Diese schulische Ausarbeitung befasst sich mit dem Thema der Identitätsfindung in künstlerischer Anwendung auf den Film "Call me by your name" von Luca Guadagnino aus dem Jahr 2017. In sieben Kapiteln analysiert sie die Psychologie der Identitätsfindung gepaart mit einer filmästhetischen Interpretation des Coming-of-Age Dramas. Sexualität und Sinnlichkeit, Verlangen und Distanz, Liebe und Liebeskummer sind Themen dieser Facharbeit. So stellt sie auch eine Hommage an die Filmkunst dar und beleuchtet die Wichtigkeit sowie die Präsenz der Kunst in unserem Alltag auf eine Art, die möglicherweise nicht jedem Leser bewusst war.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
1.1. Einleitende Vorbemerkung
1.2. Vorstellung der Thematik
1.3. Begründung der Filmauswahl & Fragestellung
1.4. Beschreibung der Vorgehensweise
II. Identitätsfindung
2.1 Was ist Identität?
2.1.1 Sexuelle Identität
2.1.2 Soziale Identität
2.2 Die Adoleszenz
2.2.1 Der Einfluss der Eltern in der Adoleszenz
2.2.2 Das Stufenprinzip nach Erikson
III. Call me by your name
3.1 Handlung
3.2 Personen
3.2.1 Elio
3.2.2 Oliver
3.3 Beziehungen
3.3.1 Elio & Oliver
3.3.2 Figurenkonstellation
IV. Faktoren, die die Identität beeinflussen in Call me by your name
4.1 Vorwort
4.2 Sexualität
4.2.1 Elio
4.3 Akzeptieren der eigenen Gefühle
4.3.1 Elios Akzeptanz
4.4 Familie
4.4.1 Samuel Perlman
4.5 Gesellschaft
4.5.1 Tabuisierung der Liebe
V. Die Filmsprache in Call me by your name
5.1 Plotdramaturgie
5.1.1 Drei-Akte-Struktur nach Syd Field
5.1.2 Die filmische Dramaturgie in Call me by your name
5.2 Symbolik
5.2.1 Das Symbol des Pfirsichs
5.2.2 Wassermetaphorik
5.2.3 Die Geschichte des Ritters Amadour als Vorausdeutung
5.3 Musik
5.3.1 Die Musik in Call me by your name
5.3.2 Die Musik und Elio & Oliver..
VI. Diskussion
6.1 Beantwortung der Fragestellung...
6.1.1 Tendenzen
6.1.2 Interpretation der Ergebnisse
VII. Abschluss
7.1 Offen gebliebene Fragen
7.2 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Kurzfassung
Der Film Call me by your name kam 2017 in die Kinos und erzählt von der homosexuellen Liebesbeziehung des 17-jährien Elio Perlman und dem sieben Jahre älteren Oliver, die sich auf dem Anwesen der Perlmans kennenlernen, da Oliver dort für sechs Wochen bleibt, um mit Elios Vater als Doktorand wissenschaftliche Arbeiten anzufertigen. Schnell spüren die beiden eine Anziehung, die letztlich in einer eher heimlichen Romanze endet, welche am Schluss trotz der Trauer über den Abschied und die Trennung beiden eine Lehre in Sachen Identität und Selbstfindung ist.
So analysiert die BLL Identität im Jugendalter und betrachtet dabei den Einfluss verschiedener Faktoren auf die Bildung einer Ich-Identität und die Theorie des deutsch-amerikanischen Psychoanalytikers Erik Erikson angewandt auf die psychische Situation des Protagonisten Elio Perlman.
Neben dieses psychoanalytischen Teils liefert diese BLL ebenso einen Einblick in die Kunst der Filmsprache und analysiert so die Filmdramaturgie wie filmtechnische Mittel, die in Call me by your name angewandt wurden.
Zum Ende der BLL geht es in die Diskussion und Reflexion der Ergebnisse, wobei die Wichtigkeit und Präsenz der Identitätsfindung deutlich wird und der Film als künstlerisch-unterhaltendes Medium herausgestellt wird.
I. Einleitung
1.1 Einleitende Vorbemerkung
„Nenn‘ mich bei deinem Namen, dann nenn‘ ich dich bei meinem“, flüstert Oliver Elio zu als sie nebeneinander in seinem Bett liegen und sich an einem Höhepunkt ihrer Romanze befinden. Dieses Zitat fasst ihre vollkommene Intimität gut zusammen. Der Zuschauer erlebt in diesem mehrfach preisgekrönten Meisterwerk des italienischen Regisseurs Luca Guadagnino die Romanze der beiden Protagonisten, dem 17-jährigen Elio und dem 24-jährigen Oliver und wird Teil einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte. Von der ersten Liebe über die Beziehung zu den Eltern und Gleichaltrigen, über das Entdecken der eigenen Bedürfnisse und Interessen bis hin zu Liebeskummer, Abschied und Trauer umfasst die Entwicklung des Protagonisten Elio die wichtigsten Stadien der Selbstfindung im Jugendalter, ausgelöst durch eine intensive Liebeserfahrung.
Wie wichtig ist die Suche nach der eigenen Identität? Wie stellt sich die Entwicklung im Jugendalter dar und welche Unterschiede gibt es von Mensch zu Mensch? Warum entwickelt sich der Mensch überhaupt? Welche Bedürfnisse hat der typische Jugendliche, der in seiner „Teenager-Zeit“ die mitunter wichtigsten Entwicklungen und Veränderungen seines Lebens durchmacht? All das sind Fragen, die im Film Call me by your name angesprochen und in dieser BLL diskutiert werden.
1.2 Vorstellung der Thematik
Die Fragestellung bzw. Thematik dieser BLL lautet konkret "Identitätsfindung dargestellt im Film Call me by your name von Luca Guadagnino" Ich habe hier zwischen den Begriffen Identitätsfindung und Identitätssuche bewusst differenziert. „Identitätssuche“ ist eine Formulierung, die eher einen Prozess impliziert, der nicht abgeschlossen ist. Bei Elio jedoch handelt es sich eher um eine Identitätsfindung, da er zwar am Ende keine vollkommen gefestigte Persönlichkeit besitzt, aber einen entscheidenden Entwicklungsprozess beendet.
Es lässt sich ebenso erkennen, dass diese BLL sowohl Einblicke in die Entwicklungspsychologie im Jugendalter gibt als auch solche in filmische Darstellungsweisen, Erzähltechniken, filmästhetische Mittel und den Plot dieses Films und wie er den psychologischen Aspekt verarbeitet. Elio, der Protagonist im Film, ist also auch in dieser BLL unser Hauptdarsteller, an seiner Entwicklung orientieren wir uns.
1.3 Begründung der Filmauswahl und Fragestellung
Der Film hat mich gleich beim ersten Sehen fasziniert, insbesondere durch die Atmosphäre, die er erschafft und die eigenartige, besondere Beziehung zwischen Elio und Oliver, die sich, auch wenn sie nur auf der Leinwand existiert, sehr authentisch und greifbar anfühlt.
