Die nachstehende Arbeit wurde im Rahmen des Schwerpunktexamensseminars im Frühjahr 2006 im Schwerpunktsbereich Unternehmensrecht als Teil der Schwerpunktsbereichsprüfung i.S.d. §§ 8 Abs. 1 S. 1, 11 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 und 6 a) der Studien- und Prüfungsordnung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät für den Studiengang Rechtswissenschaft der Universität zu Köln (Stand 29.9.2005) i.V.m. § 28 Abs. 3 S. 3 Juristenausbildungsgesetz NRW (Stand: 11.3.2003) verfasst und beschäftigt sich mit Fragestellungen im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Betätigung des Idealvereins aus dem Urteil des OLG Dresden vom 09.08.2005 . Für weiter gehende Anmerkungen bezüglich der insolvenzrechtlichen Fragestellungen aus dem Urteil wird aufgrund der thematischen Beschränkung auf die Ausführungen von Tobias Böckmann verwiesen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Kapitel 1 - Einleitung
A. Aufgabenstellung
B. Problemaufriss
C. Gang der Untersuchung
Kapitel 2 - Das Urteil vom 09.08.2005
A. Leitsatz
B. Tatbestand
I. Kernsachverhalt
II. KBS e.V. - Organisation und wirtschaftliche Tätigkeit
III. Das Leasinggeschäft
IV. Die vorinstanzlichen Entscheidungsgründe
C. Entscheidungsgründe
I. Haftung wegen Rechtsformmissbrauch
1. Wirtschaftliche Betätigung
2. Dogmatische Grundlage für die Mitgliederhaftung
II. Keine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs
Kapitel 3 - Zurechenbarkeit wirtschaftlicher Betätigung von abhängigen Gesellschaften
A. Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betätigung im Idealverein
I. Grundlagen und Vereinsklassenabgrenzung
1. Abgrenzung nach der gemischt subjektiv-objektiven Theorie
2. Die teleologisch-typologische Vereinsklassenabgrenzung
II. Wirtschaftliche Betätigung im Rahmen des Nebentätigkeitsprivilegs
1. Nebentätigkeitsprivileg in Literatur und Rechtsprechung
2. Nebentätigkeitsprivileg im Gesetzesänderungsentwurf
3. Nebentätigkeitsprivileg nach dem OLG Dresden
III. Zurechnungsfähigkeit wirtschaftlicher Betätigungen von Beteiligungsgesellschaften eines Idealvereins
1. Überblick über den Meinungsstand
a) Keine Zurechnung im ADAC-Urteil
b) Keine Zurechnung nach dem Gesetzesänderungsentwurf
c) Zurechenbarkeit nach der Literatur
aa) Keine Zurechnung wegen Organhaftung
bb) Zurechnung bei bloßer Abhängigkeit
cc) Zurechnung wegen Mediatisierung der Mitgliederkontrolle
dd) Zurechnung im faktischen Konzern
ee) Zurechnung im qualifiziert faktischen Konzern
d) Zusammenfassung
2. Geänderte Zurechnungsvoraussetzung nach „Bremer Vulkan“?
a) Grundsatz des existenzvernichtenden Eingriffs
b) Übertragbarkeit der Zurechnungsgrundsätze
B. Stellungnahme
C. Zurechung nach dem OLG Dresden - Rechtliche Würdigung
D. Zwischenergebnis
Kapitel 4 - Haftungsrechtliche Folgen der wirtschaftlichen Betätigung eines Idealvereins
