Es ist allgemeines Gefühl, dass die parlamentarische Demokratie seit Jahrzehnten krankt. Nicht-Wähler, Wutbürger, Reichsbürger, Impfgegner und die AfD. Der gemeinsame Nenner dieser Bewegungen: Wut auf das politische Establishment. Nicht die vorgetragenen Argumente sind dabei wichtig – sie sind beliebig. Sie drücken nur den Willen der Bürger zur Eigenständigkeit aus gegenüber der von oben geforderten Meinung. Widerstand entsteht, weil es das Ziel unserer parlamentarischen Demokratie ist, Bürger bei Sachentscheidungen auszuschließen. Die Mehrheit der Bürger könnte sonst ja die Minderheit der Reichen enteignen.
Wahlen sind immer oligarchisch. Charismatische, rhetorisch versierte und gut ausgebildete Personen, die meist ja nicht arm sind, werden eher gewählt als du und ich. Nur die Auswahl durch das Los wurde in der Antike als demokratisch betrachtet; sie gibt allen die gleiche Chance. Aber nicht diese Regel bewegt Wutbürger, sondern das einfache Gefühl: Wer mich nicht will, den will ich auch nicht. Machen die mich zum Objekt, dann sind die für mich auch Objekt und nicht mein Ding. Das Gleiche gilt manchmal in Familien, oft in Schulen und häufig am Arbeitsplatz. Wutbürger sind in der parlamentarischen Demokratie – bestehen bestimmte Bedingungen – endemisch; die von Entscheidungen Ausgeschlossenen melden sich zurück. Ihre Würde als Bürger ist verletzt und dass die Würde des Menschen unantastbar ist, steht irgendwo. Erst wenn „Demokratie“ demokratisiert wird, werden sich Wutbürger auflösen.
Bei der Entscheidung über Abtreibung und Gleichgeschlechtliche Ehe im stock-katholischen Irland waren die Bürger eingebunden: 99 zufällig ausgewählte Iren, die „Citizen Assembly“, berieten dazu und formulierten mehrheitlich zustimmende Vorschläge, die eine Volksabstimmung bestätigte. Im säkularen Frankreich beschloss das Parlament das Gleiche – nach 110 Stunden Debatte gegen viele konservative Anträge; die Folge waren wochenlange Proteste und Unruhen auf den Straßen.
Nur Demokratie kann „Demokratie“ heilen Ivo Dubiel
Es ist allgemeines Gefühl, dass die parlamentarische Demokratie seit Jahrzehnten krankt. Nicht-Wähler, Wutbürger, Reichsbürger, Impfgegner und die AfD. Der gemeinsame Nenner dieser Bewegungen: Wut auf das politische Establishment. Nicht die vorgetragenen Argumente sind dabei wichtig – sie sind beliebig. Sie drücken nur den Willen der Bürger zur Eigenständigkeit aus gegenüber der von oben geforderten Meinung. Widerstand entsteht, weil es das Ziel unserer parlamentarischen Demokratie ist, Bürger bei Sachentscheidungen auszuschließen. Die Mehrheit der Bürger könnte sonst ja die Minderheit der Reichen enteignen.
Wahlen sind immer oligarchisch. Charismatische, rhetorisch versierte und gut ausgebildete Personen, die meist ja nicht arm sind, werden eher gewählt als du und ich. Nur die Auswahl durch das Los wurde in der Antike als demokratisch betrachtet; sie gibt allen die gleiche Chance. Aber nicht diese Regel bewegt Wutbürger, sondern das einfache Gefühl: Wer mich nicht will, den will ich auch nicht. Machen die mich zum Objekt, dann sind die für mich auch Objekt und nicht mein Ding. Das Gleiche gilt manchmal in Familien, oft in Schulen und häufig am Arbeitsplatz. Wutbürger sind in der parlamentarischen Demokratie – bestehen bestimmte Bedingungen – endemisch; die von Entscheidungen Ausgeschlossenen melden sich zurück. Ihre Würde als Bürger ist verletzt und dass die Würde des Menschen unantastbar ist, steht irgendwo. Erst wenn „Demokratie“ demokratisiert wird, werden sich Wutbürger auflösen.
Bei der Entscheidung über Abtreibung und Gleichgeschlechtliche Ehe im stock-katholischen Irland waren die Bürger eingebunden: 99 zufällig ausgewählte Iren, die „Citizen Assembly“, berieten dazu und formulierten mehrheitlich zustimmende Vorschläge, die eine Volksabstimmung bestätigte. Im säkularen Frankreich beschloss das Parlament das Gleiche – nach 110 Stunden Debatte gegen viele konservative Anträge; die Folge waren wochenlange Proteste und Unruhen auf den Straßen.
Das Volk fühlt sich durch „Volksvertreter“ weithin nicht vertreten1: In Chile stimmten nach Unruhen 78% für eine Verfassung, die die des Diktators Pinochet ablöst, und 79 % wollten nicht, dass gewählte Parlamentarier an den Beratungen zur neuen Verfassung beteiligt werden. Man wählte eigene Vertreter. Im klassischen Athen bedeutet Demokratie nach Aristoteles „regieren und regiert werden“. Aber genau das ist in parlamentarischen Demokratien nicht gegeben. „Regieren“ muss delegiert werde. Daher ist die „repräsentative Demokratie“ unrepräsentativ: Kein Handwerker kann sich leisten, Abgeordneter zu werden; das können nur Juristen und Lehrer. Und wer keine Möglichkeit der Mitwirkung hat und sich gesteuert und geschubst fühlt, wenn der Staat etwas verordnet, bewahrt sich seine Selbständigkeit als Bürger, bleibt Subjekt, indem er das Gegenteil fordert, ganz gleich was. Demokratie bedeutet „Macht des Volkes“ und das Volk in seiner Ohnmacht wehrt sich.