Auf der anderen Seite halte ich Entwicklungspsychologie für sehr spannend, auch deshalb, weil sie uns überall begegnet, sei es bei uns selbst oder unserem direkten und indirekten Umfeld. Elio bietet sich dadurch, dass er sich in einem ähnlichen Alter wie ich befindet und einen ähnlichen Reifungsprozess durchlebt, als Identifikationsfigur an. Die künstlerische Bearbeitung eines psychologischen Themas ist also der Reiz, der mich persönlich zum Schreiben dieser BLL animiert hat.
1.4 Beschreibung der Vorgehensweise
Die vorliegende BLL ist in fünf Kapitel unterteilt. Der erste Teil beschäftigt sich mit Grundlageninformationen zur Identitätsfindung. Hier werde ich über allgemeine Theorien und Konzepte zur Identitätsfindung sprechen und einen Einblick in die Entwicklungspsychologie bekannter Psychologen wie beispielsweise Erik Erikson geben. Auf dieser Grundlage werde ich im zweiten Teil über Call me by your name sprechen, ich werde die Handlung darstellen, die Figuren analysieren und deren Beziehungen erläutern. Dieser zweite Teil stellt wiederum eine Grundlage für den dritten Teil dar, der sich "Identitätsfindung im Jugendalter in Call me by your name “ nennt. Hier werden die einzelnen Faktoren, die im Bereich der Identitätsfindung und Entwicklungspsychologie eine Rolle spielen, anhand des Films erläutert. Im vierten Teil werde ich den filmästhetischen Aspekt ansprechen, hier wird sich vor allem eine filmspezifische Analyse finden, in der ich besonders darauf eingehe, inwieweit die Atmosphäre und die Entwicklung Elios durch filmische Mittel dargestellt werden. So wird unter anderem das Setting, die Continuity der Geschichte, die Dramaturgie des Plots wie auch die Symbolik und Kameraführung angesprochen. Nach der Fertigstellung dieser Analyse und den Ergebnissen werde ich diese im fünften Kapitel diskutieren und reflektieren, wozu ich meine Resultate in einen größeren Kontext einbeziehe und vor dem Hintergrund von Fragen wie zum Beispiel der Relevanz des Films beurteile.
II. Identitätsfindung
2.1 Was ist Identität?
Was ist Identität? Identisch ist etwas, das mit etwas anderem genau übereinstimmt. Dieser Ansatz wird auch bei der Suche nach einer Definition des Identitätsbegriffes verwendet. So lautet eine Definition, die man im Internet findet: „Echtheit einer Person oder Sache; völlige Übereinstimmung mit dem, was sie ist oder als was sie bezeichnet wird.“[1 ]. Die beiden Dinge, die hier identisch sind, sind also die Person selbst und ihre Eigenschaften. Während bei dieser Definition von dem Aspekt der identischen Übereinstimmungen ausgegangen wird, so finden sich auch andere Definitionen, die die Identität mit Individualität verknüpfen. So lautet eine andere Definition: „Identität ist die Gesamtheit der Eigentümlichkeiten, die eine Entität, einen Gegenstand oder ein Objekt kennzeichnen und als Individuum von anderen unterscheiden.“[2 ]. Diverse Konzepte und Theorien ermöglichen eine weitere Annäherung anden Begriff.
Identität ist eine Bezeichnung, die viele Aspekte persönlicher Entwicklung sowie einen Reifungsprozess abdeckt. Hierbei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, die jeden Menschen individuell über eine längere Zeit formen. Diese sind zum Beispiel Erziehung, soziale Beziehungen, Berufswahl, Heimat, Sexualität, Gruppenzugehörigkeit und Selbstfindung.[3 ] Grob kann man an dieser Stelle die Identität in zwei Bestandteile unterteilen: Das „Ich“ und das „Wir“. Das „Ich“ setzt sich zusammen aus dem Selbstbild und dem sogenannten „Ich-Ideal“. Das Selbstbild umfasst die Art und Weise, wie wir uns selbst sehen und was wir von uns denken. Das „Ich-Ideal“ beschreibt dagegen die Art, wie wir uns gerne sehen würden. Es kann auch als „erwünschtes Selbstbild“ bezeichnet werden. Hierbei kann es passieren, dass es zu großen Überschneidungen zwischen dem Selbstbild und dem Ich-Ideal kommt, was beispielsweise zu Arroganz führen könnte. Das „Wir“ stellt den gesamten Einfluss von außerhalb dar, der ebenso eine wichtige Rolle für die Identitätsfindung spielt. Hier kommt das Fremdbild ins Spiel, die Art und Weise, wie uns andere Menschen sehen und wie wir denken, dass andere Menschen uns sehen bzw. wahrnehmen. Diese Fähigkeit unterscheidet uns auch eindeutig vom Tier, das solche Reflexionen nicht durchführen kann. Zum „Wir“ gehört auch der Aspekt der Gruppenidentität, denn jeder Mensch folgt dem Instinkt, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen, dies ist einer der natürlichen menschlichen Triebe und das Scheitern dieses Versuches bzw. Instinktes kann negative Auswirkungen auf die Findung der eigenen Identität haben. Identität setzt sich also zusammen aus diesen drei Faktoren Selbstbild, Fremdbild und Ich-Ideal, welche stets im Wandel sind.[4 ]
Die gängigsten Faktoren, die eine Identität, wenn man sie als dauerhaften Prozess versteht, beeinflussen können, sind die folgenden: Geschlecht, Alter, soziale Herkunft, Ethnizität, Nationalität, Gruppenzugehörigkeit, Beruf, sozialer Status, persönliche Eigenschaften, Kompetenzen, Erziehung und Sexualität. Platon fügt hier noch die Faktoren Charakterzüge, Gewohnheiten, Meinungen, Begierden, Freuden, Leiden und Befürchtungen hinzu und ergänzt: „Alles das bleibt sich in jedem einzelnen niemals gleich, sondern das eine entsteht, das andere vergeht.“[5 ]. Da bestimmte Elemente dieser Faktoren in nahezu jeder unserer Entscheidung unterbewusst eine Rolle spielen, sind sie also deutlich häufiger, als wir denken, vertreten. Das höchste Ziel der Erziehung soll eine „gefestigte Identität“ sein, sofern dies möglich erscheint[6 ]. Eine gefestigte Identität bedeutet die Fähigkeit, nach ähnlichen Mustern und Schemata, die man für richtig hält, zu urteilen und zu handeln. Das verlangt Selbstständigkeit, die bei einer „gelungenen Identität“ vorhanden ist und somit keine weiteren Erziehungsmaßnahmen mehr benötigt.
2.1.1 Sexuelle Identität
Um den Begriff der sexuellen Identität verstehen zu können, müssen wir uns zunächst mit dem Begriff der sexuellen Orientierung beschäftigen. Oft werden diese beiden Formulierungen missverstanden und fälschlich gebraucht, denn sie meinen nicht dasselbe.
