An der Erzählung Gottfried Kellers Der schlimm-heilige Vitalis, Teil der Sieben Legenden, die er während seiner Berliner Zeit entwarf , aber erst viel später veröffentlichte, erscheinen viele Aspekte bemerkenswert. Mit Hilfe seines heiteren wie humorvollen, dabei aber stets hintergründig kritischen Schreibstils, vermochte er es, der traditionell-kirchlichen Legendenvorlage Ludwig Theobul Kosegartens neues Leben einzuhauchen und diese somit in die Moderne zu transferieren. Kellers Verhältnis zur Religion, sein Frauenbild, aber auch sein Bedürfnis nach Erfüllung privaten Glücks in der harmonisch-reinen Beziehung zwischen Mann und Frau, in dem er seinen eigenen, trostlosen und von der Liebe enttäuschten Berliner Alltag verarbeitete, kommen deutlich in den Sieben Legenden zum Ausdruck und finden sich teilweise auch im „schlimm-heiligen Vitalis“ wieder. Jeden dieser Fäden aufzugreifen und angemessen zur Geltung kommen zu lassen, würde den Rahmen dieser Hauptseminarsarbeit aber bei weitem überschreiten, so dass wir uns in erster Linie auf den religiösen Gehalt der Legende konzentrieren wollen. Darauf aufbauend einen genaueren Blick auf Kellers Einstellung zur Religion werfen zu können, soll denn auch den Zielpunkt dieser Arbeit darstellen.
Natürlich darf bei alledem nicht vergessen werden, in vorherigen Abschnitten zunächst eine grobe Einordnung der Erzählung in den Gesamtkontext der „Sieben Legenden“ vorzunehmen, deren Aufbau und Entstehungsgeschichte kurz zu skizzieren, daneben aber auch auf die Form, Sprache, den Stil und die symbolischen Bezüge der Vitalis-Erzählung einzugehen.
Der Auftakt zur Beschäftigung mit Kellers Einstellung gegenüber Kirche und Religion wird mit der Betrachtung des ursprünglichen, historischen Ortes der Handlung, Alexandria, nebst seiner Hauptpersonen, dem heiligen Vitalis von Gaza und dem heiligen Erzbischof Johannes von Alexandrien, erfolgen, um gleich danach mit einer Charakterisierung der Kellerschen Legendenhauptperson fortzufahren und dessen Zwiespalt zwischen kirchlicher Tugendliebe und unterdrückter Weltlichkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse sollen schließlich in einem Fazit zusammengefasst und daneben aufgezeigt werden, an welcher Stelle die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas darüber hinaus umfangreicher fortgesetzt werden könnte.
Gliederung
I. Einleitung
II. Kellers „Sieben Legenden“
1. Entstehungsgeschichte
2. Zeitgenössische Rezension
3. Inhalt und Form
III. Der Schlimm-heilige Vitalis
1. Inhalt und Form
2. Sprache, Stil und symbolische Bezüge
3. Mittelalterliches Legendenvorbild:„Von St. Johannes dem Almosner“
IV. Der religiöse Gehalt der Vitalis-Legende
1. Exkurs: Der historische Ort Alexandria
2. Charakterisierung Vitalis: Von der Religiosität seines Bekehrertreibens
3. Kellers Religionskritik in den Sieben Legenden
V. Fazit und Ausblick
VI. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Beißende Satire auf die mittelalterliche Heilslegende ? Flammendes Schwert der Religionskritik durch Bloßstellung eines sinnentleerten Missionierungsdranges und eines bis ins Pervertierte überzeichneten Märtyrerideals ? Oder doch ein in der Überarbeitung versöhnlich abgebogenes Plädoyer für eine weltlich-orientierte, mit sich selbst und seinen Bedürfnissen im Einklang stehende, natürliche Lebenseinstellung, gegen jegliche Restriktionen und Dogmen der Kirche jener Zeit ? An der Erzählung Gottfried Kellers Der schlimm-heilige Vitalis, Teil der Sieben Legenden, die er während seiner Berliner Zeit entwarf[1], aber erst viel später veröffentlichte, erscheinen viele Aspekte bemerkenswert.[2] Mit Hilfe seines heiteren wie humorvollen, dabei aber stets hintergründig kritischen Schreibstils, vermochte er es, der traditionell-kirchlichen Legendenvorlage Ludwig Theobul Kosegartens[3] neues Leben einzuhauchen und diese somit in die Moderne zu transferieren. Kellers Verhältnis zur Religion, sein Frauenbild, aber auch sein Bedürfnis nach Erfüllung privaten Glücks in der harmonisch-reinen Beziehung zwischen Mann und Frau, in dem er seinen eigenen, trostlosen und von der Liebe enttäuschten Berliner Alltag verarbeitete, kommen deutlich in den Sieben Legenden zum Ausdruck und finden sich teilweise auch im „schlimm-heiligen Vitalis“ wieder. Jeden dieser Fäden aufzugreifen und angemessen zur Geltung kommen zu lassen, würde den Rahmen dieser Hauptseminarsarbeit aber bei weitem überschreiten, so dass wir uns in erster Linie auf den religiösen Gehalt der Legende konzentrieren wollen. Darauf aufbauend einen genaueren Blick auf Kellers Einstellung zur Religion werfen zu können, soll denn auch den Zielpunkt dieser Arbeit darstellen.
