Vor allem in politischen Systemen, die keine formalen Festlegungen des Herrschaftswechsels
kennen, erscheint die nähere Betrachtung eines solchen Wechsels interessant. Denn es ist anzunehmen,
dass auch dann bestimmte Handlungsmuster und Instanzen mitwirken, wenn nicht
nach festgeschriebenen Regelungen verfahren wird. Was nun die Position Alexanders des
Großen im makedonischen Königreich vor und während seiner Herrschaftsübernahme angeht,
so war die „chronische Unsicherheit“ eine Konstante, die in nicht zu unterschätzendem Maße
sein Handeln bestimmte. Die ungesicherten Thronfolgeverhältnisse begünstigten auch die
Aktionsmöglichkeiten der makedonischen Adligen, die dadurch in die Thronfolge eingreifen
konnten und eigene Prätendenten in die Diskussion einbringen konnten.
Die historische Alexanderüberlieferung zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie aus einem
rückwärtsgewandten Blickwinkel berichtet. Der Versuch, die Geschichte Alexanders vom
Herrschaftsbeginn bis zum militärischen Triumph über Persien und Indien im Nachhinein als
eine logische Abfolge darzustellen, führte dazu, dass die Überlieferung einer Glättung unterlag,
die das Bild Alexanders heute nicht unbedingt deutlicher macht. In der Forschung des 19.
und 20. Jahrhunderts wurde diese Glättung oftmals ohne kritische Hinterfragung übernommen;
Alexander als gottgesandter Schöpfer der griechischen Einheit oder skrupelloser
Tyrann dargestellt. Analog dazu sah man die Ereignisse im Zuge der Machtergreifung
entweder als Preis einer geschichtlich notwendigen Heldenlaufbahn oder als Wahnsinnstat
eines blutrünstigen Egomanen, der für seinen Erfolg immer wieder über Leichen gehen
würde. In beiden Fällen ging die Forschung von einem idealtypischen Herrscher aus – nur
eben unter verschiedenen Vorzeichen. Dass die Ergebnisse einer solchen Forschung oftmals
einer kritischen Überprüfung nur bedingt standhalten, liegt nahe, da äußere Einflüsse,
persönlicher Wille oder Phasen der Unsicherheit in Alexanders Herrscherlaufbahn zugunsten
einer idealtypischen Entwicklungslinie vernachlässigt wurden. Im Gegensatz dazu hat sich die
Forschung der letzten Jahre zunehmend einer Parteinahme enthalten und sich verstärkt den
rekonstruierbaren Wirkungs- und Handlungszusammenhängen in Alexanders Herrschaft
gewidmet.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Vorgeschichte des Herrscherwechsels
II. Herrschaftsantritt nach Königsmord
Philipps Ermordung
Alexanders Herrschaftsantritt
III. Maßnahmen zur Herrschaftssicherung
Feinde und Verbündete
Herrschaftssicherung in Griechenland
Fazit
Literatur
Quellen
Einleitung
Vor allem in politischen Systemen, die keine formalen Festlegungen des Herrschaftswechsels kennen, erscheint die nähere Betrachtung eines solchen Wechsels interessant. Denn es ist anzunehmen, dass auch dann bestimmte Handlungsmuster und Instanzen mitwirken, wenn nicht nach festgeschriebenen Regelungen verfahren wird. Was nun die Position Alexanders des Großen im makedonischen Königreich vor und während seiner Herrschaftsübernahme angeht, so war die „chronische Unsicherheit“1 eine Konstante, die in nicht zu unterschätzendem Maße sein Handeln bestimmte. Die ungesicherten Thronfolgeverhältnisse begünstigten auch die Aktionsmöglichkeiten der makedonischen Adligen, die dadurch in die Thronfolge eingreifen konnten und eigene Prätendenten in die Diskussion einbringen konnten.