Von sexueller Orientierung spricht man, wenn man von Homo-, Hetero-, Bisexualität und Weiterem spricht. Diese baut auf dem Interesse einer Person an einer anderen Person auf, wobei hier das Geschlecht im Mittelpunkt steht. Die Zuneigung zu einem Geschlecht basiert auf Emotionen, Zuneigung, Sexualität und weiteren Faktoren. Je nach dem, zu welchem Geschlecht man sich hingezogen fühlt, variiert die sexuelle Orientierung also.[7 ]
Sexuelle Identität hingegen bedeutet nicht die Eigenschaft, homosexuell, heterosexuell oder anders geneigt zu sein, sie geht über die sexuelle Orientierung hinaus, diese ist lediglich ein Teil der sexuellen Identität. Um diese greifbarer zu machen, kann man die sexuelle Identität in vier Bestandteile aufteilen: das biologische Geschlecht, das psychische Geschlecht, das soziale Geschlecht und die sexuelle Orientierung[8 ].
Das biologische Geschlecht ist der Körper, er wird eindeutig durch das Geschlechtsteil und weitere geschlechterspezifische Merkmale definiert. Man kann diesen unterscheiden in männlich und weiblich.
Das psychische Geschlecht umfasst die menschliche Psyche, hier ebenfalls bezogen auf Sexualität und Geschlecht. Sie äußert sich unter anderem durch sexuelles Verlangen oder durch die Empfindung, sich eher männlich oder eher weiblich zu fühlen, unabhängig vom biologischen Geschlecht. Man kann das psychische Geschlecht auch als Geschlechtsidentität bezeichnen, wobei der Begriff „Identität“ eingeschränkt wird.
Das soziale Geschlecht bezieht sich auf die Gesellschaft und die Art, wie mit Männern und Frauen in der Öffentlichkeit umgegangen wird. So gibt es von Kultur zu Kultur Unterschiede, z. B. in der Rolle der Frau und der Rolle des Mannes. Das soziale Geschlecht hinterfragt die Aufgaben bzw. Ansprüche an das eigene Geschlecht und die Art, wie es sich in die Gesellschaft integrieren kann bzw. muss.
Es gibt sicherlich sexuelle Identitäten, bei denen einer der vier Bausteine heraussticht, dennoch sind sie alle vier zur Bildung der sexuellen Identität wichtig. Ebenso finden sich einzelne Aspekte des allgemeinen Identitätsbegriffes hier wieder, dabei ist die Selbstwahrnehmung wesentlich. Man kann die sexuelle Identität also als Empfindung des Selbst durch sämtliche sexuellen Faktoren bezeichnen.
2.1.2 Soziale Identität
Jegliche Art von Beziehung spielt eine Rolle für die Identität, sie trägt direkt oder indirekt dazu bei. Die Rolle der sozialen Beziehungen wurde in den 1970er-Jahren in einem sozialen Experiment von Henri Tajfel und John C. Turner erprobt und später als „Theorie der sozialen Identität“ unter dem Titel „The social identity theory of intergroup behavior“ vorgestellt. Betrachtet man die Theorie der sozialen Identität abseits von seinen Ausarbeitungen zu sozialen Konflikten, so sind drei Grundannahmen sowie drei Prinzipien von wesentlicher Bedeutung, was die Identitätsfindung anbelangt.
Die erste Grundannahme, die Tajfel und Turner 1986 aufstellen, ist diese, dass Individuen stets nach Selbsteinschätzung und ihrer Verbesserung streben.
Die zweite Grundannahme sagt aus, dass die soziale Identität einen Teil der Selbsteinschätzung darstellt und sich aus der Mitgliedschaft in verschiedenen sozialen Gruppen und ihrer Bewertung zusammensetzt.
Die dritte Grundannahme besagt, dass sich die Bewertung der Mitgliedschaft aus dem Vergleich mit anderen relevanten Gruppen zusammensetzt. [9 ][10 ][11 ]
Eine soziale Gruppe lässt sich durch Kategorien wie Nationalität, Religion, Aussehen, Geschlecht usw. bestimmen, den Kategorien sind hier keine Grenzen gesetzt.
Die drei Grundannahmen führen zu drei theoretischen Prinzipien:
I. Individuen streben danach, eine positive soziale Identität zu erreichen, welche vollständig durch eine Mitgliedschaft in einer Gruppe definiert ist.
II. Die positive soziale Identität beruht auf einem vorteilhaften Vergleich zwischen der Ingroup und einer relevanten Outgroup. Mit Ingroup ist die eigene soziale Gruppe, mit Outgroup eine fremde soziale Gruppe gemeint.
III. Unbefriedigende soziale Identität führt zum Versuch, die eigene Gruppe zu verlassen und in eine positivere zu gelangen, oder die Individuen versuchen, ihre Gruppe stärker positiv abzusetzen. Die sich daraus ergebene Hypothese ist: „Der Druck, die eigene Gruppe positiv durch Ingroup-Outgroup-Vergleiche zu beurteilen, führt dazu, dass soziale Gruppen sich abgrenzen.“[11 ]
Die Theorie befasst sich noch im weiterführenden Sinne mit den Auswirkungen dieser Erkenntnisse, diese sind jedoch zu umfangreich für eine kurze Zusammenfassung. Es stellt sich heraus, dass eine soziale Identität durch die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und die Bewertung dieser Zugehörigkeit geformt wird. Eine solche Zugehörigkeit - bzw. Mitgliedschaft, wie sie in den Ausführungen der Theorie genannt wird – entsteht durch den Vergleich verschiedener Gruppen, der stets stattfindet und auch zum Verlassen der eigenen sozialen Gruppe führen kann. Eine soziale Gruppe zeichnet sich durch scheinbar unendlich viele Kategorien aus, das Individuum favorisiert diejenige Gruppe, bei der die meisten Kategorien auch auf die persönliche Selbstwahrnehmung zutreffen. Allgemein verfolgt jeder Mensch das Ziel, durch die vollständige Zugehörigkeit zu einer oder mehreren sozialen Gruppen, eine „positive soziale Identität“ zu erreichen.
2.2 Die Adoleszenz
Die Adoleszenz beschreibt die Zeitspanne eines Menschen, in der dieser sich körperlich, sozial und emotional entwickelt und erwachsen wird. Konkret handelt es sich hier meist um die Jahre zwischen dem 11. und 20. bzw. 21. Lebensjahr. In dieser Zeit verlässt der Mensch das Stadium der Kindheit und geht über in das des Erwachsenenalters, in dem er schließlich vollständig gereift ist. Es können Abweichungen in der Dauer und Qualität dieser Entwicklungsphase bestehen, genauso gut kann sie auch deutlich früher wie auch deutlich später als normal auftreten.
