Kunst und Realität bedingen sich gegenseitig und verändern einander stets. In der heutigen Zeit leben Kinder mehr denn je in ästhetischen Welten und ihrem Umgang mit Bildern und der Ausbildung ihrer künstlerischen Kompetenz wird hinsichtlich der kulturellen Sozialisation eine wachsende Bedeutung zugesprochen. Als angehende Lehrkräfte für das Unterrichtsfach Kunst unterliegen wir im Besonderen dem institutionellen Kontext und wir sollten dahingehend sensibilisiert sein, Kunst nicht zu instrumentalisieren. Als Kunstlehrer ist es unsere Aufgabe, unseren Schülern einen anderen, individuellen Zugang zu Bildern und ästhetischen Erlebniswelten zu ermöglichen und sie zu befähigen, über bereits Vorhandenes, Bekanntes hinauszugehen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Ziele des Konzepts
3. Gegenstand des Projekts
4. Inhalt
5. Methode
6. Durchführung und Beobachtung
7. Auswertung und Reflexion des Projekts
8. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Studierenden des Faches Kunst besuchten im Sommersemester 2008 ein Seminar, was es sich zur Aufgabe machte, ein künstlerisches Vermittlungsanliegen in der Schule umzusetzen. Die Studierenden, die bereits in vergangenen Seminaren Wissen über unterschiedlichste Kunstvermittlungsstrategien erworben hatten, sollten hier dieses Wissen anwenden und mit Hilfe konkreter Projekte transportieren. Genauer beinhaltete diese Aufgabe eine Zielvorstellung und die genaue Definition eines Vermittlungsanliegens, den zu vermittelnden Gegenstand und eine fachdidaktische Positionierung, die die Umsetzung in der Praxis ermöglicht. Eine anschließende Reflexion ist elementarer Bereich des Vorhabens, denn nur so kann es zu einer selbstkritischen Einschätzung, und damit auch zum Lernprozess seitens der Studierenden kommen. Die Arbeit erfolgt in Zweiergruppen.
Die Studierenden stellten ihr Ideen, Vorstellungen und Strategien im Seminar vor und tauschten sich über Kunstvermittlung aus. Dabei stand das Hinterfragen des Vorhabens im Vordergrund. Die Studierenden diskutierten immer wieder um den Kern des Projektes und seine Definition; über die Intention, das Vermittlungsanliegen.
Beobachtungen aller Art, auch negative sollen in dem vorliegen Projektbericht thematisiert und ausgewertet werden. Er ist also nicht als starre Dokumentation geplanter Unterrichtsschritte zu sehen, vielmehr soll hier die Bewegung und Dynamik, die sich im Kunstunterricht finden kann aufgezeigt werden.
Vorerst möchte ich unsere Ziele definieren, dann den Gegenstand des zu Vermittelnden beschreiben und den Inhalt festlegen. Die fachdidaktische Positionierung folgt dem Vermittlungsanliegen. Ein Durchführungsbericht und eine Auswertung des Projektes bündelt den Prozess. Abschließend nehme ich in einem persönlichen Fazit Stellung.
2. Ziele des Konzepts
Lerner setzen sich in der Institution Schule auf verschiedene Weisen mit der Welt auseinander. Sie erlernen beispielsweise Kenntnisse über geographische Daten, kulturelle und gesellschaftliche Ereignisse und andere weltliche Fakten. Sie setzen sich aktiv mit der Realität auseinander und werden von selbiger geprägt. Der Fachbereich Kunst bietet ihnen die Chance einer alternativen Herangehensweise an diese Realität. Doch was ist Realität? Mit dieser ontologischen Frage, einer Teildisziplin der theoretischen Philosophie und Metaphysik können und sollten sich junge Menschen in unserer Gesellschaft befassen. Denn schon Aristoteles und Platon bis hin zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel oder auch Martin Heidegger beschäftigten sich mit den Grundstrukturen der Realität, des Seienden, dessen, was existiert. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit dieser Thematik hat es daher ebenfalls seit jeher gegeben.