Natürlich darf bei alledem nicht vergessen werden, in vorherigen Abschnitten zunächst eine grobe Einordnung der Erzählung in den Gesamtkontext der „Sieben Legenden“ vorzunehmen, deren Aufbau und Entstehungsgeschichte kurz zu skizzieren, daneben aber auch auf die Form, Sprache, den Stil und die symbolischen Bezüge der Vitalis-Erzählung einzugehen.
Der Auftakt zur Beschäftigung mit Kellers Einstellung gegenüber Kirche und Religion wird mit der Betrachtung des ursprünglichen, historischen Ortes der Handlung, Alexandria, nebst seiner Hauptpersonen, dem heiligen Vitalis von Gaza und dem heiligen Erzbischof Johannes von Alexandrien, erfolgen, um gleich danach mit einer Charakterisierung der Kellerschen Legendenhauptperson fortzufahren und dessen Zwiespalt zwischen kirchlicher Tugendliebe und unterdrückter Weltlichkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse sollen schließlich in einem Fazit zusammengefasst und daneben aufgezeigt werden, an welcher Stelle die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas darüber hinaus umfangreicher fortgesetzt werden könnte.
II. Kellers „Sieben Legenden“
Das Thema unserer Hausarbeit verspricht zwar die eingehende Behandlung der Vitalis-Erzählung, dennoch darf, bevor wir uns dieser in Kapitel III. zuwenden, nicht außer Acht gelassen werden, in welchem Zusammenhang sie entstanden und erschienen ist. Gewissermaßen soll hierdurch auch eine inhaltliche Grundlage gelegt werden, die es dem geneigten Leser hoffentlich vereinfacht, Bezüge herstellen und die von uns näher betrachtete Legende in einen Gesamtkontext einordnen zu können. Neben der Entstehungsgeschichte der Sieben Leg enden sollen dabei auch formale Aspekte und die zeitgenössische Reaktion auf Kellers Werk berücksichtigt werden.
1. Entstehungsgeschichte
Gottfried Kellers Sieben Legenden erschienen erstmals im April 1872.[4] Sie dürften jedoch bereits zu einem viel früheren Zeitpunkt entworfen und fertig gestellt worden sein. Hinweise für eine erste Beschäftigung schon zu seiner Berliner Zeit, finden sich in Kellers autobiographischem Rückblick, in dem er 1889 selbst berichtet, die Arbeit in Berlin begonnen, aber erst nach seiner Rückkehr in die Schweiz fertig gestellt zu haben.[5] Ob die Legenden allerdings von Vornherein für eine separate Veröffentlichung bestimmt gewesen waren, ist nicht einwandfrei geklärt. Vieles spricht dafür, dass Keller sie als Bestandteil des Erzählwettstreits in seinen Galatea-Zyklus integrieren wollte.[6] In einem Brief an Theodor Creizenach vom 6. Juli 1857 äußerte er sich aber schon über eine „unabhängige und bereits fertig vorliegende Reihe von Novellchen“[7], die die Vermutung nahe legen, dass er den Gedanken der inhaltlichen Verflechtung bald wieder verwarf.[8]
Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass das von Keller auf seinem 1878 verschenkten Originalmanuskript angegebene Entstehungsdatum von 1857/1858[9] zutreffend ist, bereitet die späte Drucklegung Schwierigkeiten für die inhaltliche Interpretation, wie an späterer Stelle ausführlicher dargestellt werden soll. Durch die Tatsache bedingt, dass sich ihm zunächst keine adäquate Möglichkeit zur Veröffentlichung bot[10], wurde die ursprüngliche Fassung der „Sieben Legenden“ mehrfach überarbeitet.[11] Anfänglich vielleicht beabsichtigte - und durch Feuerbach inspirierte - deutlich zum Ausdruck gebrachte Religionskritik konnte so von einem durch die Zeit milder gestimmten Autoren entschärft und abgebogen werden.[12] Natürlich sollte nicht vergessen werden zu erwähnen, ohne allerdings an dieser Stelle näher darauf eingehen zu wollen, dass sich Kellers Lebensumstände seit seiner, für ihn so erfolglos verlaufenden Berliner Zeit grundlegend verändert hatten. Zwar war er nach wie vor nicht verheiratet und hatte immer noch nicht die wahre Erfüllung in einer für ihn glücklichen Beziehung gefunden, nach der er so sehr strebte. Auf der anderen Seite aber war sein täglicher Lebensunterhalt, durch seine nun von ihm bekleidete Beamtenstelle, mehr als gesichert, sodass einige reifere Züge Kellers durchaus Einzug in die endgültige Fassung gefunden haben dürften. In Kapitel IV.3 soll dieser Gedanke vertiefend aufgegriffen werden.