Besonders die Entwicklungspsychologie macht sich dieses Thema zum zentralen Gegenstand verschiedener Thesen und Diskussionen. So stellt die Adoleszenz für jedes Individuum eine andere einzigartige Erfahrung dar und die Bedeutung dieser Erfahrungen weicht auch von Person zu Person ab. Im Gegensatz zur „Pubertät“ liegt bei dem Begriff der „Adoleszenz“ der Fokus hauptsächlich auf den psychosozialen Veränderungen, während die Pubertät sich mehr mit den biologischen Reifeprozessen auseinandersetzt, die in der Regel schon vor den geistigen Veränderungen stattfinden können.
Diese psychosozialen Veränderungen meinen das Einleben in bestimmte Verhaltensmuster, Rollen und Pflichten, die jedoch nicht eindeutig festgelegt sind.
2.2.1 Der Einfluss der Eltern in der Adoleszenz
Die Identität setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen, von denen ein wesentlicher die Interaktion mit dem sozialen Umfeld darstellt. Mit Beziehungen sind also nicht lediglich partnerschaftliche Beziehungen gemeint, jegliche Art von sozialem Umgang mit einer anderen Person stellt eine gewisse Art von Beziehung dar. Der Einfluss sozialer Beziehungen für die Identitätsentwicklung ist erheblich, sodass einige Konzepte die Identität nur als Summe verschiedener gesellschaftlicher bzw. sozialer Bestandteile ansehen.
Die elterliche Beziehung stellt die erste Einflussnahme von außen auf den Charakter bzw. die Identität dar. Die Eltern sind im Optimalfall von Geburt an für die Erziehung zuständig und geben dem Kind einige bedeutsame Werte mit auf den Weg. Konkret finden in der elterlichen Beziehung wichtige „Resonanz- und Regulierungsprozesse“ statt.[13 ] Resonanz ist ein ursprünglich aus der Physik stammender Begriff, der die Interaktion zweier Objekte beschreibt, die sich gegenseitig weiter anregen. Übertragen auf die Soziologie bedeutet das die Wechselbeziehung zweier Menschen, in der beide am „Fortschritt“ des jeweils anderen beteiligt sind. Mit Fortschritt ist hier die Anregung zu weiterem Denken, zu Diskussionen und Auseinandersetzungen gemeint, Fortschritt also auf geistiger Ebene. Resonanzprozesse sind daher jene Prozesse in einer elterlichen Beziehung, in der sowohl das Kind als auch die Eltern eine geistige Weiterentwicklung erfahren, indem sie sich mit bestimmten Gegebenheiten auseinandersetzen und durch Formen der Interaktion darüber austauschen. Diese Prozesse sind jedoch nicht stets einfach und einlinig, durch ihre Komplexität, die Missverständnisse, Fehleinschätzungen, gereizte Auseinandersetzungen usw. beinhaltet, erlangen jene Prozesse höheren Wert und Wichtigkeit. Ebendiese Korrekturen sind sogenannte „Regulierungsprozesse“, die mit den Resonanzprozessen einhergehen und diese verstärken. Man kann hier auch von einer Neuordnung bzw. Sortierung der Interaktion sprechen.
2.2.2 Das Stufenprinzip nach Erikson
Das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung ist ein Modell zur Erforschung der individuellen Entwicklung und Krisenbekämpfung und geht zurück auf den Psychoanalytiker Erik H. Erikson. Dieses Modell teilt die Entwicklung eines Menschen in acht Stadien auf, die sich alle zu unterschiedlichen Zeiten im Leben abspielen und jeweils aufeinander aufbauen. Hierbei stützt sich Erikson unter anderem auf das Modell der psychosexuellen Entwicklung nach Freud, wobei er das Gewicht nicht auf die Sexualität legt. Sein Modell konzentriert sich vor allem auf die Bewältigung von Problemen und die jeweiligen Folgen, falls eine Bewältigung scheitert. So formuliert er in jedem Stadium zwei verschiedene mögliche Ausgänge, die von der Art, wie der Einzelne die Probleme bewältigt, abhängen. Vor allem werden wir uns hier auf das fünfte Stadium konzentrieren, denn dieses ist für die folgende Analyse im Film am wichtigsten, da sie sich mit dem Jugendalter befasst, welches in Call me by your name am stärksten thematisiert wird.
In den ersten vier Phasen reift der Mensch von der Geburt bis ungefähr zur Pubertät, das betrifft etwa das 13. oder 14. Lebensjahr. Hierbei baut er Vertrauen oder Misstrauen auf, lernt selbstständig zu werden, entwickelt ein Moralverständnis und versucht, an der Erwachsenenwelt teilzuhaben. Wie schon angemerkt, kann es jedoch auch jederzeit zu einer Krise kommen, durch die der Mensch die jeweilige Phase nicht meistern kann. So kann es zu Misstrauen, Scham und Zweifel oder auch einem Minderwertigkeitsgefühl kommen. [14 ]
Nun zur fünften Phase, die für Call me by your name eine entscheidende Rolle spielt. Sie trägt den Titel „Ich-Identität vs. Ich-Identitätsdiffusion“. Hier gilt es nun im Jugendalter, seine eigene Identität zu formen, indem man lernt, mit anderen Menschen zu interagieren und sein Wissen zu nutzen, um Interessen, Vorlieben, soziale Kontakte etc. zu bilden und zu erhalten. So ist es wichtig, eine „gefestigte Identität“ zu bilden, die sich dadurch ausweist, dass der Einzelne beispielsweise eigene Meinungen formen und äußern kann. Auch die Interaktion mit der „Peer-Group“ ist wichtig, man benötigt Gleichaltrige, mit denen man sich austauschen kann. Diese Peer-Group hilft enorm bei der Identitätsfindung, da man hier mit unterschiedlichsten Meinungen und Identitäten konfrontiert wird. Das durch diese Gruppe ausgestrahlte Zugehörigkeitsgefühl ist dabei ebenfalls bedeutsam. Falls das Eingliedern in die Gesellschaft und das Festigen einer eigenen Identität jedoch nicht gelingt, so kommt es zur Identitätsdiffusion. Von Identitätsdiffusion spricht man bei einer Zersplitterung der Identität, da es dem Individuum nicht gelingt, seine Werte, Ziele und Ausprägungen zu vereinen, und der Austausch mit anderen scheitert. So wird keine gefestigte Identität hergestellt, was besonders dann zum Problem werden kann, wenn man in die nächsten Phasen übergehen muss.[15 ]
Die sechste, siebte und schließlich achte Phase erstrecken sich über das Ende der Pubertät bis hin zum Tod. Hier merkt Erikson an, dass es wichtig ist, Intimität zu einer gewissen Person aufbauen zu können, Erfahrungen zu sammeln und diese zu teilen und schließlich sein Leben zu reflektieren und im besten Fall glücklich darauf zurückzublicken. Auch hier droht die Gefahr von sozialer Isolation oder gegen Ende auch der Angst vor dem Tod, welche durch Krisen initiiert werden können.