Solange es in einem Herrschaftssystem vorwärts geht – sei es in Adenauers Deutschland oder im kommunistischen China – spielt die Regierungsform keine Rolle. Sind aber gewisse soziale und wirtschaftliche Bedürfnisse erfüllt wie in Hongkong, ist man der Bevormundung überdrüssig, will Subjekt bleiben, nicht Objekt werden. Wenn der „amerikanische Traum“ zerbricht und Eltern für ihre Kinder keine besseren Aussichten sehen, zerbricht die Loyalität mit Systemen, die Bürger von Entscheidungen ausschließen. Man will mitbestimmen. Der Untergang der Sowjetunion, die als Systemalternative den Westen disziplinierte, und die Globalisierung, die Unternehmen von nationalstaatlichen Vorschriften befreite, verminderten den Einfluss der Bürger. Und diese reagierten. Um das Esta-blishment zu schwächen, wählen sie andere Ordnungen und manchmal volkstümelnde Führer, die sie vom Ziel, ein politisches Subjekt zu werden, eigentlich entfernen, die aber den Protest gegen das Establishment ausdrücken.
Zum Glück lesen Protestbürger keine Dokumente. Sie würden dann lesen, dass die Bundeszentrale für politische Bildung in Schulen und im Netz verbreitet: „Die politische Theorie antiker Denker wie Platon und Aristoteles gilt als wegweisend für die Entwicklung der modernen Demokratie“.2 Völlig richtig, denn diese antiken Denker waren Gegner der Demokratie und lobten das militärische Kloster Sparta (Spartas Hauptsorge war, seine vielen Sklaven könnten rebellieren). Das Volk als Mehrheit darf die Reichen nicht überstimmen können. Damit haben wir die „Demokratie“, die wir haben: ein „Mischsystem“, in dem Oligarchien die Demokratie vor ihren „selbstzerstörerischen Elementen“ schützen.3
Der fast 200-jährigen stabilen Demokratie des antiken Athens schreiben „Demokraten“ zur Rechtfertigung ihres Regimes Instabilität zu, weil sie 411 und 404 unterbrochen war. 411 drohte eine Eroberung durch Sparta und die Athener wählten eine Notregierung, die dann putschte. Nach 4 Monaten siegte die Demokratie. 404 setzten die siegreichen Spartaner Oligarchen ein, die 1500 Demokraten ermordeten. 8 Monaten später war der Spuck zu Ende. Keine griechische Oligarchie war so stabil wie die attische Demokratie.4 Selbstorganisierte Systeme haben allgemein eine starke Heilungskraft, wenn sie nicht zu sehr beschädigt sind. Beim Menschen nennt man das Gesundheit.
Aristoteles Argumente gegen eine Demokratie sollten unverändert das prägen, was sich heute Demokratie nennt. Nicht die Bürger sollten gleiches Rede- und Stimmrecht haben, sondern die sozialen Klassen.5 Reiche und Arme sollten gleich sein, denn sonst würde die Mehrheit der ärmeren Bürger die Reichen enteignen (Platon, Republic 565A; Aristoteles, Politics 130b 20-24 & 1320 a4 4-6). Alles andere führe zum Bürgerkrieg. Beschlüsse der Volksversammlung werden durch Aristoteles wie durch die Väter der us-amerikanischen Verfassung und bis zum Grundgesetz eines Theodor Heuss diskreditiert. Aristoteles: „Und diese Männer [die Demagogen] machen, dass die Beschlüsse der Volksversammlung bestimmend sind und nicht die Gesetze [ausgelegt durch den aristokratischen Areopag], indem sie alles vor das Volk bringen. So kann es nicht fehlen, dass sie selbst groß werden, wenn das Volk über alles Herr ist, und sie über die Meinung des Volkes, indem der große Haufen ihnen beipflichtet“ (Aristot. Pol. IV, 4; 4.1292a). Somit herrschten in Athen nicht die Bürger, sondern laut Aristoteles und seinen „demokratischen“ Jüngern die Demagogen.
In den „Federalist Papers“6 fordern die Väter der us-amerikanischen Verfassung, jede Mitwirkung des Volkes an Entscheidungen zu verhindern.7 Und die us-amerikanische Verfassung ist Vorbild für viele andere. „Eine reine Demokratie … kann keine Heilung für die Missstände der Fraktionen ergeben“.8 „Die häufigste und dauerhafteste Quelle für Fraktionen war jedoch die vielfältige und ungleiche Verteilung des Eigentums. Diejenigen, die es haben und diejenigen ohne Eigentum, bilden immer unterschiedliche Interessen in der Gesellschaft“.9 Auch ist eine reine Demokratie „immer ein Spektakel von Turbulenzen und Auseinandersetzungen, wurde schon immer als unvereinbar mit persönlicher Sicherheit oder den Eigentumsrechten befunden; und waren im Allgemeinen in ihrem Leben so kurz wie in ihrem Tod gewalttätig“.10 Volksversammlungen der beeinflussbaren und sprunghaften Bürger sind sinnlos: „In allen sehr zahlreichen Versammlungen, ganz gleich wie zusammengesetzt, entreißt die Leidenschaft der Vernunft immer wieder das Zepter. Wäre jeder athenische Bürger ein Sokrates, jede athenische Versammlung wäre immer noch ein Mob gewesen“.11
Aristokraten wie ihren Nachfolgern, den Großbürgern, ist jede Mitwirkung des Volkes verhasst. Es sind soziale Rassisten. Athens Demokratie wurde verspottet und seine wirtschaftliche, kulturelle und soziale Blüte – eine Folge der Demokratie – unterschlagen. Weniger demokratische Systeme – Rom, Sparta, Karthago – waren das Vorbild. In den geheimen Verhandlungen der Teil-Staaten waren die Väter der US-Verfassung offener: „[Grundbesitzer] sollten so eingebunden sein, dass sie die Minderheit der Reichen vor der Mehrheit schützen. Der Senat sollte daher dieses Gremium sein“.12 Erst ab 1913 wurde der Senat direkt gewählt, nicht mehr durch die Länderparlamente.
