Die Arbeit plädiert für einen stärkeren humanitären Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden im europäischen Raum sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene.
Dabei soll im ersten Teil zum einen die europäische Asylrechtspolitik in ihren Grundzügen erläutert werden, dabei spielen u. a. die Begriffe der Grenz- und Migrations- bzw. Asylregime eine übergeordnete Rolle. Im Besonderen wird versucht die Mechanismen des Dublin-Systems darzustellen und wie die von europäischer Seite vorgegebenen Verordnungen und Richtlinien des Dublin-Systems in die nationale Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland ihren Eingang finden.
Im zweiten Teil dieser Arbeit wird die Soziale Arbeit, allem voran ihre Arbeitsethik, ihre Zielsetzungen und Menschenbilder sowie die Assimilation als eines der ihr zu Grunde liegenden Integrationskonzepte vor- und das Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit mit Flüchtlingen genauer dargestellt. Schlussendlich hat sich diese Arbeit zum Ziel gesetzt zu erläutern, ob und inwiefern eine gelingende Soziale Arbeit mit Flüchtlingen mit den nationalen und europäischen Migrations- und damit auch Flucht- und Asylrechtspolitiken vereinbar sein kann.
Inhaltsverzeichnis
Teil 1
Einleitung
1. Bestimmung zentraler Begrifflichkeiten
1.1. Migration
1.2. Migrationspolitik(en)
1.3. Asyl
1.3.1. Asylbewerber/Asylsuchende
1.3.2. Asylberechtigte - anerkannte Flüchtlinge
1.4. Subsidiär Schutzberechtigte
1.5. Illegale - irreguläre - klandestine Migration
1.6. EU-Verordnung und EU-Richtlinie
2. Der Nationalstaat und die Entstehung von Migrationsregimen
2.1. Regime
2.2. Die Entstehung eines Migrationsregimes am Beispiel Deutschlands
2.3. Die EU als Grenzregime
3. Gesetze - Verordnungen - Abkommen
3.1. Geschichte der gemeinsamen EU-Asyl- und Flüchtlingspolitik
3.2. Das Dubliner Übereinkommen von 1990
3.3. Die Dublin II und III - Verordnung und das „Dublin-System“
4. EU - Richtlinien im Kontext des „Dublin - Systems“
4.1. Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU
4.2. Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU
4.3. Richtlinie für vorübergehenden Schutz 2001/55/EG
5. Kritik an der Praxis des „Dublin - Systems“
5.1. Zusammenhang zwischen Schengen und EU - Außengrenzen
5.2. Die EU-Außengrenzen und die Rolle von FRONTEX im europäischen Grenzregime
5.3. Ceuta und Melilla - Ikonen der „Festung Europa“
6. Schlussfolgerungen
Teil 2
7. Was ist Soziale Arbeit?
7.1. Soziale Arbeit als Profession - Soziale Arbeit als Disziplin
7.2. Der Weg zur Sozialen Arbeit
8. Ethische Grundsätze der Sozialen Arbeit
8.1. Menschenbilder
8.2. Das Menschenbild der Sozialen Arbeit
8.3. Integration oder Assimilation?
8.3.1. Integration
8.3.2. Die vier Dimensionen der Sozialintegration
8.3.3. Assimilation
8.4. Das Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit
8.5. Der lebensweltorientierte Ansatz in der Sozialen Arbeit mit Migranten
8.6. Soziale Arbeit und Politik
9. Fazit und perspektivische Möglichkeiten der Sozialen Arbeit mit Flüchtlingen
Literaturverzeichnis
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Menschen bedanken, die mir bei der Entstehung dieser Arbeit geholfen haben, ganz im Besonderen meiner Verlobten Elisa Lorenzoni, die eineinhalb Monate nach Fertigstellung dieser Arbeit meine Frau werden wird und meiner Betreuerin im Bachelorseminar Frau PD Dr. Petra Reinhartz.
Ich widme diese Arbeit außerdem all denjenigen Menschen, die auf dem Weg in eine lebenswertere Zukunft ihr Leben gelassen haben.
"Ihrführt Krieg?
Ihrfürchtet euch voreinem Nachbarn?
So nehmt doch die Grenzsteine weg -- so habt ihr keinen Nachbarn mehr.
Aber ihrwollt den Krieg und deshalb erst setzet ihr die Grenzsteine."
- Friedrich Nietzsche -
TEIL 1
Einleitung
Dem Thema dieser Arbeit „Die EU-Asylrechtspolitik mit Schwerpunkt auf das Dublin-System im deutschsprachigen Raum und ihre Kompatibilität mit der Sozialen Arbeit mit Flüchtlingen“ liegt die Motivation zugrunde, die höchst aktuelle Debatte im Umgang der europäischen Grenz- und Asylregime mit Flüchtlingen und Asylsuchenden näher zu beleuchten und insbesondere die Konzepte der Sozialen Arbeit mit Flüchtlingen vorzustellen und darzulegen, inwiefern die Soziale Arbeit als Profession und Beruf in ihrem Arbeitsethos und ihrem Menschenbild mit diesem Umgang vereinbar sein kann.
