In einigen Erzähltexten ist das Dasein eines Narrators nur in geringem Maße bemerkbar. In solchen Handlungen wird „[…] die Geschichte von einer anonym bleibenden Stimme vermittelt, über die der Leser keine Informationen erhält“. Man bezeichnet eine solche in der Erzählrede verborgende, in keiner Weise Persönlichkeitscharakteristika aufweisende, narrative Instanz ein neutrales Erzählmedium. Im Gegensatz dazu steht der so genannte explizite Erzähler. Dieser tritt als individualisierter Sprecher aus der Erzählrede hervor, er ist als fiktive Person fassbar und meldet sich persönlich zu Wort. Man kann also offensichtlich die Erzählinstanzen in narrativen Texten nach dem Grad der Explizität. mit dem sie in Erscheinung treten, differenzieren. In Bezug auf den Parzival-Erzähler wird man sich schnell einig werden, dass es sich offensichtlich um einen expliziten Erzähler handelt. Diese Feststellung stellt sich als keinen signifikanten Erkenntnisgewinn heraus. Viel interessanter ist dagegen Joachim Bumkes These, welche besagt, der Erzähler trete im Parzival so dominierend hervor, dass man ihn für die Hauptperson der Dichtung halten könnte. Somit zeichnet sich der Parzival-Erzähler für Blumke durch eine übersteigerte, die Figuren der erzählten Welt verdrängende, Explizität aus. Ich möchte Blumkes These zur Hypothese dieser Arbeit machen und die Frage stellen, ob der Erzähler im Parzival tatsächlich eine derart dominante Rolle spielt. Dazu werde ich zunächst untersuchen, wie ausgeprägt die Tendenz des Parzival-Erzählers zur „[…]Personalisierung, Individualisierung bzw. Anthropomorphisierung“ ist, um dann den Entwicklungsgrad der Erzählfigur mit dem der Figuren der erzählten Welt zu vergleichen. Danach werde ich mich der Perspektivierung des Erzählten zuwenden und mich konkret fragen, ob die erzählte Welt des Parzival tatsächlich so dominant aus der Sicht des Erzählers dargestellt wird, wie es Bumkes These nahe legt. Zum Schluss frage ich danach, welche denkbaren Erzählerfunktionen der Parzival-Erzähler wahrnimmt. Die Analyse des Textes werde ich mit dem Instrumentarium, das die Erzähltheorie oder Narratologie bereitstellt, vornehmen. Auf mehr oder weniger ausführliche Erläuterungen zu einigen narratologischen Konzepten (Fiktionalitätstheorie, Fokalisierungsmodell, Kommunikationsmodell narrativer Texte, Differenzierung der Erzählerfunktion) kann also nicht verzichtet werden.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Poetologische Reflexion im Text
II.1 Die „Selbstverteidigung“
II.2 Das „Bogengleichnis“
II.3 Der Prolog zum siebten Buch
III. Die Erzählerrolle im Parzival unter analytischer Betrachtung
III.1 Der greifbar fiktionale Akteur als Parzival -Erzähler
III.2 Auf den Spuren eines vorherrschenden Fokalisierungscharakter
III.3 Narrative Polyfunktionalität im Parzival
IV. Resümee
V. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
In einigen Erzähltexten ist das Dasein eines Narrators nur in geringem Maße bemerkbar. In solchen Handlungen wird „[…] die Geschichte von einer anonym bleibenden Stimme vermittelt, über die der Leser keine Informationen erhält“[1]. Man bezeichnet eine solche in der Erzählrede verborgende, in keiner Weise Persönlichkeitscharakteristika aufweisende, narrative Instanz ein neutrales Erzählmedium. Im Gegensatz dazu steht der so genannte explizite Erzähler. Dieser tritt als individualisierter Sprecher aus der Erzählrede hervor, er ist als fiktive Person fassbar und meldet sich persönlich zu Wort.
