Jeder gute und ernsthafte Dokumentarfilmer muß sich vor seiner Arbeit mit folgenden Fragen auseinandersetzen:
Was ist für mich Realität? Wie bilde ich sie ab ?Wo stehe ich selbst als Dokumentarfilmer? Nehme ich mich ganz heraus und verfälsche dadurch die Darstellung, da ich ja doch anwesend bin ?Ist mein Standpunkt teilnehmend oder eher objektiv - beobachtend ? Wieviel Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten lasse ich meinem dokumentarischen Sujèt ? Wo ziehe ich die Grenze zwischen filmischer Form und Inhalt ?
Johan van der Keuken ist ein Filmemacher , der diese Fragen aufnimmt und dort thematisiert wo sie naturgemäß zuhause sind. In seinem filmischen Werk.
Es ist nicht einfach mit ihm oder mit seinen Filmen umzugehen, kann er doch
weder der amerikanischen noch der russischen Schule zugeordnet werden. Sein Standpunkt ist irgendwo ausserhalb. Seinen Filmen haftet für den oberflächlichen Betrachter eine gewisse Unbeholfenheit an, die in ihrer konsequenten Umsetzung jedoch eine ganz eigene Ästhetik bildet. Diese Ästhetik ist, trotz ihrer improvisatorischen Elemente, durchdacht und folgt ganz bestimmten Überlegungen, auf die wir im ersten Teil näher eingehen werden.
Das Film mit dem wir uns hier befassen möchten trägt den Titel "Herman Slobbe Blindes Kind 2 " . Der Titel ist nicht zufällig gewählt ist dieser Film doch in gewisser Weise eine Fortsetzung. Die Fortsetzung eines vorhergehenden Films ( Blindes Kind 1964) über eine Gruppe blinder Kinder, unter denen sich auch Herman Slobbe befand. Herman fiel van der Keuken auf, weil er so zornig und unangepasst war und nicht bereit sich an den Platz zu stellen, den ihm die Gesellschaft zugedacht hatte.
Im ersten Teil dieser Hausarbeit beschäftigen wir uns mit van der Keuken Verständnis von Film , seinen theoretischen Grundlagen und seinen ganz eigenen Ansichten über das filmische Sujèt im allgemeinen. Im zweiten Teil untersuchen wir drei ausgewählte Stellen unter der Fragestellung wie van der Keuken versucht Realität, genauer gesagt die Realität eines blinden Kindes, mithilfe von Schnitt und Kameratechniken für uns nachvollziehbar zu machen.
Gliederung
1.Einleitung
2. Van der Keukens Verständnis von Film
2.1 Der Film - Grundüberlegungen
2.2 Wahrheit im Dokumentarfilm oder “ Die Spitze des Eisberges“
2.3 Hohlform und Kugel oder „ Das Konzept der Lücke“
2.4 Gedanken zur Montage
3. Analyse
3.1 Analyse der Sequenz 1
3.2 Analyse der Sequenz 2
3.3 Analyse der Sequenz 3
4.Interpretation
4.1 Herman und das Mikrophon
4.2 Hypothetisierung und Fiktion
5. Abschließende Betrachtung
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
7.1 Biographisches
1. Einleitung
Jeder gute und ernsthafte Dokumentarfilmer muß sich vor seiner Arbeit mit folgenden Fragen auseinandersetzen:
Was ist für mich Realität? Wie bilde ich sie ab ?Wo stehe ich selbst als Dokumentarfilmer? Nehme ich mich ganz heraus und verfälsche dadurch die Darstellung, da ich ja doch anwesend bin ?Ist mein Standpunkt teilnehmend oder eher objektiv – beobachtend ? Wieviel Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten lasse ich meinem dokumentarischen Sujèt ? Wo ziehe ich die Grenze zwischen filmischer Form und Inhalt ?
Johan van der Keuken ist ein Filmemacher , der diese Fragen aufnimmt und dort thematisiert wo sie naturgemäß zuhause sind. In seinem filmischen Werk.
Es ist nicht einfach mit ihm oder mit seinen Filmen umzugehen, kann er doch
weder der amerikanischen noch der russischen Schule zugeordnet werden. Sein Standpunkt ist irgendwo ausserhalb. Seinen Filmen haftet für den oberflächlichen Betrachter eine gewisse Unbeholfenheit an, die in ihrer konsequenten Umsetzung jedoch eine ganz eigene Ästhetik bildet. Diese Ästhetik ist, trotz ihrer improvisatorischen Elemente, durchdacht und folgt ganz bestimmten Überlegungen, auf die wir im ersten Teil näher eingehen werden.