Aktuell ist das Thema Flucht und Asyl auch deshalb, weil erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges über 50 Millionen Menschen (51,2 Mio.) weltweit auf der Flucht sind, dies zeigte der Jahresbericht der UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees), der im Juni 2014 veröffentlicht wurde. Diese Angaben basieren auf statistisch erhobenen Daten von Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und der UNHCR selbst. Die meisten dieser Flüchtlinge stammen dabei aus Afghanistan, Syrien und Somalia und stellen gemeinsam knapp die Hälfte der weltweit Geflüchteten, wobei Pakistan, der Iran und der Libanon die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben. Ungefähr 33 Millionen Flüchtlinge sind so genannte Binnenflüchtlinge, d.h. Menschen, die innerhalb ihres Herkunftslandes auf der Suche nach Schutz vor politischer und religiöser Verfolgung, vor Armut und vor Hungersnot unterwegs sind (vgl. United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) 2014b).
Schaut man sich die drei genannten Aufnahmeländer an, so fällt auf, dass unter ihnen kein europäischer Industriestaat zu finden ist, sollte man doch meinen, dass gerade die großen europäischen Einwanderungsländer wie z.B. Deutschland, Frankreich oder auch Großbritannien mit ihren Sozialsystemen, ihrer Infrastruktur und ihrer politischen Stabilität die Kapazitäten besitzen, um Menschen in Not zumindest auf kurz- und mittelfristige Sicht eine sichere Heimat und Zukunft bieten können. Stattdessen nimmt ein zunehmend negativer Diskurs über Migration, Asyl und die Aufnahme von Flüchtlingen sowohl politisch als auch medial die Überhand. Dieser Diskurs besteht auf nationaler Ebene der europäischen Mitgliedstaaten, sowie auf europäischer Ebene aus restriktiver Abschottungsrhetorik und dementsprechender Umsetzung nationaler und europäischer Rechtsprechungen.
Erst vor Kurzem im Verlauf der letzten Züge des Entstehungsprozesses dieser Arbeit sind Ende April 2015 wieder insgesamt ca. 1300 Menschen bei ihrem Versuch europäisches und damit aus ihrer Sicht sicheres Festland zu erreichen auf dem Mittelmeer gestorben. Doch Europa und die Bundesregierung Deutschlands setzen in ihren Plänen zur Rettung von Menschenleben weiterhin auf Grenzsicherung, Schlepperbekämpfung, die Kooperation mit Herkunftsstaaten und militärische Aufrüstung im Mittelmeer (vgl. Pro Asyl Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. 2015b).
Aus einer Perspektive der Sozialen Arbeit heraus, deren Grundlage allen voran die Menschenrechte sind, kann eine solche Abschottungspolitik keine Lösung und kein akzeptabler Zustand sein. Doch auch den verhältnismäßig wenigen Flüchtlingen und Asylsuchenden, die es geschafft haben einen Weg über die für sie geschlossenen Grenzen nach Deutschland zu finden, werden viele Hürden in den Weg gestellt. Sie haben einen eingeschränkten Zugang zu Bildung, zum Arbeits- und zum Wohnungsmarkt oder auch zum Sozial- und Gesundheitssystem und auch dies muss eine gelingende Soziale Arbeit mit Flüchtlingen zum Gegenstand ihrer alltäglichen Arbeit machen.
Die vorliegende Arbeit plädiert für einen stärkeren humanitären Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden im europäischen Raum sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Dabei soll im ersten Teil zum einen die europäische Asylrechtspolitik in ihren Grundzügen erläutert werden, dabei spielen u.a. die Begriffe der Grenz- und Migrations- bzw. Asylregime eine übergeordnete Rolle. Im Besonderen wird versucht die Mechanismen des Dublin-Systems darzustellen und wie die von europäischer Seite vorgegebenen Verordnungen und Richtlinien des Dublin-Systems in die nationale Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland ihren Eingang finden.
Im zweiten Teil dieser Arbeit wird die Soziale Arbeit, allem voran ihre Arbeitsethik, ihre Zielsetzungen und Menschenbilder, sowie die Assimilation als eines der ihr zu Grunde liegenden Integrationskonzepte vor- und das Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit mit Flüchtlingen genauer dargestellt. Schlussendlich hat sich diese Arbeit zum Ziel gesetzt zu erläutern, ob und inwiefern eine gelingende Soziale Arbeit mit Flüchtlingen mit den nationalen und europäischen Migrations- und damit auch Flucht- und Asylrechtspolitiken vereinbar sein kann.
Angemerkt werden soll des Weiteren, dass diese Arbeit nicht den Anspruch der Vollständigkeit erhebt und dass zur Vereinfachung und besseren Lesbarkeit dieser Arbeit außerhalb von Zitaten auf eine mehrgeschlechtliche Formulierung verzichtet wurde, immer mit dem Hinweis darauf, dass selbstverständlich beide Geschlechter gemeint sind und die Formulierung in der männlichen Form keine Diskriminierung darstellen soll.
1. Bestimmung zentraler Begrifflichkeiten
Um dem Verlauf dieser Arbeit besser folgen zu können, sollen im Folgenden einige zentrale Begrifflichkeiten, wie z.B. Migration, Migrationspolitik(en), Asyl oder auch Flüchtling näher bestimmt und/oder definiert werden.