Eriksons Stufenmodell befasst sich also mit dem kompletten Leben eines Menschen und unterteilt dieses in acht Stadien. Man erkennt, dass man zu jeder Zeit seines Lebens einer Krise ausgesetzt sein kann und laut Erikson tatsächlich immer wieder die Möglichkeit zum Scheitern hat. Man erlangt also erst am Ende einen Punkt, an dem man sich zurücklehnen kann und keine weitere Krise mehr fürchten muss. Glücklicherweise ist sich der Mensch nicht jederzeit über seine Krisenlage bewusst, was auch ein wichtiger Faktor für die Bewältigung der Konflikte ist. Bewusst oder unbewusst entwickelt sich jedoch jedes Individuum von Phase zu Phase.
III. Call me by your name
3.1 Handlung
Die Geschichte spielt in Norditalien im Sommer 1983. Sie beginnt im Anwesen der Perlmans, Vater Samuel und Mutter Annella Perlman nehmen wie jedes Jahr einen Doktoranden bei sich auf, in diesem Jahr ist die Auswahl auf Oliver, einen 24-jährigen Amerikaner gefallen. Er wird der Familie, unter anderem auch dem 17-jährigen Sohn Elio, vorgestellt und richtet sich ein, von seiner Reise erschöpft und müde.
Nach der ersten Nacht bietet Elio Oliver beim Frühstück eine Führung durch den nahegelegenen Ort Crema an. Dort angekommen setzen sie sich in ein Café und auf die Frage, was Elio den ganzen Tag hier so macht, antwortet dieser: „Bücher lesen, Musik transkribieren, im Fluss schwimmen, abends ausgehen“.
Oliver scheint sich durch seine extrovertierte Art sehr schnell sowohl in der Familie wie auch in der Umgebung einzuleben.
Bei einem Volleyball-Spiel im Garten der Perlmans merkt man zum ersten Mal, dass Oliver Elio emotional nicht ganz unberührt lässt, als dieser eine Pause macht, um Elios Schulter zu massieren, was Elio jedoch abwehrt. Ab diesem Moment rückt die Beziehung der beiden immer mehr in den Vordergrund, Elio kritisiert Olivers arrogante Abschiedsformel, das „Wir sehen uns“, die er oft wiederholt.
Sie lernen sich nach und nach besser kennen, gehen zusammen schwimmen und Elio, der Gitarre und Klavier spielt, zeigt Oliver seine musikalische Seite. Als Oliver an einem Abend vor dem versammelten Freundeskreis von Elio, zu dem auch Marzia, eine sehr gute Freundin von Elio, gehört, mit deren Schwester Chiara flirtet, muss Elio einsehen, dass er neidisch auf Chiara, vielleicht sogar eifersüchtig ist.
In einer darauffolgenden Nacht treffen sich Marzia und Elio an einem See, es kommt zu intimem Körperkontakt, Elio behauptet im Nachhinein, sie hätten beinahe Sex gehabt. Kurz darauf fahren Oliver, Elio und Professor Perlman gemeinsam an den Gardasee, wo es archäologisch interessante Ausgrabungen gibt, die vor allem für Olivers Arbeiten relevant sind.
Oliver spielt für Elio allmählich eine immer größer werdende Rolle, er spürt eine heimliche Zuneigung. Annella Perlman, seine Mutter, liest ihm an einem regnerischen Abend ein Gedicht von Margarete von Navarra vor, in welchem der liebestolle Ritter Armadour von der Frage, ob er seine Liebe offenbaren oder sterben soll, geplagt wird.
Als Elio und Oliver einen Tag gemeinsam in der Stadt verbringen und schließlich zu einem See fahren, offenbart Elio seine Gefühle für Oliver durch einen intensiven Kuss, den Oliver erwidert. Kurz darauf bekommt Oliver jedoch Gewissensbisse, er sagt, er möchte sich „artig“ verhalten. Auch Elios Mutter fällt sein Verhältnis zu Oliver auf, auf ihre Nachfrage reagiert er jedoch ausweichend.
Es folgt eine Phase der Distanz von Seiten Olivers, da er nicht möchte, dass sich diese Beziehung weiter entwickelt, weil die Umstände für ihn möglicherweise peinlich werden könnten. Elio scheint sichtlich bedrückt und weicht auf die Beziehung zu Marzia aus, zu der er noch immer ein Verhältnis hat, sie treffen sich in Crema, er schenkt ihr ein Buch und sie küssen sich. Im weiteren Verlauf des Tages kommt es zum Geschlechtsverkehr.
Dennoch scheint ihn die Angelegenheit mit Oliver nicht in Ruhe zu lassen und durch kleine Zettel kommuniziert er mit ihm, sie vereinbaren ein Treffen um Mitternacht, bei dem sie sich auf dem Balkon vor Olivers Zimmer treffen. Sie unterhalten sich kurz, es kommt wieder zu einem Kuss, anschließend haben sie auch Sex. Hierbei sprechen sich die beiden mit dem Namen des jeweils anderen an.
Diesmal bereut Oliver seine Entscheidung nicht.
Im darauffolgenden Zeitraum ist Elio von heftigen Gefühlen geplagt, er masturbiert auf dem Dachboden in einen Pfirsich, als Oliver ihn dabei erwischt, beißt dieser ein Stück des Pfirsichs ab, Elio beginnt zu weinen.
Marzia bemerkt, dass Elio sie vernachlässigt und spricht ihn darauf an. Auch hier reagiert er ausweichend auf ihre Fragen.
Olivers Tage in dem Anwesen der Perlmans neigen sich dem Ende zu und Elios Eltern haben die Idee, dass Elio Oliver auf seiner letzten Reise nach Bergamo, einem etwas weiter entfernten Ort, wo Oliver noch ein paar letzte Arbeiten erledigen muss, begleitet. Elio und Oliver verbringen dort einige Tage, sie genießen die Zweisamkeit sehr, bis es zum Abschied am Bahnhof in Bergamo kommt, da Oliver in die Staaten zurückkehren muss.
In einem Gespräch mit seinem Vater offenbart dieser, dass er etwas von der Beziehung zwischen Elio und Oliver geahnt hat und dass er, wenn auch nicht so stark wie Elio und Oliver, in Elios Alter auch eine ähnliche Beziehung zu einem Jungen hatte. Er rät ihm, seine Gefühle zu akzeptieren, auch wenn sie ihn im Moment frustrieren.
Einige Monate später, zur Zeit von Chanukka, einem jüdischen Fest, ruft Oliver bei den Perlmans an, er berichtet davon, dass er sich mit einer Frau verlobt hat, eine Beziehung, die anscheinend schon seit längerer Zeit auf und ab ging. Als nur Elio und Oliver telefonieren, nennen sie sich wieder bei dem Namen des jeweils anderen, eine Erinnerung an die Zeit im Sommer. Nach dem Telefonat setzt sich Elio vor den Kamin und beginnt zu weinen, als die Erinnerungen an den Sommer wieder hochkommen.