Der gleiche Geist bestimmt das deutsche Grundgesetz. Volksabstimmungen waren für Theodor Heuss in den Beratungen zum Grundgesetz ein Tabu. Der Souverän, das Volk, „ist ein bissiger Hund“13 und sein Einfluss muss minimiert werden. Heute beißt das Volk zurück. Das Grundgesetz ist nicht wie in normalen Staaten durch eine Volksabstimmung gebilligt. Das grundgesetzliche Versprechen (Art. 146 alter Fassung),14 dies bei einer Wiedervereinigung nachzuholen, strich man später einfach aufgrund der „Pöbelfurcht“ des Parlaments.
Die als Gegenmodell zur Demokratie gegründeten Republiken betrachten sich heute als Demokratien. Das ist günstig, denn ist Demokratie die beste Verfassung, ist jeder Versuch der Veränderung oder Verbesserung als Angriff auf die bestehende „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ zu bekämpfen. Den Etiquetten-Wechsel verursachte Alexis de Tocquevilles Beschreibung der us-amerikanischen Gesellschaft unter dem Titel „Über die Demokratie in Amerika“ (1835/1840). Und so pries die Encyclopedia Britannica 1842 (VII, 708) die USA als „das vollendete Beispiel einer Demokratie“. 1771 (II, 415) meinte sie im Artikel über Demokratie noch: [W]as unsere modernen Republiken betrifft, … kommt ihre Regierung der Aristokratie näher als der Demokratie“.
Was diese gegensätzlichen Demokratievorstellungen unterscheidet, ergäbe sich, würden wir heute einem klassischen Athener unsere Demokratie erklären. Sehr erstaunt würde er antworten: „Was ihr heute habt, hatten wir auch. Charismatische Führer aus großen Familien, denen jeweils Teile des Volkes folgten und die sich heftig bekämpften. Sie stützten sich auf bestimmte Gebiete und Berufe und ihr Streit zerriss die Gesellschaft. Daher folgte die Volksversammlung Kleisthenes Vorschlag (508/507), durch Teilung ähnlicher und Verbindung heterogener Teile die attische Gesellschaft zu homogenisieren“. Innerhalb von jedem der künstlichen neuen 10 Stämme des Kleisthenes finden sich alle sozialen Gruppen und Widersprüche Attikas. Aber alle Stämme haben dieselbe soziale Struktur. Statt der früheren Debatten (débattre = kämpfen, umschlagen) zwischen Blöcken mit gegensätzlichen Interessen war nun eine Beratung (Rousseau: „délibération“, von libra = Waage; Argumente abwägen) möglich zwischen unterschiedlichen Meinungen ohne jedes Partei-Interesse. Dies war die Grundlage der attischen Demokratie. Auch in 200 Jahren führten Meinungsunterschiede in der Volksversammlung niemals zu einer Parteibildung.
Auch Rousseau sah in Sparta das Vorbild, nicht in Athen.15 Sein demokratisches Ideal, die „volonté générale“, der Allgemeine Wille, spiegelt aber die Beratungen und Entscheidungen des antiken Athens. Eine „volonté générale“ entsteht erst in der Beratung. Keine Umfrage kann sie vorher bestimmen. Denn wäre sie die Summe der Einzelmeinungen, jede Beratung wäre überflüssig. Eine Beratung muss nach Rousseau aber Bedingungen erfüllen: 1. Es muss vorher bekannt sein, worüber beraten wird, so dass jeder sich Gedanken macht, sich aber nicht vorher mit anderen abspricht.16 2. Jeder Bürger spricht nur für sich und nicht für eine Gruppe.17 Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Verbände dürfen die Unabhängigkeit der Meinungen nicht verändern. Sie sollten besser nicht bestehen, denn sie schrumpfen die Vielfalt unabhängiger Stimmen zum Interessen-Konflikt sich bekämpfender Blöcken.18 Meinungen können sich durch Beratung ändern; Interessen sind immun gegen Argumente. Kleisthenes Reform der attischen Gesellschaft löste Abstimmungsblöcke auf ermöglichte eine „volonté générale“.
In Abstimmungen unter diesen Bedingungen – mit oder ohne Beratung19 – ergeben sich additive Überlagerungen vieler kleiner und unabhängiger Zufallseffekte; der Gesamteffekt ist annähernd eine Normalverteilung, die Glockenkurve. Schätzen viele Bürger die Kugeln in einem Glas oder das Gewicht eines Hundes, kann jeder falsch liegen. Der Mittelwert der Glockenkurve ist das beste Ergebnis. Gauß stellte die mathematischen Eigenschaften der Normalverteilung 1809 vor. Rousseau 1762 kannte aber bereits Vorarbeiten (Moivre 1738, 1773) oder beobachtete dies empirisch in den schweizer Landsgemeinden.
