Diese Masterarbeit untersucht den Stil und die Tonalität der Berichterstattung von Boulevard- und Qualitätszeitungen. Ein besonderes Augenmerk wird hierbei auf die geografische Nähe zum publizierenden Medium sowie auf die Motivation der untersuchten Terroranschläge gelegt. Es werden hierbei ausschließlich islamistisch- und rechtsextremistisch-motivierte Terrorereignisse analysiert. Die Arbeit knüpft damit an die Forschung der Terrorismusberichterstattung an. Die theoretischen Annahmen, die in dieser Arbeit geprüft werden, sind in der Nachrichtenselektion und linguistisch-journalistischen Textgestaltung zu verorten.
Mithilfe einer quantitativen Inhaltsanalyse wurden verschiedene Merkmale der Lexik, Rhetorik und Syntax metrisch erfasst. Somit konnten die abstrakten Konstrukte Stil und Tonalität der Medienberichterstattung operationalisiert und untersucht werden. Hierbei konnte, wie vorangehende Forschungen zuvor, festgestellt werden, dass Qualitätszeitungen in längeren Sätzen und umfangreicheren Artikeln über Terrorismus berichten als Boulevardzeitungen. Boulevardzeitungen nutzen im Gegensatz zu Qualitätszeitungen vermehrt Ausrufezeichen und Stilmittel. Zudem ist die boulevardeske Berichterstattung signifikant emotionalisierter, was sich durch den vermehrten Gebrauch emotionalisierender Lexik zeigt.
Wo und aus welchem Grund ein Terroranschlag geschieht, hat vergleichsweise wenig Einfluss auf den Stil und die Tonalität der Terrorismusberichterstattung der einzelnen Zeitungsgattungen. Es konnten nur wenige und schwache Korrelationen zwischen den strukturellen Merkmalen eines Terroraktes und der Berichterstattung darüber festgestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Symbolverzeichnis
1. Terrorismus in deutschen Zeitungsmedien
2. Der Terrorismus im Wandel der Zeit
2.1 Versuch einer Definition von Terrorismus
2.2 Motivationen von Terrorismus
2.3 Terrorismus als Inszenierung und Kommunikationsstrategie
2.4 Wechselwirkungen zwischen (klassischen) Medien und Terrorismus
3. Grundlagen der deutschen Presse
3.1 Funktionen des Journalismus
3.2 Boulevardjournalismus
3.3 Qualitätsjournalismus
4. Theoretischer Hintergrund
4.1 Konstruktionen von Wirklichkeit
4.1.1 Nachrichtenwerttheorie
4.1.2 Nachrichtenwert von Terrorismus
4.1.3 Nachrichtengeografie
4.2. Textgestaltung und Emotionalisierung in den Printmedien
4.2.1 sprachliches Repertoire der Textgestaltung: Syntax, Lexik und Rhetorik
4.2.2 Emotionalisierung als persuasive Strategie in den Printmedien
4.2.3 Die Überschrift in der Berichterstattung
5. Forschungsstand und Erkenntnisinteresse
6. Forschungsfragen und Ableitung der Hypothesen
6.1 Hypothesenkomplex I: Stil der Boulevard- und Qualitätsmedien
6.2 Hypothesenkomplex II: Tonalität der Boulevard- und Qualitätszeitungen
6.3 Hypothesenkomplex III: Einfluss der Motivation von Terroristen auf die Berichterstattung
6.4 Hypothesenkomplex IV: Nachrichtendimension Nähe
7. Empirisches Vorgehen
7.1 Methodik und Forschungsdesgin
7.2 Grundgesamtheit des Untersuchungsgegenstandes
7.2.1 Eingrenzung des Untersuchungsmaterials durch die Wahl von terroristischen Ereignissen
7.2.2 Eingrenzung des Untersuchungsmaterials durch Zeitungsauswahl
7.2.3 Eingrenzung des Untersuchungszeitraum
7.2.4 Aufgreifkriterien zur Bestimmung des Untersuchungsmaterials
7.2.5 Stichprobenziehung
7.3 Das Kategoriensystem
7.4 Ablauf des Codiervorgang
7.5 Reliabilitätstest
8. Deskription der Forschungsergebnisse
9. Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich der Hypothesen
9.1 Prüfung des Hypothesenkomplex I
9.2 Prüfung des Hypothesenkomplex II
9.3 Prüfung des Hypothesenkomplex III
9.4 Prüfung des Hypothesenkomplex IV
10. Fazit
10.1 Diskussion der Ergebnisse
10.1.1 Stil der Terrorismusberichterstattung
10.1.2 Tonalität der Zeitungsgattungen
10.1.3 Einflüsse auf Stil und Tonalität
10.1.4 Resümee
10.2 Reflexion des methodischen Vorgehens
10.3 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abstract
Die vorliegende Masterarbeit untersucht den Stil und die Tonalität der Berichterstattung von Boulevard- und Qualitätszeitungen. Ein besonderes Augenmerk wird hierbei auf die geografische Nähe zum publizierenden Medium sowie auf die Motivation der untersuchten Terroranschläge gelegt. Es werden hierbei ausschließlich islamistisch- und rechtsextremistisch-motivierte Terrorereignisse analysiert. Die Arbeit knüpft damit an die Forschung der Terrorismusberichterstattung an. Die theoretischen Annahmen, die in dieser Arbeit geprüft werden, sind in der Nachrichtenselektion und linguistisch-journalistischen Textgestaltung zu verorten.1
Mit Hilfe einer quantitativen Inhaltsanalyse wurden verschiedene Merkmale der Lexik, Rhetorik und Syntax metrisch erfasst. Somit konnten die abstrakten Konstrukte Stil und Tonalität der Medienberichterstattung operationalisiert und untersucht werden. Hierbei konnte, wie vorangehende Forschungen zuvor, festgestellt werden, dass Qualitätszeitungen in längeren Sätzen und umfangreicheren Artikeln über Terrorismus berichten als Boulevardzeitungen. Boulevardzeitungen nutzen im Gegensatz zu Qualitätszeitungen vermehrt Ausrufezeichen und Stilmittel. Zudem ist die boulevardeske Berichterstattung signifikant emotionalisierter, was sich durch den vermehrten Gebrauch emotionalisierender Lexik zeigt.
Wo und aus welchem Grund ein Terroranschlag geschieht, hat vergleichsweise wenig Einfluss auf den Stil und die Tonalität der Terrorismusberichterstattung der einzelnen Zeitungsgattungen. Es konnten nur wenige und schwache Korrelationen zwischen den strukturellen Merkmalen eines Terroraktes und der Berichterstattung darüber festgestellt werden.2
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 - Tote durch Terrorismus in den Jahren 2002-2019, aufgeteilt nach bestimmten Regionen (Quelle: Institute for Economics & Peace, 2020: 40)
Abbildung 2 - Übersichtsmatrix der Protagonisten in der Inszenierung von Terrorismus (Quelle: Frindte & Haußecker, 2010: 41)
Abbildung 3 - Einflüsse des Anstiftungseffekts und des Nachahmungseffekts (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 4 - Schaubild des inhaltlichen Erkenntnisinteresses (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 5 – Schaubild der mehrstufigen Bestimmung der Auswahleinheiten (in Anlehnung an Rössler, 2017: 54 | Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 6 - Ablaufschema für Codierung (angelehnt an Rössler, 2017: 99 | Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 7 - Visualisierung des Vorgehens zur Prüfung des ersten Hypothesenkomplexes (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 8 - Visualisierung des Vorgehens zur Prüfung des zweiten Hypothesenkomplexes (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 9 - Visualisierung des Vorgehens zur Prüfung des dritten Hypothesenkomplexes (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 10 - Visualisierung des Vorgehens zur Prüfung des vierten Hypothesenkomplexes (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 11 - Verteilung der journalistischen Darstellungsform auf Boulevard- und Qualitätszeitungen in Prozent (n = 884 | Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 12 - Häufigkeit einzelner Stilmittel in der Überschrift nach Zeitungsart in Prozent (n = 704 | Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 13 - Streudiagramm der Rangkorrelation zwischen syntaktischem Stil und geografischer Nähe nach Boulevardzeitungen (n = 361 | Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung 14 - Streudiagramm der Rangkorrelation zwischen Stilmittel (gesamt) und geografischer Nähe nach Qualitätszeitungen (n = 343 | Quelle: eigene Darstellung)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 - Darstellung der Nachrichten-Dimensionen und -faktoren nach Schulz (1976) (Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 2 - Auswahl der terroristischen Ereignisse zur Forschung (Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 3 - Auswahl der Zeitungen zur Forschung (Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 4 - Definierte Suchoperatoren der einzelnen terroristischen Ereignisse (Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 5 – Grundgesamtheit der Analyseeinheiten nach ihren Merkmalen und ihrer Häufigkeit (Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 6 - Vergleich der Mittelwerte der durchschnittlichen Zeichenmenge nach Zeitungsmedien (n = 884 | Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 7 - Häufigkeitsverteilung der Analyseeinheiten (n = 704) nach ihren Merkmalen (Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 8 - Bildung der Indexvariable syntaktischer Stil (Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 9 - Grundgesamtheit aller Analyseeinheiten (Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 10 - Definierte Suchoperatoren und Untersuchungszeitraum der einzelnen terroristischen Ereignisse (Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 11 - Berechnung des Reliabilitätsmaß' nach Holsti (Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 12 - Berechnung des Reliabilitätsmaß' nach Holsti (Variablen zusammengefasst | Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 13 - Mittelwerte der Satzzeichen nach Zeitungsart (Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 14 – Absolute Häufigkeit der Reizwörter in der Überschrift der einzelnen Artikel nach Zeitungsart (n = 704| Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 15 – Vorkommen sonstiger Reizwörter in der Überschrift nach Zeitungsart (n = 704 | Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 16 - Mittelwerte der Stilmittel im Fließtext nach Zeitungsart (n = 704 | Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 17 - Absolute Häufigkeiten der Reizwörter im Fließtext der einzelnen Artikel nach Zeitungsart (n = 704 | Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 18 Vorkommen sonstiger Reizwörter in der Überschrift nach Zeitungsart (n = 704 | Quelle: eigene Darstellung)
Tabelle 19 - Mittelwerte der Stilmittelnutzung durch Qualitätszeitungen nach Motivation (n = 343 | Quelle: eigene Darstellung)
Abkürzungsverzeichnis
9/11 11. September 2001
B. Z. B. Z. (Zeitung)
BILD BILD-Zeitung
f folgende Seite
ff folgenden Seiten
EXPRESS Kölner EXPRESS
FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung
IS Islamischer Staat
NSU Nationalsozialistischer Untergrund
RAF Rote Armee Fraktion
SZ Süddeutsche Zeitung
u. a. unter anderem
vgl. vergleiche
s. siehe
Symbolverzeichnis
CR Reliabilität der Codierung
M arithmetisches Mittel (auch Mittelwert oder Durchschnitt genannt)
n Stichprobengröße
𝑟p Korrelationskoeffizient nach Pearson
r s Korrelationskoeffizient nach Spearman
SD Standardabweichung
α Signifikanzniveau
1. Terrorismus in deutschen Zeitungsmedien
Die Anschläge des 11. September 2001 gelten als Sinnbild für den Terrorismus des 21. Jahrhunderts. „Fanden Anschläge jahrzehntelang meist in weitentfernten Ländern statt, so erstarkte der internationale Terrorismus seit den 1990er Jahren und erreichte mit New York und Madrid die westliche Welt.“ (Glück, 2008: 78) Auch deutsche Medien schrieben, dass die Anschläge auf das World Trade Center in New York die Geschichtsschreibung in ein Davor und in ein Danach teilen werden und heben dieses Ereignis damit deutlich als Zäsur der Weltgeschichte heraus (vgl. Kirchhoff, 2010: 13f). Doch auch wenn 9/11 als Sinnbild des Terrorismus in der westlichen Welt gilt, blieb es nicht bei den knapp 3.000 Toten dieses Anschlags. Allein 2018 starben weltweit fast 16.000 Menschen bei unzähligen Terroranschlägen unterschiedlichster Motivation (vgl. Institute for Economic & Peace, 2019: 2). Terroristische Ereignisse geschehen in einer derart hohen Frequenz, dass eine allumfassende Berichterstattung für (einzelne) Medien kaum zu gewährleisten scheint.3
Besonders sticht jedoch wiederholt der islamistische Terror in der Berichterstattung deutscher Medien hervor. Dieser „[…] gehör[t] zu den größten sicherheitspolitischen Bedrohungen mit Konsequenzen für sowohl die innere Sicherheit als auch die äußere Sicherheit hunderter Staaten weltweit.“ (Goertz, 2019: 1) Oft ist von den Großorganisationen al-Qaida oder dem Islamischen Staat (IS) die Rede, aber auch kleine Terrorzellen und Einzeltäter stellen eine ernstzunehmende Gefahr dar.4
Die rechtsextremistisch motivierten Anschläge in Hanau am 19. Februar 2020 und in Halle am 09. Oktober 2019 zeigen, dass die Gefahr von Terroranschlägen nicht ausschließlich von islamistischer Seite droht. Immer wieder geraten rechtsextreme Vereinigungen ins Blickfeld der Ermittler, in den letzten Jahren unter anderem der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), die Gruppe Freitag, oder die Oldschool Society (vgl. Tagesschau, 2020: o. S.).
Die Wissenschaftlerin Antje Glück umreißt die Herausforderungen für den Journalismus in der Terrorismusberichterstattung folgendermaßen: „Berichterstattung über Terrorismus stellt [...] hohe Anforderungen an Akteure (Journalisten) und Medieninstitutionen. Es ist eine Form des Krisenjournalismus, bei der die Konsequenzen des eigenen Tuns deutlich hinterfragt werden sollten. Im entschleunigten Fernseh- und Internetzeitalter jedoch weicht die Zeit für Reflexionen dem Zeitdruck des Berichtens“ (2008: 11). Diese hohen Anforderungen an die Medienberichterstattung, führen zu der zentralen Fragestellung dieser Arbeit. Sie lautet: „Inwiefern unterscheiden sich Boulevard- und Qualitätszeitungen in ihrer Berichterstattung über islamistischen und rechtsextremistischen Terrorismus hinsichtlich des Stils und der Tonalität?“ Die Relevanz dieser Forschung fundiert zum einen in der akuten Terrorgefahr. Zum anderen ist die journalistische Berichterstattung darüber ein entscheidendes Element der Information der Öffentlichkeit sowie deren Meinungsbildung. Daher soll diese Arbeit sich zunächst kritisch mit den Einflüssen auf die Berichterstattung von Boulevard- und Qualitätszeitungen auseinandersetzen: gibt es hier aufgrund der Motivation eines Anschlags oder der Entfernung des Ereignisorts Unterschiede in der Berichterstattung? Die Berechtigung dieser Frage manifestierte bereits der Kommunikationswissenschaftler Frank Esser, da „Medienprodukte durch ihre Bindung an Sprache, Themen, Zielpublika und den Nachrichtenfaktor ‚Nähe‘ in hohem Maße an lokale, regionale und nationale Grenzen gebunden sind“ (2002: 319).
