Wer sich mit der Literatur Christoph Martin Wielands beschäftigt, kann eine höchst merkwürdige Entdeckung machen: Der Fülle und dem Umfang seiner Werke steht ein extrem geringes Spektrum an Sekundärliteratur gegenüber. Die wenigen Werke, die sich überhaupt mit Wieland und seinen Schriften beschäftigen, stellen im wesentlichen Rezeptionsdokumente seiner Zeit dar. Darüber hinaus aber findet sich wenig.
Dabei wird Wieland in fast allen Literaturhandbüchern genannt und die Leistungen, die er (nicht nur als Schriftsteller) vollbrachte, werden dort auch gewürdigt. So heißt es z.B. in Barbara Baumanns Werk „Deutsche Literatur in Epochen” über Wielands Zeitschrift Teutscher Merkur: „Diese erste bedeutende Literaturzeitschrift Deutschlands erschien monatlich und genoss großes Ansehen. Sie beschäftigte sich mit literarischen, politischen, philosophischen und theologischen Fragen der Zeit und gab dem Bürgertum auf diese Weise Gelegenheit zur Meinungsbildung.” Doch Wielands Wirkungskreis erschöpfte sich hier keineswegs, denn es heißt weiter: „Wieland trug außerdem durch die Übersetzung von 22 Shakespeare- Dramen zur wachsenden Beliebtheit der englischen Literatur in Deutschland bei”. Ein drittes Betätigungsfeld – neben der Herausgabe von Zeitschriften und Übersetzungen – war schließlich das Verfassen umfangreicher eigener Werke, die ihrerseits wichtige Meilensteine der deutschen Literaturgeschichte waren. So wird über Wielands Roman Agathon bemerkt: „Mit diesem Roman, den Wieland mehrmals umarbeitete (1773; 1794) begann die Tradition des deutschen Bildungsromans”.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Analyse der Gespräche
2.1 Voraussetzungen und Ziele
2.1.1 Die Ziele Danischmends
2.1.2 Die Ziele des Sultans
2.2 Über das Verhältnis zwischen Danischmend und Schach- Gebal
2.2.1 Die Auswirkungen auf die Erzählung
2.2.2 Zusammenfassung
2.3 Charakterisierungen Danischmends und Schach- Gebals
2.3.1 Schach- Gebal
2.3.2 Danischmend
2.4 Der Erfolg der Erzählung
3 Zur Ebenengestaltung der Erzählung
3.1 Über den intendierten Wahrheitsgehalt
3.1.1 Zum Aufbau
3.1.2 Zum Inhalt
3.1.3 Schlussfolgerungen
3.2 Das Ziel der Erzählung auf einer Metaebene
4 Abschließende Bemerkungen
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Wer sich mit der Literatur Christoph Martin Wielands beschäftigt, kann eine höchst merkwürdige Entdeckung machen: Der Fülle und dem Umfang seiner Werke steht ein extrem geringes Spektrum an Sekundärliteratur gegenüber. Die wenigen Werke, die sich überhaupt mit Wieland und seinen Schriften beschäftigen, stellen im wesentlichen Rezeptionsdokumente seiner Zeit dar[1]. Darüber hinaus aber findet sich wenig[2].
Dabei wird Wieland in fast allen Literaturhandbüchern genannt und die Leistungen, die er (nicht nur als Schriftsteller) vollbrachte, werden dort auch gewürdigt. So heißt es z.B. in Barbara Baumanns Werk „Deutsche Literatur in Epochen” über Wielands Zeitschrift Teutscher Merkur: „Diese erste bedeutende Literaturzeitschrift Deutschlands erschien monatlich und genoss großes Ansehen. Sie beschäftigte sich mit literarischen, politischen, philosophischen und theologischen Fragen der Zeit und gab dem Bürgertum auf diese Weise Gelegenheit zur Meinungsbildung.”[3] Doch Wielands Wirkungskreis erschöpfte sich hier keineswegs, denn es heißt weiter: „Wieland trug außerdem durch die Übersetzung von 22 Shakespeare- Dramen zur wachsenden Beliebtheit der englischen Literatur in Deutschland bei”[4]. Ein drittes Betätigungsfeld – neben der Herausgabe von Zeitschriften und Übersetzungen – war schließlich das Verfassen umfangreicher eigener Werke, die ihrerseits wichtige Meilensteine der deutschen Literaturgeschichte waren . So wird über Wielands Roman Agathon bemerkt: „Mit diesem Roman, den Wieland mehrmals umarbeitete (1773; 1794) begann die Tradition des deutschen Bildungsromans”[5].
Aufgrund der eben dargestellten Tatsachen stellt sich fast automatisch die Frage warum Wieland zwar einerseits in Literaturhandbüchern so stark gewürdigt wird, die Interpretation seiner Werke andererseits aber so wenig attraktiv zu sein scheint. Ein möglicher Grund ist, dass die Hochschätzung der Literatur Wielands von vielen Literaturwissenschaftlern nicht geteilt wird. Ein Vertreter dieser Ansicht ist z.B. Herman Meyer, nach dessen Meinung man zur Literatur Wielands gelangt, „wenn wir jene Gipfelhöhen der Dichtung verlassen und die Regionen von mittlerer Höhenlage aufsuchen”[6].
