"Sport als Integrationsmotor", so heißt es beispielsweise in einer Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble beim Festakt 'Integration durch Sport'. Dieses integrative Leistungsvermögen wird dem Sport sehr häufig zugesagt. Sport wird als universales, weltweit verbreitetes Phänomen gesehen. Sport macht Spaß; Sport motiviert; im Sport treten Menschen in Kontakt zueinander und die sprachliche Barriere fällt im Sport deutlich weniger zu Gewicht. Der Sport scheint die Größe für eine gelingende Integration zu sein.
Im Laufe der Arbeit wird sich jedoch herausstellen, wie komplex das Miteinander in einer kulturell vielfältigen Gesellschaft ist. Es reicht nicht aus, Menschen mit verschiedenen kulturellen Identitäten zusammen zu führen und dadurch Anerkennung sowie Chancengleichheit zu erreichen. Besonders der Sport ist durch seine Körperlichkeit anfällig für Konflikte. Im schlimmsten Fall kommt es zu Ausgrenzungen, Diskriminierung oder Rassismus. Menschen müssen gezielt auf den interkulturellen Kontakt und die interkulturelle Kommunikation vorbereitet werden. Sie benötigen spezielle Kompetenzen, um mit dieser vielfältigen Zusammensetzung der Gesellschaft konstruktiv umgehen zu können.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anhangsverzeichnis
1. Problemaufriss: Gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland und aktuelle Migrationslage
1.1 Herausforderungen für das Bildungssystem
1.2 Sport als Integrationsmotor
2. Grundlagen der Interkulturellen Pädagogik
2.1 Erziehungswissenschaftlicher Diskurs: Von der Ausländerpädagogik zur Interkulturellen Pädagogik
2.2 Kultur, Interkultur und kulturelle Identität
2.3 Fremdheit
2.4 Interkulturelle Erziehung und Bildung
2.5 Interkulturelle Kompetenz
2.6 Interkulturelles Lernen
3. Interkulturelle Bewegungserziehung im Schulsport
3.1 Begründung für ein interkulturelles Lernen im und durch Schulsport
3.2 Bestehende sportdidaktische Konzepte
3.3 Übergeordnetes Unterrichtsprinzip
3.4 Herausforderung und Grenzen für interkulturelles Lernen im Schulsport
4. Zwischenfazit
5. Methodisch-didaktische Inszenierung des Sportunterrichts für interkulturelles Lernen
5.1 Kleine Spiele als Ansatz für interkulturellen Lernens
5.2 Methodisch- didaktische Inszenierung der Kleinen Spiele und mögliche Spielideen
6. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abb1. Interkultur (Erll & Gymnich, 2018, S. 36)
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anhangsverzeichnis
Anhang 1 Spielbeschreibungen
1. Problemaufriss: Gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland und aktuelle Migrationslage
„Deutschland ist zweifelsohne ein Einwanderungsland (geworden).“ (Burrmann, 2017, S. 163). Zu dieser Einsicht hat es eine lange Zeit gebraucht und sicher gibt es noch heute Menschen, die dies leugnen würden (Auernheimer, 2016, S. 30). Durch die Gastarbeiter, die in den 1960er Jahren nach Deutschland kamen, aber auch durch die vor Krieg und Armut fliehenden Menschen der letzten Jahre, weist dieses Land eine zunehmende Multikulturalität1 auf (Gabriel, 2019, S. 9). Auch die globale, mediale Vernetzung sowie die steigende Mobilität trägt zur Mischung der Kulturen2 bei. „Im Jahr 2017 lebten in Deutschland nach Angaben des Mikrozensus rund 19,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Privathaushalten, das ist beinahe jede vierte Person [...]“ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), 2019). Es zeigt sich weiterführend, dass die Beliebtheit der Migration3 nach Deutschland, im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, in den vergangenen Jahren anstieg. 67 Prozent der Migranten4 stammten im Jahr 2017 aus anderen EU Länder, angeführt von Menschen aus Rumänien (BAMF, 2019, S. 12f). Aufgrund der sogenannten Flüchtlinge5 6, die in Deutschland Asyl suchen, gibt es seitdem weitere Zuströme aus anderenLändern, beispielsweise Syrien, Afghanistan oder dem Irak (BAMF, 2019, S. 43). Seit des bisherigen Maximums an Einwanderung des Jahres „[.] 2015 mit etwa 2,14 Millionen [.]“ gehen die Zahlen, laut des BAMF (2019, S. 12), wieder zurück. Jedoch steigt seit 20 1 6 stetig der Nachzug von Familienmitgliedern,insbe- sondere von Kindern und Jugendlichen.
So steht in der Erklärung der Kultusministerkonferenz zur Integration von jungen Geflüchteten durch Bildung (2016, S. 2) geschrieben:
Allein im vergangenen Schuljahr sind nahezu 300.000 neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in allgemein- und berufsbildende Schulen in Deutschland aufgenommen worden. Der größte Anteil mit 200.000 bis 250.000 Kindern und Jugendlichen entfällt hierbei auf Geflüchtete, zum Teil unbegleitete minderjährige Geflüchtete [Hervorhebung im Original].
Festzustellen ist, dass die gesamte Gesellschaft in Deutschland somit auch die Institution Schule heute und in Zukunft durch zunehmende kulturelle Vielfalt gekennzeichnet ist. Wir können nicht mehr wegschauen. Der Weg zum Bäcker, das Fahren in Straßenbahnen oder Elternabende in Schulen sind heute wie auch in der Zukunft durch Kontakt, Interaktionen und Situationen mit Menschen unterschiedlicher Kulturen beeinflusst. Wir Menschen müssen uns deshalb mit dieser Vielfalt, dem verstärkten Fremdheitsempfinden sowie mit dem Gefühl von Unsicherheit auseinandersetzen und Wege für einen konstruktiven Umgang in einer kulturell vielfältigen Gesellschaft finden. (Auernheimer, 2016, S. 15).
