Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage der Anwendungsbereiche von Wissen aus den orthodoxen sunnitischen madhahib durch in Wien tätige Imame und ´ulama. Madhahib sind zu einem großen Teil nur für die Arbeit von Gelehrten relevant. Für praktizierende MuslimInnen haben sie im Bereich der Religionsausübung Bedeutung. Hier wird die Frage nach der Rolle der madhahib in der Arbeit und im Umfeld islamischer Gelehrter gestellt. Um diese Fragen beantworten zu können, wird Fragen zu den Personen, deren religiöse, soziale oder gesellschaftliche Herkunft, Wissensaneignung und -anwendung nachgegangen. Ebenso im Fokus stehen Fragen nach den Einflüssen, die auf Imame und ´ulama einwirken, und wie sie auf Bedingungen eines nicht-muslimischen Umfeldes, wie es Wien darstellt, eingehen. Islamische Gelehrte in Wien kommen aus unterschiedlichen Ländern bzw. Gesellschaften. Sie bringen sich mit ihren vielseitigen Erfahrungen und Ansichten in verschiedenen Positionen in ihre Communities ein. Manche von ihnen sind in einer Moscheegemeinde als Imame tätig, in der sie das Gebet leiten und seelsorgerische Dienste für deren Community durchführen. Andere Gelehrte sehen ihre Aufgabe eher bzw. ausschließlich in der Erarbeitung von Regelungen bzw. Antworten für eine breitere Community, wie z.B. europäische MuslimInnen im Allgemeinen, oder Mitglieder ihrer international agierenden Trägerorganisation. Über die Position, die Gelehrte in ihren Communities einnehmen, scheinen mehrere Faktoren, wie deren Ausbildung, Wissensanwendung und Kenntnisse über die Gesellschaft zu entscheiden. Zudem sind die Rahmenbedingungen, die durch Vereine, Dachverbände und internationale Organisationen bestimmt werden, mit entscheidend. Imame und ´ulama werden zumeist von diesen angeworben, und müssen sich an deren Vorstellungen anpassen, sofern sie diesen nicht schon entsprechen. Communities und deren Organisationen sind zumeist nach Ethnie, Sprache, politischer Präferenz und madhhab getrennt.
Inhaltsverzeichnis
ZUR VERWENDETEN UMSCHRIFT
VORWORT
I. EINLEITUNG – FORSCHUNGSFRAGEN
I.1. HINTERGRUND UND PROBLEMATISIERUNG
I.2. FRAGESTELLUNG
I.3. AUFBAU DER ARBEIT
II. METHODE
II.1. METHODISCHE HERANGEHENSWEISE
II.2. POSITIONIERUNG – WIE ÜBER MUSLIMINNEN UND ISLAM FORSCHEN?
II.3. DATEN
II.3.1. Datenerhebung
II.3.2. Interviews
II.3.3. Datenauswertung
III. MADHAHIB – ´ ULAMA – IMAME
III.1. MADHAHIB – WEGE IM ISLAM
III.1.1. Madhahib – eine Begriffsklärung.
III.1.2. Entstehung von Rechtsfindung.
III.1.3. Position der sunnitischen madhahib im Islam – Der Weg zur Orthodoxie
III.1.4. Sinn – Grenzen – Anwendungsbereiche
III.2. DAS FELD: POSITION – VERNETZUNG – VIELFALT
III.2.1. Das Feld – Wien – Situation muslimischer Communities
III.2.2. Einflüsse
III.2.3. Akteure im Feld
III.2.4. Die Moschee – Konstitution eines muslimischen Raums
III.3. MUSLIMISCHE AUTORITÄTEN
III.3.1. Imame und ´ulama.
III.3.2. Einflüsse und Ausformungen
III.3.3. Imame und ´ulama in Wien – meine Interviewpartner
III.3.3.1. Persönlicher Hintergrund
III.3.3.2. Aufgaben und Wege der Aufgabenerfüllung
IV. SCHLUSSFOLGERUNGEN
V. LITERATUR
GLOSSAR
ANHANG
Zur verwendeten Umschrift
Die in weiterer Folge verwendete Transliteration hocharabischer Begriffe, Fachtermini und Namen orientiert sich an den Regeln des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, wie bei Schlott-Kotschote (2004) beschrieben. Auf Grund der an die lateinische Schrift angepassten Schreibweise, die auf Zusatzzeichen verzichtet, aber dennoch eine sprachlich korrekte Wiedergabe des Arabischen ermöglicht, habe ich mich für diese Regeln entschieden.
In Zitaten publizierter Texte gebe ich die originale Transliteration wider. Eine Ausnahme bilden hier die Definitionen der arabischen Begriffe im Glossar. Ich folge hier nicht dem Original der Encyclopaedia of Islam, sondern der von mir gewählten Transliteration.
Zur Aussprache der verwendeten Umschriftzeichen (vgl. Kraus 2003:9):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Vorwort
Die Beschäftigung mit Wegen, Bereichen und Bedeutungen von madhahib für MuslimInnen in Wien führte mich zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Islam und Transformation von Wissen aus den Quellen des Islam. Im Zuge meiner Forschung, durch die ich Einblicke in muslimische Wiener Communities (Gemeinschaft) und deren religiöse Führung bekam, erfuhr ich viel über Menschen, die diesen Communities mit ihrem Wissen zur Seite stehen. Ich lernte viel darüber wie religiöse Gelehrte mit Wissen aus madhahib umgehen, und wie sie dieses Wissen in Wien anwenden. Ich erfuhr viel über Vielfalt muslimischer Communities und über Wege, Islam zu leben.
Im Laufe der vielen Monate, die ich mich intensiv mit madhahib beschäftigte, führte ich zahlreiche Gespräche und Interviews, traf Bekannte, Gelehrte und Vereinsobmänner, die mir ihre Zeit schenkten, um mir Antworten auf meine Fragen zu geben. Ich wurde herzlich in Moscheen empfangen und erfuhr von Seiten vieler GesprächspartnerInnen reges Interesse an meinem Forschungsvorhaben. Für die Zeit, das Wissen und das Interesse, das mir von all diesen Menschen zur Verfügung gestellt wurde, bin ich sehr dankbar.
Ganz besonders möchte ich mich bei Univ. Doz. Dr. Sabine Strasser bedanken. Ohne ihre Unterstützung, ihre kritischen Hinweise und hilfreichen Anmerkungen, würde diese Arbeit wahrscheinlich nicht in dieser Form existieren.
I. Einleitung und Forschungsfragen
I.1. Hintergrund und Problematisierung
Europa ist von Zuwanderung geprägt. Vor allem in den letzten Jahrzehnten hat diese rasch zugenommen (vgl. Boswell 2005:2ff) was sich darin zeigt, dass immer mehr Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt in Europa leben. Die Gründe, warum Menschen migrieren, waren und sind dabei sehr unterschiedlich (vgl. Hannerz 1996:4). Vorstellungen, Werte, sowie soziale und religiöse Praktiken, die sie mit sich bringen, ebenso. Migration und MigrantInnen sind heute Thema in Medien, Politik und an Stammtischen. Es wird über sie geredet und geschrieben, und es werden von Politik und Gesellschaft Entscheidungen über die MigrantInnen getroffen, in denen sie als homogene, unserer Kultur und unseren Werten Fremde, oder schlicht als die Anderen (Heine 1999:73f) bezeichnet werden, ohne dabei ihre Vielfalt anzuerkennen. Als Paradebeispiel dieses kommunizierten Fremden, Anderen dient sehr oft der Islam; eine Religion, die nicht erst seit Ereignissen wie 9/11 und den daraus folgenden Geschehnissen als allumfassendes, definierendes Kriterium für MuslimInnen missbraucht wird. In diesen Diskursen wird allzu oft vergessen, dass diese Menschen unterschiedlicher Herkunft sind, und ihr Leben auf unterschiedlichen Ansichten, Auffassungen und Werten beruht (vgl. Tiesler 2006:27f). Menschen, die bei uns gemeinhin als MuslimInnen bezeichnet werden, sind Menschen mit zahlreichen identities (vgl. Baumann 1999) – nationalen, ethnischen, religiösen, etc. –, die jedoch in Alltagsdiskursen meist ausgeklammert werden, wodurch es zu einer Verschmelzung von Identitäten kommen kann, die im Falle von MuslimInnen zu einer Reduktion auf die Religion führt (vgl. ibid.:23). Es wird dabei auch oft vergessen, dass sich Identitäten, Werte, sowie soziale und religiöse Praktiken ändern. Sie sind nicht starr. Vor allem durch Migration findet Veränderung statt. Selbst wenn von MigrantInnen an bestehenden Wertesystemen der jeweiligen Herkunftsgesellschaft festgehalten wird, werden diese in einer neuen Umgebung nicht auf gleiche Art reproduziert (vgl. ibid.:78).
