Diese Thesis will den Versuch unternehmen, mit Hilfe von Leitfaden gestützten Experteninterviews herauszuarbeiten, welche Unterstützung Pflegeeltern brauchen, um einen sicheren Ort zu schaffen. Dabei soll untersucht werden, welchen
Einfluss die vorhandene oder fehlende Unterstützung und Information durch das Jugendamt bzw. den Träger auf den Alltag mit dem traumatisierten Pflegekind hat. Die Interviews werden mit einer Qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz ausgewertet und die Ergebnisse dann mit MAXQDA computergestützt kategorisiert, codiert und ausgewertet, um dann zusammengefasst und interpretiert zu werden. Zentral soll folgende Forschungsfrage untersucht werden: „Welche Unterstützung brauchen Pflegeeltern, damit die Pflegefamilie für traumatisierte Kinder zu einem sicheren Ort wird?"
In Deutschland sind zur Zeit 80.000 Kinder in Pflegefamilien untergebracht. Es ist davon auszugehen, dass 42%-64% der Kinder, die in Pflegefamilien untergebracht sind, potentiell traumatisierenden Belastungen in der Kindheit ausgesetzt wurden und diese Kinder sind dadurch in ihrer psychischen Gesundheit häufig eingeschränkt. Durch die hohe Anzahl der Pflegekinder, die von Traumata betroffen sind, hat das Thema eine hohe gesellschaftliche, soziale und politische Relevanz. Um dem Kind weitere Bindungsabbrüche zu ersparen, ist das Gelingen des Pflegeverhältnisses von entscheidender Bedeutung für den weiteren Lebensweg des traumatisierten Kindes.
IV Inhaltsverzeichnis
I Danksagung
II Abstract
III Abstract Englisch
IV Inhaltsverzeichnis
V Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Pflegekinder
2.1 Rechtliche Bestimmungen
2.2 Der Weg zur Pflegeerlaubnis
2.3 Der Weg in eine Pflegefamilie
3. Trauma
3.1 Definition Trauma und ihre häufigsten Auslöser
3.1.1 Vernachlässigung
3.1.2 Misshandlung
3.2 Traumatisierte Pflegekinder
3.2.1 Folgen der Traumatisierung
3.2.2 Bindungsverhalten bei traumatisierten Pflegekindern
4. Traumapädagogik
4.1. Der sichere Ort
4.1.1 Der äussere sichere Ort
4.1.2 Der personale sichere Ort
4.1.3 Das Selbst als sicherer Ort
4.1.4 Spiritualität als sicherer Ort
5. Methodik.
5.1. Methodenwahl qualitative Sozialforschung
5.2 Sampling
5.3 Erhebungsinstrument
5.3.1 Transkription
5.3.2 Gütekriterien
6. Auswertung der Ergebnisse
7. Darstellung der Forschungsergebnisse
8. Interpretation und Handlungsempfehlungen
9. Fazit
VI Literaturverzeichnis
Anhang A Transkription der Interviews
Interview 01, geführt am 03.07.2021
Interview 02, geführt am 04.07.2021
Interview 03, geführt am 05.07.2021
Interview 04, geführt am 07.07.2021
Anhang B Codesystem mit MAXQDA
Anhang C Summary Tabelle MAXQDA
Anhang D Eidesstattliche Erklärung
V Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Das limbische System
Abb. 2 Der sichere Ort
Abb. 3 Ablaufschema einer inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse
Abb. 4: Sechs Formen einfacher und komplexer Auswertung bei einer inhaltlich strukturierenden
Inhaltsanalyse
I Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich während des Studiums und der Erstellung meiner Bachelorarbeit unterstützt haben.
Ich bedanke mich bei den Interviewpartnern, die ihre Zeit und ihre Geschichten mit mir geteilt haben, und mir so die Möglichkeit gegeben haben, die Situation der traumatisierten Pflegekinder mit ihren persönlichen Erfahrungen zu belegen.
Ebenfalls möchte ich mich bei meinen Korrekturlesern bedanken.
Mein besonderer Dank gilt jedoch meinem Mann Patrick und unseren Kindern, die mich auf dem gesamten Weg begleitet und unterstützt haben. Dafür, dass sie mir den nötigen Freiraum gegeben und niemals das Vertrauen in mich verloren haben.