Unser Anliegen ist es, den Schülern eine neue Sicht auf das reale/das Wirkliche zu ermöglichen und Gegebenes zu hinterfragen. Die Schülerinnen und Schüler sollen Realität aus einer anderen Perspektive betrachten und dabei Alternativen entdecken. Nicht nur eigene Beobachtungsmechanismen sollen dabei wahrgenommen werden, vielmehr geht es hier auch um die Erweiterung der individuellen ästhetischen Sichtweise.
3. Gegenstand des Projekts
In der Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts finden sich zahlreiche Künstler und Kunstrichtungen, die sich mit dem Thema der Perspektivverschiebung auf vielfältige Weise auseinandergesetzt haben. Besonders im Surrealismus wird die Fragestellung des Realen bildlich bearbeitet. Auch der Dadaismus, besonders Marcel Duchamp wirkte hier maßstäblich. Er hat mit der Ausstellung alltäglicher Gegenstände wie beispielsweise der Darstellung eines Flaschentrockners, Urinals etc. zum Hinterfragen angeregt. Was ist das eigentlich? Ist das real? Gibt es einen Flaschentrockner? Und wo ist Kunst? Erfundene Dinge, wie auch die Schokoladenmühle von 1911 wurden zu Kunst weil etwas Irreales, etwas Nicht- Greifbares war und somit alles Herkömmliche um sich herum infrage stellten. Diese Herangehensweise wurde von zahlreichen Künstlern fortgeführt und findet sich wieder in der Kontextkunst. Eine elementare Strategie der Kontextkunst ist die der Verschiebung (Displacement) und Verfremdung. Diese Verfremdung und Entkontextualisierung wollen wir uns zunutze machen und als Gegenstand der Vermittlung einbringen.
Die Verfremdung begünstigt eine differenzierte Wahrnehmung und somit eine genauere und kritischere Betrachtung der Realität. Die Auseinandersetzung mit alltäglichen, bekannten Gegenständen hat viele Künstlerinnen und Künstler inspiriert, die äußere Welt in ihrer gegeben Gestalt zu hinterfragen und das „Andere“ zu thematisieren. Irritation, Displacement und Dislocation sind dafür wichtige Werkzeuge.
4. Inhalt
Nichts ist feststehend und statisch. Das sollen die Schülerinnen und Schüler schlussfolgern, wenn sie sich intensiv mit dem ihnen bekannten Gegenstand auseinandersetzen. Wie unterschiedlich und individuell Sichtweisen, Vorstellungen und Herangehensweisen sein können, zeigt sich, wenn sie sich von der Vorstellung des Bekannten lösen und neue Möglichkeiten zulassen. Das haben auch die Künstler selbst im Surrealismus, Dadaismus und in der Kontextkunst getan und sich durch einen Perspektivwechsel der Auseinandersetzung mit dem Wirklichen genähert. Das Fremde ist allgegenwärtig und soll gesucht und betrachtet werden. „Es geht beim Vermitteln also darum, mit einem Gegenstand etwas hervorzubringen, das uns selbst fremd ist und mit dem wir uns die Gewissheit darüber verschaffen können, dass wir es nicht restlos verstehen.“ [1]
Unser Vermittlungsanliegen bezieht sich daher in erster Linie auf die Verfremdung an sich und die daraus resultierende Anregung seitens der Schüler. Sie sollen sich auf individuelle Weise mit Alternativen befassen um eigene Strategien für eine differenzierte Herangehensweise zu entwickeln. Diese Differenz ist hier als eine Auffächerung aller ästhetischen Prozesse zu- und untereinander zu verstehen. „Die Differenz arbeitet in der ästhetischen Idee ohne Unterlass, und wir werden niemals eine universell gültige Ästhetik formulieren können.“ [2] Denkprozesse dieser Art forcieren Bewegungen und Erweiterungen des Geistes.