Sunnitische MuslimInnen in Europa, Österreich oder Wien, die dem Islam folgen, berufen sich auf die gleichen Grundpfeiler. Dies tun sie aber in unterschiedlicher Art, indem sie sich auf unterschiedliche Konzepte berufen, diesen Glauben zu denken, und diesen Konzepten unterschiedliche Bedeutungen zumessen (vgl. Ramadan 1999:137ff; Roald 2001:23ff; auch 2004:113ff).
Eines dieser Konzepte ist das der madhahib[1], das für religiöse Gelehrte[2] bei der Erarbeitung religiöser Regeln für den Alltag und religiöser Riten relevant ist. Sie stellen einen möglichen Rahmen für den Glauben dar, der beginnend mit ihrer Ausformung zwischen dem 8. und 10. Jhdt. c.e. Einfluss auf die Erstellung von Regeln für Leben und Glauben innerhalb eines Teils der islamischen Communities[3] hat. Madhahib stellen ein Konzept dar, welches primär nicht für die Situation geschaffen wurde, die MuslimInnen in Europa vorfinden, aber dennoch von Teilen der religiösen Führung in Europa zur Anwendung gebracht wird. (vgl. Ramadan 1999:30ff).
Dieses Konzept ist in der Vielfalt der religiösen Bewegungen, die unter MuslimInnen in Europa zu finden sind, ein Beispiel eines Bezugsrahmens, der aus einem geografischen wie gesellschaftlichen Raum in einen anderen transferiert wird, und mit dem versucht wird, auf neue Situationen und Herausforderungen einzugehen, die sich für MuslimInnen in Europa ergeben. Dieser Bezugsrahmen kommt durch ´ ulama (islamische Gelehrte) und Imame in vielfältiger Weise zur Anwendung, und ist mit der Erhaltung von religiösen Werten, Normen und Vorschriften verbunden, die dadurch auch den Status religiöser SpezialistInnen als TrägerInnen dieses Wissens und des damit verbundenen Diskurses bestätigt (vgl. Baumann 1999:69; Luhmann 2000:40).
Für einfache MuslimInnen sind madhahib vor allem im Bereich der Anwendung der Religion – in der Gebetsführung, der Waschung oder dem Zeitpunkt des Fastens – von Bedeutung. Ansonsten sind madhahib für Gelehrte von Interesse, denen diese als theoretisches Gerüst und Methodenquelle dienen, um Regeln zu erstellen, die es erlauben, den Prinzipien des Glaubens in allen Bereichen des Lebens zu folgen.
Aber selbst Konzepte, die zum Erhalt eines Systems geschaffen wurden, verändern sich. Oder wie der Sozialanthropologe Gerd Baumann(1999), der sich mit gesellschaftlichem Wandel und Identitäten beschäftigt sagt:
As all the evidence shows, religion is thus not some cultural baggage that is taken along on migration wrapped, tied, and tagged; even when it is, it cannot be unpacked unchanged at the other end. (ibid.:78)
Somit steht für mich die Frage im Raum, wie sich dieser Wandel innerhalb der Religion, den Baumann (1999) hier anspricht, unter österreichischen Bedingungen manifestiert.
Diese Arbeit wird einen Einblick geben, wie ´ ulama und Imame unter Bedacht auf das Konzept der madhahib arbeiten. Als Ort, um dieses Vorhaben umzusetzen, schien mir Wien geeignet, da sich hier eine sehr heterogene Vielfalt muslimischer Communities finden lässt. Mitglieder einer muslimischen Community beziehen sich auf gleiche ethnische und doktrinäre Bezugspunkte. Oft bilden Teile der Community Vereine und Moscheegemeinden aus, in denen sie Raum für soziale Interaktionen der Mitglieder der Community schaffen. Lokale Communities, wie sie in Wien zu finden sind, sind oft über Nationalgrenzen hinweg mit Communities gleicher Ethnie, sowie doktrinärer und politischer Auffassung verbunden.
Einige Communities in Österreich können auf eine lange Geschichte zurückblicken, andere zählen zur „ Neuen Islamischen Präsenz “ (Tiesler 2006:70ff), womit Personen von Communities bezeichnet werden, die beginnend mit der Rekrutierung von ArbeiterInnen aus Südosteuropa nach dem zweiten Weltkrieg innerhalb muslimischer Communities in Österreich immer prägender wurden[4].
In dieser Arbeit werde ich mich Personen widmen, die unterschiedlicher Herkunft sind, aus unterschiedlichen Gründen nach Österreich kamen und bereits unterschiedlich lange in Österreich leben. Alle Personen, die in dieser Arbeit zu Wort kommen, sind in ihren Communities in religiösen Positionen tätig. Sie führen in Moscheen die Gebete, geben Antworten auf Fragen, stellen bei Problemen Hilfe zur Verfügung und leisten seelsorgerische Dienste. Diese Aufgaben verrichten sie in einem Rahmen, der einerseits durch Vereine, religiösen Bewegungen und Dachorganisationen gesteckt ist; andererseits durch Konzepte der Religion.
Österreich stellt ein Umfeld dar, in dem sich für MuslimInnen, die ihrem Glauben folgen wollen, Fragen und Probleme ergeben können, die sich in dieser Art in Gesellschaften, aus denen sie nach Wien kamen, oft nicht stellten. Hinzu kommt, dass sich im europäischen Umfeld Wege ausbilden mit Glauben umzugehen, wie sie in mehrheitlich muslimischen Gesellschaften nicht in dieser Ausformung bestehen. So finden sich einerseits Tendenzen, die in Richtung einer Loslösung der Religion von kulturellen Werten hin zu einem Glauben ohne doktinäre und nationale bzw. regionale Unterschiede gehen. Diese Tendenzen haben Einfluss auf viele MuslimInnen, die in Europa zu ihrem Glauben finden (vgl. Roy 2000:1f). Andererseits bestehen in der großen Vielfalt muslimischer Communities weiterhin bedeutende Unterschiede entlang ethnischer oder nationaler Herkunft und doktrinärer Bezugspunkte (vgl. Grillo/Soares 2005:11). Durch diese Gegebenheiten sind Gelehrte gefordert, Regeln und Richtlinien zu erarbeiten, die für in Österreich (als ein Beispiel eines europäischen Landes) lebende MuslimInnen, die ihren Glauben leben und dabei den Grundlagen des Qur`an und der Sunna folgen wollen, entsprechen. Die Herangehensweisen sind dabei unterschiedlich. ´ Ulama und Imame beziehen sich auf verschiedene religiöse und weltliche Bezugspunkte und so spielen zahlreiche Faktoren mit, die Einfluss auf deren Arbeit ausüben. Dazu zählen die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten im jeweiligen Gast-/Heimatland, aber auch die sich verändernden Ansichten über Werte und Traditionen[5] innerhalb der muslimischen Communities (vgl. Tiesler 2006:26). Unter der großen Vielfalt an MuslimInnen, die aus vielen Teilen der Welt nach Europa und damit auch nach Österreich gekommen sind, finden sich verschiedene Gruppierungen, die unterschiedliche Auffassungen zu Religion und Religiosität haben. Die Ansichten über Wege der Annäherung an Gott, den Umgang mit Glaubensregeln oder den Weg, Glauben zu definieren, um nur einige Beispiele zu nennen, bestimmen diese Auffassungen mit.