1.1 Herausforderungen für das Bildungssystem
„Die demografischen Veränderungsprozesse schlagen sich auch in pädagogischen Handlungsfeldern wie der Institution Schule nieder.“ (Gieß-Stüber & Grimminger, 2009, S. 223). Das Schulsystem steht somit vor der Aufgabe, diese Zunahme an Vielfalt zu bewältigen. Zunahme bezieht sich auf die im vorherigen Abschnitt dargelegten Fakten zur Migration und Flucht. In Deutschland hat jeder Heranwachsende ein Recht auf Beschulung (Preuß, 2018, S. 27; Burr- mann, 2017, S. 164). Das scheint auch sinnvoll zu sein, denn „Bildung gilt als Schlüssel zur Integration“ (Preuß, 2018, S. 27). Die Kultusministerkonferenz (KMK) (2016, S. 3) strebt für die Lernenden mit Migrationshintergrund[6] eine schnelle „Integration“ in die Schule, wie auch in die gesamte Gesellschaft des Einwanderungslandes an. Doch was genau bedeutet Integration? Es steht noch immer zur Debatte, was unter Integration zu verstehen sei (Georgi & Ke- küllüoglu, 2018, S. 41). Die Ansichten und Konzepte über diesen Begriff driften dabei weit auseinander. Begriffe wie u. a. Integration oder Assimilation versuchen zu beschreiben, was mit Menschen und der Gesellschaft passiert oder passieren soll, wenn es zur Migration kommt. Vereinfacht gesagt bedeutet Integration, dass aus (mehreren) einzelnen Teilen ein Ganzes, eine7 8 Einheit wird. Wie das von statten gehen kann und soll, darüber existieren verschiedene Konzepte (Georgi & Keküllüoglu, 2018, S. 41). Häufig, vor allem in der Politik, wird Integration in der Form von Assimilation9 verstanden. Assimilation bezeichnet einen Prozess der Angleichung an eine andere Kultur, meist unter vollständiger Aufgabe der eigenen Kultur (Georgi & Keküllüoglu, 2018, S. 41; Grimminger, 2009, S. 59). In der Regel werden Assimilationsleitungen von der Minderheit gefordert, was jedoch in der Kritik steht (Mutz, 2015, S. 96). Diese Minderheiten werden zudem als defizitär angesehen und die Mehrheit gilt als homogene Gesellschaft mit der ‘besseren[4] Kultur - Stichwort „Leitkultur“ (Georgi & Keküllüoglu, 2018, S. 41). Im Kontext der „Interkulturellen Pädagogik“, die sich schon längermitdenAuswirkungen und dem Umgang von und mit Migration auf das Bildungssystem zur Aufgabe gemacht hat (Krüger-Potratz, 2018, 184),wird „ [...] die Gesellschaft als grundsätzlich heterogen [...] beschrieben und Integration als die Ermöglichung von umfassender Teilhabe im Sinne des Inklusionsgedankens begriffen [...]“ (Georgi & Keküllüoglu, 2018, S. 41).
Inklusion umfasst seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2009 ein Menschenrecht und einen immanenten Auftrag. Beides zielt auf die Anerkennung, Würde und Achtung der Vielfalt in der Gesellschaft und damit auch in der Schule. Inklusion birgt den zutiefst originär pädagogischen Anspruch, alle Kinder und Jugendlichen in der Schule gerecht zu bilden, sie optimal zu fördern und jeder einzelnen Schülerin, jedem einzelnen Schüler unabhängig von ihrer/seiner Behinderung, der sozialen, ethnischen, kulturellen, religiösen, geschlechtlichen oder begabungsbedingten Herkunft maximale Teilhabe zu ermöglichen (Preuß, 2018, S. 11).
Diese Arbeit versteht und behandelt Integration darum als Inklusion. „Inklusion ist als dauerhafter und nie abgeschlossener Prozess zu begreifen [...]“ (Georgi & Keküllüoglu, 2018, S. 44). Denn jeder Menschin der Gesellschaftist schlussendlich individuell. Heterogenität wird zudem nicht als Defizit gesehen, sondern als Chance. Für die Institution Schule heißt es, ihr System, die Rahmenbedingungen etc. in den Blick zu nehmen, um für Anerkennung von Heterogenität, Teilhabe und Chancengleichheit jedes Lernenden zu sorgen. Inklusion ist deshalb auch wesentlich vom Einwanderungsland abhängig, deren Offenheit für Veränderungen, Anerkennung von Vielfaltund Bereitschaft für Aushandlungsprozesse zwischen allen Menschen der Gesellschaft (Georgi & Keküllüoglu, 2018, S. 42-44).
Die Realität scheint jedoch ein anderes Bild zu zeigen, denn Inklusion scheint nicht oder noch nicht zu gelingen. Viele Menschen stehen dieser skeptisch gegenüber. Sie fühlen sich verunsichert, in ihrer bisherigen Ordnung bedroht oder nicht handlungsfähig (Preuß, 2018, S.11). Die Ergebnisse der PISA Studie von 2015 (OECD, 2016) für Deutschland zeigen, dass Lernende mit Migrationshintergrund im Gegensatz zu Lernende ohne einen Migrationshintergrund in der Schule schlechter abschneiden. Somit scheint sich keine Chancengleichheit einzustellen. Außerdem erlebt man tagtäglich die Konfrontation mit Vorurteilen, Ausgrenzungen, Machtausübung sowie Ethnozentrismus. Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, dass es DEN Migranten nicht gibt. Lernende mit Migrationshintergrund sind in sich selbst schon sehr heterogen10 (Preuß, 2018, S. 27f).
Es stellt sich die Frage, wie das Schulsystem mit der Heterogenität umgehen kann und wie es Inklusion umsetzen kann.
1.2 Sport als Integrationsmotor
„Sport als Integrationsmotor“, so heißt es beispielsweise in einer „Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble beim Festakt Integration durch Sport‘ “ (Schäuble, 10. Juni 2009). Dieses integrative Leistungsvermögen wird dem Sport sehr häufig zugesagt (GießStüber, 2005, S. 67). Sport wird „[...] als universales, weltweit verbreitetes Phänomen [...]“ gesehen (Gieß-Stüber, 2005, S. 67) Sport macht Spaß; Sport motiviert; Im Sport treten Menschen in Kontakt zueinander und die sprachliche Barriere fällt im Sport deutlich weniger zu gewicht (Gieß-Stüber, 2005, S. 67). Der Sport scheint die Größe für eine gelingende Integration zu sein.