1.1. Migration
Im etymologischen Sinne entstammt das Wort Migration dem lateinischen migrare bzw. migratio und bedeutet wandern oder wegziehen. Dem Ursprung nach ist Migration also ein sehr weit gefasster Begriff. Die UN definiert den internationalen Migranten wie folgt: „Thus, an international migrant is defined as any person who changes his or her country of usual residence. A person's country of usual residence is that in which the person lives, that is to say, the country in which the person has a place to live where he or she normally spends the daily period of rest. Temporary travel abroad for purposes of recreation, holiday, business, medical treatment or religious pilgrimage does not entail a change in the country of usual residence“ (United Nations 1998, S. 9). Des Weiteren wird von der UN folgende Einschränkung vorgenommen: „[...] a person is considered to be a resident in a country if the person: (a) has lived for most of the past year (12 months) in that country or (b) has lived in that country for a shorter period and intends to return within 12 months to live in that country [...]“ (United Nations 1998, S. 9). Treibel (2008) gibt eine weitere Definitionsmöglichkeit vor: „Migration ist der auf Dauer angelegte bzw. dauerhaft werdende Wechsel in eine andere Gesellschaft bzw. in eine andere Region von einzelnen oder mehreren Menschen. So verstandene Migration setzt erwerbs-, familienbedingte, politische oder biographisch bedingte Wanderungsmotive und einen relativ dauerhaften Aufenthalt in der neuen Region oder Gesellschaft voraus; er schließt den mehr oder weniger kurzfristigen Aufenthalt zu touristischen Zwecken aus“ (S. 21). Falk und Nohlen (2011) definieren Migration im kleinen Lexikon der Politik als: „ [...] Wanderungsbewegungen von Individuen innerhalb staatl. Grenzen (Binnenmigration) oder über diese hinweg (internat. M[igration]), die auf die temporäre oder permanente Verlagerung des Lebensmittelpunktes dieser Person gerichtet sind“ (S. 370). Ludger Pries (2001) verwendet in seiner Definition den von Albert Einstein geprägten Begriff Container: „Seit der weltweiten Durchsetzung von Nationalstaaten als der primären politischen Verfassung gesellschaftlichen Zusammenlebens in den letzten zwei Jahrhunderten wird externe oder internationale Migration allgemein als Wechsel von einem nationalstaatlichen >Container< in einen anderen aufgefasst" (S. 5).
Düvell (2006) meint schließlich, es gäbe keine kohärente Theorie zur Migration und die existierenden Definitionen, wie bspw. die der UN seien vor allem aus pragmatischen Gründen eingeführt worden, um „Wanderungsbewegungen von Menschen anhand von standardisierten Datensätzen, üblicherweise dem Bevölkerungszensus, messbar zu machen" (vgl. S. 5). „All diese Definitionen können angesichts der Komplexität von Migration, insbesondere aufgrund ihrer Flüchtigkeit, ohnehin nicht aufrechterhalten werden. Insofern müssen die Leser enttäuscht werden: es gibt keine einheitliche Definition. Statt einer gibt es viele Definitionen, die meisten sind mit einem beschreibenden Adjektiv versehen und nicht wenige Autoren verzichten aufgrund der Schwierigkeiten inzwischen völlig darauf, das, worüber sie schreiben auch zu definieren" (ebd., S. 6).
Ähnlich wie Düvell stellt auch Doreen Müller (2010) fest, dass sowohl in den Sozialwissenschaften, als auch auf politisch-administrativer Ebene der unterschiedlichen Staaten und internationalen Organisationen Uneinigkeit herrscht, was unter dem Terminus Migration zu verstehen ist: „Muss der Wohnort gewechselt und eine politische Grenze überschritten werden, damit man von Migration sprechen kann? Welche Distanz muss mindestens zurückgelegt worden sein? Kann man schon bei einem Aufenthalt in einer anderen Region von weniger als einem Jahr von Migration sprechen? Und lässt sich Migration auf bestimmte Zwecke eingrenzen? All diese Fragen deuten die Vielfalt möglicher Begriffsbestimmungen an und haben dazu geführt, dass verschiedene Dimensionen von Wanderungsprozessen unterschieden werden, die zur Klassifizierung von Migrationsbewegungen herangezogen werden können“1 (S. 18).
Ausgegangen wird in der vorliegenden Arbeit vom zentralen Aspekt einer Wanderungsbewegung, den alle Definitionen gemeinsam haben, dementsprechend wird auch die Schwerpunktthematik dieser Arbeit - Flucht und Asyl - als Teil von Migration betrachtet. Pries (2001) kommt zu dem Schluss, dass eine klare Differenzierung zwischen Arbeitsmigration und Fluchtmigration im klassischen2 Sinne nur schwer möglich ist: „Danach erfolgt erstere freiwillig und aus ökonomischen Gründen, Letztere hingegen gezwungenermaßen und aufgrund von Naturkatastrophen, Kriegen oder politischer Verfolgung. Das internationale Recht (z.B. nationale Asylrechtsgesetze, allgemeine Menschenrechte) und auch die internationale Politik fußen auf dieser Differenzierung und orientieren daran unterschiedliche Handlungsstrategien (z.B. zeitlich befristete Aufnahme von Hundertausenden von Kosovo-Kriegsflüchtlingen, strikte Kontrolle und/oder Kontingentierung von Arbeitsmigranten)“ (S. 10).