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich zunächst mit den Grundlagen von Terrorismus (s. Kapitel 2) sowie von Journalismus (s. Kapitel 3). Hierbei werden alle nötigen Begriffsdefinitionen, die für das Verständnis dieser Forschung relevant sind, vorgenommen. Im Anschluss wird die theoretische Fundierung erläutert, die sich hauptsächlich der Nachrichtenwerttheorie sowie der linguistischen Textgestaltung in den Printmedien zuordnen lässt (s. Kapitel 4). Auf dieser Basis werden im Anschluss das Forschungsinteresse erläutert (s. Kapitel 5) sowie die Forschungsfragen und Hypothesen (s. Kapitel 6) hergeleitet. Die Methode der quantitativen Inhaltsanalyse und ihre Anwendung auf die empirische Forschung (s. Kapitel 7) in dieser Arbeit sind dabei von genauso großem Interesse wie die Deskription der Ergebnisse (s. Kapitel 8) und deren Interpretation (s. Kapitel 9). Ein Fazit und die Reflexion des Forschungsvorgehens (s. Kapitel 10) schließen diese Arbeit ab.5
2. Der Terrorismus im Wandel der Zeit
Wie eingangs bereits angedeutet wurde, unterlag der Terrorismus in den letzten Jahren und Jahrzehnten einem großen Wandel.
Während des Öfteren davon die Rede ist, dass der Terrorismus vor dem 11. September 2001 in der westlichen Welt nicht relevant erschien (vgl. Glück, 2008: 78), war er auch vor dem 21. Jahrhundert – auf eine andere Art und Weise – präsent.
Erstmalig erwähnt wurde der Begriff Terrorismus während der Französischen Revolution. Die Jahre 1793 und 1794 wurden als régime de la terreur – also als Schreckensherrschaft –beschrieben. Im Gegensatz zu heute war der Ausdruck anfangs positiv konnotiert, sollte diese Herrschaft doch nach der Anarchie der vorangegangenen Jahre wieder für Ordnung sorgen (vgl. Hoffmann, 2001: 22). Als Vorbilder und Erfinder des Terrorismus nennt die Historikerin Carola Dietze explizit zwei Personen: „[...] Felice Orsini, der 1858 in Paris ein Attentat auf Napoleon III. verübte, sowie John Brown, der im Jahr 1859 einen Überfall auf das Arsenal der US-Armee in Harpers Ferry, Virginia, beging“ (2016: 18). Wo der eigentliche Ursprung der Geschichte des Terrors liegt, ist wohl kaum zurückzuverfolgen, geschweige denn zu definieren. Das späte 19. Jahrhundert war geprägt von politischem Terrorismus mit revolutionärer Zielsetzung, die sogenannte Propaganda der Tat. Bis zum Ersten Weltkrieg folgte die Ermordung zahlreicher Staatsoberhäupter, unter anderem Kaiserin Elisabeth von Österreich, die US-amerikanischen Präsidenten Garfield und McKinley sowie das Attentat auf den habsburgischen Thronfolger Franz Ferdinand. Grund hierfür waren vor allem ethnisch-separatistische Bestrebungen. Die 1930er und 40er-Jahre waren vor allem in Russland, Deutschland und Italien vom Staatsterrorismus geprägt. Im Nahen Osten, Asien und Afrika lehnten sich nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche „Freiheitskämpfer“ gegen ihre Kolonialherren auf. Als Folge der Studentenproteste in den 1960er-Jahren kam es auch zur Radikalisierung einiger Aktivisten in der westlichen Welt: Terrorismus im Zeichen nationaler gesellschaftlicher Revolution waren die Folge. Beispiele dafür sind die Rote Armee Fraktion (RAF) in Deutschland sowie die Euskadi Ta Askatasuna (ETA) in Spanien. Seit dieser Zeit zeichnete sich eine Internationalisierung des Terrorismus ab (vgl. Welt am Sonntag, 2004: o. S.; Riegler, 2009: 54).6
Mit den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Airlington, Virginia, am 11. September 2001, und dem im Anschluss durch die amerikanische Regierung deklarierten „War on Terror“ (vgl. Kohlsche et al., 2014: 125), beginnt die neuere Geschichte des Terrorismus. Denn statt eines Rückgangs, erlebte der weltweite Terrorismus eine Intensivierung nie zuvor gekannten Ausmaßes (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1 - Tote durch Terrorismus in den Jahren 2002-2019, aufgeteilt nach bestimmten Regionen (Quelle: Institute for Economics & Peace, 2020: 40)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Laufe der Geschichte haben sich diverse Akteure den Terrorismus zu Nutze gemacht, um ihre Ideologien zu verbreiten. Wie Terrorismus konkret definiert wird, was seine Ursachen sind und welche Rolle die Medien im (modernen) Terrorismus spielen, erläutern die nachfolgenden Kapitel.
2.1 Versuch einer Definition von Terrorismus
Für ein einheitliches Verständnis dieser Arbeit, der als zentralen Gegenstand die Terrorismusberichterstattung deutscher Printmedien innehat, soll im Folgenden zunächst der Versuch einer Begriffsdefinition von Terrorismus erfolgen.7
In der Forschung ist man sich insofern einig, dass eine allgemeingültige Definition des Begriffs kaum möglich ist (vgl. Frindte & Haußecker, 2010: 38; Bosco, 2016: 120). Dies liegt unter anderem an den Abgrenzungen der Begriffe „Freiheitskämpfer“ und „Widerstand“ von den Begriffen „Terroristen“ und „Terrorismus“ (vgl. Robertz & Kahr, 2016: 23; Anetzberger, 2017: 4). Doch auch die Umsetzung, Motive und Ziele terroristischer Taten können sich sehr stark unterscheiden (vgl. Frindte & Haußecker, 2010: 36). Ob eine Tat als terroristisch zu beschreiben ist oder nicht, ist folglich nicht monokausal zu bestimmen. Die Grenzen zu anderen Gewalttaten politischer Motivation sind fließend (vgl. Jesse, 2019: 1).
Der Terminus Terrorismus selbst leitet sich von dem lateinischen Wort terror ab und bedeutet übersetzt Schrecken (Dudenredaktion, o. J. e). Das zeigt, dass die Gesellschaft unter Terrorismus grundsätzlich etwas Negatives versteht. Dagegen verstehen sich Terroristen selbst zumeist als Befreier oder gar Helden (vgl. Bosco, 2016: 120; Anetzberger, 2017: 4), die „mittels systematischer Anwendung von Gewalt insbesondere auf ausgewählte Repräsentanten des "Systems" [...] die "herrschende Schicht" verunsicher[n] [...]“ (Jesse, 2019: 1) wollen.
Schon 1988 verglichen die Terrorismusforscher Schmid und Jongman 109 verschiedene Definitionen von Terrorismus. Seitdem dürften noch einige weitere hinzugekommen sein, insbesondere da sich die Methoden und Erscheinungsformen des Terrorismus stark verändert haben (vgl. Haußecker, 2013: 21). Die meisten Definitionen von Terrorismus enthalten die Elemente Gewalt & Zwang (83,5 Prozent), Politisch (65,0 Prozent) und Hervorhebung von Furcht und Schrecken (51,0 Prozent) (Schmid & Jongman et al.,1988; zitiert nach Hoffmann, 2002: 51).
Im Rahmen dieser Arbeit, wird der Terrorismus, angelehnt an Frindt & Haußecker (2010: 39), also wie folgt definiert: Bei Terrorismus handelt es sich um „[...] eine kalkuliert inszenierte gewalttätige Kommunikationsstrategie, [...]“ durch die „[...] (nichtstaatliche) Akteure versuchen, die Gesellschaft, Staaten, deren Institutionen oder bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu schädigen [...] und/oder in Angst und Schrecken zu versetzen, [...]“, um so ihre politischen Ziele zu erreichen.8
2.2 Motivationen von Terrorismus
Diese politischen Ziele lassen sich verschiedensten Motivationen zuordnen. Wie eingangs bereits erwähnt, gilt in der heutigen Zeit vor allem der islamistische Terror in Deutschland und dem Rest der Welt als eine ernstzunehmende Bedrohung (vgl. Goertz, 2019: 1).
Der Begriff Islamismus wird als Oberbegriff eines politisch-religiösen Extremismus verstanden. Er umfasst „[...] verschiedene Strömungen einer politischen Bewegung [...], die das gemeinsame Ziel verfolgen, aus dem Koran und der Sunna abgeleitete islamische Verhaltensregeln (die sogenannte Scharia) zu einer verbindlichen Leitlinie sowohl für das individuelle als auch für das kollektive gesellschaftliche Leben zu machen“ (Neumann, 2019: 9). Auch wenn sich der Islamismus auf ein religiöses Fundament stützt, sind seine Ziele politisch. Der Islamismus lehnt die Säkularisierung, sowie das normative Selbstverständnis offener Gesellschaften und demokratischer Verfassungsstaaten ab (vgl. Pfahl-Traughber, 2008: 34). Als fester Bestandteil der islamistischen Ideologie gehören zudem die Ablehnung von Individualität, Pluralismus und Menschenrechten (vgl. Neumann, 2019: 9). Zu den wohl bekanntesten islamistischen Terrorgruppen gehören, wie zuvor bereits erwähnt, der Islamische Staat und al-Qaida. Jedoch gibt es weitaus mehr Gruppierungen, auch in Deutschland. Laut Verfassungsschutz haben geschätzte 28.020 in Deutschland lebende Personen ein ernstzunehmendes Islamismuspotenzial (vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 2020: 180f).
Neben dem Islamismus ist auch der Rechtsextremismus eine mögliche Motivation von Terrorismus. Eine allgemeingültige Definition des Rechtsextremismus gibt es nicht (vgl. Frindte, Geschke, Haußecker & Schmidtke, 2016: 34). Die rechtsextreme Ideologie zeichnet sich im Wesentlichen durch eine radikale Einstellung zu den Themen Nationalismus, Volkstum, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und/oder Geschichtsklitterung aus (vgl. Pfahl-Traughber, 2001: 71ff, Jaschke, 2006: o. S.; Nandlinger, 2008: o. S.). In den letzten Jahren ist ein Anstieg rechtsextremistischer Straf- und Gewalttaten zu verzeichnen. Im Jahr 2019 waren es 21.290 Delikte (vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 2020: 54). Das Rechtsextremismuspotenzial in Deutschland wird auf 32.080 Menschen geschätzt, die mindestens in einer rechtsextremen Partei oder Organisation Mitglied sind. Davon werden 13.000 als gewaltorientierte Rechtsextreme eingestuft (vgl. ebd.: 53).9
Neben der islamistischen und rechtsextremistischen Motivation, ist auch der Linksextremismus eine in Deutschland und der Welt präsente Erscheinung und sollte daher nicht unerwähnt bleiben. Die gezielten Anschläge der linksextremistischen RAF terrorisierten die Bundesrepublik seit den 1970er-Jahren bis in die 90er. Die Zahl der Personen in Deutschland mit einem hohen Linksextremismuspotenzial ist, ähnlich wie beim Rechtsextremismus- und Islamismuspotenzial, hoch: geschätzt 33.500. Davon gilt jeder Vierte als gewaltbereit (vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 2020: 166f). Im Vergleich zu den rechtsextremistischen Straf- und Gewaltdelikten, ist die Zahl der linksextremistischen zwar ebenfalls steigend, jedoch deutlich niedriger mit 6.449 im Jahr 2019 (vgl. ebd.: 113).
Die persönlichen Gründe für die Radikalisierung eines Terroristen, abgesehen von seiner (politischen) Weltanschauung, benennt unter anderem der Terrorismusforscher Neumann:
(1) Vor allem Jüngere sind auf Grund von Frustration anfällig.
(2) Es besteht ein Bedürfnis nach Gemeinschaft und Identität.
(3) Es geht für die Terroristen eine faszinierende Wirkung von der jeweiligen Ideologie aus.
(4) Es besteht eine enorme Beeinflussung durch andere Radikale.
(5) Eine Form der staatlichen Repression, die der Terrorist als Gewalt empfinden kann, ruft eine für den Terroristen legitime Gegengewalt hervor.
Die genannten Gründe sind Risikofaktoren, die zur Radikalisierung eines Terroristen führen können, jedoch nicht zwangsläufig müssen (vgl. Jesse, 2019: 5). Demnach ist die Entwicklung einer zu Terror bereiten Person ein fragiler Prozess, der weder durch Algorithmen noch Theorien systematisch erfasst werden kann (vgl. Neumann, 2016.: 44).
2.3 Terrorismus als Inszenierung und Kommunikationsstrategie
Jede terroristische Handlung beschränkt sich nicht nur auf den Gewaltakt selbst. Sie soll, gemäß ihrer Wortherkunft, „[...] Angst und Schrecken auch bei denjenigen hervorrufen, die nicht unmittelbar von einem Anschlag betroffen sind. Sie sollen die Einstellung bestimmter Bevölkerungsgruppen verändern, politische Entscheidungen beeinflussen usw.“ (Schütte, 2012: 151). Neben dem unmittelbaren personellen und materiellen Schaden (zum Beispiel durch ein Bombenattentat), soll folglich eine symbolische Wirkung entfaltet werden und eine anschließende Kommunikation über den Terror bewirkt werden (vgl. Robertz & Kahr, 2016: 23). Terrorismus wird für die besagte symbolische Wirkung also inszeniert (vgl. Brosius & Esser, 1995: 65). Terroristen beziehen daher zumeist auch den Faktor der Visualität in ihre Tatplanungen mit ein, da die Umsetzung ohne eine anschließende mediale Berichterstattung nur eingeschränkt wirksam ist (vgl. Meckel, 2008: 251; Robertz & Kahr, 2016: 23). Dieser enge Zusammenhang zwischen Massenmedien und Terrorismus ergibt sich unter anderem aus dem Alter: „[...] politisch motivierte Gewalt und die modernen Massenkommunikationsmittel [fanden] etwa zur selben Zeit Verbreitung [...]“ (Riegler, 2009: 265).
Die Wirksamkeit einer terroristischen Inszenierung ist also abhängig davon, ob alle dazugehörigen „Protagonisten“ erreicht werden. Hierzu gehören zum einen Gesellschaften, Staaten und deren Institutionen oder vereinzelte gesellschaftliche Gruppen, die als potenzielle Opfer und Ziele geschädigt werden sollen; des Weiteren wissenschaftliche, politische und journalistische Beobachter; und zuletzt potenzielle Unterstützer und/oder Sympathisanten der Terroristen und Terrornetzwerke (vgl. Frindte & Haußecker, 2010: 39).
