Das lebendige und fantasiereiche Erzählen ist Kindern vertraut. Tagtäglich erzählen sie
sich gegenseitig, was in ihrem Leben passiert ist und ihnen wichtig erscheint. Die Schule
sollte diese Sprechfreudigkeit aufrechterhalten und weiter fördern. Damit ist natürlich
nicht das Schwätzen mit dem Banknachbarn gemeint, sondern angeleitetes Sprechen
und Zuhören mit Gesprächsregeln und gelenkter Thematik. Dazu bedarf es eines
angemessenen Rahmens, in dem die Schüler auf aktive Zuhörer stoßen, denen sie ihre
Geschichten erzählen können und in dem sie selbst als Zuhörer fungieren. Indem sie
ihre Gedanken verbalisieren und mit anderen teilen, werden affektive, soziale und
kognitive Lernziele gleichermaßen erreicht, sowie Kommunikationsfähigkeit, eines der
wichtigsten soft skills in der heutigen Gesellschaft, gefördert.
Der neue bayerische Grundschullehrplan von 2000 hebt besonders im Fachbereich
Deutsch die Förderung des mündlichen Sprachgebrauchs im Themenbereich „Sprechen
und Gespräche führen“ explizit hervor. Konkretisiert wird dies im pädagogischen
Leitthema „Einander erzählen und einander zuhören“, das eine zentrale Rolle im
Deutschunterricht einnehmen soll. Neben dem Austausch von Neuigkeiten, ist das
interessante und spannende Nacherzählen von Geschichten vorgesehen, sowie das
freie Reden, bei dem sowohl das Selbstbewusstsein, das grundlegend ist, um vor
Gruppen sprechen zu können, als auch erste rhetorische Fähigkeiten entwickelt und
gefördert werden.
Ein weiteres pädagogisches Leitthema ist „Unterschiedliche Textsorten kennen und mit
ihnen umgehen“. Die im Rahmen dieser Arbeit exemplarisch dargestellte
Unterrichtseinheit, hat als zweiten Schwerpunkt die Auseinandersetzung mit der
literarischen Gattung Märchen. Die Kinder erfinden ihre eigenen Märchen und erzählen
sich diese gegenseitig. Auf diese Weise können sie deren charakteristischen Aufbau,
deren Merkmale und Struktur, optimal verinnerlichen.
Gliederung
1. Einleitung
2. Sachanalyse
2.1 Erzählen und Zuhören
2.2 Das Märchen
2.2.1 Volks- und Kunstmärchen
2.2.2 Besondere Merkmale von Märchen
2.2.3 Die Bedeutung des Märchens für Kinder
3. Didaktische Analyse
3.1 Lernziele laut Lehrplan der bayrischen Grundschule
3.2.1 Erzählen und Zuhören
3.1.2 Umgang mit Märchen
3.2. Planung einer möglichen Unterrichtseinheit (3. Klasse)
3.2.1 Grobziele und Feinziele
3.2.2 Verlaufsplan
4. Literaturverzeichnis:
5. Anhang
1. Einleitung
Das lebendige und fantasiereiche Erzählen ist Kindern vertraut. Tagtäglich erzählen sie sich gegenseitig, was in ihrem Leben passiert ist und ihnen wichtig erscheint. Die Schule sollte diese Sprechfreudigkeit aufrechterhalten und weiter fördern. Damit ist natürlich nicht das Schwätzen mit dem Banknachbarn gemeint, sondern angeleitetes Sprechen und Zuhören mit Gesprächsregeln und gelenkter Thematik. Dazu bedarf es eines angemessenen Rahmens, in dem die Schüler auf aktive Zuhörer stoßen, denen sie ihre Geschichten erzählen können und in dem sie selbst als Zuhörer fungieren. Indem sie ihre Gedanken verbalisieren und mit anderen teilen, werden affektive, soziale und kognitive Lernziele gleichermaßen erreicht, sowie Kommunikationsfähigkeit, eines der wichtigsten soft skills in der heutigen Gesellschaft, gefördert.