Man kann also offensichtlich die Erzählinstanzen in narrativen Texten nach dem Grad der Explizität. mit dem sie in Erscheinung treten, differenzieren. In Bezug auf den Parzival - Erzähler wird man sich schnell einig werden, dass es sich offensichtlich um einen expliziten Erzähler handelt. Diese Feststellung stellt sich als keinen signifikanten Erkenntnisgewinn heraus. Viel interessanter ist dagegen Joachim Bumkes These, welche besagt, der Erzähler trete im Parzival so dominierend hervor, dass man ihn für die Hauptperson der Dichtung halten könnte[2]. Somit zeichnet sich der Parzival -Erzähler für Blumke durch eine übersteigerte, die Figuren der erzählten Welt verdrängende, Explizität aus. Ich möchte Blumkes These zur Hypothese dieser Arbeit machen und die Frage stellen, ob der Erzähler im Parzival tatsächlich eine derart dominante Rolle spielt. Dazu werde ich zunächst untersuchen, wie ausgeprägt die Tendenz des Parzival-Erzählers zur „[…]Personalisierung, Individualisierung bzw. Anthropomorphisierung“[3] ist, um dann den Entwicklungsgrad der Erzählfigur mit dem der Figuren der erzählten Welt zu vergleichen. Danach werde ich mich der Perspektivierung des Erzählten zuwenden und mich konkret fragen, ob die erzählte Welt des Parzival tatsächlich so dominant aus der Sicht des Erzählers dargestellt wird, wie es Bumkes These nahe legt. Zum Schluss frage ich danach, welche denkbaren Erzählerfunktionen der Parzival -Erzähler wahrnimmt. Die Analyse des Textes werde ich mit dem Instrumentarium, das die Erzähltheorie oder Narratologie[4] bereitstellt, vornehmen. Auf mehr oder weniger ausführliche Erläuterungen zu einigen narratologischen Konzepten
(Fiktionalitätstheorie, Fokalisierungsmodell, Kommunikationsmodell narrativer Texte, Differenzierung der Erzählerfunktion) kann also nicht verzichtet werden.
Bevor ich nun mit der Analyse der Erzählerrolle im Parzival beginne, möchte ich zunächst eine Reflexion der Dichtung im Text am Beispiel verschiedener Kapitel aufgreifen.
II. Poetologische Reflexion im Text
Im Parzival taucht eine Vielzahl von Reflexionen auf, in denen der Erzähler seine literarische Position diskursiv erörtert und zu seinem Erzählverfahren Stellung bezieht. Sie sind aus zweierlei Gründen aufschlussreich: zum einen inhaltlich, weil sie die im Prolog aufgeworfenen Fragen bezüglich des poetologischen Konzepts des Parzivals untermauern; zum anderen kristallisiert sich an den vom Erzähler in die erzählte Handlung eingefügten Diskursen schon eine Erzählerrolle heraus, nämlich die des selbstbewusst auftretenden Verteidigers des eigenen narrativen Vorgehens. Unter diesen Aspekten sollen die der sogenannte „Selbstverteidigung“, das „Bogengleichnis“ und der Prolog zum 7. Buch (Gawan- Handlung) nun untersucht werden.
