zeit selbst von seiner Frau getrennt hat. Es wird also ein Ich-Bezug hergestellt, bei dem negative oder positive Emotionen die Folge sein können.
Abschließend nennen Wirth et al die I n teraktion zwischen Medieninhalt und bestimmten Formen der Rezeptionssituation als sechste situationale Referenz. Beispielsweise können Teenager Peinlichkeitsgefühle verspüren, wenn sie mit ihren Eltern einen Film ansehen, bei denen es in einer Szene zu sexuellen Handlungen kommt. Wären die Eltern nicht bei der Rezeption anwesend, wären diese Gefühle auch nicht entstanden. Dennoch ist auch hier denkbar, dass durch die Interaktion zwischen Medieninhalt und bestimmter Formen der Rezeptionssituation nicht nur negative sondern auch positive Emotionen resultieren können.
Wirth et al lassen es bei der Benennung dieser sechs situationalen Referenzen, weisen allerdings darauf hin, dass sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, da es ein Leichtes sei, weitere Beispiele durch Betrachtung besonders komplexer Medieninhalte und Rezeptionssituationen zu finden.
Wie bereits erwähnt ist ein Referenzwechsel während der Medienrezeption denkbar. Gespräche führen dazu, dass die situationale Referenz „Medieninhalt“ wenigstens zwischendurch verlassen wird (vgl. Wirth/Schramm 2007: 162).
Medieninhaltsbezogene Rezeptionsweise wird wahrscheinlicher, wenn auf Medienseite beispielsweise spannungsinduzierende und immersionsfördernde Merkmale, auf der Personenseite Interesse und Involvement, aber auch Absorptionstendenzen gegeben sind.
[...]
1 http://www.hongkongairport.com/eng/pr/pr_810.html 20.05.2008, 09:15 Uhr.
- Citar trabajo
- Linda Knab (Autor), 2008, Das Potential verschiedener Messmethoden zur Untersuchung des „Multi-Reference Appraisal Model of Emotion“, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118349
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