´ Ulama und Imame, die sich diesen Gruppierungen zurechnen, gehen auf unterschiedliche Weise mit dem Konzept der madhahib um, um auf Veränderungen innerhalb und ausserhalb der Communities zu reagieren. Transnationale Verbindungen von muslimischen Communities zu religiösen Communities in den jeweiligen Ursprungsländern, aber auch zu nahestehenden Communities außerhalb mehrheitlich muslimischer Regionen, wie Europa oder Nordamerika, stellen einen weiteren Einflussfaktor dar. Über diese findet ein reger Austausch über Glauben und über Wege, diesen zu leben, statt. Die dadurch entstehenden Ansichten wirken sich auch auf das Konzept der madhahib aus.
Unter MuslimInnen in Europa begannen vor allem jüngere Generationen, die in Europa aufwuchsen und hier zur Schule gingen, die Vorstellungen ihrer Elterngeneration zu hinterfragen (vgl. Vertovec/Rogers 1998:1f). Somit verlangen sie nach für sie passenden Konzepten, um ihren Glauben in diesem Umfeld leben zu können. Die Frage ist nur, wer ihnen diese zur Verfügung stellt (vgl. Ramadan 1999:2). Islamische Gelehrte bilden nur eine Gruppe, die in den Quellen des Islam nach Antwoten sucht. Abseits dieser Gruppe sind auch Personen ohne spezifische religiöse Ausbildung mit der Suche nach Antworten befasst (Saint-Blancat/Perocco 2005:113).
Junge MuslimInnen stellen nur einen Teil innerhalb muslimischer Communities dar, der Einfluss auf derlei Fragen ausübt, und somit zu der Wechselwirkung zwischen ´ ulama und praktizierenden MuslimInnen bei der Erarbeitung von religiösen Lebenskonzepten beiträgt (vgl. Roald 2001:viiif; Masud 2003:9).
Neben diesen gesellschaftlichen Gruppen bestehen noch Institutionen, wie Vereine und Dachverbände, mit unterschiedlichen Interessen und verschiedenen Hintergründen – ethnischen, nationalen, doktrinären und politischen –, die jeweils ihre Auffassungen innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen vertreten sehen wollen. Vereine arbeiten selten isoliert von größeren Verbänden, denen sie angehören oder nahe stehen. Mit diesen Verbänden sind Verbindungen zu vielen Communities, über Ländergrenzen hinweg, gegeben. Zum Teil finden Initiativen statt, die über die Grenzen von madhahib, Ethnien, Sprachen und nationale Zugehörigkeit gemeinsame, von diesen Bezugspunkten unabhängige Communities schaffen wollen (vgl. Gräf 2005:47).
Die Lebensbedingungen, die MuslimInnen in Europa begegnen, regen sie zu neuen Interpretationen von Wegen an, ihren Glauben zu verstehen. Dies fordert von ´ ulama und Imamen, darauf zu reagieren, um ihren Communities religiösen Rückhalt bieten zu können.
I.2. Fragestellung
Im Mittelpunkt meines Interesses stehen die Fragen, wie ´ ulama und Imame arbeiten, die einer größeren oder kleineren Community als religiöse Führungsperson vorstehen bzw. angehören, worauf und auf wen sie sich bei ihrer Arbeit beziehen, und ob bzw. wie das Konzept der madhahib als Rahmen, der nicht für heutige europäische Verhältnisse geschaffen wurde, hier zur Anwendung kommt. Ich werde auf die Fragen eingehen, in welchem Rahmen sie arbeiten, wie sie in die von ihnen betreuten Communities eingebunden sind, wie sie sich selbst in diesem Feld sehen, welchen Ansichten sie folgen und wie sie mit größeren und kleineren religiösen Bewegungen verbunden sind. Schließlich steht noch die Frage im Raum, wer diese Personen sind, die für MuslimInnen in Wien Lösungen finden sollen, woher sie kommen, welche Aufgaben sie erfüllen und wie sie das tun.
Im Zuge dieser Forschung konnte ich mit vielen Personen Gespräche führen. Darunter waren informelle Gespräche mit gatekeepers (Flick et al. 2003:288), wie SekretärInnen und Obmännern von Vereinen. Ich führte Interviews und Gespräche mit Imamen und
´ ulama sowie Diskussionen und Unterhaltungen mit muslimischen FreundInnen und Bekannten. Ich habe versucht ein breites Spektrum der Vielfalt muslimischer Communities in Wien einzubeziehen. Doch selbst in einem relativ kleinen Raum, wie ihn die Stadt Wien darstellt, ist es kaum möglich, alle bestehenden religiösen Wege einzubinden. Ebenso schwer ist es, alle bestehenden Denkrichtungen und Auffassungen zu Religion und Gesellschaft von ´ ulama und Imamen aufzuzeigen, sofern diese ja einem ständigen Wandel unterworfen sind. Die von mir hier interviewten Personen stellen nur einen Ausschnitt der existierenden Vielfalt dar. Sie sollen einen Einblick in das Meinungs- und Handlungsspektrum von in Wien tätigen Gelehrten vermitteln.
I.3. Aufbau der Arbeit
In den folgenden Kapiteln werde ich aufzeigen, worum es bei dem Konzept der madhahib geht, in welchem Kontext diese entstanden sind, und welche Position sie in der Geschichte und Gegenwart des Islam einnehmen. Ich werde den Sinn, die Anwendungsbereiche und die Grenzen des Konzepts madhahib aus der Sicht meiner Interviewpartner skizzieren. Dadurch werde ich einen Einblick geben, wie dieses Konzept, das nicht für die Situation muslimischer Communites, die als Minderheit leben, geschaffen wurde, von ´ ulama und Imamen in Wien verwendet wird, um auf Fragen und Probleme eben dieser MuslimInnen einzugehen. (Kapitel III.1.)
Weiters werde ich skizzieren, wie das Feld, in dem ´ ulama und Imame arbeiten und leben gestaltet ist, um zu zeigen, welche Einflüsse auf diese einwirken und welchen Netzwerken sie angehören. (Kapitel III.2.)
Im letzten Kapitel werde ich meine Interviewpartner, ´ ulama und Imame, die in unterschiedlichen Communities in Wien tätig sind, vorstellen. In diesem Kapitel werde ich aufzeigen, welche gesellschaftlichen Hintergründe meine Interviewpartner haben, welche Ausbildung sie erhalten haben und welche Aufgaben sie in ihren Communities erfüllen. (Kapitel III.3.)
II. Methode
II.1. Methodische Herangehensweise
Strategies of quite literally following connections, associations, and putative relationships are thus at the very heart of designing multi-sited ethnographic research. (Marcus 1998:81)
Nachdem der Bereich der Forschung festgelegt wurde, stellt sich immer die Frage nach einer geeigneten Methode, um Antworten finden zu können. Dazu müssen Charakteristika des Feldes beachtet werden.
Zumeist ergeben sich im Verlauf einer Forschung, also der Datenerhebung im Feld, neue Fragen und neue Schwerpunkte, die erweiternd auf die Fragestellung wirken können. Ein geeignetes Forschungsdesign ist jenes der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996). Die damit verbundene Herangehensweise an ein Forschungsfeld bietet Möglichkeiten, im Zuge einer qualititiven Forschung offen ins Feld zu gehen, und so nicht Gefahr zu laufen, wichtige Informationen und schließlich Daten zu übersehen, die erst mit der intensiven Beschäftigung mit der Fragestellungen im Feld entstehen. Im Zuge einer Grounded Theory ist es wichtig, die gewonnenen Daten und Eindrücke aus dem Feld ständig zu hinterfragen. Dadurch entsteht eine Wechselwirkung zwischen Fragestellung und Daten, die eine gezielte Refokusierung auf Themen ermöglicht, die für die Beantwortung der Fragen wichtig sind (vgl. ibid.:7ff).