Zu einem vergleichbaren Schluss kommt auch Müller (2010): „Versuche, unterschiedliche Grade an Freiwilligkeit zu definieren und verschiedene Fluchtgründe (ökonomische, politische, ökologische, soziale) fein zu differenzieren und zu hierarchisieren und auf diese Weise Migration und Flucht voneinander zu trennen, werden dem Phänomen [...] nicht gerecht. Flucht als Bestandteil von Migration zu begreifen verweist stattdessen auf die fließenden Übergänge, die die Ausprägungen verschiedener Migrationsbewegungen miteinander verbinden“ (S. 20).
1.2. Migrationspolitik(en)
Ähnlich wie mit den Definitionsversuchen von Migration verhält es sich mit dem Begriff der Migrationspolitik. In der Literatur finden sich verschiedene Definitionsversuche, so schreibt Düvell (2006): „Unter Migrationspolitik werden alle politischen Maßnahmen verstanden, die explizit auf die geographische Mobilität von Menschen zielen. Migrationspolitik ist sowohl ein eigenständiges Politikfeld, wie auch ein Teilbereich anderer Politikfelder, etwa der Innen, Außen-, Sicherheits-, Handels-, Bevölkerungs- oder Entwicklungspolitik. Migrationspolitik intendiert wahlweise die bloße Steuerung, Ermutigung, Kontrolle, Beschränkung, Verhinderung oder auch nur Erfassung von Migration. Sie umfasst die Aufgaben der Kontrollorgane ebenso, wie die Rechte von Migranten, Anwerbung ebenso, wie Abschiebung. Richtigerweise ist deshalb nicht von einer Migrationspolitik, sondern vielmehr von Migrationspolitiken zu sprechen“ (S. 113). Auch Nohlen und Falk (2011) erläutern: „Migrationspolitik (Mp.) umfasst die auf M. bezogenen polit. Strukturen, Prozesse und Programme, insbes. die staatl. Steuerung und Kontrolle des Zugangs zu Territorium (...) und Gesellschaft [...]. Für den europ. Raum sind Bezugspunkte von Mp. insbes. die Zuwanderung von Arbeitskräften, die ethnische oder kolonial geprägte M., die M. von Flüchtlingen [.] sowie die irreguläre Migration. Auch gilt es Rückwanderungen von Staatsangehörigen zu berücksichtigen. [.] Mp. berührt eine Vielzahl anderer Politikfelder wie Innenpolitik und Sicherheitspolitik, Außenpolitik, Menschenrechtspolitik, Wirtschaftspolitik und Entwicklungspolitik“ (S. 370). Etwas ausführlicher listet Müller (2010):
„Migrationspolitik
- ist der Versuch räumliche - vor allem grenzüberschreitende - Mobilität zu beeinflussen bzw. zu kontrollieren, durch die Regulierung des Zugangs zum Territorium (Bedingungen von Ein- und Ausreise: Formulierung legaler Einwanderungsoptionen, Grenzregime) und des rechtlichen Status innerhalb des Territoriums [.] (Kategorisierung und Hierarchisierung, Bedingungen des Aufenthalts, Zugang zu sozialen und politischen Rechten, Minderheitenrechte, Antidiskriminierung).
- basiert auf der Definition von räumlich abgegrenzten, souveränen Territorien - die sich seit dem 19. Jahrhundert in Westeuropa als Nationalstaaten manifestieren - und damit verbundenen Konstruktionen von Zugehörigkeit, die nationalstaatlich über die Staatsbürgerschaft und verschiedene Konzepte zu deren Erlangung und Verleihung geregelt sind.
- speist sich aus Motiven, Interessen und Maßnahmen anderer Politikfelder (Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Außen- und Sicherheitspolitik).
- ist geprägt durch eine Vielzahl unterschiedlicher AkteurInnen auf nationaler, intergouvernementaler und supranationaler Ebene (Nationalstaaten, MigrantInnenselbstorganisationen, IOs, NGOs, Initiativen, Unternehmen, intergouvernementale und supranationale Institutionen, WissenschaftlerInnen, und Think Tanks), deren Interessen im Migrationsregime aufeinander treffen. Ein weiterer Akteur sind die Medien, die diese Interessen nicht nur ,neutral' vermitteln, sondern eigenständig strukturieren - bedingt durch eigene, vor allem wirtschaftliche Interessen sowie ihre institutionellen Strukturen. Die Durchsetzung der Interessen der verschiedenen AkteurInnen ist abhängig von ihrer jeweiligen Macht- und Verhandlungsposition, die wiederum von weiteren Faktoren (zum Beispiel Zugang zu Ressourcen, Medien und Netzwerken, das jeweilige politische System und die politische Kultur) beeinflusst werden.
- ist durch Prozesse der Supra- und Transnationalisierung, NGOisierung und Privatisierung im Wandel begriffen.
- ist häufig gekennzeichnet durch eine Kluft zwischen proklamierten Zielen, Output und Outcome.
- ist in den westeuropäischen Ländern eingebettet in einen kontroversen, häufig mit Ressentiments beladenen öffentlichen Diskurs" (S. 23).