Abbildung 2 - Übersichtsmatrix der Protagonisten in der Inszenierung von Terrorismus (Quelle: Frindte & Haußecker, 2010: 41)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Inszenierung einer terroristischen Handlung ist also gleichzeitig der Versuch eine hohe mediale Aufmerksamkeit zu erzielen, um alle Protagonisten (vgl. Abbildung 2) zu erreichen und kann somit als Kommunikationsstrategie bezeichnet werden (vgl. u. a. Frindte & Haußecker, 2010: 39; Kohlsche et al., 2014: 124; Riegler, 2009: 336).
Neben der klassischen journalistischen Berichterstattung in den Medien, nutzen terroristische Organisationen auch vermehrt eigene und soziale Medien für sich. Osama bin Laden, ehemaliger Anführer der al-Qaida, erkannte bereits in den 1990er-Jahren den Wert selbstproduzierter Audio- und Videobotschaften. Er legte Wert auf exzellente Qualität und ein meisterhaftes Timing (vgl. Hoffmann, 2006 zitiert nach Riegler, 2009: 286). Obwohl „[...] die Art und Weise von bin Ladens Argumentation keineswegs neu war, stellte die Kommunikation und Verbreitung dieser Botschaften über Internet und Satelliten-TV ein Novum dar“ (Riegler, 2009: 286f). Während bin Laden hauptsächlich für seine Video- und Audiobotschaften bekannt ist, gilt das al-Qaida-Mitglied Musab al-Zarqawi als erster virtueller Terrorist der Neuzeit. Er machte sich die Internettechnologie zu Nutze, publizierte auf Webseiten und sogar ein monatliches Internet-Magazin (vgl. ebd.: 292). Es scheint paradox, dass gerade der militante Islam, moderne Technologien für seine terroristische Propaganda benutzt (vgl. ebd.: 295). Der IS geht sogar noch weiter und hat die terroristische Medienstrategie professionalisiert: eine Vielzahl mehrsprachiger Printmedien, Radiosender und ein eigenes Video-Label gehören hierzu (vgl. Zywietz, 2020: 90). Jedoch verbreitet der IS vor allem über die schwer zu kontrollierenden sozialen Netzwerke YouTube, Facebook und Twitter ihre Botschaften (vgl. ebd.: 94). Auch andere radikale Gruppen profitieren von den sozialen Medien als neue Informationskanäle, um weniger auf Journalisten als Vermittler ihrer Botschaften angewiesen zu sein (vgl. Bosco, 2016: 124). Dennoch bleibt die Rolle der „klassischen“ Medien als Multiplikatoren wesentlich (vgl. ebd.: 131).
2.4 Wechselwirkungen zwischen (klassischen) Medien und Terrorismus
"Die Presse muss dazu verpflichtet werden, sich zurückzuhalten, wenn die Gefährdungslage wie jetzt hoch ist. Wenn die Presse darüber berichtet, welche Orte besonders gefährdet sind, dann kann das unter Umständen ein Anreiz für Terroristen sein."
Siegfried Kauder, CDU-Politiker (Spiegel Online, 2010: o. S.)
Seit jeher wird dem Terrorismus und den Medien eine symbiotische Beziehung nachgesagt (vgl. u.a. Brosius & Esser, 1995: 65; Meckel, 2008: 264; Riegler, 2009: 263; Kohlsche et al., 2014: 123f.; Robertz & Kahr, 2016: 22). Da Terroranschläge auch immer eine kommunikative Strategie verfolgen (vgl. Kapitel 2.3), wurde schon häufig und von mehreren Seiten eine Vorab-Zensierung der Medien gefordert, wenn es um Fälle schwerer Gewalt und Terrorismus geht (vgl. Robertz & Kahr, 2016: 24).
Die zumeist sorgfältige Inszenierung terroristischer Anschläge zielt mitunter auf die Aufmerksamkeit der (internationalen) Presse ab. Den Medien wird somit eine kommunikative Rolle zuteil, wenn sie täterorientiert berichten und somit Botschaften von Attentätern weitertragen. Eins der wohl bekanntesten Beispiele für diesen „medienorientierten Terrorismus“ ist der Anschlag auf die israelische Mannschaft während den Olympischen Spielen 1972 in München. Die aufgrund der Spiele bedingte Anwesenheit der internationalen Presse war das perfekte Sprachrohr für die Organisation Schwarzer September. Innerhalb weniger Stunden war die Thematik des palästinensischen Leids im Gaza-Streifen in der Welt präsent (vgl. Brosius & Esser, 1995: 65f).
Die vorangehenden Kapitel haben bereits verdeutlicht, dass der Terrorismus auf die Medien als Multiplikator angewiesen ist. Doch auch umgekehrt besteht ein Abhängigkeitsverhältnis. Medien können sich der Berichterstattung über terroristische Ereignisse aufgrund ihrer Informationspflicht (vgl. Kapitel 3.1) kaum entziehen. Aber auch aus wirtschaftlicher Sicht sind Medien auf die Terrorismusberichterstattung angewiesen, da diese Nachrichten ihr Publikum sowohl aus menschlicher als auch politischer Sicht fesseln und somit zu einer größeren Leserschaft führen (können) (vgl. Bosco, 2016: 124).
Insbesondere seit 9/11 stehen die Medien häufig in der Kritik (zu) ereignisorientiert zu berichten. Hierbei stehen vor allem die Vernachlässigung fundierter Hintergrundberichterstattung sowie die Visualisierung und Fokussierung emotionalisierender Merkmale des Ereignisses im Vordergrund. Aber auch Täterspekulationen, Feindbildkonstruktionen, Vorverurteilungen und die Marginalisierung von Themen, Ereignissen und Akteuren stehen im Fokus der Kritik (vgl. Haußecker, 2013: 25f).
Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang auch der Nachahmungseffekt terroristischer Handlungen aufgrund der journalistischen Berichterstattung bleiben. Die betrifft zum einen den Modus Operandi, also das „Wie“ und zum anderen das Motiv, das „Warum“ (vgl. Hoffmann, 2016: 114). Eine amerikanische Studie fand heraus, dass 42 Prozent aller 111 untersuchten radikalisierten Einzeltäter vorab, nach für ihre Tat hilfreichen Informationen, im Internet recherchierten (vgl. Gill, 2015, zitiert nach Hoffmann, 2016: 114). Auch der im Internet veröffentlichte Aufruf des IS-Chefsprechers im September 2014, ungläubige Europäer und Amerikaner zu erschlagen, zu überfahren oder mit einem Messer zu erstechen, führte tatsächlich zu Gewalttaten in Australien, Kanada, den USA und Saudi-Arabien (vgl. Reuter, 2015: 282ff). Der Nachahmungseffekt resultiert oft aus einem Bedürfnis der Identifizierung heraus (vgl. Hoffmann, 2016: 114).
Den sogenannten Anstiftungseffekt wiesen Brosius & Weimann (1991) nach. Dieser besagt einen signifikanten Anstieg von Terroranschlägen aufgrund von Presse- und Fernsehnachrichten über vorherige, stark thematisierte Terroranschläge (vgl. Brosius & Esser, 1995: 67f).
Abbildung 3 - Einflüsse des Anstiftungseffekts und des Nachahmungseffekts (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die deutsche Berichterstattung erfüllt verschiedene Aufgaben in der Gesellschaft (vgl. Kapitel 3.1), unter anderem eine meinungsbildende Funktion. Verschiedene Studien beweisen einen Einfluss der Berichterstattung auf die Handlungsbereitschaft der Rezipienten (vgl. Brosius & Esser, 1995: 79ff). Welche Wirkung die Terrorismusberichterstattung auf ihre Rezipienten hat und ob die Medien sich dadurch wirklich zum Mitspieler des Terrors machen, ist bis dato ungeklärt.
3. Grundlagen der deutschen Presse
Das Wort Presse stammt aus dem Französischen (la presse) und geht auf die lateinische Partizipalform pressum zurück, was übersetzt in etwa gedrückt beziehungsweise gepresst bedeutet. Der Begriff geht auf die einst notwendige Technik des mechanischen Drucks zurück, „[...] deren Erfindung zentrale Voraussetzung für Aufkommen und Entwicklung der Presse war“ (Pürer & Raabe, 2007: 9). Damit sind heute alle periodischen Druckwerke, also Zeitungen und Zeitschriften gemeint. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird das Wort Presse zudem synonym gebraucht „[...] für die gesellschaftliche Einrichtung von Öffentlichkeit herstellenden und die Allgemeinheit informierenden Massenmedien mit ihren Organisationen, Unternehmen und Akteuren [...]. Als eine solche gesellschaftliche Einrichtung erbringt die Institution Presse – je nach Gesellschafts- bzw. Herrschaftssystem – spezifische Leistungen für die Gesellschaft“ (ebd.: 9f).
Die nachfolgenden Kapitel behandeln die für die Forschungsarbeit relevanten Grundlagen zu den Funktionen des deutschen (Print)Journalismus. Des Weiteren werden die Merkmale von Boulevard- und Qualitätszeitungen erläutert.
3.1 Funktionen des Journalismus
„Es gibt einen Anspruch der Öffentlichkeit, informiert zu werden. Es gibt aber auch einen Anspruch der Opfer, dass über sie berichtet wird.“
Bettina Gaus, Journalistin (Disselhoff, 2009: 90)
Dem deutschen Journalismus wird eine wichtige Aufgabe zuteil: die umfassende, nicht-meinungsbildende Information der Gesellschaft als sogenannte vierte Gewalt (vgl. Höke, 2007: 17). Auch wenn die Bezeichnung vierte Gewalt im täglichen Sprachgebrauch Anwendung findet, muss man sie als überspitzt bezeichnen, da die Massenmedien nicht über die entsprechende gesetzliche Verankerung verfügen. Dennoch ist sie ein wichtiger Träger der Öffentlichkeit (vgl. Pürer, 2003: 422) und der Demokratie (vgl. Kamps, 1999: 60). Denn auch wenn der Journalismus per se keine Wirkungsabsicht hat (im Gegensatz zur Public Relations zum Beispiel), trägt er durch die veröffentlichten Informationen zur Meinungsbildung der Öffentlichkeit bei (vgl. Altmeppen & Arnold, 2013: 22 – 25).
Um dieser Aufgabe funktionell und normativ gerecht zu werden, gelten insbesondere für Zeitungen folgende Kriterien: ein zeitnahes Erscheinen zum Nachrichtenereignis (Aktualität), öffentlicher und allgemeiner Zugang (Publizität), regelmäßiges Erscheinen (Periodizität) sowie ein vielfältiges, inhaltlich offenes, thematisches Spektrum (Universalität) (vgl. Höke, 2007: 17f).
Die Informationsfunktion kann durch die Medien nur erfüllt werden, indem Journalisten vorab selektieren. Nach welchen Kriterien sie Nachrichten auswählen wird in Kapitel 4.1.1 genauer erläutert.
Neben der Informationsfunktion erfüllen die Massenmedien viele weitere Funktionen, die man in soziale, politische und ökonomische Funktion unterteilen kann. Diese werden unter anderem von Beck (2017) ausführlich erläutert.
Trotz der (in der Theorie) gleichen Funktionen, unterscheiden sich der Boulevardjournalismus und der Qualitätsjournalismus in ihrem journalistischen und redaktionellen Konzept.
3.2 Boulevardjournalismus
Die Boulevardzeitung verdankt ihren Namen der historischen Entstehung. Der Name wurde durch die Verkaufsart dieser Zeitungen geprägt: von der Straße weg, ohne Abonnement. Umgangssprachlich ist die Boulevardzeitung auch als Straßen-, Klatsch- oder Sensationszeitung bekannt (vgl. Höke, 2007: 19).
Die Entstehung der Boulevardzeitung ist bereits sehr früh anzusiedeln: „Die Wurzeln dieser Presseform wuchern bis ins 15. Jahrhundert, der Stamm ist im 19. Jahrhundert angesiedelt, erste Triebe spriessten zu Beginn des 20. Jahrhunderts, erste Früchte waren nach dem Zweiten Weltkrieg zu ernten“ (Maier, 1999, zitiert nach Dulinski, 2003: 103). Maiers Baummetapher verdeutlicht: so wie man die Boulevardzeitung heute kennt, gibt es sie seit dem 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen der Penny Press in England und Amerika sowie der petite presse in Frankreich. Ende des 19. Jahrhunderts kam diese Art der Presse auch in Deutschland an, zum Beispiel mit dem Berliner Lokalanzeiger (1883) (vgl. Pürer, 2015a: 118).
Neben der Verbreitungsart unterscheidet sich die Boulevardzeitung auch hinsichtlich ihrer Ziele und Funktionen sowie durch ihre spezifischen Charakteristika von anderen Presseformen.
Zu den Merkmalen der Boulevardpresse gehören „[…] der Einsatz typischer Sprach- und Stilmuster, die Visualisierung von Informationen, die emotionale Aufbereitung, die privatisierenden, personalisierenden Berichterstattungsmuster [...]“ (Höke, 2007: 23). Diese Charakteristika dienen der im besonderen Maße fesselnden Ansprache der Rezipienten und werden zum einen durch eine besondere Ausprägung der Emotionalisierung und zum anderen durch Privatisierung beziehungsweise Personalisierung erreicht (vgl. ebd.).
Es gibt noch weitere spezifische Charakteristika, die diese Funktion erfüllen sollen, und als typisch gelten. Zu dieser typisch boulevardesken Berichterstattung gehören: zum einen große Fotos, überdimensionale Überschriften, eine bunte Aufmachung (Layout); zum anderen insgesamt eine einfache Verständlichkeit trotz kreativer Wort- und Satzkreationen, reißerischer Schlagwörter und Lautmalereien, umgangssprachlichem und oft wertendem Tonfall (Sprache und Stil) (vgl. ebd.: 29 – 32).
An dieser Stelle sollte betont werden, dass die oben genannten Funktionen und Charakteristika des Boulevardjournalismus durch wirtschaftliche Interessen, genauer gesagt hohe Verkaufszahlen, dominiert werden (vgl. Dulinski, 2003: 193; vgl. Höke, 2007: 15).
Sowohl aus gesellschaftlicher als auch aus wissenschaftlicher Sicht, wird der Boulevardjournalismus oft kritisch betrachtet (vgl. u. a. Voss, 1999; Brichta, 2006: 61; Weischenberg, 2018: 35).
3.3 Qualitätsjournalismus
Die Qualitätszeitung ist, im Vergleich zur Boulevardzeitung, schwierig zu operationalisieren. Allgemein wird unter diesem Begriff eine überregional oder national publizierte Abonnementzeitung verstanden (vgl. Raabe, 2013: 288).
