Schnitzlers Erzählung „Leutnant Gustl“, die am 25. Dezember 1900 erstmalig in der „Neuen Freien Presse“ erschien, sorgte in den obrigkeitstreuen, militärischen und auch antisemitischen Kreisen für einen Skandal. Die kritische und entblößende Darstellung des Zeit- und Menschenbildes in Österreich um 1900 wurde besonders an der österreichisch-ungarischen Armee und ihrem Duellzwang demonstriert. Eng hiermit verbunden und vorrangiger Legitimationsgrund der Duelle war die Wahrung der Ehre, die zu jener Zeit einem strengen sozialen, aber auch militärischen Ehrenkodex unterlag.
Auch Hermann Sudermanns Drama „Die Ehre“, welches im Jahre 1989 zum ersten Mal aufgeführt wurde (vgl. Corkhill 1968, 112), übte scharfe Kritik an den gesellschaftlichen Ehrvorstellungen in ihren verschiedenen Ständen. Dies sollte in der Handlung besonders durch den direkten Kontakt zwischen den proletarischen und bürgerlichen Bewohnern eines Hofs verdeutlicht werden.
In der folgenden Arbeit soll daher der Frage nach den literarisch dargestellten Ehrvorstellungen des 19. Jahrhunderts in Schnitzlers „Leutnant Gustl“ und Sudermanns „Die Ehre“ nachgegangen werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Historischer Kontext: Der Ehrenkodex im 19. Jahrhundert
3. „Leutnant Gustl“ und die Ehre
3.1 Inhaltliche Darstellung der Ehre
3.1.1 Der Tod zur Wahrung der Ehre
3.1.2 Äußerliches und verinnerlichtes Ehrgefühl
3.2 Sprachliche Darstellung der Ehre
4. Ständischer Ehrenkodex in „Die Ehre“
4.1 Ehrvorstellungen: Bürgertum vs. Proletariat
4.2 Graf Trast – ein Deus ex machina
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur
1. Einleitung
Schnitzlers Erzählung „Leutnant Gustl“, die am 25. Dezember 1900 erstmalig in der
„Neuen Freien Presse“ erschien, sorgte in den obrigkeitstreuen, militärischen und auch antisemitischen Kreisen für einen Skandal. Die kritische und entblößende Darstellung des Zeit- und Menschenbildes in Österreich um 1900 wurde besonders an der österreichisch-ungarischen Armee und ihrem Duellzwang demonstriert. Eng hiermit verbunden und vorrangiger Legitimationsgrund der Duelle war die Wahrung der Ehre, die zu jener Zeit einem strengen sozialen, aber auch militärischen Ehrenkodex unterlag.
Auch Hermann Sudermanns Drama „Die Ehre“, welches im Jahre 1989 zum ersten Mal aufgeführt wurde (vgl. Corkhill 1968, 112), übte scharfe Kritik an den gesellschaftlichen Ehrvorstellungen in ihren verschiedenen Ständen. Dies sollte in der Handlung besonders durch den direkten Kontakt zwischen den proletarischen und bürgerlichen Bewohnern eines Hofs verdeutlicht werden.
In der folgenden Arbeit soll daher der Frage nach den literarisch dargestellten Ehrvorstellungen des 19. Jahrhunderts in Schnitzlers „Leutnant Gustl“ und Sudermanns „Die Ehre“ nachgegangen werden.
Neben der Einführung in den Begriff der Ehre des 19. Jahrhunderts aus sozialhistorischer Perspektive, ist für die Analyse des Ehrbegriffs bei „Leutnant Gustl“ auf die militärische Vorstellung des Ehrbegriffs zu verweisen. Weiter soll besonders für die Erläuterung der Ehrvorstellungen bei Sudermann die bürgerliche Satisfaktionsfähigkeit durch das ständische Duellprivileg verdeutlicht werden.
Im Folgenden ist der militärische Ehrenkodex mit seinen auftretenden Problemen anhand der Figur des Leutnant Gustl zu erläutern. Zudem soll kurz auf die sprachliche Verwendung der Ehre eingegangen werden, um den Ehrbegriff in „Leutnant Gustl“ vollständig zu erfassen und somit die Analyse abzurunden. Erst dann kann ein Vergleich zu Sudermanns „Die Ehre“ gemacht werden, um aufgezeigte Problematiken an diesem Werk zu bekräftigen.
