Das Konzept der Zivilgesellschaft wird in der sozialwissenschaftlichen Debatte kontrovers diskutiert. Je nach Herangehensweise kommen dem Begriff unterschiedliche Intensionen zu. So wird der Begriff Zivilgesellschaft nicht nur als Bezugspunkt für allgemeine demokratietheoretische Überlegungen genutzt, sondern gewinnt auch Geltung in Bezug auf die Theorie der Europäischen Integration. Die vorliegende Arbeit widmet sich primär der Bedeutung von Zivilgesellschaft in dem Buch „Das Kosmopolitische Europa“ von Ulrich Beck und Edgar Grande. Die Autoren entwickeln in diesem eine kosmopolitische Theorie der europäischen Integration, für die sie einen realistischen Anspruch erheben. Hierbei wird eine Konzeption von Zivilgesellschaft einbezogen, die in der Lage sein soll, die theoretische Überzeugungskraft des kosmopolitischen Realismus zu stärken sowie praktische Möglichkeiten der Umsetzung aufzuzeigen. Diesbezüglich werden jedoch auch Schwächen deutlich, die sich vor allem aus der Verwendung eines normativ geprägten Konzeptes zur Festigung eines realistischen Anspruchs ergeben. An diesem Punkt setzt die Arbeit an, welche die Erwartungen an die europäische Zivilgesellschaft im Zusammenhang mit einem Kosmopolitischen Europa kritisch beleuchten soll. Zugrunde liegt hierfür folgende Ausgangsthese: „Der Zivilgesellschaftsbegriff bei Beck/Grande kann nicht in dem von den Autoren vorgesehenen Umfang zur Fundierung des kosmopolitischen Realismus beitragen.“
Die Vorgehensweise der Arbeit gliedert sich wie folgt: Zunächst sollen die Entwicklung des Begriffs Zivilgesellschaft historisch skizziert sowie begriffliche Zusammenhänge geklärt werden. Es folgen einige Ausführungen zur aktuelleren Diskussion unter Bezugnahme auf substantialistische bzw. prozeduralistische Konzeptionen, die für die weiteren Überlegungen von Relevanz sind. Im anschließenden Teil wird die Bedeutung von Zivilgesellschaft im Buch „Das kosmopolitische Europa“ herausgestellt, um sodann in einem weiteren Kapitel Einschätzungen entlang der Eingansthese vornehmen zu können. Das Fazit der Arbeit fasst die Ergebnisse zusammen und zieht ein abschließendes Resümee in Bezug auf die zugrunde liegende Fragestellung.
1. Einleitung
Das Konzept der Zivilgesellschaft wird in der sozialwissenschaftlichen Debatte kontrovers diskutiert. Je nach Herangehensweise kommen dem Begriff unterschiedliche Intensionen zu. So wird der Begriff Zivilgesellschaft nicht nur als Bezugspunkt für allgemeine demokratietheoretische Überlegungen genutzt, sondern gewinnt auch Geltung in Bezug auf die Theorie der Europäischen Integration. Die vorliegende Arbeit widmet sich primär der Bedeutung von Zivilgesellschaft in dem Buch „Das Kosmopolitische Europa“ von Ulrich Beck und Edgar Grande. Die Autoren entwickeln in diesem eine kosmopolitische Theorie der europäischen Integration, für die sie einen realistischen Anspruch erheben. Hierbei wird eine Konzeption von Zivilgesellschaft einbezogen, die in der Lage sein soll, die theoretische Überzeugungskraft des kosmopolitischen Realismus zu stärken sowie praktische Möglichkeiten der Umsetzung aufzuzeigen. Diesbezüglich werden jedoch auch Schwächen deutlich, die sich vor allem aus der Verwendung eines normativ geprägten Konzeptes zur Festigung eines realistischen Anspruchs ergeben. An diesem Punkt setzt die Arbeit an, welche die Erwartungen an die europäische Zivilgesellschaft im Zusammenhang mit einem Kosmopolitischen Europa kritisch beleuchten soll. Zugrunde liegt hierfür folgende Ausgangsthese: „Der Zivilgesellschaftsbegriff bei Beck/Grande kann nicht in dem von den Autoren vorgesehenen Umfang zur Fundierung des kosmopolitischen Realismus beitragen.“
Die Vorgehensweise der Arbeit gliedert sich wie folgt: Zunächst sollen die Entwicklung des Begriffs Zivilgesellschaft historisch skizziert sowie begriffliche Zusammenhänge geklärt werden. Es folgen einige Ausführungen zur aktuelleren Diskussion unter Bezugnahme auf substantialistische bzw. prozeduralistische Konzeptionen, die für die weiteren Überlegungen von Relevanz sind. Im anschließenden Teil wird die Bedeutung von Zivilgesellschaft im Buch „Das kosmopolitische Europa“ herausgestellt, um sodann in einem weiteren Kapitel Einschätzungen entlang der Eingansthese vornehmen zu können. Das Fazit der Arbeit fasst die Ergebnisse zusammen und zieht ein abschließendes Resümee in Bezug auf die zugrunde liegende Fragestellung.