Der neue bayerische Grundschullehrplan von 2000 hebt besonders im Fachbereich Deutsch die Förderung des mündlichen Sprachgebrauchs im Themenbereich „Sprechen und Gespräche führen“[1] explizit hervor. Konkretisiert wird dies im pädagogischen Leitthema „Einander erzählen und einander zuhören“[2], das eine zentrale Rolle im Deutschunterricht einnehmen soll. Neben dem Austausch von Neuigkeiten, ist das interessante und spannende Nacherzählen von Geschichten vorgesehen, sowie das freie Reden, bei dem sowohl das Selbstbewusstsein, das grundlegend ist, um vor Gruppen sprechen zu können, als auch erste rhetorische Fähigkeiten entwickelt und gefördert werden.
Ein weiteres pädagogisches Leitthema ist „Unterschiedliche Textsorten kennen und mit ihnen umgehen“[3]. Die im Rahmen dieser Arbeit exemplarisch dargestellte Unterrichtseinheit, hat als zweiten Schwerpunkt die Auseinandersetzung mit der literarischen Gattung Märchen. Die Kinder erfinden ihre eigenen Märchen und erzählen sich diese gegenseitig. Auf diese Weise können sie deren charakteristischen Aufbau, deren Merkmale und Struktur, optimal verinnerlichen.
2. Sachanalyse
Die Sachanalyse gliedert sich in zwei Hauptaspekte. Der erste Teil befasst sich mit dem Thema Erzählen und Zuhören, das den zentralen Kern dieser Arbeit darstellt. Im zweiten Teil folgt eine Betrachtung der Textsorte Märchen, mit deren Hilfe das Üben des Erzählens und Zuhörens in der Grundschule an einer möglichen Unterrichtseinheit demonstriert werden soll. Um Märchen als spezielle Gattung verstehen und gezielt im Unterricht einsetzen zu können, ist es nötig diese zunächst aus literaturwissenschaftlicher Sicht zu betrachten. Dies findet mittels einer kurzen Definition des Begriffs, der Unterscheidung zwischen Volks- und Kunstmärchen, einem kurzen Abriss über die besonderen Merkmale von Märchen und der Bedeutung des Märchenerzählens für Kinder, statt.
2.1 Erzählen und Zuhören
„Kinder erzählen – wenn man sie lässt oder anleitet, von sich aus, von sich, von dem was sie bewegt. Sie erzählen von ihren Erfahrungen, Vorstellungen, Träumen und Fantasien. Sie tun es um so lieber, wenn sie bemerken, dass andere ihnen zuhören, wenn sie die Aufmerksamkeit und die erzählbedingte Zuwendung anderer spüren.“[4] Das Erzählen hat seinen didaktischen Ort sowohl im mündlichen, als auch im schriftlichen Sprachgebrauch. Zumeist wird das mündliche Erzählen als sprachliche Vergegenwärtigung zurückliegender Erfahrungen, als Weitergabe von Geschehen verstanden und ist eine im Alltag ständig ausgeübte Tätigkeit, die im hohen Maße funktionalisiert ist.[5]
Im Gegensatz zur schriftlichen Erlebniserzählung oder Nacherzählung eines literarischen Textes, nutzt der Redende beim mündlichen Erzählen bewusst und unbewusst dramaturgische Gestaltungsmittel, wie Stimmführung, Gestik und Mimik. So hat mündliches Erzählen viel mehr Ausdrucksformen als die Laute, die durch Buchstaben wiedergegeben werden. Sprecher haben beim Erzählen verschiedene Absichten und nutzen besagte Möglichkeiten, um ihrem Zuhörer das entsprechende Gefühl oder Wissen zu vermitteln, und um im idealen Fall die erwartete Reaktion zu erhalten. Sie brauchen den aktiven Zuhörer, der ihre Signale aufnimmt, versteht und ihnen eine Rückmeldung liefert. Erzählen und Zuhören bedingen sich wechselseitig, denn mündliches Erzählen bedeutet immer auch: „Sich selber öffnen und gleichzeitig andere für etwas offen machen.“[6] Kommunikation stellt Beziehungen her, hält diese aufrecht und ermöglicht soziales Verhalten. In der Erzählpraxis werden auch dem Zuhörer bestimmte Fähigkeiten abverlangt, denn Kommunikations-fähigkeit setzt das Zuhören voraus. Neben dem genauen Zuhören und der Analyse und Reflexion des Gehörten, müssen gleichzeitig die Erzählmittel decodiert werden, um die Botschaft richtig zu entschlüsseln und dann wieder entsprechend zu reagieren.