Das Film mit dem wir uns hier befassen möchten trägt den Titel „Herman Slobbe Blindes Kind 2 “. Der Titel ist nicht zufällig gewählt ist dieser Film doch in gewisser Weise eine Fortsetzung. Die Fortsetzung eines vorhergehenden Films ( Blindes Kind 1964) über eine Gruppe blinder Kinder, unter denen sich auch Herman Slobbe befand. Herman fiel van der Keuken auf, weil er so zornig und unangepasst war und nicht bereit sich an den Platz zu stellen, den ihm die Gesellschaft zugedacht hatte.
Im ersten Teil dieser Hausarbeit beschäftigen wir uns mit van der Keuken Verständnis von Film , seinen theoretischen Grundlagen und seinen ganz eigenen Ansichten über das filmische Sujèt im allgemeinen. Im zweiten Teil untersuchen wir drei ausgewählte Stellen unter der Fragestellung wie van der Keuken versucht Realität, genauer gesagt die Realität eines blinden Kindes, mithilfe von Schnitt und Kameratechniken für uns nachvollziehbar zu machen.
2. Van der Keukens Verständnis von Film und Realität
2.1 Der Film - Grundüberlegungen
Bei Johan van der Keuken´s theoretischen Überlegungen zum Film steht der Gedanke der Prozesshaftigkeit und Dynamik im Vordergrund. Er sucht keine abgeschlossene Theorie, sondern eine, die in der lebendigen Praxis des Filmemachers mit all ihren Unwägbarkeiten und improvisierten Situationen Bestand hat. Er sieht den Film als ein „offenes“ Medium, eine Form von Materie , ein Vehikel zum Transport von Informationen.
Für ihn besitzt der Film eine große Affinität zur Malerei und Musik, insbesondere zum Jazz. Er hat wie die Jazzmusik eine aktive, improvisatorische Komponenten verbunden mit einem gewissen Grundmuster wiederkehrender Stilelemente. Die Spannung , die durch diesen Wechsel entsteht lokalisiert er beim Film „zwischen der Freiheit , mit der das Auge oder das Ohr durch die Welt wandert, und dem Willen, sich mit ihr auf einen Diskurs einzulassen.“(vdK 1992:138)
Aus der Malerei , besonders aus dem abstrakten Impressionismus entnimmt er den Gedanken, dass nicht nur der Farbton wichtig ist sondern auch das Material der Farbe. Wie bei einer Collage Farbschicht um Farbschicht aufgetragen wird so hat auch der Film mehrere Schichten. Diese Schichten, visuelle und auditive, liegen übereinander und sind in der Lage den Wahrnehmungssprozess zu beeinflussen.
„ Eine Lücke in der Musik bewirkt eine ungehinderte Sicht auf das Bild - das Bild kommt uns näher -; eine Lücke im Bild läßt die Musik in den Vordergrund treten - der Ton kommt
uns näher. Das Zusammenwirken von Bild und Musik schafft Tiefe: Wir schauen in die Materie." (vdK 1992:137)
Naturgemäß entziehen sich diese Überlegungen einer Einpassung in das Raster gebräuchlicher Filmtheorien, insbesondere aber der semiotischen Zeichentheorien.
Van der Keuken distanziert sich strikt von dem Gedanken den Film als eine Art Sprache zu sehen.
„ Film ist nicht wie man oft denkt eine Sprache, in der bestimmte Zeichenkombinationen bestimmte Begriffe bedeuten, und in der aufeinanderfolgenden Zeichenkombinationen zu einer Syntax organisiert werden können. ( vdK 1992 : 26)
Er begründet dies damit, dass diese Theorien die Wirklichkeit in Szenen und Einstellungen aufspalten und dann unter dem Diktat des jeweiligen Begriffsystems wieder zusammensetzen. Das beraube die Bilder ihrer natürlichen Freiheit, ihrer Poesie und den Filmemacher seiner individuellen Kreativität (vergl.: vdK 1992 : 136 ff).
Für van der Keuken ist der Film lediglich ein Trägermittel zur Aufzeichnung und Verbreitung von Signalen, die unabhängig vom Film in der Realität existieren. Das einzige was der Film kann ist: Zeigen. Dieses jedoch auf jede erdenkliche Art und Weise. (vergl.: vdK 1992: 26 ff).
Van der Keuken lehnt weiter jegliche Art von konventionellen Film- und Montagegesetzen ab. Sein Credo ist, dass das Filmbild aus seinen Konventionen befreit werden muss.
