Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, wie Erzähler (narrateur) und fiktiver Leser (narrataire) in Marcel Prousts Du côté de chez Swann erkannt und näher bestimmt werden können und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Als Ausgangspunkt der Analyse gelten für den Erzähler Gérard Genettes grundlegende Studie Die Erzählung und was den fiktiven Leser betrifft das Werk von Pascal Alain Ifri: Proust et son narrataire dans ‚A la Recherche du temps perdu’.
Die größte Schwierigkeit dieser Arbeit bestand darin, dass es sich beim Primärtext, der die Grundlage dafür darstellt, nur um den ersten Band der Recherche handelt, die Sekundärliteratur sich aber mit dem gesamten Werk auseinandersetzt. Deshalb ist es nicht in allen Fällen möglich, Textbelege zu geben, die bei Genette und Ifri als Basis für bestimmte Überlegungen gelten und die hier dem Leser nicht vorenthalten werden sollen.
Zunächst wird der Erzähler näher bestimmt. Dabei wird auf die Fokalisierung, verschiedene Redeformen und narrative Ebenen, sowie abschließend auf die Ordnung eingegangen. Anschließend wird der Begriff des fiktiven Lesers definiert, sein Vorkommen in der Recherche bewiesen und es wird versucht ihn so gut wie möglich zu charakterisieren. Am Ende der Arbeit soll das Verhältnis zwischen narrateur und narrataire kurz charakterisiert werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Erzähler – „le narrateur“
2.1 Allgemeines
2.2 Fokalisierung
2.3 Redeformen
2.4 Narrative Ebenen
2.5 Ordnung: Analepse, Prolepse und antizipierter Rückgriff
2.6 Zusammenfassung
3 Der Adressat – „le narrataire“
3.1 Kommunikation in der Literatur – Definition des narrataire
3.2 Vorkommen des narrataire in der Recherche
3.3 Portrait des narrataire in der Recherche
4 Verhältnis narrateur – narrataire
5 Schluss
6 Bibliographie
1 Einleitung
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, wie Erzähler (narrateur) und fiktiver Leser (narrataire) in Marcel Prousts Du côté de chez Swann erkannt und näher bestimmt werden können und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Als Ausgangspunkt der Analyse gelten für den Erzähler Gérard Genettes grundlegende Studie Die Erzählung und was den fiktiven Leser betrifft das Werk von Pascal Alain Ifri: Proust et son narrataire dans ‚A la Recherche du temps perdu’.
Die größte Schwierigkeit dieser Arbeit bestand darin, dass es sich beim Primärtext, der die Grundlage dafür darstellt, nur um den ersten Band der Recherche handelt, die Sekundärliteratur sich aber mit dem gesamten Werk auseinandersetzt. Deshalb ist es nicht in allen Fällen möglich, Textbelege zu geben, die bei Genette und Ifri als Basis für bestimmte Überlegungen gelten und die hier dem Leser nicht vorenthalten werden sollen.
Zunächst wird der Erzähler näher bestimmt. Dabei wird auf die Fokalisierung, verschiedene Redeformen und narrative Ebenen, sowie abschließend auf die Ordnung eingegangen. Anschließend wird der Begriff des fiktiven Lesers definiert, sein Vorkommen in der Recherche bewiesen und es wird versucht ihn so gut wie möglich zu charakterisieren. Am Ende der Arbeit soll das Verhältnis zwischen narrateur und narrataire kurz charakterisiert werden.
2 Der Erzähler – „le narrateur“
2.1 Allgemeines
Beim Erzähler in der Recherche und der Hauptfigur Marcel handelt es sich um ein- und dieselbe Person. Das lässt sich dadurch erklären, dass der Ich-Erzähler – der allgegenwärtig ist[1] – seine eigene Geschichte erzählt, nämlich wie er überhaupt zum Schreiben kam. Der Roman endet damit, dass der Held „die Wahrheit und den Sinn des Lebens“[2] findet und beginnt genau diesen Roman zu schreiben.
Was dabei irritiert, ist die Tatsache, dass der gleiche Erzähler sowohl die Geschichte von Marcel, als auch die von Swann erzählt, bei letzterem aber die dritte Person Singular verwendet.[3]
Außerdem mag es seltsam erscheinen ein Buch mit den Worten beginnen zu lassen: „Longtemps, je me suis couché de bonne heure.“ (3)[4] Immerhin weiß der Leser nicht, um wen es eigentlich geht. Und da es sich nicht um direkte Rede handelt, darf er auch nicht auf eine Erklärung hoffen. Stattdessen wird er erst im Laufe des Romans mehr über dieses Ich erfahren.