Ein Erzähler hat gewisse bildhafte Vorstellungen, gibt dem Erzählten eine emotionale Färbung und bringt Wertungen ein. Das alles wird in Sprache gefasst, ausgesprochen und auditiv in Laute umgesetzt. Bei den Zuhörern vollziehen sich nun ähnliche Prozesse, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Vom auditiven Wahrnehmungsvorgang zur Herausbildung von Vorstellungen und Bedeutungen entstehen innere Bilder. In beiden Köpfen finden Assoziationen statt, die sich deutlich unterscheiden können, da die spontane Gestaltungskraft individuell verschieden ist.[7]
Um beim Gegenüber eine Reaktion zu evozieren, muss der Erzähler sein Niveau dem Zuhörer anpassen. Bei Kindern herrschen häufig undifferenzierte, globale Vorstellungen vor und ihre Begriffe sind meist einfacher bzw. eindimensionaler Natur. Das bedeutet zugleich, dass ihre Denkoperationen weniger flexibel sind, als bei Erwachsenen. Im Wesentlichen rückt beim Erzählen das Geschehen in den Vordergrund. Indem man Geschichten genetisch aufbereitet erzählt, werden die Dinge in ihrem Entstehen klarer und begreifbarer. Das gemeinsame Ausdenken, Erfinden und Erzählen einer Geschichte ist eine besondere Art geselliger Praxis die in der Schule und an vielen anderen Orten und zu ganz verschiednen Zeiten nicht fehlen darf.[8] Aufgabe der Schule ist es, den Prozess des Erzählens durch besondere Aktivitäten zu fördern. Hierfür müssen Erzählanlässe geboten werden, die den Schülern eine positive Einstellung zum sprachlichen Ausdruck ermöglichen, und zudem eine motivierende Wirkung haben. Dabei ist selbstverständlich darauf zu achten, dass die Erzählanlässe Aspekte der kindlichen Erfahrungswelt aufgreifen.
2.2 Das Märchen
Der seit dem 15. Jahrhundert bezeugte Name „Märchen“ ist eine Verkleinerungsform des heute veralteten Wortes „maer“ oder „maere“, das ursprünglich eine kurze Erzählung, Nachricht oder Kunde benannte. Mit dem Diminutiv erfuhr das Wort jedoch zusätzlich eine Bedeutungsverschlechterung im Sinne von unwahre oder erfundene Geschichte. Im 18. Jahrhundert setzte allerdings eine Gegenbewegung ein und Märchen wurden als Quelle der Poesie neu entdeckt.[9] Mündliche Überlieferung war in alten Zeiten die ausschließliche Form der Weitergabe. Erst durch Märchensammler, wie die Gebrüder Grimm kam es im deutschsprachigen Raum zu ersten schriftlichen Fixierungen.
2.2.1 Volks- und Kunstmärchen
Hauptsächlich unterscheidet man zwischen Volks- und Kunstmärchen. Der Unterschied besteht darin, dass die Volksmärchen lange ausschließlich mündlich überliefert wurden, bis Märchensammler, wie die Gebrüder Grimm oder Ludwig Bechstein diese aufschrieben. Bekannte Beispiele sind: "Rotkäppchen", "Schneeweißchen und Rosenrot", „Der Wolf und die sieben Geißlein“ usw. Hier werden archetypische Bilder verwendet, die sich über Jahrhunderte im allgemeinen Unbewussten eines Volkes gebildet haben.
Kunstmärchen dagegen basieren auf der subjektiven Lebenserfahrung und Kreativität ihrer Autoren und werden bewusst erschaffen. Wilhelm Hauff und Hans-Christian Andersen haben Kunstmärchen geschrieben. Bekannte Beispiele sind "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" oder "Das hässliche kleine Entlein".
Zusätzlich gibt es noch Buchmärchen, die auf allgemein bekannten Geschichten beruhen, aber bewusst ausgeschmückt und literarisiert wurden, wie „Die Bremer Stadtmusikanten“, verfasst von den Gebrüdern Grimm.[10]
2.2.2 Besondere Merkmale von Märchen
Wichtig ist eine Polarisation mit einer deutlichen Trennung von Gut und Böse, Reich und Arm, Faul und Fleißig, usw. Die Charaktere sind einschichtig und kompromisslos gezeichnet. Im Mittelpunkt des Märchens steht meist ein Protagonist, mit dem sich der Rezipient identifizieren soll und um den herum alles Andere konstruiert ist. Die Sympathien und die damit verbundenen Glückswendungen im Geschehen empfangen meist die (sozial) schwächer Gestellten.