3.2 Personen
3.2.1 Elio
Elio ist der 17-jährige jüdisch-italienische Protagonist des Romans Call me by your name und seiner gleichnamigen filmischen Adaption. Er wohnt mit seinen Eltern, Sami und Annella Perlman in einer Villa nahe des kleinen Ortes Crema in Norditalien. Elio spielt Klavier und Gitarre, er beschäftigt sich ebenso viel damit, Musik zu transkribieren. Er pflegt ein reges Sozialleben, hat viele Freunde und eine Beziehung zu der gleichaltrigen Marzia, die auch seiner Freundesgruppe angehört. Als im Sommer 1983 der 24-jährige Doktorand Oliver für sechs Wochen in die Villa zieht, ändert sich sein Leben und er verliebt sich in ihn.
Elios Erscheinungsbild und seine Kleidung sind unauffällig, seine Statur ist eher schmächtig. Er ist ein italienischer Junge aus einer offenen internationalen Familie und steckt mitten im Reifungsprozess. Insgesamt ist er eher etwas introvertiert, ist mehr mit sich beschäftigt, er merkt, dass er eine Entwicklung durchmacht und er scheint verwirrt durch die Emotionen, die in ihm aufkommen und die er nicht unterdrücken kann.
Zu Beginn des Films sehen wir Elio mit Marzia, es lässt sich erahnen, dass die beiden eine Beziehung führen, Elio wirkt auf den ersten Eindruck wie ein durchschnittlicher 17-jähriger Junge, nach und nach lernen wir seine Hobbies und Gewohnheiten kennen. Was wir in dem Film jedoch nicht sehen können, was aber mehrfach angedeutet wird, ist der Prozess, den er in seinem Inneren durchmacht, die Gefühle, die er noch nicht kennt und einordnen muss. So begleiten wir Elio auf dem Weg zum Erwachsenwerden in einem Sommer, der sehr markant für diesen Prozess ist.
Beim Volleyball-Spiel massiert Oliver Elio, es gibt hier einen ersten Körperkontakt, Elio blockt diesen jedoch ab. Die Kamera hält weiterhin auf Elio, wir bemerken, dass ihn dieser Moment nicht unberührt lässt, er scheint nachzudenken. Dies lässt sich auch daran erkennen, dass er sogar seine Freundin Marzia abblockt, als diese ihn daraufhin berührt, er scheint sich unsicher und möchte vorerst jeglichen Körperkontakt vermeiden. Als Bestätigung für unsere Vermutung beobachten wir Elio in der nächsten Szene beim Rasieren. Tatsächlich hat er keinen wirklichen Bart, es gibt daher eigentlich keinen Grund, der ihn zwingen könnte, sich rasieren zu müssen. Der wahre Grund scheint der zu sein, dass Elio seinen Körper entdeckt, seine Männlichkeit, deren Symbol unter anderem der Bart ist. Er macht sich also Gedanken über seine Erscheinung und ihm wird sein eigener Körper bewusst, weshalb er sich rasiert, was eine symbolische Handlung ist, die aufzeigt, dass in Elio eine Entwicklung begonnen hat.
Diese Entwicklung zieht sich ab jetzt durch den gesamten Film, wir beobachten ihn nachts in seinem Bett, er rollt sich hin und her, er kann nicht einschlafen, offensichtlich beschäftigt ihn irgendwas.
Zum einen gibt es also die physische Entwicklung, er entdeckt seinen Körper, er rasiert sich, er greift sich in die Hose, spielt mit seinen Achselhaaren, die auch ein Symbol der Männlichkeit darstellen könnten, später masturbiert er. Hier beobachten wir ihn, wie er von einem unerfahrenen Jungen zu einem, zwar nicht vollständig gereiften, aber dennoch erfahreneren jungen Mann wird.
Zum anderen ist da die psychische Entwicklung, die sich in seinem Kopf abspielt und die wir uns als Zuschauer auch nur ausmalen können, denn sie wird nicht so offensichtlich demonstriert wie seine körperliche Entwicklung. Hier macht Elio einen Prozess durch, der ihm viele Erfahrungen einbringt, der ihm Schmerz, aber auch Glück bereitet und ihn formt. Er ist und bleibt eher introvertiert, zurückgezogen und mit seinen Gedanken beschäftigt. Die Liebe und seine eigene Sexualität sind hier Dinge, die ihn stark beeinflussen, die ihm die Emotionen ermöglichen, die er zu fühlen scheint und die die grundlegende Atmosphäre des Films vermitteln, die auch auf der Zuschauer fühlt. Wie sehr er durch die Beziehung zu Oliver reift, wird im Kapitel 3.2.3 beschrieben.
3.2.2 Oliver
Als Elio zu Beginn des Films aus seinem Fenster schaut und Oliver zum ersten Mal erblickt, nennt er ihn „L’Usurpator“, zu Deutsch: „Der Usurpator“. Ein Usurpator ist jemand, der ohne Befugnis widerrechtlich die Gewalt an sich reißt. Die Gewalt, der Thron, das ist hier wahrscheinlich die Villa der Perlmans. Laut Elio wird Oliver also die Verhältnisse deutlich aufwirbeln und eine Änderung mit sich bringen, was die weitere Handlung vorausdeutet.
Oliver ist ein 24-jähriger amerikanischer Doktorand der in dem Sommer, in dem die Geschichte spielt, für sechs Wochen bei den Perlmans untergebracht ist, um mit Professor Perlman, Elios Vater an seiner wissenschaftlichen Arbeit zu arbeiten. Das genaue Thema dieser Arbeit erfährt der Zuschauer nicht, jedoch befassen sich der Professor und Oliver viel mit Archäologie und man kann vermuten, dass sich seine Arbeit auch um dieses Themenfeld dreht.
Auf den ersten Eindruck scheint Oliver typisch amerikanisch. Er tritt gepflegt auf, große Statur, stark gebaut, er spielt gut Volleyball, im Allgemeinen scheint er sportlich und fit. Oliver findet sich schnell in die Familie ein, er ist sehr offen und eher extrovertiert, gleichzeitig aber auch geheimnisvoll. Schon nach wenigen Tagen kennt er mehrere Leute, gleichaltrige und ältere, er trifft sich regelmäßig mit ihnen zum Kartenspielen, was Elio überrascht. Es bahnt sich eine Affäre zwischen ihm und Chiara, einer von Elios Freundinnen, an. Diese Affäre hat jedoch keinen Bestand. Sie wird nach und nach von der Beziehung zwischen ihm und Elio abgelöst. Oliver scheint schon früh Interesse an Elio zu haben, was er auch mit seiner Massage während des Volleyball-Spiels zeigt. Im Nachhinein erzählt er Elio, dass er damit seine Zuneigung zu ihm zeigen wollte, jedoch auf Abstand ging, als er dessen Reaktion sah, was möglicherweise auch eine Begründung für die Beziehung von ihm zu Chiara sein könnte. Als Elio und Oliver sich küssen, scheint ihm dieses Verhältnis zum Sohn seines Vorgesetzten etwas peinlich zu sein. Er möchte nicht, dass dieses Verhältnis ihm noch zum Verhängnis wird, er will sich „anständig“ verhalten, was auch der Grund dafür ist, dass er sich danach ein wenig distanziert. Als er jedoch merkt, dass er seinen Gefühlen nicht widerstehen kann, lässt er sich auf die Beziehung zu Elio ein, sie treffen sich, küssen sich und schlafen miteinander. Am Ende des Films, als Oliver ein paar Monate später noch einmal bei den Perlmans anruft, erzählt er jedoch, dass er sich mit einer Frau verlobt hat, ihn scheinen die Umstände also doch zu überfordern oder er folgt den gesellschaftlichen Konventionen.