Als Ort für meine Forschung habe ich die Stadt Wien gewählt, als jenen Ort Österreichs mit der zahlenmäßig größten muslimischen Bevölkerungsgruppe, die durch eine große Vielfalt an muslimischen Communities geprägt ist. Die Forschung soll aber weniger eine Forschung zu Strukturen und Netzwerken dieser Communities in der Stadt darstellen, wie sie Hannerz (1980:3) beschreibt, obwohl Verbindungen zwischen AkteurInnen nicht ausser Acht gelassen werden können (vgl. ibid.:10). Vielmehr sind es „transnationale Verbindungen“ (Hannerz 1996:6) in Form der madhahib und der Personen, die diese anwenden, die im Mittelpunkt dieses Forschungsvorhabens stehen. Im Besonderen bei der Erforschung eines abstrakten Konzeptes und der Personen, die mit diesem arbeiten, ist nicht im Vorhinein absehbar, welche Thematiken für diese Personen und schließlich die Beantwortung der Fragestellung von Bedeutung sind.
So werden mit diesen Personen vielseitige Verbindungen zu Verbänden, Organisationen und auch Personen tragend, die ihre Interessen an der Weitergabe und Übertragung von Wissen in neue Kontexte mit einbringen könnten. Es ist daher kaum möglich, die Tragweite und Ausformung dieser Verbindungen zu Beginn einer Forschung klar abzuschätzen. Es bestehen zwar Arbeiten zu Führungspersonen, die deren Einfluss und Netzwerke in den Mittelpunkt von Forschungen in der Anthropologie (Marcus 1998), wie auch der geschichtlichen Islamwissenschaft (Feener 2006) rücken, doch bieten diese keine allgemein gültigen Anhaltspunkte, da sich Untersuchungsfelder von einander maßgeblich unterscheiden können. Daher erschien mir das Forschungsmodell der Grounded Theory für mein Vorhaben passend.
Die Erforschung von Führungsschichten fordert schließlich eine umfassende Analyse deren Verbindungen zueinander und zu Bezugspunkten ausserhalb des primären Untersuchungsfeldes, einen multi-sited approach (Marcus 1998), der dem Vorhaben der Erforschung bestehender Bezugspunkte in deren Arbeit gerecht wird (vgl. ibid.:27f).
Multi-sited research is designed around chains, paths, threats, conjunctions, or juxtapositions of locations in which the ethnographer establishes some form of literal, physical presence, with an explicit, posited logic of association or connection among sites that in fact defines the argument of the ethnography. (Marcus 1998:90)
Im Zuge meiner Forschung beschäftigte ich mich mit Personen und deren Bezugsrahmen an einem einzigen Ort. Dennoch stellt meine Forschung keine klassische anthropologische Forschung dar, die im Sinne eines langen Aufenthaltes, eine holistische Darstellung der vor Ort befindlichen Ethnien in ihren kulturellen Eigenheiten (vgl. ibid.:77) zum Ziel hat. Es geht mir auch nicht um eine Ausarbeitung von Selbstwahrnehmungen ethnischer Gruppen in Minderheiten- oder Diaspora-Situationen, als Beschreibung der Auswirkungen von vorgefertigten kulturellen Konzepten in interethnischen Verhältnissen (vgl. Barth 1969:30). Vielmehr verstehe ich den Sinn meiner Forschung in der Untersuchung verschiedener Wege eines Kozeptes, seiner Träger und deren Verbindungen.
Als sites verstehe ich daher die verschiedenen in Wien bestehenden Communities, innerhalb derer sich meine Forschungssubjekte, deren Verbindungen ich aufzeigen will, positionieren. Mit den beiden Forschungskonzepten follow the people und follow the methaphor (Marcus 1998), welche soziale Anknüpfungspunkte von Personen und die Nutzung dahinter stehender Netzwerke, sowie Assoziationen und Interpretationen von Konzepten (der madhahib) aufzeigen sollen, führt der Kultur- und Sozialanthropologe George E. Marcus (1998) zwei Wege von multi-sited fieldwork an, die mir für meine Forschung gute Anhaltspunkte liefern (vgl. ibid.:90ff). Das Konzept der madhahib wird dabei aus den verschiedenen Blickwinkeln unterschiedlicher Personen, mit ihren persönlichen Verknüpfungen zu Vereinen, Verbänden und Organisationen, betrachtet. Verschiedene sites ergeben in ihrer Verknüpfung einen Einblick in die Verwendung der madhahib durch islamische Gelehrte.
II.2. Positionierung – Wie über MuslimInnen und Islam forschen?
Who speaks? who writes? when and where? with or to whom? under which institutional and historical constraints? (Clifford 1986:13)
Die hier wiedergegebenen, von dem Anthropologen James Clifford (1986) in der Einleitung zum Buch Writing Culture gestellten Fragen, beziehen sich auf das Verhältnis von ForscherInnen und Beforschten, in der Ethnographie und im Schreiben. Damit sind Fragen nach dem Selbst verbunden, nach dem Interesse an der Thematik und den Forschungssubjekten, sowie nach deren Interesse gestellte Fragen zu beantworten. Während des Schreibens stellt sich die Frage nach der Präsentation der Forschungssubjekte und deren Stimmen. Dadurch ergeben sich aber auch Fragen nach dem Umfeld für das und in dem geschrieben wird.
Gudrun Krämer (2000), Islamwissenschafterin an der Freien Unversität Berlin, stellt die Frage, warum wir Islam erforschen (sollen), und gibt eine klare Antwort, indem sie die Wichtigkeit eines Verständnisses für die Diversität von Lebenskonzepten muslimischer EuropäerInnen aufzeigt.
The study of Islam serves to illustrate the point: dealing with Islam cannot but involve dealing with culture or civilization, and with the role of religion in defining the parameters of Islamic culture(s) and civilisation(s)[...]. (ibid.:6)
Doch stellt sich mir die Frage, wie ich mich diesem Forschungsfeld mit meinen persönlichen Sichtweisen, Einstellungen, etc. nähern kann, um eine passende Darstellung dieser Lebenskonzepte, und deren Parameter ausarbeiten zu können. Clifford (1986) gibt einen Rat, indem er AnthropologInnen dazu anhält darüber nachzudenken, was sie mit ihrem Forschungsfeld und den Froschungssubjekten verbindet, um darüber reflektieren zu können, wie sich diese Verbindungen auf ihr Denken auswirken. Durch das Überdenken der eigenen Rolle und der Positionierung im Feld soll schließlich ein objektiverer Zugang gefunden werden (vgl. ibid.:16).
Für mich ist klar, dass mein Grundinteresse an MuslimInnen und Islam vor vielen Jahren aus Neugierde an Menschen entstand, die einer mir fremden Religion angehörten und aus Regionen der Welt kamen, die mir ebenso fremd waren und oft immer noch sind. Heute besteht mein Interesse vielmehr darin, Zusammenhänge zu verstehen, die Vielfalt unter MuslimInnen in Europa aufzuzeigen, sowie Erklärungen zu Debatten um sich verändernde Auffassungen zu Religion zu finden. Durch mein Umfeld, das vor allem in meiner Kindheit und Jugend christlich-religiös geprägt war, bestand immer ein gewisses Interesse, Religion, Religiösität und vor allem religiöse Autoritäten zu hinterfragen.