„Je mehr Freiheit man dem Bild von Anfang an gibt, um so mehr Raum hat man, um komplexe Verhältnisse zwischen Bildern zu schaffen und ein Spiel zwischen Wirklichkeit und Phantasie zu spielen, indem man um die Bedeutungen herumfährt wie um eine Boje.“ (vdK 1992: 137)
Dies führe dann zu einer Erneuerung des Auges, des Sehens und vielleicht auch des Denkens, womit wir zur Aufgabe des Films kommen.
2.1.2 Aufgabe des Films
Die (gesellschaftliche) Aufgabe des Films lokalisiert Van der Keuken in der Erschütterung, der Veränderung und Verschiebung von Bewusstseinsinhalten.
Filme können Denkprozesse auslösen. „ Filmemachen bedeutet , glaube ich, einen Denkprozess so wahrhaft und so direkt wie möglich zu ordnen und in Bildern wiederzugeben, die der sichtbaren Welt entlehnt sind.“ (vdK 1992:18)
Denkprozess nicht in jenem radikalen Sinne wie es Eisenstein in seiner Montage der Attraktionen postulierte , nicht mit dieser Überzeugung von den Möglichkeiten der Beeinflussung und Manipulation des Bewusstseins, sondern eher wie Erfahrungen/Bewegungen/ Worte /Kritik. (vergl.: vdK 1992: 16ff )
Allerdings liegen die Grenzen solcher Beeinflussung zum einen im Wissensstand der Rezipienten und zum anderen im gesellschaftlichen Prozess. Ein Film reiche nicht aus um gesellschaftliche Barrieren einzureissen oder Vorurteile abzubauen. Der Film kann jedoch Zusammenhänge aufzeigen und bestimmte Abläufe transparenter machen und somit werden „Mitteilungen und Ideen zusammenfügt , die in die gesellschaftlichen Prozesse einbezogen werden.“ ( vdK 1992: 17)
2.2 Wahrheit im Dokumentarfilm oder „Die Spitze des Eisberges“
Der Dokumentarfilm ist doppeldeutig. Die Menschen, von denen man erzählt,existieren vor dem Film, und nach dem Film weiter. Das bedeutet zum einen, dass jedwede dokumentarische Entäußerung einerseits fragmentarisch bleiben muss und zum anderen bereits im Akt der Entstehung eine fiktionale Komponente (Drehsituation, Spezifik der aufgenommenen Momente, Befindlichkeit des Kameramanns und der aufgenommenen Personen, Auswahl der aufgenommenen Objekte etc...) in sich trägt.
Van der Keuken versucht deshalb eine umfassendere Form für sich zu finden, die ihm erlaubt diese Momente der Fiktionalität auch für den Rezipienten nachvollziehbar zu machen.
Es geht ihm nicht nur um eine Umgebungsbeschreibung, sondern auch die um die Dokumentation dessen , was vor Ort tatsächlich vor sich ging.
Film ist immer Fiktion. Beim dokumentarischen Film enthält die Fiktion einen dokumentarischen Kern. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen und wird erst im Prozess der Rezeption nachvollziehbar. Wichtig ist für Van der Keuken auch darzustellen, dass die Informationen, die man im Film über eine Person bekommt, die einzigen sind, dass also der fragmentarische Charakter der Darstellung zum Ausdruck kommt und thematisiert wird. Das wenige was man über eine Person erfährt ist wie die Spitze eines Eisberges, dessen größter Teil unter Wasser, also ausserhalb der filmischen Repräsentation liegt, und den man folglich auch nicht beschreiben kann. Für ihn ist es deshalb wichtig „durch die Form des Films hervorzuheben , dass die wirklichen Probleme ausserhalb des Films liegen.“ (vdK 1992: 17)
Dieses Wissen um die Wirklichkeit ausserhalb des Bildes ruft beim Rezpienten etwas hervor, dass nicht da ist: Eine Betrachtung der Welt, die erst im Zuschauer beginnt.
Was die Form des Films angeht , so verwahrt sich van der Keuken dagegen im Dokumentarfilm Situationen aufzulösen, die sich im wirklichen Leben auch nicht auflösen lassen.„Das ganze Problem der Filmkomposition , die Fiktion ist, liegt in der Auflösung einer Anzahl von Themen, die in Wirklichkeit ganz und gar nicht gelöst werden.“
(vdK 1992: 139)
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- Arbeit zitieren
- Magister Artium Harald Marburger (Autor:in), 2000, Montagestrategien im Dokumentarfilm - Johan van der Keuken - Hermann Slobbe - Blindes Kind 2, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11761
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