Kandinskys abstrakte Malerei kann schnell nur als eine Zusammenführung irgendwelcher farbiger Linien oder Flächen betrachtet werden. Manchen erscheint sie sogar als hässlich, sinnlos und geistlos. Man könnte vielleicht sogar so weit gehen und Abstraktion als eine Zerstörung des Lebendigen sehen. Kandinsky hingegen sieht in der abstrakten Kunst das Geistige und somit auch das Religiöse. Aber was genau meint Kandinsky mit abstrakt? Das Abstrakte bildet in seinen Ausführungen den Gegensatz zum Gegenständlichen. Er versteht darunter folglich eine gegenstandlose Kunst. „...je mehr die organische Form zurückgetrieben wird, desto mehr dieses Abstrakte von selbst in den Vordergrund tritt...“. Allerdings definiert er den Begriff des Abstrakten nicht wirklich konkret. Es wird aber in seinen Ausführungen deutlich werden, dass er das Abstrakte für die wahre Realität hält. So soll seines Erachtens ein Kunstwerk nicht einfach nachahmen, sondern zu den geistigen Ursachen hinaufsteigen, aus denen die Natur stammt.
Kandinsky brach also mit der naturalistischen Tradition. Er setzte einen neuen Maßstab, wobei nicht nur das als real und als absolut wahr erachtet wird, was man sehen und wissenschaftlich belegen kann, sondern das es noch etwas gibt, was darüber hinaus geht. Das Abstrakte könnte man hier auch eine Relativierung nennen oder eine Verschlüsselung des Gegenstandes. Für Kandinsky hat das Abstrakte „reine Formen“, „reine Farben“ und „reine Flächen“ und somit impliziert das auch für ihn die „reine Schönheit“. Er spricht hier auch von „reinen malerischen Mitteln“, welche der Künstler für sein Werk verwendet. Das Reine meint hier das Konkrete, Definierte und Unvermischte. Die Farben sind immer in eine Form oder Fläche eingebettet und stets unifarben, niemals gemischt oder gar gemustert. Auch die Formen und Flächen sind klar und deutlich abgegrenzt, um sich und den Betrachter somit nicht abzulenken oder gar abschweifen zu lassen, sondern es soll ein meditatives Versinken ermöglichen und Kontemplation fördern. Die Reinheit wird gewonnen durch das Absehen vom Äußerlichen oder Äußeren. Also das Freisein von Nebensächlichen. Nur das Abstrakte zeigt und ermöglicht erst das Reale, die reine Wirklichkeit und Wahrheit. [..]
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Methodischer Zugang
II. Hauptteil
2.1 Zum Begriff des Religiösen nach Thomas Luckmann
2.2 Zur Begrifflichkeit von Kunst
2.3 Die Kunsttheorie von Wassily Kandinsky
III. Schluss
IV. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
1.1 Problemstellung
Kandinskys abstrakte Malerei kann schnell nur als eine Zusammenführung irgendwelcher farbiger Linien oder Flächen betrachtet werden. Manchen erscheint sie sogar als hässlich, sinnlos und geistlos. Man könnte vielleicht sogar soweit gehen und Abstraktion als eine Zerstörung des Lebendigen sehen. Kandinsky hingegen sieht in der abstrakten Kunst das Geistige und somit auch das Religiöse.
Aber was genau meint Kandinsky mit abstrakt? Das Abstrakte bildet in seinen Ausführungen den Gegensatz zum Gegenständlichen. Er versteht darunter folglich eine gegenstandlose Kunst. „...je mehr die organische Form zurückgetrieben wird, desto mehr dieses Abstrakte von selbst in den Vordergrund tritt...“.[1] Allerdings definiert er den Begriff des Abstrakten nicht wirklich konkret. Es wird aber in seinen Ausführungen deutlich werden, dass er das Abstrakte für die wahre Realität hält. So soll seines Erachtens ein Kunstwerk nicht einfach nachahmen, sondern zu den geistigen Ursachen hinaufsteigen, aus denen die Natur stammt.[2] Kandinsky brach also mit der naturalistischen Tradition. Er setzte einen neuen Maßstab, wobei nicht nur das als real und als absolut wahr erachtet wird, was man sehen und wissenschaftlich belegen kann, sondern das es noch etwas gibt, was darüber hinaus geht. Das Abstrakte könnte man hier auch eine Relativierung nennen oder eine Verschlüsselung des Gegenstandes.
