Bereits mit der militärischen Revolution im 15. Jahrhundert zeichnete sich eine globale Dominanz der europäischen Mächte ab. Die Europäer stärkten ihre Befestigungen und entwickelten moderne Waffen wie Musketen und Kanonen. Weiterhin wurde durch das Militär die Logistik gestärkt und die soldatische Disziplin erhöht. Hinzukommt, dass mit dem zunehmenden Handelskapitalismus der Wunsch einherging, in aller Welt weitere Absatzmärkte und Rohstoffe zu erschließen. Als zusätzlicher Katalysator wirkte das eifernde Christentum mit seinen missionarischen Zielen.
Wobei die Kolonialisierung Indiens zunächst durch ein Privatunternehmen, die East India Company, welche 1600 gegründet wurde, herbeigeführt. Dieses Unternehmen war wie ein eigener Staat mit Waffen, Diplomaten, Soldaten eigener Währung und sogar mit einer eigenen Flagge organisiert. Ausgestattet mit dieser logistischen Infrastruktur bemächtigte man sich der Unterstützung einzelner indischer Fürsten, in dem man ihre Armeen schulte und sie andere Fürstentümer des Subkontinents erobern ließ. Im Jahr 1857 kam es mit dem Sepoy-Aufstand zu einer Meuterei solcher Truppen. In der Folge wurde dieser Aufstand von der britischen Regierung brutal niedergeschlagen und die Ostindische Handelsgesellschaft aufgelöst. Daraufhin erfolgt eine direkte Bindung an das britische Mutterland, welche ihren Höhepunkt in der Übernahme der Kaiserinnenwürde über Indien im Jahr 1876, durch Queen Victoria fand.
Erstmals vor dem Ersten Weltkrieg brachen sich in einigen Kolonien oppositionelle Erneuerungsbewegungen Bahn, weil das Ansehen der weißen Europäer schwer gelitten hatte. Zum Fanal für alle asiatischen Kolonialvölker wurde der militärische Doppelsieg der „gelben“ Japaner gegenüber den „weißen“ Russen. Japan schien sich als einzige asiatische Macht gegenüber den europäischen Mächten als ebenbürtiger Partner zu behaupten, was an einem vom Staat gesteuerten Modernisierungsprozess lag. Durch dieses Prestige schien Japan berufen, im Befreiungskampf gegen den Westen die asiatischen Völker anzuführen. Auch in Indien des Jahres 1913 wurde von dem schon damals weltbekannten Dichter und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore der japanische Sieg als Beginn des Pan-Asiatismus gefeiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Aufbau der Arbeit
1.2 Forschungsstand
1.3 Literatur- und Quellenkritik
2. Begriffsdefinitionen
2.1 Dekolonialisierung
2.2 Politik
2.3 Politische Kultur
2.4 Kommunalismus
3. Britisches Kolonialsystem
4. Britische Herrschaft in Indien
5. Indische Gesellschaft
5.1 Kommunalismus
5.2 Sprache
5.3 Bildungswesen
5.4 Medien
5.5 Gesundheitswesen
5.6 Ökonomie
5.7 Politik
6. Zusammenführung der Kapitel 3 bis 5
7. Kurzbiografien der politischen Anführer in Britisch-Indien
7.1 Mohandas Karamchand Gandhi
7.2 Jawarharlal Nehru
7.3 Mohammed Ali Jinnah
7.4 Manbendra Nath Roy
7.5 Subhash Chandra Bose
8. Britisch-Indiens Weg in die Unabhängigkeit
8.1 Entwicklungen in Großbritannien
8.2 Entwicklungen in Britisch-Indien
8.3 Verfassungsrechtliche Diskussionen um Britisch-Indien
9. Zusammenführung der Kapitel 7 und 8
10. Die Teilung Britisch-Indiens
11. Indien nach der Unabhängigkeit
11.1 Staatsidee
11.2 Verfassung Indiens
11.3 Staatskonsolidierung Indiens
12. Pakistan nach der Unabhängigkeit
12.1 Staatsidee
12.2 Verfassung Pakistans
12.3 Staatskonsolidierung Pakistans
13. Zusammenführung der Kapitel 10 bis 12
14. Ausblick über die indisch-pakistanischen Beziehungen
15. Fazit
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Bereits mit der militärischen Revolution im 15. Jahrhundert zeichnete sich eine globale Dominanz der europäischen Mächte ab. Die Europäer stärkten ihre Befestigungen und entwickelten moderne Waffen wie Musketen und Kanonen. Weiterhin wurde durch das Militär die Logistik gestärkt und die soldatische Disziplin erhöht. Hinzukommt, dass mit dem zunehmenden Handelskapitalismus der Wunsch einherging, in aller Welt weitere Absatzmärkte und Rohstoffe zu erschließen. Als zusätzlicher Katalysator wirkte das eifernde Christentum mit seinen missionarischen Zielen.1
