Das Fantasy Genre boomt und spätestens seit J. K. Rowlings Harry Potter hat die Welt der Fantasie auch die Herzen der Kinder wieder erobert. Fantastische Geschichten und Welten gewinnen zunehmend an Popularität und laden dazu ein die Zwänge des Alltags für einen Moment zu vergessen, um in diese magischen Welten einzutauchen. Virtuelle Lebenswelten entstehen und werden von großen Spieleherstellern gehegt und gepflegt. Warum nicht abends einfach mal nach Hogwarts flüchten oder Seite an Seite mit den Kriegern aus Mittelerde gegen einen gemeinsamen Feind streiten, anstatt in der langweiligen Alltagswelt zu verweilen? Das Spiel mit der Identität wird zum Volkssport, wenn der elegant gekleidete Bankangestellte abends in die Rolle eines hinterlistigen Schurken schlüpft. Virtuelle Welten laden ein, jemand zu sein, der man nicht ist. Nicht nur Kinder und Jugendliche lassen sich von diesen Welten in ihren Bann ziehen. Doch bieten diese Welten mehr als nur ein 'abschalten' vom Alltag. Sie sind eine Spielwiese für alle, die Identität gestalten und ihre Genese erleben wollen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Teil 1 – Allgemeine Definitionen und Grundlagen
1.1 VR, was ist das eigentlich?
1.2 Was ist ein Rollenspiel?
1.3 P&P
1.4 LARP
1.5 MMORPG
1.6 Gemeinsamkeiten
1.7 Life Sims
Teil 2 – Rollenspiel und Computerspiele als ,Identitätsschmiede'
2.1 Identität
2.2 E.H. Eriksons psychoanalytisches Identitätskonzept
2.3 Adoleszenz als psychosoziales Moratorium für experimentelle Identitätsarbeit
2.4 Das Spiel als Plattform für Experimente mit Rollen
2.5 Die Wandlung der theoretischen Sichtweise
2.7 Bastel- und Patchwork-Identitäten
2.8 Virtuelle Persönlichkeit und Multiplizierende Identität
2.10 Die Bedeutung der Kommunikation für die Identitätsfindung
2.11 Die „social presence“ Theorie
2.12 Die Symbolbildungstheorie nach Lorenzer
2.13 Rollenspiel als normfreier Raum?
2. 14 Homo ludens
2.15 Zusammenfassung
Teil 3 – Gefahren der Mediengesellschaft
3.1 Die Medialisierung der Gesellschaft
3.2 Es ist, als hättest Du ein zweites Ich
3.3 Online-Sucht
3.4 Gilden als Suchtauslöser
3.5 Schlachtzüge als Suchtauslöser
3.6 Online-Freundschaften und andere Phänomene
3.6.1 Exkurs: Warum faszinieren PC- und Rollenspiele?
3.6.1.2 Pragmatischer Funktionskreis
3.6.1.3 Semantischer Funktionskreis
3.6.1.4 Syntaktischer Funktionskreis
3.6.1.5 Dynamischer Funktionskreis
3.6.2 Das „Flow-Erlebnis“
3.7 Vergleich: MMORPG und P&P/LARP
3.8 Realitätsflucht
3.8.1 Sehnsucht nach dem Unerreichbaren?
3.9 Realitätsverlust
3.10 Transferprozesse
3.10.1 Problemlösender Transfer
3.10.2 Gedächtnisbezogener Transfer
3.10.3 Emotionaler Transfer
3.10.4 Ethisch-moralischer Transfer
3.11 Mangelnde Medienkompetenz als Gefahr?
Teil 4 – Auswertung der Online-Befragung
4.1 Methoden
4.2 Auswertung der Online-Befragung (n = 46)
4.2.1. Schematisierte Identitätsarbeit
Teil 5 – Bedeutung für Erziehung und Bildung
5.1 Verändertes Freizeitverhalten?
5.2 Bedeutung der zunehmenden Virtualisierung für die moderne Jugendarbeit
5.2.1 Videospiele in der Jugendarbeit
5.2.2 Virtuelle Lebenswelten in der Jugendarbeit
5.2.3. Waldritter e.V. - ein Beispiel für pädagogische Nutzung von Rollenspiel
5.2.4. Gut Drauf?! - Rollenspiel im Programm der Suchthilfe Wetzlar
5.3 Zielsetzungen
5.3.1 Der Online-Spielsucht entgegenwirken
5.3.2 Medienkompetenz
5.3.2.1 Inhaltsanalyse
5.3.2.2 Aufarbeitung emotionaler Wirkung von PC-Spielen
5.3.2.3 Moralische Beurteilung der Inhalte
5.3.2.4 Abschließende Zusammenfassung
5.4 Alternativen bieten - Realadventures
6.1 Abschließendes Resumée
7. Glossar
8. Literaturverzeichnis
Quellenband
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Vorwort
Das Fantasy Genre boomt und spätestens seit J. K. Rowlings Harry Potter hat die Welt der Fantasie auch die Herzen der Kinder wieder erobert. Fantastische Geschichten und Welten gewinnen zunehmend an Popularität und laden dazu ein die Zwänge des Alltags für einen Moment zu vergessen, um in diese magischen Welten einzutauchen. Virtuelle Lebenswelten entstehen und werden von großen Spieleherstellern gehegt und gepflegt. Warum nicht abends einfach mal nach Hogwarts flüchten oder Seite an Seite mit den Kriegern aus Mittelerde gegen einen gemeinsamen Feind streiten, anstatt in der langweiligen Alltagswelt zu verweilen? Das Spiel mit der Identität wird zum Volkssport, wenn der elegant gekleidete Bankangestellte abends in die Rolle eines hinterlistigen Schurken schlüpft. Virtuelle Welten laden ein, jemand zu sein, der man nicht ist. Nicht nur Kinder und Jugendliche lassen sich von diesen Welten in ihren Bann ziehen. Doch bieten diese Welten mehr als nur ein 'abschalten' vom Alltag. Sie sind eine Spielwiese für alle, die Identität gestalten und ihre Genese erleben wollen.
Einleitung
Wir stehen an einem Übergang zu einer neuen Epoche. „Virtuelle Welten werden in den nächsten Jahren vielleicht nicht die Welt verändern, aber das Leben von Millionen Menschen“[1], schreibt Lober. Online-Rollenspiele „überwinden Grenzen, die in der realen Welt gesetzt sind.“[2]
Virtuelle Realität ist ein Thema, mit dem sich bereits zahlreiche Forscher der Kybernetik und anderer naturwissenschaftlicher Disziplinen auseinander gesetzt haben. In der Pädagogik scheint dieses Thema jedoch erst in den letzten Jahren aufgrund einiger erschreckender Amokläufe in Schulen wirklich präsent zu sein. Der soziale Aspekt virtueller Lebenswelten hingegen ist ein eher selten behandeltes Thema. Zwar bieten Publikationen von Autoren wie zum Beispiel Sherry Turkle einen guten Einblick in die Thematik, aber die Computertechnologie und mit ihr die Möglichkeiten der Virtualität ist ein rasend schnell voranschreitender Bereich, dem die Pädagogik hinterherhinkt. Was 1980 mit der Entstehung der ersten MUD's begann, ist heute eine stets präsente Spielkultur geworden, die immer technisierter und perfekter zu werden scheint. Schon heute kann man ein zweites Leben in der Virtualität führen und darin auch untergehen. Dieser Trend fordert schon heute unzählige „Opfer“, wie Internetseiten mit dem Titel „WOW-Widows of Warcraft“ u.a. belegen. Ich will in dieser Arbeit einige Aspekte der Virtuellen Realität, genauer gesagt virtueller Lebenswelten, näher betrachten und herausarbeiten, welche dieser Aspekte für die moderne Pädagogik von Bedeutung sind. Im Zentrum steht dabei nicht die kybernetische, sondern vielmehr die soziale Bedeutung der virtuellen Realität. Ich will in dieser Arbeit sowohl einige durchaus positive Aspekte ebenso erläutern wie die Gefahren, die sich hinter der virtuellen Realität verbergen. Die zentrale Frage zielt auf die Präsenz von virtueller Realität im Leben der Kinder und Jugendlichen ab. Welchen Stellenwert nimmt das Rollenspielen bei Spielern innerhalb ihrer eigenen Identitätsentwicklung ein? Welche Gefahren verbergen sich hinter den neuen internetbasierten Massenspielervarianten von Rollenspielen für die Spieler und welche Rolle kann und muss die Pädagogik in diesem Bereich spielen?
Im ersten Teil der Arbeit werde ich Definitionen der wichtigsten Begriffe aufstellen und den Begriff der Virtuellen Realität in seiner Bedeutung für diese Arbeit eingrenzen. In einem zweiten Teil werde ich mich mit Theorien zur Identitätsentwicklung befassen, da ich zeigen will, dass die Virtuellen Lebenswelten, wie sie von Rollenspielen aller Art geschaffen werden, als Moratorium im Sinne von Eriksons Theorie der Identitätsgenese gesehen werden können. Im dritten Teil der Arbeit werde ich die Gefahren und Probleme, die sich durch die zunehmende Medialisierung der Gesellschaft ergeben, darstellen. Die zuvor theoretisch erarbeiteten Grundlagen werde ich im vierten Teil der Arbeit anhand einer von mir durchgeführten Online-Befragung belegen und die Bedeutung des Rollenspiels für die Identitätsarbeit darstellen. Im fünften und letzten Teil der Arbeit werde ich die zuvor gewonnen Ergebnisse zusammentragen und daraus folgend die Bedeutung dieser Aspekte für die pädagogische Arbeit herausstellen. Des Weiteren werde ich den Einsatz von Rollenspiel in der pädagogischen Arbeit anhand einiger Beispiele erläutern und im Anschluss noch einige Arbeitsanregungen für den pädagogisch fundierten Umgang mit virtuellen Lebenswelten geben. In einem darauf folgenden Glossar werde ich alle zentralen Begriffe und Fremdwörter noch einmal erläutern. Ich will in dieser Arbeit zeigen, dass das „Schreckgespenst“ Virtuelle Realität, was es für zahlreiche Pädagogen durchaus sein dürfte, zähmbar ist. Nicht nur negative Aspekte sind mit diesem modernen Medium verknüpft, aber die Gefahren sind stets präsent und erfordern eine besondere Aufmerksamkeit der modernen Pädagogen.
Teil 1 – Allgemeine Definitionen und Grundlagen
1.1 VR, was ist das eigentlich?
Diese Frage mag man sich gerade in der heutigen Zeit immer häufiger stellen.
Doch selbst in einschlägigen und bekannten Werken ist dieser Begriff nicht einheitlich definiert. In der Regel wird VR als „eine von Computern und entsprechenden Programmen simulierte Welt, die dem Nutzer durch spezielle Techniken und Schnittstellen vermittelt wird und mit der er interagieren kann“ beschrieben.
Diese Definition ist jedoch sehr kybernetisch geprägt und beschreibt die VR als eine Art Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Von besonderer Bedeutung ist jedoch die bestehende Möglichkeit zur Interaktion mit der VR. Erst die Möglichkeit zur Interaktion mit dem virtuellen Environment() macht ihren Charakter als „parallele Realität“ aus.
Andere, weniger kybernetisch geprägte Definitionen sehen das „Eintauchen des Menschen in eine imaginäre Welt“ als Hauptkriterium. Diese Definitionen beziehen Vorstellungen aus anderen Medien[3] und zum Teil auch Träume mit in den Begriff der VR ein. Diese Definition löst sich von der rein maschinell geprägten Parallelrealität ab und schafft einen Begriff, der sowohl mediale als auch fantastische Welten in den Kontext mit einbezieht. Diesen Medien gemein ist Immersion() in die jeweilig konstruierte Realität und ein zurücktreten der realen Wahrnehmung vor dieser virtuellen Realität. Diese kann in der einfachsten Form als reines Hirngespinst der eigenen Fantasie oder in ihrer Vollendung zum Beispiel grafisch in Form eines 3-D Spiels aufgearbeitet existieren.
Für diese Arbeit werde ich die eher offene, weniger kybernetisch geprägte Definition verwenden, da nicht alle behandelten Medien in direktem Zusammenhang mit dem Computer stehen. Virtuelle Lebenswelten definiere ich als virtuelle Realitäten, die in einem künstlich geschaffenes Umfeld eine zum Teil stark an die Realität angelehnte Alternativ-Welt bieten, die jedoch – ebenso wie die reale Welt – soziale Interaktion und normative Regeln beinhaltet. Dennoch sind diese Welten „anders“ als die Realität und bieten Lösungswege und Möglichkeiten auch im Bereich der Ich-Entwicklung, welche die reale Welt nicht ermöglicht. Des Weiteren bieten diese virtuellen Lebenswelten ein zum Teil befreiendes, zum Teil aber auch begrenzendes Maß an Anonymität, welches sicherlich ebenfalls Auswirkungen auf die Erschaffung einer Virtuellen Identität hat.