Die historische Alexanderüberlieferung zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie aus einem rückwärtsgewandten Blickwinkel berichtet.2 Der Versuch, die Geschichte Alexanders vom Herrschaftsbeginn bis zum militärischen Triumph über Persien und Indien im Nachhinein als eine logische Abfolge darzustellen, führte dazu, dass die Überlieferung einer Glättung unterlag, die das Bild Alexanders heute nicht unbedingt deutlicher macht. In der Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts wurde diese Glättung oftmals ohne kritische Hinterfragung übernommen; Alexander als gottgesandter Schöpfer der griechischen Einheit3 oder skrupelloser Tyrann4 dargestellt. Analog dazu sah man die Ereignisse im Zuge der Machtergreifung entweder als Preis einer geschichtlich notwendigen Heldenlaufbahn oder als Wahnsinnstat eines blutrünstigen Egomanen, der für seinen Erfolg immer wieder über Leichen gehen würde. In beiden Fällen ging die Forschung von einem idealtypischen Herrscher aus – nur eben unter verschiedenen Vorzeichen. Dass die Ergebnisse einer solchen Forschung oftmals einer kritischen Überprüfung nur bedingt standhalten, liegt nahe, da äußere Einflüsse, persönlicher Wille oder Phasen der Unsicherheit in Alexanders Herrscherlaufbahn zugunsten einer idealtypischen Entwicklungslinie vernachlässigt wurden. Im Gegensatz dazu hat sich die Forschung der letzten Jahre zunehmend einer Parteinahme enthalten und sich verstärkt den rekonstruierbaren Wirkungsund Handlungszusammenhängen in Alexanders Herrschaft gewidmet.5 Wichtig erscheinen in diesem Zusammenhang auch Deutungsversuche seiner
Propagandamaßnahmen und eine „Abschwächung des Postulats von Alexanders politischer Omnipotenz“6. Die folgende Arbeit soll den Herrschaftsantritt Alexanders auch unter solchen Gesichtspunkten beleuchten. Dabei sollen folgende Fragen beantwortet werden:
Wie kam Alexander an die Macht? Welche Rolle spielte er beim Mord an seinem Vater Philipp? Welcher Situation stand er nach dem Tod seines Vaters gegenüber? War seine Thronfolge gesichert? Falls nicht, wer stellte Alexanders Herrschaftsanspruch in Frage und was unternahm er, seine Herrschaft zu sichern? Zuletzt: wie ist diese Herrschaftssicherung zu bewerten?
Um diese Fragen zu klären, möchte ich zuerst kurz die unmittelbare Vorgeschichte unter der Herrschaft Philipp II. bis zu seiner Ermordung skizzieren. Danach möchte ich in einem Kapitel die Umstände des Mords an Philipp und Alexanders Herrschaftsantritt darstellen, um in einem weiteren die Maßnahmen zur Sicherung seiner Macht zu beleuchten. Dabei wird es im ersten Teil um seinen Umgang mit der innermakedonischen Opposition und im zweiten um die militärische Sicherung der makedonischen Einflußgebiete gehen. Im Schlusskapitel werde ich die Umstände seines Herrschaftsantrittes, die Herrschaftssicherungsmaßnahmen und die Ergebnisse dieser Maßnahmen kritisch bewerten.
I. Vorgeschichte des Herrscherwechsels
Das makedonische Königreich stieg aus einer eher randständigen Position unter der Herrschaft Philipp II. zu einer bedeutenden Macht im griechischen Raum auf. Im Jahr 360 hatte er als Vormund seines Neffen Amýntas IV. die Regierungsgeschäfte übernommen.7 Doch Philipp musste sich seine Herrschaft durch die Ausschaltung von Konkurrenten sichern, und auch Makedonien selbst war in seinen ersten Herrschaftsjahren in Bedrängnis. Nicht nur Thraker und Illyrer gefährdeten immer wieder den status quo, auch Athen wollte Einfluss im makedonischen Raum gewinnen. Sobald Philipps Herrschaft im Inneren gesichert war, ging er daran, die äußeren Gefahren abzuwehren. Der Schlag gegen die Illyrer und Thraker erfolgte schon bald nach der Thronbesteigung Philipps. Technische und taktische Modernisierungen im Militär machten das makedonische Heer bald den griechischen Truppen überlegen. Bis 356 wurden die Athener von der makedonischen Küste und der Chalkidiké vertrieben.
Kurz darauf mischte sich Philipp in den 3. Heiligen Krieg der Delphischen Amphiktyonie gegen die Phoker ein, was ihm nach vier Jahren harter Kämpfe die Herrschaft über den Thessalischen Bund brachte. Als sich der Chalkidische Bund 349 gegen Philipps Willen den Athenern annäherte, belagerte dieser mehrere Monate Ólynthos, das Zentrum des Bundes, zerstörte die Stadt und verkaufte die Ólynther in die Sklaverei und verleibte sich das Territorium des Bundes ein.8
Nachdem Philipp in den Jahren 346-342 Krieg gegen die Illyrer, Thraker und Thessaler führte, um dort Aufstände niederzuschlagen und seine Herrschaft zu stabilisieren, kam es bald darauf erneut zum Konflikt mit Athen, welches sich durch die makedonischen Vorstöße in den Schwarzmeerraum bedroht fühlte. Philipp wollte verhindern, dass die Athener in seine Interessensphäre vordrangen, sie vielmehr an sich binden. Nach erfolglosem Werben versuchte er es mit Erpressung und unterbrach die Getreidelieferungen nach Athen.9 Es kam zum Krieg, der nach anfänglichen Schwierigkeiten Philipps den makedonischen Einfluss in Mittelgriechenland weiter verfestigte: Im Jahr 338 vernichtete ein Heer unter der Führung Alexanders in der Schlacht von Chairóneia die athenischen und thebanischen Truppen.10 Ein Jahr darauf begründete Philipp mit dem Korinthischen Bund ein Instrument, mit dem er seine Hegemonie über alle Griechen außer den Spartanern institutionalisierte.11 Die mit diesem Bund verknüpfte Ausrufung derkoiné eiréne, des allgemeinen Friedens, sollte die Autonomie und die Sicherung des status quo der griechischen Póleis bei gleichzeitiger Absicherung des Einflusses Philipps verbindlich machen:12 Dieser war der Bundesfeldherr (Hegemón), der dem Bundesrat (Synhédrión) vorstand. Sehr bald nach seiner Einrichtung bewegte Philipp den korinthischen Bund dazu, den Beschluss über einen Rachekrieg gegen den persischen Groß- könig zu fassen.13 Die Idee eines solchen Rachekriegs für die Zerstörung der Heiligtümer von 48014 war seit fast 150 Jahren immer wieder in Griechenland aufgetaucht und diente Philipp als passender Vorwand, seine bisher erfolgreich verlaufene Expansion weiterzutreiben.