Für Kandinsky hat das Abstrakte „reine Formen“, „reine Farben“ und „reine Flächen“ und somit impliziert das auch für ihn die „reine Schönheit“. Er spricht hier auch von „reinen malerischen Mitteln“[3], welche der Künstler für sein Werk verwendet. Das Reine meint hier das Konkrete, Definierte und Unvermischte.
Die Farben sind immer in eine Form oder Fläche eingebettet und stets unifarben, niemals gemischt oder gar gemustert. Auch die Formen und Flächen sind klar und deutlich abgegrenzt, um sich und den Betrachter somit nicht abzulenken oder gar abschweifen zu lassen, sondern es soll ein meditatives Versinken ermöglichen und Kontemplation fördern. Die Reinheit wird gewonnen durch das Absehen vom Äußerlichen oder Äußeren. Also das Freisein von Nebensächlichen.[4] Nur das Abstrakte zeigt und ermöglicht erst das Reale, die reine Wirklichkeit und Wahrheit. Und der Künstler sei geradezu zum abstrakten Malen verpflichtet, denn: „ Es gibt in der Kunst keine vollkommene materielle Form.“[5]
Gereinigt von allen materiellen Dingen und durch das Verwenden von reinen Mitteln, stellt sich also die Abstraktion dar. Wobei die Zuordnung der Farben zu den Gegenständen überwiegend der natürlichen Ordnung folgt. Die Dächer werden rot gemalt, der Himmel Blau, usw.. Das Reale ist bei Kandinsky immer das Geistige, die nichtmaterielle Welt.
Was bezeichnet Kandinsky nun wiederum als schön? Das Schöne nimmt bei Kandinsky für den Erkenntnisprozess eine besondere Rolle ein. Allerdings distanziert sich der Maler hier vom „äußeren“ Schönen. Nur das „innere“ Schöne, das auch ethische Werte beinhaltet, hat eine Bedeutung. „Das ist Schön, was „innerlich“ schön ist...“[6] Das „innere“ Schöne entsteht also unter Verzicht auf das gewohnte Schöne. Der Künstler steht in der Pflicht der Kunst höheren Zwecken zu dienen; er soll sich erziehen und die eigene Seele vertiefen, pflegen und entwickeln.[7] Hier wird deutlich, dass es Kandinsky mehr als nur um Kunst oder die Erkenntnis Gottes geht. Man könnte vielleicht sogar einen anthropologischen Ansatz erkennen, wobei es um den konkreten Menschen geht. Die Seele soll verfeinert, bereichert und verwandelt werden. Der Mensch kann eine höhere Entwicklung durch die Kunst erreichen, weil die Kunst „Potenzen der Zukunft in sich birgt“[8], „im Dienste des Göttlichen steht“[9] und „den Menschen in das Reich von Morgen führt.“[10] Ein eschatologischer Sinn der Kunst wird hier ebenso deutlich und somit könnte dies ein Indiz für das Religiöse in seiner Kunst sein und soll überprüft werden.
Aber was bezeichnet eigentlich das Geistige bzw. das Religiöse im Konkreten?
Das wichtigste Kriterium der Kunstauffassung Kandinskys ist die Überzeugung, dass die Kunst ein Weg zur Erkenntnis Gottes sein kann. Der Kunst wird hier eine vermittelnde Rolle zwischen der göttlichen und menschlichen Welt zugeschrieben.
Es wird in meinen folgenden Ausführungen deutlich werden, dass Kandinsky nach einem „neoplatonischen Bildkonzept“ malt und denkt. Das abstrakte Bild wird als Materialisation einer a piori existierenden Idee, also von einem Geist als Urheber des Werkes gesehen. Seine abstrakten Bilder sind folglich Darstellungen einer Idealität, die nur er als Künstler wahrnehmen und vermitteln kann.