A. Gesetzlich angeordnete Rechtsfolgen
I. Entziehung gem. § 43 Abs. 2 BGB
II. Entziehung gem. §§ 159, 142 FGG
III. Entziehung der Rechtsfähigkeit des KBS e.V.
B. Persönliche Haftung der Vereinmitglieder
I. Grundlagen der Durchgriffshaftung
1. Durchgriffstheorien im Schrifttum
a) Missbrauchslehre
b) Normzwecklehre
c) Bürgerlich-rechtlicher Ansatz
d) Absage an den Durchgriff
2. Der Durchgriff in der Rechtsprechung
a) Reichsgericht
b) Bundesgerichtshof
II. Fallgruppen der Durchgriffshaftung
1. Sphären- und Vermögensvermischung
2. Unterkapitalisierung
3. Existenzvernichtender Eingriff
4. Institutsmissbrauch
III. Die Durchgriffshaftung im Vereinsrecht
C. Durchgriffshaftung nach dem OLG Dresden - Rechtliche Würdigung
I. Durchgriffshaftung wegen Rechtsformmissbrauchs
1. Tatbestandsvoraussetzungen nach dem OLG Dresden
2. Einordnung in bekannte Durchgriffsfallgruppen
3. Treupflichtverletzung als Außenhaftungstatbestand
II. Stellungnahme
Kapitel 5 - Ergebnisse und Ausblick
A. Zusammenfassung der Ergebnisse
B. Ausblick
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Kapitel 1 - Einleitung
A. Aufgabenstellung
Die nachstehende Arbeit wurde im Rahmen des Schwerpunktexamensseminars im Frühjahr 2006 im Schwerpunktsbereich Unternehmensrecht als Teil der Schwerpunktsbereichsprüfung i.S.d. §§ 8 Abs. 1 S. 1, 11 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 und 6 a) der Studien- und Prüfungsordnung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät für den Studiengang Rechtswissenschaft der Universität zu Köln (Stand 29.9.2005) i.V.m. § 28 Abs. 3 S. 3 Juristenausbildungsgesetz NRW (Stand: 11.3.2003) verfasst und beschäftigt sich mit Fragestellungen im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Betätigung des Idealvereins aus dem Urteil des OLG Dresden vom 09.08.2005[1]. Für weiter gehende Anmerkungen bezüglich der insolvenzrechtlichen Fragestellungen aus dem Urteil wird aufgrund der thematischen Beschränkung auf die Ausführungen von Tobias Böckmann[2] verwiesen.
B. Problemaufriss
Die vorliegende Entscheidung des OLG Dresden beschäftigt sich im Rahmen der Begründung einer persönlichen Haftung eines Vereinsmitglieds für Vereinsschulden im Kern mit zwei Fragestellungen. Zum einen behandelt das Urteil die Zurechnungsfähigkeit von wirtschaftlichen Aktivitäten einer oder mehrerer abhängiger Gesellschaften zu einem nichtwirtschaftlichen eingetragenen Verein mit der Folge, dass der Verein faktisch zu einem wirtschaftlichen Verein wird, der zum Erlangen der Rechtsfähigkeit der staatlichen Konzession bedarf. Zum anderen werden die haftungsrechtlichen Konsequenzen auf der Grundlage einer Durchgriffshaftung für die Mitglieder eines satzungsmäßig nicht wirtschaftlichen Vereins, der die zulässigen Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung verlassen hat, besprochen. Die Zurechnung wirtschaftlicher Betätigkeiten von abhängigen Gesellschaften ist Teil der Fragestellung des zulässigen Umfangs eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs, den ein nicht wirtschaftlicher Verein haben darf.
Die vom OLG Dresden aus einem Verstoß gegen die begrenzte Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betätigung eines Idealvereins abgeleitete Haftung der Vereinsmitglieder ist in den Problemkreis der Durchgriffshaftung einzuordnen. Das Rechtsinstitut der Durchgriffshaftung, welches insbesondere bei der GmbH Geltung erlangt hat, gilt es vor dem Hintergrund der neueren BGH Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff auf seine Anwendbarkeit und Bedeutung im Vereinsrecht nach dem Urteil des OLG Dresden zu untersuchen.