Weitere Anhaltspunkte für eine genauere Datierung könnte man möglicherweise erhalten, wenn man wüsste, wann Keller auf die Legendensammlung Ludwig Theobul Kosegartens stieß, die er als Vorlage nutzte und literarisch so kunstvoll ausgestaltete. Bei der Betrachtung von Kellers Briefwechseln zu jener Zeit und auch unter Hinzuziehung seines autobiographischen Rückblicks lassen sich hierüber jedoch keine eindeutigen Informationen finden. Lediglich die Verwendung der Legendensammlung als Quelle für sein Werk scheint verbrieft, da Keller selbst in seinem Brief an Ferdinand Freiligrath vom 22.April 1960 darauf eingeht und auf die „läppisch frömmelnden u. einfältigen Style“ des „norddeutschen Protestanten“ zu sprechen kommt, dessen „süßliche und heilige Worte“ er jeweils einleitend für seine eigene Ausgestaltung der Legenden übernimmt, dann aber „eine erotisch-weltliche Historie daraus“ macht, „in welcher die Jungfrau Maria die Schutzpatronin der Heirathslustigen ist“.[13]
2. Zeitgenössische Rezension
Der Erfolg der Sieben Legenden übertraf bereits in der Anfangszeit sämtliche Erwartungen.
Nachdem über 15 Jahre nach der Veröffentlichung seines letzten Werkes ins Land gegangen waren und seine Erfolge, unter anderem der des Seldwyla -Zyklus oder des grünen Heinrich, schon langsam zu verblassen begannen, trat mit Ferdinand Weibert im August 1871 endlich ein zuverlässiger Verleger an Gottfried Keller heran und bekundete, angeregt durch die Lektüre von Romeo und Julia auf dem Dorfe, ein erstes allgemeines Interesse, welches noch gar nicht konkret auf die Sieben Legenden ausgerichtet war.[14] Keller, der sich nach seiner Berliner Zeit nicht mehr recht auf seine schriftstellerische Karriere als einzige Option verlassen wollte, fand in seinem Amt als Staatsschreiber in Zürich eine möglicherweise weniger befriedigende, aber durchaus einträgliche Tätigkeit und offerierte Weibert die Legenden selbst, die er als Nachweis für seine gehaltvolle Schreibkunst in Reserve belassen hatte, um sie bei Bedarf jederzeit präsentieren zu können.[15]
Ihn selbst plagten zu diesem Zeitpunkt jedoch Sorgen, wie sein Ausflug in ein – im Vergleich zu früheren Werken - thematisch völlig anders geartetes Metier in der literarisch interessierten Öffentlichkeit aufgenommen werden würde. Sowohl die Tatsache, dass er diesmal auf jegliches Lokalkolorit und auch weitestgehend auf aktuelle Bezüge verzichtet hatte, darüber hinaus sogar tief religiöse Quellen zur Vorlage nahm, konnte die Erwartungen einer ihm geneigten Leserschaft nicht nur enttäuschen, sondern ihm darüber hinaus auch den Vorwurf des Plagiats und des „Heinisierens“ einbringen.[16]
All diese Bedenken mögen, nimmt man den wirtschaftlichen Erfolg als Maßstab, unbegründet gewesen sein: Innerhalb kürzester Zeit war die erste Auflage seines Werkes vergriffen. Bereits drei Monate später erschien die zweite Auflage, 1884 folgte eine dritte, 1888 sogar eine vierte Auflage, bevor die Sieben Legenden ein Jahr später im 7.Band der von Hertz verlegten Gesammelten Werke Aufnahme fanden.[17]
Daneben waren die Reaktionen der Literaturkritiker jener Zeit keineswegs so eindeutig positiv, wie der reißende Absatz der Sieben Legenden es vielleicht vermuten lassen könnte.