Sieht man in Rousseaus „volonté générale“ eine Normalverteilung, bedeutet dies, dass 68% der Mehrheitsentscheidung eher zustimmen, während 16 % aus einem und 16% aus dem entgegengesetzten Grund die Mehrheitsentscheidung ablehnen. Bei Rousseau liest sich das so: „Zieht man nun von diesen Willensmeinungen das Mehr oder Minder ab, das sich gegenseitig aufhebt, so bleibt als Differenzsumme der allgemeine Wille übrig.“20
In einer „volonté générale“ steht das Stimmverhältnis der Mehrheitsentscheidung von vornherein fest. Im Idealfall stimmen 68 % für die Mehrheitsentscheidung, die durch Beratung aber erst gefunden werden muss. In schweizer Landsgemeinden wird seit Jahrhunderten aber ein Drittel der Anträge ohne Gegenstimmen angenommen, weil die Minderheit sich aufgrund der Beratung der Mehrheitsmeinung anschließt. In einer „volonté de tous“, die heute als Demokratie durchgeht, steht umgekehrt immer erst das Programm fest und eine Kampfabstimmung ergibt, welches der Parteiprogramme nun Regierungsprogramm wird; eine Koalition erfordert einen Deal zwischen Parteien. Diese Mehrheit ist keine Mehrheitsentscheidung des Volkes.
Historisch sind Mehrheitsentscheidungen selten. Außer im antiken Griechenland galten sie nur zeitweilig in Island, im vor-exilischen Judentum, in Nord-Indien, in Samoa und länger in buddhistischen Klöstern Japans sowie teilweise in Rom.21 Herdenverhalten, bei dem einige bestimmen, wer zuerst fressen und begatten darf, wer besteuert wird und wer nicht, ist vorherrschend. So werden heute die Staatskosten vor allem durch Mehrwert- und Lohnsteuer gedeckt, also durch die Ärmeren; wer eigentlich regiert, wird so deutlich. In Athen übernahm jeder Reiche die Finanzierung bestimmter Ämter (Leiturgie, „Dienst am Volk“),22 denn Steuern zahlten nur Unterworfene und Abhängige.
Hierarchiefreie, selbstorganisierte Strukturen mit all ihren Vorteilen sind unter Menschen die Ausnahme. Im Tierreich wie in Athen sind sie erfolgreich. Schwärmende Bienen bestimmen demokratisch den nächsten Nestplatz. Bakterien entscheiden über Wort-Moleküle, ob ihre Anzahl groß genug ist, „gesellschaftlich“ zu überleben, indem sie erfolgreich pathogen werden oder zusammen einen schützenden Schleim bilden. Auch Schwalben-Schwärme und die Reaktionen unseres Körpers kennen keinen intelligenten Führer. Aber in all diesen erfolgreichen selbstorganisierten Strukturen ohne Hierarchie fehlt der Störfaktor: Eigentum und Vorrechte, die gegen andere zu verteidigen sind.
Heutige Demokraten glauben, im besten Herrschaftssystem zu leben und haben daher mit der besseren Demokratie, Rousseaus „volonté générale“, Schwierigkeiten. Besser als eine Mehrheit von über 55 % könne doch nur Einstimmigkeit bedeuten.23 Sie unterstellen Rousseau, seine „volonté générale“ fordere eine Gesellschaft von Klonen.24 Selbst Hannah Arendt ist davon nicht frei.25 Dass bei Einstimmigkeit Demokratie unnötig ist, fiel nicht auf.
„Volonté générale“ bedeutet die Mitwirkung des ganzen Volkes. Und genau das zu verhindern ist der Sinn parlamentarischer „demokratischer“ Verfassungen. Die Mehrheit der Ärmeren und „Dümmeren“ könnte ja die Reichen überstimmen. „Volonté générale“ ist aber vor allem Beratung, „délibération“. Für heutige Demokraten ist dies absurd – wie kann der Mob beraten? In nicht-romanischen Übersetzungen wird Rousseaus „délibération“ daher mit „Beschluss“ und „decision“ übersetzt.26 Selbst „avis“, Meinung, übersetzt man manchmal mit „Beschluss“.27 Die Hand heben kann jeder, beraten aber nicht gemäß diesen Ideologen. Diese Falsch-Übersetzung verschiebt den Inhalt von „Demokratie“: Die Abstimmung, nicht die Beratung wird zentral. Man rettet so Rousseau vor seiner absurden Meinung, das Volk könne beraten, und rettet das eigene System vor Rousseaus besserer Demokratie.
Was „gesunder Menschenverstand“ ist, bestimmt heute weiter die klassische Physik Newtons. Damit unvereinbare Erkenntnisse des letzten Jahrhunderts – Einsteins gekrümmte Raumzeit, die Gleichzeitigkeit eines Teilchens an zwei Orten, die negative Entropie – bleiben unverstanden. Die klassische Physik ist linear. 1 Mio plus 2 Mio ergibt immer 3 Mio, denn das Ganze ist die Summe seiner Teile. Heutige Physik ist nicht-linear. „[T]he whole becomes not only more than but very different from the sum of its parts“ (Anderson, 1972, Nobelpreis)28. Eine Addition von Nanoteilchen erklärt nicht die Härte von Metallen. Keine Summe von H [2] O erklärt Regen oder Schnee, denn das Molekül ist nicht nass. Keine Summe von Ameisen erklärt den Ameisenstaat.