1.2 Was ist ein Rollenspiel?
Es ist schwer, in einem Satz oder einer einfachen Definition zusammenzufassen, was Rollenspiel ist. Es bietet zahlreiche Facetten und seine persönliche Bedeutung kann von einer Freizeitbeschäftigung bis hin zu sehr emotionalen Erlebnissen reichen. Rollen- oder Erzählspiele sind phantastische Spiele, die sich allein der Vorstellungskraft der Mitspieler bedienen. Sie sind eine Mischung aus Schauspielerei, Erzählkunst, gesellschaftlicher Interaktion, Konfliktsimulation und Würfelglück.
Grob zusammengefasst kann man sagen: Sie schlüpfen in die Rolle eines Helden, einer Hauptfigur in einer Geschichte und steuern das Denken und das Handeln dieser Figur. Dies geschieht jedoch mehr oder weniger mittels der Fantasie des Spielers. Das Rollenspiel lässt sich in drei große Unterarten aufteilen. Das so genannte P&P, das den stärksten Anteil an Vorstellungskraft erfordert, das LARP und der noch recht junge Zweig der MMORPG's. Diese drei Unterarten will ich nachfolgend erläutern, da sie in dieser Arbeit eine zentrale Rolle einnehmen.
1.3 P&P
Die Bezeichnung Pen&Paper() rührt von den – neben Würfeln und Phantasie – notwendigen Utensilien für diese Rollenspielvariante her. Natürlich gibt es Unmengen an optionalem Material, aber zum Spielen ist nur ein geringer Teil davon wirklich nötig.
Wie bei jeglicher Variante von Rollenspiel schlüpft der Spieler in die Rolle einer von ihm (in seltenen Fällen auch vom Spielleiter) kreierten Person. Der Spieler verkörpert einen solchen Charakter[4] in der Regel innerhalb einer Gruppe von Spielern, die ebenfalls einen Charakter verkörpern. Teamplay ist ein elementarer Bestandteil des gesamten Rollenspielgenres.
In einem so genannten Abenteuer steuert der Spieler seinen Charakter nun durch eine vom Spielleiter generierte Welt. Das können sowohl alte Ruinen oder ähnlich mythisch anmutende Orte als auch ein Pariser Straßencafé sein. In dieser virtuellen Umgebung kann der Charakter zum Beispiel gegen schreckliche Monster kämpfen, verzwickte Kriminalfälle lösen oder auch eine Romanze erleben – kurz gefasst sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Die Schauplätze dieser Spiele variieren je nach System von mittelalterlich geprägten Welten, wie zum Beispiel der Welt „Aventurien“ des Rollenspielsystems DSA(), über düstere Horrorszenarien (z.B. bei Vampire()) bis hin zu weit entfernten Galaxien in der Zukunft (Star Wars()) oder imaginären Zukunftsvisionen der realen Welt (Shadowrun()). Auch „Jetztzeit-Horror-Szenarien“, die sich besonders in den Quellenbüchern() stark an der Realität orientieren (Cthulhu()), oder düstere, apokalyptisch anmutende Endzeit-Szenarien() (DeGenesis()) sind möglich.
In welcher Welt die Gruppe spielt, hängt lediglich von den Präferenzen der jeweiligen Spielgruppe ab. Eine für das P&P nicht wegzudenkende Person ist der Spielleiter (in Rollenspielkreisen auch als SL oder Meister bezeichnet). Während die Spieler die Handlungen, Gedanken sowie Gefühle ihres Charakters „steuern“, stellt der SL die restliche Welt dar. Er beschreibt Sinneseindrücke, interagiert in Forum von so genannten NSC (Nichtspielercharakteren) mit den Spielern und ist zugleich Gott und die Welt selbst. Er ist die Person, welche die Begegnungen der Spieler plant, die Spieler ab und an an die Hand nimmt, ihnen Aufgaben stellt oder ihnen das Leben schwer macht.
Im DSA-Grundregelwerk wird der Spielleiter sehr treffend als Regisseur, Kameramann, Schiedsrichter und Darsteller aller Nebenrollen zugleich bezeichnet.[5]
Sehr wichtig für den Spielleiter ist, dass er als neutrale Person fungiert. Er spielt weder für noch gegen die Spieler, sondern stellt lediglich eine vermittelnde Rolle zwischen der Virtuellen Welt und den Spielern dar.
Teamwork ist beim Rollenspiel, wie bereits angedeutet, elementar. Die jeweiligen Charaktere besitzen unterschiedliche Qualitäten und zum Teil auch negative Eigenschaften. Alleine würden sie an den meisten Aufgaben jedoch scheitern, erst gemeinsam sind sie stark. Das wiederum ist der Grund dafür, warum es beim Rollenspiel keinen Gewinner oder Verlierer im klassischen Sinn gibt. Das Ziel ist das Spiel selbst, die Interaktion der Charaktere mit der Welt. Dies ist der Punkt, der das Rollenspiel im Wesentlichen von anderen Spielen unterscheidet und die Frage aufwirft, in wie weit Rollenspiel überhaupt als „Spiel“ im Sinne von Gesellschaftsspiel zu verstehen ist.
1.4 LARP
Das LARP() ist eine andere Variante des Rollenspiels. Auch hier verkörpern die Spieler einen (oder manchmal auch mehrere) Charakter(e) mit dem /denen sie Abenteuer bestehen. Anders als beim P&P geschieht dies jedoch nicht nur als reines Produkt der Fantasie. LARPer (wie sich die Spieler selbst oft bezeichnen) treffen sich an realen Orten, um ihren Charakter zu „leben“. Sie kleiden sich dem Setting() entsprechend[6] und tauchen für kurze Zeit[7] völlig in die simulierte Welt ein. Solche Cons()[8] finden meist an stimmungsvollen Orten statt. Dies können zum Beispiel Burgen, mittelalterliche Ruinen und in modernen Settings auch alte Fabrikgelände oder Ähnliches sein. Vom Grundprinzip her gleicht das LARP dem P&P, jedoch existiert hier kein zentraler Spielleiter, der alle Fäden in der Hand hat. In der Regel wird ein Con von einem ganzen Team gestaltet und organisiert. Hinzu kommen noch einige NSC, die in der Regel aber auch von Spielern übernommen werden. Dieses Organisationsteam gestaltet mit diversen Hilfsmitteln das reale Umfeld in einen virtuellen Ort um. Die reale Welt wird durch Accessoires an das jeweilige Setting angepasst und durch die NSC mit fantastischen Wesen bevölkert. Dadurch wird eine unsichtbare Grenze zwischen der realen Welt und der virtuellen Spielwelt gezogen. Brüche dieser Grenze werden nur ungern gesehen. Zum Beispiel wäre es ein ziemlicher Fauxpas in einem mittelalterlichen LARP-Setting plötzlich mit Plastikgeschirr und einem Gaskocher zu hantieren. Solche Dinge werden in der Regel nicht gern gesehen und nur „unter der Hand“ verwendet. Der Schein der „fremden“ Welt soll nach außen hin gewahrt bleiben und so deckt man die moderne Luftmatratze mit einem Fell ab und grillt sein Stück Fleisch über offenem Feuer. Gerade diese Akribie trägt zur absoluten Immersion der Spieler bei. Diese Immersion ist das erklärte Ziel eines LARPers(). „Man will an einem solchen Wochenende ganz in seiner Rolle aufgehen, und nichts von außen soll da stören.“[9]
Durch den großen Aufwand, der betrieben wird, ist es für die Spieler oft leichter in ihrer Rolle aufzugehen und sich in ihre Rolle zu vertiefen. Doch sind dem Spieler im LARP auch viel stärkere Grenzen bei der Konzeption seines Charakters gesetzt. Denn die Gesetze der Physik und die eigenen körperlichen Beschränkungen können natürlich nicht oder nur mit riesigem Aufwand verändert werden. So ist die im P&P nahezu allgegenwärtige Magie in der Welt des LARP sehr schwer umzusetzen, und die Darstellung von Zaubereffekten ist ein Diskussionspunkt unter einigen Spielern.
Nach außen hin wirken solche LARP-Cons in der Regel befremdlich für Nicht-Rollenspieler[10] und so manch ein Klischee über Rollenspieler ist aus diesem Unverständnis entstanden.[11] Auch im LARP sind Zusammenhalt und Teamplay von großer Bedeutung. Die soziale Komponente, die Kommunikation der Spieler untereinander, bewegt sich hier oft auf einer völlig anderen Ebene als beim P&P.
Während der Charakter beim P&P eine Art Spielfigur darstellt, von der sich der Spieler distanzieren kann, ist diese beim LARP meiner Meinung nach nicht der Fall. Im P&P wird vom Charakter oftmals auch in der 3. Person gesprochen. „Darron schaut durch das Fenster und beobachtet die Vorgänge im Haus“. Beim Liverollenspiel kann der LARP Spieler diese Handlungen nicht von sich weisen, da er sie selber die Aktionen seines Charakters spielen muss. Ein LARP-Charakter ist also viel stärker ein Teil des Spielers. „Man spielt diese Figur nicht nur, man verkörpert sie.“[12] Dadurch ist ein LARP-Charakter seinem Spieler auch in der Regel sehr viel ähnlicher als ein P&P-Charakter. Ein LARP-Charakter ist wie eine zweite Haut, eine andere Persönlichkeit, die man zu bestimmten Anlässen herausholt.
1.5 MMORPG
MMORPGs unterscheiden sich sich stärker von den zuvor beschriebenen Varianten des Rollenspiels. Anders als bei P&P und LARP treffen sich die Spieler nicht in der realen Welt, sondern in der Spielwelt. Die persönlichen Kontakte der Spieler werden allenfalls über die Sprache mittels TeamSpeak() oder ähnlichen Programmen hergestellt. Ansonsten begegnen sich Rollenspieler und Nicht-Rollenspieler in virtueller Gestalt in einer komplett virtuellen Welt. Die Interaktion erfolgt hier nur über den Charakter und dadurch ist die Anonymität der Spielers um ein vielfaches Größer als zum Beispiel beim LARP. Auch die Art des Spielens selbst unterscheidet sich grundsätzlich von den zuvor erläuterten Rollenspielvarianten. Geschehen die meisten Handlungen beim P&P in der Fantasie oder werden im LARP durch die eigenen Fähigkeiten begrenzt, so kann man in einem Online-Rollenspiel die Freiheit der Fantasie mit der „Präsenz“ des LARP kombiniert sehen. Anders als beim P&P hat man die durchgeführten Handlungen bildlich vor Augen, während man jedoch durch die reine Virtualität der Welt nicht den Beschränkungen unterliegt, die einem die eigene Körperlichkeit und die Physik in der realen Welt auferlegen. Die Kombination mehrerer Kommunikationskanäle erhöht beim MMORPG die soziale Präsenz des Spielers im Vergleich zu einem reinen Chat um ein vielfaches.[13] Das Phänomen der Steigerung von sozialer Präsenz durch die Anzahl der kommunikativen Kanäle wurde von Short, Williams und Christie in der Social Presence Theory bearbeitet.[14] Anders als bei einem reinen Chat, der in der Regel gerade einmal 2 Kanäle verwendet[15], werden dem Spieler in der virtuellen Umgebung zusätzlich ein auditiver Kanal und in gewisser Weise auch ein nonverbaler Kanal durch verschiedene Emotes(), welche dem Charakter im Spiel zur Verfügung stehen, geboten. Je mehr Kanäle ein Medium anspricht, desto 'lebendiger' erscheint es dem Benutzer. Dadurch gewinnt die Spielwelt eine 'Lebendigkeit', die sie stark von anderen Spielen unterscheidet. Die Interaktion von Spielern in der virtuellen Lebenswelt ist es, die diese Art von Computerspiel erst ermöglicht und ihren besonderen Reiz im Vergleich mit anderen Spielen bedingt. Durch die große 'Lebendigkeit' und die zusätzliche Visualisierung der Fantasie fällt es den meisten Spielern bei diesem Spielkonzept relativ leicht den so genannten „Flow“ zu erreichen.[16] Eine weitere Besonderheit des MMORPG ist die Vermischung unterschiedlicher Spielertypen. Anders als bei den durch höheren Aufwand eher elitären Rollenspielvarianten des P&P und insbesondere des LARP, zieht diese Variante weitaus mehr Spieler an. Interessant ist hier auch die große Zahl der Spieler, die ansonsten keinerlei Interesse an anderen Rollenspielvarianten hegt. Von den bisher vorgestellten Varianten stellt das MMORPG die wohl bekannteste und – die Anzahl der Spieler betreffend – auch die am häufigsten praktizierte dar. Sie bietet dem Spieler ohne größere Voraussetzungen einen schnellen und einfachen Einstig in das Rollenspiel und durch die bereits vom Spielhersteller kategorisierten Spielmöglichkeiten (PvP(), PvE() und RP()) kann der Spieler bereits im voraus seine Spielpräferenzen festlegen.