Kelly Bieck
Schafflund, 08.08.2021
II Abstract
Es ist Ziel der vorliegenden Aufgabe herauszufinden, wie sich die Situation von traumatisierten Pflegekindern in Deutschland darstellt und die Forschungsfrage "Welche Unterstützung brauchen Pflegeeltern, damit die Pflegefamilie für traumatisierte Kinder zu einem sicheren Ort wird?“ zu beantworten.
Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurden leitfadengestützte Experteninterviews mit Pflegeeltern geführt und mit einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz ausgewertet. Es wurden Interviews mit vier Pflegeeltern geführt, die zur Zeit der Befragung mindestens ein traumatisiertes Pflegekind in Dauerpflege in ihren Familien hatten.
Die computergestützte qualitative Auswertung der Interviews zeigt, dass die Schaffung eines sicheren Ortes für traumatisierte Pflegekinder besonders davon abhängig ist, wie sehr die Pflegefamilien über die nachhaltigen Auswirkungen von traumatischen Erlebnissen informiert sind.
Weiterführende Forschung in diesem Bereich sollte zusätzlich zur Bestätigung der Ergebnisse dieser Arbeit das Ziel haben, einheitliche Standards für die Erteilung von Pflegeerlaubnissen für traumatisierte Kinder zu erarbeiten, die auf einen besonderen Fokus auf die pädagogischen Fähigkeiten der Pflegeeltern ausgelegt sind.
Schlüsselwörter: Pflegekinder, Pflegeeltern, Trauma, Sicherer Ort, Traumapädagogik
Ill Abstract Englisch
The aim of this study is to find out what the situation is like for traumatized foster children in Germany and to answer the research question "What support do foster parents need to make the foster family a safe place for traumatized children?
In order to answer the research question, guided expert interviews were conducted with foster parents and analyzed using a qualitative content analysis according to Kuckartz. Interviews were conducted with four foster parents who had at least one traumatized foster child in permanent care in their families at the time of the interview.
The computer-assisted qualitative analysis of the interviews shows that creating a safe place for traumatized foster children is particularly dependend on the extent to which foster families are informed about the lasting effects of traumatic experiences.
Further research in this area, in addition to confirming the findings of this thesis, should aim to develop uniform standards for granting foster care permits for traumatized children that are designed to focus specifically on the educational skills of foster parents.
Keywords: Foster children, foster parents, trauma, safe place, trauma pedagogy
1. Einleitung
„Just as trauma changes the lens to which children view life, being traumainformed changes the lens to which we view them (Unbekannter Autor).
In Deutschland sind zur Zeit 80.000 Kinder1 in Pflegefamilien untergebracht (Hopp, 2021, S. 3).
Es ist davon auszugehen, dass 42%-64% der Kinder, die in Pflegefamilien untergebracht sind, potentiell traumatisierenden Belastungen in der Kindheit ausgesetzt wurden und diese Kinder sind dadurch in ihrer psychischen Gesundheit häufig eingeschränkt (Kindler, Scheuerer-Englisch, Gabler und Köckeritz, 2011, S. 138).
Durch die hohe Anzahl der Pflegekinder, die von Traumata betroffen sind, hat das Thema eine hohe gesellschaftliche, soziale und politische Relevanz.
In einer Untersuchung, die Christian Erzberger 2003 im Auftrag des Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit und der Stiftung zum Wohl des Pflegekindes, Holzminden, durchgeführt hat, ist eines der Ergebnisse, dass Pflegeverhältnisse dann gelingen können, wenn unteranderem, die Kinder nicht traumatisiert sind und positive Bindungserfahrungen gemacht haben (Erzberger, 2003, S. 105).
Da laut Stiebei und Stiebei (2015, S. 13) jedoch die Mehrzahl der Pflegekinder mindestens eine traumatische Erfahrung gemacht haben, muss davon ausgegangen werden, dass auch die Mehrzahl der Pflegefamilien mit einem traumatisierten Kind Erfahrungen machen und Gefahr laufen, dass die Pflegeverhältnisse nicht gelingen.