Ata? (2011) nimmt eine grundlegende Unterscheidung zwischen Migrationspolitik einerseits und Einwanderungspolitik andererseits vor: „In der Einwanderungs- bzw.
Zuwanderungspolitik geht es um Fragen der Steuerung von Zuwanderung, also wer unter welchen Bedingungen in ein Staatsgebiet einreisen und sich dort aufhalten darf" (S. 316). In der Migrationspolitik hingegen geht es um: „[...] solche Regulierungsmaßnahmen, die nach der einmal erfolgten Migration in Form von rechtlichen Maßnahmen, von Citizenship- und Staatsbürgerschaftspolitik stattfinden, was auch als Integrationspolitik zusammengefasst werden kann“ (ebd.). Dennoch, so schreibt Ata? weiter: „[...] sind beide Bereiche nicht unabhängig voneinander zu verstehen. Der rechtliche Status von MigrantInnen bei der Einreise bildet den Rahmen für die Möglichkeit der Partizipation von MigrantInnen in politischen, ökonomischen und sozialen Bereichen und spielt eine wichtige Rolle für Formen politischer Inklusion und Exklusion. Zuwanderungspolitiken haben damit Konsequenzen für den künftigen rechtlichen, sozialen und politischen Status von MigrantInnen“ (ebd., S. 316f.). Weiterführend werden an diesem Punkt auch Erwartungshaltungen bzw. -horizonte geöffnet, denn die Zuwanderungspolitik eines Nationalstaates signalisiert an die sich ihm zugehörig fühlende Gesellschaft, wer Teil dieser Gesellschaft ist und wer nicht (vgl. Castles und Miller 2009, S. 252).
Benedikt (2004) meint u.a., dass Definitionen von Migration und Politik immer schon bestimmte Vorentscheidungen über Zugehörigkeiten implizieren. Seinen Ausführungen zufolge werden z.B. Menschen, die aufgrund ihres Studiums, ihrer Beziehung oder ihres Berufswechsels dauerhaft nationale Grenzen innerhalb Europas überschreiten, kaum als Migranten wahrgenommen, der Begriff beinhaltet „[...] implizit [...] eine Vorentscheidung über eine Wir- und eine Sie-Gruppe.“. Benedikt stellt die These auf, dass sich ein diskursiver Wandel „[...] von einer vorausgesetzten nationalen Wir-Gruppe beim Sprechen über Migration hin zu einer (unions-) europäischen' Wir-Gruppe derzeit vollzieht und zum Teil schon vollzogen hat [...]" (S. 65f.). Um dies zu verdeutlichen schreibt Benedikt: „Auf EU- Ebene wird Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern als Migration problematisiert und vor allem im Bereich Justiz und Inneres thematisiert, während EU-interne Migration als Frage der ,grenzüberschreitenden Mobilität', ,Freizügigkeit von Personen' oder ,Mobilität des Humankapitals' betrachtet wird“ (ebd., S. 67).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich sowohl bei der Entstehung, als auch bei der Gestaltung von Migrationspolitiken gegensätzliche und teils widersprüchliche Interessen gegenüberstehen. „Einerseits werden die Interessen der beteiligten AkteurInnen verhandelt, und gleichzeitig wird Migrationspolitik als eine Angelegenheit nationaler Identität und Souveränität gesehen. Diese unterschiedlichen Faktoren beeinflussen die Migrationspolitik und machen sie komplex und widersprüchlich“ (Ata? 2011, S. 317).
1.3. Asyl
Etymologisch betrachtet stammt der Begriff Asyl vom lateinischen Wort asylum bzw. auch dem griechischen asylon ab und bedeutet Zufluchtsort aber auch Heim oder Unterkunft. „Global gesprochen ist es primäres Ansinnen der GFK [Genfer Flüchtlingskonvention - Anm. d. Verf.], diesen Rechtsschutz zu artikulieren. In Art. 33 Abs. 1 GFK manifestiert sich dieser Schutz in dem sogenannten non-refoulement- Grundsatz [.]“ (Höllmann 2014, S. 40):
Das non-refoulement-Prinzip ist ein wichtiger Eckpfeiler des internationalen Flüchtlingsschutzes. Artikel 33, Absatz 1 der GFK regelt die Nichtdurchführung von Ausweisungen bzw. Abschiebungen: „Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde“ (UNHCR 1951, S. 15).
1.3.1. Asylbewerber/Asylsuchende
Asylsuchende sind Personen, die in einem fremden Land um Asyl - also um Aufnahme und Schutz vor Verfolgung - ansuchen und deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl o.J.). Bei positivem Abschluss des Asylverfahrens, sind sie Asylberechtigte bzw. anerkannte Flüchtlinge. Solange der Person kein Asylbescheid ausgestellt wird und somit keine Erledigung des Asylverfahrens vorliegt, gilt sie als Asylbewerber bzw. Asylsuchender. Durch das erlangte Aufenthaltsrecht, das die Personen durch das Stellen eines Asylantrages erhalten haben, ist die schutzsuchende Person vor Zugriffen des Herkunftsstaates sicher. Nach der Einreichung des Asylantrages ist die zuständige Behörde verpflichtet, ein Asylverfahren durchzuführen, bei welchem den Asylkriterien zufolge entschieden wird, ob der Asylsuchende in den Status des Asylberechtigten erhoben wird oder nicht.