Als Schreiber und Forscher werde ich von meinen Gegenübern, den LeserInnen und meinen GesprächspartnerInnen als Person mit bestimmten Charakteristika und Zuschreibungen von Charakteristika wahrgenommen. Diese Positionen spiegelen sich in allen Gesprächssituationen und auch in der Art meiner Wissenspräsentation wider. Bei allen geführten Gesprächen war es mir daher immer wichtig, meinen Standpunkt klar zu machen und meine GesprächspartnerInnen darauf hinzuweisen, dass es nicht mein Ziel ist, eine Forschung durchzuführen, um eine holisitische Darstellung und die Produktion einer allgemein gültigen Wahrheit zu schaffen. Vielmehr, und das möchte ich auch hier noch einmal betonen, liegt das Ziel einer anthropologischen Forschung darin, durch induktive und deduktive Herangehensweisen Zusammenhänge zu verstehen. Paul Rabinow (1986), Anthropologe an der University of California, der sich mit Fragen um Macht und Symbolismus auseinander setzte, sieht hier reasoning als Möglichkeit, richtig und falsch darzustellen, ohne diese jedoch als einzige Wahrheit zu präsentieren (vgl. ibid.:237).
Die Verantwortung für die Darstellung der entdeckten Zusammenhänge als ganze Wahrheit, eine Wahrheit oder eben als das, was sie sind, nämlich eine Interpretation einer Wahrheit durch Gedankenschlüsse (vgl.Crapanzano 1986:52f), liegt bei SchreiberInnen bzw. ForscherInnen.
Ich habe versucht mich meinen Forschungssubjekten offen zu nähern, und sie über mein Vorhaben und mein Wissen nicht im Dunkeln zu lassen. Dadurch erhoffte ich mir ein möglichst offenes Entgegenkommen meiner GesprächspartnerInnen, und Akzeptanz als jemand, der basierend auf Wissen Interesse an ihrem Glauben und ihren Praktiken zeigt.
Doch wurde mir während meiner Interviews von meinen Interviewpartnern immer wieder vor Augen geführt, dass ich ausserhalb ihrer Communities stehe. Diese Position zeigte sich besonders dann, wenn meine Interviewpartner davon überzeugt waren, mir eine Einführung in Islam geben zu müssen. So wurde ich mehrmals auf die Unterschiede von Islam und Christentum hingewiesen, indem ich explizit darauf aufmerksam gemacht wurde, dass Muslim-sein u.a. bedeutet, zu glauben, dass Gott weder eine Frau noch einen Sohn hat.
Geht es nach Marcus (1998), dann ist diese Position ausserhalb der zu untersuchenden sites kein Nachteil. Im Gegenteil, fördert es die Einblicke in die Zusammenhänge der verschiedenen sites, die oft für involvierte Personen nicht in dieser Art erkenn- und einschaubar wären (vgl. ibid.:117ff).
Im Zuge dieser Forschung habe ich mit vielen Personen unterschiedlicher Communities gesprochen. Unter ihnen waren SekretärInnen und Obmänner von Vereinen, sowie ´ ulama und Imame, mit denen ich Interviews führte. Die interviewten Personen wussten teilweise von einander, kannten sich vom Sehen oder persönlich. Einige Personen, dies waren vor allem Obmänner von Dacheverbänden und Initiativen, schienen einen guten Ein- und Überblick über Wiener muslimische Communities und in ihnen aktive Personen zu haben, da immer wieder – mir bekannte – Namen in ihren Nennungen potentieller InterviewpartnerInnen vorkamen. Trotz der relativ kleinen Zahl an Personen in Wien, der die Bezeichnung „Gelehrter“ von Teilen ihrer Community zugesprochen wurde, traf ich Personen an, die weder von Führungspersonen anderer Communities genannt wurden, noch Gelehrte anderer Communities nennen konnten oder wollten. Teils schien unter diesen Personen das Bewusstsein über Gelehrte in anderen Communities nicht stark ausgeprägt zu sein.
Durch meine Forschung gelang es mir, einen Überblick über diese, sowie Zusammenhänge zwischen diesen zu erarbeiten. Durch meine Suche nach Gelehrten der vier sunnitischen madhahib konnte ich Einblicke und Überblicke in verschiedene Communities gewinnen, die auf Interviews und informelle Gespräche, wie auch Beobachtungen basierten.
Durch die Widergabe eines Teils meines Materials in dieser Arbeit möchte ich meinen Interviewpartnern Raum geben, ihr Wissen, ihre Meinungen und ihre Ansichten zu äußern.
II.3. DATEN
II.3.1. Datenerhebung
Eine Forschung auf Basis einer Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996), die sich einer multi-sited ethnography (Marcus 1998) bedient, verlangt vor allem bei Untersuchungen zu Bezugspunkten von SpezialistInnen und Führungspersonen nach einer Kombination von Methoden. Um die Verbindungen meiner Interviewpartner zu ihren Bezugspunkten und -personen innerhalb ihrer Arbeit mit madhahib nachvollziehen zu können, ist es notwendig, diesen – bildlich gesehen – zu folgen. Die verschiedenen sites, in denen meine Interviewpartner aktiv sind, müssen ergründet werden, um bestehende Verbindungen und die daraus resultierende Beeinflussung nachvollziehen zu können.
Im Zentrum dieser Arbeit stehen meine Interviewpartner, die primär zu Wort kommen sollen. Ausgehend von Daten, die durch ExpertInneninterviews mit diesen entstanden, werden mit Hilfe von Institutionen, mit denen sie in Kontakt stehen und mit Hilfe von in Beobachtungssituationen erhobenen Daten, sowie von Literatur die Verbindungen analysiert, die von meinen Interviewpartnern ausgehen.
Die Methode der teilnehmenden Beobachtung nimmt im ethnographischen Arbeiten eine wichtige Rolle ein. Im Zuge der intensiven Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsfeld und den Untersuchungssubjekten wird der/die ForscherIn gewissermaßen Teil des Feldes. Dadurch wird die Wahrnehmung hinsichtlich der Fragestellung geschärft, was zur Folge hat, dass auf Geschehnisse im Feld, die mit dieser in Zusammenhang stehen, besonders geachtet wird. Die während Beobachtungssituationen, Interviews und Gesprächen wahrgenommenen Ereignisse und Vorgänge werden durch Feldnotizen festgehalten. Diese Daten werden später in der Datenanalyse zusammengefügt (vgl. Flick 2007:287ff).
Wie bereits in dieser Arbeit beschrieben stehen in Wien tätige ´ ulama und Imame im Mittelpunkt meiner Forschung. Hierzu habe ich insgesamt mit acht Imamen und ´ ulama gesprochen. Jeder von ihnen war bzw. ist für eine andere Community zuständig. Ich habe versucht, ein möglichst breites Spektrum der in Wien bestehenden sunnitischen Communities abzudecken. Es fehlen jedoch einige wichtige VertreterInnen. Es ist mir nicht gelungen, ein Gespräch mit einer weiblichen Gelehrten zu führen. Ich hatte bereits Kontaktdaten und Namen einer Gelehrten ausfindig gemacht, und versuchte über eine Kontaktperson ein Gespräch zu arrangieren. Auf Grund eines Missverständnisses – denke ich – kam dieses aber nicht zu Stande. Ebenso schwierig erwies es sich, ein Gespräch mit einem Gelehrten, der sich der hanbalitischen madhhab zurechnet, zu führen. Auch hier kam kein Gespräch zu Stande. Der Grund dafür lag aber darin, dass ich keinen Gelehrten als hanbalitisch identifizieren konnte, und Personen, die ich um Hilfe bat, in ihren Bemühungen einen Kontakt herzustellen, ebenso erfloglos blieben.
Generell erwies sich die Kontaktaufnahme teils als schwierig, da diese zumeist über Vereine und deren Obmänner verlief. In einigen Fällen musste ich mit diesen ein Vorabgespräch führen, das der Abklärung meines Interesses, aber auch der Modalitäten der Interviewführung (ich benötigte für einige Interviews die Hilfe von Übersetzern) galt.