Wobei die Kolonialisierung Indiens zunächst durch ein Privatunternehmen, die East India Company, welche 1600 gegründet wurde, herbeigeführt. Dieses Unternehmen war wie ein eigener Staat mit Waffen, Diplomaten, Soldaten eigener Währung und sogar mit einer eigenen Flagge organisiert. Ausgestattet mit dieser logistischen Infrastruktur bemächtigte man sich der Unterstützung einzelner indischer Fürsten, in dem man ihre Armeen schulte und sie andere Fürstentümer des Subkontinents erobern ließ. Im Jahr 1857 kam es mit dem Sepoy-Aufstand zu einer Meuterei solcher Truppen. In der Folge wurde dieser Aufstand von der britischen Regierung brutal niedergeschlagen und die Ostindische Handelsgesellschaft aufgelöst. Daraufhin erfolgt eine direkte Bindung an das britische Mutterland, welche ihren Höhepunkt in der Übernahme der Kaiserinnenwürde über Indien im Jahr 1876, durch Queen Victoria fand.2
Erstmals vor dem Ersten Weltkrieg brachen sich in einigen Kolonien oppositionelle Erneuerungsbewegungen Bahn, weil das Ansehen der weißen Europäer schwer gelitten hatte. Zum Fanal für alle asiatischen Kolonialvölker wurde der militärische Doppelsieg der „gelben“ Japaner gegenüber den „weißen“ Russen. Japan schien sich als einzige asiatische Macht gegenüber den europäischen Mächten als ebenbürtiger Partner zu behaupten, was an einem vom Staat gesteuerten Modernisierungsprozess lag. Durch dieses Prestige schien Japan berufen, im Befreiungskampf gegen den Westen die asiatischen Völker anzuführen. Auch in Indien des Jahres 1913 wurde von dem schon damals weltbekannten Dichter und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore der japanische Sieg als Beginn des Pan-Asiatismus gefeiert.3
Aber auch die Schlachten des Ersten Weltkriegs veränderten im Fall von BritischIndien das Verhältnis zwischen Mutterland und Kolonie. So machte die militärische Niederlage britisch-indischer Truppen im April 1916 in Mesopotamien politische Zugeständnisse unumgänglich. Nur so konnte Indien an der Seite Großbritanniens im Krieg gehalten werden. So durfte Indien am „Imperial War Cabinet“ teilnehmen, und im Sommer 1917 folgte eine Erklärung, welche Indien faktisch in den Dominionstatus erhob, ohne jedoch den Begriff Dominion zu verwenden.4
Auch durch die Zwischenkriegszeit und durch den Zweiten Weltkrieg konnte sich Großbritannien als Kolonialmacht auf dem Subkontinent halten. Allerdings erhielt der Vizekönig Mountbatten nach dem Krieg von der Labour-Regierung eine Frist gesetzt, bis Juni 1948 die Unabhängigkeit von Britisch-Indien zu gewährleisten. Doch er entschied sich für den 15. August 1947, da er davon ausging, dass Großbritannien nicht mehr lange genug die Macht würde halten können.5
Aufgrund des langwierigen Prozesses der Unabhängigkeit, aber auch seiner Folgen wird folgender Fragestellung nachgegangen: Wie veränderte der Prozess der Dekolonialisierung die politische Kultur Britisch-Indiens? Zeitlich bezieht sich diese Frage auf den Zeitraum zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs als normativen Bezugspunkt der Unabhängigkeit und auf die ersten Jahre nach Gründung von Indien und Pakistan mit ihren institutionellen Ausgestaltungen der Unabhängigkeit. Der gewählte Ausgangspunkt erscheint sinnvoll, weil mit dem Government of India Act von 1919 zum ersten Mal Einheimische an einem dyarchischem System beteiligt wurden.6
Daneben ergibt sich die Relevanz der Fragestellung, da sie den Wettstreit der drei Legitimitätsgründe nach Max Weber abbildet und ihre mögliche Verschiebung erklärt. Als Herrschaftsformen nennt Weber die traditionelle, die charismatische 7 und legale Herrschaft. Wobei er von hybriden Legitimitätsquellen ausgeht.7
1.1 Aufbau der Arbeit
In der Einleitung wurde bereits der Untersuchungszeitraum ab Ende des Ersten Weltkriegs bis kurz nach der Unabhängigkeit Pakistans und Indiens festgelegt und begründet, um folgende Fragestellung zu beantworten:
Wie veränderte der Prozess der Dekolonialisierung die politische Kultur Britisch-Indiens?