Im Gegensatz zur Boulevardzeitung wird in der Forschung oft von der Nennung eindeutiger Merkmale abgesehen. Stattdessen wird oft auf tradiertes Wissen verwiesen, welche Zeitungen als Qualitätsmedien gelten. Generell wird davon ausgegangen, dass Qualitätszeitungen sich primär mit für die Öffentlichkeit relevanten Fragen und Themen auseinandersetzen. Der Fokus der Berichterstattung liegt dabei auf dem politischen und ökonomischen System. Des Weiteren zeichnen sie sich zumeist durch eine differenzierte Ressortstruktur aus. Ziel ist eine nuancierte Spiegelung der (Um-)Welt (vgl. Udris & Lucht, 2011: 154ff). Insbesondere in der Krisen- und Kriegsberichterstattung sowie bei schweren Gewalttaten, wird von den Qualitätsmedien erwartet, objektiv, kritisch und ethischen Standards entsprechend zu berichten (vgl. Kahr, 2016: 80).
Ein weiteres Charakteristikum der Qualitätszeitungen, ist die Gestaltung der einzelnen Ressorts Politik, Wirtschaft und Kultur. Im Politikteil wird sowohl über Internationales als auch Nationales berichtet. Der Wirtschaftsteil behandelt sowohl Handel, Börse als auch Unternehmen und die konjunkturelle Entwicklung, also die wirtschaftspolitische Situation als Ganzes und im Detail. Und auch der Kulturteil ist nicht nur Ratgeber für Veranstaltungen gedacht, sondern befasst sich auch inhaltlich mit Kultur sowie Kunst, Religion, Wissenschaft und Unterhaltung. „Qualitätsmedien als ‚Flaggschiffe‘ der öffentlichen Kommunikation zeichnen sich [...] ebenso durch Inhalte des klassischen Feuilletons aus und kennen differenzierte Spezialrubriken und Beilagen, die nicht nur dem life style (Mode, Reisen, etc.) gewidmet sind, sondern sich vertieft auch mit strukturellen Fragen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und ihrem Zusammenspiel befassen“ (Udris & Lucht, 2011: 156). Als traditionelle Qualitätszeitungen gelten in Deutschland unter anderem die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Süddeutsche Zeitung.
„Ein Nachrichtenredakteur im Informationsjournalismus verfolgt mit seiner Berichterstattung andere Interessen als ein Boulevardreporter im Populären Journalismus - dementsprechend unterschiedlich fallen ihre Selektionen und Beschreibungen von Ereignissen aus“ (Disselhoff, 2009: 82).
4. Theoretischer Hintergrund
Nach der Erläuterung der inhaltlichen Grundlagen dieser Arbeit, folgt nun eine tiefergehende Betrachtung des theoretischen Hintergrunds.
Hierfür sind insbesondere die Theorien der Nachrichtenauswahl, nämlich die Nachrichtenwerttheorie, der Nachrichtengeografie und dem Nachrichtenfluss, sowie die linguistischen Grundlagen journalistischer Textgestaltung von Bedeutung.
4.1 Konstruktionen von Wirklichkeit
Nachdem bereits die Notwendigkeit der Terrorismusberichterstattung herausgearbeitet wurde (vgl. Kapitel 3.1), stellt sich die Frage, ob eine solche Berichterstattung überhaupt realistisch dargestellt werden kann. Oder anders formuliert: Stimmt die dargestellte Medienrealität, also „[...] die Gesamtheit der von den Medien veröffentlichten Texte und Bilder [...]“ (Eilders, 2006: 182), mit der tatsächlichen Realität überein?
Zahlreiche Forschungen und Forscher negieren diese Frage (vgl. u. a. Schulz, 1976: 25; Brosius & Esser, 1995: 35; Kepplinger, 2011: 15; Robertz & Kahr, 2016: 24). Die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Wirklichkeit der Medien, ist Teil der medienwissenschaftlichen Konstruktivismusdebatte. Hierbei werden zwei Positionen vertreten: zum einen die konstruktivistische Position, die davon ausgeht, dass es keine von Beobachtern unabhängige Realität gibt. „Realität wird hergestellt, geschaffen, eben konstruiert“ (Kamps, 1999: 56). Zum anderen die realistische Position, die davon ausgeht, dass Dinge, Vorgänge, Sachverhalte unabhängig von Beobachtern existent sind, und somit beobachtet und wiedergegeben werden können. Hierbei unterscheidet man zwischen der deskriptiven Version, die „[...] glaubt, Medien bilden die Realität ab“ (ebd.: 55) und die normative Version, welche fordert, „[...] Medien sollten Realität adäquat abbilden“ (ebd.).
Letzten Endes muss die Annahme, dass Journalisten Ereignisse ohne den Hintergrund eigener Normen oder Wunschbilder beschreiben (oder gar bewerten), der Auffassung weichen, dass sie stattdessen eine bestimmte Interpretation der Ereignisse darstellen. (vgl. Schulz, 1976: 27f)
Des Weiteren ist durch die vorherige Selektion der Informationen, keine Abbildung der vollständigen Realität möglich: „Wir haben es nie mit der Welt im Ganzen zu tun, sondern mit Nachrichten“ (Luhmann, 1981, zitiert nach Weischenberg, 2018: 69).
4.1.1 Nachrichtenwerttheorie
Die Nachrichtenwerttheorie ist ein kommunikationswissenschaftlicher Ansatz, um die Nachrichtenselektion durch Journalisten zu erklären. Die Notwendigkeit einer Selektion ist aufgrund der Informationsflut gegeben, der Journalisten ausgesetzt sind. Schon 1922 schrieb Walter Lippmann über die Entstehung von Nachrichten, dass alle Stunden des Tages nicht reichen würden, um alle Ereignisse des Weltgeschehens eines Tages festzuhalten (vgl. Maier, Retzbach, Glogger & Stengel, 2018: 14). Es wird davon ausgegangen, dass Journalisten Nachrichtenfaktoren in ihren Selektionsprozess berücksichtigen, auch wenn dies mitunter häufig unterbewusst geschieht (vgl. Maier et al., 2018: 44).
Demnach kann man potenzielle Nachrichten nach Ereignismerkmalen unterscheiden (Nachrichtenfaktoren) und ihnen, durch ihre Intensität und spezifische Kombination, einen Nachrichtenwert beimessen (vgl. ebd.: 20). Beide Begriffe „[…] wurden anfänglich von Kommunikations- und Medienwissenschaftlern weltweit mehr oder weniger synonym verwendet, was in den USA in der Regel auch heute noch üblich ist.“ (ebd.: 19).
Den ersten ausführlicheren Nachrichtenfaktoren-Katalog erstellten Galtung und Ruge (1965). Dieser beinhaltete insgesamt 12 Nachrichtenfaktoren. Zusätzlich formulierten sie fünf wesentliche Hypothesen bezüglich der Nachrichtenfaktoren (vgl. Kunczik & Zipfel, 2005: 247ff):
(1) Ein Ereignis wird eher zur Nachricht, umso mehr Nachrichtenfaktoren erfüllt werden (Selektivitätshypothese).
(2) Wenn ein Ereignis zur Nachricht wird, werden die Nachrichtenfaktoren, die den Nachrichtenwert bestimmen, besonders betont (Verzerrungshypothese)
(3) Von der ersten Beobachtung bis zur Veröffentlichung, also auf jeweils allen Stufen des Nachrichtenflusses, finden Selektion und Verzerrung statt und verstärken somit jedes Übermittlungsstadium (Replikationshypothese).
(4) Umso mehr Nachrichtenfaktoren ein Ereignis erfüllt, desto wahrscheinlicher wird die Nachricht publiziert (Additivitätshypothese).
(5) Erfüllt ein Ereignis ein oder mehrere Nachrichtenfaktoren nur in geringem Maße beziehungsweise überhaupt nicht, müssen die restlichen Nachrichtenfaktoren umso stärker erfüllt werden, damit ein Ereignis zu einer Nachricht wird. „Je weniger ein Ereignis z.B. Bezug auf Elite-Personen nimmt, desto negativer muss es z.B. sein, um zur Nachricht zu werden“ (ebd.: 249) (Komplementaritätshypothese).
Der Kommunikationswissenschaftler Schulz erweiterte 1976 den Nachrichtenfaktoren-Katalog von Galtung und Ruge um sechs weitere Faktoren und wies ihnen eine übergeordnete Dimension zu (vgl. Tabelle 1). Gleichzeitig legte er mit seiner Publikation Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien den Grundstein im deutschsprachigen Raum für eine klare Begriffsunterscheidung von Nachrichtenwerten und -faktoren (vgl. Maier et al., 2018: 19).
Tabelle 1 - Darstellung der Nachrichten-Dimensionen und -faktoren nach Schulz (1976) (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Folgenden werden die einzelnen Nachrichtenfaktoren nach Schulz (1976) erläutert.
Es lässt sich hinsichtlich des Nachrichtenfaktors Dauer feststellen, dass Ereignisse von kurzer Dauer zumeist einen hohen Nachrichtenwert haben, während Ereignisse, die länger als eine Woche überdauern, einen niedrigen Nachrichtenwert haben. Außerdem sind Themen berichtenswerter, wenn diese bereits über einen langen Zeitraum eingeführt wurden, im Gegensatz zu bisher nicht in der Berichterstattung etablierten Themen (Thematisierung).
Die Dimension Nähe umfasst die kulturelle, räumliche und politische Nähe des Ereignisortes und des Redaktionssitzes zueinander. Die Relevanz, ebenfalls Teil dieser Dimension, erklärt den Grad der Betroffenheit beziehungsweise der existenziellen Bedeutung eines Ereignisses.
Die Dimension Status umfasst unter anderem die regionale und nationale Zentralität. Damit ist der Grad für wirtschaftliche, wissenschaftliche und/oder militärische Macht des Ereignislandes gemeint. Der persönliche Einfluss dagegen bezieht sich auf die politische Macht der beteiligten Personen. Bei unpolitischen Meldungen spielt der Nachrichtenfaktor Prominenz, also der Bekanntheitsgrad der Beteiligten, eine entscheidende Rolle.
Bezüglich der Dimension Dynamik lässt sich feststellen, inwiefern der Zeitpunkt, der Verlauf und das Resultat eines Ereignisses absehbar beziehungsweise nicht absehbar war (Überraschung). Darüber hinaus gibt die Struktur Aufschluss über die Verlaufsform, Beteiligung und Überschaubarkeit eines Ereignisses.
Unter der Nachrichtendimension Valenz werden die negativen Faktoren Konflikt, Kriminalität und Schaden zusammengefasst. Eine hohe Intensität dieser Faktoren haben einen entsprechend hohen Nachrichtenwert. Dagegen beschreibt der Faktor Erfolg politische, wirtschaftliche und kulturelle Fortschritte, die durch ein Ereignis ausgelöst werden.
Die letzte Dimension Identifikation beinhaltet die Nachrichtenfaktoren Personalisierung (Grad des personellen Bezugs auf ein Ereignis) und Ethnozentrismus (Betroffenheit der Bevölkerung des Landes, in dem publiziert wird, durch ein Ereignis) (vgl. Schulz, 1976: 32ff).
Der Nachrichtenwert eines Nachrichtenfaktors bestimmt also seine „Publikationswürdigkeit“ (vgl. Kunczik & Zipfel, 2005: 260). Die Kommunikationswissenschaftler Kepplinger und Ehmig haben mit Hilfe ihrer Zwei-Komponenten-Theorie versucht, den Nachrichtenwert einzelner Nachrichtenfaktoren zu messen. Sie gehen davon aus, dass sowohl die Nachrichtenfaktoren als auch ihr Nachrichtenwert, der je nach dem jeweiligen spezifischen Medium variiert, die Nachrichtenauswahl bestimmen. So nehmen die beiden Forscher an, dass bestimmte Nachrichtenfaktoren für Boulevardzeitungen wichtiger sind als für Qualitätszeitungen (vgl. 2006: 25).
Die Beschreibung der Nachrichtenfaktoren lässt bereits erahnen, dass terroristische Ereignisse einen ganz besonders hohen Nachrichtenwert aufweisen. Das nachfolgende Kapitel geht auf diesen Umstand genauer ein.
4.1.2 Nachrichtenwert von Terrorismus
Objektiv betrachtet treffen auf terroristische Ereignisse eine Vielzahl von Nachrichtenfaktoren zu, unter anderem Thematisierung, Relevanz und Konflikt (vgl. Anetzberger, 2017: 18f). Aus journalistischer Sicht sind negative Ereignisse – und als solche kann man terroristische Handlungen definitiv bezeichnen – also besonders attraktiv (vgl. Robertz & Kahr, 2016: 18ff).
Durch die öffentlichkeitswirksame Inszenierung terroristischer Anschläge (vgl. Kapitel 2.3), spielt auch der Nachrichtenwert Überraschung und/oder Schaden eine immer größere Rolle. Auch die ernstzunehmende terroristische Bedrohung in Deutschland beziehungsweise Europa (vgl. Goertz, 2019: 1), hat einen Einfluss auf den Nachrichtenwert von Terrorismus, da die Faktoren kulturelle, gesellschaftliche und geografische Nähe immer häufiger zutreffen. (vgl. Anetzberger, 2017: 19) Auf diese Faktoren wird im Kapitel 4.1.3 detailliert eingegangen.
Die Forscher Shoemaker und Cohen (2006) haben für das journalistische Interesse an der Terrorismusberichterstattung zudem eine evolutionshistorische Begründung: Es liegt in der Natur des Menschen sein Umfeld im Blick zu behalten, um zu überleben. Durch die mediale Berichterstattung können Menschen auch Ereignisse beobachten, die nicht direkt in ihrer sinnlich-wahrnehmbaren Umwelt passieren. Somit hilft ihnen die Rezeption der Terrorismusberichterstattung, den aktuellen Status Quo beziehungsweise die eigene Gefahrenlage zu bewerten (vgl. Robertz & Kahr, 2016: 18).
Eine weitere Begründung für das hohe Publikumsinteresse an der Berichterstattung über Terror, liefert der Sozialpsychologe Lerner (1980): der Mensch geht in der Regel von einer „gerechten Welt“ aus. Nur so kann die Menschheit weitestgehend angstfrei leben und positiv in die Zukunft blicken. Sobald ein Schlüsselereignis, also zum Beispiel eine schwere Gewalttat, dieses Urvertrauen erschüttert, ist es ein Bedürfnis des Menschen das Geschehene durch eine Ursachenzuschreibung zu erklären und so seinen „Glauben an die gerechte Welt“ wiederherzustellen (Robertz & Kahr, 2016: 18f).
Das Interesse der Öffentlichkeit an Gewalttaten ist also besonders hoch. Demnach wird ein Publikumsinteresse an der Terrorismusberichterstattung stets gegeben sein.
4.1.3 Nachrichtengeografie
Die Nachrichtendimension Nähe vereint vier Faktoren: räumliche Nähe, politische Nähe, kulturelle Nähe und Relevanz (vgl. Kapitel 4.1.1). Kamps setzte sich in seinem Werk Politik in Fernsehnachrichten bereits empirisch ausführlich mit dem Thema der Nachrichtengeografie auseinander. „Darunter wird die differenzierte Zuwendung des Nachrichtenjournalismus zu Ländern verstanden [...]“ (1999: 235). Gestützt durch die Nachrichtendimension Nähe, lässt sich vermuten, dass die Berichterstattung der Medien sich auf das eigene Land konzentriert. Es folgen geografisch, wirtschaftlich, kulturell oder politisch nahestehende Länder (ebd.: 237).