2.2 Fokalisierung
„Es ist offenkundig […] dass der narrative Modus der Recherche recht oft die interne Fokalisierung auf den Helden ist.“[5] Dies bedeutet, dass „die fokale Figur ungenannt bleibt, nie von außen beschrieben wird, und dass der Erzähler ihre Gedanken oder Wahrnehmungen nie objektiv analysiert.“[6]
So ist in Un amour de Swann die Person, auf die der Fokus gelegt wird, eben dieser Swann selbst. Seine Gefühle und Gedanken werden sehr genau beschrieben, während diejenigen Odettes dem Leser verschwiegen werden.[7]
Ein anderes Beispiel wäre die Stelle, als Swann Odette nachts noch besuchen will und sich im Haus irrt. Auch hier erfährt der Leser nur das, was Swann selbst in diesem Moment wahrnimmt:
[...] mais entre les lames obliques des volets il ne pouvait rien voir; il entendait seulement dans le silence de la nuit le murmure d’une conversation. (268)
In Combray liegt der Fokus auf dem Erzähler selbst, was bei einem Ich-Erzähler durchaus logisch erscheint. Allerdings ist zu beachten, dass der Erzähler an manchen Stellen mehr weiß als das Ich, da er Hintergrundinformationen zu manchen Personen oder Vorgriffe auf die Zukunft gibt. Dies wäre als Nullfokalisierung zu bezeichnen.
Genette spricht davon, dass Proust „drei Fokalisierungsmodi zugleich einsetzt und nach Belieben aus dem Bewusstsein seines Helden in das des Erzähler hinüberwechselt, aber auch abwechselnd in das der verschiedensten Figuren schlüpft.“[8]
2.3 Redeformen
Des Öfteren wechselt der Erzähler auch zwischen verschiedenen Redeformen. So geht er zum Beispiel von der indirekten in die erlebte Rede über an der Stelle, als Swann über Odette nachdenkt:
Il avait le brusque soupçon que cette heure passée chez Odette, sous la lampe n’était peut-être pas une heure factice […] que s’il n’avait pas été là, elle eût avancé à Forcheville le même fauteuil […] que le monde habité par Odette n’était pas cet autre monde effroyable et surnaturel où il passait son temps à la situer et qui n’existait peut-être que dans son imagination, mais l’univers réel […] (294)
Mit einem Seufzer Swanns leitet der Erzähler schließlich die erlebte Rede ein:
Ah! si le destin avait permis qu’il pût n’avoir qu’une seule demeure avec Odette et que chez elle il fût chez lui, […], si quand Odette voulait aller le matin se promener avenue du Bois de Boulogne, son devoir de bon mari l’avait obligé, n’eût-il pas envie de sortir, à l’accompagner […](204)
Um schließlich wieder zur indirekten Rede zurückzukehren:
Pourtant il se doutait bien que ce qu’il regrettait ainsi […] (295)
Einige Zeilen später werden Swanns Gedanken dann in Monologform wiedergegeben:
Mais aussi, je suis trop bête, se disait-il, je paie avec mon argent le plaisir des autres. […] espérons qu’elle refusera, grand Dieu! Entendre du Wagner pendant quinze jours avec elle qui s’en soucie comme un poisson d’une pomme, ce serait gai! (295f)
Es kann nicht übersehen werden, dass auch Dialoge vorkommen. Diese spielen jedoch nur eine untergeordnete Rolle, da sie sich weniger eignen die Gedanken des Ich-Erzählers wiederzugeben, die dieser – zwischen den Begegnungen mit anderen Menschen, mit denen er auch Unterhaltungen führt – sehr ausführlich beschreibt.
2.4 Narrative Ebenen
Genette definiert zunächst verschiedene narrativen Ebenen, die in einer Erzählung auftreten können: „Jedes Ereignis, von dem in einer Erzählung erzählt wird, liegt auf der nächsthöheren diegetischen Ebene zu der, auf der der hervorbringende narrative Akt dieser Erzählung angesiedelt ist.“[9] Er nennt die erste Stufe „diegetisch oder intradiegetisch“ und die Erzählung in der Erzählung (also zweite Stufe) „metadiegetisch“.[10]
Bei Proust liegt nun der Spezialfall der „pseudo-diegetischen“[11] Erzählung vor. Dies bedeutet, dass eine ursprünglich zweite Erzählung „sofort auf die erste Ebene zurückgeführt [wird] und, was auch immer ihre Quelle sein mag, dem Erzähler-Helden in den Mund gelegt [wird].“[12] So zum Beispiel, wenn der Erzähler von Ereignissen berichtet, bei denen er nicht dabei war, die er nur durch „intermediäre Erzählung“[13] von anderen Personen erfahren hat, wie in Un amour de Swann. Was eigentlich aus der Sicht Swanns erzählt werden müsste, wird immer wieder vom Erzähler unterbrochen, um „auf seine spätere Existenz“[14] hinzuweisen: «mon grand-père» (191) oder «Et il n’avait pas, comme j’eus à Combray dans mon enfance, des journées heureuses pendant lesquelles s’oublient les souffrances qui renaîtront le soir.» (291).