Für den historischen Kontext wird von größter Wichtigkeit Freverts „Ehrenmänner“ sein, da hier in umfangreicher Darstellung der Ehrenkodex und die häufig damit zusammenhängende Duellierung vom Mittelalter bis zur frühen Bundesrepublik erläutert werden.
Wilperts Aufsatz ist für die Bearbeitung eine vordergründige Quelle, weil hier im Kurzen auf die wichtigsten Motive und Merkmale des Ehrbegriffs bei „Leutnant Gustl“ eingegangen wird. Der Aufsatz von Eilert sowie die Dissertation von Nohl bilden zusammen die relevante Literatur zur Bearbeitung von „Die Ehre“, da diese für die Erfassung der Ehrvorstellungen im Drama stets den Bezug zum soziokulturellen und historischen Kontext suchen.
2. Historischer Kontext: Der Ehrenkodex im 19. Jahrhundert
Schnitzlers Werke sind beinahe ausnahmslos von ausgesprochener Orts- und Zeitbezogenheit geprägt und lassen daher stets einen Verweis auf die historische Lage zu. Auch Sudermann bevorzugte es den Zeitbezug in „Die Ehre“ anhand exemplarischer Vertreter einer Gesellschaftsschicht oder einer Lebensweise darzustellen.
Für den Zugang zum Thema dieser Arbeit ist es deswegen unerlässlich, nötiges Wissen zur Vorstellung von Ehre im Österreich des 19. Jahrhunderts zu erwerben, um die gesellschaftliche und historische Lage des Leutnant Gustl oder der Figuren in
„Die Ehre“ angemessen reflektieren zu können.
Im 19. Jahrhundert war der Ehrbegriff bei den männlichen Angehörigen sozialer Oberschichten ein emphatisch aufgeladener Begriff. Dabei war der Wettbewerb nicht im klassischen Sinn auf Sieg oder Niederlage ausgelegt: Das Duell war stets ein Ehrenzweikampf, in dem man nicht lediglich um ein Ergebnis stritt, sondern vorrangig seine Ehre unter Beweis stellte (vgl. Frevert 1991, 14). Dies geschah bereits durch die Tatsache, dass sich beide Kontrahenten einem möglicherweise tödlich endenden Kampf stellten und „auf diese Weise zu erkennen gaben, daß sie ihre ‚Ehre’ höher schätzten als ihr Leben“ (Ebd.). Jeder Angriff auf die Ehre war daher mit einer Forderung zum Duell zu beantworten.
Besonders der militärische Ehrenkodex sah diese Form der Ahndung einer Beleidigung als einzige Möglichkeit der Ehrwahrung. Ging der Soldat dieser nicht nach und suchte etwa den gerichtlichen Weg um eine solche Angelegenheit zu klären, konnte dieser seine militärische Karriere im Weitesten als beendet betrachten, da er sich als Soldat nicht der militärischen Tradition der Ehrwahrung fügte und zudem nicht über grundlegende soldatische Charaktereigenschaften verfügte: Gradlinigkeit,
Entschlusskraft und Mut (vgl. Ebd., 121). Die sozialen Folgen waren schwerwiegend und gingen von Hohn und Spott bis zum vollständigen Verlust der Achtung unter anderen Standesgenossen. Die Entfernung aus dem Stand war folglich zu erwarten.
Das Duell war jedoch auf eine Personengruppe beschränkt: Zum Duell zugelassen waren stets nur zwei satisfaktionsfähige Menschen, die ihr Leben wagen bzw. verlieren dürfen (vgl. Matthias 1999, 122). Wer zu dem Kreis der Satisfaktionsfähigen gehörte, regelte seinerzeit die gesellschaftlich gefestigte Normvorstellung; zur Mitte des 19. Jahrhunderts war dies sogar das Ehrenrecht in den Strafgesetzbüchern. So war die Geltungsgrundlage der Duellstrafen (vgl. Frevert 1991, 94) auf den Adels- und Offizierstand begrenzt. Forderten sich Nichtadlige und Nichtoffiziere zu einem Kampf heraus bzw. griffen sich mit Degen oder Pistole an, so fiel dies nicht unter die Strafbestimmungen eines Duells, sondern war meist ein Straftatbestand des versuchten Mordes bzw. des Mordes (vgl. Ebd.).