So wurde ein Klassifikationsmodell gebildet, welche eine offenkundige Hierarchisierung der Medienberichterstattung verdeutlicht. Der Nachrichtengeografie lassen sich demnach vier Ländergruppen zuordnen:
(1) Die Nachrichtenzentren sind Länder, die konstant regelmäßig Gegenstand der medialen Berichterstattung sind. Zu ihnen gehören Deutschland als Heimatland, allerdings auch die USA, Frankreich, Großbritannien und Russland.
(2) Die Nachrichtennachbarn sind Länder die häufig, jedoch nicht stetig Gegenstand der Nachrichtenberichterstattung sind. Kamps führte in seiner Forschung (1999) Japan, Italien sowie Organisationen wie die UNO, NATO und Europäische Union an.
(3) Die thematischen Nachrichtennachbarn sind Länder, die zwar vergleichsweise häufig Gegenstand der Berichterstattung sind, jedoch vor allem durch eine wenig thematische Varianz auffallen. Kamps nannte hier Australien, Belgien, China, Israel, Kanada, Mexiko, die Niederlande, Norwegen, Polen, Österreich, Schweden, Schweiz und Spanien. Aber auch damals kriegsgebeutelte Länder wie Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kroatien.
(4) Die Nachrichtenperipherie umfassen alle Länder, und damit auch einen Großteil, deren Thematisierung in der Nachrichtenberichterstattung punktuell ist. Bei ihnen „[...] ist keinerlei Permanenz und thematische Varianz in der Berichterstattung erkennbar.“ (ebd.: 242)
Da die empirischen Befunde Kamps bereits über 20 Jahre alt sind, ist die Einteilung der Länder teilweise nicht mehr aktuell (vgl. Heimprecht, 2017: 84). Jedoch konnte in anknüpfenden Forschungen zum Beispiel festgestellt werden, dass die USA immer noch am häufigsten in der Auslandsberichterstattung thematisiert wird, gefolgt von Großbritannien (vgl. ebd.: 285f). Die generelle Einteilung des Klassifikationsmodells ist also immer noch nachvollziehbar und auf die heutige Berichterstattung anwendbar (vgl. Rothhaar, 2019: 27f).
4.2. Textgestaltung und Emotionalisierung in den Printmedien
Nachdem in den vorangehenden Kapiteln die relevanten kommunikationswissenschaftlichen Ansätze der Nachrichtenauswahl ausgiebig behandelt wurden, folgt nun eine Erläuterung der textgestalterischen Ansätze, die für diese Arbeit von Belang sind.
In der Medieninhaltsanalyse spielen linguistisch-semiotische Ansätze zumeist nur eine untergeordnete Rolle. Im Mittelpunkt stehen hierbei „[...] die Rekonstruktion der Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem und die Erfassung der Konnotationen“ (Beck, 2017: 191). Gegenstand der Analyse können visuelle Zeichen in den Medien (zum Beispiel Infografiken, Layout, Anzeigen- und Plakatwerbung) sowie Bewegtbilder in Film und Fernsehen sein. Aber auch die linguistische Analyse von Mediensprache, Werbesprache und Nachrichtensprache können Inhalte dieser Ansätze sein (vgl. ebd.: 192).
Mit Hilfe von linguistischen Methoden können „[...] Argumentationsmuster, stereotype, rhetorische Figuren, Narrationsverfahren, Zitationen und Stil untersucht [...]“ (ebd.: 192) werden, um so die Bedeutung hinter der Bedeutung zu erfahren. Insbesondere bei den drei Zuletzt genannten sind die Übergänge zumeist fließend. Somit stehen hinter medialen Inhaltsanalysen zumeist implizite Wirkungsannahmen. Typische Untersuchungsfragen beziehen sich unter anderem auf die Darstellung von Gewalt und Kriminalität, Propagandaforschung sowie die Kriegs- und Terrorismusberichterstattung; aber auch Geschlechterstereotypen und Sexualität sowie ethnische, religiöse oder sonstige gesellschaftliche Minderheiten in den Medien, und viele mehr (vgl. ebd.: 192f).
4.2.1 sprachliches Repertoire der Textgestaltung: Syntax, Lexik und Rhetorik
Die sprachliche Gestaltung eines Textes macht dessen Charakter aus und bestimmt somit auch maßgeblich den der publizierenden Zeitung (vgl. Voss, 1999: 36).
Die Konzeptualisierung eines Themas wie Terrorismus, welches durch individuelles Wissen, emotionale Einstellungen und situationsspezifische Faktoren beeinflusst wird, „[...] wird als Referenzialisierung versprachlicht, d. h. es erfolgt die Transformation des rein Mentalen über die Auswahl verbaler Mittel und ihrer Anordnung in eine sprachliche Konstruktion“ (Schwarz-Friesel, 2015: 147f).
Im Folgenden werden die Begriffe Syntax, Lexik und Rhetorik kurz erörtert und erklärt, inwiefern sie die Textgestaltung eines Journalisten beeinflussen.
Syntax
Der Begriff Syntax stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet in etwa zusammenhängende Ordnung (vgl. Dudenredaktion, o. J. d).
Zum syntaktischen Inventar gehört demnach die Satzlänge, die Satztypen, der Modus, der Genus Verbi und die Interpunktion (vgl. Voss, 1999: 36 – 42). Es folgt eine kurze Übersicht dieses syntaktischen Inventars sowie ihrer Ausprägungen und Beispiele ihrer möglichen Wirkungen.
Die Länge eines Satzes ist ein sehr wichtiges Mittel der Syntax, die einen erheblichen Einfluss auf den Stil der Berichterstattung hat (vgl. Kapitel 6.1). So können reduzierte Satzlängen zumeist einfacher verstanden und schneller gelesen werden. Asyndetische Sätze, also kurze, nicht durch eine Konjunktion verbundene Sätze, können in der Berichterstattung den Eindruck einer hochaktuellen (Live-)Berichterstattung wecken und tragen somit zu einer intensiveren Darstellung des Geschehens bei (vgl. Voss, 1999: 37f).
In der deutschen Grammatik werden Aussage-, Aufforderungs-, Exclamativ- und Fragesätze unterschieden. Die letzten drei haben, insbesondere als Überschrift, eine appellative, leserlockende Funktion. Der Fragesatz kann zudem einen bohrenden beziehungsweise forschenden Charakter haben. Der Exclamativsatz dagegen kann eine emotionsgeladene, begeisterte oder leidenschaftliche Wirkung erzeugen und endet dabei immer mit einem Ausrufezeichen. Der Aufforderungssatz kann wie ein leidenschaftlicher, maßregelnder oder beschwörender Appell wirken (vgl. ebd.: 39ff).
Der Modus entspricht der Verbkategorie und drückt dadurch „die subjektive Stellungnahme des Sprechers zu dem durch die Aussage bezeichneten Sachverhalt [...]“ (Bußmann, 1990: 496f., zitiert nach Voss, 1999: 41) aus. Hierzu gehört der Indikativ (Wirklichkeitsform), also der geläufige beziehungsweise alltägliche Modus; der Konjunktiv, dem als Ausdruck möglicher oder irrealer Sachverhalte eine relativierende Wirkung zugesprochen wird; und der Imperativ, der in der Regel in Form eines Aufforderungssatzes auftritt und somit zumeist appellierend auf die Rezipienten wirkt.
Der Genus Verbi bezeichnet die aktive oder passive Verhaltensausrichtung eines Verbs. Im Aktiv ist „[d]as Subjekt mit der Handlung kodiert“ (Voss, 1999: 42). Dagegen umschreibt die passive Form eines Verbs oft ein „Erleiden“, einen geschehenden Umstand durch eine höhere Instanz. Je nachdem, welche Form des Genus Verbi gewählt wird, kann es eine inhaltliche Aussageabsicht unterstreichen (vgl. ebd.: 42f).
Die Interpunktion beinhaltet unter anderem den Punkt, den Doppelpunkt, den Gedankenstrich sowie Auslassungspunkte. Hierbei hat der Punkt selbstverständlich die Funktion einen Satz zu beenden und bestimmt damit die Satzlänge. Der Doppelpunkt teilt Sätze semantisch in Satzteile und betont dadurch den Teil inhaltlich, der nach dem Doppelpunkt folgt. Der Gedankenstrich initiiert eine Sprech- und Lesepause, wodurch diese Aussage akzentuiert beziehungsweise betont werden kann. Auslassungspunkte (...) dagegen „[...] brechen einen Gedanken oder eine Äußerung ab, verschweigen einen Sachverhalt oder verdeutlichen durch Anspielung die Relevanz des Nichterwähnten“ (ebd.: 46).
Lexik
Die Lexik ist das Fachwort für Vokabular beziehungsweise Wortschatz (vgl. Dudenredaktion, o. J. a). Ausgehend von der Tatsache, dass jeder Journalist mit seiner Wortwahl eine Medienrealität konstruiert, kann man auch davon ausgehen, dass jedes Wort in einer Berichterstattung eine implizite oder explizite Wirkung hat, so zum Beispiel die Emotionalisierung des Lesers. Daher wird die Lexik ausführlicher in Kapitel 4.2.2 erläutert.
Rhetorik
Der Begriff Rhetorik kommt ebenfalls aus dem Griechischen. Gemeint ist hiermit die Kunst der (wirkungsvollen Gestaltung der) Rede (vgl. Dudenredaktion, o. J. b). Im Sinne dieser Arbeit sind hier rhetorische Stilmittel gemeint. Diese lassen sich in drei verschiedene Gruppen einteilen: Klangwirkung, Spiel mit der Bedeutung der Wörter (Tropen) und Spiel mit Zahl und Reihenfolge der Wörter und Gedanken (vgl. Baumgarten, 2007: 3).
Im Folgenden werden einige der wichtigsten rhetorischen Stilmittel der journalistischen Berichterstattung erläutert, sowie die Effekte, die diese auf den Leser haben können.
Die Alliteration ist ein Stilmittel der Klangwirkung, bei dem der Anfangslaut zweier oder mehrerer wichtiger Wörter wiederholt wird (vgl. ebd.: 4f). Eine Alliteration ist ein spielerischer Effekt, der den Text einerseits auflockert und andererseits Wörter wirkungsvoll in Verbindung setzt, die nicht unbedingt zusammengehören (vgl. Voss, 1999: 61).
Die Antithese ist eine Gedankenfigur. Sie verkörpert einen Gegensatz und stellt Wörter oder Wortgruppen parallel zueinander. Zum Beispiel: „Durch Eintracht wächst Kleines, durch Zwietracht zerfällt Großes“ (Baumgarten, 2007: 6). Dieses Stilmittel findet sich oft in Überschriften wieder (vgl. Voss, 1999: 66).
Die direkte Rede als rhetorisches Stilmittel umgeht den Konjunktiv und somit die „[...] syntaktisch übergeordneten Verben des Denkens, Meinens oder Sagens [...]“ (ebd.: 63). Sie macht die Berichterstattung authentischer.
Als Ellipse wird die Aussparung eines Lexems bezeichnet, deren Bedeutung man sich leicht erschließen kann. Sie zählt zu den Wortfiguren (vgl. Baumgarten, 2007: 11) und wird zumeist für die Raffung von Sätzen angewendet (vgl. Voss, 1999: 61).
Mit dem Stilmittel der Ironie sind doppeldeutige Aussagen gemeint, die auf implizite Weise auf das Gegenteilige der Aussage hinweisen. Aufgrund der Gefahr eines Missverständnisses gehört es zu den weniger genutzten Stilmitteln der Berichterstattung (vgl. ebd.: 62).
Als Metapher wird „[...] ein sprachliches Bild, dessen Bedeutungsübertragung auf Bedeutungsvergleich beruht [...]“ (ebd. 63) bezeichnet. Die Sprach- und Kommunikationswissenschaftlerin Schwarz-Friesel definiert die Metapher als sprachliches Phänomen der Linguistik, das einer Aussage eine nicht wörtlich zu verstehende Bedeutung zuordnet (vgl. 2013: 201). Dieses Stilmittel dient damit der Mitteilung von abstrakten, schwer-fassbaren, schwer-beschreibbaren Gefühlen und Erlebnissen sowie ihrer Betonung (vgl. ebd.: 202).
Der Parallelismus ist die direkt aufeinanderfolgende Wiederholung gleicher Satzteile. Sie wird oft in einer dreigliedrigen Form angewandt und erzeugt durch ihren monotonen Rhythmus beim Rezipienten Unruhe und bewirkt eine dramatische, inhaltliche Steigerung (vgl. Voss, 1999: 60f).
Ein weiteres Stilmittel ist der Vergleich, der fähig ist konkrete und abstrakte Elemente mit einem gemeinsamen Charakteristikum miteinander zu verbinden (vgl. Schönbrunn, 2015: 123). Ein Vergleich ist zumeist durch die Konjunktionen „als“ oder „wie“ gekennzeichnet.
Die Aufzählung der genannten Stilmittel hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie orientiert sich hauptsächlich an der Forschungsarbeit von Voss (1999: 60 – 68) zum Thema Textgestaltung und Emotionalisierung in der Medienberichterstattung.
4.2.2 Emotionalisierung als persuasive Strategie in den Printmedien
Während sich die Theorien der Nachrichtenselektion (vgl. Kapitel 4.1) mit der Frage nach dem was auseinandersetzt, beschäftigen sich die Mechanismen der Emotionalisierung mit dem wie.
Neurowissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass zwischen der Informationsverarbeitung (Kognition) und Emotionen prozessuale Wechselwirkungen bestehen. In Bezug auf diese Arbeit bedeutet das, dass die Triade Sprache – Kognition – Emotion in einer engen Beziehung zueinanderstehen und gesamtheitlich betrachtet werden sollten (vgl. Schwarz-Friesel, 2013: 2). Denn durch die Perspektive und emotionale Einstellung des Produzenten erfolgt die Darstellung von Sachverhalten durch sprachliche Textstrukturen auf eine spezifische Art und Weise und stellt somit eine (nicht zwangsläufig objektive) Realitätskonstruktion dar (vgl. Schwarz-Friesel, 2013: 31; Anetzberger, 2017: 29). Das Emotionspotenzial einer Berichterstattung umfasst also nicht nur die sprachlich kodierten Gefühle der dargestellten Personen, sondern auch die hervorgerufenen Gefühle des Rezipienten (vgl. Schwarz-Friesel, 2013: 224). Die genannte perspektivische Darstellung des Produzenten kann sich über die jeweilige Wortwahl und ihre syntaktische Anordnung sowohl explizit als auch implizit ausdrücken (vgl. ebd.: 32).