Auf Grund der Zusammensetzung meiner Interviewpartner – alle sind männliche Imame und ´ ulama –, werde ich im Folgenden bei der Nennung dieser nur die männliche Form verwenden. Wie bereits weiter oben erwähnt, sind Hinweise auf weibliche Gelehrte, die einer Community vorstehen oder für diese religiöse Arbeiten anfertigen, nur sehr vage vorhanden. Ich hoffe, dass diese Lücke im Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit islamischen Führungspersonen in Europa geschlossen wird. Auf Grund des Fehlens konkreter Hinweise auf ausgebildete weibliche Gelehrte wähle ich daher zumeist die rein männliche Form. Vor allem in der Geschichte des Islam fehlt es an Hinweisen über weibliche Gelehrte oder islamische Würdenträgerinnen. Einen Ansatz der Aufarbeitung dieser Lücke in der Forschung liefert die Historikerin und Arabistin Anne Sofie Roald (2001).
Im Verlauf dieser Arbeit kamen acht ausführliche Interviews zu Stande, in denen mir bereitwillig Informationen und Wissen vermittelt wurden. Durch die lehrreichen Gespräche erfuhr ich viel über Menschen, die sich religiösen Aufgaben in ihren Communities widmen, sowie über madhahib und ihre Anwendung für Wiener muslimischen Communities.
Ich möchte hier im Folgenden aus Gründen der zugesicherten Anonymität keine einzelnen Personen in den Mittelpunkt stellen und die Gelehrten nicht namentlich erwähnen. Ich werde daher meine Interviewpartner nach der madhhab, der sie sich selbst zurechen, benennen. So fanden fünf Interviews mit ´ ulama und Imamen der hanafitischen madhhab statt. Diese werden im Folgenden mit Hanafi.I bis V bezeichnet. Zwei Gelehrte rechneten sich primär der shafi´itischen madhhab zu; sie werden im Folgenden mit Shafi´i.I und II bezeichnet. Schließlich konnte ich noch ein Gespräch mit einem malikitischen Gelehrten führen, den ich mit Maliki. benenne. Drei der hanafitischen Gelehrten (Hanafi.I; Hanafi.II; Hanafi.III) haben einen türkischen Hintergrund, sind aber in teils sehr konträr zueinander stehenden Verbänden tätig. Der Interviewpartner Hanafi.I ist Imam der ATIB[6] und als solches nur für einen beschränkten Zeitraum von 2-4 Jahren in Österreich. Hanafi.II ist für die Islamische Föderation[7] tätig und arbeitet religiöse Regeln für Communities aus, die dem Verband nahe stehen. Er ist bereits seit vielen Jahren in Europa und beschäftigt sich hier mit Fragen des Islam. Hanafi.III ist Imam der IGGIÖ[8], und als solcher offizieller Vertreter der Glaubensgemeinschaft gegenüber den MuslimInnen Österreichs und der Österreichischen Gesellschaft im Allgemeinen. Der mit Hanafi.IV bezeichnete Interviewpartner ist in einer kleinen bosnischen Moscheegemeinde tätig. Ihn zeichnet aus, dass er erst seit kurzer Zeit in Österreich als Imam tätig ist. Die beiden shafi´itischen
Gelehrten (Shafi´i.I; Shafi´i.II), sowie der malikitische Gelehrte (Maliki.) sind Teil arabischer Communities, die sich zumeist durch ihre nationale Herkunft und auch ihre madhhab Zugehörigkeit unterscheiden. Der Interviewpartner Shafi´i.I ist Entsandter der Al-Azahr Universität und unterrichtet Islam an einer Schule. Zudem ist er in seiner Aufgabe als Entsandter für die Verbreitung des Islam in muslimischen Communites in Österreich zuständig. Shafi´i.II ist Imam einer arabischen Moschee und sieht seine Arbeit als wegweisend für MuslimInnen in Europa. Er ist einer der wenigen, die madhahib mischen. Der Interviewpartner Maliki. praktiziert nicht regelmäßig als Imam. Er beschäftigt sich intensiv mit Fragen des Islam in Europa. Der Interviewpartner Hanafi.V gibt sein Wissen als Imam in einer kleinen asiatischen Moscheegemeinde weiter.
Bei fünf Interviews musste ich einen Übersetzer zu Hilfe nehmen, da die Interviewpartner (Hanafi.I; Hanafi.II; Hanafi.IV; Shafi´i.I; Shafi´i.II) kein Deutsch oder (nach eigenen Angaben) nicht ausreichend gut Deutsch beherrschten, um auf komplexe Fragestellungen, wie denen nach der Bedeutung von madhahib und fiqh unmissverständlich antworten zu können.
Mir ist bewusst, dass der Einsatz von Übersetzern, zudem diese meist Mitglieder der Vereine waren, die den ´ ulama und Imamen eine Anstellung boten, Probleme mit sich bringen kann. In den meisten Fällen war aber eine gegenseitige Akzeptanz zwischen den Wissens- und Handlungsbereichen der Gelehrten und der Übersetzer zu bemerken. Dies wurde vor allem in der Art ersichtlich, wie sie sich gegenseitig begegneten. Bei einem Interview hingegen schien es mir auf Grund der Art der Beantwortung meiner Fragen, die teilweise zuerst vom Übersetzter beantwortet wurden, um dann auf mein Nachfragen hin doch von meinem eigentlichen Interviewpartner beantwortet zu werden, nötig, die Übersetzung von einer anderen Seite prüfen zu lassen. Dies erwies sich im Nachhinein als sinnvoll, da Teile meiner Fragestellungen und Teile der vom Interviewpartner gegebenen Antworten nicht korrekt oder gar nicht weitergegeben wurden.
Dieses Interview stellt aber einen Einzelfall dar, denn ansonsten wurden die Übersetzungen gründlich durchgeführt, wobei diese natürlich keine wortwörtlichen Übersetzungen darstellen. Vielmehr kamen sie einer Mischung aus „pragmatischer Übersetzung“ (Gercken 1999:67) und einer Übersetzung als Übertragung sinngemäßer Einheiten in das jeweilige benötigte sprachliche System (vgl. ibid.:69f) nahe.
Übersetzung ist dabei immer als „Kondition menschlichen Fremd- und Selbsverstehens, einschließlich des darin involvierten Weltverständnisses“ (Abel 2000:85) zu verstehen. Das bedeutet, dass Projektionen des jeweiligen Gegenübers, in seiner von GesprächspartnerInnen und dem ÜbersetzerInnen wahrgenommenen Position in die Übersetzungen mit einfließen. Äußerungen werden demnach sprachlich an die GesprächspartnerInnen und die Vorstellung dessen, wer diese(r) GesprächspartnerIn ist, angepasst. So kommt es zu Abweichungen innerhalb der Übersetzung, die zu kleinen, aus Sicht der Weiterverarbeitung der Informationen vernachlässigbaren Nuancen führen können, die zumeist keine Auswirkung auf den Sinnzusammenhang haben. Geschehen ist das z.B. bei der Übersetzung des türkischen Wortes für Sesamring als Croissant.
II.3.2. Interviews
Zur Durchführung meiner Interviews entschied ich mich für einen Leitfaden, den ich nach Themen aufschlüsselte (vgl. Flick 2007:203f). Der Leitfaden enthielt Fragen zur Person, der Ausbildung, Wahrnehmung der Position in der Community, Wissen in Bereichen der fiqh, sowie Wissensanwendung. Der Leitfaden war halbstandardisiert, um eine bessere Einordnung und einen Vergleich zwischen den Antworten der Interviewpartner zu ermöglichen (vgl. Atteslander 2000:153ff). Diese Methode, die einerseits einen gewissen Rahmen zur Fragestellung bietet, gleichzeitig aber Raum für individuelle Interviewführung lässt (vgl. Flick 2007:203f), bietet sich besonders für die Befragung von ExpertInnen an (vgl. Gläser/Laudel 2004:107).