Die Schülerinnen und Schüler sollen sich mit den ihnen vorliegenden alltäglichen Gegenständen auseinandersetzen und jeweils eine für sie ganz eigene Strategie entwickeln um eine von Maset bezeichnete „Andersheit“ zu ermitteln. „Der Kunstunterricht ist ein Schulfach, in dem die grundlegende Andersheit des Subjektes nachhaltig eingebracht werden kann, weil all das, was sich in Körperspuren und Wahrnehmungen als ästhetisch Erfahrung sedimentiert hat, immer auch Gegenstand von Kunstunterricht ist, selbst in seinen missglücktesten Ausprägungen.“[3] Nach diesem Ansatz sollen die Schülerinnen und Schüler vorgehen. Sie mögen den Gegenstand anfassen, betrachten, verorten um sich dann mit dem möglichen Fremden und seiner „Andersheit“ auseinander zu setzen.
Durch unsere Vorgehensweise möchten wir den Blick der Schülerinnen und Schüler öffnen, um die Gegenstände nicht weiterhin instrumentell zu betrachten. Wir möchten ihnen den Impuls geben, diesen aus ihrem persönlichen Alltag bekannten Objekten eine neue Bedeutung, eine neue Funktion zuzuordnen. Um einen altersgerechten Zugang zu den Schülerinnen und Schülern zu finden, sollen sie sich vorstellen, ein Außerirdischer sei bei ihnen gelandet und habe mehrere Gegenstände dabei, deren Funktion und Sinnhaftigkeit er nicht erschließen könne. Er bittet um Aufklärung, doch durch die starke interstellare Strahlung und die schwere Erschütterung bei der Landung des Raumschiffs haben die Schülerinnen und Schüler ihr Gedächtnis verloren. Da Horst in friedlicher Absicht käme, wären sie trotz der Gedächtnislücken bereit, ihm Skizzen und mögliche Funktionen und deren Bedeutung zu erstellen. Hierzu haben wir zahlreiche Alltagsgegenstände zur Verfügung gestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch die intensive Beschäftigung mit den von ihnen ausgesuchten Gegenständen, sowohl visuell als auch haptisch, erhalten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, sich neuen Orten und/oder Funktionen zu öffnen und ihren Geist herausfordert, sich diesem fragend zu stellen um Wege und Zugänge zur „Andersheit“ und Fremdsein zu finden.
5. Methode
Mit unserem Projekt möchten wir die Schülerinnen und Schüler dazu anregen, sich ihrer eigenen Wahrnehmung bewusst zu werden und ihr ästhetisches Empfinden weiter auszubilden. Daraus herausgehend sollen sie aufmerksam die eigenen künstlerischen Prozesse betrachten können, denn gerade durch die Konfrontation mit dem „Anderen“, der Verortung und Verfremdung der Gegenstände sollen ihr Geist, alle ihre Sinne, ihr gesamtes Tun und Handeln zur bewussten Differenzierung angeregt werden. Maset beschreibt diesen Prozess folgendermaßen: „Jede soziale Praxis beinhaltet aber eine gestalterische Aufgabe. Wir gestalten unentwegt, bewusst oder unbewusst, und unser Verhalten steht nicht außerhalb der Formfrage.“[4] Unser angestrebtes Ziel ist jedoch die Entwicklung und Erweiterung des „Bewusstwerdens“ der eigenen Praxis der Schülerinnen und Schüler.
Durch die Anregung der bewussten, differenzierten Wahrnehmung distanziert sich unsere Herangehensweise klar von der reinen Informationsvermittlung im Kunstunterricht. Der von uns gewählte Vermittlungsansatz lässt sich fachdidaktisch als von Maset bezeichnete „kunsthafte Kunstvermittlung“ [5] definieren. Der Prozess des Schaffens als Prinzip der ästhetischen Operationen erfolgt durch die Kunst selbst. Sie allein steht im Mittelpunkt und dient als Kern aller individuellen Handlungen, Gedanken und Strategien, ist nicht zielgerichtet sondern offen. Offen für eine neue Wahrnehmung, ein neues Bewusstsein.