Um dem Kind weitere Bindungsabbrüche zu ersparen, ist das Gelingen des Pflegeverhältnisses jedoch von entscheidender Bedeutung für den weiteren Lebensweg des traumatisierten Kindes. Es ist davon auszugehen, dass Pflegeeltern ein Pflegekind mit dem Ziel aufnehmen, dass das Pflegeverhältnis gelingt und die Pflegefamilie das neue Kind gut integrieren kann.
Die Kinder werden dabei in Pflegefamilien vermittelt, die diese Kinder häufig mit der Erwartung aufnehmen, dass Liebe heilen wird und der gesunde Menschenverstand genügt, um die Kinder zu verstehen. Dies spiegelt sich u.a. in der Teilnahme an Schulungen wider, die Christian Erzberger untersucht hat. 35% der Befragten haben an keinerlei Schulung teilgenommen (Erzberger, 2003, S. 155).
Etwa 70% der Pflegeeltern bewerben sich um ein Pflegekind, weil sie etwas gesellschaftlich Nützliches tun wollen (Erzberger 2003, S. 152). Daraus lässt sich schliessen, dass oft wahrgenommen wird, dass man als Pflegeeltern keine besonderen Schulungen benötigt, um auf ein Pflegekind vorbereitet zu sein. Die guten Absichten, etwas Nützliches für die Gesellschaft tun zu
Zur Situation traumatisierter Pflegekinder in Deutschland.
wollen, würden ausreichen. In Gesprächen mit Pflegeeltern ist immer wieder zu hören, dass man das Kind nur genügend lieben müsse, damit es die Erfahrungen in der Herkunftsfamilie überwinden und die Seele heilen könne.
Diese Erwartungshaltung hatten wir zum Teil auch, als wir als erfahrene Eltern von fünf Kindern zwei weitere Kinder in unsere Familie aufgenommen haben, die Gewalt, Hunger und Deprivation erlebt haben. Sie waren damals 4 und 5 Jahre alt und wir waren sicher, dass wir mit unseren Erfahrungen als Eltern und in meinem Fall als Pflegeschwester eines traumatisierten Mädchens gut auf das Leben mit den beiden Jungen vorbereitet seien.
Im Laufe der letzten 12 Jahre ist uns jedoch bewusst geworden, dass mangelndes Wissen über die Folgen von Traumata zu weiteren Retraumatisierungen und Problemen im Bindungsverhalten innerhalb der Pflegefamilie führen kann. Die vielen Erfahrungen der letzten 12 Jahre sind die Motivation für diese Thesis und die Auseinandersetzung mit dem Thema.
Seit etwa 20 Jahren ist international die Erkenntnis gewachsen, dass es nötig ist, das Bewusstsein im Umgang mit traumatisierten Kindern zu schärfen (Bath, 2008, S. 18).
Bath unterstreicht zudem, dass der entscheidende Faktor im Umgang mit traumatisierten Kindern ein sicherer Ort ist. Diesen zu schaffen, muss demzufolge auch in Pflegefamilien von höchster Priorität sein.
Um diesen sicheren Ort zu schaffen, müssen Pflegefamilien jedoch mit umfangreichen Informationen ausgestattet werden, um zu verstehen, was Trauma bedeutet, wie sehr die Kinder betroffen sein können, wie Folgen von Trauma aussehen und was unter einem sicheren Ort aus traumapädagogischer Perspektive zu verstehen ist. Diese Thesis will den Versuch unternehmen, mit Hilfe von Leitfaden gestützten Experteninterviews herauszuarbeiten, welche Unterstützung Pflegeeltern brauchen, um diesen sicheren Ort zu schaffen. Dabei soll untersucht werden, welchen Einfluss die vorhandene oder fehlende Unterstützung und Information durch das Jugendamt bzw. den Träger auf den Alltag mit dem traumatisierten Pflegekind hat.
Die Interviews werden mit einer Qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz ausgewertet und die Ergebnisse dann mit MAXQDA computergestützt kategorisiert, codiert und ausgewertet, um dann zusammengefasst und interpretiert zu werden.
Zentral soll folgende Forschungsfrage untersucht werden: „Welche Unterstützung brauchen Pflegeeltern, damit die Pflegefamilie für traumatisierte Kinder zu einem sicheren Ort wird?