Prägnant ist, dass Kandinsky die Primärsetzung von Gefühl und Intuition gegenüber Logik und Verstand als grundlegend in seiner Kunst begreift. „Sein offenes Auge soll auf sein inneres Leben gerichtet werden und sein Ohr soll dem Munde der inneren Notwendigkeit stets zugewandt sein. Dies ist der einzige Weg, das Mystischnotwendige zum Ausdruck zu bringen.“[11] Dies soll heißen, dass das Gefühl oder die Intuition immer die letzte Instanz bleibt. Dabei ist die Vernunft, das Bewusste, das Absichtliche. Nur wird dabei nicht der Berechnung, sondern stets dem Gefühl recht gegeben.[12] Das bedeutet, dass Kandinsky von einer Vernunft als einer zweckgerichteten Bewusstheit ausgeht, die vom Gefühl determiniert ist. In dieser Hinsicht reproduziert Kandinsky den platonischen Topos, demzufolge der Künstler aus einer göttlichen Inspiration heraus schafft. Hier scheint es deshalb eine Prädestination zu geben, denn nicht jeder Künstler gehört zu den Auserwählten und nicht jeder Betrachter kann sich zur Erkenntnis des Geistigen emporschwingen. So habe der Künstler eine höhere Gabe, die ihm oft ein schweres Kreuz sei, und der er sich manchmal entledigen möchte.[13] Und Verstehen sei Heranbildung des Zuschauers auf den Standpunkt des Künstlers.[14] Demzufolge müsste dem Betrachter auch eine höhere Gabe zukommen. Das Verstehen, Erfassen und Schaffen von Kunst ist folglich ein Gnadengeschenk Gottes.
Das Körperliche, d. h. gegenständliche Formen werden also durch abstrakte Formen ersetzt, indem der Künstler von seinem Gefühl oder eher von der göttlichen Inspiration, „geführt“ wird. So sagt Kandinsky entsprechend: „...dieses Hineinkomponieren der rein abstrakten Form soll der einzige Richter, Lenker und Abwäger das Gefühl sein.“[15] Und weiter: „ In der Kunst geht nie die Theorie voraus, und zieht die Praxis nach sich, sondern umgekehrt.“[16] Hier ist alles und ganz besonders im Anfang Gefühlssache. Nur durch das Gefühl ist das künstlerisch Richtige zu erreichen. So arbeite die Vernunft zwar mit, aber immer als sekundärer Faktor.
Kandinskys Kunsttheorie ist v. a. „Kunstwissenschaft“. Sie zielt darauf ab, Gesetze zu erschließen, z. B. die gesetzmäßigen Wirkungen der Farben in Zusammenstellung mit bestimmten Formen oder mit anderen Farben, um daraus Regeln für die Konstruktion und Komposition des Kunstwerkes abzuleiten. Diese Zielsetzung hat er in seinen beiden Büchern Über das Geistige in der Kunst und Punkt und Linie zur Fläche verfolgt. Wobei ich hier im wesentlichen auf sein Buch Über das Geistige in der Kunst eingehen werde.
Insgesamt könnte man sagen, dass die Grundthese Kandinskys davon ausgeht, dass es das Geistige in der Kunst gibt, welches das Erkennen des Religiösen, oder differenzierter ausgedrückt, das Erkennen Gottes ermöglicht.
Inwiefern ist nun das Geistige auch das Religiöse? Und ist es tatsächlich so, dass sich das Geistige in der Kunst „abbilden“ und „zeigen“ kann? Hat Kandinsky tatsächlich etwas Revolutionäres aufgedeckt, oder aber hat er einfach nur einen Kampf gegen den wissenschaftlichen, den dialektischen Materialismus zu kämpfen versucht und die Kunst als Mittel zum Zweck für seine politische, soziale und ethische Position verwendet?
1.2 Methodischer Zugang
Die Kunsttheorie Kandinskys soll in ihrer Gesamtheit systematisch dargestellt und analysiert werden. Es steht nämlich außer Frage, dass die genaue Analyse eine unerlässliche Voraussetzung für das richtige Verständnis der Kunst Kandinskys ist.
Deshalb möchte ich im Hauptteil damit beginnen, die Begrifflichkeit des Religiösen nach Thomas Luckmann darzulegen, um eine Definition dafür zu bekommen, was das Religiöse meinen kann, insofern man das überhaupt klar formulieren und bezeichnen kann. Ergänzend dazu wird ebenso versucht, eine Formulierung von Kunst zu finden und diese darzulegen. Insgesamt muss aber gesagt werden, dass es keine allgemeingültige Bezeichnung für das Religiöse und für die Kunst geben kann, denn dann würde man diese als absolut darstellen. Und da man keine Kenntnis des Absoluten haben kann, darf man hier keinen Absolutheitsanspruch erheben. Der Mensch ist weder allwissend noch allmächtig, als dass er für sich die uneingeschränkte Wahrheit beanspruchen kann. Vielmehr zeigt die Vielzahl der verschiedenen Begrifflichkeiten und Interpretationsmöglichkeiten, wie facettenreich und weitreichend die Definition von Kunst und dem Religiösen sein kann. Wobei die Verwendung des Wortes Definition ja eigentlich auch schon wieder etwas Definiertes und Ausformuliertes darstellt. Doch wenn man nicht klar definieren darf (weil man die absolute Wahrheit nicht besitzen kann), wie kann man dann überhaupt von irgendetwas sprechen?