1.6 Gemeinsamkeiten
Allen Rollenspielvarianten ist eines gemein: Das Spiel mit der Identität! In jedem Rollenspiel ist die Erschaffung und der Ausbau eines Charakters, einer eigenen Identität mit all ihren Facetten – positiv wie negativ – sowie die Interaktion dieser Identität mit der virtuellen Umwelt, einem virtuellen sozialen Raum, ein grundlegendes Element. Rollenspiele bieten eine Spielwiese für das Experimentieren mit und das Testen von Identitätsentwürfen. In diesem geschützen Raum ist der Spieler nahezu 'vogelfrei' und so können in einem solchen Raum auch Identitätsentwürfe getestet werden, die in der realen Welt keinerlei Akzeptanz gefunden hätten. Doch vor allem das Erschaffen solcher „Anti-Identitäten zeigt auf, wie stark die Einflüsse von Normen und Gesellschaft die Bildung unserer eigenen Identität einschränken können. Solche verdrängten Lebensentwürfe können im Rollenspiel erprobt werden. Jedoch ist festzustellen, dass Charaktere, die stark von den Normvorstellungen der realen Welt abweichen, oftmals eine sehr kurze Lebensdauer haben und vom Spieler schnell ad acta gelegt werden. Ramona Kahl schreibt hierzu: Man kann „das offizielle Werte- und Normsystem im begrenzten Rahmen ,abschalten'. ,Ferien für die Seele' bedeutet in diesem Sinne, dass den verborgenen Wünschen und Impulsen mehr freier Lauf gelassenen werden kann, indem in einer Phantasiewelt ,Urlaub' von den beengenden Alltagszwängen gemacht wird. Dem Drang nach Verwirklichung der verdrängten Verhaltensentwürfe kann leichter – ungestrafter vom verinnerlichten Normen- und Wertesystem – nachgegeben werden.“[17]
1.7 Life Sims
Einen völlig anderen Hintergrund haben so genannte Life Sims (von engl. Life Simualtion = Simulation des Lebens). Auch bei einer Life Sim() erschafft der Spieler einen Charakter, jedoch steht bei einer Life Sim nicht das Lösen von Aufgaben oder das Bekämpfen von Monstern im Vordergrund, sondern das Leben in einer virtuellen Welt. Diese virtuelle Realität ist in der Regel sehr stark an die reale Welt angelehnt. Ein soziales und wirtschaftliches System machen eine solche ,Life Sim' so ,lebensnah' wie reale Normen. Zwar sind die Spieler auch hier hinter einem Avatar() verborgen, jedoch besteht bei einer ,Life Sim' im Gegensatz zum Rollenspiel die Möglichkeit, seine Wunschidentität in einer realitätsnahen Welt zu leben. Tobias Schmitz schreibt in einem Artikel über ,Soziale Welten': „Second Life legt vielmehr keine Grenzen und Ziele fest, sondern verkörpert die totale Freiheit zu tun und zu lassen, was man will.“[18] Er schreibt weiter, dass „aufgrund dieser Gegebenheiten und der Grenzlosigkeit [...] eine regelrechte Parallelgesellschaft [entstehe], die teilweise mit der wirklichen Welt“ verschwimme.[19] Second Life versteht sich also nicht als Spiel, sondern tatsächlich als virtuelles Universum. Aber genau dieser Umstand macht es zu einer umso bedeutsameren Plattform für das Experimentieren mit der Identität. Durch die Anonymität, die der Avatar dem Spieler letztendlich hinter seiner virtuellen Identität bietet, trauen sich viele Spieler in der virtuellen Umgebung mehr zu und experimentieren mit Identitätsfacetten, welche im realen Leben vielleicht niemals auch nur die Gedankenwelt des Spielers verlassen hätten. So deutete ein Spieler in einem Interview mit der Financial Times an, er habe gerade einen Job in einem (virtuellen) Stripclub ergattern können, was im realen Leben für ihn eine echte Überwindung gewesen wäre. In der virtuellen Welt stellte dies für ihn jedoch kein Problem dar.[20]
Auch wenn sich ,Life Sims' sehr von den zuvor beschriebenen Rollenspielen unterscheiden, müssen sie ebenfalls in das Genre der Rollenspiele eingereiht werden. Auch bei einer ,Life Sim' geht es letztendlich um das Spiel mit der Identität. Lediglich in der Beschaffenheit der Lebenswelt und den dem Charakter gestellten Aufgaben liegt der Unterschied zum ,klassischen' Rollenspiel.
Teil 2 – Rollenspiel und Computerspiele als ,Identitätsschmiede'
2.1 Identität
Die Schaffung einer persönlichen Identität wird in Psychologie und Pädagogik als zentrale Aufgabe des Jugendalters diskutiert. Zwei große Strömungen bildeten sich im Laufe dieser Diskussionen heraus. Das eine Lager, welches sich für eine relative Stabilität und Konsistenz der Jugendphase ausspricht und unter dem Schlagwort Selbstkonzeptforschung agiert und das andere, welches der stufenartigen und auf Krisen beruhenden Bildung eines Identitätskonzeptes nach Erikson folgt.[21] Gegen die Theorie Eriksons spricht der Fakt, dass „nur sehr wenige Jugendliche in eine die Identität bedrohende >>Krise<< geraten, dass nicht Instabilität und Störungen im Zentrum stehen, sondern Kontinuität, Integrität und ein positives Bild, das die Jugendlichen von sich zeichnen.“[22] Auf der anderen Seite steht das Konzept des Moratoriums, welches von zentraler Bedeutung für diese Arbeit sein wird.
2.2 E.H. Eriksons psychoanalytisches Identitätskonzept
Der Begriff Identität ist von dem deutsch-amerikanischen Psychoanalytiker Erik Homburger Erikson geprägt und wird wird seitdem als eines der Entwicklungsziele des Jugendalters angesehen. Problematische ist seit jeher die uneinheitliche Verwendung des Begriffs „Identität“. Sowohl in seiner soziologischen, als auch in seiner psychologischen Bedeutung ist dem Begriff jedoch gemein, dass Identität „die Definition einer Person als einmalig und unverwechselbar durch die soziale Umgebung wie durch das Individuum selbst“[23] beinhaltet. In den meisten Identitätsdefinitionen setzt sich der Identitätsbegriff aus zwei zentralen Komponenten zusammen, einer persönlichen und einer sozialen Identität. „Die persönliche Identität bildet den lebensgeschichtlichen Zusammenhang zwischen den Erfahrungen, die ein Mensch gemacht hat. [...] Die soziale Identität entsteht aus dem Bild, das die anderen sich von einem selbst machen.“[24]
Nach Eriksons Modell der Entwicklung verläuft diese in acht Stufen, die in einen genetischen Grundplan eingebettet sind. Von diesem Lebenszyklus befassen sich vier Phasen mit der Entwicklung der Kindheit, drei Phasen mit dem Erwachsenenalter und dazwischen liegt die Phase der so genannten Adoleszenz. Die Adoleszenz[25] ist das Übergangsstadium in der Entwicklung des Menschen von der Kindheit hin zum vollen Erwachsen sein und stellt den Zeitabschnitt dar, während dessen eine Person biologisch gesehen ein Erwachsener, aber emotional und sozial noch nicht vollends gereift ist. Der Phase der Adoleszenz wird in diesem Stufenmodell als primäre Entwicklungsaufgabe die Identitätsgenese zugeschrieben. In dieser Stufe ist das ,Ziel' des Heranwachsenden „durch freies experimentieren mit Rollen einen passenden Platz in irgendeinem Ausschnitt seiner Gesellschaft [zu] finden [...], einen passenden Platz, der fest umrissen ist und doch ausschließlich für ihn gemacht zu sein scheint.“[26] Wichtig für die Identitätsentwicklung ist nach Erikson der Umstand, dass eine bloße Addition von Teilaspekten nicht automatisch zu einer funktionierenden Persönlichkeit führen. Die Identität muss in einem langen und hürdenreichen Prozess, den er unter dem Begriff der Adoleszenz zusammenfasst, erst erarbeitet werden. Ein wichtiger Mechanismus für die Genese einer eignen Identität ist die Introjektion (die „Einverleibung“ des Bildes eines Anderen), die als Basis für eigene Identitätskonstruktionen dient. Aus dieser spielerischen Nachahmung entsteht zunächst ein Verständnis von unterschiedlichen Rollen und Identitätsaspekten, aus denen dann im Laufe der Entwicklung durch Verwerfung und Assimilation die eigenen Identitätsmuster extrahiert oder neu geschaffen werden.[27]
2.3 Adoleszenz als psychosoziales Moratorium für experimentelle Identitätsarbeit
Betrachtet man die Theorie Eriksons, taucht immer wieder der Begriff des Moratoriums auf. Das Moratorium stellt nach Andresen eine zentrale Denkfigur für die Phase des Aufwachsens dar.[28] Erikson beschreibt das Moratorium als „eine Aufschubsperiode, die jemandem zugebilligt wird, der noch nicht bereit ist, eine Verpflichtung zu übernehmen, oder die jemandem aufgezwungenen wird, der sich selbst Zeit zubilligen sollte. Unter einem psychosozialen Moratorium verstehen wir also einen Aufschub erwachsener Verpflichtungen oder Bindungen und doch handelt es sich nicht nur um einen Aufschub. Es ist eine Periode, die durch selektives Gewährenlassen [sic!] seitens der Gesellschaft und durch provokative Verspieltheit seitens der Jugend gekennzeichnet ist.“[29] Das Moratorium kann also auch als Entwicklungsraum verstanden werden, in welchem gesellschaftliche Normen und besonders auch Pflichten zwar präsent sind, jedoch abgeschwächter als in der realen Welt der Erwachsenen. Innerhalb dieses Raumes schafft sich der Identitätssuchende weitere Subräume, um von ihm entwickelte Rollenkonzepte auszutesten. Das Rollenspiel, aber auch das Computerspiel, bieten solche Subräume, in denen der Identitätssuchende eine virtuelle Welt mit real anmutenden Gegebenheiten antrifft, die durch ihre Möglichkeiten Normen und Gesellschaft zu modifizieren ein ideales Spielfeld für das Austesten von Identitätskonzepten bieteten. Insbesondere bei den zuvor beschriebenen ,Life Sims', steht diese Schaffung und Entwicklung einer Identiät als zentrales „Spielkonzept“ im Vordergrund. Man könnte hier von einer Visualisierung und Virtualisierung der Aufgaben des Moratoriums sprechen.