Neben überschwänglichem Lob, das teilweise derart überhöht ausfiel, dass es Keller selbst schon unangenehm wurde[18], meldeten sich auch kritische Stimmen zu Wort.
Natürlich konstatierte sein Verleger Ferdinand Weibert am 7.Juni 1872 in einem Brief an Keller, nicht ohne diesem schmeicheln zu wollen, dass die Legenden „meisterhaft behandelt“ seien, worin alle Urteile übereinstimmen würden, die er bislang gehört hätte und übermittelte zugleich Eduard Mörikes Meinung, der wohl geäußert hatte, dass er „einen größeren Genuss als diese Lektüre seit lange(m) nicht gehabt“ „und eine vollendetere Darstellung […] er an keinem neueren Buch zu rühmen“ jemals gewusst hätte.[19] Und auch Emil Kuh in der Neuen Freien Presse[20], Friedrich Theodor Fischer in der Allgemeinen Zeitung[21], Ferdinand Kürnberger in den Literarischen Herzenssachen[22] und Otto Brahm in der Deutschen Rundschau[23], um nur einige zu nennen, äußerten sich in durch und durch positiver, ja nahezu überschwänglicher Form zu den Sieben Legenden. So formulierte Brahm beispielsweise in seiner Rezension vom 1.6.1882, dass in Keller neuem Werk „jedes Wort das richtige und deckende, keines zu viel und keines zu wenig“ sei, „keine Kluft zwischen der Sache und der Form“ bestehen würde und stellte fest, dass dort die Erzählkunst Kellers „ihren Gipfelpunkt erreicht“ hätte, und ihm daneben „kein Stück […] von deutscher Prosa“ bekannt wäre, „das höher stünde, als die Sieben Legenden“.[24]
Nun gingen beileibe nicht alle Literaturkritiker derart huldvoll mit Kellers Werk ins Gericht. Bereits kurze Zeit nach seiner Veröffentlichung titulierte Julius Stiefel in der Neuen Freien Presse (17.5.1872) die Sieben Legenden zweideutig als „ein literarisches Wunderwerklein“, wobei die darin mitschwingende beißende Ironie erst durch die Lektüre seiner anschließenden Rezension erkennbar wurde.[25] In dieser geißelte er sowohl „das Veraltete des Stoffes“, als auch „die Unzulänglichkeit der Erzählform“ (gemeint ist die Legende) und bemängelte - auf die Ereignisse der Reichsgründung anspielend - klar die Abwesenheit jeder zeitgeschicht-lichen Relevanz, gerade „in den Tagen, da seines und jeglichen Volkes Blick an die Fahne des Vaterlandes geheftet ist […], da aus der Brust der Menschheit ein Aufschrei erschallt wider die Knechtschaft der Kirche.“[26] Auch an der humorvollen Behandlung des religiösen Themas und der Legendenvorlage Kosegartens ließ Stiefel kein gutes Haar, wenn er in ironischer Form die „lustige Unterhaltung“ der Sieben Legenden, „aus der kirchlichen Fabulirkunst ausgelesen“, im Schlussteil seines Beitrages gesondert hervorhebt.[27]
Die jedoch wohl heftigste Kritik ließ Theodor Fontane elf Jahre später, am 8.4.1883, in der Vossischen Zeitung, dem Werk zuteil werden.[28] Schonungslos bemerkte er „bei Keller eher von Stil-Abwesenheit als von Stil sprechen“ zu müssen, rügte dessen „allerpersönlichsten Ton, der mal paßt und mal nicht paßt“, sowie „Dissonanzen, die sich gelegentlich bis zu schreienden (hin) steigern“ würden.[29] „Erbarmungslos“, so stellte er fest, würde der Dichter „die ganze Gotteswelt seinem Keller-Ton“ überliefern und die eigentliche Vorlage, die dadurch „völlig aus dem Legendton heraus“ fallen würde, somit „etwas ihnen eigenes Perverses, Widerspruchsvolles und ´Schiefgewickeltes´“ bekommen.