Im ersten Kapitel dieser Arbeit wird die tragikomische Erzählstrategie von Waititi in JOJO RABBIT analysiert, indem einerseits Hitler (Taika Waititi) und die Nazis in Hinsicht auf die durch die kindische Darstellung entstehende Komik, andererseits die ‹Good Germans› Captain Klenzendorf (Sam Rockwell) und Rosie Betzler (Scarlett Johansson) in Hinblick auf die von der erwachsenen Inszenierung herrührende Tragik untersucht werden. Im letzten Kapitel wird die Relevanz des Coming-of-Age-Genres bzw. von Jojos Entwicklung für die Dekonstruktion der nationalsozialistischen Ideologie erörtert. Der Begriff des Nationalsozialismus ruft automatisch die schrecklichen Bilder des Holocausts hervor. Assoziiert werden die Nazis mit Grausamkeit und Unmenschlichkeit; sie verkörpern das ultimative Böse.
In zahlreichen Filmen werden sie auch so repräsentiert. Was wäre aber, wenn man Hitler und die Nazis als Witzfiguren darstellen würde? Sie auslachen statt dämonisieren würde? Diese Frage bildet den Ansatz von Taika Waititi in seinem Film JOJO RABBIT. Verhandelt wird hier die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands durch die Linse eines zehnjährigen Nazi-Kindes namens Johannes «Jojo» Betzler. Untersucht werden soll daher die Bedeutung des kindlichen Blicks für die Ästhetik, Handlung und Figuren des Films. Wie und weshalb wird die infantile Erzählperspektive und das Coming of Age des Protagonisten zur Darstellung des Nationalsozialismus in JOJO RABBIT eingesetzt und welcher Effekt ergibt sich aus diese Erzählstrategie?
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Nationalsozialismus zwischen Humor und Drama
2.1 Absurdität: Hitler und die Nazis
2.2 Ernsthaftigkeit: Captain Klenzendorf und Rosie Betzler
3 Jojo Betzlers Coming of Age: Von Fanatismus zu Toleranz
4 Fazit und Ausblick
5 Bibliographie
6 Filmographie
1 Einleitung
Der Begriff des Nationalsozialismus ruft automatisch die schrecklichen Bilder des Holocausts hervor. Assoziiert werden die Nazis mit Grausamkeit und Unmenschlichkeit; sie verkörpern das ultimative Böse. In zahlreichen Filmen werden sie auch so repräsentiert. Was wäre aber, wenn man Hitler und die Nazis als Witzfiguren darstellen würde? Sie auslachen statt dämonisieren würde? Diese Frage bildet den Ansatz von unzähligen Nazi-Komödien, deren Ursprung bis zur Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückreicht. Als einer der Ersten parodiert Charlie Chaplin in seinem Film The Great Dictator (US 1940) Hitler und den Nationalsozialismus. Knapp drei Jahrzehnte später initiiert The Producers (Mel Brooks, US 1968) – ein Film, der sich mit dem taktlosen Musical Springtime for Hitler satirisch auf Hitler und das Dritte Reich bezieht – einen zweiten Anstieg von Nazi-Komödien. Heute feiern solche humorvollen Darstellungen mit Filmen wie Jojo Rabbit (Taika Waititi, US 2019) ein erneutes Comeback. Verhandelt wird in Jojo Rabbit die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands durch die Linse eines zehnjährigen Nazi-Kindes namens Johannes «Jojo» Betzler (Roman Griffin Davis), wodurch das Dritte Reich verkindlicht und ridikülisiert wird. Zum Humor mischt Jojo Rabbit aber auch Drama und folgt damit ebenfalls einer älteren Tradition tragikomischer Filme über Nazi-Deutschland, darunter La Vita è Bella (Roberto Benigni, IT 1997). Beide Filme inszenieren den Nationalsozialismus als ein Kinderspiel, indem sie aus dem Blickwinkel eines Kindes erzählen. Während aber in La Vita è Bella das Kind als Jude auf der Seite der Opfer steht und das Spiel somit eine (vom Vater erschaffene) Überlebenstaktik darstellt, steht das deutsche Kind in Jojo Rabbit auf der Seite der Täter*innen, wo es auf spielerische Weise zum Judenhasser und -mörder erzogen wird. Dadurch wird die Tragik unterschiedlich angelegt in beiden Filmen. Als Dramedy trägt Jojo Rabbit zwar nichts Neues bei, innovativ am Film ist allerdings, dass er das Coming of Age seines Protagonisten miteinbezieht und es mit der Kinderperspektive verbindet. Untersucht werden soll daher die Bedeutung des kindlichen Blicks und der Reifung Jojos für die Ästhetik, Handlung und Figuren des Films. Wie und weshalb wird die infantile Erzählperspektive und das Coming of Age des Protagonisten zur Darstellung des Nationalsozialismus in Jojo Rabbit eingesetzt und welcher Effekt ergibt sich aus diese Erzählstrategie? Filmanalytisch nachgegangen werden soll der These, dass der kindliche Blick als satirisches Mittel zur Entmythisierung und Entmachtung von Hitler und seiner Anhängerschaft verwendet wird, wogegen die Deaktivierung der Kinderperspektive in ernsthaften Momenten eine Verharmlosung und Banalisierung des Nationalsozialismus zu vermeiden intendiert. Durch Jojos Coming of Age wird dabei zum einen der auf der Kinderperspektive basierende Humor betont, zum anderen werden die Nazis als mental retardierte Kinder und der Nationalsozialismus als eine primitive Ideologie ausgestellt.