Häufig ist die Hauptperson allein und isoliert von Freunden und Verwandten, wenn sie Aufgaben zu bewältigen hat, erhält allerdings in vielen Fällen fremde, oft unerwartete Hilfe oder agiert mit Figuren, die verschiedene Funktionen haben, sei es als Kontrastfigur, wie die böse Stiefmutter, oder als Gegner, Gehilfe, Auftraggeber, usw.
Die Zahl „Drei“ als mystische Zahl spielt in Variationen eine Rolle. Die häufig vorkommende dreimalige Wiederholung einer Tätigkeit oder des Aufsagens einer Formel, bietet nicht nur Struktur und Rhythmus, sondern verleiht dem Märchen seine magische, geheimnisvolle Atmosphäre, die nicht nur Kinder in seinen Bann zieht. Forschungsergebnisse der Tiefenpsychologie, die sich mit Märchen und deren Wirkung auseinandersetzt, haben ergeben, dass eine mindestens dreimalige, positiv formulierte Wiederholung dem Unterbewusstsein die Aufnahme erleichtert.
Es gibt keine Zeit- oder Ortsangaben, denn ein Märchen ist zu jeder Zeit gleich aktuell und bedeutend, da es mit dem Rezipienten eine eigene Zeitebene bildet. Es beginnt und endet mit Formeln, wie „Es war einmal…“ oder „Wenn sie nicht gestorben sind…“[11]
2.2.3 Die Bedeutung des Märchens für Kinder
„Märchen haben einen unschätzbaren Wert, weil sie der Phantasie des Kindes neue Dimensionen eröffnen, die es selbst nicht erschließen könnte.“[12] Dabei spielen vor allem die Form und die Gestalt der Märchen eine Rolle, denn sie bieten dem Kind Bilder an, nach denen es seine Träume ausbilden kann.
Ereignisse in Märchen sind von Kindern nur als Symbole und deshalb ausschließlich in innerem Bild-Erleben zu verstehen. Als konkrete Abbilder der Realität werden Märchen ihnen ebenso unverständlich wie unerträglich. Daher bietet das Erzählen ein adäquates Gegenmittel, denn nur so stehen die Kinder eng in Kontakt zum Erzähler und haben die Möglichkeit sich ihre eigenen inneren Bilder aufzubauen.[13]
Das Erzählen von Märchen stellt für Kinder ein Erlebnis dar, denn diese Geschichten geben ihnen die Möglichkeit in ihre Gedankenwelt abtauchen zu können und außerhalb der medialisierten Umwelt ihren eigenen Bildern freien Lauf zu lassen. Auch für den Erzähler ist es sinnvoll, sich nicht den Wortlaut, sondern die Handlungsfolgen einzuprägen. Danach lassen sich die so memorierten Bilder improvisieren, sprachlich erneut beleben und erzählen. Als mögliche Gedächtnisstütze bieten sich Bilder oder Stichwörter der einzelnen Erzählschritte an.
[...]
[1] Lehrplan für die bayerische Grundschule 1/2.1 S 85; 3.1 S 189; 4.1 S 265
[2] Ebd. 1/2.1.1 3.1.1 S 189; 4.1.1 S 265
[3] Ebd. 1/2.5.4 S 97; 3.4.4 S 197; 4.4.4 S 272
[4] Claussen/Merkelbach: Erzählwerkstatt – Mündliches Erzählen, S.7
[5] Vgl. Ehlich, K.: Erzählen in der Schule, S.137
[6] Hoff, H.: Märchen erzählen und Märchen spielen, S. 29
[7] Vgl. Kaminski/Gigas: Erzähl doch mal!, S. 7f.
[8] Vgl. Merkelbach/Claussen: Erzählwerkstatt – Mündliches Erzählen, S.7
[9] Vgl. Lüthi, M.: Märchen, S. 1ff.
[10] http://www.paedagoklick.de
[11] http://www.paedagoklick.de
[12] Bettelheim, B.: Kinder brauchen Märchen, S. 13
[13] Hoff, H.: Märchen erzählen und spielen, S.48f
- Arbeit zitieren
- Ines Priegnitz (Autor:in), 2008, Mein Märchen - Dein Märchen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117913
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