Wie im vorangehenden Kapitel bereits angedeutet wurde, spielen die Lexik und ihre Bedeutungsanalyse bei der Emotionalisierung eine besondere Rolle (vgl. ebd.: 136).
Zu dieser emotionalisierenden Lexik gehört ein affektischer Wortschatz, die Verwendung von Umgangssprache sowie Vor- oder Spitznamen und Wortzusammensetzungen.
Ein affektischer Wortschatz umfasst Wörter aus dem Emotionsbereich „Erregung“, also zum Beispiel die Lexeme „[...] Angst, Schrecken, Verbrechen, Wut, Trauer, Glück, Spannung, Geheimnis, Sensation und ihnen gehörigen Wortfelder“ (Schönbrunn, 2015: 60f). Diese Wörter erhöhen den Lesereiz des Rezipienten. Die Umgangssprache dagegen schafft eine gewisse Nähe zum Leser. Gemeint sind Sprachformen wie die Mundart, das Jargon oder alltagssprachliche Verkürzungen, die von der Schriftsprache abweichen und somit eigentlich der mündlichen Kommunikation zuzuordnen sind. Die Nutzung von Vor- oder Spitznamen, insbesondere bei der Berichterstattung über Politiker und Prominente, führt zu einem Abbau der Rollendistanz. Durch Wortzusammensetzungen kann ein Text gerafft und dynamisiert werden, es handelt sich als um eine sprachökonomische Stilvariante. Zumeist geschieht dies durch die Verwendung eines Bindestrichs (zum Beispiel der Unglücks-Schütze) und sorgt für Prägnanz. Es kann sich aber auch um Emotionsappelle in Form von Determinativkomposita handeln (zum Beispiel blitzschnell) (vgl. ebd.: 61).
Zusätzlich kann eine bestimmte Wortwahl des Journalisten verschiedene persuasive (überzeugende) Strategien in der medialen Berichterstattung verfolgen, die im Folgenden kurz erläutert werden:
Es gibt die Berufung auf Autoritäten (zum Beispiel laut dem UN-Sicherheitsrat oder der anerkannte Experte) sowie auf Authentizität (zum Beispiel Augenzeugen vor Ort berichteten). Zudem gilt es als persuasiv-strategisch, wenn sich auf regelhafte Beziehungen (zum Beispiel traditionell) und kausale Begründungen (zum Beispiel zwangsläufig) bezogen wird. Weitere Strategien sind der Bezug auf Sympathieträger (die junge Mutter), die (positive oder negative) Hervorhebung (mit besonderer Brutalität) sowie die Schaffung von Kontrasten (die Mächtigen gegen die Schwachen). Zuletzt wird es als persuasive Strategie gesehen, wenn eine Präsentation der Atmosphäre über Analogien erfolgt (Wie im Schlaraffenland) (vgl. Schwarz-Friesel, 2013: 226).
4.2.3 Die Überschrift in der Berichterstattung
Die Überschrift eines journalistischen Artikels erfüllt sowohl eine informierende als auch eine animierende Funktion. Das heißt, zum einen soll die Überschrift dem Rezipienten einen groben Überblick über das Thema des Artikels vermitteln. Zum anderen soll sie die Neugier des Lesers wecken und einen Leseanreiz schaffen. Letzteres kann sowohl mit Hilfe von Syntax, Lexik und/oder Rhetorik erreicht werden. Sie ist also für die Analyse von Stil und Tonalität eines Artikels besonders wichtig, da die Überschrift im Vergleich zum Text doppelt so häufig gelesen wird. Deswegen ist die Artikelüberschrift von besonderer Bedeutung für die Nachrichtenproduktion (vgl. Schönbrunn, 2015: 64f).
5. Forschungsstand und Erkenntnisinteresse
Die kommunikationswissenschaftliche Terrorismusforschung ist ein Bereich, der insbesondere durch 9/11 besondere Aufmerksamkeit erfahren hat. Die Forschung speziell zu diesem terroristischen Ereignis ist kaum überschaubar (vgl. Anetzberger, 2017: 33). Klammert man diesen Anschlag aufgrund seiner besonderen historischen Bedeutung als Ereignis jedoch aus, fällt der Forschungsstand wesentlich geringfügiger aus. Im Folgenden wird ein Überblick über die, für diese Arbeit am relevanteste, Forschung zur Berichterstattung über Terrorismus gegeben.
Die Kommunikationswissenschaftler Brosius & Esser haben bereits 1995 in ihrer Veröffentlichung Eskalation durch Berichterstattung? untersucht, inwiefern Berichterstattung über Terrorismus Einfluss auf Rezipienten nimmt. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten unter anderem, dass die Medienberichterstattung über Gewalt, insbesondere über Terrorismus, einen anstiftenden Effekt haben können (vgl. Kapitel 2.4.).
Andrea Anetzberger forschte 2017 im Rahmen ihrer Masterarbeit bereits zu allgemeinen Unterschieden in Boulevard- und Qualitätszeitungen anhand des Terroranschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt (2016). Hierbei stellte sie fest, dass die Unterschiede bezüglich der jeweilig genutzten Medien-Frames eher geringfügig ausfallen. Konträr dazu wurde im Rahmen ihrer Forschung die Annahme bestätigt, dass Boulevardzeitungen im Vergleich zu den sogenannten Qualitätszeitungen Dramatisierungsstrategien bezüglich der verwendeten sprachlichen Mittel und Bilder verstärkt nutzen. Dies wird von Forschungsergebnissen des Germanisten Christian Schütte in einer Textanalyse der Boulevardzeitungen BILD, EXPRESS und Abendzeitungen gestützt. Seine Befunde zeigen, dass Boulevardzeitungen „[...] nicht nur dabei helfen, Furcht und Schrecken zu verbreiten, sondern auch über Fälle berichten, in denen Anschläge ihre Ziele nicht in vollem Maße erreichen – wenn nämlich die eigentlichen Adressaten der terroristischen Aktionen sich nicht in ihrem Verhalten beeinflussen lassen“ (2012: 151).
Neben diesem innerdeutschen Vergleich der (zumeist islamistischen) Terrorismusberichterstattung, gibt es auch einige wenige Forschungen auf internationaler Ebene. Hierbei werden nicht zwangsläufig Boulevard- und Qualitätszeitungen miteinander verglichen. Vielmehr geht es zumeist um einen generellen Vergleich der Berichterstattung. Nennenswerte Forschung hat unter anderem Antje Glück betrieben. Ihre Untersuchung deutscher und arabischer Elite-Zeitungen zeigte, dass „[w]enn deutsche und arabische Medien über Terrorismus berichten, […] [geschieht dies] mit einer leicht erhöhten homogenen Tendenz, die vor allem im Bereich der Quellen und journalistischen Formstandards zu finden ist, jedoch deutlich weniger auf inhaltlicher Ebene“ (2008: 10).
Auch außerhalb der Terrorismusforschung gibt es Studien zur Nachrichtenforschung, die hier nicht unerwähnt bleiben sollen. Intradisziplinäre Vergleiche von Zeitungen wurden bereits vorgenommen. Ein Beispiel hierfür liefert Susanne Höke (2007), in ihrem Vergleich der Boulevardzeitung BILD mit der englischsprachigen und ähnlich erfolgreichen Boulevardzeitung The Sun. Auch die ausführliche Untersuchung der Textgestaltung und Emotionalisierungsverfahren durch Voss bilden ein wichtiges Fundament des Forschungsstandes. So bestätigten sich ihre Annahmen, dass die BILD die Textgestaltung unter dem Aspekt der ständigen Emotionalisierung des Lesers vornimmt (vgl. 1999: 104). Die Journalistin Bianca Schönbrunn ist in ihrem interkulturellen Vergleich von deutscher und französischer Politik- und Kulturberichterstattung zu folgenden Erkenntnissen gekommen: Boulevardzeitungen schreiben bei kulturellen und politischen Themen emotionalisierter und kürzere Artikel als Qualitätszeitungen (2015: 99ff).
Die Kommunikationswissenschaftlerin Susanne Kirchhoff erforschte „die Leistung, die die metaphorische Konstruktion von Ereignissen, Akteuren und Orten für die mediale De-/Legitimierung von Kriegen erbringen kann“ (2010: 16). Diese Forschung verdeutlicht nochmals den großen Einfluss und die damit einhergehende große Verantwortung der Medien als sogenannte vierte Gewalt des deutschen Staates (vgl. Kapitel 3.1)
Insgesamt wurden also bereits einige terroristische Ereignisse in der journalistischen Berichterstattung untersucht, teilweise wurde im Zuge dessen auch zwischen Qualitäts- und Boulevardjournalismus unterschieden. Dennoch sind zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit keine Forschungen und Studien bekannt, die sich zugleich mit dem Stil, der Tonalität, der Nachrichtendimension Nähe und dem Einfluss durch die strukturelle Art des Terrors, auseinandersetzen (vgl. Abbildung 4). Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit besteht demnach darin, mögliche, von den genannten Faktoren abhängige, Unterschiede in der Berichterstattung festzustellen und zu interpretieren. Es lässt sich damit der Medieninhaltsforschung zuordnen.
Abbildung 4 - Schaubild des inhaltlichen Erkenntnisinteresses (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Angelehnt an den bisherigen Forschungsstand sowie an die theoretischen Grundlagen, werden im nachfolgenden die (untergeordneten) Forschungsfragen und Hypothesen formuliert.
6. Forschungsfragen und Ableitung der Hypothesen
Die folgenden Hypothesen wurden nach der Festlegung der übergeordneten Forschungsfrage „Inwiefern unterscheiden sich Boulevard- und Qualitätszeitungen in ihrer Berichterstattung über islamistischen und rechtsextremistischen Terrorismus hinsichtlich des Stils und der Tonalität?“ gebildet. Es wurde hypothesenprüfend gearbeitet, da die Hypothesen nicht erst aus den Ergebnissen der empirischen Forschung, sondern vorab abgeleitet wurden. Insgesamt unterteilen sich die 22 Hypothesen in vier Hypothesenkomplexe, die sich inhaltlich in Stil, Tonalität, Motivation des Terrorismus und Nachrichtenfaktor-Dimension Nähe unterteilen. Jedem Hypothesenkomplex liegt eine eigene, untergeordnete Forschungsfrage zu Grunde.
Aufgrund der Vielzahl abhängiger Variablen, wird die Anzahl der Hypothesen vorausschauend zusammengefasst und somit begrenzt.
6.1 Hypothesenkomplex I: Stil der Boulevard- und Qualitätsmedien
Der Duden definiert den Begriff Stil unter anderem als die „[…] [durch Besonderheiten geprägte] Art und Weise, etwas mündlich oder schriftlich auszudrücken, zu formulieren“ (Dudenredaktion, o. J. c). Das journalistische Handwerk beinhaltet viele Regeln für qualitativ hochwertigen Journalismus. Joseph Pulitzer, Stifter des berühmten Pulitzer-Preises, sagte einst: „Was immer du schreibst, schreibe kurz, und sie werden es lesen. Schreibe klar, und sie werden es verstehen. Schreibe bildhaft, und sie werden es im Gedächtnis behalten“ (Liesem, 2015: 1). Die drei wichtigsten Voraussetzungen für einen stilistisch guten Journalismus sind demnach: Prägnanz, Präzision und Bildhaftigkeit. Diese Voraussetzungen können mit Hilfe syntaktischer, lexikalischer und rhetorischer Mittel erfüllt werden (vgl. Kapitel 4.2.1).
Neben Faustregeln wie dem Ludwig-Reiners-Schema (vgl. Liesem, 2015: 2f), welches die Lesbarkeit eines Satzes anhand dessen Länge bewertet, gibt es auch weitere, objektivere Modelle zur Bewertung eines journalistischen Textes. Ein Beispiel hierfür ist das Hamburger Verständlichkeitsmodell oder das darauf aufbauende Karlsruher Verständlichkeitskonzept. Letzteres stellt zum Punkt Anregende Zusätze, folgende Aussage auf: „Zitate, Personalisierungen und rhetorische Stilmittel können hilfreich sein, sofern sie auch der Einfachheit und Prägnanz dienen“ (ebd.: 46).
Diese stiltheoretischen Vorgaben des Journalismus, die „[…] die Textgebundenheit von Stil zum Ausgangspunkt hat […]“ (Hoffmann, 1987: 68), erlauben eine Operationalisierung von stilistischen Mitteln im Rahmen der Forschung.
Wie im vorangehenden Kapitel bereits erläutert wurde, konnte bereits in einigen spezifischen Forschungen festgestellt werden, dass Boulevardzeitungen kürzere Sätze formulieren und generell kürzere Artikel veröffentlichen (vgl. u. a. Voss, 1999: 48). Ob diese Annahmen auch bei der Berichterstattung über verschiedene Terroranschläge zutreffen, gilt es abermals zu prüfen.
In Rückbezug auf das übergeordnete Thema dieser Arbeit und die in Kapitel 3 bereits erläuterten Merkmale von Boulevard- und Qualitätsmedien, stellt sich somit die untergeordnete Forschungsfrage: Welche stilistischen Mittel sind in Boulevard- und Qualitätszeitungen bei der Terrorismusberichterstattung identifizierbar?
H I.1: Boulevardzeitungen nutzen signifikant mehr Fragezeichen und Ausrufezeichen in Form nicht-neutraler Satzkonstruktionen als Qualitätszeitungen.
H I.2: Boulevardzeitungen arbeiten mit mehr Stilmitteln als Qualitätszeitungen.
H I.3: Boulevardzeitungen schreiben in kürzeren, prägnanteren Sätzen als Qualitätszeitungen.
H I.4: Qualitätszeitungen behandeln terroristische Ereignisse in umfangreicheren Artikeln als Boulevardzeitungen.
6.2 Hypothesenkomplex II: Tonalität der Boulevard- und Qualitätszeitungen
Mit der Frage nach dem Stil eines journalistischen Beitrags ist maßgeblich auch die Frage nach der Tonalität verbunden. Ersteres beschäftigt sich mit der Frage des Wies auf semantischer und rhetorischer Ebene, während es die Tonalität auf der lexikalischen Ebene erfragt. Demnach ist die Tonalität in dieser Arbeit definiert als die Art der Präsentation beziehungsweise Konnotation der dargestellten Beitragsinhalte.
Um ein differenziertes Bild der Tonalität der Berichterstattung der Qualitäts- und Boulevardzeitungen zu erhalten, sollen die einzelnen Hypothesen die Bewertung der verschiedenen Handlungsträger prüfen.
Hierbei kann man folgendermaßen unterscheiden:
(1) Die Bewertung von Tätern: Diese werden entweder als alleinhandelndes Individuum oder als Teil eines Netzwerkes bewertet. Die persönlichen Lebensumstände der Täter spielen oft eine wichtige Rolle in der Berichterstattung über sie.