Aufgebaut ist die Arbeit in drei Kapitel. Im ersten Kapitel wird die tragikomische Erzählstrategie von Waititi in Jojo Rabbit analysiert, indem einerseits Hitler (Taika Waititi) und die Nazis in Hinsicht auf die durch die kindische Darstellung entstehende Komik, andererseits die ‹Good Germans› Captain Klenzendorf (Sam Rockwell) und Rosie Betzler (Scarlett Johansson) in Hinblick auf die von der erwachsenen Inszenierung herrührende Tragik untersucht werden. Im letzten Kapitel wird die Relevanz des Coming-of-Age-Genres bzw. von Jojos Entwicklung für die Dekonstruktion der nationalsozialistischen Ideologie erörtert.
2 Nationalsozialismus zwischen Humor und Drama
Filmische Darstellungen des Dritten Reichs in der US-amerikanischen und generell in der englischsprachigen Populärkultur charakterisieren sich von einem ernsten bis hin zu einem humorvollen Umgang, wobei eine zunehmende Emergenz der Nazi-Komödie – mit Taika Waititis Jojo Rabbit als eines der jüngsten Beispiele dafür – zu beobachten ist (vgl. Brian 2020: 363, 365). Jojo Rabbit ist aber keineswegs eine pure Komödie, sondern kombiniert Humor mit Grauen und Tragik. Der Film selbst spielt in einer Szene, in der Jojo im Auftrag der Hitlerjugend Propagandaplakate aufhängt, selbstreflexiv auf seinen zwischen Seriosität und Komik oszillierenden Charakter an. So verändert sich Hitlers Gesicht abwechselnd von ernster Miene (vgl. Abb. 1) zu Grimasse (vgl. Abb. 2), als Jojo beim Befestigen des Hitler-Plakats an die Wand mehrmals darüberwischt. Nachfolgend wird anhand weiterer Filmszenen elaboriert, wie Jojo Rabbit das tragikomische Spannungsverhältnis konstruiert und welche Rolle die Kinderperspektive diesbezüglich einnimmt.
2.1 Absurdität : Hitler und die Nazis
Zustande kommt der surreale Humor1 in Jojo Rabbit hauptsächlich durch den kindlichen Blick auf den Nationalsozialismus, der sich auf ästhetischer Ebene durch eine symmetrische Bildkomposition und farbenfroh kolorierte Welt im Stil von Wes Anderson äussert. Von der Kulisse bis hin zu den Kostümen ähnelt Jojo Rabbit einem Wes-Anderson-Film: Die pastellfarbenen Häuser in Jojos Wohnort und generell die warmen und satten Farbtöne evozieren das Bild des Grand Budapest Hotels im gleichnamigen Film The Grand Budapest Hotel (Wes Anderson, US 2014), während die Uniformen der Hitlerjugend und das Lager selbst besonders stark an die Pfadfinder*innen in Moonrise Kingdom (Wes Anderson, US 2012) erinnern. Lukas Foerster kritisiert daran, dass die Kinderperspektive «das Dritte Reich als einen bunten, stilisierter [sic!] Abenteuerspielplatz, auf dem Niedliches und Schreckliches […] strategisch dicht beieinander platziert sind», inszeniert.