C. Gang der Untersuchung
Nach einer kurzen Darstellung des Urteils des OLG Dresden vom 9.8.2005 (Kapitel 2), soll zunächst auf die Fragenstellung der Zurechungsfähigkeit wirtschaftlicher Betätigungen in Tochtergesellschaften (Kapitel 3) eingegangen werden. Dabei sollen einleitend der Rahmen der zulässigen wirtschaftlichen Betätigung des Vereins im Allgemeinen dargestellt werden (A. I. und II.), um darauf aufbauend den Meinungsstand zur Zurechenbarkeit einer in eine vom Verein abhängige Gesellschaft ausgelagerte wirtschaftliche Betätigung darzustellen (A. III. 1.). Daran anschließend sollen die Auswirkungen der neueren Rechtsprechung des BGH zum existenzvernichtenden Eingriff auf die dargestellten Zurechnungsgrundsätze untersucht werden (A. III. 2.), um die bis dahin gewonnen Erkenntnisse dem Urteil des OLG Dresden gegenüber zu stellen (C.).
In dem darauf folgenden Kapitel (Kapitel 4) wird nach einer Darstellung der gesetzlich vorgesehen Folgen eines faktischen Vereinsklassenwechsels (A.) die Durchgriffshaftung eines Vereinsmitglieds besprochen. Dabei wird der konkreten Besprechung des Urteils (C.) eine allgemeine Darstellung der Durchgriffshaftung vorangestellt (B.).
In einem abschließenden Kapitel (Kapitel 5) werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst (A.) und auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse ein Ausblick gegeben (B.).
Kapitel 2 - Das Urteil vom 09.08.2005
A. Leitsatz
„3. Mitglieder eines personalistisch strukturierten eingetragenen Vereins, der sich über das sog. Nebenzweckprivileg hinaus in erheblichem Umfang wirtschaftlich betätigt, haften wegen Missbrauchs der Rechtsform jedenfalls dann akzessorisch für sämtliche Vereinsverbindlichkeiten, wenn sie Kenntnis von der wirtschaftlichen Betätigung haben und dieser keinen Einhalt gebieten .“
B. Tatbestand
I. Kernsachverhalt
Die Klägerin, ein Immobilienfond, überlies dem Kolping Bildungswerk Sachsen e.V. (künftig: KBS e.V.) durch einen Immobilien-Leasing-Vertrag das Objekt Schloss S., welches zuvor mit einem Aufwand von nahezu DM 30 Mio. saniert wurde, bis zum Jahre 2019 zur Nutzung, wobei die monatliche Leasingrate rund € 84.000,00 betrug. Seit Mai 2000 kam der KBS e.V. der Zahlungsverpflichtung nicht mehr nach. Das Insolvenzverfahren über den KBS e.V. wurde aufgrund eines am 5.10.2000 gestellten Antrags durch das Amtsgericht L. eröffnet. Die Klägerin begehrt von den Diözesanverbänden D. und G. und deren Rechtsträgern aufgrund ihrer „Mitgliederstellung“ im KBS e.V. Ausgleich für ihr durch die Insolvenz des KBS e.V. entstandenen Vermögensnachteile, die sich nach eigenen Angaben auf rund € 15 Mio. belaufen, wovon sie in diesem Verfahren einen Teilbetrag von rund € 4,2 Mio. geltend macht.
II. KBS e.V. - Organisation und wirtschaftliche Tätigkeit
Der KBS e.V. ist nach dem Satzungszweck ein gemeinnütziger Verein, der sich im Bereich der Bildung und Fortschulung unter anderem mittels Bildungszentren und Jugendwohnheimen zu engagieren verpflichtet hat. Er wurde am 09.08.1990 unter anderem unter der Mitwirkung von den Diözesanverbänden D. und G. des Kolpingwerks gegründet, wobei die jeweiligen „Rechtsträger“ der Diözesanverbände die Bistümer D. e.V. und G. e.V. sind. Alle Organistationen gehören dem internationalen Kopingwerk an. Den Diözesanverbänden – in der Funktion als Gründungsmitglieder – wurden in der Satzung des KBS e.V. Ernennungs- und Entsenderechte eingeräumt.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich der KBS e.V. zum größten Anbieter auf dem beruflichen Aus- und Weiterbildungsmarkt in Sachsen. Aufgrund der wachsenden Aktivitäten wurde Ende 1996 mit einstimmigem Hauptversammlungsbeschluss die interne Organisationsstruktur geändert. Der KBS e.V. fungierte fortan ausschließlich als Holdingverein. Sämtliche Aktivitäten wurden in Gesellschaften mit beschränkter Haftung ausgelagert. Im weiteren Verlauf wurden die als gemeinnützig eingeordneten Gesellschaften überwiegend auf die Zwischen-Holding Kolping-Pro-Futura gGmbH, die gewerblich tätigen Gesellschaften überwiegend auf die Zwischen-Holding Kolping-Pro-Aktiva GmbH übertragen.