(2) Die Bewertung von weiteren Akteuren, zum Beispiel Opfern. Warum wurde jemand zum Opfer eines Terroranschlags und wie konnte es überhaupt dazu kommen?
Neben den oben genannten Handlungsträgern können in der Berichterstattung viele weitere Faktoren und Umstände (zum Beispiel die Bewertung der Motive des Terrorismus, vgl. Kapitel 6.3) oder Handlungsträger (zum Beispiel die Politik, Rettungskräfte, etc.) thematisiert werden.
Journalisten können mit einer positiven, negativen, neutralen oder ambivalenten Berichterstattung die Rezipienten beeinflussen (Raupp & Vogelgesang, 2009: 57). Wie bereits in Kapitel 4.2.2 erklärt, muss die Triade Sprache – Kognition – Emotion ganzheitlich betrachtet werden. In einer logischen Schlussfolgerung bedeutet das auch, dass emotionalisierte Sprache in der Berichterstattung vermutlich einen anderen Einfluss auf Rezipienten hat als eine neutrale Berichterstattung ohne emotionalisierende Elemente.
Es stellt sich daher die Frage, ob und welche Unterschiede es in der Tonalität von Terrorismusberichterstattung in Boulevard- und Qualitätszeitungen gibt. Aufgrund bisheriger Forschungen, die darauf hinweisen, dass die Emotionalisierung ein spezifisches Kennzeichen der Boulevardpresse ist (vgl. u. a. Voss, 1999: 104; Schütte, 2012: 153), wird hierbei ein besonderes Augenmerk auf die Bewertung der Täter und Opfer als Akteure gelegt.
H II.1: Boulevardmedien berichten emotionalisierter über Täter als Qualitätsmedien.
H II.2: Boulevardmedien berichten emotionalisierter über Opfer als Qualitätsmedien.
6.3 Hypothesenkomplex III: Einfluss der Motivation von Terroristen auf die Berichterstattung
Terrorismus hat, wie bereits in Kapitel 2.2 erläutert, unterschiedliche Gründe und Ausprägungen. Die Motivation eines Terroristen kann sehr individuell sein, dennoch kann man sie in verschiedene Strömungen einordnen. Zwei der geläufigsten dieser Zeit und für diese Arbeit relevant, sind der politisch-motivierte Rechtsterrorismus und der (zumindest oberflächlich religiös-motivierte) islamistische Terrorismus.
Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs haben sich eine ganze Reihe rechtsextremistischer Gruppen in Deutschland gegründet, welche bei Anschlägen allein in den 1970er und -80er-Jahren mehr als zwei Dutzend Menschen töteten (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2013). Trotz dessen fand Rechtsterrorismus in deutschen Medien für eine lange Zeit nur wenig Beachtung. Dies änderte sich erst mit den Anschlägen im norwegischen Oslo und Utøya sowie mit der Aufdeckung der rechtsterroristischen NSU (vgl. Haller, 2013: 5f).
Forschungen zum Islambild deutscher Medien zeigen, dass die Religion eine Thematik ist, „[...] über die erheblich negativer und konfliktorientierter berichtet wird als über die meisten anderen Themen“ (Hafez & Richter, 2007: 2). Bedingt durch die Islamische Revolution in Iran 1978/79, dem Erstarken des politischen Fundamentalismus und insbesondere durch die 9/11-Anschläge etablierte sich in vielen großen deutschen Medien eine Berichterstattungskultur, „[...] die die durchaus komplexe Lebensrealität von weltweit etwa 1,2 Mrd. Muslimen – der zweitgrößten Religionsgemeinschaft der Welt – in hohem Maße mit Gewalt- und Konfliktthemen wie dem internationalen Terrorismus in Verbindung bringt.“ (ebd.) Da viele deutsche Staatsbürger keinen direkten beziehungsweise nur wenig „[...] Kontakt zu Muslimen oder zur islamischen Welt, vor allem zu den Staaten von Nordafrika bis nach Südostasien, pflegen, wird ihr Islambild nachhaltig von den Massenmedien geprägt. Die demoskopische Lage des letzten Jahrzehnts zeigt einen Trend auf, wonach ein Großteil der deutschen Bürger Angst vor dem Islam hat“ (ebd.).
Diese Erkenntnisse lassen vermuten, dass es einen Unterschied in der Berichterstattung zwischen unterschiedlich motivierten Anschlägen gibt. Daher lautet die untergeordnete Forschungsfrage: Welche Unterschiede lassen sich bei der Medienberichterstattung von Boulevard- und Qualitätszeitungen über islamistischen Terror und rechtsextremistischen Terror feststellen?
Hypothesen über Boulevardzeitungen
H III.1: Die Motivation von Terroranschlägen hat einen signifikanten Einfluss auf den syntaktischen Stil der Medienberichterstattung von Boulevardzeitungen.
H III.2: Die Motivation von Terroranschlägen hat einen signifikanten Einfluss auf den rhetorischen Stil der Medienberichterstattung von Boulevardzeitungen.
H III.3: Die Motivation von Terroranschlägen hat einen signifikanten Einfluss auf die Tonalität der täterorientierten Medienberichterstattung von Boulevardzeitungen.
H III.4: Die Motivation von Terroranschlägen hat einen signifikanten Einfluss auf die Tonalität der opferorientierten Medienberichterstattung von Boulevardzeitungen.
Hypothesen über Qualitätszeitungen
H III.5: Die Motivation von Terroranschlägen hat einen signifikanten Einfluss auf den syntaktischen Stil der Medienberichterstattung von Qualitätszeitungen.
H III.6: Die Motivation von Terroranschlägen hat einen signifikanten Einfluss auf den rhetorischen Stil der Medienberichterstattung von Qualitätszeitungen.
H III.7: Die Motivation von Terroranschlägen hat einen signifikanten Einfluss auf die Tonalität der täterorientierten Medienberichterstattung von Qualitätszeitungen.
H III.8: Die Motivation von Terroranschlägen hat einen signifikanten Einfluss auf die Tonalität der opferorientierten Medienberichterstattung von Qualitätszeitungen.
6.4 Hypothesenkomplex IV: Nachrichtendimension Nähe
Neben der Motivation eines Anschlags, die man wohl der Dimension Status der Nachrichtenfaktoren zuordnen könnte, liegt die Vermutung nahe, dass auch die Faktoren Nähe und Valenz (vgl. Kapitel 4.1.1) einen entscheidenden Einfluss auf die deutsche Terrorismusberichterstattung haben. Hinsichtlich der Valenz, also zum Beispiel die Anzahl der Todesopfer eines Terroranschlags, ist jedoch kaum eine Vergleichbarkeit möglich. Denn das würde die Frage aufwerfen Was ist ein Menschenleben wert?. Daher wird dieser Nachrichtenfaktor bei der Ausformulierung der untergeordneten Forschungsfrage sowie ihrer Hypothesen außer Acht gelassen.
Der Nachrichtenfaktor Nähe dagegen ist einfach zu operationalisieren, durch die Angabe einer Entfernung. Aber auch die Einteilung in das Klassifikationsmodell nach Kamps (1999: 89) ist weitestgehend simpel: es gibt Nachrichtenzentren, Nachrichtennachbarn, thematische Nachrichtennachbarn sowie Länder der Nachrichtenperipherie (vgl. Kapitel 4.1.3).
Es stellt sich demnach die Frage, welchen Einfluss hat die Nachrichtenfaktor-Dimension Nähe (nach Schulz, 1976) auf die Medienberichterstattung von Boulevard- und Qualitätszeitungen?
Hypothesen über Boulevardzeitungen
H IV.1: Wenn die geografische Nähe eines terroristischen Ereignisses hoch ist, hat das einen signifikanten Einfluss auf den syntaktischen Stil der Medienberichterstattung von Boulevardzeitungen.
H IV.2: Wenn die geografische Nähe eines terroristischen Ereignisses hoch ist, hat das einen signifikanten Einfluss auf den rhetorischen Stil der Medienberichterstattung von Boulevardzeitungen.
H IV.3: Wenn die geografische Nähe eines terroristischen Ereignisses hoch ist, hat das einen signifikanten Einfluss auf die Tonalität der täterorientierten Medienberichterstattung von Boulevardzeitungen.
H IV.4: Wenn die geografische Nähe eines terroristischen Ereignisses hoch ist, hat das einen signifikanten Einfluss auf die Tonalität der opferorientierten Medienberichterstattung von Boulevardzeitungen.
Hypothesen über Qualitätszeitungen
H IV.5: Wenn die geografische Nähe eines terroristischen Ereignisses hoch ist, hat das einen signifikanten Einfluss auf den syntaktischen Stil der Medienberichterstattung von Qualitätszeitungen.
H IV.6: Wenn die geografische Nähe eines terroristischen Ereignisses hoch ist, hat das einen signifikanten Einfluss auf den rhetorischen Stil der Medienberichterstattung von Qualitätszeitungen.
H IV.7: Wenn die geografische Nähe eines terroristischen Ereignisses hoch ist, hat das einen signifikanten Einfluss auf die Tonalität der täterorientierten Medienberichterstattung von Qualitätszeitungen.
H IV.8: Wenn die geografische Nähe eines terroristischen Ereignisses hoch ist, hat das einen signifikanten Einfluss auf die Tonalität der opferorientierten Medienberichterstattung von Qualitätszeitungen.
7. Empirisches Vorgehen
Nach der ausführlichen theoretischen Fundierung des Forschungsprojekts sowie der Ausformulierung der Forschungsfragen und dazugehöriger Hypothesen, wird im folgenden Kapitel erläutert wie das empirische Vorgehen strukturiert ist. Hierbei werden sowohl Methodik als auch Untersuchungsgegenstand, -material und -zeitraum betrachtet.
7.1 Methodik und Forschungsdesgin
„Die Inhaltsanalyse ist eine empirische Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen, meist mit dem Ziel einer darauf gestützten interpretativen Inferenz auf mitteilungsexterne Sachverhalte“ (Früh, 2015: 29).
Sie bietet sich daher an, um Medieninhalte, wie in diesem Fall die Terrorismusberichterstattung deutscher Qualitäts- und Boulevardzeitungen, zu untersuchen. Die Vorteile dieser empirischen Methode sind zahlreich: die Inhaltsanalyse beeinflusst den Untersuchungsgegenstand nicht; es bedarf keiner Vorstrukturierung des Materials vor der Veröffentlichung; auch große Datenmengen können effizient gemessen werden; und zuletzt ist es mit der Methode möglich eine empirische Untersuchung flexibel und gegenstandsgerecht zu konzipieren (vgl. Bonfadelli, 2002: 79f).
Das Forschungsdesign dieser Arbeit entspricht einem theoriegeleiteten, deduktiven Vorgehen.
7.2 Grundgesamtheit des Untersuchungsgegenstandes
Allein im Jahr 2018 gab es weltweit 8.093 Terroranschläge (vgl. US Department of State 2019a). Das entspricht 22,17 Anschlägen pro Tag, statistisch gesehen also beinahe stündlich einer. Die meisten dieser Anschläge fanden in den kriegsgebeutelten Ländern Afghanistan (1.294), Syrien (871) und im Irak (765) statt (vgl. US Department of State 2019b). In der Europäischen Union kam es zu 129 Angriffen im Jahr 2018 sowie zu 1.056 Festnahmen von Terrorverdächtigen (vgl. European Union Agency for Law Enforcement Cooperation, 2019: 11). Mit Sicherheit wurde über die meisten, wenn nicht sogar alle, dieser Ereignisse berichtet. Eine Grundgesamtheit, also die Menge aller journalistischen Berichte, festzulegen scheint jedoch unmöglich. Sie ist daher unbekannt (vgl. Rössler, 2017: 68ff).
Aus diesem Grund wird die Menge dieser Berichterstattung zeitlich, örtlich sowie inhaltlich eingeschränkt (vgl. Abbildung 5).
Abbildung 5 – Schaubild der mehrstufigen Bestimmung der Auswahleinheiten (in Anlehnung an Rössler, 2017: 54 | Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Art der mehrstufigen Bestimmung der Auswahleinheiten, ist in der Medieninhaltsanalyse gängig, auch wenn man hierbei besonders systematisch vorgehen muss, um eine spätere Repräsentativität der Ergebnisse gewährleisten zu können (vgl. ebd.: 54). Im Folgenden werden die wichtigsten Eingrenzungen im Sinne der Nachvollziehbarkeit erläutert.
7.2.1 Eingrenzung des Untersuchungsmaterials durch die Wahl von terroristischen Ereignissen
Um einen Vergleich der Berichterstattung von Boulevard- und Qualitätszeitungen über Terrorismus anzustellen, werden im Rahmen der Forschung sechs verschiedene Anschläge untersucht (vgl. Tabelle 2). Die Begründung der Wahl fundiert in der Einschätzung ihrer Nachrichtenfaktor-Dimensionen Nähe, Status und Valenz (nach Schulz, 1976, vgl. Kapitel 4.1.1) sowie in ihrer (zumeist gegebenen) Aktualität.
Tabelle 2 - Auswahl der terroristischen Ereignisse zur Forschung (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das erste terroristische Ereignis, das es zu untersuchen gilt, ist der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Am Abend des 19. Dezember 2016, fuhr der Tunesier Anis Amri in einem gestohlenen Lastwagen, dessen Fahrer er zuvor tötete, in die Menschenmenge des gutbesuchten Weihnachtsmarktes. Dabei starben 12 weitere Menschen, 67 weitere wurden verletzt. Der Täter flüchtete und wurde weniger Tage später bei einer Polizeikontrolle in Mailand tödlich verletzt. Zu dem Anschlag bekannte sich der Islamische Staat (IS). Damit war der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt der erste große Anschlag des Terrornetzwerkes in Deutschland (vgl. Anetzberger, 2017: 40).
Der zweite islamistisch motivierte Anschlag, der in dieser Arbeit untersucht wird, sind die Terroranschläge von Paris. Am 13. November 2015 begingen acht Attentäter eine Serie von Angriffen in der französischen Hauptstadt, wobei sie insgesamt 130 Menschen töteten und 683 (teilweise schwer) verletzten. Zu ihren Anschlagszielen gehörte unter anderem das Fußballstadium, in dem gerade ein Freundschaftsspiel der deutschen und der französischen Nationalmannschaft stattfand, sowie die populäre Konzerthalle Bataclan. Auch hier bekannte sich der IS kurz nach der Anschlagsserie zu den Taten, mit der Begründung, dass die Anschläge eine Vergeltung für die französische Beteiligung an den Luftangriffen gegen den IS seien (vgl. Spiegel Online, 2015: o. S.).