Letztendlich lässt sich die Diskrepanz zwischen literauturhistorischer Würdigung und literaturwissenschaftlicher Vernachlässigung Wielands nicht ohne Weiteres aufklären und dies kann auch nicht das Ziel einer Hausarbeit sein, die sich vornehmlich mit einer Erzählung Wielands beschäftigt. Es gilt gleichwohl, auf diesen Zustand hinzuweisen und vielleicht durch die folgenden Gedanken den Gewinn, den eine Beschäftigung mit der Literatur Wielands bringen kann, anzudeuten. Interessanterweise wird sich im Verlaufe dieser Arbeit herausstellen, dass eben dieser Gewinn gleichzeitig Ursache der Geringschätzung sein könnte, die Wielands Werken oftmals zuteil wird.
Die Erzählung Der Goldene Spiegel oder Die Könige von Scheschian bietet eine Vielzahl an Interpretationsansätzen: Fürstenerziehung, Staatsphilosophien und das höfische Leben - all dies sind Themengebiete, die innerhalb des Werkes mehr oder weniger ausführlich behandelt werden und interessante Denkanstöße beinhalten. Dabei ist die erzählerische Komposition der Geschichte für die Darstellung der einzelnen Themen von besonderer Bedeutung, denn der Erzählvorgang verläuft in Dialogform. Aus diesem Grunde werden Ereignisse, Personen und Zusammenhänge nicht einfach vorgestellt, sondern ihr Bild ergibt sich erst aus den Dialogen, die die Personen innerhalb der Geschichte führen. Diese Dialoge sollen in der vorliegenden Hausarbeit näher beleuchtet werden. Dabei wird es zunächst einmal um die Gestaltung der Redesituation gehen. Hierbei wird auf die (hierarchische) Stellung der Personen zueinander ebenso einzugehen sein, wie auf die für die Gespräche relevanten Charaktereigenschaften der Protagonisten.
Über allem jedoch steht die Frage nach den Zielen, denn Dialoge werden immer mit einer bestimmten Absicht geführt. Der Bestimmung der Absichten sei deshalb der Hauptteil dieser Arbeit gewidmet. Es wird dabei in einem ersten Schritt um diejenigen Absichten gehen, die die Personen im Text verfolgen und die somit für den Inhalt und Verlauf der Erzählung von besonderer Bedeutung sind. Dem Leser[7] stellt sich die Frage nach den verfolgten Absichten allerdings auch auf einer Ebene, die den rein textlichen Rahmen verlässt. Deshalb wird es in einem zweiten Schritt um die Beantwortung der Frage gehen, welche Ziele Christoph Martin Wieland als (politischer) Autor durch die Erzählung erreicht hat bzw. immer noch erreichen könnte. Der Betrachtung der Form seiner Erzählung kommt dabei besondere Bedeutung zu, denn es zeichnet den Autoren Wieland (vor allem auf der Grundlage dieses Werkes) aus, „dass er die Frage der Form als ein theoretisches Problem begriff”[8]. Wieland verdeutlicht durch die Art und Weise, wie er die Figuren innerhalb seines Werkes mit den Begriffen Wahrheit und Vernunft umgehen lässt, welches Verhalten er vom Leser diesbezüglich erwartet. Er erreicht dies, indem er Grenzen aufhebt und es dem Leser ermöglicht, die Erzählung nicht nur als Spiegel des Sultans Schach- Gebal, sondern gleichzeitig auch als Spiegelbild seines eigenen Verhaltens zu lesen. Schon aus diesem Grund kann die Erzählung nicht als realhistorischer Bericht angelegt sein. Im Gegenteil: Fundierte Überlegungen Wielands haben dazu geführt, dass sie an vielen Stellen phantastische Elemente beinhaltet[9] ; dass hinter dem fiktiven Charakter dann wieder Wahrheiten hervortreten macht den besonderen Reiz der Erzählung aus und wird durch die vorliegende Hausarbeit zu beweisen sein.
2 Analyse der Gespräche
Wie in der Einleitung dargestellt, ist die Erzählung D er Goldene Spiegel in Dialogform geschrieben. Schon dadurch gewinnt sie einen ganz besonderen Charakter, denn Dialoge stellen eine spezielle Kommunikationsform dar: Sie haben Ursachen, gehen von bestimmten Voraussetzungen aus, verlaufen nach festen Regeln und sind zumeist auf ein festgesetztes Ziel hin angelegt. All diese Eigenschaften haben für den Goldenen Spiegel eine Bedeutung.
2.1 Voraussetzungen und Ziele
Beide an den Gesprächen hauptsächlich beteiligten Personen, Danischmend und der Sultan, verbinden mit der Erzählung ganz bestimmte Erwartungen und Ziele. Diese Ziele werden im Verlauf des Textes immer wieder deutlich und ihre Unterschiedlichkeit kann für die Spannung verantwortlich gemacht werden, die von Anfang an zwischen Danischmend und dem Sultan besteht.