Dieser Fragestellung wird nachgegangen, in dem zunächst wichtige Begriffe definiert werden. Bei diesen Begriffen handelt es sich um die Begriffe Dekolonialisierung, Politik, politische Kultur und Kommunalismus. Dies dient dem grundsätzlichen Verständnis der zugrunde gelegten Begrifflichkeiten und der sich dahinter verborgenen Konzepte.
Danach folgen jeweils strukturgeschichtliche Darstellungen des britischen Kolonialsystems, der britischen Herrschaft in Indien und der indischen Gesellschaft. Wobei das letztgenannte Kapitel nochmals unterteilt sein wird in Kommunalismus, Sprache, Bildungswesen, Medien, Gesundheitswesen, Ökonomie und Politik. Dieses Vorgehen ist sinnvoll, weil es aufzeigt, in welchen institutionellen und gesellschaftlichen Rahmen sich der Prozess der Dekolonisation in Britisch-Indien abgespielt hat. Diese Punkte werden in einem gesonderten Kapitel zusammengeführt und dargestellt, dies dient dazu, noch einmal den zusammenhängenden Charakter explizit darzulegen.
Hieran schließt mit Kapitel 7, das erste Kapitel des Hauptteils dieser Arbeit mit Kurzbiografien der politischen Anführer in Britisch-Indien an. Die kurzbiografische Darstellung dient dazu, die politische Kultur entweder als homogenes oder heterogenes Gebilde im Rückgriff auf die politischen
Führungspersönlichkeiten aufzuzeigen. Das anschließende Kapitel des Hauptteils erfolgt drei geteilt. Strukturgeschichtlich werden zunächst im ersten Schritt die Entwicklungen in Großbritannien in Bezug auf die indische Unabhängigkeit dargestellt. Im zweiten Schritt werden die Meilensteine der innerindischen Situation in Bezug auf die eigene Unabhängigkeit dargelegt. Diese Trias endet mit der Darstellung des realen und imaginierten kodifizierten Rechts für BritischIndien. Zum Abschluss dieses Teils der Arbeit werden die Kapitel 7 und 8 zusammengeführt und gemeinsam betrachtet. Hieran anschließend wird die Teilung Britisch-Indiens skizziert, zum Einen als Folge der vorhergehenden Kapitel und zum anderen als Ausgangspunkt für die beiden kurzen vergleichenden Kapitel über Indien und Pakistan.
In diesen beiden vergleichenden Kapiteln über Indien und Pakistan werden folgende drei Punkte exemplarisch als Ausdruck der politischen Kultur behandelt:
- Staatsidee
- Verfassung
- Staatskonsolidierung
Wolfgang Bergem geht davon aus, dass politische Kulturen sich eher träge als 8 dynamisch ändern.8 Daher liegt die Vermutung nahe, dass Indien und Pakistan eine ähnliche politische Kultur unmittelbar nach der Dekolonialisierung anhand der Kriterien aufweisen. Aber viel wichtiger für die vorliegende Arbeit ist, dass diese Forschungsposition einen Grund liefert, einen klaren Schwerpunkt auf Britisch-Indien zusetzen und die beiden unabhängigen Staaten Indien und Pakistan nur in den wesentlichen Grundzügen zu behandeln.