2. Definitionen von Zivilgesellschaft und begriffliche Zusammenhänge:
Um als Ausgangslage für die weiteren Überlegungen entlang der Thematik begriffliche Klarheit zu schaffen, soll im Folgenden der Begriff Zivilgesellschaft verdeutlicht werden. Hierbei sind nicht nur die jüngeren historischen Entwicklungen des expliziten Begriffs von Relevanz, sondern auch die Interdependenzen bzw. Abgrenzungen von Zivilgesellschaft, Bürgerschaft, Demokratie und Identität. Das Ziel der Arbeit, die theoretischen Überlegungen von Ulrich Beck und Edgar Grande bezüglich der europäischen Zivilgesellschaft zu bewerten setzt voraus, den Begriff in einem weiten Zusammenhang interpretieren zu können.
Zunächst soll ein Überblick bezüglich der historischen Entwicklungen des Begriffs der Zivilgesellschaft aufgezeigt werden.
2.1. Historischer Überblick
Eine historische Bestimmung der Theorieentwicklung lässt sich vor allem in den frühen Entwicklungsphasen des Begriffs nur in geringem Maße allgemeingültig vornehmen. So sind in der Verwendung unterschiedlicher Sprachen während mehrerer Epochen variierende Begrifflichkeiten und Bedeutungen im Zusammenhang mit Zivilgesellschaft zu verzeichnen.[1] Einen sinnvollen Ansatzpunkt bietet jedoch die Zeit der europäischen Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, da während dieser Epoche die fortschrittlichen Auslegungen des Begriffs ihren Anfang nahmen. Hier war vor allem eine prozessuale Entwicklung der Zivilisiertheit von Gesellschaft in Abgrenzung zur Rückständigkeit und Primitivität von Bedeutung. Die Zivilisiertheit als solche drückte sich neben der Teilnahme am ökonomischen und kulturellen Leben sowie der Bildung nach heutigem Maßstab am prägnantesten durch die zunehmend wünschenswerte Emanzipation der Menschen von der Obrigkeit und den Beschränkungen des Standes aus. Das Recht des Menschen sollte an die Stelle von Fremdbestimmtheit und Einschränkung treten. Hier wird schon in einem frühen Stadium die normative Bedeutung einer Begrifflichkeit deutlich, die sich bis in die Gegenwart weiterverfolgen lässt:
„Mit all dem fand eine … normative Aufladung statt, wurde der Begriff „civil society“ in kritischer Distanz zum Ist-Zustand bestimmt: als Bewegungs- und Zielbegriff, antitraditional, antiständisch, aufklärerisch-modern“[2]
Zu diesem frühen Zeitpunkt der Theoriegeschichte waren die Bedeutung von Zivilgesellschaft und Bürgergesellschaft kaum zu unterscheiden. Normatives Ziel war es, an gesellschaftlichem Einfluss partizipierende Bürger eines Staates zu schaffen, die sich durch ein Streben nach Freiheit und Rechtsstaat auszeichnen lassen sollten.[3]
In der Folgezeit entwickelte sich die von der Aufklärung ausgehende Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft bzw. Bürgern weiter und es entstand Anfang des 19. Jahrhunderts eine Definition von Zivilgesellschaft, die vor allem durch die Rechtsphilosophie Hegels beeinflusst war. Dieser nahm nicht nur eine bloße Unterscheidung der beiden Faktoren Zivilgesellschaft/Bürgergesellschaft und Staat vor, sondern ging von einem ausdifferenzierten Verhältnis aus, in dem die erstere in einem untergeordneten Abhängigkeitsverhältnis zum Staat zu verstehen ist. Nach diesem Verständnis gilt die bürgerliche (Zivil-)Gesellschaft als Element des funktionierenden Staates und ist durch diesen Bedingt.