Nach dem die Begrifflichkeiten trotzdem definiert oder besser, bezeichnet worden sind, bietet dies eine gute Grundlage dafür, um die Kunsttheorie des Malers Wassily Kandinsky im darauffolgenden Abschnitt zu entfalten. Hier soll dann deutlich werden, wie Kandinsky mit seinem Buch Über das Geistige in der Kunst seine Kunsttheorie begründet und somit das Geistige in der Kunst zu beweisen versucht. Im Schlussteil werde ich dann einen Antwortversuch auf die vorhergehend erwähnte Fragestellungen vornehmen und mein Ergebnis darlegen.
II. Hauptteil
2.1 Zum Begriff des Religiösen nach Thomas Luckmann
Luckmanns wissenssoziologischer Ansatz einer Religionssoziologie beschreibt das Problem der Religion in der Gesellschaft. Insbesondere bezieht er sich auf die Stellung des einzelnen Menschen in der gesellschaftlichen Ordnung.
Bei seiner funktionalistischen und anthropologischen Definition von Religion wird der Mensch erst durch das Transzendieren seines biologischen Wesens zum Menschen.[17] Das bedeutet, dass der Mensch erst in der Gesellschaft und ihren gesellschaftlichen Prozessen zu einem Individuum, zu einer Persönlichkeit wird.
Deshalb wird das Religiöse nicht nur als etwas Transzendentes betrachtet, sondern es zeigt sich bereits in der Vergesellschaftung des Einzelnen, in der Objektivierung der subjektiven Erfahrungen und in der Individuation des Einzelnen.[18]
Transzendenz gilt hier als Objektivierung, Überschreitung und Ablösung. Objektiviert ist das, was zugänglich ist. Also das, was aus dem verschlossenen Innern der Subjektivität nach außen gelangt ist, und „Die Ablösung aus dem Strom der eigenen Erfahrungen ergibt sich aus der Anteilnahme an den Erfahrungen eines Mitmenschen. Das wird in der Face-to-Face-Situation möglich,...In der gemeinsamen Begegnung werden die subjektiven Prozesse beider Partner Schritt für Schritt synchronisiert.“[19] Objektivierungen sind Ergebnisse subjektiver Handlungen, die – als Bestandteile einer gemeinsamen Welt – sowohl ihren Produzenten wie auch anderen Menschen zur Verfügung stehen.[20] So sind Objektivierungen also im wesentlichen soziale Gebilde.
[...]
[1] Kandinsky, Wassily, Über das Geistige in der Kunst, Bern-Bümpliz5 1956, S. 73.
[2] Ebd., S. 21.
[3] Ebd., S. 50.
[4] Kandinsky, Wassily, Über das Geistige in der Kunst, Bern-Bümpliz5 1956, S. 78.
[5] Ebd., S. 71.
[6] Ebd., S. 137.
[7] Ebd., S. 135.
[8] Ebd., S. 26.
[9] Ebd., S. 79.
[10] Ebd., S. 39.
[11] Kandinsky, Wassily, Über das Geistige in der Kunst, Bern-Bümpliz5 1956, S. 84.
[12] Ebd., S. 142.
[13] Ebd., S. 27.
[14] Ebd., S. 26.
[15] Ebd., S. 75.
[16] Ebd., S. 84.
[17] Luckmann, Thomas, Die unsichtbare Religion, Frankfurt am Main 1991, S. 12.
[18] Ebd., S. 12.
[19] Luckmann, Thomas, Die unsichtbare Religion, Frankfurt am Main, S. 83.
[20] Ebd., 80-81.
- Quote paper
- Margarete Roewer (Author), 2006, "Über das Geistige in der Kunst" von Wassily Kandinsky. Kandiskys Bruch mit der naturalistischen Tradition, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117657
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