Auch diese beiden Kapitel über Indien und Pakistan werden im Anschluss zusammengeführt. Vor dem abschließenden Fazit dieser Abschlussarbeit kommt ein kurzes Kapitel, welches einen Ausblick über die weiteren historischen Beziehungen der beiden Länder auf dem geteilten Subkontinent darlegt.
8 Wolfgang Bergem: Politische Kultur und Geschichte, in: Samuel Salzborn (Hg.): Politische Kultur.(=Politische Kultur Forschung Band 1) Frankfurt/Main 2009, S.201.
1.2 Forschungsstand
Insgesamt ist der Forschungsstand zur Dekolonialisierung Britisch-Indiens sehr breit gestreut, deshalb werden an dieser Stelle nur einige Beispiele exemplarisch dargestellt. So ist die Dekolonialisierung ein Bestandteil von allgemeinen Einführungen in die „Geschichte Indiens“,9 wie der gleichnamige Titel einer Monografie von Dietmar Rothermund ist. Ebenso spielt das Ende des britischen Weltreichs eine Rolle in allgemeinen Überblickswerken zu diesem Thema. Dies gilt auch für Ashley Jacksons „The Britisch Empire“.10
Ein weiterer eher strukturgeschichtlicher Forschungsstrang streift die Thematik. Es handelt sich hierbei um die Forschung zur Dekolonialisation des Empires. Wobei diese Werke meist einen eurozentrischen Blickwinkel einnehmen und vermehrt auf die britische Perspektive achten. Dies gilt sowohl für den Sammelband „The End of the British Empire“11 unter der Herausgeberschaft von John Darwin, wie auch für die Monografie „British Decolonization“12 von W. David McIntyre.
Neben diesen beiden Forschungssträngen existiert ein historisch-soziologischer Forschungsschwerpunkt. Dieser beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Kommunalismus in der indischen Gesellschaft. Hier ist exemplarisch „Kommunalismus in Indien“13 von Ursula Rao zu nennen. Ein weiteres Beispiel für diese Forschungsthematik ist der Sammelband „Problem of Communalism in India“14 unter Herausgeberschaft von Ravindra Kumar.
Neben den Thematiken Dekolonialisierung Britisch-Indiens und der dortigen Gesellschaft gibt es auch Forschungen zur Politik in dieser ehemaligen britischen Kolonie. Ein Beleg hierfür ist eine Monografie von S. R. Bakshi und trägt den Titel „Swaraj Party and the Indian National Congress“.15 Aber es wurden auch Sammelwerke wie „The Indian Left“ 16 von Bipan Chandra herausgegeben.
Der abschließend zu benennende Forschungsstrang steht im engen Zusammenhang mit dem vorher aufgezeigten und in der Tradition des Historismus und seiner Auffassung von „Große Männer machen Politik“. Dies gilt sowohl für die britische als auch für die britisch-indische Dimension der Dekolonialisierung Indiens. Als Beispiel für die Untersuchung britischer Politiker dient „Churchill's Secret War“17, von Madhusree Mukerjee. Wohingegen für Indien ein Werk exemplarisch zu nennen ist, wobei über mehrere politische Anführer politisch-biografische Publikationen verfügbar sind, hierbei handelt es sich um Michael Edwardes politische Biografie über „Nehru“18.
1.3 Literatur- und Quellenkritik
Als ein allgemeines Problem der Quellenkritik ist der Wissensverlust zu benennen. Dieses Risiko des Wissensverlusts ergibt sich auf den Rückgriff aus digitalisierten schriftlichen Quellen. Im Gegensatz zu editierten Quellen fehlen die Kommentare von Herausgebern, und es können dadurch handschriftliche Vermerke verloren gehen. Natürlich ist dies nur bei Abschriften, aber nicht bei Scans der Fall.