Eine Makro-Eigenschaft entsteht durch selbstorganisierte Interaktion der Elemente (Emergenz); sie ergibt sich nicht aus der Addition der Einzel-elemente. Leben als selbst-ordnende chemisch/biologische Struktur ist anders undenkbar. Auch gesellschaftliches Leben ist nicht die Summe der Einzelmeinungen, sondern das Ergebnis von Beratung und Übereinkunft. Aristoteles (Pol. 1.254a) ist ein Feind der Demokratie: „In jeder zusammengesetzten Sache … [findet] sich immer ein herrschender und ein untergebener Faktor … und diese Eigenschaft von Lebewesen [ist] in der gesamten Natur vorhanden.“ Aber für die attische Volksversammlung scheint ihm das nicht zu gelten: „Und so dürfte man denn nach dieser [antidemokratischen] Erwägung die Menge weder über die Wahl, noch über die Rechenschaftslegung der Beamten zum Herrn machen. Aber vielleicht bestehen nicht alle diese Gründe zu Recht, … denn jeder einzelne wird zwar ein schlechterer Richter sein als der Wissende, wenn sie sich aber alle zusammentun, sind sie besser, oder doch nicht schlechter“ (Pol. III, 11; 3.1282a). Und genauer: „Die Sicht, dass die Menge der Souverän sein soll und nicht die Wenigen mit der größten Tugend, könnte erklärbar sein und einige Berechtigung haben oder selbst wahr sein. Die vielen nämlich, von denen jeder einzelne kein tüchtiger Mann ist, mögen trotzdem, vereint, besser sein als sie, nicht als einzelne, sondern als Gesamtheit, gleichwie ein Schmaus, zu dem viele Kleine beigesteuert haben, besser als ein solcher sein kann, der nur auf Kosten eines einzigen Großen veranstaltet worden ist. Denn da ihrer viele sind, so kann jeder einen Teil der Tugend und Klugheit besitzen, und kann die Gesamtheit durch ihren Zusammentritt wie ein einziger Mensch werden, der viele Füße, Hände und Sinne hat“ (Aristot. Pol. III; 3.1281 a-b).
Diese „Summierungsthese“ des Aristoteles bezieht sich aber gerade nicht auf eine Summierung von Meinungen, sondern auf deren Interaktion, auf die Beratung der Bürger mit einem Ergebnis, das Expertenwissen übertrifft.
Die naturwissenschaftliche Sicht, das „Ganze“ entsteht durch Selbstorganisation, scheint allgemein nicht für Menschen zu gelten. Statt Selbstorganisation herrschen überall Wenige über den Rest. Bricht aber diese Herrschaft und Ordnung von oben zusammen aufgrund von verlorenen Kriegen, massiven Streiks und Revolutionen, ersetzt sie das Volk sofort durch eine Ordnung von unten. Spontan und unkoordiniert entstehen immer dieselben Räte-Strukturen, unabhängig und ohne eine historische Verbindung. Bürger werden so Subjekte, sind keine Objekte mehr. Diese natürlichen Strukturen sind von kurzer Dauer, da die Eliten die Herrschaft wieder an sich reißen. Ob es die Väter der US-Verfassung sind oder Lenin:29 „Alle Macht den Räten“ [Sowjets] galt für Lenin nur im Kampf gegen das Parlament. Da die Bolschewiken aber in den Räten keine Mehrheit bekamen, putschte Lenins „Oktoberrevolution“ – gegen die Überzeugung vieler Bolschewiken – gegen die demokratischen Räte der Februar-Revolution. Als es auch nach den Kriegswirren keine Meinungs- und Wahlfreiheit gab, rebellierten Kronstadts [Кроништадт] Matrosen – für Trotsky „der Schmuck und Stolz der Revolution“ – und forderten: „Alle Macht den Räten, keine Macht der Partei“. Sie wurden durch Trotskys Truppen niedergeschossen.
Für Hannah Arendt (1965, 215 ff. ) sind diese kurzen demokratischen Zeiten „lost treasures“, Zeiten in denen „regieren und regiert werden“ galt wie in Athen: die Pariser Kommune 1870, die russischen Sowjets 1905, die russische Februar-Revolution 1917, die deutschen Arbeiter- und Soldatenräte 1918 und 1919, die ungarische Revolution 1956. Die 1790 als Selbstverwaltung der 48 Pariser Stadtteile gebildeten Sektionen berieten ab 1792 alle 10 Tage 3 Tage lang parteifrei die politische Richtung der Revolution – später für 40 Sous die Woche – und stellten die Truppen, die Frankreichs Revolution siegen ließ. Sie schafften das Zensuswahlrecht ab und bestimmten Entscheidungen des Parlaments. Diese Sansculotten (lange Hosen, keine aristokratischen Kniebundhosen) begrüßten sich als „Bürger“ und nicht als „Herr“. Sie entzogen den Jakobinern ihre Unterstützung, als diese Löhne senkten, und beendete damit deren Herrschaft, aber damit auch ihren Einfluss im Parlament. Die Sansculotten wurden unterdrückt, das Zensuswahlrecht sofort wieder eingeführt und die Revolution zurückgeschraubt.
Zu glauben, Bürger sähen in einem unrepräsentativ zusammengesetztem Parlament einer „repräsentativen“ Demokratie ihre Vertretung, ist Illusion. 79 % der Chilenen wollten nicht, dass gewählte „Volksvertreter“ an den Beratungen zur neuen Verfassung beteiligt werden. Der Unmut, politisches Objekt zu sein, sitzt tief und spiegelt sich in der Widerspenstigkeit vieler Bürger gegen Anordnungen von oben, mögen sie noch so vernünftig sein. Dann muss der Verfassungsschutz die Verfassung vor den Bürgern schützen. Der Widerstand gegen eine „freiheitliche-demokratische Grundordnung“, die die Mitwirkung der Bürger auf periodische Abstimmungen über Personen beschränkt, wird sich erst legen, wenn Bürger in Entscheidungen eingebunden werden und Politiker nicht zu bestimmen, sondern auszuführen haben. Eine stabile Demokratie ergibt sich nur, folgt man dem, was in der Antike selbstverständlich war: „Den besten Rat geben die Klugen, und das Gehörte zu beurteilen ist am geeignetsten die Menge“ (Athenagoras von Syrakus, 414 BC).