[30] Anlehnend an Kellers Vorwort, in dem der Dichter selbst darauf hinweist, der traditionellen christlichen Vorlage „das Antlitz nach einer anderen Himmelsgegend hingewendet“[31] zu haben, ironisiert Fontane, dass es ihm eher richtiger schiene zu behaupten, „daß er ihnen, eben so [wie] vielen Tauben, den Kopf umgedreht habe. Denn sie sind todt.“[32] Den Hauptkritikpunkt sah Fontane denn auch weniger in der inhaltlichen Verwendung der religiösen Thematik, als vielmehr in der für ihn völlig unangemessenen Form, in der Keller dieses tat. „Das Ueberlieferte“ schien ihm „nirgends zum Spott herauszufordern“, „die Legende, so lange sie sich Legende nennt, verträgt diesen Ton nicht“ konstatierte er. Da Keller aber „das heilig Naive der Legende“ nicht angemessen gewürdigt hätte, wären diese „einfach keine Legenden mehr, es sind Märchen“.[33] Für Fontane war, ist und blieb Keller deshalb „der Mann des Märchens“, der seinen Stil und Ton dort hatte „wo er hingehört“, aber „leider auch dort wo er nicht hingehört“, so dass er „im letzteren […] vom Uebel“ gewesen wäre.[34]
[...]
[1] Keller hatte die Arbeit an den Legenden, die bei ihm gedanklich eng mit der Planung des Galatea-Projektes verknüpft waren, wohl schon in Berlin begonnen, aber erst nach seiner Rückkehr in Zürich fertig geschrieben. Vgl. Morgenthaler, Walter, Amrein, Ursula, Binder, Thomas, Villwock, Peter (Hsg.), Gottfried Keller. Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe, Band 23.2. Sieben Legenden. Apparat 2 zu Band 7, Zürich 1998, S.11. Im nachfolgenden Kapitel wird die Entstehungsgeschichte der Legenden ausführlicher skizziert werden.
[2] Hinweis zur Erläuterung: Um angesichts der vielen Zitate und der in diesem Zusammenhang benutzten Zeichen der wörtlichen Rede, die Arbeit vor allzu großer Unübersichtlichkeit zu bewahren, finden sich im gesamten Text die erwähnten Werktitel in kursiv gesetzt, ohne Anführungszeichen „“, wieder.
[3] Kosegarten, Ludwig Theobul, Legenden, Berlin 1804.
[4] In einer Anzeige in der Neuen Züricher-Zeitung machte die Göschensche Verlagshandlung am 21.April auf die Neuveröffentlichung aufmerksam, vgl. Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.9.
[5] Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.11, auf die Chronik der Kirchengemeinde Neumünster, Zürich 1889, S.433, verweisend.
[6] Unter anderem kann hierfür die gegensatzartige Anordnung der Eugenia- und Vitalis-Legende, mit der Geschlechterthematik als zentralem Element, angeführt werden und auch das hervorgehobene Auftreten eines Erzählers jeweils zu Beginn und Schluss lassen Parallelen deutlich erkennen. Darüber hinaus rückt Keller selbst, in seinem Brief an Ferdinand Freiligrath vom 22.4.1860, die Sieben Legenden in einen direkten Zusammenhang zu seinem Galatea-Projekt. Vgl. Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.11/12; daneben auch bei Bentz, Rudi Richard, Form und Struktur der Sieben Legenden Gottfried Kellers, Dissertationsschrift, Zürich 1979, S.89 und Dörr, Dieter, Satire und Humor in Gottfried Kellers Sieben Legenden, Dissertationsschrift, Stuttgart 1970, S.4ff, 94ff.
[7] Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.11/12.
[8] Bentz 1979, S.90/91.
[9] Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.11.
[10] Ein 1862 erwogener Abdruck der Legenden in der Strodtmannschen Monatsschrift Orion scheiterte an den von Keller erhobenen Honorarforderungen. Vgl. Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.13.