Doch die Praxis war im Bezug auf das höhere Bürgertum eine andere, so dass es letztendlich auch für diese von keiner größeren Bedeutung war, nach welchem Paragraphen und in welcher Höhe ein Duellant ihres Standes verurteilt wurde. Gnadengesuche wurden meist erhört und kaum jemals kam es vor, dass ein Verurteilter seine Strafe in voller Länge absitzen musste – sie endeten eher in Bewährungsstrafen von wenigen Wochen (vgl. Ebd., 99).
Besonders zwischen dem „höhern“ und dem „gemeinen Bürgerstand“ zog man eine scharfe Grenzlinie und verdeutlichte durch eine ausnahmslose und sofortige Eingliederung in den Strafvollzug, wo die faktische Distinktionslinie zwischen den Schichten innerhalb des Bürgertums verlief (vgl. Ebd., 101).
Warum die Satisfaktionsfähigkeit jedoch derart ständisch gebunden war, lässt sich am Begriff der Ehre erklären, der ebenfalls ständisch beurteilt wurde: Der Ehrbegriff war ein „hochsensibler Seismograph ständischer Gliederung“ (Ebd.), denn je höher der Stand einer Person war, desto größer und empfindlicher sollte seine Ehre und sein Ehrgefühl sein. Von einem Duell könne also nur dann gesprochen werden, wenn Männer angesichts ihrer Standeszugehörigkeit über ein besonders hoch entwickeltes Ehrbewusstsein den Zweikampf suchten:
„Ein solch hohes Ehrgefühl sei nur bei Adligen und Offizieren vorauszusetzen, die sowohl aufgrund innerständischer Traditionen als auch als Reflex ihrer bedeutungsvollen Stellung im Staat eine besondere Ehre und einen besonderen Ehrenkodex ihr eigen nennen dürfen“ (Ebd., 95).
Das Verständnis des Ehrbegriffs war jedoch Mitte des 19. Jahrhunderts gespalten, so dass sich die staatliche Duellpolitik stets zwischen Toleranz und Repression zur bürgerlichen Duellierung der Ehrwahrung bewegte. Die höhere Bürgerschaft konnte das Duell gesellschaftlich und juristisch legitimieren, indem sie sich als jene bewiesen, die durch „gleiche Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft, durch gleiche Bildung des Geistes, durch gleiche ehrliebende Gesinnung und reges Ehrgefühl mit den erstgenannten [Adel und Offiziere], in gleichen Verhältnissen stehen“ (Ebd., 101). Somit gab es gerade für die bürgerliche Duellierung keine eindeutige juristische Regelung.
3. „Leutnant Gustl“ und die Ehre
Leutnant Gustl, ein Offizier der österreichisch-ungarischen Armee, muss als Repräsentant für das gesamte Wesen der k. u. k. Armee der Jahrhundertwende verstanden werden. Als Mitglied der Armee vertritt er ein Kollektiv, das sich über fest definierte Begriffe und Konzepte bestimmt. Nach Fritsche vertritt er eine
„Institution, die sich selbst überlebt hat, sich an längst veraltete, beinahe grotesk anmutende Vorstellungen von Ehre und Stand krallt und den morschen Grund, auf den sie sich beruft, nicht gewahr wird“ (1974, 141).
Im Folgenden soll der Darstellung des militärischen Ehrbegriffs in Schnitzlers
„Leutnant Gustl“ und den damit auftretenden Problematiken nachgegangen werden.
3.1 Inhaltliche Darstellung der Ehre
3.1.1 Der Tod zur Wahrung der Ehre
Der militärische Ehrenkodex besagt, dass dem Beleidigten mehr an der Wahrung seiner Ehre liegen muss, als an seinem Leben (s. Kapitel 2). Der junge Gustl wird nach einem Konzertabend im Gedränge vom Bäckermeister Habetswallner beleidigt. Der Leutnant müsste bei einem satisfaktionsfähigen Gegner nun die Möglichkeit ergreifen, seine Ehre nach militärischem Ehrenkodex zu retten. Dazu hat er „eine Tugend zu bewähren, vor deren reinem Licht die Verleumdung zu Schanden werden muß und welche anzuerkennen der Gegner selbst gezwungen wird“ (Frevert 1991, 125).
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- Arbeit zitieren
- Christoph Dabiri (Autor:in), 2008, Das Motiv der Ehre in Schnitzlers "Leutnant Gustl" und Sudermanns "Die Ehre", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118206
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