Im Laufe der Arbeit wird sich jedoch herausstellen, wie komplex das Miteinander in einer kulturell vielfältigen Gesellschaft ist. Es reicht nicht aus, Menschen mit verschiedenen kulturellen Identitäten zusammen zu führen und dadurch Anerkennung sowie Chancengleichheit zu erreichen. Besonders der Sport ist durch seine Körperlichkeit anfällig für Konflikte. Im schlimmsten Fall kommt es zu Ausgrenzungen, Diskriminierung oder Rassismus. Menschen müssen gezielt auf den interkulturellen Kontakt und die interkulturelle Kommunikation vorbereitet werden. Sie benötigen spezielle Kompetenzen, um mit dieser vielfältigen Zusammensetzung der Gesellschaft konstruktiv umgehen zu können.
Besonders für die angehenden Lehrenden drängt sich die Frage auf, wie sie mit Heterogenität umgehen oder wie Lernende mit Migrationshintergrund integriert werden können. Daraus resultiert die Motivation dieser Arbeit. Nach Ansicht der Verfasserin ist die Auseinandersetzung mit diesem Thema für den späteren Erfolgt in der Schule von Bedeutung.
Diese Arbeit setzt sich als übergeordnetes Ziel herauszufinden, ob und wie der Schulsport ein Integrationsmotor sein kann. Im Zuge der Literaturrecherche zur übergeordneten Fragestellung stellte sich eine Verbindung zwischen gelingender Integration und dem Konzept der Interkulturellen Pädagogik heraus. Im ersten Abschnitt der Arbeit wird der Diskurs und das Konzept der Interkulturellen Pädagogik (IKP) vorgestellt. Vertiefend dazu werden Begrifflichkeiten wie u. a. Kultur, Fremdheit und interkulturelle Kompetenz beleuchtet. Daraus resultiert ein Verständnis dafür, was das Miteinander in einer heterogenen Gesellschaft beeinflusst, hindert und fördert. Weiterführend wird das Konzept von Nieke (2008) „Interkulturelle Erziehung und Bildung“ aufgezeigt. Das dritte Kapitel setzt die Verbindung zum Schulsport und das damit einhergehende Konzept der interkulturellen Bewegungserziehung. Es werden die Chancen aber auch die Grenzen des interkulturellen Lernens im Sportunterricht diskutiert, um dann zu entscheiden, ob der Sport wirklich als Integrationsmotor gesehen werden kann. Im letzten Kapitel folgt ein anwendungsbezogener Bereich. Es soll geschaut werden, wie genau der Schulsport mithilfe sportdidaktischer Ideen gestaltet werden kann, damit interkulturelles Lernen möglich ist und Integration gelingen kann. Dies geschieht am Beispiel Kleiner Spiele.
2. Grundlagen der Interkulturellen Pädagogik
2.1 Erziehungswissenschaftlicher Diskurs: Von der Ausländerpädagogik zur Interkulturellen Pädagogik
Aus der erziehungswissenschaftlichen Perspektive wurde sich lange Zeit nicht „[.] mit der Frage sprachlicher, kultureller, ethnischer und nationaler Heterogenität als Ausgangslage für Bildungsprozesse in Deutschland befasst[.]“ (Krüger-Potratz, 2018, S. 186). Die Literatur ist sich einig, dass diese Thematik im Zuge der Anwerbung der sogenannten „Gastarbeiter“ in den 1960er Jahren aufkam (Auernheimer, 2016, S. 39f; Nieke, 2008, S. 13f & Holzbrecher, 2004, S. 51). Der Begriff Gast lässt an sich schon annehmen, dass kein dauerhafter Aufenthalt in Deutschland geplant war (Holzbrecher, 2004, S. 49). Da sich die Arbeiter in der Regel ohne Familie in Deutschland aufhielten, nahm es keinen Einfluss auf das Schulsystem (Auernheimer, 2016, S. 39). Für die wenigen Kinder der ‘Gastarbeiter[4] ist lediglich die Schulpflicht eingeführt worden. Diese Gruppe war zu Beginn zahlenmäßig klein aufgestellt, sodass keine Änderungen in der Lehrweise und Organisation des Schulsystems vorgenommen wurde (Auernheimer, 2016, S. 39). Aufgrund der wirtschaftlichen Abwärtsspirale in den 1970er Jahren kamen weniger ‘Gastarbeiter‘ nach Deutschland. Dagegen sind viele, bereits in Deutschland verweilenden Arbeiter, im Land geblieben. Sie gründeten Familien oder holten ihren Familien, somit auch die Kinder, nach Deutschland nach (Holzbrecher, 2004, S. 50). Die Zahl der „Migrantenkinder“ stieg an den Schulen an, „[...] die darauf allerdings in keiner Weise vorbereitet war“ (Holzbrecher, 2004, S. 51). Somit standen die Schulen vor einem Problem - diese Kinder wurden als Problem angesehen. Es etablierte sich die „Ausländerpädagogik“ (Holzbrecher, 2004, S. 51). Auernheimer (2016, S. 40) bedauert:„Die Ausländerpädagogik knüpfte [. ]nicht an die allgemeine Reformdebatte (der damaligen Zeit) [Anm. d. Verf.] an [.].“ In dieser Debatte ging es um „[.] mehr Differenzierung und Individualisierung [.]“ des Schulsystems (Auernheimer, 2016, S, 39). Die Ausländerpädagogik, so Auernheimer (2016, S, 40), „[.] konzentrierte sich unter Ausblendung struktureller Probleme auf die kompensatorische Hilfe für die ,Gastarbei- terkinder‘ .“ Die Migrantenkinder wurden als ProblemmitDefiziten angesehen, denen geholfen werden muss, damit ein gemeinsamer Unterricht mit einheimischen Lernenden gelingen kann (Holzbrecher, 2004, S. 51). Im Fokus stand dabeidie Beseitigung sprachlicherDefizite, um die Lernenden schnell in die Schule und die Regelklassen integrieren zu können (Auernheimer, 2016, S. 40). Für diese ‘problematischen‘ Kinder wurden als Maßnahme gesonderte „Vorbereitungsklassen“ eingerichtet, in denen überwiegend Sprachunterricht zum Erlernen der deutschen Sprache stattfand (Nieke, 2008, S. 15). DieLernenden verweilten solange in diesen Klassen bis sie,aufgrund ausreichender Sprachkenntnisse, am Unterricht der Regelklassen teilnehmen konnten (Nieke, 2008, S. 15f). „Maßgebend für die erste Phase war die Orientierung an der von der Kultusministerkonferenz in ihren Empfehlungen vorgegebenen Doppelaufgabe oder ,Doppelstrategie‘, nämlich (schulische) Integration plus ,Erhaltung der kulturellen Identität‘, sprich: der Rückkehrfähigkeit.“ (Auernheimer, 2016, S. 40). Integration wurde in diesem Rahmen als„Assimilation“ aufgefasst (Holzbrecher, 2004, S. 51). „Rückkehrfähigkeit“ meint, dass die Lernenden auf einen Rückzug in die ursprüngliche Heimat vorbereitet werden sollten, beispielsweise durch Sprachunterricht der jeweiligen Muttersprachen (Holzbrecher, 2004, S. 51f).