III. Das Leasinggeschäft
Nachdem eine unmittelbare Tochtergesellschaft die Immobilie Schloss S. von der Treuhandanstalt erworben hatte, wurde zugunsten des Immobilienfonds ein Erbbaurecht bestellt. Der Immobilienfond schloss zwecks Sanierung mit einer gewerblichen Enkelgesellschaft des KBS e.V. einen Generalübernehmervertrag. Nach Fertigstellung leaste der KBS e.V. die Immobilie Schloss S. vom Immobilienfond und schloss mit einer seiner als gemeinnützigen eingeordneten Enkelgesellschaft einen Betreibervertrag für die Immobilie Schloss S.
Neben dem Großprojekt Schloss S. wurden noch drei weitere vergleichbare Großprojekte in vergleichbarer Weise durch Beteiligungsgesellschaften des KBS e.V. verfolgt.
IV. Die vorinstanzlichen Entscheidungsgründe
Das LG Dresden wies die Klage insgesamt mit Urteil vom 06.04.2004 ab.[3] Nach Ansicht des Gerichts scheitert die Klage teilweise mangels Mitgliedereigenschaft der Beklagten, soweit eine Mitgliedschaft besteht sieht es eine Haftung der Mitglieder mangels für erforderlich gehaltener Konzernlage als nicht begründet an.
C. Entscheidungsgründe
I. Haftung wegen Rechtsformmissbrauch
Nach Ansicht des Senats können Mitglieder eines eingetragenen Vereins wegen Missbrauchs der Rechtsform persönlich haftbar gemacht werden, wenn sich der Verein über das innerhalb des sog. Nebenzweckprivilegs gestattete Maß hinaus wirtschaftlich betätigt und die Mitglieder hiergegen keinen Einhalt gebieten. Danach seien die Diözesanverbände D. und G. und deren Rechtsträger Bistum D. e.V. und Bistum G. e.V. persönlich für die Vereinsschulden einstandspflichtig.
1. Wirtschaftliche Betätigung
Zwar sei der satzungsmäßige Vereinszweck gemeinnütziger Natur, jedoch sei ausschließlich an der tatsächlichen Tätigkeit und am verfolgten Zweck eines Vereins zu bemessen, ob dieser ein Idealverein i.S.d. § 21 BGB oder ein wirtschaftlicher Verein i.S.d. § 22 BGB ist. Das OLG Dresden hält es für nachgewiesen, dass sich der KBS e.V. ausgehend von der Umstrukturierung zu einem reinen Holdingverein in erheblichem mit § 21 BGB nicht mehr zu vereinbarendem Maße wirtschaftlich betätigt habe. Bei der Feststellung über das Ausmaß der wirtschaftlichen Betätigung des KBS e.V. werden vom Gericht neben den vereinseigenen auch die wirtschaftlichen Betätigungen mit einbezogen, die durch dessen Tochter- und Enkelgesellschaften vorgenommen werden, da nach Ansicht des Senats ansonsten die Haftungsprivilegierung bei der Rechtsform des eingetragenen Vereins aufgrund der nur begrenzt zulässigen Erwerbstätigkeit konterkariert würde. Dabei merkt der Senat an, dass er eine Anpassung der Vereinsrechtsrechtsprechung[4] im Hinblick auf die Entwicklungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Bereich des Gesellschaftsrechts[5] für angebracht hält. Dennoch lege er zugunsten der Beklagten die unveränderte Rechtsprechung des BGH seiner Entscheidung zu Grunde.