„Die bürgerliche Gesellschaft ist die Differenz welche zwischen die Familie und den Staat tritt, wenn auch die Ausbildung derselben später als die des Staates erfolgt; denn als die Differenz, setzt sie den Staat voraus, den sie als Selbstständiges vor sich haben muss.“[4]
Das sich zur dieser Zeit stark entwickelnde System des Kapitalismus und die zunehmende Industrialisierung sind als weitere Einflussfaktoren zu nennen, welche das Verständnis von ziviler Gesellschaft zu dieser Zeit veränderten. Diese wurde nun häufig als bürgerliche Gesellschaft im Sinne des französischen Begriffs „Bourgeoisie“ betitelt und bezeichnete den dominierenden bürgerlichen Mittelstand im kapitalistischen Wirtschaftssystem.[5] An diesem Punkt knüpft die Kritik von Marx an, die eine Trennung der Begriffe bürgerliche Gesellschaft und Zivilgesellschaft in der deutschen Sprache zur Folge hatte. Marx interpretiert die Hegelsche Einordnung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat als Merkmal einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Die Trennung zwischen beiden ist nach seiner Denkart aufzuheben, um den „Staat als das Ganze des Daseins eines Volkes“ umzusetzen. Der Aufbau der bürgerlichen Gesellschaft ist für Marx Ausdruck der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und dessen Logik unterworfen. In den Menschenrechten bzw. den Rechten der Bürger sieht er hieraus folgernd nur eine Reproduktion der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die der dominierenden kapitalistischen Klasse der Bürger zugute kommt. Der Begriff der Zivilgesellschaft, der im deutschen bis dato häufig synonym mit dem Begriff der bürgerlichen Gesellschaft genutzt wurde, erfuhr durch diese Marxsche Kritik einen Bedeutungswandel. Er bezog sich nun vor allem auf die Gesellschaft im Kapitalismus und war im Unterschied zum ursprünglichen Zivilgesellschaftsverständnis nicht mehr vorbehaltlos zu als positiv besetzte Begrifflichkeit zu nutzen.[6]
Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Begriff der Zivilgesellschaft schließlich von dem marxistischen Theoretiker Antonio Gramsci zu einer linken zivilgesellschaftlichen Idee weiterentwickelt. Gramsci unterscheidet zwischen den Begriffen societa politica und societa civile, wobei ersterer alle dem Staate zuzuordnende Faktoren wie Rechtswesen, Regierung, Polizei bezeichnet, während letzterer sich auf alle nichtstaatlichen Faktoren, wie Arbeitgeber, Gewerkschaften, Verbände, Presse usw. bezieht. Die societa civile, die Zivilgesellschaft nimmt eine Position ein, die zwar Different gegenüber dem Staat ist, diesem aber nicht wie im Falle der Hegelschen Auslegung als ein Teilelement untergeordnet ist. Weder die Aufnahme von gesellschaftlichen Problematiken und deren Übermittlung in die Politik, ein Verständnis von Zivilgesellschaft, das im Zuge modernerer Definitionen noch näher zu erläutern sein wird, noch die Beförderung einer stabilen demokratischen Ordnung ist nach dieser Denkart die Funktion der Zivilgesellschaft. Diese soll vielmehr die Fähigkeit aufweisen, gesellschaftliche Probleme aus sich selbst heraus zu lösen, ohne dafür auf den, durch die Bourgeoise bestimmten, Staatsapparat angewiesen zu sein. Auf diesem Wege gelangt die Zivilgesellschaft zu wachsendem politischen Einfluss und ist schließlich in der Lage, die herrschenden Machtstrukturen zu überwinden.[7]
[...]
[1] Vgl. u. a. Cohen/Arato: Civil Society and Political Theory, S. 83 ff.
[2] Kocka, Jürgen: Zivilgesellschaft als historisches Problem und Versprechen, in: Hildermeier/Kocka/Konrad (Hrsg.): Europäische Zivilgesellschaft in Ost und West, S. 15
[3] Vgl. Drechsler/Hilligen/Neumann: Gesellschaft und Staat, S. 146 + 147
[4] Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Bülow, Friedrich: Hegel, Volk, Staat, Geschichte. Eine Auswahl aus seinen Werken, Zusatz zu §182
[5] Vgl. Kocka, Jürgen: Zivilgesellschaft als historisches Problem und Versprechen, in: Hildermeier/ Kocka/ Konrad (Hrsg.): Europäische Zivilgesellschaft in Ost und West, S. 16 + 17
[6] Vgl. Klein, Ansgar: Der Diskurs der Zivilgesellschaft, S. 103 + 104
[7] Vgl. Ammon, Günther: Staat und Gesellschaft in Italien, in: Ammon, Günther/Hartmeier, Michael (Hrsg.) Zivilgesellschaft und Staat in Europa, S. 42 ff.
- Quote paper
- Fabian Wiencke (Author), 2007, Kritische Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Zivilgesellschaftsbegriffs für die Theorie eines kosmopolitischen Europas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117762
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