II.1 Die „Selbstverteidigung“
Der als „Selbstverteidigung“ bezeichnete Diskurs findet sich im zweiten Buch am Beginn der Parzival -Handlung (114,5-116,4)[5]. Es handelt sich um einen gliedernden Einschnitt, bei dem der Erzähler die Gelegenheit der Einführung der Parzival -Handlung nutzt, um generelle Gedanken zum Thema des angemessenen Frauenlobes zu erörtern. Der Erzähler tritt hier selbstbewusst als „Wolfram“ auf: „Ich bin Wolfram von Eschenbach unt kan ein teil mit sange“ (114, 13-14). In der früheren Forschung wurde diese Namensnennung häufig als
Autoritätsbekundung des Autors Wolfram verstanden und die folgenden Aussagen wurden nach biografischen Bezügen durchsucht[6]. Inzwischen geht man eher davon aus, dass es sich bei dem Erzähler „Wolfram“ um ein poetisches Konstrukt handelt[7]. Dementsprechend handelt es sich bei der folgenden Auseinandersetzung mit dem „Sang“ um eine „frouwe“ auch nicht um eine persönliche Erfahrung Wolframs, sondern mit dem Thema der Werbung und des Frauenlobs wird eine Beziehung zur literarischen Gattung des Minnesangs hergestellt. Dies wird noch deutlicher, wenn der Erzähler nach einigen Bemerkungen zu seinem Groll, den er wegen ihrer Untreue einer bestimmten Frau gegenüber hegt, folgende Aussage trifft: „Sîn lop hinket ame spat,/swer allen vrouwen sprichet mat/durch sîn eines vrouwen.“ (115, 5-7). Wer also eine einzige Frau so sehr lobt, dass er alle anderen dadurch herabsetzt, dessen Lob
„hinkt“. Es könnte sich hier um eine Anspielung auf den Minnesang in der besonderen Prägung durch Reinmar den Alten halten[8]. Dieses „Überloben“ einer einzigen Dame auf Kosten der anderen lehnt der Erzähler ab und hält ihm sein eigenes Konzept entgegen: Den treuen Frauen will er „des lobes kempfe sîn“ (115,3) und ihm ist „von herzen leit ir pîn“(115,4). Auch der Parzival-Erzähler will also die triuwen frouwen loben, aber auf eine andere Art als in der des Minnesangs. Er will nicht nur eine einzige hervorheben, sondern das Leid aller Frauen beschreiben. Hierin kann man auch eine Aussage dafür sehen, dass der Erzähler hier die erzählerische, also die epische Ausgestaltung des Leids für angemessener hält als die des Minneliedes[9]. Am Ende des sechsten Buches, kurz vor dem Gawan-Prolog, kommt der Erzähler noch einmal auf das Thema des Minnesangs und die rechte Art zu loben zurück: „Nu weiz ich, swelh sinnec wîp, ob sie hât getriuven lîp, diu diz maere geschriben siht, daz si mir mit wârheit giht, ich kunde wîben sprechen baz denn als ich sang gein einer maz.“ (337,1-6)
Hier wendet er sich an die verständigen weiblichen Rezipienten seines „maere“ und setzt wiederum seine Art der Frauendarstellung als die bessere vom Minnesang ab. Seine Erzählung spreche gegenüber der einseitigen Überhöhung des Minnesangs von Frauen „ mit Wahrheit“. Im Anschluss an diese Feststellung lässt er dann noch einmal alle im Parzival bis dahin geschilderten Frauen – von Belakane über Herzeloyde bis Cunneware und Jeschute – Revue passieren und betont, wie angemessen er ihr Leid geschildert habe (337, 7-22). Das gerechte Verteilen von Lob erfüllt sich also in der narrativen Darstellung des Leidens der Frauen und nicht in der übermäßigen Lobpreisung einer einzelnen. In dieser interliterarischen Auseinandersetzung mit dem Minnesang rechtfertigt der Erzähler seine Darstellungsweise und vertritt diese selbstbewusst gegenüber anderen literarischen Formen.