Das OLG Dresden stützt seine Entscheidung primär auf die Unselbstständigkeit der abhängigen Gesellschaften, die aufgrund der strengen Konzernstrukturen bestehe. Dabei würden die einzelnen Beteiligungsgesellschaften vom KBS e.V. als Konzernspitze wie unselbstständige Betriebsstätten geführt. Zudem ergebe sich die organisatorische und finanzielle Unselbstständigkeit zum aus der undifferenzierten Rechnungslegung und insbesondere durch ein zentrales Cash-Management. Dies werde durch eine personelle Verflechtung zwischen den Konzerngesellschaften und der Konzernspitze nur noch bekräftigt. Der Senat hält die Selbstständigkeit der abhängigen Gesellschaften nur noch formal-juristisch für existent. Daher sei eine Zurechnung der wirtschaftlichen Betätigung der abhängigen Gesellschaften zum KBS e.V. notwendig. Bei einer darauf folgenden Gesamtbetrachtung der wirtschaftlichen Betätigung des KBS e.V. stellt das OLG Dresden fest, dass diese auch nicht mehr von dem allgemein anerkannten Nebenzweckprivileg abgedeckt sei.
2. Dogmatische Grundlage für die Mitgliederhaftung
Eine Haftung der Mitglieder ergebe sich schließlich daraus, dass mit der faktischen Zweckänderung die einzige Legitimation für die Haftungsprivilegierung der Rechtsform des nicht wirtschaftlichen eingetragenen Vereins entfallen sei. Der numerus clausus der zulässigen Vereinszwecke sei bei Lichte gesehen das Korrelat der Kapitalschutzvorschriften bei Kapitalgesellschaften.
Die Zweckbindung im Vereinsrecht habe ihren Grund im Gläubigerschutz und so sei bei Missachtung zumindest dasjenige Mitglied für die Verbindlichkeiten des Vereins wegen Rechtsformmissbrauchs einstandspflichtig,[6] welches Kenntnis der zweckverletzenden wirtschaftlichen Tätigkeit gehabt habe und hiergegen nicht innerhalb seiner spezifischen vereinstrukturbedingten Möglichkeiten Einhalt geboten habe. Dem stehe auch nicht entgegen, dass aufgrund der vereinsinternen Kompetenzverteilung grundsätzlich die Leitungsorgane das Marktverhalten bestimmen. Vielmehr könne dieser Umstand mithin nur im Rahmen der spezifischen Einwirkungsmöglichkeiten der Mitglieder Berücksichtigung finden.
II. Keine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs
Das OLG Dresden hält die Grundsätze über die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs für grundsätzlich auf den Verein anwendbar. Darüber hinaus konvergieren das OLG Dresden und die vorinstanzliche Rechtsprechung im Ergebnis insofern als eine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs nicht begründet ist. Anders jedoch als das LG Dresden sieht das OLG Dresden eine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs aufgrund mangelnden unerlaubten Vermögenseingriffs der Beklagten nicht gegeben.