Meine Interviewpartner waren als Experten „Teil des Handlungsfeldes, dessen Probleme gelöst werden sollen“ (Meuser/Nagel 1994:182), und somit durch ihr besonderes Wissen, Mitglieder ihrer Communities, denen von dieser eine besondere Stellung zugeschrieben wurde. Die Soziologin Michaela Pfadenhauer, die sich mit der Stellung von ExpertInnen in Forschungssituationen auseinander gesetzt hat, (2005) schreibt hierzu:
Das Experteninterview bietet sich dementsprechend vornehmlich dann als Datengenerierungsinstrument an, wenn die exklusiven Wissensbestände von Experten im Kontext ihrer (letzt-)verantwortlichen Zuständigkeit für den Entwurf, die Implementierung und die Kontrolle von Problemlösungen Gegestand des Forschungsinteresses sind. (ibid.:117)
In diesem Sinne erschien mir das ExpertInneninterview durch seine theoriegenerierende Auslegung (vgl. Bogner/Menz 2005:38f) für mein Vorhaben, der Ausarbeitung von Arbeitsfeldern und Arbeitsweisen in Wien praktizierender Imame und ´ ulama, mit Bedacht auf das Kozept der madhahib, als besonders geeignet. Mit dieser Methode war es mir möglich, die Wissensbestände der Interviewpartner zu verstehen und mir ein Bild von der Anwendung ihres Wissens zu machen.
Zusätzlich zur Interviewführung wurden von mir weitere, ergänzende Informationen über informelle Gespräche gesammelt, die ich teils mit Tonbandgerät, teils durch Feldnotizen festhielt. Der Methode der Feldnotizen (vgl. Flick 2007:374) bediente ich mich vor allem, um meine Eindrücke vor und nach geführten Interviews festzuhalten, aber auch um beobachtete Ereignisse und Eindrücke, die ich während Veranstaltungs- und Moscheenbesuchen sammelte (vgl. ibid.:287), später nachvollziehen zu können. Das gesamte Datenmaterial floss in meine Darstellung mit ein, und half mir so, ein Bild des von mir untersuchten Feldes zu bekommen.
Ich möchte hier noch eine kurze Legende zu meiner Interviewdarstellung bereitstellen. Wie erwähnt wurden einige Interviews mit Hilfe von Übersetztern durchgeführt. Bei einem der Interviews versammelten sich während des Gesprächs einige Männer im Raum, die dem Interview lauschten, und die schließlich begannen, den Übersetzer zu unterstützen, der diese, für ihn ungewöhnliche Aufgabe, bereitwillig aber nicht ohne Problem erfüllte. Zusätzlich zu meinen Interviewpartnern, die ich mit Hanafi.I – V, Shafi´i. I und II, sowie Maliki. benennen werde, kommen in meinen Interviews Übersetzer [mit Übersetzer bezeichnet], Personen [mit Person bezeichnet] und ein Obmann [mit Obmann bezeichnet] zu Wort.
Ich werde die Interviews in grammatikalisch richtigem Deutsch und von Wiederholungen durch die Übersetzer bereinigt darstellen.
II.3.3. Datenauswertung
Bei der Auswertung meiner Interviewdaten habe ich mich am Verfahren des thematischen Kodierens nach Flick (2007) orientiert. Diese Methode bietet den Vorteil, einzelne Fälle so zu analysieren, dass die darin gewonnen Daten eingeschätzt und später mit weiteren Daten in Verbindung gesetzt werden können. In einem ersten Schritt wird eine Einschätzung zu jedem einzelnen Fall verfasst, die Grundlage für dessen weitere Analyse ist. Mit Fragen, die darauf abzielen, die Strukturen hinter den jeweiligen Aussagen zu erkennen, wird schließlich eine thematische Struktur geschaffen. Durch die Analyse weitere Fälle wird diese ergänzt, und schließlich ein Schemata geschaffen, das zur Analyse aller Interviews herangezogen wird. Diese Methode ermöglicht es, die einzelnen Fälle miteinander in Verbindung zu setzen, und somit auf die Positionierung der einzelnen InterviewpartnerInnen im Feld zu schließen (vgl. ibid.:402ff).
Die Methode der Daten-Triangulation, als eine Verbindung unterschiedlicher qualitativer Methoden schafft die Möglichkeit, auf eine Vielzahl an Daten zurückzugreifen (vgl. Flick 2007:519). Dadurch konnte ich zusätzlich zu diesen in Interviews gewonnenen Daten, auf Daten aus der teilnehmenden Beobachtung, aus informellen Gesprächen, Gedächtnisprotokollen und Feldnotizen zu Eindrücken von Interviewsituationen aber auch Beobachtungen zurückgreifen. Ebenso habe ich Inhalte aus Internetseiten in meine Untersuchung mit einbezogen. In der Analyse wurden alle Datensätze nach dem gleichen System ausgewertet.
Im Zuge meiner Forschung, in der ich versuchte, einem Konzept in seiner Anwendung durch SpezialistInnen auf die Spur zu kommen, habe ich versucht, mein Forschungskonzept durch die ständige Hinterfragung neu gewonnener Daten zu ergänzen. Im Sinne eines Theoretischen Sampling, das durch das ergänzende Nebeneinander von Datenerhebung und Analyse eine Sättigung des Untersuchungsrahmens verfolgt (vgl. Strauss/Corbin 1996:150), wurden meine gesetzten Interessensschwerpunkte ergänzt und schließlich hin zu einer gewissen Sättigung geführt.
III Madhahib – ´Ulama – Imame
III.1. Madhahib – Wege im Islam
III.1.1 Madhahib – Eine Begriffsklärung
Die Heilslehre des Islams ist Lehre von der „Rechtleitung“ des Menschen durch Gott zum zeitlichen und ewigen Heil in Gottes Geboten. Aber Gottes Gebot war nicht in jedem Einzelfall unmittelbar erkennbar. Früh begannen sich hier Probleme zu stellen, Konflikte anzubahnen. (Endreß 1997:44)
Was der Islamwissenschafter Gerhard Endreß (1997) hier anspricht, ist das grundlegende Problem der unkonkreten Ausformulierung mancher Regeln (Gebote). Dieses Fehlen von Regeln führte zur Suche und schließlich zur Diskussion sowie Ausformulierung von Regeln. Diese wurden innerhalb eines bestimmten Rahmens formuliert; dem der madhahib (Bearman/Vogel 2005:viif).
Zu Beginn werde ich begrifflich klären, was madhahib umfasst und in welchem Kontext sie entstanden sind. Es gibt eine Reihe von Wissenschaftern (Endreß 1997; Kamali 1998; Melchert 1997; Schacht 1964; Weiss 2005; Wheeler 2003), die sich mit der Thematik der madhahib auseinandersetzen. Kurz gesagt, madhahib sind Lehre, Lehrmeinung, Richtung oder auch Denktradition innerhalb der fiqh, der Wissenschaft der Rechtsfindung in der shari ` a, des Islamischen Rechts (vgl. Kamali 2001:6). Der Islamwissenschafter Muhammad Khalid Masud (2001), der sich intensiv mit Fragen um shari´a auseinander setzt, hält fest, dass die Bezeichnung Islamisches Recht nicht als absolutes, starres Recht missverstanden werden darf. So stellt shari´a viel mehr einen Weg dar, soziale Normen mit rechtlichen Normen zu verbinden (vgl. ibid.:2). Ergänzend möchte ich hier Tariq Ramadan (1999), einen der führenden muslimischen Intellektuellen in Europa erwähnen, der in shari´a einen Weg sieht, über den Muslim-Sein definiert wird (vgl. ibid.:257). Fiqh wiederum meint das Produkt menschlichen, rationellen Denkens, welches einen
Status quo eines Rechtsgelehrten im Arbeiten mit den Wegen der shari`a durch die Grundquellen Qur`an und Sunna festhält. Es teilt sich in ´ ibadat, Regeln der religiösen Praxis und mu´amalat, Regeln des sozialen Lebens im weitesten Sinne (vgl. Ramadan 1999:43;60f). Andere Quellen finden hierzu andere Bezeichnungen, und nennen eine Unterteilung in ´ ibadat und ´adat[9], womit aber immer die Unterteilung in religiöse und soziale Praktiken bzw. Bereiche gemeint ist (vgl. Masud 2001:8f). Ich werde mich in dieser Arbeit an der Unterteilung von ´ibadat und mu´amalat orientieren.