1.3.2. Asylberechtigte - anerkannte Flüchtlinge
Am 28. Juli 1951 wurde in Genf das sog. Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, kurz Genfer Flüchtlingskonvention (nachfolgend als GFK bezeichnet), unterzeichnet. Mit dem New Yorker Protokoll von 1967 wurde der Wirkungsbereich des GFK dann sowohl zeitlich, als auch geographisch erweitert (vgl. Höllmann 2014, S. 36). Bisher haben 147 Staaten die GFK unterzeichnet. Die GFK definiert in Artikel 1, Abschnitt A, Absatz 2 deutlich, wer als Flüchtling zu bezeichnen ist:
„Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck ,Flüchtling' auf jede Person Anwendung: [...] die infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, und aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will" (UNHCR 1951, S. 2). Diese Genfer Flüchtlingskonvention liefert die allgemein gültige Definition des Flüchtlings auf der sowohl im wissenschaftlichen, als auch im politischen Alltag Denk- und Handlungsweisen basieren (vgl. Höllmann 2014, S. 36).
Asylberechtigte sind Personen, deren Asylantrag positiv entschieden wurde. Sie sind rechtlich als Flüchtlinge anerkannt. Asylberechtigte dürfen dauerhaft in Österreich bleiben. Sie sind Österreicher/innen weitgehend gleichgestellt und ihnen wird die Genehmigung, einer offiziellen Erwerbstätigkeit nachzugehen, zugesprochen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl o.J.).
Zum (anerkannten) Flüchtling wird eine Person erst nach bereits durchlaufenem und positiv bestätigtem Asylverfahren. Zwar gilt der Begriff Asylant als politisch korrekter Begriff, jedoch wird aufgrund der negativen Konnotation in der Regel der Begriff anerkannter Flüchtling verwendet.
1.4. Subsidiär Schutzberechtigte
„Subsidiären Schutz erhalten Personen, deren Asylantrag zwar mangels Verfolgung abgewiesen wurde, aber deren Leben oder Gesundheit im Herkunftsstaat bedroht wird. Sie sind daher keine Asylberechtigten, erhalten aber einen befristeten Schutz vor Abschiebung. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten kann (unter Umständen auch mehrmals) verlängert werden, wenn bei Ablauf der Befristung die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen“ (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl o.J.).
Im Unterschied zu Asylberechtigten - also jenen, denen Asyl gewährt wurde - braucht man mit dem Status „subsidiärer Schutz“ ebenfalls eine Arbeitsbewilligung, die oft schwer zu bekommen ist (vgl. Deserteurs- und Flüchtlingsberatung o.J.).
1.5. Illegale - irreguläre - klandestine Migration
Zusätzlich zur allgemeinen Thematik der Migration scheint es sinnvoll das Thema der illegalen Migration besonders hervorzuheben. Mit Bezug auf Thiele (2005) stellt Heck fest: „Während vor der Grundgesetzänderung in den Debatten um Migration das Feindbild des »Asylanten« oder Flüchtlings vorherrschte [...], nimmt seit den 1990-er Jahren das Bedrohungsszenario der »illegalen Einwanderung« einen zentralen Stellenwert ein. Die Gestalt des »illegalen Migranten« hat die des Flüchtlings abgelöst“ (Heck 2008, S. 37).
In der wissenschaftlichen Forschung wird der Begriff der illegalen Migration oft als ausgrenzend und stigmatisierend kritisiert, deshalb wird vorgeschlagen, Begriffe wie irregulär, undokumentiert oder klandestin3 zu verwenden. Andererseits gibt es Forscher4, die wiederum den Gebrauch dieser Wörter kritisieren, da sie nicht die Tatsache wiederspiegeln, dass aus illegalen Migranten eine spezifische Gruppe gemacht wird, deren Aufenthalt im Zielland ein Gesetzesverstoß ist und sie tatsächlich illegalisiert und kriminalisiert werden (vgl. Karakayali 2008, S. 24). Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten, wie z.B. illegal, undokumentiert, irregulär oder auch klandestin werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit synonym verwendet.
In Bezug auf Deutschland definiert Alt (2003) illegale Migranten wie folgt: „,Illegale‘ Migranten (umgangssprachlich - abgekürzt: ,Illegale') sind Personen, die unerlaubt nach Deutschland einreisen und/oder sich unerlaubt in Deutschland aufhalten. Unter einer unerlaubten Einreise' wird verstanden, dass die betreffenden Personen für ihre Einreise nach Deutschland keine nach deutschem und internationalem Recht in Deutschland gültigen Papiere besitzen bzw. besitzen können, die ihnen diese Einreise erlauben würde“ (S. 20).
„In den letzten Jahren haben zuerst die so genannten ,Schengen-Staaten' und sodann die Europäische Union ein gemeinsames rechtliches Regelwerk geschaffen, das den Zugang von Nicht-EU-Bürgerinnen und -bürgern zu ihrem Territorium regelt. Wenn Menschen aus Drittstaaten in die EU einreisen möchten, benötigen sie dafür in aller Regel entsprechende Einreisepapiere. Wer ohne diese Erlaubnis einreist oder länger auf dem Gebiet der EU bleibt, als er im Rahmen eines legalen Aufenthalts (zum Beispiel als Tourist) dürfte, bricht EU-Recht. Daher werden Menschen, die dies tun, als ,irreguläre' Einwanderer bezeichnet, sofern sie nicht über entsprechende Aufenthaltspapiere verfügen. In Deutschland und in der Begriffswahl der Europäischen Union bezeichnet man sie auch oftmals als ,illegale Einwanderer', im Französischen spricht man von den ,Sans Papiers' (,ohne Papiere')“ (Haase und Jugl 2007b, S. 1).