Kapitel 3 - Zurechenbarkeit wirtschaftlicher Betätigung von abhängigen Gesellschaften
A. Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betätigung im Idealverein
I. Grundlagen und Vereinsklassenabgrenzung
Der Verein ist nach anerkannter Definition ein auf Dauer angelegter, körperlich organisierter Zusammenschluss von Personen, die einen gemeinsamen Zweck verfolgen.[7] Dabei ist die körperliche Organisation nach herrschender Ansicht[8] an drei Merkmalen erkennbar: Ein Gesamtname, eine Vertretung durch einen Vorstand und eine Verselbstständigung des Vereins in seinem Mitgliederbestand. Der so gebildete Verein erlangt die Rechtsfähigkeit entsprechend seines Zwecks nach unterschiedlichen, vom Gesetz angeordneten Systemen. Dabei erlangt der wirtschaftliche Verein i.S.v. § 22 BGB die Rechtsfähigkeit durch staatliche Konzession[9], wobei das Gesetz bei dem nichtwirtschaftlichen Verein i.S.v. § 21 BGB von einem System der Normativbestimmungen[10] ausgeht. Normativer Anknüpfungspunkt für die Eintragung eines nicht wirtschaftlichen Vereins nach § 21 BGB ist, ob der „Zweck“ des Vereins auf einen nichtwirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.[11] Der beschriebene Vereinszweck geht somit über rein ideelle Zwecke hinaus. Die Bezeichnung „Idealverein“ ist streng genommen in ihrer Begrifflichkeit zu eng und nur historisch zu erklären. Bei der Ermittlung des Vereinszwecks ist neben dem Gesamtinhalt der Satzung insbesondere die tatsächliche Betätigung des Vereins zu berücksichtigen.[12]
Trotz der elementaren Bedeutung für Existenz, Rechtsform und Rechtsfähigkeit hat es der Gesetzgeber unterlassen, ein eindeutiges Abgrenzungskriterium zu wählen. Vielmehr hat er es der Judikatur und Jurisprudenz überlassen, der begrifflichen Ungenauigkeit des „wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs“ ein Gesicht zu geben. Welche Schwierigkeiten dies birgt, spiegelt sich in den divergierenden Ansätzen im Schrifttum wider.
1. Abgrenzung nach der gemischt subjektiv-objektiven Theorie
Nach der gemischt subjektiv-objektiven Theorie kann ein Verein mit wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb dennoch Idealverein sein, wenn er mit seinem Geschäftsbetrieb einen ideellen Hauptzweck verfolgt. Nur das kumulative Vorliegen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs und eines ebenso wirtschaftlichen Hauptzwecks führt nach diesem Ansatz zur Einordnung als Wirtschaftsverein.[13] Die Ansicht war früher herrschend[14]. Sie entstand als vermittelnde Meinung aus der „subjektiven“ Theorie, die allein auf den wirtschaftlichen Gehalt des Vereins zwecks abstellte,[15] und der „objektiven“ Theorie, die hingegen allein auf die Vereins tätigkeit abstellte.[16] Dieser Definitionsversuch war in seiner Begrifflichkeit zu weit, so dass sich sowohl die Literatur als auch die Rechtsprechung auch wegen uneinheitlicher Auslegung und mangelnder Rechtssicherheit von dieser nach und nach abwandte.[17]
2. Die teleologisch-typologische Vereinsklassenabgrenzung
Die heute herrschende Meinung[18] beruft sich auf die von K. Schmidt entwickelte teleologisch-typologische Abgrenzung[19]. Ausgehend von seinem Normzweck erfüllt § 22 BGB eine Flankenschutzfunktion für die Normativbestimmungen über Handelsgesellschaften und Genossenschaften[20] und soll eine Unterwanderung der strukturellen Anforderungen zum Schutze der Gläubiger und Mitglieder verhindern.[21] Das Verfahren der Konzessionierung des wirtschaftlichen Vereins soll solche Vereinigungen von der Rechtsform des Vereins ausschließen, die sich auch der Rechtsform einer Handelsgesellschaft hätten bedienen können.
Da jedoch die Schwierigkeit der Begriffsbildung einer negativen Abgrenzungsform immanent ist, hat K. Schmidt drei Grundtypen des wirtschaftlichen Vereins ausgearbeitet.[22] An erster Stelle steht dabei der Volltypus des unternehmerisch tätigen Vereins, der sich durch dauerhafte und planmäßige Leistungen gegen Entgelt an einem äußeren Markt auszeichnet.[23] Auf die Motive der Mitgliedschaft und ein tatsächliches Gewinnstreben des Vereins kommt es dabei nicht an.[24] Der zweite Typus des Wirtschaftsvereins ist der Verein mit unternehmerischer Tätigkeit an einem inneren Markt, wobei sich Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen dem typischen geldwerten Vorteil jedes Vereinsmitglieds und der Angebotstätigkeit am Binnenmarkt ergeben.[25] Der dritte Typus ist der genossenschaftlich tätige Verein. Darunter fallen insbesondere Vereine, die ausgelagerte Teilfunktionen der an ihm beteiligten Unternehmen wahrnehmen.[26]
Darauf aufbauend berücksichtigt D. Reuter bei seinen Überlegungen neben dem Mitgliederschutz auch eingehend die Stamm- und Grundkapitalfunktion als Risikobeteiligung der Mitglieder und erweitert daraufhin die Grundtypen des Wirtschaftsvereins i.S.v. § 22 BGB zum einen um den sog. Holdingverein und zum anderen um den Vermögensverwaltungsverein.[27]
[...]