2.1.1 Die Ziele Danischmends
Ähnlich wie der Sinesische Übersetzer, dessen Gedanken der Erzählung vorgeschoben sind, geht Danischmend von dem Gedanken (oder Wunsch) aus, dass es Schach Gebals „lebhaftestes Verlangen ist...(seine)Völker glücklich zu sehen”[10]. Um dieses Ziel verwirklichen zu können, erzählt Danischmend die Geschichte. Immer wieder betont er ihren Spiegelcharakter, also die Bedeutung, die das Vorgetragene, Fiktive, für die Realität des Sultans Schach- Gebal besitzt. Die Erzählung stellt nämlich „die natürlichen Folgen der Weisheit und Torheit in einem so starken Lichte...(dar)..., dass derjenige in einem seltenen Grade weise und gut- oder töricht und verdorben sein müsste, der durch den Gebrauch... nicht weiser und besser sollte werden können” (10). Danischmend hofft demnach darauf, dem Sultan durch seinen Vortrag bestimmte Erkenntnisse und Fertigkeiten vermitteln zu können. Zum Unglück des Philosophen muss er hierzu über Dinge reden, „die man, auch ohne Sultan zu sein, sich nicht gern geradezu sagen lässt” (23). Die Tatsache, dass diese Wahrheiten unangenehm sind, ergibt sich aus dem „Missvergnügen seines Volkes” (22) für das Schach- Gebals Regierungsform verantwortlich gemacht werden kann, wie sich im Laufe der Erzählung herausstellt. Auf die hierfür relevanten näheren Zusammenhänge wird später zurückzukommen sein.
2.1.2 Die Ziele des Sultans
Im Gegensatz zum Philosophen Danischmend besitzt die Erzählung für den Sultan ganz andere Ziele. Für ihn ist die Erzählung darauf angelegt, ihn aus einer misslichen Lage, namentlich der Schlaflosigkeit, zu befreien, wobei „alle Zerstreuungen und Ergetzlichkeiten, womit man diesem Übel zu begegnen gesucht hatte, ... nichts mehr verfangen” (22) wollten. Aus diesem Grunde ist der Vortrag Danischmends für den Sultan eine (die letzte?) Möglichkeit, ihm zum Schlafen zu verhelfen- was immer wieder betont wird. So heißt es z.B. gleich zu Beginn der Erzählung, sie sei „zur Ergetzung und zur Einschläferung des Sultans Schach- Gebal verfertigt worden” (23). Eben dieses Kriterium entscheidet für den Regenten hauptsächlich über die Qualität des Vorgetragenen. Denn auch wenn es dem Sultan darum zu tun ist, „nichts Wunderbares” (23) erzählt zu bekommen und er von den Geschichten verlangt, „dass sie wahr und aus beglaubigten Urkunden gezogen” (ebd.) sein müssen, so ist es doch für ihn am Wichtigsten, dass er am nächsten Morgen sagen kann „ich habe gut auf sie geschlafen!” (62). Erreicht Danischmend dies nicht, so verweist ihn der Sultan z.B. mit den Worten „Eure Erzählung wird mich diesmal um den Schlaf bringen, den sie mir befördern sollte” (114) auf seine eigentliche Aufgabe. Es ist für Danischmend aus verschiedenen Gründen extrem schwer, diese Aufgabe zu erfüllen. Als Hauptgrund ist festzuhalten, dass es unmöglich ist, dem Sultan angenehme Wahrheiten zu erzählen - unter der Regierung Gebals scheint es solche nicht zu geben und die fiktive Erzählung ist zu sehr Spiegel der realen Verhältnisse, um dies verdecken zu können.
[...]
[1] vgl.: Mayr, 735 ff..
[2] Vgl.: Bibliographie Wielands In: Mayr, 715 ff..
[3] Baumann, 76.
[4] Ebd..
[5] Ebd., 85.
[6] Meyer, 129.
[7] Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden in dieser Hausarbeit nur männliche Formen verwendet. Gemeint sind selbstverständlich beide Geschlechter.
[8] Reemtsma, XIV.
[9] Um dem Leser die Möglichkeit zu geben, sich mit den Figuren der Erzählung zu identifizieren, wären reale Personen ausgesprochen ungünstig gewesen. Aus diesem Grund scheint Wielands Wahl geeignet, auch wenn sich unter seinen Lesern mit Sicherheit wesentlich mehr „Philosophen als Sultane“ befunden haben. Doch auch der Sultan - als fiktive Figur- bietet Möglichkeiten des Selbsterkennens und der Selbstidentifikation.
[10] Der Goldene Spiegel, S. 8; Im folgenden werden aus Gründen der Einfachheit diejenigen Literaturangaben, die sich auf den „G oldenen Spiegel” beziehen, nicht mehr als Fußnoten auftauchen, sondern in Klammern hinter dem Zitat zu lesen sein.
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- Hanno Frey (Author), 1999, Kommunikation im und durch den "Goldenen Spiegel" von C.M. Wieland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11817
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