Macht abzugeben schmerzt: Regierungen, Behörden, den Chefs der Unternehmen. Aber nur Unternehmen stehen im Wettbewerb und sind gezwungen, produktiv zu sein. Mitarbeiter, die als Objekte ihren Dienst tun und sich nicht als Subjekte kreativ einbringen, sind zu teuer, gefährden die Zukunft der Firma. In immer mehr Unternehmen wird der Chef daher zum Coach, der berät und nicht mehr bestimmt. Die Globalisierung schwächte die politische Stellung der Bürger, der verstärkte Wettbewerb fordert aber von den Unternehmen Mitarbeiter, die sich als Subjekte kreativ einbringen. Diese Bürger, gewohnt Subjekt zu sein, werden dies auch politisch fordern, zusammen mit den anderen, die protestieren, weil sie es leid sind, politisch Objekte zu sein Auf Dauer werden sie die verkrusteten Strukturen in Regierung und Behörden zersetzen und Teilnahme durchsetzen. Dann haben wir intelligentere Systeme.
Da Gehirne vortrefflich lernen, aber nur schwer umlernen, denn Wissen ist in Synapsen eingebrannt, wird sich die Erkenntnis, dass Demokratie vor allem Beratung durch das Volk ist und nicht Abstimmung bedeutet, nur langsam durchsetzen. Max Planck, Vater der Quantenmechanik, vermutete, dass sich eine neue Theorie nur durchsetzt, wenn die Vertreter der alten versterben.30
[...]
1 „Car beaucoup de nos compatriotes peuvent malheureusement se dire aujourd'hui: « L'Etat, ce n'est pas nous».“ Lauren Fabius (Präsident der französischen Nationalversammlung ), Le nouvel âge de l'Etat, Le Monde, 23.02.2000; www.lemonde.fr/archives/article/2000/02/23/le-nouvel-age-de-l-etat_3682546_1819218.html
2 Vorländer, Hans, 2017, Grundzüge der athenischen Demokratie, politischen Bildung , 332, B689F.04.05.2017, 332/2017 www.bpb.de/izpb/ 248544/grundzuege-der-athenischen-demokratie
3 „Die Praxis der athenischen Versammlungsdemokratie hat gezeigt, welches Selbstgefährdungspotenzial der Demokratie innewohnt. 411 v. Chr. und dann ganz ähnlich 404 v. Chr. hatte die Volksversammlung … für die Abschaffung der Demokratie gestimmt und jeweils die Macht vorübergehend einigen wenigen Männern anvertraut. … Denn wenn das Volk, der Demos, frei ist, alles zu tun, dann kann es auch die Demokratie, seine eigene Herrschaft abschaffen. ... [D]ie Ereignisse gaben den Kritikern der Demokratie, allen voran dem griechischen Philosophen Platon (427-347 v. Chr.) Recht, dass nämlich die Demokratie eine sehr instabile Herrschaftsform sei, in der Demagogen leichtes Spiel haben, weil das Volk, 'einfach in den Sitten, unstet in den Meinungen und verführbar durch Versprechungen', letztlich also nicht in der Lage sei, verantwortlich mit der eigenen Herrschaft umzugehen“ (aaO. Vorländer 2017, 12).
4 "Es ist … überraschender, dass Aristoteles, … der auf diese Zeit zurückschaute, … diese Form der Demokratie als die schlimmste und instabilste Form der Demokratie betrachten sollte, während sie eine Dauer politischer Stabilität hervorbrachte, die nur wenigen griechischen Städten zuteilwurde. Während er gemäßigte Formen der Demokratie als eine der besten Formen bestehender Verfassungen lobt [es gab sie historisch nicht; I.D], scheint er nicht in der Lage zu sein, über das Gespenst des Demagogen hinauszuschauen, um irgendeine der Stärken oder Errungenschaften demokratischer Beratungen in Athen anzuerkennen". Cohen, David, 2004, The Politics of Deliberation: Oratory and Democracy in Classical Athens, p. 22 - 37, in: Walter Jost (Editor), A Companion to Rhetoric and Rhetorical, Wiley-Blackwell 2004, p.36; in Google.books:
A Companion to Rhetoric and Rhetorical, p. 36
5 Dieser Gleichklang von Demokratie und Oligarchie, von Arm und Reich, erscheint nach Aristoteles andererseits aber unmöglich: ”Hauptsächlich aber scheinen zwei Verfassungen zu bestehen, ähnlich wie man von zwei Hauptwinden spricht. Nord und Süd, und die anderen Winde als Abarten von ihnen ansieht. So also scheint es auch zwei Hauptverfassungen zu geben, Demokratie und Oligarchie. Die Aristokratie setzt man nämlich als eine Art Oligarchie ... und die sogenannte Politei als Demokratie, so wie man bei den Winden den Westwind für eine Art Nordwind und den Ostwind für eine Art des Südwindes nimmt“ (Aristot. Pol. IV, 3; 4.1290a).
Die von Aristoteles gelobte „gemäßigte Demokratie“, die Politei, auch das Ideal der Bundeszentrale für politische Bildung, als eine von Oligarchen moderierte Demokratie gab es in der Antike nicht. (Bleicken, Jochen, 1995, Die athenischen Demokratie, Paderborn, Schöningh, p. 73; Pabst, Angela, 2003, Die Athenische Demokratie, Beck, München, p. 105
6 85 Artikel, die 1787/88 in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht wurden und die Bevölkerung bewegen sollten, der 1787 entworfenen, aber noch nicht ratifizierten Verfassung der Vereinigten Staaten zuzustimmen.
7 Ziel der Verfassung ist: „THE TOTAL EXCLUSION OF THE PEOPLE, IN THEIR COLLECTIVE CAPACITY, from any share in“ administration (Federalist Papers Nr. 63; Großbuchstaben des Originals).
8 „[I]t may be concluded that a pure democracy, by which I mean a society consisting of a small number of citizens, who assemble and administer the government in person, can admit of no cure for the mischiefs of faction“ (Madison, Federalist Papers Nr. 10).
9 „But the most common and durable source of factions has been the various and unequal distribution of property. Those who hold and those who are without property have ever formed distinct interests in society“ (Madison, Federalist Papers Nr. 10).