Die „Selbstverteidigung“ beinhaltet aber noch einen weiteren Aspekt. Denn die Gunst durch die Dame, so fährt der Erzähler fort, solle man sich weniger durch Sang als durch Rittertum erstreiten (Vgl.: 115,10-14). Der Erzähler bezeichnet sich in diesem Zusammenhang selbst als Ritter („schildes ambet ist mîn art“ 115,11). Sein Kampf ist, wie oben gesehen, der Kampf um die rechte Darstellung des Leids der Frauen. Der Erzähler warnt schließlich davor, seine Geschichte als „buoch“ (115, 26) aufzufassen. Schließlich geht er sogar soweit, sich als „Analphabeten“ zu bezeichnen („ichne kann deheinen buochstap“ 115,27). Auch hier hat man einige Zeit gerätselt, ob diese Aussage tatsächlich auf Wolfram selbst hat zutreffen können. Da dies jedoch mehr als unwahrscheinlich ist und bisher von einem Bezug auf die Gattung Minnesang ausgegangen wurde, liegt die Vermutung näher, dass es sich auch bei dieser Ablehnung des Bücher-Wissens um eine intertextuelle Positionsbestimmung handelt, mit der Wolfram bzw. sein Erzähler-Ich sich von der Schulgelehrtheit anderer Dichter abgrenzen will[10]. War in der Minnesang-Abgrenzung schon auf Reinmar angespielt worden, so könnten mit den Schulgelehrten die Dichterkollegen Hartmann von Aue und Gottfried von Straßburg und ihre ausdrückliche Berufung auf schriftliche Quellen und Bücherwissen gemeint sein[11]. Dass Wolfram im Parzival sehr von der in mittelalterlichen Texten gängigen Praxis der Quellen-Nennungen abweicht, kann bereits ein Indiz für diese Interpretation sein. Man kann diese Passage auch wieder als eine Verteidigung des eigenen Erzählstils betrachten, indem man Joachim Bumkes Hinweis berücksichtigt, dass sich die Schulgelehrtheit insbesondere auf die Regeln der Poetik und Rhetorik beruft[12]. Deren Forderung nach „Ausgewogenheit und Ebenmäßigkeit des Ausdrucks“ wird in Wolframs schon im Prolog angekündigten „sprunghaftem Erzählen“ bekanntlich nicht befolgt.
[...]
[1] Nünning, Ansgar 1997: „Die Funktionen von Erzählinstanzen“. Analysekategorien und Modelle zur Beschreibung des Erzählverhaltens . S. 329
[2] Vgl. Bumke, Joachim 2004: Wolfram von Eschenbach. 8. völlig neu überarbeitete Auflage. Stuttgart/Weimar. S. 215.
[3] Nünning 1997: S. 330
[4] Die Bezeichnung Erzähltheorie, Narratologie und Narrativik werden synonym gebraucht.
[5] Ich zitiere den Parzival nach: Wolfram von Eschenbach: Parzival . Studienausgabe. 2. Auflage. Mittelhoch- hochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit Ein- führungen zum Text der Lachmannschen Ausgabe und die `Parzival`-Interpretation von Bernd Schirock. Berlin/New York 2003.
[6] Vgl. Bumke 2004: S. 216
[7] ebd. 2
[8] Vgl. Stein, Alexandrs 1993: „wort und werc“. Studien zum narrativen Diskurs im Parzival Wolfram von Eschenbach .Frankfurt. S. 46 f
[9] ebd. S. 227
[10] Bumke verweist darauf, dass es im 12. Jahrhundert eine weit verbreitete Wissenschaftskritik gegeben hat. Diese bezog sich v.a. auf die Frage, wie der Weg zu Gott am besten zu beschreiten sei, über eine wissenschaft- liche Fundierung der „Glaubenstatsachen“ oder über eine innere Spiritualität. Vgl. Bumke, Joachim 2001: „Die Blutstropfen im Schnee“. Über die Wahrnehmung und Erkenntnis im Parzival Wolframs v. Eschenbach . Tübingen. S. 135 ff
[11] Vgl. Schu, Cornelia 2002: Vom erzählten Abenteuer zum Abenteuer des Erzählens. Überlegungen zur Roman- haftigkeit von Wolframs Parzival. Frankfurt. S. 153
[12] Vgl. Bumke 2004: S. 205
- Quote paper
- Silvio Geßner (Author), 2008, Eine Untersuchung der Erzählerrolle im "Parzival", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116333
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