2.4 Das Spiel als Plattform für Experimente mit Rollen
Der amerikanische Philosoph und Sozialpsychologe G.H. Mead erarbeitete seinerzeit ein Konzept, in welchem Identität durch die Selbstreflexion des Individuums entsteht. „Die Identität ist eine wichtige Phase in der Entwicklung, weil dadurch die Möglichkeit entsteht, die gesellschaftliche Haltung in die Reaktionen der ganzen Gemeinschaft hereinzunehmen, wodurch dann eine solche Gesellschaft entstehen kann.“[30] Das kindliche Spiel sowie der organisierte Wettkampf sind für ihn zentrale Aspekte innerhalb der Identitätsgenese. Das Spiel ermöglicht es, sich in verschiedene Rollen, die das Individuum seiner Außenwelt entnimmt, hinein zu versetzen. Kommunikation ist nach seiner Theorie des Weiteren ein wichtiges Mittel für die Identitätsgenese. Ich will im Folgenden etwas näher auf Meads Theorie zu Geist, Identität und Gesellschaft eingehen. „Sprachprozesse sind laut Mead für die Entwicklung der Identität maßgeblich. Identität ist nicht von Geburt an vorhanden, sondern muss sich erst entwickeln. Sie entsteht innerhalb der gesellschaftlichen Erfahrungs- und Tätigkeitsprozesse des Heranwachsenden. „Die Bedeutung der „Kommunikation“ [für diesen Prozess] liegt in der Tatsache, daß[sic!] sie eine Verhaltensweise erzeugt, in der der Organismus oder das Individuum für sich selbst ein Objekt werden kann.“[31] Die Identitätsfindung ist für ihn ein interaktiver Prozess zwischen Identitätssuchendem und Gesellschaft. Dennoch „schafft sie [die Identität] sich gewissermaßen selbst ihre gesellschaftlichen Erfahrungen. Somit können wir uns eine absolut solitäre Identität vorstellen, die außerhalb der gesellschaftlichen Erfahrung erwächst.“[32] Für die Verifizierung und Entfaltung von Identitätskonzepten ist die Interaktion mit anderen Individuen für ihn elementar. „Das Rohmaterial, aus dem sich dieses bestimmte Individuum entwickelt, wäre keine Identität, bestünden nicht seine Beziehungen zu anderen Mitgliedern der Gemeinschaft.“[33] Bei der Entstehung von Identität spricht er dem Spiel eine besondere Bedeutung zu. „Ein Kind spielt 'Mutter', 'Lehrer', 'Polizist'; wir sagen daß [sic!] es verschiedene Rollen einnimmt. [...] Während der Spielperiode nützt das Kind seine eigene Reaktion auf diese Reize[34], um eine Identität zu entwickeln.“[35] Das Spiel teilt Mead in zwei Kategorien ein, das Spiel und den Wettkampf (Wettspiel). „Das Wettspiel repräsentiert im Leben des Kindes den Übergang von der spielerischen Übernahme der Rolle anderer zur organisierten Rolle, die für das Identitätsbewußtsein [sic!] im vollen Wortsinn entscheidend ist.“[36] Dem Wettkampf stellt er das Spiel primitiver Völker zum Beispiel bei religiösen Schauspielen gegenüber. Laut seiner Aussage sind es „von ihnen angenommene Persönlichkeiten, von ihnen gespielte Rollen, die die Entwicklung ihrer eigenen Persönlichkeit kontrollieren.“[37]
2.5 Die Wandlung der theoretischen Sichtweise
Die Wandlung der Gesellschaft in eine als plural, heterogen oder auch fragmentiert empfundenen Umwelt hat auch für unser Identitätsbild eine herausragende Bedeutung. „Identität und das Wahrnehmen des eigenen Selbst sind zutiefst moderne Errungenschaften. In traditionellen Gesellschaften sind die Individuen in kollektive Prozesse und Strukturen eingebunden, so dass die Definition des eigenen Selbst nicht ohne Bezug zum Kollektiv stattfinden kann.“[38] Immer neue Sozialrollen und ein verändertes Selbstverständnis erfordern eine Neudefinition von Identität für die Zeit der Postmoderne. Die alten Modelle nach Erikson und Mead werden zwar durch die Entwicklung nicht bedeutungslos, dennoch verlagert sich der Schwerpunkt der Identitätsbildung auf die Vielfalt. Die Tendenz zu Mehrschichtigkeit und Pluralität ist fest in der Umgebung des Individuums verankert und von der Gesellschaft geprägt. Die Entfernung von als genuin verstandenen Rollen hin zu einer Gesellschaft der Rollenwahl stellt völlig neue Anforderungen der Identitätsgenese an das Subjekt. Musste früher lediglich ein „Ich“ entwickelt und gelebt werden, sind es in der modernen Gesellschaft unzählige „Teil-Ichs“, die allesamt entwickelt und gepflegt werden müssen. Zusätzlich kommt hinzu, dass die Komplexität in dieser Gesellschaft zunehmend wächst, während Orientierungsmöglichkeiten gerade durch die zunehmende Heterogenität immer mehr eingebüßt werden. Diese Entwicklung spiegelt sich in den nachfolgenden Identitätstheorien der Postmoderne wider.
2.6 Postmoderne Identitätstheorien
Die wichtigste Neuerung der Postmoderne ist die Entfernung vom zentralisierten Subjekt hin zu einem dezentralisierten und dekonstruierten Subjekt. Neue Theorien lassen sich in zwei dominante Grundkonzepte aufteilen. Auf der einen Seite „flexible, patchworkartige, situative Konzepte, die von einem relationalen und/oder fragmentierten Selbstmodell mit Kernung ausgehen und [...] multiple Identitätsentwürfe, wobei bei diesem Modellen die Fragmentierung zu einer ,Entkernung' des Individuums und damit einhergehend zu einer Multiplizität von Selbst innerhalb eines Individuums führt.“[39]
2.7 Bastel- und Patchwork-Identitäten
Beiden Theorien ist die Sicht des Individuums als 'Summe seiner Teile' gemein. Die bereits 1984 von Gros et al. entwickelte ,Theorie der Bastelmentalität' sieht das postmoderne Subjekt als Konstrukteur seiner eigenen Identität, welches sich seine Identitätsbausteine aus den Lebensstilen und -mustern zusammensucht, welche die Gesellschaft zur Verfügung stellt.[40] Auch die ,Theorie der Patchwork-Identität', welche von Keupp et al. entwickelt wurde, sieht das Subjekt als Identitätskonstrukteur, das sich seine ,Identitätspatches' in seiner Umgebung zusammensucht. In beiden Theorien ist es also Aufgabe des Individuums, seine ,Ich-Konstruktion' selbst in die Hand zu nehmen. Die einzelnen Bauteile für dieses Konstrukt können aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen extrahiert werden. Anders als bei einem ,echten' Patchwork, welches als Metapher für die aus unzähligen Einzelteilen zusammengesetzte Identitäten dient, können die einzelnen Identitätspatches stets vertauscht, ersetzt oder anderweitig manipuliert werden. Somit entsteht nach diesen Theorien ein extrem flexibles, manipulierbares Selbstkonzept.
Wichtig für beide Modellansätze ist die zeitliche Loslösung von einer bestimmten Lebensphase. Gerade wegen der propagierten Flexibilität ist Identitätsarbeit kein zeitlich eingrenzbarer Prozess, sondern ein Prozess, der sich durch das gesamte Leben zieht. „Identität wird nicht einmal errungen, sie muss ständig neu erkämpft und neu ausgehandelt und angepasst werden.“[41]
2.8 Virtuelle Persönlichkeit und Multiplizierende Identität
In den 1980er Jahren erforschte Sherry Turkle als eine der ersten die Bedeutung des Computers für Identität der User. Sie wurde damit zur Vorreiterin dieses Forschungszweiges und ihre Untersuchungen in MUDs (sog. Multi User Dungeons()) ist auch heute noch relevant. Die von ihr erforschten MUDs stellen die erste Form einer virtuellen Gesellschaft dar, in der sich eine bunte Schar von Usern zu selbstorganisierten Netzgemeinschaften zusammenfindet. Mit einer frei gewählten Spielidentität maskiert, lässt sich hier die eigene soziale Kompetenz erproben. Per Tastatur werden geographische und soziale, vor allem aber auch die sexuellen Grenzen durchlässig. Männer sind Frauen, Frauen sind Männer. Diese Identitätsspiele verfolgt Sherry Turkle, Psychologin und Wissenssoziologin am MIT, seit Jahren mit besonderem Interesse. Auch prägte sie in ihrer Publikation „Life on the Screen“ als erste die Bedeutung von MUDs als Experimentierlabor für die Entwicklung von Identitäten und symbolisiert damit die Wandlung der starren, prämodernen Auffassung einer zentralen Identität hin zur postmodernen Auffassung der multiplen Identität. Das digitale Spiegelbild des Gegenwartsmenschen ist in hunderte Einzelteile zersplittert. MUDs sind der vielleicht stärkste Ausdruck dessen, was heute unter den Begriffen «Bastelbiographie» und «fragmentiertes Selbst» diskutiert wird. Die multiple Persönlichkeit der Postmoderne verfügt über verschiedene Identitäten, die bei passender Gelegenheit hervor gekehrt werden. Sie wären demnach ähnlich in die Breite statt in die Tiefe organisiert wie das Internet oder die Desktop-Struktur des Computers. Ihrer Aussage nach zeichnet sich die Netzkultur durch die Multiplizierung des eigenen Selbst aus.[42] Sie betont in ihren Arbeiten den Beitrag, den Computerspiele zur Sozialisation der Spieler leisten. Die Zeit schrieb hierzu: "Virtualität ... kann das Floß, die Leiter, der Übergangsraum, das Moratorium sein, die man hinter sich läßt, sobald man einen größeren Grad der Freiheit errungen hat. Wir sollten das Leben auf dem Bildschirm nicht ablehnen, aber wir sollten es auch nicht als ein alternatives Leben betrachten. Wir können es als einen Freiraum zur persönlichen Weiterentwicklung nutzen. Da wir unsere Online-Personae buchstäblich ins Leben geschrieben haben, sind wir in der Lage, besser zu erkennen, was wir in unser Alltagsleben projizieren." Das "reale Leben" und die Netzwelt, on- und offline sind für Sherry Turkle eng verknüpft. "Das entscheidende Charakteristikum des Modells vom flexiblen Selbst besteht darin, daß die Kommunikationskanäle zwischen den verschiedenen Aspekten offen sind."[43]
2.9 MUDs – Die Eroberung des virtuellen Raums
„Willkommen in der wilden Ecke der Cyberspace-Kultur, wo das Magische real und die Identität fließend ist. MUD [...] ist die Abkürzung für Multi-User Dungeon (Multi-UserVerließ) – MUDs sind imaginäre Welten, die in Datenbanken errichtet werden.“[44] Begonnen hat der Siegeszug der MUDs 1980 an einer Universität in Essex/England. Howard Reingold bezeichnet MUDs als „lebendige Laboratorien, in denen die unmittelbaren Auswirkungen virtueller Gemeinschaft studiert werden können – die Auswirkungen auf unsere Psyche, unsere Gedanken und Gefühle als Individuen.“[45] Dank der modernen Kommunikationsmöglichkeiten ist es möglich die durch Raum und Zeit gebundenen Grenzen zu überwinden. Ebenso kann man in der heutigen Zeit mithilfe moderner Medien auch die Grenzen der eigenen Identität überwinden. Reingold macht dies deutlich in dem er betont, dass das Netz für MUDder[46] zur Reise in virtuelle Räume dient, in denen ihre alternativen Identitäten wohnen.[47] „Identität ist das erste, was in einem MUD geschaffen wird. Sie muß[sic!] beschrieben werden, zum Vergnügen der anderen Leute, die im selben MUD leben. Die Schöpfung dieser Identität trägt dazu bei, eine ganze Welt zu erbauen.“[48] Dieses Beschreiben von Identität erfordert vom Spieler eine sehr bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema der Identitätskonstruktion. Der Spieler muss Identitätsfacetten entwickeln und diese im Laufe des „Lebens“ im MUD evaluieren und gegebenenfalls überdenken. „MUDs sind tief in dem Teil der menschlichen Natur verwurzelt, der es liebt Geschichten zu erfinden und zu Schauspielern.“[49] Bartle und Laurel zogen Vergleiche zur aristotelischen Theorie der Mimesis. Aristoteles bezeichnet mit Mimesis die Fähigkeit zur Nachahmung oder auch das Vermögen mittels einer körperlichen Geste eine Wirkung zu erzielen. In einem MUD sind es zwar keine körperlichen Gesten, die Wirkungen erzielen, aber auch ein Emote() kann die Funktion einer Geste ersetzen. Die Grundprinzipien der MUDs von 1980 leben heute in nahezu jedem Online-Rollenspiel weiter. Auch wenn moderne MUDs durch hohe grafische Qualität und vereinfachte, aber vorgegebene Bedienung, viele der früheren Experimentiermöglichkeiten negieren, gilt auch heute noch die schöpferische Kraft von Worten und Gesten im Rahmen einer solchen virtuellen Umgebung. Auch in modernen MUDs steht die Schaffung einer Identität und deren „Leben“ in einer virtuellen Umwelt im unangefochtenen Zentrum. Wie die Schaffung einer solchen „künstlichen Identität“ abläuft werde ich an späterer Stelle noch genauer erläutern.
2.10 Die Bedeutung der Kommunikation für die Identitätsfindung
Kommunikation ist einer der bedeutendsten Faktoren für die Entwicklung und insbesondere auch Evaluation eines Identitätskonzepts. Nach dem Verständnis des Soziologen Lothar Krappmann wird Identität über Sprache vermittelt. Nach ihm entsteht Identität erst durch die Kommunikation eines Individuums mit seinen Mitmenschen in jeder Situation neu. Dadurch ist Identität nichts Starres, sondern verändert sich immer wieder von Situation zu Situation. Treffen zwei Gesprächspartner aufeinander, so tauschen sie über Sprache und mit Hilfe von Gestik/ Mimik Absichten, Wünsche und Bedürfnisse aus. Erst im Umgang mit anderen ist es möglich bestimmte Facetten eines Identitätskonzeptes zu erfahren und seine „Gesellschaftsfähigkeit“ auszutesten. Kommunikations-wissenschaftliche Modelle untersuchen vielfach Aspekte, die auch für die Identitätsbildung von Bedeutung sein könnten.