Bei der Ausländerpädagogik handelt es sich zusammenfassend, um eine, für die damalige Richtung der Erziehungswissenschaft gängige „Zielgruppenpädagogik“ (Nieke, 2008, S. 15). Die Zielgruppe, der ‘Ausländer‘11, war der Majoritätengruppe fremd. Es wurde sich deshalb nur an den Defiziten der ‘Ausländer‘ orientiert, damit sie in die Gesellschaft integriert werden können.
Bei dieser Zusammenfassung der Ausländerpädagogik kristallisiert sich bereits Kritik heraus. „Die Rede von ,interkultureller Erziehung‘ begann Anfang der 80er Jahre [...] die Ausländerpädagogik der 70er Jahre abzulösen.“ (Auernheimer, 2016, S. 38). Ein wichtiger Anreiz für die entstehende Kritik an der Ausländerpädagogik war die „[...] Einsicht, dass die Bundesrepublik zum Einwanderungsland geworden war.“ (Auernheimer, 2016, S. 41). An der bestehenden Pädagogik wurde kritisiert, dass:
- durch den Fokus auf die Auflösung von Defiziten bei den ‘ausländischen Kindern die eigentlichen politischen und gesellschaftlichen Ursachen für die Probleme unbeachtet blieben (Nieke, 2008 S. 15; Holzbrecher, 2004, S. 53).
- „eine Pädagogisierung gesellschaftlicher Probleme stattfindet [...]“ (Holzbrecher, 2004, S. 53).
- sie die ‘ausländischen Kinder als besondere Gruppe mit Defiziten stigmatisiert (Nieke, 2008, S. 16). Oder, wie Holzbrecher (2004, S. 53) schreibt, „[...] eine defizitorientierte Sonder-Pädagogik [...]“ sei.
- die darin liegende Vorstellung von Integration nicht zu dem Ziel der Ausländerpädagogik passt, da das Streben nach „[...] Assimilation und einer Akkulturation, einer ,Ger- manisierung‘ [...]“ nicht zu dem Ziel der “Erhaltung der Rückkehrfähigkeit [Hervorhebung im Original]“ passt (Nieke, 2008, S. 16).
- nicht alle Kulturen als Ebenbürtig angesehen werden (Nieke, 2008, S. 17).
- „der monokulturelle und- linguale Charakter der Schule unhinterfragt bleibt“ (Holzbrecher, 2004, S. 53).
„In der Konsequenz dieser Kritik entstanden die Konzepte einer Interkulturellen Erziehung in der multikulturellen Gesellschaft [Hervorhebung im Original] . “ (Nieke, 2008, S. 17). Diese Konzepte hatten den Anspruch auf ein Miteinander in einem gesellschaftlich neu strukturierten Land vorzubereiten (Nieke, 2008, S. 17).
Jedoch richteten sich dieses neue Konzept diesmal an die einheimischen Kinder und Jugendlichen, mit ihren Vorurteilen sowie Ausländerfeindlichkeit (Nieke, 2008, S. 17; Auernheimer, 2016, S. 45). Auf den Versuch die ‘einheimischen' Lernenden, mithilfe vermehrten Wissens über die verschiedenen Kulturen der ‘ausländischen Kinder, auf einen toleranten Umgang in einer vielfältigen Gesellschaft/Klasse vorzubereiten, führte wiederum zu Kritik (Holzbrecher, 2004, S. 54). Es wurde bemängelt, dass die Diskriminierung durch den großen Fokus auf kulturelle Verschiedenheit befeuert werden könnte. Aber auch „[...] eine[] Folklorisierung der Migrantenkulturen [...]“ wurde befürchtet (Holzbrecher, 2004, S. 54).
Im weiteren Verlauf richtete sich der Fokus auch auf andere Minoritäten des Landes, wie beispielsweise die Sinti und Roma oder eingewanderte Dänen (Nieke, 2016, S. 18).
Die entscheidende Richtung schlug die Debatte um interkulturelle Erziehung ab ungefähr der 1990er Jahre ein, so Grimminger (2009, S. 10). Damit Menschen in einer kulturell vielfältigen Welt zurechtkommen und einander akzeptieren, ist es wichtig, dass sich Maßnahmen zur interkulturellen Erziehung an „Majorität und Minoritäten“ richten (Grimminger, 2009, S. 10).
Dieses Anliegen soll laut Nieke (2008, S. 19) „[.] selbstverständlicher und obligatorischer Bestandteil aller Bildungsbemühungen sein [.].“
„Interkulturelle Bildung und Erziehung sind seit der KMK-Empfehlung von 1996 schulart- und fächerübergreifende Aufgabe.“ (Grimminger, 2009, S. 10). Ebenfalls zur selben Zeit veränderte sich die Perspektive hin zu den „pädagogischen Institutionen. “ (Auernheimer, 2016,S. 43). Es entstand eine Debatte um „[.] die interkulturelle Öffnung der Institutionen[.]“ (Auernhei- mer, 2016, S. 44). Im Fokus stand nun das gesamte Bildungssystem, „[.] um daraus Konsequenzen für die Schulentwicklung wie auch für die Lehrerbildung zu ziehen.“ (Krüger-Potratz, 2018, S. 187). In diesem Zusammenhang trat auch der Begriff der „interkulturelle[n] Kompetenz“ auf, der sich hier an die „pädagogischen Fachkräfte“ in den Institutionen richtet (Auern- heimer, 2016, S. 44).