1.6. EU-Verordnung und EU-Richtlinie
„Eine EU-Verordnung entspricht einem europäischen Gesetz. Sie ist in allen Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in allen beteiligten EU-Mitgliedstaaten.
Eine EU-Richtlinie muss nach ihrer Annahme in nationalstaatliche Vorschriften umgesetzt werden. Sie ist hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, es bleibt aber jedem Mitgliedstaat überlassen, in welcher Form und mit welchen Mitteln er sie umsetzt. In jeder Richtlinie findet sich eine Umsetzungsfrist. Die nationalstaatlichen Gerichte und der Europäische Gerichtshof müssen dafür sorgen, dass die Richtlinie als Gemeinschaftsrecht einheitlich ausgelegt wird.
Unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien: Wird eine Richtlinie nicht umgesetzt, so sind einzelne Bestimmungen der Richtlinie unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbar anwendbar, das heißt Behörden und Gerichte müssen sie als geltendes Recht beachten. Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit sind:
- die Umsetzungsfrist der Richtlinie ist abgelaufen und die Richtlinie wurde nicht oder unzulänglich umgesetzt,
- die Bestimmungen der Richtlinie sind inhaltlich unbedingt und hinreichend genau,
- die Bestimmungen verleihen dem Einzelnen gegenüber den Mitgliedstaaten Rechte" (Pro Asyl Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. o.J.).
2. Der Nationalstaat und die Entstehung von Migrationsregimen
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es u.a. aufzuzeigen, inwiefern die politisch intendierten Versuche Migration (und damit auch Flucht und Asyl) auf nationalstaatlicher Ebene zu steuern, in Zeiten einer immer weiter fortschreitenden Globalisierung, scheitern. „Transnationale Migration ignoriert hiernach zunehmend nationalstaatliche Grenzen und trägt mit dem weltumspannenden Transfer von Gütern, Dienstleistungen und Kapital dazu bei, sich Kontroll-, Steuerungs- und Eingriffsmöglichkeiten der nationalstaatlich organisierten politischen Systeme zu unterminieren und zu transformieren. In Folge dieser Globalisierung lösen supranationale Instanzen, Institutionen und Entscheidungsebenen demokratisch legitimierte politische Instanzen und Akteure der Nationalstaaten schrittweise ab" (Birsl 2005, S. 47). Infolge einer solchen Entwicklung soll dem Begriff des Regimes bei der Betrachtung von Migration, Migrationsdynamiken, Migrationspolitiken und einer Vielzahl unterschiedlicher AkteurInnen auf nationaler, intergouvernementaler und supranationaler Ebene, im folgenden Abschnitt eine besondere Rolle zukommen.
2.1. Regime
Um den Begriff des Migrationsregimes erläutern zu können, muss zunächst einmal eine grundsätzliche Wortbedeutung von Regime herausgearbeitet werden. „Bei dem Versuch, das Zusammenspiel und die Vernetzung von AkteurInnen, Prozessen und Institutionen in der Migrationspolitik adäquat zu erfassen, gewinnt die Regime-Analyse an Bedeutung. Diese wurde von VertreterInnen des Interdependenzansatzes5 in den Internationalen Beziehungen angesichts der zunehmenden Verflechtungen verschiedener und zum Teil neuer AkteurInnen entwickelt“ (Müller 2010, S. 24). Das Theoriefeld der Regimeanalyse6 ist allerdings sehr komplex und daher soll hier nur in sehr rudimentären Ansätzen geklärt werden, um was es sich im politikwissenschaftlichen Sinne bei einem Regime handelt. Besonders die Entstehung und das Wirken des nationalstaatlichen Konzepts, von Regimen und deren Zusammenspiel haben für die vorliegende Arbeit eine übergeordnete Rolle.
„Internationale Regime können als institutionalisierte Form des norm- und regelgeleiteten Verhaltens bei der politischen Bearbeitung von Konflikten oder Interdependenzproblemen in unterschiedlichen Sachbereichen der Internationalen Beziehungen definiert werden. Diese Begriffsbestimmung mag je nach Zweckmäßigkeit variieren: So kann sich der Geltungsbereich, über den sich ein internationales Regime erstreckt, auf die politische Bearbeitung eines einzigen, spezifischen Konfliktgegenstandes [...] oder Interdependenzproblems [...] beschränken. [...] Internationale Regime setzen sich aus Prinzipien, Normen, Regeln und Entscheidungsverfahren zusammen. «Prinzipien» bezeichnen allgemeine Grundsätze, die durch «Normen» operationalisierbar, durch «Regeln» und «Verfahren» operationalisiert werden. «Normen» geben Verhaltensstandards i.S. allgemeiner Rechte und Pflichten vor, «Regeln» setzen diese in konkrete Ge- und Verbote um“ (Wolf 1994, S. 423). „Unter Regime verstehen wir also ein Ensemble von gesellschaftlichen Praktiken und Strukturen - Diskurse, Subjekte, staatliche Praktiken - deren Anordnung nicht von vornherein gegeben ist, sondern das genau darin besteht, Antworten auf die durch die dynamischen Elemente und Prozesse aufgeworfenen Fragen und Probleme, zu generieren“ (Karakayali und Tsianos 2007, S. 14).