Unser von uns angestrebtes Vermittlungsanliegen orientiert sich ebenfalls an der Position Masets´, dass „[...] Kunstunterricht in besonderer Weise dazu beitragen kann, sich mit dem Fremden auseinander zu setzen. Und zwar deshalb, weil er mittels der Fremdheiten der Kunst ein Experimentierfeld zur Erfahrung des Fremden schaffen kann. In der Kunst wird man mit Fremdheiten konfrontiert, die nicht nach Identifikation bzw. Vertrautmachung trachten, Fremdheit ist für die Kunst grundlegend.“[6]
6. Durchführung und Beobachtung
Nachdem wir die Aufgabenstellung vermittelt hatten, bekamen die Schülerinnen und Schüler jeweils einen Gegenstand, den sie in seiner neuen Funktion zeichnen sollten. Wir schlugen vor, dass sie sich selbst einen Gegenstand aussuchen sollten. Sie aber meinten es sei besser, wenn wir die Gegenstände verteilen würden. So wollten sie Streit vermeiden. Erstaunlichweise begannen die Schülerinnen und Schüler damit, sehr originell mit den Gegenständen zu experimentieren. Sie hatten keine Scheu sich Kleiderbügel als Ohrringe umzuhängen, ein Sieb als Mütze aufzusetzen oder ein Hufeisen als Halsschmuck zu verwenden. Letzteres lies sich nicht auf Anhieb entfernen, dem Schüler musste geholfen werden.
Das Haptische stand an erster Stelle. Die Wahrnehmung verlief hier über das Anfassen und Ausprobieren. Als die ersten Schülerinnen begannen, ihre Ideen zeichnerisch umzusetzen, war zu erkennen, dass sie sich entweder an der ursprünglichen Funktion oder Gestalt des Gegenstandes orientierten. Zu Beginn der Stunde kam noch häufiger die Frage auf, was sie denn nun alles machen dürften und ob dieses oder jenes Teil auch etwas Bestimmtes sein dürfte. Nach kurzer Zeit aber wurde den Schülerinnen und Schülern klar, dass alles erlaubt war und es um ihre eigenen Ideen geht.
Das Arbeitsklima war sehr ruhig und konzentriert. Die Klasse war äußerst produktiv. Immer schneller waren die Zeichnungen fertig und es wurde nach einem neuen Gegenstand gefragt. Glücklicherweise haben wir noch einige Ersatzgegenstände dabei gehabt, wir hätten sonst Probleme bekommen. Mit so einer raschen Produktion haben wir nicht gerechnet.
[...]
[1] Maset, Pierangelo (2001): Praxis, Kunst, Pädagogik: Ästhetische Operationen in der Kunstvermittlung. Lüneburg: Ed. Hyde. 2. Auflage, S. 13.
[2] Maset, Pierangelo (1995): Ästhetische Bildung der Differenz: Kunst und Pädagogik im technischen Zeitalter. Stuttgart: Radius-Verlag, S. 13.
[3] Maset, Pierangelo (1995): Ästhetische Bildung der Differenz: Kunst und Pädagogik im technischen Zeitalter, S.14
[4] Maset, Pierangelo; Reuther, Rebecca; Steffel, Hagen (2006): Corporate Difference- Formate der Kunstvermittlung. In: Maset, Pierangelo: Fortsetzung Kunstvermittlung. Lüneburg: edition HYDE, S. 21
[5] Maset, Pierangelo; Reuther, Rebecca; Steffel, Hagen (2006): Corporate Difference- Formate der Kunstvermittlung. In: Maset, Pierangelo: Fortsetzung Kunstvermittlung, S. 14
[6] Maset, Pierangelo (2000): Die Fremdheit des Ortes. Auslöser für ästhetische Prozesse mit Kindern und Jugendlichen. In: Landesverband der Kunstschulen Niedersachsen (Hg.) Kunstschulen verbinden II, S.8.
- Citation du texte
- Bettina Freude-Schlumbohm (Auteur), 2008, Dinge neu erfahren. Verfremdete Gegenstände im Kunstunterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117418
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