Insgesamt handelt es sich bei Oliver also um einen aufgeschlossenen, charismatischen und sozialkompetenten Charakter, der sich schnell mit neuen Situationen abfindet. Umso erstaunlicher ist es, dass er trotz dieses offenen und selbstbewussten Wesens am Ende den Konventionen folgt, anstatt seine Homosexualität auszuleben, wohingegen Elio seine Gefühle zulässt und mit der Zeit akzeptiert.
3.3 Beziehungen
3.3.1 Elio & Oliver
Betrachtet man die Buchstaben der beiden Namen „Elio“ und „Oliver“, so fällt einem auf, dass die vier Buchstaben von „Elio“ alle auch in „Oliver“ enthalten sind. Die beiden Namen sind zwar keine vollständigen Anagramme voneinander, sie sind sich jedoch lautlich sehr ähnlich. „Elio“ endet mit den Buchstaben L, I und O. „Oliver“ beginnt mit den Buchstaben L, I und O. Sagt man „Elio“ und „Oliver“ hintereinander, so harmonieren die Namen sehr schön, was eben daran liegt, dass sich Laute des einen Namens in dem anderen wiederfinden. Als Oliver und Elio das erste Mal miteinander schlafen, gewöhnen sie sich an, sich beim Namen des jeweils anderen zu nennen. „Nenn mich bei deinem Namen“ (oder im Englischen Call me by your name) ist das, was Oliver zu Elio in dieser Nacht sagt. Die Namen der beiden spielen also eine große Rolle, wie sich erkennen lässt. Die Tatsache, dass ihre Namen so gut harmonieren, verweist bereits auf ihre enge Beziehung und ihre Verschmelzung.
Oliver kommt als eine Person zu den Perlmans, die zu Elio eigentlich normalerweise ein neutrales Verhältnis haben sollte. Der Doktorand der Familie ist hauptsächlich aus wissenschaftlichen Gründen da, der Sohn des Professors spielt normalerweise keine Rolle. In diesem Sommer ist aber alles etwas anders, Oliver ist kein typischer Doktorand, er scheint nicht nur wegen seiner wissenschaftlichen Arbeit gekommen zu sein, er zeigt auch Interesse an den Personen und Orten der Umgebung. Beim Volleyball-Spiel zeigt er das erste Mal Interesse an Elio. Die Beziehung ist hier unausgeglichen, Oliver scheint, was er im Nachhinein auch zugibt, Interesse an Elio zu haben, ein Interesse, das Elio nicht erwidert oder sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingestehen kann. Im Gegenteil: Etwas später beschreibt Elio Oliver als arrogant, er kritisiert sein „Wir sehen uns“ (im englischen Original „Later“). Die Tatsache, dass er Olivers Verhalten kritisiert, zeigt jedoch, dass er über ihn nachgedacht hat. Möglicherweise ist diese Kritik an Olivers Geste ein Abwehrmechanismus, vielleicht hat er selbst gemerkt, dass er Oliver nicht ganz unattraktiv findet, ist sich aber der Unmöglichkeit der Beziehung bewusst oder hat Angst davor und muss deshalb nach außen hin zeigen, dass er nicht an Oliver interessiert ist, damit auch etwaige Spekulationen nicht auftreten können.
Auch im weiteren Verlauf der Handlung sieht man, dass Elio sichtlich mit etwas beschäftigt ist, er kann nachts nicht einschlafen, irgendetwas hält ihn wach. So bahnt sich die Beziehung der beiden nach und nach an, Elio wird sich seiner Gefühle bewusster, er versucht schließlich nicht mehr, sie zu unterdrücken. So begibt es sich, dass die beiden immer mehr Zeit miteinander verbringen. Zudem unterhalten sie sich auf eine Art, bei der man merkt, dass etwas „in der Luft liegt“. Oliver interessiert sich für Elios musikalische Seite, als sie etwas später zusammen im Schwimmbecken baden, fragt Oliver Elio, worüber er nachdenkt, dieser jedoch verrät es nicht. Hier scheint sich Elio noch gegen seine Gefühle zu wehren.
Ein weiteres wichtiges Ereignis ist die Szene auf der Tanzfläche. Oliver küsst Chiara, es ist nicht eindeutig, ob dieser Akt tatsächlich aus Zuneigung und Anziehung entstanden ist, jedoch muss Elio schmerzlich einsehen, dass es ihn nicht unberührt lässt, Oliver mit einem Mädchen zu sehen. Hier ist auch die Kameraarbeit von großer Bedeutung: Die Schärfe ist nicht richtig synchron mit den Bewegungen Elios, alles ist etwas verschwommen, unscharf, das Bild entwickelt sich nur langsam.
So kommt es, dass Elio, möglicherweise auch aus einem Schutzmechanismus heraus, vor Oliver auf die Beziehung zwischen ihm und Chiara anspielt. Oliver jedoch nimmt diese Anmerkung nicht mit Humor. „Spiel dich nicht als guten Gastgeber auf“, das sind die Worte Olivers zu Elio, kurz bevor sie gemeinsam an den Gardasee fahren, um sich mit Professor Perlman zusammen archäologische Befunde anzuschauen. Der Gardasee ist auch der Ort, an dem sich die beiden wieder versöhnen, symbolisch indem Oliver Elio den abgebrochenen Arm einer Statue gibt, sie beide schütteln die Hände über diese Statue. Beim genaueren Betrachten, fällt einem auf, dass es sich hierbei um die Venus, die römische Göttin der Liebe, des erotischen Verlangens und der Schönheit handelt.
Der nächste ausschlaggebende Punkt ihrer Beziehung ist der stürmische Abend, an dem Elio daheim bleibt und seine Mutter ihm ein Gedicht von Margarete von Navarra vorliest, das von einem Ritter handelt, der sich mit der Frage beschäftigt „Was ist besser, zu reden oder zu sterben?“. Elio scheint diese Geschichte auf sein eigenes Liebesleben mit Oliver zu beziehen und allem Anschein nach die Option des Redens zu wählen.