Ebenfalls islamistisch motiviert war eine Reihe von Bombenanschlägen auf mehrere Kirchen und Hotels sowie auf ein Wohnviertel in Sri Lanka am Ostersonntag 2019. Schätzungen zu Folge kamen hierbei mindestens 359 Menschen ums Leben, darunter 45 Kinder. Über 500 weitere wurden verletzt. Die neun Selbstmordattentäter, darunter eine Frau (vgl. Tagesschau, 2019: o. S.), sollen der lokalen, radikalislamistischen Organisation National Thowheeth Jama'ath angehört haben, welche in enger Verbindung zum Islamischen Staat stehen soll (vgl. Wikipedia, 2019: o. S.). Der IS reklamiert die Planung und Durchführung der Anschläge ebenfalls für sich. Trotz der weiten Entfernung zu Deutschland und Europa, wurde dieses terroristische Ereignis vergleichsweise viel in den deutschen und internationalen Medien diskutiert. Mitunter liegt dies an der Tatsache, dass zu den Opfern des Anschlags drei der vier Kinder eines bekannten dänischen Unternehmers und Multimillionärs gehören. Die sri-lankische Regierung vermutet zudem, dass die Bombenanschlagsserie als Racheakt auf das Attentat von Christchurch gedacht war (vgl. Tagesschau, 2019: o. S.).
Bei dem rechtsextremistisch motivierten Anschlag in Hanau, erschoss Tobias Rathjens neun Menschen sowie anschließend seine Mutter und sich selbst. Am 19. Februar 2020 tötete der Täter in einer Shishabar zunächst vier Menschen, kurz darauf in einem zwei Kilometer entfernten Kiosk, fünf weitere. Anschließend brachte Tobias Rathjens in seinem Elternhaus seine Mutter und sich selbst um. Bis auf die beiden hatten alle Opfer einen Migrationshintergrund. Vor seiner Tat veröffentlichte der Täter im Internet ein Pamphlet, welches seine rassistische und antisemitische Weltansicht verdeutlichte (Spiegel Online, 2020: o. S.).
Der Terroranschlag von Oslo und Utøya, gehört wohl zu den bekanntesten rechtsextremistischen Anschlägen in Europa. Der Täter Anders Breivik zündete am 22. Juli 2011 zunächst eine Bombe im Regierungsviertel Oslos. Bei der Detonation kamen acht Menschen ums Leben. Anschließend nutzte er den Umstand, dass die norwegischen Rettungskräfte und Polizisten in der Hauptstadt versuchten, das Chaos zu ordnen, um auf die Insel Utøya zu fahren. Dort tötete er 69 vornehmlich junge Menschen, die als Teil eines politischen Sommercamps ihre Ferien dort verbrachten. Besonders perfide hierbei war, dass er sich als Polizist verkleidete und die Jugendlichen ihn für die Rettung vor dem für sie unbekanntem Schützen hielten (vgl. Hemmingby & Bjørgo, 2016: 59 – 75). Breivik wurde schließlich festgenommen und verbüßt heute eine 21-jährige Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung (vgl. ebd.: 85).
Das letzte rechtsextremistisch-motivierte terroristische Ereignis, das im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden soll, ist der Anschlag von Christchurch in Neuseeland am 15. März 2019. Der aus Australien stammende Brenton Tarrant hatte während der Freitagsgebete in zwei Moscheen um sich geschossen. Hierbei tötete er 51 Menschen und verletzte 49 weitere (teilweise schwer). Zudem filmte er die Tat und übertrug die Videos live auf Facebook. Tarrant konnte festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt werden (vgl. ZDF, 2020: o. S.).
7.2.2 Eingrenzung des Untersuchungsmaterials durch Zeitungsauswahl
Um eine vergleichbare Stichprobe zu ziehen und so eine quantitative Inhaltsanalyse durchzuführen, wurde im Anschluss die Auswahl der Boulevard- und Qualitätszeitungen definiert. Hierbei wurden jeweils die drei deutschen Boulevard- und Qualitätszeitungen mit der größten Reichweite ausgewählt. Die nachfolgende Tabelle zeigt einer Übersicht zu den wichtigsten Fakten der BILD-Zeitung, der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Zeitung Die Welt, der Kölner EXPRESS sowie der B. Z.
Tabelle 3 - Auswahl der Zeitungen zur Forschung (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
7.2.3 Eingrenzung des Untersuchungszeitraum
Um die Grundgesamtheit dieser Arbeit weiter einzugrenzen, wurde ein fester Untersuchungszeitraum festgelegt. Konkret wird im Rahmen dieser Forschung der Tag des Terroraktes sowie die darauffolgenden 14 Tage der Berichterstattung untersucht. Hiermit ist nicht nur der Aktualitätsbezug des Geschehens abgedeckt, sondern auch die auf das Terrorereignis bezogene, nachfolgende Berichterstattung. Dies beinhaltet zumeist die Verarbeitung des Geschehenen in der Gesellschaft (vgl. Rössler, 2017: 148).
7.2.4 Aufgreifkriterien zur Bestimmung des Untersuchungsmaterials
Im Anschluss wurden Suchoperatoren für jedes Ereignis definiert, um die Gesamtheit des Untersuchungsmaterials zu bestimmen. Hierfür wurde eine Kombination der Stichwörter Anschlag, Attentat und Terror mit den jeweiligen Ereignisorten und -ländern der ausgewählten terroristischen Ereignisse, sowie (falls bekannt) die Nachnamen der Täter festgelegt. Die Tabelle 4 zeigt die festgelegten Suchoperatoren der einzelnen terroristischen Ereignisse.
Tabelle 4 - Definierte Suchoperatoren der einzelnen terroristischen Ereignisse (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
7.2.5 Stichprobenziehung
Trotz der Eingrenzung der zu untersuchenden terroristischen Ereignisse, der Zeitungsmedien und des Zeitraums, ist die Menge der Artikel, immer noch relativ hoch (vgl. Anhang 1, Tabelle 9) und eine Vollerhebung somit wegen der personellen Ressourcen nicht möglich. Aufgrund dessen wird eine Stichprobenziehung erfolgen, die eine Teilerhebung des Forschungsgegenstandes ermöglicht.
Um einen Vergleich zwischen Boulevard- und Qualitätszeitung gewährleisten zu können, so wie den Einfluss der terroristischen Gesinnung auf die Terrorismusberichterstattung, erfolgt eine geschichtete, randomisierte Stichprobenziehung (vgl. Tabelle 5).
Tabelle 5 – Grundgesamtheit der Analyseeinheiten nach ihren Merkmalen und ihrer Häufigkeit (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es werden jeweils 100 Artikel über islamistische und rechtsradikale Terrorereignisse je Ereignisregion und je Zeitungsgattung gezogen. Da die Anzahl der Artikel, die außerhalb der EU (entfernt) stattgefunden haben, jeweils kleiner als 100 ist, umfasst die Stichprobe im Ganzen 998 Artikel.
7.3 Das Kategoriensystem
Das Erhebungsinstrument, also das Kategoriensystem beziehungsweise Codebuch (vgl. Anhang 2) fasst alle konkreten Anweisungen und Kriterien zusammen, um das Untersuchungsmaterial zu analysieren. Es ist also essenziell für die Beantwortung der aufgestellten Forschungsfragen und Hypothesen einer inhaltsanalytischen Forschung. Die Kategorien und ihre Ausprägungen müssen dabei besonders trennscharf gestaltet sein (vgl. Rössler, 2017: 160).
Das Kategoriensystem dieser Arbeit unterteilt sich in insgesamt 15 übergeordnete Kategorien. Diese lassen sich in acht formale Kategorien und sieben inhaltliche Kategorien unterscheiden.
Zu den formalen Kategorien gehören die Artikelnummer (V01), das Veröffentlichungsdatum (V02) und das Medium (V03). Des Weiteren wird die Darstellungsform des Artikels (V04) erhoben sowie der Umfang des Artikels in Zeichen (V05). Im nächsten Schritt werden die Häufigkeiten einzelner Satzzeichen metrisch erfasst: Ausrufezeichen (V06a), Fragezeichen (V06b) und Punkte (V06c). Zuletzt erfolgt die Zuordnung des jeweiligen Terrorereignis (V07), welcher der Artikel laut Suchoperatoren behandelt sowie die Überschrift des Artikels (V08).
Bei der Erhebung der inhaltlichen Kategorien wird zunächst metrisch erfasst, ob die Überschrift bestimmte rhetorische Mittel (V09), emotionale Reiz- beziehungsweise Schlüsselwörter (V10) und persuasive Strategien (V11) enthalten. Danach wird bestimmt, ob der Artikel sich inhaltlich mehr mit den Tätern oder den Opfern (V12) beschäftigt. Hierbei kann auch eine ausgewogene oder gar keine Orientierung erfasst werden. Im Anschluss erfolgt die metrische Erfassung von emotionalen Schlüsselwörtern (V13), bestimmter rhetorischer Mittel (V14) sowie persuasiver Strategien (V15) im Fließtext.
Das Kategoriensystem ist in diesem Fall also ein Erhebungsinstrument für überwiegend qualitative linguistische Elemente, die durch die metrische Erfassung quantitativ erfasst werden. Aufgrund der Vielfältigkeit der Merkmale, die die Berichterstattung beeinflussen, sind die Variablen also keineswegs umfassend.
7.4 Ablauf des Codiervorgang
Der Codiervorgang selbst erfolgt nach einem bestimmten Ablaufschema. Demnach ist der Codiervorgang nur unter drei Umständen zu beenden:
(1) Der Codiervorgang wird nach Variable 03 abgebrochen, weil die thematische Definition des Themas trotz Suchoperatoren oder die allgemeine Definition der Analyseeinheit nicht zutrifft.
(2) Der Codiervorgang wird nach Variable 07 beendet, weil weniger als 20 Prozent des Artikelvolumens (in Zeichen) sich mit dem definierten Anschlag und dessen Auswirkungen und/oder Handlungsträgern beschäftigen.
(3) Der Codiervorgang ist nach der letzten Variablen abgeschlossen und somit automatisch beendet.
Dieses Ablaufschema wird in der nachfolgenden Abbildung nochmals verdeutlicht.
Abbildung 6 - Ablaufschema für Codierung (angelehnt an Rössler, 2017: 99 | Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
7.5 Reliabilitätstest
Nach der Bestimmung der Grundgesamtheit, der Stichprobenziehung und der Fertigstellung des Codebuchs, folgte zur Untersuchung der Reliabilität des Forschungsinstruments eine Probecodierung. Dieser Pretest diente einerseits der Überprüfung des Codebuchs, andererseits der Messung der Intracoder-Reliabilität. Diese ist ein Maß „[...] für die Objektivität der Inhaltsanalyse, d. h. für die Offenlegung des Verfahrens und außerdem für die invariante Anwendung der Methode auf das ganze Untersuchungsmaterial, also die Systematik des Verfahrens“ (Früh, 2015: 181f).
Hierfür wurden 5 Prozent des Samples, bestehend aus jeweils 25 zufällig ausgewählten Boulevard- und Qualitätszeitungsartikeln, vorab codiert. Als geeignetes Maß wird die Reliabilität nach Holsti gewählt (vgl. ebd.). Für die durchschnittliche Reliabilität ergibt sich ein sehr guter Wert von CR = .99. Die genauen Werte sind dem Anhang zu entnehmen (vgl. Anhang 3.1.).
Weitere Messungen der Reliabilität sind nicht möglich, da die Codierung nur von einer Person vorgenommen wird.
8. Deskription der Forschungsergebnisse
Von 998 berücksichtigten Analyseeinheiten der Stichprobe, konnten 180 teilweise und 704 vollständig codiert werden. Im Folgenden werden die Forschungsergebnisse deskriptiv beschrieben, um sie im anschließenden Kapitel zu interpretieren. Der Übersicht halber werden die deskriptiven Befunde zusätzlich in Boulevard- und Qualitätszeitungen unterschieden.
Am häufigsten gehören die (teilweise) codierten Artikel (n = 884) zum Genre der Berichte, Analysen und Protokolle. Insbesondere die Boulevardzeitungen (n = 416) stechen hierbei hervor mit einem Anteil von 46,2 Prozent. Im Vergleich dazu ist dieses Genre bei den Qualitätszeitungen (n = 468) nur mit 25,9 Prozent vertreten. Darauf folgen Reportagen und Features (Boulevardzeitungen: 19,7 Prozent / Qualitätszeitungen: 28,0 Prozent) und Kommentare oder Leitartikel (Boulevardzeitungen: 13,5 Prozent / Qualitätszeitungen: 27,8 Prozent). Die anderen Darstellungsformen dagegen sind wenig vertreten (vgl. Anhang 3.2, Abbildung 11).
Die durchschnittliche Länge der Artikel betrug M = 2764,42 Zeichen (SD = 2550.932; n = 884). Die einzelnen Mittelwerte sind der Tabelle 6 zu entnehmen.
Tabelle 6 - Vergleich der Mittelwerte der durchschnittlichen Zeichenmenge nach Zeitungsmedien (n = 884 | Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus den einzelnen Mittelwerten ergibt sich für die Boulevardzeitungen ein Mittelwert von M = 1636,75 (SD = 1310.741; n = 416) und für Qualitätszeitungen von M = 3766,79 (SD = 2938.955; n = 468).
Ähnliche Unterschiede ergeben sich bei der Häufigkeit von Punkten als Satzzeichen. Für Qualitätszeitungen beträgt der Durchschnitt M = 37,89 (SD = 33.704; n = 468) und für die untersuchten Boulevardzeitungen M = 19,75 (SD = 18.915; n = 416).
Bei der Nutzung weiterer Satzzeichen, stechen die Boulevardzeitungen mit der Nutzung von Ausrufezeichen heraus: M = 0,79 (SD = 1.660; n = 416). Bei Qualitätszeitungen beträgt der durchschnittliche Gebrauch von Ausrufezeichen pro Artikel M = 0,29 (SD = 1.250; n = 468). Fragezeichen dagegen kommen bei Qualitätszeitungen (M = 1,60; SD = 3.762; n = 468) häufiger vor als bei Boulevardzeitungen (M = 0,85; SD = 1.944; n = 416). Eine Übersicht der Mittelwerte der jeweiligen Satzzeichen findet sich im Anhang 3.2 (vgl. Tabelle 13).
Alle vollständig codierten Artikel (n = 704) sind einem Terrorereignis zugeordnet und somit automatisch einer Motivation. Wie diese Verteilung aussieht, zeigt die nachfolgende Tabelle 7:
Tabelle 7 - Häufigkeitsverteilung der Analyseeinheiten (n = 704) nach ihren Merkmalen (Quelle: eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
1 vgl. Anetzberger, 2017: 40
2 vgl. Spiegel Online, 2015: o. S.
3 vgl. Tagesschau, 2019: o. S.
4 vgl. Spiegel Online, 2020: o. S.
5 vgl. Hemmingby & Bjørgo, 2016: 59 – 75
6 vgl. ZDF, 2020: o. S.
7 vgl. Media-Analyse 2020 I
8 vgl. Media-Analyse 2019 II
9 vgl. Media-Analyse 2017 II
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