[11] Morgenthaler, Amrein, Binder und Villwock gehen in Band 23.2 ihrer historisch-kritischen Ausgabe zu Gottfried Kellers Werken sehr detailliert auf die verschiedenen später vorgenommenen Änderungen ein. Vgl. Morgenthaler, Walter, Amrein, Ursula, Binder, Thomas, Villwock, Peter (Hsg.), Gottfried Keller. Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe, Band 23.2. Sieben Legenden. Apparat 2 zu Band 7, Zürich 1998, S.67ff, speziell für die Vitalis-Legende: S.127ff. Keller selbst berichtet in seinem Brief vom 2.April 1871 an Heyse, dass er eine „Anzahl Novellen ohne Lokalfärbung“ auf Vorrat liegen habe, die er „alle 1 ½ Jahre einmal besehe und ihnen die Nägel schneide, so dass sie zuletzt ganz putzig aussehen werden“. Vgl.: Dörr 1970, S.92 & Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.13.
[12] Bentz 1979, S.91. Dass Keller die öffentliche Resonanz auf seine Werke durchaus ernst nahm und ihn solcherlei Kritik auch zu Änderungen bewegen konnte, zeigt seine Reaktion auf Fontanes Beitrag vom 8.4.1883 in der Vossischen Zeitung, in der der Märtyrertod der beiden Hyacinthen in der Eugenia-Legende, nebst dazugehörigem spöttischem Unterton, als völlig unangebracht gegeißelt wurde. Keller strich die bezeichnete Stelle in der Revision zur 3.Auflage. Vgl. Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.427/428.
[13] Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.12/13, Keller aus seinem Brief an Ferdinand Freiligrath vom 22.4.1960 zitierend.
[14] Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.13 & Dörr 1970, S.92.
[15] Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.13-14 & Dörr 1970, S.92.
[16] Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.14-15 & Dörr 1970, S.92-93. Keller selbst sprach in seinem, am 22.3.1871 verfassten, Brief an Theodor Fischer von einem „plötzlichen Gegenstand“, als es um die Frage ging, ob die Sieben Legenden angesichts des neuartigen inhaltlichen Sujets für sich selbst und ohne Vorwort veröffentlicht werden könnten. Gerade die möglichen Vorwürfe des Plagiats (Keller im Brief an Freiligrath, vom 22.4.1860) und des Heinisierens (Keller in einem erneuten Brief an Vischer, vom 1.10.1871) führten dann jedoch zu seiner Entscheidung, dem Werk ein erörterndes Vorwort voranzustellen.
[17] Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.9-10, 18-20 & Dörr 1970, S.94.
[18] Wie Keller angesichts der unglaublich übersteigerten Lobpreisung Otto Brahms in der Deutschen Rundschau am 1.6.1882 in seinem Brief an Julius Rodenberg (22.7.1882) bemerkte:„Man ist immer in Verlegenheit, solch´ übervoll gemessenem Lobe gegenüber sich angemessen auszusprechen“ Vgl. Morgenthaler/Amrein/ Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.424.
[19] Ebd., S.405.
[20] Emil Kuh stellte in seinem Beitrag vom 6.6.1872 in der Neuen Freien Presse fest, „dass die Legende unter Keller´s Händen erneut hervorgegangen ist“ und wertete die Sieben Legenden als „Verjüngungsact dichterischer Formen“. Vgl. Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.404.
[21] Friedrich Theodor Vischer, Keller seit jeher wohlgesonnen, lobte in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung, am 22. und 29. Juli 1874, vor allen Dingen die „entfesselt spielende mystische Bilderwelt“ und freute sich, dass es Keller gelungen ist, „die heidnisch weltlichen Elemente, die sich in diesen christlich heiligen Sagen finden, herauszukehren.“ Für ihn wäre dadurch alles so gewendet worden, dass dabei „ein weltlich naturgemäßer Sinn herausspringen“ würde, welcher beinahe als „ein Protestantisieren der katholisch heiligen Märchen“ bezeichnet werden kann. Das „freie, hochkomische und hocherhabene Traumbild der freien Phantasie“, welches in Kellers Sieben Legenden stecken würde, wögen seiner Meinung nach die wenigen gröber und klobig geratenen Stellen des Werkes mehr als auf. Vgl. Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.411-413.