Etwas später kommt es dann zu einem Höhepunkt ihrer Beziehung: Nach einer langen Tour durch die Stadt mit dem Fahrrad, indem die Verliebtheit der beiden deutlich wird, kommt es schließlich zum Kuss. Sie küssen sich an einem See, dem Ort, an den Elio, wie er sagt, immer kommt, wenn er alleine sein möchte, es handelt sich hier also auch um einen intimen Einblick in seine Privatsphäre. Nachdem sie sich geküsst haben, äußert Oliver jedoch Bedenken, bezüglich der Tatsache, dass diese Art von Beziehung sehr problematisch sein könnte, er sagt, er möchte „artig“ sein, hier zeigt sich, dass Oliver sich mehr an den gesellschaftlichen Konventionen, als an Elio selbst orientiert, was letztendlich auch die grundlegende Problematik der Beziehung ist und diese somit teilweise zum Scheitern verurteilt.
So folgt also daraufhin eine Zeitperiode der Distanz, Elio und Oliver reden kaum mehr miteinander, Elio weicht auf seine Beziehung mit Marzia aus, vermutlich auch, um den Schmerz, der durch die „Trennung“ da ist, zu unterdrücken. Als Elio jedoch merkt, dass er es nicht mehr aushält, vereinbart er per Zettel ein Treffen mit Oliver um Mitternacht, bei dem es auch zum Sex zwischen den beiden kommt. Man erkennt also, dass beide zwar wissen, wie problematisch diese Beziehung ist, ihre Gefühle jedoch intensiver sind, als der Wille die „Regeln zu befolgen“. Oliver zeigt diesmal keine Reue, er ist glücklich über das, was geschehen ist. Elio trägt Olivers Hemd, das dieser ihm auf seinen Wunsch hin überlassen hat. Die Zuneigung der beiden zueinander ist nun offensichtlich, es handelt sich um eine intensive Liebesbeziehung. Hier schneide ich erneut das Thema der Kameraführung an, denn es ist interessant, dass beim Höhepunkt der Beziehung, dem Geschlechtsverkehr, darauf verzichtet wird, Nacktheit und Intimität zu zeigen, obwohl der Film auch sonst auf solche Zensur keine Rücksicht nimmt. Tatsächlich kann man nur ahnen, dass es zum Geschlechtsverkehr kommt, denn als es soweit ist, schwenkt die Kamera auf einen Baum und hält dort für circa zehn Sekunden an. Die Liebesbeziehung der beiden ist etwas, das man nicht durch Worte oder Bilder ausdrücken kann, würde die Kamera den Geschlechtsverkehr der beiden filmen, so hätte die Beziehung einen Rahmen, alles, was man sieht, passiert, und alles, was man nicht sieht, passiert nicht. Indem die Kamera jedoch auf den Baum schwenkt und bewusst eine Demonstration des Offensichtlichen auslässt, passiert all das im Kopf des Zuschauers, dort, wo es keine Grenzen gibt. Die Vorstellungskraft des Menschen ist unendlich, groß genug, um eine der tatsächlichen Handlungen entsprechenden Vorstellung zu ermöglichen. Gleichzeitig garantiert die Kameraführung die Intimität der Liebenden.
Mit dem Glück der Beziehung, kommt auch die Trauer. Elio steht am Bahnhof und fragt seine Mutter mit weinerlicher Stimme, ob sie ihn abholen kann. Es war von Anfang an klar, dass die Beziehung irgendwann ein Ende finden muss, Olivers Abreise stand die ganze Zeit bevor. Die Intensität der Beziehung wird letztendlich auch durch Elios unbeschreiblichen Kummer deutlich, der Zuschauer sieht, wie sehr ihm die endgültige Trennung von Oliver weh tut, auch diese Trauer beschreibt die Beziehung wieder auf eine nicht genau greifbare, aber dennoch offensichtliche Art und Weise. Interessanterweise zeigen sich auch schon vor der ersten Annäherung Ähnlichkeiten zwischen Elio und Oliver: Beide versuchen, sich von ihren homoerotischen Gefühlen durch den Kontakt zu einem Mädchen abzulenken, wobei bezeichnenderweise beide Mädchen Geschwister sind.
Man kann also festhalten, dass die Beziehung zu Oliver so intensiv ist, dass die Trennung Elio schwer zu schaffen macht. Der Trennungsschmerz mag auch darin begründet sein, dass Elio selbst merkt, wie wichtig Oliver für seine Persönlichkeitsentwicklung geworden ist. Durch ihn wird ein innerer Reifungsprozess ausgelöst, der im Sinne Eriksons zur Ausbildung der „Ich-Identität“ beiträgt. Dies wird dem Zuschauer dadurch kenntlich, dass er unter dem Einfluss Olivers an Sicherheit gewinnt in Dingen, die seine Identität ausmachen. Oliver regt ihn dazu an, in seiner Musik authentisch und klar zu sein. Und er ermutigt ihn dazu, wie er selbst, sich offen zu seinem Judentum zu bekennen. Während Elio am Anfang seine Kette mit dem Davidstern, dem Rat seiner Mutter folgend, unter dem Pullover trägt, folgt er später dem Rat und dem Beispiel Olivers und trägt ihn offen. In einigen Liebesszenen fokussiert die Kamera die Davidsterne der beiden, wodurch deutlich wird, dass sie sich sowohl einer religiösen als auch einer sexuellen Randgruppe zugehörig fühlen und sie als Ziel ihrer Identität begreifen.
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1 https://www.google.com/search?q=identit%C3%A4t+definition&oq=identit%C3%A4t+definition&aqs=chrome..69i57j0l9.2854j0j7&sourceid=chrome&ie=UTF-8
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Identit%C3%A4t
3 Vgl.: Stoffers, Marika (2003) „Identitätsfindung im Jugendalter“, Rostock, S. 1.
4 Vgl.: https://www.youtube.com/watch?v=3iZDTBcbfuU
5 Platon 1958, S. 127f.
6 Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Stufenmodell_der_psychosozialen_Entwicklung
7 https://de.wikipedia.org/wiki/Sexuelle_Identit%C3%A4t
8 https://www.lustundfrust.ch/jugendliche/sexuelle-identitaet
9 Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_sozialen_Identit%C3%A4t
10 http://web.mit.edu/curhan/www/docs/Articles/15341_Readings/Intergroup_Conflict/Tajfel_&_Turner_Psych_of_Intergroup_Relations_CH1_Social_Identity_Theory.pdf, S. 6
11 https://nanopdf.com/download/social-identity-theory-handout_pdf, S.1
12 Vgl.: https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/kinder-jugend-psychiatrie/warnzeichen/adoleszenz-adoleszenzkrisen/pubertaet-und-adoleszenz/
13 Vgl.: https://www.wahrendorff.de/fileadmin/user_upload/pressemeldungen/2018/Vortrag_Bonnet.pdf.
14 Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Stufenmodell_der_psychosozialen_Entwicklung
15 Vgl.: https://flexikon.doccheck.com/de/Stufenmodell_der_psychosozialen_Entwicklung
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