[1] OLG Dresden, Urteil v. 9.8.2005 – 2 U 857/04, ZIP 2005, S. 1680 ff.
[2] Böckmann, ZIP 2005, S. 2186 ff.
[3] LG Dresden, Urteil v. 6.4.2004 – 10 O 5117/02 (unveröffentlicht).
[4] Dabei bezieht sich der Senat namentlich auf die vom BGH entwickelten Grundsätze im Urteil v. 29.9.1982 – I ZR 88/80, BGHZ 85, 84 = JuS 1983, S. 553.
[5] Im Spezielleren werden vom Gericht die Rechtsprechungsentwicklungen im Bereich des Konzernrechts und bzgl. der Haftungsprinzipien zum Existenz vernichtenden Eingriff angeführt.
[6] An dieser Stelle vergleicht das OLG Dresden die Haftung mit der in einer Vorgesellschaft, bei der die Gesellschaft die Eintragungsabsicht aufgegeben haben, vgl. OLG Dresden, Urteil v. 9.8.2005 – 2 U 897/04, ZIP 2005, S. 1680 (1688).
[7] S. bspw. RG, Urteil v. 2.1.1905 – VI 153/04, RGZ 60, S. 94 (96); RG, Urteil v. 18.1.1934 – IV 369/33, RGZ 143, S. 212 (213); RG, Urteil v. 29.10.1940 – VII 44/40, RGZ 165, S. 140 (143); MünchKommBGB/ Reuter, §§ 21, 22, Rn. 1; Soergel/ Hadding, Vor § 21, Rn. 44; Staudinger/ Weick, Vorbem. zu §§ 21 ff., Rn. 43 jeweils m.w.N.; aber auch schon Enneccerus / Nipperdey, Bürgerliches Recht, Bd. 1, § 103 u. § 104 II 1.
[8] MünchKommBGB/ Reuter, §§ 21, 22, Rn. 1; Soergel/ Hadding, Vor § 21, Rn. 44; Staudinger/ Weick, Vorbem. zu §§ 21 ff., Rn. 43 jeweils m.w.N.; Reichert, Hdb. Vereins- u. Verbandsrecht, Rn. 5; Enneccerus / Nipperdey, Bürgerliches Recht, Bd. 1, § 103 u. § 104 II 1; Flume, Juristische Person, S. 99 f.
[9] Zur genaueren Funktionsweise und Bedeutung: Mummenhoff, S. 92 ff., 210 ff.; dazu K. Schmidt, ZHR 147 (1983), S. 43 ff.; ders., NJW 1979, S. 2239 ff.
[10] Hierzu s. Soergel/ Hadding, Vor § 21, Rn. 20.
[11] Soergel/ Hadding, §§ 21, 22, Rn. 12-17, 19; für eine umfangreiche Fallgruppenaufzählung s. Stöber, Vereinsrecht, Rn. 59.
[12] BayOblG, Beschluss v. 27.10.1976 – 2 Z 40/76, Rpfleger 1977, S. 19; KG, Beschluss v. 26.10.2004 – 1 W 269/04, NJW-RR 2005, S. 339; Staudinger/ Weick, § 21, Rn. 20; Palandt/ Heinrichs, § 21 Rn. 6; Soergel/ Hadding, §§ 21, 22, Rn. 18; Mummenhoff, S. 106 ff.
[13] Eingehende Nachweise bei K. Schmidt, Verbandszweck, S. 102 f.
[14] Vgl. nur Schwierkus, S. 8 Fn. 1 mit umfassenden w.N.