Nieke (2008, S. 20) nennt als letzten Punkt seiner Gliederung den „Neo-Assimilationismus“. Er macht deutlich, dass durch Terroranschläge die Skepsis, vor allem gegen muslimische Mitbürger, in unserer Gesellschaft steigt (Nieke, 2008, S. 20). Aufgrund der Bedrohung und daraus resultierenden Ängsten, so Nieke (2008, S. 20),sinkt dieToleranz gegenüber Muslime. Obwohl die Bedrohung nur von einem relativ kleinen Kreis ausgeht, neigen die Menschen zu Generalisierungen (Nieke, 2008, S. 20). Das Vertrauen in eine multikulturelle Gesellschaft scheint zu schwinden (Nieke, 2008, S, 20). Deshalb bezeichnet der Neo-Assimilationismus eine Richtung die wieder dahingehend führt, dass sich die Migranten der bestehenden Majoritätengesellschaft mit ihrer Kultur möglichst vollständig anzupassen haben und folglich ihre eigene Kultur verlassen müssen (Nieke, 2008, S. 20). Nieke (2008, S. 20) behauptet weiter, dass sich „[d]ie pädagogischen Bemühungen [.] zunehmend von der interkulturellen Erziehung und Bildung (abwenden) [Anm. d. Verf.] und hin zu einer Integrationsförderung mit Akkulturationsunterstützung (verändern) [Anm. d. Verf.].“ Bei dem Gedanken an den Terroranschlag in Berlin 2016 und weiteren Anschlägen in der Welt, scheint der Ansatz der interkulturellen Pädagogik besonders heute auf einem dünnen Fundament zu stehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die „Interkulturelle Pädagogik (IKP)“ als ein spezielles Fachgebiet der Erziehungswissenschaften im Laufe der Jahre, aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen, herausgearbeitet hat (Krüger-Potratz, 2018, S. 183). Sie beschäftigt sich mit den „[.] Folgen der Zuwanderung für Bildung und Erziehung“ (Krüger-Potratz, 2018, 184). Der Begriff der IKP wird viel kritisiert, in erster Linie aufgrund „[.] des Wortelements ,Kultur‘ wie des Präfixes ,inter‘“ (Krüger-Potratz, 2018, S. 187). Der Begriff der Interkulturalität ist darum „[.] interpretationsbedürftig und vielfältig auslegbar [.]“ (Seiberth, 2012, 200). Die IKP hat sich in den letzten Jahren, trotz ihres relativ kurzen Bestehens, in der Wissenschaftals wesentliches Gebiet der Erziehungswissenschaften etabliert. Diese Stellung sowie die vielen Veröffentlichungen zu diesem Thema verweisen auf die Dringlichkeit und Aktualität, bezogen auf ein Leben und einen Umgang in einer heterogenen Gesellschaft (Seiberth, 2012, S. 200). „[W]as unter Interkultureller Pädagogik zu verstehen sei, (wird) [Anm. d. Verf.] seit den 1980er Jahren kontrovers diskutiert [.]“ (Krüger-Potratz, 2018, S. 187). Und auch heute gibt es kein allgemeingültiges Konzept. Beispielsweise ist das erste theoretische Konzept zur Interkulturellen Pädagogik von Wolfgang Nieke im Jahr 1995 veröffentlicht worden. (Auern- heimer, 2016, S. 47). Das Gebiet der IKP ist also sehr komplex und weiterhin im Wandel. Jedoch nennt Auernheimer (2016, S. 20, 59) vorangestellte „Leitmotive“ für die IKP, die aus allen Konzeptenverbindend hervorgehen.
Die leitende Perspektive der Interkulturellen Pädagogik ist die Idee einer multikulturellen Gesellschaft, basierend auf zwei Grundsätzen: dem Prinzip der Anerkennung, speziell auch von sprachlicher oder religiöser Vielfalt, bei Gleichheit der Chancen oder Inklusion in die gesellschaftlichen Teilsysteme. (Auernheimer, 2016, S. 19f).
Kürzer gesagt geht es bei der IKP um Anerkennung und Gleichheit. Zusätzlich nennt Auern- heimer (2016, S. 19f) zwei Ziele: interkulturelles „Verstehen und Dialogfähigkeit.“ Auernhei- mer (2016) vertritt den Inklusionsgedanken und erachtet für eine gelingende Anerkennung und Chancengleichheit, die Fähigkeit mit kultureller Heterogenität in jeglicher Interaktion konstruktiv umgehen zu können, als essenziell.
Die IKP kann als übergeordnete Gattung angesehen werden, unter dieser viele weitere Begriff- lichkeiten, wie interkulturelles Lernen, Training, Erziehung, Bildung oder Kompetenz zu finden sind (Nieke, 2008, S. 69). „Eine trennscharfe Nutzung der Begriffe bzw. eine einheitliche Definition liegt nicht vor.“ (Gabriel, 2019, S. 18). Trotzdem soll auf die verschiedenen Begriff- lichkeiten im nächsten Abschnitt genauer eingegangen werden, um tiefer in die Thematik einzutauchen. Dennoch muss sich zuerst gezielter mit dem Begriff der Kultur auseinandergesetzt werden, da dieser in allen weiteren Begriffen eine zentrale Position einnimmt.