10 “[D]emocracies have ever been spectacles of turbulence and contention; have ever been found incompatible with personal security, or the rights of property; and have, in general, been as short in their lives, as they have been violent in their deaths“ (Madison, Federalist Paper Nr. 10).
11 „In all very numerous assemblies, of whatever characters composed, passion never fails to wrest the sceptre from reason. Had every Athenian citizen been a Socrates, every Athenian assembly would still have been a mob” (Madison, Federalist Papers Nr. 55).
12 „Landholders ought to have a share in the government, ... and to balance and check the other. They ought to be so constituted as to protect the minority of the opulent against the majority. The senate, therefore, ought to be this body“. Notes of the Secret Debates of the Federal Convention of 1787, Taken by the Late Hon Robert Yates, Chief Justice of the State of New York, and One of the Delegates from That State to the Said Convention. (Yates 1787); https://avalon.law.yale.edu/18th_century/yates. asp
13 „Cave Canem, ich warne davor, mit dieser Geschichte [Volksab-stimmungen] die künftige Demokratie zu belasten“. Dabei bezog er sich auf negative Erfahrungen in der Weimarer Republik, die es jedoch nie gab. In den 14 Jahren scheiterten die zwei Volksentscheide am 50 % Quorum (Summe der Nein-Stimmen plus der Nicht-Abstimmenden). 1932 sah Heuss im Volk keinen „bissigen Hund“, als er forderte, den Reichspräsidenten direkt zu wählen.
14 Art. 146 GG alte Fassung: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."
Art 146 GG neue Fassung: "Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist." Aufgrund Art. 78, 3 spartaGG (Ewigkeitsklausel) ist Art. 146 GG obsolet.
15 „Sparta war zwar nur eine Stadt; aber durch die alleinige Kraft ihrer Institution gab diese Stadt ganz Griechenland Gesetze, wurde ihre Hauptstadt. Sparta war der Mittelpunkt, dessen Gesetzgebung Auswirkungen auf das gesamte Gebiet hatte.“ (Rousseau, J.-J., 1772; Considérations sur le gouvernement de Pologne, et sur sa réformation projetée, Ausgabe 1782, p. 10) ; http://www.espace-rousseau.ch/f/textes/ considerations_pologne.pdf
16 ”Si, quand le peuple suffisamment informé délibère, les citoyens nʼavoient aucune communication entrʼeux, du grand nombre de petites différences résulteroit toujours la volonté générale “ (Contrat II,3).
17 „que chaque citoyen nʼopine que dʼaprès lui“ (Contrat II, 3).
18 „[Q]uand les intérêts particuliers commencent à se faire sentir & les petites sociétés à influer sur la grande, intérêt commun sʼaltère & trouve des opposans, lʼunanimité ne règne plus dans les voix, la volonté générale nʼest plus la volonté de tous, il sʼélève des contradictions, des débats, & le meilleur avis ne passe point sans disputes“ (Contrat IV, 1).
19 Für Rousseau ist Beratung zentral. Es sollte aber vor der Beratung keine Absprachen geben, keine durch Parteien, Kirchen oder Gewerkschaften gebündelten Meinungen: „[L]es citoyens nʼavoient aucune communication entr`eux“.
20 „[M]ais ôtez de ces mêmes volontés les plus et les moins qui sʼentre-détruisent reste pour somme des différences la volonté générale“ (Contrat II, 3).
21 Flaig, Egon, 2013, Die Mehrheitsentscheidung – Entstehung und kulturelle Dynamik, Schöningh, Paderborn, p. 22,
22 Wer die teure Ausstattung und das Training einer Kriegstrireme übernahm, war gleichzeitig Kapitän, trat dieses Amt aber meist ab. Manchmal überboten sich die Reichen in der Ausstattung.
23 Wahrscheinlich stützt man sich auf Rousseaus Satz: „Solange mehrere vereinigte Menschen sich als einen einzigen Körper betrachten, haben sie nur einen einzigen Willen, der die gemeinsame Erhaltung und die allgemeine Wohlfahrt zum Gegenstande hat.“ („Tant que plusieurs hommes réunis se considèrent comme un seul Corps, ils nʼont quʼune seule volonté, qui se rapporte à la commune conservation, & au bien-être général“ (Contrat IV,1).