[15] Samter, DJZ 1900, S. 311 ff.; Hölder, DJZ 1900, S. 412 f.; C. P. Wiedemann, Ideale Vereine, S. 241 ff.
[16] Planck, BGB-Kommentar, § 21, Rn. 2; Levis, DJZ 1901, S. 479; Nitschke, S. 123f.; Reinhardt, FS Paulick, S. 3 (7 ff.); Flume, Juristische Person, S. 105.
[17] Jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung: Soergel/ Hadding, §§ 21, 22, Rn. 21; Staudinger/ Weick, § 21, Rn. 6; MünchKommBGB/ Reuter, §§ 21, 22, Rn. 5; Reuter, ZIP 1984, S. 1052 ff.; K. Schmidt, Verbandszweck, S. 103 f.
[18] OLG Düsseldorf, Beschluss v. 10.12.1997 – 3 Wx 488-97, NJW-RR 1998, S. 683; BayOblG, Beschluss v. 8.4.1998 – 3Z BR 302/97, NJW-RR 1999, S. 765; LG Bonn, Beschluss v. 28.5.1991 – 5 T 70/91, Rpfleger 1991, S. 423; LG Frankfurt a.M. Beschluss v. 17.6.1994 – 2/9 T 214/94, NJW 1996, S. 2039; LG Gießen, Beschluss v. 23.8.1999 – 7 T 207/99, Rpfleger 2000, S. 24; Soergel/ Hadding, §§ 21, 22, Rn. 24 ff.; Staudinger/ Weick, § 21, Rn. 7 f.; MünchKommBGB/ Reuter, § 21,22, Rn. 6; Reichert, Hdb. Vereins- u. Verbandsrecht, Rn. 104 ff; Sauter/Schweyer/ Waldner, Rn. 42 ff.; a.A. noch Flume, Juristische Person, S. 105 f.; ebenso kritisch Schad, NJW 1998, S. 2411 ff.
[19] Erstmals in K. Schmidt, Rpfleger 1972, S. 286 ff., 343 ff.; ders., ZGR 1975, S. 477 ff.; ausführlich in ders., Verbandszweck, S. 99 ff.; ders., Rpfleger 1988, S. 45 ff., ders., AcP 182 (1982), S. 9 ff; ders., Gesellschaftsrecht, § 23 III 2. b) u. c).
[20] K. Schmidt, AcP 182 (1982), S. 1 (12).
[21] K. Schmidt, Verbandszweck, S. 92-99, ders., AcP 182 (1982), S. 1 (10 ff.).
[22] Vgl. zuerst K. Schmidt, Rpfleger 1972, 268 ff.; ders., Rpfleger 1972, S. 343 ff., weiterführend ders. AcP 182 (1982), S. 16 ff., ders., Verbandszweck, S. 105 ff. m.w.N.; zusammenfassend ders., Rpfleger 1988, S. 45 ff.
[23] K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 23 III, 3. a); ders., Verbandszweck, S. 105 f.; ders., AcP 182 (1982), S. 1 (16); Beispiele sind: Sparkassen in Vereinsform, Wohnungsvermittlungsvereine oder Gewinnspielvereine
[24] K. Schmidt, Rpfleger 1988, S. 45 (46).
[25] K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 23 III 3 b); ders., Verbandszweck, S. 106; ders., AcP 182 (1982), S. 1 (17); so beispielsweise die Scientology Church.
[26] S. bspw. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 23 III 3. c); ders., Verbandszweck, S. 106 f.; ders., AcP 182 (1982), S. 1 (17 f.); so beispielsweise eine Funktaxizentrale, die nur Kundenvermittlung für ihre Mitglieder betreibt.
[27] MünchKommBGB/ Reuter, §§ 21, 22, Rn. 36 ff.
- Arbeit zitieren
- F. Sebastian Hack (Autor:in), 2006, „Wirtschaftliche Betätigung des Idealvereins“ - Zugleich Besprechung des Urteils des OLG Dresden vom 09.08.2005 – 2 U 897/04, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116312
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