2.2 Kultur, Interkultur und kulturelle Identität
Wie im vorherigen Abschnitt erwähnt ist der Begriff der Interkulturalität mit Schwierigkeiten verbunden, besonders angesichts des häufig diskutierten Kulturbegriffs. Bevor nun die Menge an Begriffen, die im Zuge der IKP auftreten, näher erläutert werden können, ist eine Auseinandersetzung mit dem komplexen Kulturbegriff erforderlich. Zu aller erst muss gesagt sein, dass es bezüglich des Kulturbegriffs eine Fülle an Definitionen gibt (Auernheimer, 2016, S. 77).Des Weiteren bestehen selbst in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen jeweils andere Gedanken, Ideen und Konzepte dazu (Nünning, 2009). Für die IKP greift das weite Kulturverständnis, so Gieß-Stüber und Grimminger (2009, S. 224).
Im weitesten Sinne meint ‘Kultur‘ [.] die vom Menschen durch die Bearbeitung der Natur mithilfe von planmäßigen Techniken selbst geschaffene Welt der geistigen Güter, materiellen Kunstprodukte und sozialen Einrichtungen. Dieser weite Begriff der Kultur umfasst die Gesamtheit der vom Menschen selbst hervorgebrachten und im Zuge der Sozialisation erworbenen Voraussetzungen sozialen Handelns, d.h. die typischen Arbeits- und Lebensformen, Denk- und Handlungsweisen, Wertvorstellungen und geistigen Lebensäußerungen einer Gemeinschaft. (Nünning, 2009).
Erll und Gymnich (2018, S. 19) und Gieß-Stüber und Grimminger (2009, S. 224) grenzen den Kulturbegriff für die IKP jedoch noch weiter ein. Nicht die „ ,Hochkultur‘ “, mit all ihren Gütern und materiellen Kunstprodukten (Literatur, Architektur etc.) spielt die zentrale Rolle für die IKP, obwohl dies auch einen Teil der Kultur abbildet („materiale Dimension“) (Erll & Gymnich, 2018, S. 19; 22). Die Autoren (Erll & Gymnich, 2010, S. 19; Gieß-Stüber und Grimminger, 2009, S. 224) beziehen sich auf das moderne kulturwissenschaftliche Konzept, das Kultur als „[...] die soziale (oder: ,kollektive‘) Konstruktion der Wirklichkeit“ versteht. Mutz (2015, S. 93) definiert daher treffend: „Demnach umfasst Kultur insbesondere die symbolisch vermittelten Werte, Normalitätsmuster, Wissensbestände und Kulturtechniken in einer Gesellschaft, mit deren Hilfe die Menschen ihr Dasein und ihre Umwelt mit Sinn und Bedeutung unterfüttern.“ Basierend auf mehreren Definitionsversuchen hat Kultur nach Auernheimer (2016, S. 77) demnach zwei zentrale Gesichtspunkte: „(a) der symbolische Charakter, (b) die Orientierungsfunktion von Kultur.“ Ein Symbol ist ein Zeichen, das Bedeutung trägt und somit können beispielsweise bestimmte Kleidung oder Wohneinrichtungen, bestimmte Gesten oder Rituale im Zusammenleben und Kommunizieren als Zeichen mit Bedeutung gedeutet werden. Diese aufgezählten Beispiele repräsentieren „[...] soziale Bindungen, gesellschaftliche Selbstzuordnungen und Lebensweisen“, folglich repräsentieren sie Kultur (Auernheimer, 2016, S. 77). Mithilfe der Kultur und seiner sichtbaren Repräsentation kann sich der Einzelne orientieren, erhält Wissen, Handlungsfähigkeit, kann „Erfahrungen ordnen“ und allgemein die Welt deuten und interpretieren (Mutz, 2015, S. 93). Kultur ist demnach etwas Menschgemachtes, das dem Menschen Orientierung und Sinn in seinem täglichen Handeln und Sein gibt. Es ist geteiltes Wissen sowie die Ansichten um die Beschaffenheit der Umwelt. Außerdem ist Kultur etwas Selbstverständliches, die Normalität für das Kollektiv.
Für die IKP sind die „soziale Dimension“ sowie die „mentale[] Dimension“ von Kultur von besonderem Interesse (Erll & Gymnich, 2018, S. 22). Die soziale Dimension wird sichtbar in unserem sozialen Handeln mit anderen Menschen oder in den Strukturen der Institutionen, wie beispielsweise den Strukturen der Schulen. Die mentale Dimension spiegelt den Teil der Kultur wider, der sich unbewusst in unserem Denken und Emotionen manifestiert und daher auch nicht sichtbar ist (Erll & Gymnich, 2018, S. 22f). Genau diese Dimension zeigt die Schwierigkeit für die Interaktion zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Kultur ist daher auch ein Teil der Sozialisation eines Menschen.
Es bezeichnet die Art und Weise, wie ein Mensch mehr oder weniger bewußt [sic] lernt, sich unter anderen Menschen zurecht zu finden, wie er sich in eine Gruppe bzw. in die Gesellschaft einfügt, wie er Verhaltensweisen, Gewohnheiten, Einstellungen und Techniken übernimmt, aber sich auch die Regeln, Werte und Normen aneignet, nach denen das Zusammenleben funktioniert [Hervorhebung im Original]. (Gruppe & Krüger, 2002, S. 81).
Trotz der kollektiven Kultur gibt es für das Individuum einen gewissen Grad an Freiheit, um mit diesen kulturellen Deutungsmustern zu verhandeln oder diese sogar umzudeuten (Mutz, 2015, S. 93). Mutz (2015, S. 93) und Auernheimer (2016, S. 79) sprechen in diesem Zusammenhang von einem „kulturelle[n] ,Wandel‘“. An dieser Stelle eröffnet sich eine Sicht auf Kultur, die vor allem für die IKP von Bedeutung ist. Kultur ist nämlich kein, wie lange angenommen, dauerhaftes, starres und in sich abgeschlossenes Gebilde (Auernheimer, 2016, S. 78f, Gabriel, 2019, S. 13). Im Kontext der „,Ausländerpädagogik‘ der 70er- Jahre“ war dagegen die „,Kulturalisierung‘“ - Gleichsetzung von Kultur und Nation - dominant (Gabriel, 2019, S. 12). Die Zuschreibungen kultureller Merkmale (deutsche-, türkische Merkmale) werden dabei als feststehend und geschlossen angesehen. Die Erziehungswissenschaft kritisierte mit dem Aufkommen der Konzepte der IKP zunehmend dieses bestehende Verständnis von Kultur (Gabriel, 2019, S. 13). Menschen werden dabei nicht in ihrer Individualität und Vielschichtigkeit gese- hen.So können zwei Nachbarn, der eine Vegetarier und der andere Schlachter, völlig verschiedene Vorstellung zum Thema Tiere zeigen. In der IKP wird Kultur heute alsin sich „heterogen“ angesehen (Auernheimer, 2016, S. 78f).