Forschungen zur Rechtstheorie (Weiss 2005) der madhahib haben gezeigt, dass es sich bei diesen um einen way (ibid.:1), also einen Weg handelt, der mit einer gewissen Methodik und gewissen Prinzipien verbunden ist, an Fragen des Rechts bzw. der Rechtsfindung heranzugehen. Bei diesen Prinzipien handelt es sich um die der madhahib, die von ihren Trägern geteilt werden. Sie rühren aus der Geschichte der jeweiligen madhhab her und wurden von Rechtsgelehrten oder Juristen begründet und fortgeführt. Madhahib existieren daher nur auf der Ebene von bzw. durch Personen (vgl. Weiss 2005:1f).
Diese Erkenntnisse bringen in die Diskussion um madhahib eine personelle Dimension ein, die in der gesamten Thematik der Regelfindung eine große Rolle spielt. Nur Personen, und hier zum Großteil[10] nur SpezialistInnen, die die Prinzipien der madhahib kennen, können mit diesen hantieren, und somit zu TrägerInnen des durch die madhahib transportierten Wissens werden[11].
Manche Rechtstheoretiker sehen gerade diese Dimension der madhahib als essentiell und beschreiben die genaue Rolle der TrägerInnen.
The term ‘madhhab’, literally, “a way, course, mode, or amner, of acting or conduct or the like” [Lane, i, 983b] came to be used, via a lexical development that includes “a doctrine, tenet, option with regard to a particular case,” as a technical term meaning ‘school of law’. [...] The madhhabs are the outcome of several hundred years of efforts by early religious-legal scholars to interpret, articulate, elaborate, and transmit God`s commands to believers as found in the two revealed texts of Islam [...] (Bearman/Vogel 2005:viif)
Mit den two revealed texts meinen die beiden Rechtstheoretiker Peri Bearman und Frank E. Vogel (2005), die sich mit Islamischem Recht beschäftigen, Qur`an und Sunna, die beiden Hauptquellen der Rechtsfindung.
Die Träger des Wissens und der Methoden der madhahib, und das zeigte sich auch in von mir geführten Gesprächen (Hanafi.IV 22.1.2007; Shafi´i.I 6.3.2007; Hanafi.III 12.4.2007), haben die Verantwortung, gods commands (Bearman/Vogel 2005) an die Menschen weiter zu geben; und das in allen Bereichen des Lebens.
In der Forschung zur Entstehung der madhahib aus rechtswissenschaftlicher Sicht (Kaya 2005), die sich näher mit den Rechtspersönlichkeiten der Entstehungszeit befasst hat, zeigt sich, dass durch jene Rechtspersönlichkeiten eine Etablierung und Festigung der Prinzipien möglich war.
The axis of the concept of madhhab found in every affiliated jurist´s work is not a complement of legal norms, nor is it a group affiliation. It is a certain form of legal reasoning. By this I do not mean the methodology created to interpret the Revelation and discussed in the books of legal theory, but the reasoning applied within a particular juristic legacy. What was changed by the rise of the madhhabs was neither a shift in the function of law nor in its domain, but rather an epistemic turn, a turn that determined that a particular juristic past was a legal source in the broad meaning of the term. (ibid.:38f)
Diese Forschungsergebnisse decken sich dahingehend mit denen der geschichtswissenschaftlichen Islamforschung (Endreß 1997), indem beide übereinstimmen, dass die Denktradition der madhahib, neben den Quellen Qur`an und Sunna, zur Quelle von Rechtsfindungsprozessen wurden. Diese Quelle der Denktradition ist aber mehr als Doktrin zu verstehen, die in der Art und Weise durch die sie die Quellen Qur`an und Sunna betrachtet und zur Rechtsfindung nutzt, bestimmt ist (vgl. ibid.:81).
[...]
[1] Zur Erklärung arabischer Begriffe findet sich im Anhang ein Glossar.
[2] Ich wähle hier meist die männliche Form, da Hinweise auf weibliche Gelehrte und ihre Arbeitsweise nur in Ansätzen vorhanden sind. Ich hoffe jedoch, dass diese Lücke in der Forschung gefüllt wird.
[3] Ich wähle hier die englische Bezeichnung Community für eine Form von Gemeinschaft, die auf relativ flexiblen Grundzügen aufbaut. Im Gegensatz zu Gemeinschaft, womit vielseitige Verbindungen zwischen Menschen bezeichnet werden, die auf langlebigen, oft familiären aber auch tiefen freundschaftlichen oder nachbarschaftlichen Grundzügen basieren, bezeichnet communiy einen losen, imaginierten Bezugsrahmen von Personen, die sich auf Basis einer oder mehrerer Gemeinsamkeiten, wie z.B. Religion, Doktrin, Nation oder Ethnie zusammenfinden. Jene Konstrukte von Communities stellen meist nur einen von vielen Bezugsrahmen im Leben der beteiligten Personen dar. In Migrationssituationen ist oftmals die Bezeichnung Community zutreffender als Gemeinschaft, da Verbindungen zwischen MigrantInnen oft auf imaginierten religiösen, doktrinären, ethnischen oder auch nationalen Gemeinsamkeiten basieren (vgl. Amit 2002:17f).
[4] Zuwanderung in Europa hat sehr vielseitige Hintergründe, auf die ich hier nicht näher eingehen kann, da diese Thematik den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Der Migrationsforscher Stephen Castles (2003) setzt sich mit diesen Hintergründen näher auseinander.
[5] Ich orientiere mich hier an einer Definition von Tradition, wie sie von Talal Asad (1986), einem Sozial- und Kulturanthropologen, der sich intensiv mit Islam auseinander setzt, genannt wird. Er sieht Tradition als einen Diskurs, der Gegenwart in Bezug auf Diskurse der Vergangenheit und der Zukunft. Zu islamischer Tadition meint er: „An Islamic discursive tradition is simply a tradition of Muslim discourse that adresses itself to the conceptions of the Islamic past and future, with reference to a particular Islamic practice in the present“. (ibid.:14)
[6] Avusturya Türkes Đslam Birliği / Türkisch-Islmische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich
[7] Islamische Föderation; Diese ist mit der Islamischen Gesellschaft Nationale Sicht in einer Gemeinsamen Organisation, der IF-IGMG (Islamische Föderation in Wien–Islamische Gesellschaft Nationale Sicht / Đslam Toplumu Milli Görüş) verbunden.
[8] Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich
[9] Im Glossar unter ´ ada zu finden.
[10] Ich habe hier diese Formulierung gewählt, da es in jüngster Zeit, und hier v.a. in der muslimischen Diaspora (Caeiro 2004) Tendenzen gibt, dass auch nicht islamisch Gelehrte begonnen haben vermehrt in den Dialog der Regelformulierung einzugreifen. Dazu möchte ich aber später im Kapitel Feld näher eingehen.
[11] Es gibt abseits der ´ ulama Personen, die sich in der Erarbeitung von Regeln versuchen. Diese sind aber für dieses Forschungsvorhaben nicht von explizitem Interesse. Zur weiteren Lektüre empfehle ich hier Ihsan Yilmaz (2005).
- Citar trabajo
- Magister Josef Lebitsch (Autor), 2008, "Wir versuchen das Leben zu verschönern" - Madhahib - Konzepte islamischer Gelehrter in Wien, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116254
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