Auch Alexanders Stellung im Herrschaftssystem Philipps hatte sich gefestigt: Nach der Schlacht von Chairóneia, bei der er den linken Flügel geführt hatte, war er auch an den
Friedensverhandlungen mit Athen beteiligt. Die Nachfolge Alexanders auf den Thron schien vor allem eine Frage der Zeit zu sein.
Doch trotz Alexanders guten Aussichten auf den Thron war das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater von Misstrauen geprägt: Als Alexanders geistig zurückgebliebener Halbbruder Philipp Arrhidaios die älteste Tochter des karischen Satrapen Pixodaros heiraten sollte, um im Vorfeld des geplanten Persienfeldzugs die diplomatischen Beziehungen zwischen Makedonien und dem kleinasiatischen Karien zu bestärken, schritt Alexander ein und bot sich in Angst um seine Position als Thronfolger selbst zur Hochzeit an. Daraufhin kam es zum Streit zwischen Philipp und Alexander,15 dessen Berater vom Hof verbannt wurden, weil sie ihn zu dieser eigenmächtigen Initiative überredet hatten. Den Plan einer diplomatischen Verbindung hatte Alexander allerdings zum Scheitern gebracht.
Zum Bruch zwischen Philipp und Alexander kam es aber erst im Jahr 337, als Philipp seine einzige makedonische Frau, Kleopatra, heiratete. Beim Hochzeitsgelage rief Attalos, ein wichtiger Vertreter des Adels, die Anwesenden auf, zu den Göttern zu beten, Kleopatra möge den Makedonen einen legitimen Nachfolger gebären.16 Dies führte endgültig zum Eklat: Alexander ging auf Attalos los. Auch Philipp zog sein Schwert, um allerdings nicht seinen Sohn, sondern Attalos zu verteidigen.17 Nach diesem Vorfall verließen Olympias und Alexander den Hof in Pella. Er kehrte im Gegensatz zu seiner Mutter allerdings bald wieder zurück.18
Die Ereignisse der Hochzeit illustrieren deutlich, mit welcher Selbstverständlichkeit der makedonische Adel Einfluss auf die Entscheidungen Philipps ausübte. Selbst die Entscheidung über einen bestimmten Thronerben scheint nicht Philipp vorbehalten gewesen zu sein, sondern schien vielmehr von dem Wohlwollen der makedonischen Adligen abzuhängen.19
[...]
1 Carney, Elisabeth: The Politics of Polygamy: Olympias, Alexander and Murder of Philipp, Historia 41, 1992, S.. 172.
2 Wirth, Gerhard: Vermutungen zum frühen Alexander (I). in: ders.: Studien zur Alexandergeschichte. Darmstadt, 1985, S. 170.
3 Badian, Ernst: Some recent interpretations of Alexander, in: Badian, Ernst: Alexandre le Grand. Image et réalité. Genf, 1976, S. 280.
4 Hamilton, James R.: Alexander´s early life, G&R 12, 1965, S. 122.
5 Vgl. Wirth: Vermutungen, Carney: Polygamy.
6 Müller, Sabine: Maßnahmen der Herrschaftssicherung gegenüber der makedonischen Opposition bei Alexander dem Großen. Frankfurt am Main, 2003, S. 10.
7 Diod. 16,1,3.
8 Diod. 16,53,3.
9 Wirth, Gerhard: Philipp II. Geschichte Makedoniens, Band I. Stuttgart, 1985, S. 125ff.
10 Diod. 16,86,1ff.
11 Dobesch, Gerhard: Alexander der Große und der Korinthische Bund. in: Grazer Beiträge 3, 1975, S.74.
12 Wirth: Philipp, S. 138f.
13 Diod. 16,89,3.
14 Diod. 16,89,2; Arr. 2,14,6.
15 Plut. Al. 10,3.
16 Plut. Al. 9,4; Just 9,7,3.
17 Plut. Al. 9,5; Just. 9,7,4-5.
18 Plut. Al. 9,6; Just. 9,7,5-7.
19 Vgl. Müller, S. 28.
- Quote paper
- Konrad Gähler (Author), 2006, Der Herrschaftsantritt Alexanders III., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116788
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