2.11 Die „social presence“ Theorie
Unter der sogenannten „social presence“ (soziale Präsenz) verstehen die Entwickler dieser Theorie[50] das „Gefühl für die soziale Anwesenheit anderer“.[51] Es handelt sich also um eine Theorie, die herausstellen will, dass die Anwesenheit oder Abwesenheit einer Person eklatante Auswirkungen auf interpersonale Kommunikation ausübt. Von zentraler Bedeutung für diese Theorie sind die Kommunikationskanäle. Darunter verstehen die Autoren alle Faktoren, die in die interpersonale Kommunikation eingebunden werden. Das können Emotionen und die daraus folgenden Ausdrücke, das gesprochene/geschrieben Wort selbst oder auch Berührungen sein, um einige Beispiele zu nennen. Daraus geht hervor, dass die soziale Präsenz eine Eigenschaft des Mediums und nicht des Benutzers ist.[52] Für diese Arbeit ist diese Theorie insbesondere für die Untersuchung der computerbasierenden Rollenspiele von Bedeutung. Die zentrale Aussage der Theorie ist das Ergebnis, dass „je weniger Kanäle, desto weniger ist man sich der Anwesenheit anderer Personen bewusst und desto unpersönlicher werden die Interaktionen.“[53]
In MMORPGs ist die soziale Präsenz der Gesprächspartner durch diverse, virtuell erschaffene Kanäle verstärkt. Stehen einem User im normalen Chat lediglich zwei bis drei Kommunikationskanäle zur Verfügung, sind es in einem MMORPG vier bis fünf Kanäle. Auch wenn diese Kanäle rein virtueller Natur sind, erfüllen sie jedoch paradoxerweise die Funktion realer Kanäle. So kann der MMORPG Spieler sein gegenüber zwar nicht direkt berühren, aber sein virtueller Charakter kann eine virtuelle Berührung durchaus herbeiführen. Diese Berührung wiederum kann vom Kommunikationspartner als genauso „echt“ empfunden werden, wie eine reale Berührung. Diese Verschmelzung von Virtualität und Realität ist ein Grund dafür, warum virtuelle Lebenswelten so real erscheinen können. Und gerade aus diesem Grund eignen sie sich hervorragend als „Identitäts-Spielplatz“. Des Weiteren leben Online-Rollenspiele von der Kommunikation. Eine virtuelle Spielwelt kann grafisch noch so gut programmiert sein und sie kann unzählige programmierte künstliche Figuren enthalten. Ein „Leben“ entsteht in einer solchen Spielwelt erst dann, wenn die Individuen – Spieler wie auch programmierte NSC – miteinander kommunizieren und interagieren. Insbesondere für das Rollenspielgenre ist die Kommunikation die treibende Kraft und Worte haben in einer virtuellen Welt – wie bereits bei der Beschreibung der MUDs angedeutet – schöpferische Kraft.
2.12 Die Symbolbildungstheorie nach Lorenzer
Ich habe bereits angedeutet, dass Worte in Rollenspielen schöpferische Kräfte besitzen. Eine ebenso große Bedeutung für das Rollenspiel haben Symbole. Der Religionskritiker Alfred Lorenzer bezeichnete den Menschen als ein symbolbildendes Wesen. „Mit Hilfe des Symbols kann u.a. ausagiert werden, was ansonsten nicht gedacht und gelebt werden darf.“[54] Symbole sind ein Produkt des Wechselspiels von 'Möglichkeit' (im Kopf) und 'Wirklichkeit' (draußen), also von innerem Entwurf und sichtbar-greifbarem Sinngebilde.[55] „Ein Terminus, der als Symbol verstanden und nicht als Anzeichen verwendet wird, ruft kein der Anwesenheit seines Gegenstands angemessenes Verhalten hervor. [...] Symbole sind nicht Stellvertretung ihrer Gegenstände, sondern Vehikel für die Vorstellung von Gegenständen.“[56] Um Symbole verstehen zu können, muss der Empfänger in der Lage sein einen realen Inhalt mit dem Symbol zu verknüpfen. Es muss ein Bezug hergestellt werden und erst dann kann ein Symbol seine Funktion erfüllen. „Symbole sind [...] nicht nur die diskursiv geordneten Zeichen der Sprache und die präsentativen Symbole der Kunst, sondern alle Produkte menschlicher Praxis, insoweit sie 'Bedeutungen' vermitteln.“[57] Sie erhalten ihre Bedeutung aus der Verknüpfung mit lebenspraktischen Entwürfen der alltäglichen Realität. Betrachtet man unter diesem Aspekt die Erschaffung eines Rollenspielcharakters, so resultiert daraus, „dass es bei der Kreierung eines Rollenspielcharakters zur Verknüpfung bewusster und unbewusster Lebensentwürfe des Spielers kommt. [...] Mit dem Charakter können ansonsten abgewehrte, verdrängte Lebensentwürfe szenisch dargestellt, 'rausgelassen' werden.“[58] Diese Möglichkeit, des 'Rauslassens' verdrängter Entwürfe führt zu der Frage, ob Rollenspiel als rein symbolgestützter oder sogar normfreier Raum zu sehen ist.
2.13 Rollenspiel als normfreier Raum?
Allen zuvor genannten Identitätstheorien ist die Schaffung unzähliger Teilidentitäten gemein. Ein wichtiges Anliegen, das sich aus der Schaffung dieser Vielzahl an Identitätsentwürfen ergibt, ist die Suche nach einem Raum, um Entwürfe fernab der Gesellschaft auszutesten, zu verifizieren und gegebenenfalls anzupassen. Von elementarer Bedeutung ist hierfür die Anforderung an den Testraum, die Realität möglichst reell abzubilden, aber dennoch seinen fiktionalen Charakter in Hinsicht auf Konsequenzen zu bewahren. Diese Eigenschaften werden der Jugendphase, von Erikson als Moratorium postuliert, zugeschrieben. Dennoch ist das Jugendalter ein ,Raum', der sich stark an gesellschaftliche Leitbilder und Normen anlehnt. So ist es nicht verwunderlich, dass Jugendliche alternative, normfreie Räume suchen, um normwidrige Identitätskonzepte ebenfalls austesten zu können. Das Rollenspiel bietet durch seine individuell gestaltbaren Gesellschafts- und Normgrundsätze eine ideale Möglichkeit für derartiges austarieren. Im Spiel können Fantasien und fiktionale Konzepte erprobt werden. Im gemeinsamen Miteinander können jedoch auch Reaktionen auf die Formen dieser fiktionalen Identitäten erlebt und ihre Normkonformität somit erfahren werden.
2. 14 Homo ludens
Spiele erhalten Ordnungsprinzipien aus der Erfahrungswelt, auf die sie Bezug nehmen. Ihre Zeigefunktion schafft einen eigenen Rahmen. Huizinga stellt in einer Veröffentlichung die These des 'homo ludens' auf und arbeitet darin heraus, das die Essenz des Spiels das Wesen des Menschen ausmache. Auch Huizinga schreibt der Kommunikation beim Spiel eine besondere Bedeutung zu. „Das erste strukturelle Merkmal des Spiels ist der metakommunikative Rahmen, d.h. eine gedachte und kommunikativ markierte Begrenzung, die Spielereignisse aus dem Fluß der Alltagswelt herauslöst und als Geschehen eines anderen [...] Typs darstellt.“[59] Das Spiel ist also ein von der Alltagswelt abgegrenzter Raum. Das Rollenspiel treibt diesen Umstand ins Extreme und stellt in diesem Sinne die Essenz des Sachverhalts dar. „Spiele bilden Welten, die für sich stehen können und die relative Autonomie besitzen, aber zugleich Bezug auf eine (oder mehrere) Welt (Welten) außerhalb des Spiels nehmen.“[60] Im Rollenspiel ist dies besonders deutlich, weil dabei, ähnlich wie im Theaterspiel genau mit diesem Phänomen gespielt wird. Es bildet genauer gesagt die Grundlage für diesen Spieltypus. Die Lernfunktion von Spielen wird in der Publikation von Gebauer und Wulf mehrfach hervorgehoben. Von besonderer Bedeutung ist für die Autoren der so genannte „effet de réel“, der die Wirklichkeitsnähe des im Spiel gelernten klassifiziert. „Je stärker der effet de réel eines Spiels ist, desto sicherer wirkt das Interesse an den organisierenden Prinzipien, die das Spiel und die entsprechende Alltagswelt gemein haben.“[61] Im vierten Kapitel der Arbeit wird von vielen Spielern die Möglichkeit erwähnt, im Spiel Optionen zu haben, die in der Realität so nicht bestehen. Gebauer und Wulf sehen darin eine sehr wichtige Funktion von Spielen. „Im Spielen wird ein Freiraum mit der Möglichkeit geboten, Emotionen und Phantasien auszuleben, die im normalen Alltag keinen Ausdruck erhalten dürfen. [...] In diesen Aktivitäten wird nicht nur ein Komplement zur Arbeit gesucht, sondern Spieler erzeugen besondere Gelegenheiten des intensiven Auslebens von Affekten, die nicht weniger stark sind als jene des Ernstfalls. In Spielen werden solche Emotionen mimetisch nacherzeugt, die im Alltag peinlich gemieden werden.“[62] Auch für die Bildung des eigenen Selbstkonzepts hat das Spiel genau aus diesen Gründen eine große Bedeutung. Wie bereits angesprochen bietet der durch das Spiel geschaffene Raum Möglichkeiten für das ungezwungene und freie Experimentieren mit Selbstkonzept und Normkonstruktionen. Auch bieten sie die Möglichkeiten verdränge Aspekte des Selbst auszuleben und zu bearbeiten, denn „Spiele sind [...] nicht nur Mimesis() der sozialen Welt, sondern auch die innere Verarbeitung der Welt.“[63] Die These der elementaren Bedeutung des Spiels für den Menschen von Johan Huizinga ist also nicht nur für den sozialen Umgang des Menschen innerhalb der Gesellschaft von enormer Bedeutung, sonder auch für die Entstehung seines Selbstkonzepts.
2.15 Zusammenfassung
Im vorangegangen Abschnitt der Arbeit habe ich mich mit unterschiedlichen Theorien zur Identitätsbildung auseinander gesetzt. Es konnte herausgestellt werden, dass es einen Wandel in der Sichtweise der Identität von einer recht starren Kernidentität hin zu einer multiplen und sehr flexiblen modernen Identität, die sich in das Weltbild einer heterogenen und pluralen Gesellschaft einfügt, gibt. Der Begriff der „Entkernung“ kann hier als zentrales Schlagwort hervorgehoben werden. Der Einfluss der modernen Medien – insbesondere des Computers – auf die Identitätsgenese konnte am Beispiel der MUDs verdeutlicht werden. Generell ist das Spiel als ein zentrales Mittel der Rollenexperimente im Rahmen der Evaluation und Etablierung der eigenen Identität zu sehen. Das Rollenspiel stellt hierbei eine Art Moratorium dar, in dessen Rahmen experimentelle Identitätsentwürfe fern von gesellschaftlichen Normen und Reglementierungen getestet werden können.
Im folgenden Teil der Arbeit soll aufgezeigt werden, welche Probleme sich aus der zunehmenden Medialisierung der Gesellschaft ergeben können und welcher Handlungsbedarf für bestimmte pädagogische Bereiche besteht.
Teil 3 – Gefahren der Mediengesellschaft
3.1 Die Medialisierung der Gesellschaft
Die JIM-Studie, welche vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest im Jahr 2006 durchgeführt wurde, bestätigt, das 97% aller Jugendlichen im Alter von 12-19 Jahren heutzutage zu den Computernutzern zählen. Die durchschnittliche Nutzungsdauer am Tag liegt zwischen einer halben Stunde und 5 Stunden. Die meisten Probanden nutzen den PC jedoch täglich für eine Zeit zwischen 1-3 Stunden.
Der Anteil der Spieler am PC nimmt zwar einen recht hohen Prozentsatz ein, aber steht mit 38% nicht an vorderster Stelle. Ein signifikanter Unterschied ist in der Nutzung des Computers als Spielgerät bei den unterschiedlichen Geschlechtern zu erkennen. Nutzen gerade einmal 17% der weiblichen befragten Jugendlichen den PC als Spielgerät, sind es bei den männlichen Befragten mit 57% mehr als die Hälfte. Eine derartig große Geschlechterdifferenz ist nur bei der Nutzung des PCs als Spielplattform zu erkennen, wenn auch anzumerken ist, dass die weiblichen Probanden den PC generell weniger stark nutzen als die männlichen Probanden.