Zu erkennen ist der kindliche Blick auch in absurden Figuren und Situationen, die man in einem Film über Nazis nicht erwarten würde – entsprechend der Definition des surrealen Humors (Hisour o.J.: o.S.). Mit der Zuschauererwartung gespielt wird in Jojo Rabbit von der ersten Sekunde an. Denn das erste Mal sehen wir Hitler, als er zunächst von Kopf abwärts gefilmt gesichtslos mit einem hellen, unheimlich klingenden Glockengeräusch erscheint. Indem er den Bildrahmen zuerst im Vordergrund von rechts nach links, dann im Hintergrund von links nach rechts durchquert, umkreist er Jojo bedrohlich wie ein Hai. Seine Stimme, die auf den leicht nervösen Jojo einredet, ähnelt der Intonation des historischen Hitlers. Diese stereotypische Einführung des Bösewichts – das Vorenthalten des Gesichts als retardierendes Moment zur Mythisierung des Antagonisten und zur Erzeugung von Spannung – wird hier jedoch parodiert (vgl. TvTropes o.J.: o.S.). Der darauf einsetzende Tonwechsel in Hitlers Stimme, die an autoritärer Strenge verliert, sowie seine anschliessenden Worte (unter anderem «Heil me, man!») vernichten die antizipierte Bedrohlichkeit des Führers. Sie signalisieren, dass dieser Hitler hier kein mörderischer und ‹Ehrfurcht gebietender› Verbrecher ist, sondern eine lächerliche Ausgeburt der Fantasie, fabriziert von einem zehnjährigen Kind. Etabliert wird ein nicht-faktischer Hitler (vgl. Homan & Hernán 2016: 42–94), worauf die Komik des Films beruht, zumal «der Effekt des Komischen aus der Wahrnehmung der Verletzung oder Unterbrechung einer Norm oder Normalsituation resultiert» (Paech 2003: 75). Bei Hitler entsteht dieser subversive Regelverstoss durch die Infantilisierung, die eine Ahistorisierung bedingt. Da Hitler nämlich der Fantasie eines zehnjährigen Jungen entspringt, weist auch er kindische Manierismen auf bzw. ist auf mentaler Ebene ein Kind und verkörpert somit eine ahistorische Figur (vgl. Filmbulletin 2020: o.S.). Die Kinderperspektive äussert sich also darin, wie Jojo sich seinen Führer als Person vorstellt. Diese Vorstellung bestimmt wiederum Hitlers Darstellung im Film und damit unsere Wahrnehmung von ihm. So erfassen wir Hitler nicht als eine erwachsene Autorität, sondern als eine Figur mit irrationaler und primitiver Kinderlogik und nehmen ihn wie auch seine Ideologie folglich nicht ernst.
Wie kindisch und limitiert Hitler in seinem Denkmuster ist, verdeutlichen uns mehrere Szenen. Beispielsweise als Jojo die Jüdin Elsa (Thomasin McKenzie), die seine Mutter im Haus versteckt hält, entdeckt. Jojo und Hitler beraten daraufhin ihr nächstes Vorhaben und entwickeln dabei unterschiedliche Ideen. Jojo schlägt vernünftig den Weg der Verhandlung vor, während Hitler völlig unsinnig suggeriert: «Burn down the house and blame it on Winston Churchill!» Als Hitler dann aber doch eine clevere Strategie unterbreitet, nämlich Elsa falsche Sicherheit vorzugaukeln, und Jojo dies als «reverse psychology» bezeichnet, antwortet Hitler: «Don’t complicate things.» Der Begriff scheint ihm unbekannt zu sein und demonstriert seine begrenzte Wissenskapazität, die selbst der eines Zehnjährigen unterliegt. Genauso will er nicht verstehen, dass andere Leute ihn – offensichtlich, weil er imaginär ist – nicht hören können, sodass er anfängt Jojos Mutter Rosie anzubrüllen, weil diese nicht auf ihn reagiert. Dass er dabei eine ‹Indianer›-Kopfbedeckung trägt, akzentuiert nicht nur das Kindliche an Hitler, sondern auch das Karikaturistische an ihm. Sein infantiles Verhalten kulminiert schliesslich, als er Jojo, der am Küchentisch hockt, seinen Unmut kundtut, weil dieser mittlerweile eine Freundschaft zu Elsa – dem ‹Feind› – aufgebaut hat. Bedrohliche Musik schwillt an und lässt einen wütenden Ausbruch Hitlers antizipieren. Stattdessen spuckt Hitler aber trotzig wie ein Kind in einen Topf und schlägt seinen Fuss – mit minimaler Wucht – gegen ein Stuhlbein.
[...]
1 Surrealer oder absurder Humor ist «eine Form von Humor, die auf vorsätzlichen Verletzungen des kausalen Denkens basiert und Ereignisse und Verhaltensweisen hervorbringt, die offensichtlich unlogisch sind. […] Der Humor entsteht aus einer Subversion der Erwartungen des Publikums, so dass die Belustigung auf Unvorhersehbarkeit beruht» und «gewinnt seine Anziehungskraft aus der Lächerlichkeit […] der Situation» (Hisour o.J.: o.S.).
- Quote paper
- Michelle Künzler (Author), 2021, Die infantile Erzählperspektive in Jojo Rabbit. Die Signifikanz des kindlichen Blicks für Ästhetik, Handlung und Figuren des Films, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1168773
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