Ein weiteres abstraktes Problem könnte in einer möglichen eurozentristischen Literaturauswahl liegen, weil stereotypische Klischees oder Vorurteile in die Arbeit einfließen könnten. Wobei sich eine britische Geschichtsschreibung sich vermutlich vermehrt mit dem Verlust des Empires auseinandersetzen wird. Wohingegen von einer indischen oder pakistanischen Geschichtsschreibung zu erwarten ist, dass die Dekolonialisierung Britisch-Indiens als eine Befreiung von Zwängen des Mutterlandes bewertet wird. Hierin liegt die Aufgabe des Reflektieren und Abwegen zu einer sinnvollen und logischen Betrachtung der Thematik.
Als weitere Schwierigkeit neben diesen beiden eher abstrakten Problemen gestaltet sich ein ganz konkretes Problem. Diese Herausforderung liegt darin, dass auf Individualebene die Anführer als die Anhänger der Opposition gegen die britische Herrschaft dargestellt werden. Dies konnte zum Vorwurf an den vorliegenden Text werden, da man unterstellen könnte, dass lediglich auf charismatische Führung abgestellt wird. Die Form der charismatischen Führung wurde von Weber in Wirtschaft und Gesellschaft definiert. Dort heißt es über charismatische Führung, dass sie eine soziale Beziehung darstellt, welche streng persönlich an die Charaktereigenschaften einer bestimmten Person abzielen. Weiterhin ist diese Beziehung geprägt von materiellen oder ideellen Interessen.19
2. Begriffsdefinitionen
An dieser Stelle werden wesentliche Konzepte und Begriffe der Arbeit dargestellt und erklärt. Zunächst wird der Begriff der Dekolonialisierung dargelegt werden. Danach der Begriff der politischen Kultur. Im Anschluss hieran folgt eine Erklärung des Begriffs Politik. Abschließend wird der Begriff Kommunalismus erläutert.
2.1 Dekolonialisierung
Jan C. Jansen und Jürgen Osterhammel sehen hinter dem technischen und undramatischen Begriff „Dekolonisation“ einen der dramatischsten Vorgänge der neueren Geschichte verborgen. Diese beiden Forscher sehen eine Doppeldefinition in diesem historischen Prozess, welche ihn eindeutig in der Geschichte des 20. Jahrhunderts verankert. Zunächst beinhaltet der Begriff „Dekolonisation“ die gleichzeitige Auflösung mehrerer interkontinentaler Imperien innerhalb eines kurzen Zeitraums von ca. 30 Jahren. Weiterhin bezeichnet er den historisch einmaligen Prozess der Delegitimierung eines Untertanenverhältnisses zu Fremden. Allerdings weisen die beiden daraufhin, dass alternative Definitionsversuche auf andere Akzente setzen. So wird auf den Historiker Prasenjit Duara verwiesen, der mehr auf den lokalen Machtwechsel als auf den Zerfall großer Imperien abzielt. Laut Jansen und Osterhammel definiert Duara Dekolonisation als einen Prozess der Übertragung von institutionellen und rechtlichen Herrschaftsansprüchen von den Kolonialmächten an Regierungen in 20 formal souveränen Nationalstaaten.20
2.2 Politik
Da eine deutschsprachige Differenzierung in die drei Dimensionen von Politik ist nicht vorhanden. Die erste Dimension des Begriffes Politik umfasst die Polity, welche die Form oder Struktur des Politischen bezeichnet. Diese Ebene bezieht sich auf institutionelle Gegebenheiten und hat den Fokus auf den verfassungsmäßigen politischen Strukturen. Hierunter fallen die Verfassungen, Regierungssysteme und Parteien oder Rechtsordnungen und damit verbundenen systemische Zwänge. Allerdings ist diese Ebene nicht nur empirisch, sondern auch normativ, da die Wertvorstellungen und Absichten hinter den Regelungen mit angesprochen werden. Daneben existiert eine zweite Dimension von Politik, nämlich der Policybereich. Dies ist die Ebene der politischen Gestaltung und dem Ausdruck von Interessen und Zielkonflikten. Die dritte und letzte Dimension, die der Politics fokussiert sich auf Verfahren also politische Prozesse wie Wahlen, Abstimmungen oder Lobbyismus.21
2.3 Politische Kultur
Politische Kulturen vollziehen zwar Wandlungen, aber lassen sich keineswegs intentional steuern. Weiterhin gibt es bei politischen Kulturen keine Stunde-NullSituationen, da diese mit politisch-kulturellen Prozessen verwoben sind. Dies hängt damit zusammen, dass sie eingebettet sind in Prozesse politischer Sozialisation. Diese Prozesse sind die spezifische politische Werteüberzeugung, Kenntnisse, Einstellungen, Verhaltensmuster und Symbole. Ergo handelt es sich bei politischer Kultur um eine Spiegelung von historischen und aktuellen Erfahrungen. Sie ist eingebettet in sedimentierte Denkgewohnheiten und in tradierte Wertmaßstäbe, welche über Generationen als kollektives Gut weitergegeben werden.22
[...]