Die vorliegende Arbeit wendet den Begriff des Regimes sowohl für die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU (Migrationsregime bzw. Asyl- oder auch Grenzregime), als auch für die ganzheitliche Europäische Union (Grenzregime) als zusammenhängender Lebens- und Wirtschaftsraum an und meint zusammenfassend die Gesamtheit aller institutionellen, administrativen, legislativen und technischen Maßnahmen und Einrichtungen der Grenzsicherung und -kontrolle und deren Akteure.7
2.2. Die Entstehung eines Migrationsregimes am Beispiel Deutschlands
„Auch in der Migrationsforschung wurde der Regime-Begriff aufgegriffen, um bisherige Verkürzungen und Schwachstellen der Analyse von Migrationspolitiken, -regulierungen und - praxen zu überwinden“ (Müller 2010, S. 24). „Wo vorher oftmals von Migrations systemen die Rede war, ermöglicht der Regimebegriff eine Vielzahl von AkteurInnen einzubeziehen, deren Praktiken zwar aufeinander bezogen sind, nicht aber in Gestalt einer zentralen (systemischen) Logik geordnet, sondern vielfach überdeterminiert sind“ (Karakayali und Tsianos 2005, S. 46). Der Regimebegriff kritisiert u.a. die Idee, dass der Staat ein erster Beweger sei und somit die Grundlage gesellschaftlicher Handlungen darstellt. An dieser Stelle bekommen die Begriffe Government8 und Governance9 eine zentrale Bedeutung, denn die genannte Problematik beinhaltet die Debatte um „Governance of Migration“10, in der die Erkenntnisse aus der Regimetheorie umgesetzt werden sollten. Nicht oder nicht mehr vom Nationalstaat zu kontrollierende Entwicklungen sollten von einer „Vielzahl politischer AkteurInnen in einem netzwerkartigen Zusammenwirken bearbeitet werden“ (Karakayali und Tsianos 2005, S. 48). „Zwar wird die Frage der ,Regierung der Migration' unter der Prämisse gedacht, dass der Staat darin nicht der zentrale Akteur ist. Die Akteursperspektive aber [.] ist in ihr schlicht nicht vorhanden. Wie in der klassischen Perspektive von Government sind die Migrantinnen nur Objekt von Governance. Sie sind die ,abwesende Ursache‘ des Governance-Diskurses.
[...]
1 Näheres zu Klassifikationen (z.B. Zeitdimension, Ortsdimension, geographische Dimension etc.) von Migrationsbewegungen in z.B. Düvell 2006, Pries 2001 oder Treibel 2003.
2 Näheres zu klassischen Theorien internationaler Migration in Pries 2001, S.12ff.
3 Zu finden u.a. bei Heck 2008
4 Näheres dazu bei Lederer/Nickel 1997
5 Weiterführende Literatur zum Thema Interdependenz z.B. Kohler-Koch 1993 oder auch Keohane/Nye 2000.
6 Weiterführende Literatur zur Regimeanalyse findet sich u.a. bei Kohler-Koch 1989.
7 Von Karakayali und Tsianos (2005 und 2007) wird gleichzeitig auch darauf hingewiesen, den Regimebegriff nicht nur auf strukturalistische Repression seitens der EU und deren Mitgliedsstaaten zu verkürzen. Da der Fokus dieser Arbeit jedoch auf den Handlungspraktiken der Migrationspolitiken einzelner Staaten, auf der Sozialen Arbeit mit Flüchtlingen und auf den Umständen, auf die sowohl Flüchtlinge, als auch die Menschen, die mit ihnen arbeiten und von Diskursen, Praktiken und rechtlichen Vorschriften vorgegeben sind liegt und der jeweilige Status Quo wiedergegeben werden soll, kann diese Kritik im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlicher betrachtet werden.
8 Government steht für das traditionelle Lenken einer Gesellschaft über eine ,top down' funktionierende Regierung.
9 Governance bezeichnet allgemein das Steuerungs- bzw. Regelungssystem in einer Gesellschaft. Verschiedene Interessen von privaten und öffentlichen AkteurInnen (Bevölkerungsgruppen, Unternehmen, Politik und Verwaltung) werden über dieses System ausverhandelt und umgesetzt.
10 Weiterführende Lektüre zum Thema „Governance of Migration“ u.a. bei der IOM (International Organization for Migration): http://iom.ch/jahia/webdav/site/myjahiasite/shared/shared/mainsite/policy and research/gcim/tp/TS8b.pdf
- Citar trabajo
- BA Sascha Hülcker (Autor), 2015, Die EU-Asylrechtspolitik mit Schwerpunkt auf das Dublin-System im deutschsprachigen Raum und ihre Kompatibilität mit der Sozialen Arbeit mit Flüchtlingen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1162761
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