„Allgemein wird vertreten, dass es die „Rousseau'sche Vorstellung [ist], dass Demokratie die Herrschaft eines homogenen Volkes sei“. (Fraenkel, Ernst, 2011, Deutschland und die westlichen Demokratien, Nomos, Baden-Baden, p. 300). „Rousseau fordert, dass die Menschen ihre gesamte materielle und ideelle Existenz in den Vertrag einbringen. Nichts dürften sie außerhalb des Vertrags belassen, auch ihre Religion.“ (Bender, Christiane, 6.11.2012, Freiheit, Verantwortung, direkte Demokratie: Zur Relevanz von Rousseau heute, Bundeszentrale für politische Bildung; https://www.bpb.de/apuz/ 148224/freiheit-verantwortung-direkte-demokratie-zur-relevanz-von-rousseau-heute
„Diese volonté générale zielt auf das öffentliche Wohl und hat nach Rousseaus Auffassung immer recht, kann nicht irren. Sollte jemand anderer Meinung sein, dann beweise dies nichts anderes, als dass ich mich getäuscht habe und dass das, was ich für den Gemeinwillen hielt, es nicht war. Dann muss er gezwungen werden, dem Gemeinwillen Folge zu leisten. … Denn wenn der Gemeinwille immer Recht hat und der Einzelne sich ihm unbedingt fügen muss, dann kann eine solche Konzeption zu einer Tyrannei des Gemeinwillens führen, die die Freiheit des Einzelnen vernichtet“. (Vorländer, Hans, 2017, Wege zur modernen Demokratie, p. 29, , in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 332/2017, pp. 20 – 35; https://www.bpb.de/izpb/248555/wege-zur-modernen-demokratie
24 In „Rousseau … erkannte nicht, dass seine Theorie auf einer entscheidenden Annahme beruhte: der Annahme, dass jeder Bürger, der rational über die gemeinsamen Interessen nachdenkt, zu der gleichen Schlussfolgerung kommen muss wie jeder andere. Aber wenn der Allgemeine Wille tatsächlich eine rationale Folgerung aus einem einzigen gemeinsamen Interesse ist, dann … sind Beratungen der Bevölkerung möglicherweise dafür nicht der beste Leitfaden“ (Canovan 1983, 291). “In einer perfekten Republik wären die versammelten Bürger bloße Klone, die alle mit einer Stimme sprechen“ (Canovan 1983, 292); Canovan, Margaret, 1983, Arendt, Rousseau, and Human Plurality, in Journal of Politics, Vol. 45, 2, pp. 286-202, www.journals.uchicago.edu/doi/abs/10.2307/2130127
25 „Die herausragende Qualität dieses populären Willens als volonté générale war seine Einstimmigkeit. … Rousseau … fand ein höchst geniales Mittel, um die Mehrstimmigkeit an die Stelle einer einzelnen Person zu setzen; denn der allgemeine Wille war nichts mehr oder weniger als das, was die Vielen zu einem verband“ z.B der Widerstand gegen äußere Feinde. „The outstanding quality of this popular will as volonté générale was its unaminity. … Rousseau … found a highly ingenious means to put a multitute into the place of a single person; for the general will was nothing more or less than what bound the many into one“ (Arendt, Hannah, 1990, On Revolutions, p. 76, Penguin Books, London; https://monoskop.org/images/b/bf/Arendt_Hannah_On_Revolution_1990.pdf
26 Rousseau (Contrat II, 3) schreibt: “Si, quand le peuple suffisamment informé délibère, les citoyens nʼavoient aucune communication entrʼeux, du grand nombre de petites différences résulteroit toujours la volonté générale, & la délibération seroit toujours bonne.“
Hier einige gefälschte Übersetzungen. Die falsch übersetzten Worte für „délibérér“ und „délibération“ sind hervorgehoben.
„Hätten bei der Beschlussfassung eines hinlänglich unterrichteten Volkes die Staatsbürger keine feste Verbindung untereinander, so würde aus der großen Anzahl kleiner Differenzen stets der allgemeine Wille hervorgehen, und der Beschluss wäre immer gut“ (Übersetzung Denhardt 1880; http://www.zeno.org/Philosophie/M/Rousseau,+Jean-Jacques/Der+Gesellschaftsvertrag/Zweites+Buch/3.+Ob+der+allgemeine+Wille+irren+kann
Ebenso übersetzt in: Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag oder Die Grundsätze des Staatsrecht https://www.textlog.de/2346.html; ohne Angabe des Übersetzers.
„Wenn bei den Beratungen eines hinreichend aufgeklärten Volkes die Staatsbürger keine Verbindung untereinander hätten, so würde sich der Gemeinwille immer aus der großen Zahl kleiner Differenzen ergeben, und der Beschluss wäre immer gut“ (Übersetzung: Roepke, Fritz, 2011: Jean-Jacques Roussau, Der Gesellschaftsvertrag oder Die Grundlagen des Staatsrechts,Leipzig, Juni 2011; http://www.welcker-online.de/Texte/ Rousseau/Contract.pdf
„If the populace held its deliberations (on the basis of adequate information) without the citizens communicating with one another, what emerged from all the little particular wills would always be the general will, and the decision would always be good“ (Übersetzung Bennet, Jonathan, 2017, von Jean-Jacques Rousseau, The Social Contract.
https://www.earlymoderntexts.com/assets/pdfs/rousseau1762.pdf
„If, when the people, being furnished with adequate information, held its deliberations, the citizens had no communication one with another, the grand total of the small differences would always give the general will, and the decision would always be good“ (Übersetzung G.D.H., Cole, 1913, p. 25 von: „Jean-Jacques Rousseau, The Social Contract and Discourses;
https://www.google.com/books/edition/The_Social_Contract/exNPAAAAMAAJ?hl=en&gbpv=1&bsq=adequate
27 „[P]lus les avis approchent la l’unanimité » (Contrat IV, 2) wird übersetzt mit « je mehr sich die gefassten Beschlüsse der Einstimmigkeit nähern“ http://www.zeno.org/Philosophie/M/Rousseau,+Jean-Jacques/Der+Gesellschaftsvertrag/Viertes+Buch/2.+Von+den+Abstimmungen
28 Anderson, Philip W.,1972, More is different, Science 04.08.1972, Vol. 177, Issue 4047, pp: 393 – 396, http://links.jstor.org/sici?sici=0036-8075%2819720804%293%3A177%3A4047%3C393%3AMID%3E2.0.CO%3B2-N
29 Die Bürger-Räte der Revolution von 1905 zeigten Lenin einerseits „die revolutionäre Kreativität der Menschen“. Er putschte aber mit seiner „Oktober-Revolution“ gegen die Räte der Februar-Revolution, denn man dürfe sich „nicht von der Stimmung der Massen leiten lassen, sie ist wankelmütig und nicht genau zu berechnen“ (Koenen, G., 2017, 752; Smith, S. A., 2017, 55). Die Väter der US-Verfassung teilten wohl diese Meinung.
30 Max Planck, 1948, Wissenschaftliche Selbstbiografie, Leipzig, p. 22
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- Ivo Dubiel (Author), 2021, Nur Demokratie kann "Demokratie" heilen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1165451
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