1 Loel Zwecker: Was bisher geschah. Eine kleine Weltgeschichte, München 2010, S. 536.
2 Ebd., S. 537.
3 Bernd Martin: Die Verselbständigung der Dritten Welt. Der Prozeß der Entkolonialisierung am Beispiel Indiens, in: Saeculum 34 (1983), S. 170.
4 Ebd., S. 172.
5 Sophie Ellensohn: Die Rolle Großbritanniens bei der Entstehung des Religionskonflikts in Südasien und der Teilung Britisch-Indiens, in: historia.scribere 6 (2014), S. 619.
6 Dorothea Wanek: Auswirkungen der Finanzpolitik der Bank of England auf das Koloniale Indien der Zwischenkriegszeit. Wien 2013, S. 8.
7 Max Weber: Politik als Beruf. [München/Leipzig 1919] Köln 2014 , S. 8 u. 9.
8 Wolfgang Bergem: Politische Kultur und Geschichte, in: Samuel Salzborn (Hg.): Politische Kultur.(=Politische Kultur Forschung Band 1) Frankfurt/Main 2009, S.201.
9 Dietmar Rothermund: Geschichte Indiens. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 3. Auflage [1. Auflage 2002], München 2010.
10 Ashley Jackson: The British Empire. A very Short Introduction, Oxford 2013.
11 John Darwin (Hg.): The End of the British Empire. The Historical Debate, Cambridge 1991.
12 W. David McIntyre: British Decolonization, 1946 - 1997. When, Why and How did the British Empire Fall?, (= British History in Perspective Band 19), New York 1998.
13 Ursula Rao: Kommunalismus in Indien. Eine Darstellung der wissenschaftlichen Diskussion über Hindu-Muslim-Konflikte, (=Südasienwissenschaftliche Arbeitsblätter Band 4), Halle 2003.
14 Ravindra Kumar (Hg.): Problem of Communalism in India. Delhi 1990.
15 S. R. Bakshi: Swaraj Party and the Indian National Congress, New Delhi 1985.
16 Bipan Chandra (Hg.): The Indian Left. Critical Appraisals, New Delhi 1983.
17 Madhusree Mukerjee: Churchill's Secret War. The British Empire and the Revaging of India During World War II, New York 2010.
18 Michael Edwardes: Political Leaders of the Twentieht Century. Nehru A political Biography, Middlesex/Baltimore/Victoria 1971.
19 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Auflage [1. Auflage 1922], Tübingen 1980, S. 142 u. 143.
20 Jan C. Jensen u. Jürgen Osterhammel: Dekolonisation. Das Ende der Imperien, (=Beck' sche Reihe Wissen Band 2785), München 2013, S. 7.
21 Yvonne Leimgruber: Polity, Policy, Politics, in: Zentrum für Demokratie Aarau, http://politischebildung.ch/fuer-lehrpersonen/grundlagen-politische-bildung/polity-policy-politics, zuletzt aufgerufen am 29.05.2020.
22 Bergem : Politische Kultur, S. 201.
- Citation du texte
- Christoph Deichert (Auteur), 2020, Die politische Kultur in Britisch-Indien. Entwicklungen in Indien und Pakistan im Unabhängigkeitsprozess, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1169028
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