Die Nutzung des Computers wird in der Studie in drei große Bereiche untergliedert[64] von denen – wider erwarten – das Computerspielen nicht den größten Prozentsatz einnimmt. Die Nutzung des WWW steht bei der Verteilung der Prioritäten an erster Stelle und ist in allen Versuchsgruppen mit etwa 50% gleich stark vertreten. Die Verteilung von Spiel- und Arbeitsprioritäten unterliegt Schwankungen, aber dennoch halten sich diese Bereiche in der Gesamtbetrachtung mit je etwa 25% die Waage.[65] Die Studie 2007 zeigt sogar noch eine stärkere Tendenz hin zu einer eher arbeitsorientierten Computernutzung. „Hinsichtlich der Offline-Tätigkeiten wird die spielorientierte Computernutzung der Jugendlichen mittlerweile durch eine eher lernzentrierte Zuwendung abgelöst. 53 Prozent der 12- bis 19-Jährigen arbeiten täglich bzw. mehrmals pro Woche am Computer für die Schule, Computerspiele belegen den zweiten Platz und werden mit dieser Intensität von 34 Prozent der Computernutzer gespielt.“[66]. Besonderes Augenmerk ist auf die Auswirkungen virtueller Lebenswelten à la ,Second Lifelife' zu legen. Anders als angenommen zeigt die JIM Studie 2007, dass dieses Phänomen eher an den jugendlichen Usern vorbei gezogen zu sein scheint. „Lediglich vier Prozent haben diese Parallelwelt im Netz schon einmal besucht, 38 Prozent kennen diese Plattform nur dem Namen nach und mit 58 Prozent hat mehr als die Hälfte der Jugendlichen im Zuge der Befragung zum ersten Mal von „Second Llife“ gehört. Die Sorge, dass sich Jugendliche in dieser virtuellen Welt und damit den Bezug zur Realität verlieren, ist heute eher unbegründet.“[67] Die Problematik des Realitätsverlusts, die nachfolgend noch näher erläutert werden soll, muss sich also in dieser Form – betrachtet man die Ergebnisse der JIM Studie – eher auf eine kleinere Gruppe vorwiegend erwachsener Spieler beschränken. Die Gefahren sollten jedoch nicht völlig außer Acht gelassen werden, da auftretende Fälle durchaus für eine latent vorhandene Gefährdung sprechen. Diese jedoch zu verallgemeinern scheint mir, insbesondere nach Auswertung der Studien 2006/2007, eher überstürzt.
3.2 Es ist, als hättest Du ein zweites Ich.
„Es ist, als hättest Du ein zweites Ich.
Das eine Ich, das da chattet[sic!] und sich in wildester Manie mit unsichtbaren Wesen am Rechner unterhält, ihnen Dinge anvertraut, von denen Du vorher selbst nichts wußtest [sic!]. In Dir erwacht eine Erotik und eine Sehnsucht, von der Du Dir vor Deiner Onlinesucht niemals bewußt [sic!] warst. Es ist, als sei Deine Phantasie erwacht, Deine Träume werden lebendig, nehmen Gestalt an, und Du findest in Deinem Gegenüber das Wunschbild Deines Lebens.
Dieses eine Ich überdeckt den Verstand, stürzt sich hinein mit Haut und Haar in ein Abenteuer. Du riskierst und unternimmst alles, um den Traum wahr werden zu lassen, und dazu gehört, daß [sic!] der Verstand nicht im Wege ist.
Du triffst Dich mit Menschen, die Dich jederzeit hätten in eine Falle locken können,
Du planst ganze Wochenenden mit ihnen, mit einem Unbekannten, der doch so (scheinbar) bekannt geworden ist. Wagst Du es tatsächlich, irgendeinem Deiner realen Freunde (falls Du noch welche hast) davon zu erzählen,
wirst Du ermahnt und auf dieses Risiko aufmerksam gemacht.
Du hörst es nicht, Du weißt es besser.
Die Traumwelt hat Dich in ihrem Bann. In Traumwelten gibt es nichts Reales, schon gar keinen Mord.
Das andere Ich, das Dich in den kurzen Momenten, in denen Du Dich wieder in der Realität befindest, fragt:
- WAS TUST DU DA?
- Warum vernachlässigst Du Deine Kinder?
- Warum ist Dein Mann Dir nicht mehr wichtig?
- Warum gehst Du nicht mehr tanzen oder triffst Dich mit Deinen Freunden?
- Warum leidest Du und warum kannst Du auf dieses Internet und die Menschen darin nicht verzichten?
Dieses Ich steht dem neuen Ich hintenan [sic!] . Es mag das neue Ich, das verträumte - das Ich aus der anderen Welt - viel lieber als das reale.
Du denkst, Du seist doch gestern noch ganz "normal" gewesen, weißt aber im gleichen Augenblick, daß [sic!] Du das immer noch bist, aber daß [sic!] Du dennoch nicht auf Deine neue Welt verzichten willst und kannst.
Deine reale Umwelt reagiert negativ auf Dein neues Leben. Das erhöht die Mauer, denn sie verstehen Dich einfach nicht.
Trost, Zuspruch und Zuwendung findest Du im Internet, in Deiner neuen Welt!“[68]
Ich habe dieses „Bekenntnis einer Ehemaligen“ als Einleitung dieses Kapitels gewählt, da sich hierin unheimlich viele Gedanken und auch Gefahren der Online-Sucht wiederfinden. In diesem zweiten Teil meiner Diplomarbeit will ich, nachdem ich einige Chancen, die Rollenspiele bieten, aufgezeigt habe, nun auch die Kehrseite der Medaille präsentieren. Wichtig ist hier jedoch anzumerken, dass der Fokus dieses Kapitels auf computergestützten virtuellen Lebenswelten liegt. Zwar ist auch ein P&P-Spieler oder ein LARPer nicht vor der Sucht oder zumindest suchtähnlichen Zuständen gefeit, aber dennoch ist der Suchtfaktor bei Online-Spielen nach meinen Erfahrungen am höchsten.
3.3 Online-Sucht
Im klinischen Sinne spricht man von einer Sucht, wenn der Konsument Drogen, Medikamente oder Genussmittel aufgrund psychisch und/oder körperlicher Gewohnheit zu sich nimmt. Man spricht in solchem Falle auch von einer Abhängigkeit. Der Drang, die entsprechende Droge zu sich zu nehmen, entwickelt und verstärkt sich durch den Konsum des Suchtmittels. Die fortgesetzte Einnahme kann zu psychischer und physischer Abhängigkeit und im schlimmsten Falle zu Entzugserscheinungen bei Nichtkonsum des Suchtmittels führen. Diese Definition zeigt zugleich die Schwierigkeit der Klassifikation von Spielen, insbesondere Computerspielen als Suchtmittel. „Die Anziehungskraft dieser virtuellen Parallelwelten liegen vor allem darin, dass man mit seinen virtuellen Identitäten, den Avataren, die Grenzen der realen Welt, die Grenzen von Geschlecht, Biologie, Nationalität, Ethnizität und Geografie überschreiten kann. Dieses Transzendieren erinnert an den alten Menschheitstraum, sich zu Lebzeiten von den Bedingungen des irdischen Daseins zu lösen.“[69] Vor dem Internetzeitalter versuchte man diesen Zustand durch die Einnahme bewusstseinserweiternder Mittel zu erreichen. Heute ist auf diesem Gebiet die Computertechnologie auf dem Vormarsch. Die Verfasser der Internetseite www.suchtmittel.de definieren Computersucht als „zwanghaften Drang, sich täglich (möglichst oft undmeist stundenlang) mit dem Computer zu beschäftigen. Die Computersucht ist einer Internetsucht oder einer Spielsucht (Computerspiele) ähnlich und nicht trivial von diesen Sonderformen zu trennen“[70]. Dennoch ist es oftmals nicht leicht die Grenzen zwischen exzessivem Spiel und Sucht zu ziehen. Als Faustregel gilt nach neusten Studien eine Spielzeit von 35 Stunden in der Woche als Suchtgrenze. Weitere Suchtanzeichen fasst der Psychologe Gerald Block in einem Artikel im American Journal of Psychology wie folgt zusammen: „1) excessive use, often associated with a loss of sense of time or a neglect of basic drives, 2) withdrawal, including feelings of anger, tension, and/or depression when the computer is inaccessible, 3) tolerance, including the need for better computer equipment, more software, or more hours of use, and 4) negative repercussions, including arguments, lying, poor achievement, social isolation, and fatigue (3,4).“[71] Die Folgen einer Online-Sucht werden oftmals mit den Folgen von Alkoholismus verglichen und sorgen dafür, dass sich bereits im Bundestag mit diesem Thema befasst wurde. Ergebnis dieser Anhörung war die Etablierung des Internetportals http://onlinesucht.de. Online-Sucht wird hier in drei große Bereich gegliedert: Online-Kommunikationssucht, Online-Spielsucht und Online-Sexsucht.[72] Auffällig bei der Problematik der Online-Sucht sind die fließenden Grenzen zwischen Sucht und Faszination. Insbesondere die hohe Dunkelziffer der von Online-Sucht Betroffenen macht eine Analyse äußerst schwierig. Laut Studien sind etwa 2 Millionen deutschlandweit bereits von Online-Sucht betroffen, die Dunkelziffer dürfte jedoch um ein Vielfaches höher liegen. In einem Positionspapier der Bündnis 90/Die Grünen heißt es: „Im Vergleich zu anderen Süchten ist das Phänomen der Medienabhängigkeit bisher nur unzureichend erforscht. Untersuchungen zum Zusammenhang von Medienkonsum und Suchtverhalten liegen kaum vor.“[73] Hier wird das Hauptproblem der Online-Sucht deutlich. Die unzureichende Erforschung und daraus resultierende mangelnde Möglichkeit zur Prävention und Information führen zu Fehleinschätzungen bezüglich der Problematik des Phänomens. „Keine dieser Süchte ist bisher als Suchtform anerkannt. „Mediensüchte“ werden von vielen ExpertInnen nicht als eigenständige Süchte definiert, sondern lediglich als Ausprägung anderer vorhandener Erkrankungen wie .B. Depressionen.“[74]
Anhand eigener Beobachtungen konnte ich feststellen, dass Kinder, die sich exzessiv mit dem Online-Spiel WOW befassten, wenige oder keine anderen Hobbys aufzählten. Ihr Interesse ist auf das Spiel und die Spielwelt zentriert und andere Aktivitäten als das Spielen werden als langweilig und nicht befriedigend empfunden. Durch die stetige Beschäftigung in der Online-Welt vernachlässigen diese Kinder ihre reale Umwelt und reale Freundschaften leiden darunter oder gehen sogar völlig verloren. Dadurch wiederum geraten diese Kinder in einen Teufelskreis, aus dem ein Entkommen aus eigener Kraft sich oftmals als schwer erweist. Auch bei Jugendlichen und Erwachsenen sind diese Folgen erkennbar. Das größte Problem hierbei ist die fehlende Anerkennung der Online-Sucht als Sucht. Dadurch kommt es zu einer Verharmlosung der Gefahren, die von dieser Problematik ausgehen, die die betroffenen Spieler oftmals in ihrer Einschätzung, dass „das Spielen ja nicht so schlimm sei“, unterstützen. Es geht jedoch explizit Gefahr von Online-Rollenspielen aus, da diese per se sehr zeitaufwändig sind und eine enorme Faszinationskraft auf die Spielenden ausüben. Suchtpotential hat hier vor allem die Unendlichkeit dieser Spiele sowie das Spieldesign, dass ein Weiterkommen im Spiel oftmals nur ermöglicht, wenn man sich in der Gemeinschaft mit anderen Spielern, einer Gilde, fortbewegt.“[75] Unterstützt wird dies noch dadurch, das Vielspieler quasi genau dafür, nämlich das 'Viel-Spielen' belohnt werden. „Wer nur selten online ist, dem laufen andere Spieler den Rang ab. Das virtuelle Konto ist verhältnismäßig schlechter gefüllt, die Ausrüstung der Spielfigur mager, eine Chance auf rare Ausrüstungsgegenstände gibt es kaum. Vielleicht noch schlimmer: in den wenigsten Gilden werden Gelegenheitsspieler akzeptiert. Sie sind nämlich gerade dann nicht verfügbar, wenn man sie brauchen würde, beispielsweise für die Planung des nächsten Raids(). Von der fehlenden Übung mal ganz abgesehen.“[76]
3.4 Gilden als Suchtauslöser