Außerdem „[.] ist der geographische Ort für die kulturelle Zugehörigkeit immer weniger bestimmend geworden.“ (Bertelsmann Stiftung & Fondazione Cariplo, 2008, S. 7). Neben der „,Nationalkultur‘“ gibt es viele weiter verschachtelte Formen von Kultur, wie beispielsweise die Kultur in einem Fußballverein oder die Kultur „[.] in politischen Gruppierungen [.]“ (Erll & Gymnich, 2018, S.27). Menschen können Teil mehrerer Kulturen sein und sind deshalb einzigartig in ihrer kulturellen Identität (Erll & Gymnich, 2018, S. 28).
Kultur ist deshalb auchTeil der Identität (Wer bin ich?).Nach Erdmann (2005, S. 52) ist Identität „[.] das (momentane) Ereignis der Wechselwirkung zwischen Individuum und seiner Umwelt.“ Identität wird also immer aufs Neue durch die Umwelt ausgehandelt. Für die Identitätsbildung braucht der Mensch deshalb seine Umwelt, die dem Menschen eine Rückmeldung über sein Selbst gibt. Die Teilhabe an einem Kollektiv, also auchdie Teilhabe aneiner Kultur wirkt identitätsbildendund -festigend. In längerfristig bestehender Teilhabefestigt sichdas Bild vom Selbst, es entsteht das normale Verhalten (Erll & Gymnich, 2018, S. 62).
Zurückkommend zum erwähnten kulturellen Wandel, wird Kultur heutzutage „[.] als prozesshaft, dynamisch verstanden [.]“ (Auernheimer, 2016, S.78f). Kulturen sind wandelbar, wenn sich die „Lebensverhältnisse“ ändern,
[.] weil veränderte Verhältnisse neue Handlungsanforderungen mit sich bringen. Das jeweilige kulturelle Repertoire wird dafür quasi gesichtet und umgearbeitet. In diesem Sinn arbeiten alle an ihren Kulturen, um unter Rückgriff auf Traditionen neuen Lösungen zu suchen, was nicht ohne Konflikte abgeht. (Auernheimer, 2016, S. 79).
Menschen arbeiten in jeder Situation an ihrer Identität und somit auch an ihrer kulturellen Identität. Interaktionen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Kulturen regen zum Wahrnehmen und Überarbeiten der eigenen kulturellen Identität an. Deswegen wird Kultur heute als reflexiver Prozess verstanden (Gabriel, 2019, S. 13). Mutz (2015, S. 95) stellt allerdings heraus, dass die eigene Kultur nur schwer zu reflektieren sei, da sie einen Teil der Identität ausmacht. Dies lässt sich an der mentalen Dimension gut feststellen, da Emotionen eigentlich als natürlich gelten und nicht als kulturelle Bedingtheit (Erll & Gymnich, 2018, S. 22f). Außerdem machen die Selbstverständlichkeit und Normalität von Kultur den Zugang zur Reflexion sehr schwer. Dieses Verständnis über einen wandelbaren Kulturbegriff reagiert auf eine Welt die immer mobiler, globaler und vielfältiger wird (Bertelmann Stiftung & Fondazione Cariplo, 2008, S. 7).
Zum Ende wird nun noch auf den Begriff der Interkulturalität eingegangen. Viele Autoren haben sich bereits mit diesem Begriff auseinandergesetzt und sind zu dem Schluss gekommen, dass „[.] sich Interkulturalität durch einen Austausch, durch ein Zusammentreffen, durch einen interaktiven Kontakt sowie durch die Beziehungen von Kulturen zueinander aus[zeich- net].“ (Gabriel, 2019, S. 16). Das Institut für Interkulturelle Kompetenz & Didaktik(IKUD)(o. J.)gibtin ihrem Glossar weiterführend eine verständliche Erklärung vor:
Eine ,Interkultur' entsteht durch den Prozess des Aufeinandereinwirkens verschiedener, mindestens zweier Kulturen, die in Interaktion oder Kommunikation miteinander stehen. Die Interkultur ist somit stark variabel und dynamisch. Sie beschreibt kein statisches Abhängigkeits- oder Dominanzverhältnis der Kulturen. Die beteiligten Kulturen oder Teile dieser werden in diesem Prozess nicht nur addiert, sondern bilden, sich gegenseitig beeinflussend, eine neue ,Kultur', eine Interkultur. Der Begriff wird positiv verwendet und umschreibt einen konstruktiven Interaktionsprozess.
2.3 Fremdheit
Wenn nun also zwei unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, wirken sie unabdingbar aufeinander ein und es entsteht das sogenannte „Interkulturelle“ (IKUD, 2011). In diesem interaktiven Prozess kommen mehrere Kulturen zusammen, was Andersartigkeit, Unsicherheit, Ängste und somit Konfliktpotenzial bürgen kann.„Die Interkulturelle Interaktion kann als Aushandlungsprozess zwischen den Interaktionspartnern verstanden werden, in dem die Individuen neue Standards für den Umgang miteinander aushandeln müssen.“ (IKUD, 2011). So könnten Mischkulturen entstehen. Die Kulturen sind dadurch wandelbar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb1. Interkultur (Erll & Gymnich, 2018, S. 36)
Bei der Bearbeitung von Themen im Gebiet der IKP, muss sich diesbezüglich mit den Dimen- sionen von Fremdheit auseinandergesetzt werden. Besonders Gieß-Stüber und Grimminger (2009) haben in ihren Leitideen zum interkulturellen Sportunterricht, auf die im späteren Teil der Arbeit eingegangen wird, Fremdheit als zentralen Aspekt herausgestellt. Fremdheit ist eine zentreale Größe, um verstehen zu können, wie und warum es zu Konflikten in interkulturellen
Situationen kommen kann. Die Wahrnehmung von Fremdheit, die Reaktion auf Fremdheit sowie der Umgang mit Fremdheit kann als Auslöser für mögliche Probleme zwischen Individuen in interkulturellen Situationen angesehen werden. Des Weiteren stellen Gieß-Stüber und Grim- minger (2009, S. 223) fest, dass „Fremdheit [.] zunehmend zum Strukturmerkmal moderner Gesellschaften [wird]“ (Gieß-Stüber & Grimminger, 2009, S. 223). Auch für Auernheimer (2016, S. 109) ist das Fremde omnipräsent. Gieß-Stüber und Grimminger (2009, S. 223) beziehen den Fremdheitsbegriff auf die zunehmende kulturelle Vielfalt in unserem Land. „Fremdheit durch Migration gilt als klassische Art von Fremdheit.“ (Gieß-Stüber, 2005, S. 69). Der Fremdheitsbegriff dieser Arbeit versteht das Fremde in Form von kultureller Differenz.12
[...]