[22] Friedrich Kürnberger schrieb 1877 in den Literarischen Herzenssachen eine Kritik, die Keller selbst als „krasse Lobpreisung“ (vgl. Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.419) wertete. Die Keller unterstellten Attribute „satyrisch wie Voltaire, naiv wie Homer, graziös wie Heine und humoristisch wie Jean Paul“, bildeten dabei aber bei weitem noch nicht den Höhepunkt des Magazinartikels. Kürnberger setzte fort, indem er Keller als „ein für ewige Zeiten unerreichbares Ideal von Naivität“, natürlich in künstlerischem Sinne gemeint, pries und die Sieben Legenden als einen Edelstein beschrieb, den Keller „mit unvergleichlich weiser Berechnung des Feuers und Farbenspiels“ geschliffen hätte. Auf mögliche Spitzen des Werkes gegen- über Glauben und Religion eingehend, konnte er nur feststellen, dass „Keller´s Legendengeist […] den katho- lischen Glauben um kein Tüpfelchen einer Nadelspitze verletzt“ hätte. Vgl. Morgenthaler/Amrein/Binder/ Villwock 1998, Band 23.2, S.417-419.
[23] Otto Brahm beschrieb in seiner Rezension auf die Sieben Legenden, die am 1.6. 1882 in der Deutschen Rundschau erschien, ähnlich euphorisch wie Kürnberger, den „unerschöpflich humoristischen Sinn des Dichters“ und seine „reiche Phantasie“, die aber stets „auf dem Boden der gesundesten Mäßigung ruhen“ würden, „weil ein tief ethischer Zug durch alle Gestaltungen“ verlaufen würde. Auf die Frage nach dem Umgang mit Religiösität in diesem Werk eingehend, konstatierte er, dass Keller „mit gesundem, sittlichem Empfinden“, quasi als „moderner Realist“, „den Sieg der Erde über den Himmel, der Sinne über die Askese, kurz das Hervorbrechen des Natürlichen“ dargestellt hätte. Die Art und Weise, wie Brahm dann jedoch postulierend die Aussage der Sieben Legenden hervorhob – „Glaubet nicht, über die allgemeinen Grund- lagen unserer Natur euch erheben zu können, ihr Heiligen, sonst rächt such das verleugnete Körperliche“ – wurde denn selbst Keller zu viel. Er beschwerte sich in seinem Brief vom 22.7.1882 an Julius Rodenberg – auf Brahm gemünzt - über „fern Stehende auf bloßes Hörensagen, auf Klatsch und flaches Combinieren hin“ arbeitende Gelehrte, die über alledem das „freie Urtheil über das Werk […] beinträchtigen oder ganz verlie- ren“ (vgl. Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.425) würden. Brahm setzte, immer noch nicht genug der Lobpreisung fort, indem er nach dem bereits erwähnten „Sieg der Wahrheit, Natur und Sittlichkeit“, mit dem Keller „nicht nur nach der ethischen Seite hin die Vorlage verbes- sert“ hätte, die poetischen Qualitäten des Dichters hervorhob: den „gesättigten Ton der Darstellung, eine Knappheit des Wortes bei innerlich quellendem Reichtum, denen gegenüber es nur einen Ausdruck gibt: vollendet.“ Vgl. Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.421-424.
[24] Ebd., S.424.
[25] Julius Stiefel unter der Überschrift „Ein literarisches Wunderwerklein“ am 17.5.1872 in der Neuen Freien Presse, abgedruckt in: Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.401.
[26] Ebd.
[27] Ebd.
[28] Theodor Fontane unter der Überschrift „Gottfried Keller. Ein literarischer Essay von O.Brahm“ am 8.4.1883 in der Vossischen Zeitung, abgedruckt in: Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band 23.2, S.426-428.
[29] Ebd., S.426.
[30] Ebd.
[31] Morgenthaler, Walter, Amrein, Ursula, Binder, Thomas, Villwock, Peter (Hsg.), Gottfried Keller. Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe, Band 7. Das Sinngedicht / Sieben Legenden, Zürich 1998, S.333, Z.13.
[32] Fontane 1883 in der Vossischen Zeitung, abgedruckt in: Morgenthaler/Amrein/Binder/Villwock 1998, Band
23.2, S.426-427.
[33] Ebd., S.427-428.
[34] Ebd., S.428.
- Arbeit zitieren
- Stephan Kilter (Autor:in), 2005, Gottfried Keller - Der schlimm-heilige Vitalis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116616
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