Gilden() sind eine Besonderheit, die in der Regel nur bei Online-Spielen unter verschiedenen Synonymen anzutreffen sind (Gilde, Clan, etc.). Wie zuvor bereits angedeutet sind Gilden als einer der wichtigsten Suchtfaktoren von Online-Spielen zu sehen. Woher kommt aber diese suchtfördernde, wenn nicht sogar begründende Funktion der Gilden? Dazu gilt es zunächst einmal die Spielmechanik eines Online-Rollenspiels zu betrachtet. Als Beispiel soll hier 'World of Warcraft'() dienen. Die Grundprinzipien dieser Spiele wurden bereits im ersten Teil der Arbeit angedeutet. Wichtig für die Entstehung einer Sucht ist aber auf jeden Fall die Orientierung der Spielmechanik am Kommunikations- und Gesellschaftsbedürfnis der Spieler. Alleine spielen wird schnell langweilig. Selbst ein noch so gut durchdachtes und perfekt inszeniertes Computerspiel verliert irgendwann seinen Reiz, denn der Computer ist bei diesen Spielen nicht viel mehr als eine Maschine. Ganz anders jedoch ist der Reiz, wenn diese Maschine nun plötzlich von realem Leben „bewohnt“ ist. Spielfiguren, die nicht durch eine (in der Regel) mangelhafte künstliche Intelligenz gesteuert werden und bestenfalls recht mechanisch mit dem Spieler interagieren, sondern hinter denen reale Personen stehen. Diese „Lebendigkeit“ ist es, die eine virtuelle Welt zu einem Suchtfaktor werden lässt. Gilden repräsentieren in dieser Gemeinschaft eine paradoxe Synthese von virtualisiert-realer Gemeinschaft. Zwar ist eine solche Gemeinschaft immer semireal, doch auch in einer solchen Gemeinschaft gelten Regeln und der Spieler wird fest in eine vorhandene Struktur eingegliedert. Mit einer solchen Eingliederungen kommen natürlich auch Pflichten auf den Spieler zu. So wird zum Beispiel von einem Spieler, der einen Heiler[77] spielt, erwartet, dass dieser für bestimmte Aktivitäten der Gilde verfügbar ist. Diese Einbindung wird von vielen Spielern ähnlich wie eine Mitgliedschaft in einem Sportverein empfunden. Wichtig ist, dass eine Gilde in diesem Spielen von der Bereitschaft ihrer Mitglieder lebt, ihre Zeit für das Spiel und diese Gemeinschaft zu opfern. „Der Gruppenzwang, der durch die Gilden bisweilen entsteht, führt bei so manchen Spielern zu exzessiver Nutzung. Obwohl das Thema an sich nach wie vor umstritten ist, dürfte zweifelsfrei sein, dass World of Warcraft die meisten 'Suchtfälle' hervorgebracht hat.“[78]
3.5 Schlachtzüge als Suchtauslöser
Eine weitere Besonderheit von MMORPGs, insbesondere aber von Warcraft, ist die Spielmechanik der Schlachtzüge (Im Spielerjargon als Raid ()). Raids sind ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die feste Einbindung von Spielern in ein Spiel. Eine Raidgruppe ist eine Gruppe von Spielern, die sich zusammen einer besonderen Art von Herausforderungen im Spiel stellt, den so genannten Instanzen. Eine Instanz ist eine temporäre Kopie eines Dungeons() für eine einzelne Spielergruppe oder eine bestimmte Spieleranzahl. Zentrales Prinzip dieser Instanzen ist es, dass sie nicht von einem einzelnen Spieler bewältigt werden können. Instanzen existieren für Gruppengrößen von 5-40 Spielern und zeichnen sich durch einen enormen Zeitaufwand aus. Die Gegner in solchen Instanzen sind gefährlicher und stärker als ihre „normalen“ Äquivalente außerhalb. Insbesondere für die so genannten ,Bosse'[79] sind in der Regel viele Versuche, gute Koordination der Spielgruppe und vor allem gute Ausrüstung der Charaktere erforderlich, um diese speziellen Herausforderungen zu meistern. Ist dies geschafft, werden die Spieler durch den Erhalt neuer und besserer Ausrüstungsgegenstände belohnt, die wiederum Voraussetzung für das Betreten einer anderen Instanz sein können. Insbesondere der Anspruch an Ausrüstung und Fähigkeiten des Charakters und auch Spielers erlauben es dem Spieler nicht einfach auszusteigen. Schließt er sich einer Schlachtgruppe an, dann übernimmt er damit Verantwortung. Er muss dafür sorgen, dass sein Charakter die bestmögliche Ausrüstung besitzt, ist mehr oder weniger verpflichtet zu den „Raidzeiten“ anwesend zu sein und seine Aufgabe in der Gruppe zu übernehmen. Wird der Spieler diesen Anforderungen nicht gerecht, verliert er sehr schnell sowohl Status als auch Ansehen und letztendlich die Bedeutung für seine Mitspieler. Der Zwang, der sich aus dieser Situation ergibt, kann extreme Formen annehmen, so dass mir Spieler bekannt sind, die fast jeden Tag mit dem „Raiden“() zubringen. Tägliche Spielzeiten von 5-10 Stunden sind keine Seltenheit, wenn diese Spieler sich in die Ränge der Elite spielen. Die meisten Spieler sehen im „Raiden“ eine Art Sport und argumentieren auch mit ihrer „Einbindung in eine Mannschaft“, wenn sie andere Aktivitäten zugunsten des Spiels absagen. Gerade die Verpflichtung gegenüber dieser letztendlich virtuellen Gemeinschaft ist es, die oft den schmalen Grat zwischen Faszination und Sucht darstellt und zugleich auch die Begründung für die hohe Suchtgefahr dieses Spieltyps repräsentiert.
Im Gegensatz zu einer Sportmannschaft jedoch ist die Raidmannschaft eine Gruppe von Personen, die sich nur selten in der Realität wirklich kennen. Der Spieler ist zwar in einer Gruppe unterwegs, aber letztendlich ist und bleibt er beim Spielen alleine. Insofern kann ein Raid auch niemals eine Gruppe von realen Personen und ein Spiel in einer Mannschaftssportart ersetzen. Stets wird das Online-Spiel eine eher einsame Freizeitbeschäftigung bleiben und Online-Freundschaften können nur in den seltensten Fällen die Funktion und vor allem emotionale und soziale Bedeutung einer realen Freundschaft ersetzen.
3.6 Online-Freundschaften und andere Phänomene
Online-Freundschaften sind eine weitere Problematik, die sich durch den vermehrten Medienkonsum ergeben. Es wäre sicherlich nicht angebracht dieses Thema als „Gefahr“ zu pauschalisieren. Einen Aspekt davon möchte ich an dieser Stelle dennoch unter dem Schlagwort Gefahren mit aufführen. Wie bereits ersichtlich wurde, ist der virtuelle Raum ein Gebiet der Geschlechtslosigkeit und eine stetige Maskerade. Diese so gewonnene Anonymität mag auf der einen Seite viele Vorteile mit sich bringen, aber auf der anderen Seite bieten sie auch eine Grundlage für Betrug und Falschspielerei. Eine virtuelle Freundschaft kann sich in seltenen Fällen von der virtuellen Welt in die reale Welt übertragen, aber in der Regel bleiben solche Freundschaften dort, wo sie entstehen. Problematisch ist, dass eine virtuelle Freundschaft aufgrund der beidseitigen Anonymität sehr viel leichter und schneller entsteht als eine reale Freundschaft. Die Umgebung des virtuellen Raumes wirkt oft enthemmend und so passiert es schnell, dass sich Personen, die sich eigentlich gar nicht kennen plötzlich behandeln, als seien sie beste Freunde. Diese virtuellen Freundschaften haben jedoch in der Regel eine sehr geringe Halbwertszeit und verschwinden ebenso schnell in der Anonymität des virtuellen Raumes, wie sie entstehen. Die Gefahr ist, dass reale Freundschaften, die in der Regel sehr viel komplizierter und anstrengender in ihrer Etablierung und Pflege sind, zugunsten virtueller Freundschaften vernachlässigt werden. Dieser Verlust realer Freunde kann zu einem immer stärkeren Zurückziehen des Betroffenen aus der realen Gesellschaft führen und letztendlich eine völlige Vereinsamung nach sich ziehen. Reingold belegt dies auch in seinem Buch: „Als ich mir gelegentlich die Mitteilungen der Usenet-Gruppe alt.irc.recovery anschaute, las ich häufig Bekenntnisse, daß[sic!] Menschen zuviel[sic!] von ihrer Zeit im IRC() und zuwenig[sic!] mit ihren IRL-Freunden verbracht hatten; langfristig hatte sie dies zu Einsiedlern gemacht, zu Menschen, die vor allem dann sehr einsam waren, wenn sie nicht mit der einen Gemeinschaft im Netz verbunden waren, wo alles gut lief.“[80] Die Gefahr die Realität zugunsten der Virtualität zu vernachlässigen ist also auch an dieser Stelle gegeben. Des Weiteren stellen virtuelle Freundschaften einen enormen Unsicherheitsfaktor dar, mit dem der Betroffene konfrontiert wird. Dadurch, dass eine Netzidentität letztendlich geschlechts- und gesichtslos ist, weiß der Benutzer nie, ob die Informationen,l die er erhält der Wahrheit entsprechen. Somit wird ein Kind oder auch Jugendlicher im Netz stets mit einer sehr schwammigen Wahrheit konfrontiert, deren Kern nicht selten falsche oder Teilwahrheiten sind. Durch die im Netz gewährte Anonymität ist antisoziales Verhalten ein ebenfalls großes Problem der virtuellen Realität. Durch die zuvor bereits angedeutete Enthemmung kommt es oftmals in virtuellen Räumen zu Ausbrüchen von Rassismus und anderen Diskriminierungen.
3.6.1 Exkurs: Warum faszinieren PC- und Rollenspiele?
3.6.1.1 Die 4 Funktionskreise eines PC-Spiels nach Fritz
„Die Eigenart der virtuellen Welt besteht darin, daß [sic!] man sich wahrnehmend und handelnd in dieser ,wiederfindet', ohne daß [sic!] man faktisch in ihr vorhanden wäre oder nach den Maßstäben der realen Welt darin handeln könnte. Virtuelle Macht, Herrschaft und Kontrolle kann man nur ,mittelbar' ausüben, obwohl manche Spiele das Gefühl erzeugen, ,mitten drin' zu sein.“[81] Fritz deutet an, dass Spielkontrolle und Erfolg von der Kompetenz des Spielers abhängen, die Spielfigur angemessen zu kontrollieren. Die unterschiedlichen Anforderungen an den Spieler werden von ihm in vier Funktionskreise klassifiziert, die laut seiner Aussage quasi als ,Gelenkstück' zwischen Spielanforderung und Spielerkompetenz zu sehen sind.[82] Wenn auch teilweise in weniger starker Ausprägung, kann man diese Funktionskreise auch auf das Rollenspiel übertragen.
3.6.1.2 Pragmatischer Funktionskreis
Die primäre Funktion, die dem pragmatischen Funktionskreis zuzuweisen ist, ist die sensuomotorische Synchronisierung. Das bedeutet, dass der Spieler eine Synchronisation zwischen eigenen Bewegungsmustern sowie Wahrnehmungsformen und virtuellen Bewegungsmustern sowie Wahrnehmungsformen der Spielfigur erreichen muss. Der pragmatische Funktionskreis hat einen Bezug zu den Funktionsspielen. Er schafft die sensumotorischen Voraussetzungen für die weiteren Funktionskreise des Bildschirmspiels. Wie das Funktionsspiel Freude an der gekonnten Bewegung auslösen kann, so entsteht durch den sensumotorischen Funktionskreis im Spieler das befriedigende Gefühl, die Spielfigur wie den eigenen Körper beherrschen zu können. Im sensumotorischen Funktionskreis belebt der Spieler einen elektronischen Stellvertreter mit seiner eigenen Körperlichkeit: Ein Teil meines Körpers wird zur ,elektronischen Marionette'.“[83]
Der pragmatische Funktionskreis fällt – zumindest beim P&P – aufgrund der stark abweichenden Spielkontrolle nahezu vollständig weg. Beim LARP ist er zwar vorhanden, doch auch hier ist die Bedeutungsverteilung anders zu gewichten als bei einem Computerspiel. So kommt dem pragmatischen Funktionskreis besonders beim LARP große Bedeutung zu, da der Spieler sich durch seine Handlungen (und somit im übertragenen Sinne durch die Kontrolle seines Charakters, seiner Spielfigur) dort noch stärker definiert als im Computerspiel.
3.6.1.3 Semantischer Funktionskreis
Die Deutung des virtuellen Geschehens durch den Spieler ist zentraler Aspekt des semantischen Funktionskreises. Beim Spielen eines Computerspiels – aber auch Rollenspiels – findet immer auch eine Bedeutungsübertragung von virtuellen Spielinhalten statt. „Mit der Übertragung von Bedeutung verbinden sich kulturelle Erfahrungen, moralische Bewertungen und dadurch bedingte unterschiedliche Gefühle mit dem Spiel. All dies bewirkt, daß [sic!] der Spieler bestimmte Einstellungen zu den unterschiedlichen Spielen finden kann.“[84] Die Spielfigur wird in diesem Funktionskreis durch die Bedeutung, die ihr in Bezug auf den kulturellen Hintergrund des Spielers gegeben wird, belebt.