Des Weiteren unterscheidet Genette zwischen heterodiegetisch (der Erzähler kommt selbst nicht in der Geschichte vor, die er erzählt) und homodiegetisch (der Erzähler ist selbst als Figur in der Geschichte anwesend). Ein besonderer Fall des Homodiegetischen ist die autodiegetische Erzählung (der Erzähler ist der Held selbst)[15], wie in der Recherche. Hierbei muss wieder beachtet werden, dass an manchen Stellen ein allwissender Erzähler auftritt, der mehr weiß als der Held selbst. Genette erklärt, dass Proust „sowohl einen ‚allwissenden’ Erzähler [braucht], der imstande ist, gelassen über einer jetzt objektivierten moralischen Erfahrung zu stehen, wie auch einen autodiegetischen Erzähler, der imstande ist, die geistige Erfahrung, die allem übrigen erst seinen abschließenden Sinn gibt und das Privileg des Helden bleibt, mit seinem Kommentar persönlich zu beglaubigen (durch seine Identität mit dem Helden) und zu erläutern.“[16]
2.5 Ordnung: Analepse, Prolepse und antizipierter Rückgriff
„[…] mit Analepse [bezeichnen wir] jede nachträgliche Erwähnung eines Ereignisses, das innerhalb der Geschichte zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hat als dem, den die Erzählung bereits erreicht hat.“[17] Diese Definition gibt Genette in seinem Werk Die Erzählung. Er unterscheidet zwischen interner und externer Analepse, je nachdem, ob das berichtete Ereignis vor oder nach dem Beginn der Geschichte stattfand.
Der Vorteil externer Analepsen liegt darin, dass sie „sich [nie] mit der Basiserzählung […] überschneiden, und ihre Aufgabe besteht nur darin, diese zu ergänzen, um den Leser über das eine oder andere ‚frühere Ereignis’ zu unterrichten.“[18] Beispiel hierfür wäre Du côté de chez Swann, da hier eine Geschichte erzählt wird, die sich bereits vor der Haupthandlung zutrug: Die Liebesgeschichte zwischen Monsieur Swann und Odette Crécy, von der dieser Band handelt, war bereits abgeschlossen, als der Erzähler mit der Basiserzählung beginnt: „Longtemps, je me suis couché de bonne heure.“ (3).
Als Beispiel für eine interne Analepse wäre der Besuch des Erzählers, Marcels, bei Onkel Adolphe zu nennen (74-78), der hier erstmals auf die „dame en rose“ (76) trifft, die sich später als Odette de Crécy entpuppen wird. Hier wird angedeutet, dass Marcel seine Kindheit in Paris verbrachte, auch wenn sonst nichts Konkretes über diese Zeit gesagt wird.
Auf die Tatsache, dass Genette – was die internen Analepsen betrifft – noch zwischen hetero- und homodiegetisch unterscheidet, soll hier nicht näher eingegangen werden.
Prolepse ist das Gegenteil von Analepse und bezeichnet „jedes narrative Manöver, das darin besteht, ein späteres Ereignis im voraus zu erzählen oder zu evozieren“.[19] So zum Beispiel, an folgender Stelle:
[…] et bien plus tard, quand l’arrangement (ou le simulacre rituel d’arrangement) des catleyas fut depuis longtemps tombé en désuétude, la métaphore ‘faire catleya’, devenue un simple vocable qu’ils employaient sans y penser quand ils voulaient signifier l’acte de la possession physique – où d’ailleurs l’on ne possède rien –, survécut dans leur langage, où elle le commémorait,à cet usage oublié. (230)
Dies ist ein Ausblick auf die zukünftige sexuelle Beziehung zwischen Swann und Odette.
Wenn Marcel erzählt:
[…] bien des années plus tard, nous apprîmes que si cet été-là nous avions mangé presque tous les jours des asperges, c’était parce que leur odeur donnaità la pauvre fille de cuisine chargée de les éplucher des crises d’asthme d’une telle violence qu’elle fut obligée de finir par s’en aller.(122)
nennt Genette diese Vorgehensweise „antizipierter Rückgriff“[20]. Der Erzähler verweist auf einen bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft, zu dem er erfährt, warum er und seine Familie in diesem Sommer sooft Spargel serviert bekamen. Das Spargelessen an sich findet allerdings in der Gegenwart statt.
[...]
[1] Vgl. Genette 1994. S. 119.
[2] Ebd. S. 161.
[3] Vgl. ebd. S. 153.
[4] Die Ziffern beziehen sich auf folgende ausgabe: Proust, Marcel: Du côté de chez Swann. Paris 1987.
[5] Genette 1994. S. 141.
[6] Ebd. S. 136.
[7] Vgl. ebd. S. 142f.
[8] Ebd. S. 149.
[9] Ebd. S. 163.
[10] Ebd. S. 163.
[11] Ebd. S. 172.
[12] Ebd. S. 172.
[13] Ebd. S. 172.
[14] Ebd. S. 173.
[15] Vgl. Genette 1994. S. 175f.
[16] Ebd. S. 181.
[17] Ebd. S. 25.
[18] Ebd. S. 33.
[19] Ebd. S. 25.
[20] Ebd. S. 56.
- Citation du texte
- Katrin Daum (Auteur), 2008, Narrateur et Narrataire - Erzähler-Leser-Konfiguration in Prousts "Du côté de chez Swann", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117116
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