1 „Der Begriff Multikulturalität [.] wird häufig im politischen Diskurs verwendet, er beschreibt die parallele Existenz mehrerer kultureller Gruppen auf einem nationalstaatlich organisierten Flächenraum [.]“ (Pries & Ma- letzky, 2018, S. 55).
2 Auf diesen Begriff wird im weiteren Verlauf der Arbeit ausführlicher eingegangen.
3 Das Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (BAMF) (2019, S. 37) definiert Migration wie folgt: „Von Migration spricht man, wenn eine Person ihren Lebensmittelpunkt räumlich verlegt, von internationaler Migration, wenn dies über Staatsgrenzen hinweg geschieht.“ Für das BAMF (2019, S. 37.) ist jedoch nur die „internationale Migration“ von Bedeutung, da dies weitaus herausforderndere Konsequenzen für Deutschland hat.
4 Bei der begrifflichen Festlegung herrscht kein Konsens. In diesem Zusammenhang soll angemerkt werden, dass es heutzutage eine wahre Flut an Begrifflichkeiten gibt (Ausländer, Migranten, Menschen mit Migrationshintergrund, Einteilung in Migrationsgenerationen). Eine genaue Festlegung oder ein korrekter Sprachgebrauch existiert nicht. Auernheimer (2016, S, 23) erwähnt im Bezug darauf das „Prinzip der Anerkennung.“ Begriffe dürfen nicht diskriminieren, stigmatisieren oder ausgrenzen. „Der Begriff ,Migrant/Migrantin‘ wird [.] als neutral angesehen, aber auch mit ihm sind [.] Aus- und Eingrenzungsprozesse verbunden.“ (Herzog-Punzenberger & Hintermann 2018, S. 33). Der Termini „Migrant bzw. Migrantin ist ein Sammelbegriff, der zunächst einmal all diejenigen bezeichnet, die ihren Lebensmittelpunkt innerhalb eines Landes oder grenzüberschreitend verlegen [...]“ (HerzogPunzenberger & Hintermann, 2018, S. 30).
5 Die Bezeichnung „Flüchtling“ kann als Unterkategorie der Migranten erklärt werden. „Für die Anerkennung als Flüchtling gilt nach wie vor die Definition der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)“ (Herzog-Punzenberger
6 Hintermann, 2018, S. 32).
7 Im schulischen Kontext treten wiederum andere Begrifflichkeiten auf, die eher die Sprache fokussieren (Herzog-Punzenberger & Hintermann, 2018, S. 31). Beispielsweise treten die Bezeichnungen Schüler und Schülerinnen „[...] mit Deutsch als Zweitsprache oder [...] mehrsprachige Schüler/innen [...]“ auf (Herzog-Punzenberger
8 Hintermann, 2018, S. 31). Krüger und Gebken (2017, S. 175) reden im schulischen Rahmen von „Seiteneinsteigern“. Die Kultusministerkonferenz (2018, S. 32) verwendet jedoch den Begriff „Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund“ und macht dies an drei Kriterien fest, bei denen jeweils eins auf den jeweiligen Lernenden zutreffen muss. Der Lernende besitzt nicht die „deutsche Staatsangehörigkeit“, der Lernende ist nicht in Deutschland geboren oder es bei der Familie zuhause wird nicht überwiegend deutsch gesprochen (Kultusministerkonferenz, 2018, S. 32). Letzterer Begriff wird für diese Arbeit verwendet.
9 Assimilation wird bei Grimminger (2009, S. 59) als Zieldimension und Akkulturation als Prozess dahin verstanden. In Abgrenzung zu Assimilation und Integration stehen die Konzepte von „Segregation bzw. Separation“ (Grmminger, 2009, S. 59). Mehrheit wie Minderheit gehen nicht auf kulturelle Situationen ein. Es kommt zu keiner kulturellen Anpassung oder Aushandlung.
10 „ [.] z.B. im Hinblick auf ihre Flucht- und Bildungsbiografien, [.] Kulturen, sozialen Schichtungen [.], traumatisierenden Erfahrungen, schwierigen Wohn- und Lebensbedingungen und Isolation [.], fehlenden oder unzureichenden Kenntnisse in der Lernsprache Deutsch [.]“ (Preuß, 2018, S. 27f).
11 Der Begriff „Ausländer“ ist heutzutage negativ konnotiert und gilt „[...] als diskriminierend und ausgrenzend [...]" (Auernheimer, 2016, S. 22).
12 Fremdheit kann jedoch die unterschiedlichsten Formen annehmen und wird im Alltag in „[.] sehr unterschied- liche[n] Situationen, Kontexten und Ebenen“ erlebt und verstanden (Seiberth, 2012, S. 53). So kann schon der langjährige Freund, mit seiner merkwürdigen Art, alles in der Mikrowelle zu kochen genauso fremd wirken, wie die neue Tapete an der Wand (Seiberth, 2012, S. 53f).
- Citar trabajo
- Melanie Heitmann (Autor), 2019, Sport als Integrationsmotor? Chancen, Herausforderungen und mögliche didaktische Umsetzung interkultureller Lernprozesse im Schulsport, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1175585
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.