3.6.1.4 Syntaktischer Funktionskreis
Die virtuelle (Um-)Welt eines Spiels wird durch Regeln definiert und gestaltet. Regeln in virtuellen Welten legen die Art und die Beziehung von Objekten und Personen zueinander fest und schaffen somit einen festen Rahmen, in dem sich der Spieler – diese Regeln beachtend – bewegen und mit seiner Umwelt interagieren kann. „Hand in Hand mit der Spannung des Spiels steigt die Anspannung der Spieler. Sie müssen die Welt von ihren Regeln her verstehen, die eigenen Handlungsmöglichkeiten nutzen und die angemessenen Strategien entwickeln.“[85] Grundeigenschaft des syntaktischen Funktionskreises ist die Schaffung einer regelorientierten Grundlage für das spielerische Handeln. Beim Rollenspiel wird dieser Funktionskreis durch die – in unzähligen Büchern erhältlichen – Regeln repräsentiert. Auch hier wird die Welt auf einem Regelgerüst erschaffen und reguliert die Handlungsmöglichkeiten der Charaktere. Eine interessante Möglichkeit gegenüber dem Computerspiel ist hier jedoch die Möglichkeit der Spieler, diesen Funktionskreis nach eigenem Wunsch zu manipulieren. Diese Möglichkeit ist im LARP zwar nur sehr selten vorhanden, aber im P&P sind dem Spieler nur die Grenzen der eigenen Fantasie gesetzt. Lediglich das eingreifende Handeln des Spielleiters kann als letzte Regelinstanz gesehen werden, die diese Manipulation kontrolliert.
3.6.1.5 Dynamischer Funktionskreis
Der für die Frage nach der Faszination eines Spieles wohl wichtigste Funktionskreis ist der dynamische Funktionskreis. Die zuvor genannten Funktionskreise schaffen eine Grundlage für die Funktion des letzten Funktionskreises, den des Selbstbezugs. „Durch den Selbstbezug werden Bildschirmspiele [wie auch Rollenspiele] zu einem mehrfädig geflochtenen Band bedeutsamer Metaphern, die in ihren vielfältigen Verweisungen Individuelles mit Gesellschaftlichem verbinden.“[86] Fritz deutet an, dass ein Spiel für den Spieler erst dann Faszinationskraft erlangen könne, wenn sich der Spieler im Spiel ,wiederfinde'. Er schreibt weiter, dass das Bildschirmspiel zu einer Metapher des eigenen Lebens würde[87] und dass der Spieler in diesem Funktionskreis seine narzisstischen Wünsche ebenso wie seine erworbenen gesellschaftlichen und kulturellen Wertvorstellungen und Normen wiederfinde. “Die virtuelle Wirklichkeit des Spiels wird für den Spieler wirklich, weil er sie mit seiner inneren Wirklichkeit wirksam verbunden hat.“[88]
Das Phänomen des Selbstbezugs ist ebenfalls bei Rollenspielern sehr stark vorhanden. Auch für Rollenspielwelten gelten die gleichen Grundsätze, die Fritz auch für Bildschirmwelten im dynamischen Funktionskreis propagiert.
3.6.2 Das „Flow-Erlebnis“
„Wenn man flüchtet, um einem Verfolger zu entkommen, ist man mit dieser Handlung völlig beschäftigt, die Erfahrung kann von den umgebenden Objekten aufgesaugt werden, so daß[sic!] man zu diesem Zeitpunkt überhaupt kein Bewusstsein der eigenen Identität hat.“[89] Diesen Satz liest man in Meads Theorie zur Identitätsbildung. Er spricht damit ein Phänomen an, welches erst einige Zeit später von Csikszentmihalyi näher erforscht wird. .„Das völlige Aufgehen in seinem Tun“, so in etwa könnte man den Effekt des „Flow“ kurz beschreiben und zugleich klassifizieren. Es ist eine virtuelle und zugleich auch sehr emotionale Erfahrung, die sich nicht nur auf Computerspiele beschränkt, dort aber besonders leicht zu erreichen ist. „Das Hineinversetzen in die Spielfigur beschränkt sich nicht auf die Pragmatik, den ,elektronischen Stellvertreter' lenken zu können, sondern bezieht Persönlichkeitsanteile so stark ein, daß [sic!] das Gefühl entsteht, man würde es selbst sein, der auf dem Bildschirm agiert.“[90] Dieses Verschmelzen mit der Spielfigur ist einer der Gründe, warum PC-Spiele einen solchen Reiz ausüben, da durch Etablierung des zuvor beschriebenen pragmatischen Funktionskreises eine Synchronisierung zwischen Spieler und Spielfigur entstehen kann. Die meisten Computerspiele vermitteln dem Spieler ein Flow-Erlebnis, indem sie den Spieler vor rasch aufeinander folgende Aufgaben eines mittleren Schwierigkeitsgrades stellen, die ihn zwar herausfordern, die er aber mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich lösen kann.
„Menschen können so sehr im Spiel aufgehen, daß [sic!] sie ihren Hunger und andere Probleme vergessen.“[91] Selbst bei Rousseau finden sich Ansätze dieser Denkweise. So schreibt er z.B. in Emil: „In allen Spielen, die ihrer festen Überzeugung nach wirklich Spiele sind, ertragen sie ohne Klagen, ja sogar unter Lachen, was sie sonst nur mit Tränen und Wehklagen erdulden [...].“[92] In unserer durch extrinsische Belohnungen dominierten Welt werden autotelische[93] Aktivitäten, die ihren Reiz aus der großteils wirtschaftsunabhängigen intrinischen Motivationsfähigkeit ziehen, oft eher argwöhnisch beäugt. Sie erfüllen keinen wirtschaftlichen Zweck und sind doch, wie die Studie von Csikszentmihalyi bezeugt, ein wichtiges Mittel, um das persönliche Wohlbefinden zu steigern. Flow kann als Zustand beschrieben werden, in dem Aufmerksamkeit, Motivation und die Umgebung in einer Art produktiver Harmonie zusammentreffen. Das Spiel ist ein exemplarisches Beispiel für eine Aktivität, die sehr schnell zu einem „Flow-Erlebnis“ führen kann, auch wenn es keine Garantie dafür ist, dass man den „Flow“ tatsächlich erlebt.[94] Der Anthropologe Roger Callois stellt sechs fundamentale Regeln des Spielens auf. Diese besagen, dass:
[...]
[1] Lober, Virtuelle Welten werden real, S.2
[2] Ebd.. S.2
[3] z.B. Bücher, Filme PC-Spiele etc.
[4] Anmerkungen zur Begrifflichkeit sind im Glossar aufgeführt.
[5] DSA, S.8
[6] Das häufigste Setting ist hier wohl ein mittelalterlich geprägtes Fantasy-Setting.
[7] In der Regel ein oder zwei Wochenende/n.
[8] Von engl. Convention = Zusammenkunft.
[9] Zitat eines unbekannten LARP Spielers.
[10] Und auch unter P&P-Spielern gibt es nicht selten Unverständnis für die oft als „eigenartig“
empfundenen LARP-Spieler.
[11] Zum Beispiel die Assoziation von Rollenspiel und Satanismus bzw. Okkultismus.
[12] Zitat eines unbekannten LARP Spielers
[13] Vergleiche hierzu auch Kapitel 2.11 Social Presence Theory
[14] Köhler, Das Selbst im Netz, S.26.
[15] Visueller Kanal und Textkanal.
[16] Auf diesen besonderen Effekt werde ich in einem Exkurs in Kapitel 3 noch genauer eingehen.
[17] Kahl, „Nichts anderes als ein Spiel?!“, S.293.
[18] Schmitz, Soziale Welten, S.52.
[19] Ebd., S.54
[20] Vgl. Ebd. S.56
[21] Vgl. hierzu auch Oerter/montada, Enwicklungspsychologie, S.295ff.
[22] Guidjons, Pädagogisches Grundwissen, S.134.
[23] Oertner/Montada, Entwicklungspsychologie, S.296.
[24] Ebd.. S.296.
[25] Lat. adolescere „heranwachsen“.
[26] Erikson, Jugend und Krise, S.160
[27] Vgl. Ebd.. S.163
[28] Andresen, Einführung in die Jugendforschung, S.107
[29] Erikson, Jugend und Krise, S. 161.
[30] Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S.207.
[31] Ebd., S.180
[32] Ebd., S.182
[33] Ebd. S.244
[34] Der Reiz den das Kind in sich selbst trägt, der eine Bestimmte Reaktion /Gruppe von Reaktionen zu einem übergeordneten Thema (z.B. Indianer spielen) hervorruft.
[35] Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S.192ff
[36] Ebd... S.194
[37] Ebd... S.195
[38] Misoch, Identitäten im Internet, S.17
[39] Misoch, Identitäten im Internet, S.92 ff.
[40] Ebd., S.93
[41] Ebd., S.95
[42] Turkle, Leben im Netz, S.287 ff.
[43] http://www.zeit.de/1998/16/turklenetz.txt.19980408.xml?page=2, S.2 (Abrufdatum 7.8.2008)
[44] Reingold, Virtuelle Gemeinschaft, S.183
[45] Ebd.. S.183 ff.
[46] MUDder ist eine Bezeichnung, welche sich die Spieler eines MUDs geben, und die den Spieler selbst beschreibt
[47] Vgl. Ebd., S.186
[48] Ebd., S.186
[49] Ebd., S.194
[50] Short,Williams und Christie
[51] Köhler, Das Selbst im Netz, S.26.
[52] Vgl. Ebd., S.27
[53] Ebd., S.26
[54] Kahl, „Nichts anderes als ein Spiel?!“ S.292
[55] Siehe hierzu auch. Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter, S.26
[56] Langer, Philosophie auf neuem Wege, S.68 ff.
[57] Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter, S.30
[58] Kahl, „Nichts anderes als ein Spiel?!“, S.292 ff.
[59] Gebauer/Wulf, Spiel, Ritual, Geste, S.192 ff.
[60] Ebd., S.195
[61] Ebd., S.198
[62] Ebd., S.202 ff.
[63] Ebd., S.205
[64] Surfen im Internet, Spiele, Lernen und Arbeit
[65] vgl. JIM-Studie 2006
[66] JIM-Studie 2007, S.33
[67] JIM-Studie 2007, S.43
[68] http://www.onlinesucht.de/bekenner1.htm (Abrufdatum 26.05.2008)
[69] Te Wildt, Pathological Internet Use: Abhängigkeit, Realitätsflucht und Identitätsverlust im Cyberspace, S.68
[70] http://www.suchtmittel.de/info/computersucht/ (Abrufdatum 26.05.2008)
[71] Quellenband S.65-66
[72] Vgl. http://www.onlinesucht.de/site/?page_id=66 (Abrufdatum 27.05.2008)
[73] Quellenband, S.60
[74] Ebd. S.61
[75] Ebd. S.61
[76] Lober, Das Zeitbudget als Flaschenhals, S.37
[77] Eine Spielerfigur, deren Aufgabe es ist, andere Spieler während eines Abenteuers zu heilen, und sie somit vor dem Tod zu retten welcher Spieler, die sich alleine einer solchen Aufgabe stellen sehr schnell ereilen würde.
[78] Schmitz, MMORPG heute und morgen: World of Warcraft forever?, S.23
[79] Besondere Gegner, die als End-Herausforderung einzelne Abschnitte im Dungeon markieren
[80] Reingold, Virtuelle Gemeinschaft, S.226
[81] Fritz, Macht, Herrschaft und Kontrolle im Computerspiel, S.190
[82] Ebd., S.190 ff.
[83] Ebd., S.191
[84] Ebd., S.191
[85] Ebd., S.192
[86] Ebd., S.193
[87] Vgl. Ebd.. S.193 ff.
[88] Ebd., S.194
[89] Mead, Geist, Identitätt und Gesellschaft, S.179
[90] Fritz, Computerspiele, Langeweile Stress und Flow, S.211
[91] Csikszentmihalyi, Das flow Erlebnis, S.11
[92] Rousseau, Emil oder über die Erziehung, S.117
[93] Die Tätigkeit hat ihre Zielsetzung bei sich selbst - sie ist autotelisch
[94] Vgl. Csikszentmihalyi, Das flow Erlebnis, S.59
- Citation du texte
- Nora Linse (Auteur), 2008, Virtual? Reality - Wenn Fiktion zur Realiät wird. Zur Bedeutung virtueller Lebenswelten für Erziehung und Bildung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117055
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