2. Pflegekinder
Zu Beginn dieser Arbeit wird die Pflegefamilie vorgestellt, die über das klassische Familienbild (Mutter, Vater, Kind) hinaus auch aus gleichgeschlechtlichen Paaren (männlich, weiblich, divers) oder alleinstehenden mit und ohne andere Kinder bestehen kann. Dabei werden die rechtlichen Bestimmungen sowie der Weg zur Pflegefamilie und die möglichen Wege zum Pflegekind verdeutlicht. Hierbei wird ein besonderer Fokus auf die möglichen Gründe einer Kindswohlgefährdung gelegt. Kinder, die aus diesem Grund in eine Pflegefamilie kommen, haben mit der Form von traumatischen Erlebnissen Erfahrungen gemacht, die zu einer nachhaltigen Traumatisierung führen können. Die vorgestellten Wege zeigen dabei nur eine Auswahl der Möglichkeiten, da es immer wieder auch Ausnahmen gibt, um dem Wohl der Kinder gerecht zu werden. Die Verwandtenpflege, Bereitschaftspflege und Kurzzeitpflege werden in dieser Arbeit z.B. nicht berücksichtigt.
Eine Pflegefamilie wird dadurch definiert, dass sie ein Kind in ihre Familie aufnimmt, betreut und erzieht, wenn es nicht bei seinen leiblichen Eltern aufwachsen kann. Dies kann sowohl vorübergehend als auch von Dauer sein. Selbst wenn die elterliche Sorge entzogen wurde, haben die leiblichen Eltern das Recht auf Umgangskontakten mit dem Kind. Die Aussetzung der Umgangsrechte wird nur bei Gefährdung des Kindeswohls nach einem Gerichtsbeschluss erlassen. (Bosch, 2021)
2.1 Rechtliche Bestimmungen
Da in dieser Arbeit der Fokus auf Pflegefamilien liegt, bei denen ein Dauerpflegeverhältnis besteht, werden hier explizit die gesetzlichen Rahmenbedingungen für diese Familien erläutert. Zunächst wird die rechtliche Bestimmung im Grundgesetz und dann die rechtliche Situation der Pflegekinder und deren Pflegeeltern dargestellt.
Die Pflegefamilie setzt sich aus verschiedenen rechtlichen Konstellationen zusammen. In unserem Grundgesetz unterliegt die Familie dabei einem besonderen Schutz (Grundgesetz, Artikel 6, Abs.1). Der besondere Schutz und das natürliche Recht sowie die zuvörderst den Eltern obliegende Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder, wurde den leiblichen Eltern entweder entzogen oder sie haben freiwillig auf dieses Recht verzichtet, wenn das Kind in einer Pflegefamilie untergebracht wird.
Vollzeitpflege wird dann im Rahmen von Jugendhilfeleistungen nach dem SGB VIII als Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 33 gewährleistet (Scheiwe, Schuler-Harms, Walper und Fegert, 2016, S. 8).
Um dem besonderen Schutz der Familie gerecht zu werden, muss die Vollzeitpflege mit dem Ziel einer Rückführung verbunden sein. Durch Beratung und Unterstützung der Herkunftsfamilie wird der Versuch unternommen die Erziehungsbedingungen in einem vertretbaren Zeitrahmen nachhaltig zu verbessern. Nur, wenn dies nicht gelingt, wird an einer auf Dauer angelegte Lebensperspektive gearbeitet (§ 37 Abs.1 S. 2 bis 4 SGB VIII). Da der Schutz der Familie im Grundgesetz verankert ist, besteht selbst bei auf Dauer ausgelegten Pflegeverhältnissen die Möglichkeit der leiblichen Eltern durch eine Verbesserung der Erziehungsbedingungen, eine Rückführung zu erlangen. Der vertretbare Zeitrahmen in dem dies möglich ist, wird dabei unterschiedlich ausgelegt und kann zu grosser Verunsicherung in den Pflegefamilien führen.
Der Alltag der Pflegeeltern ist von den geringen Entscheidungsbefugnissen, die sie haben geprägt. Wenn die Pflegeeltern nicht Vormund ihres Pflegekindes sind, müssen sie sich in vielen Lebenssituationen mit den leiblichen Eltern oder dem Amtsvormund absprechen und zu gemeinsamen Entscheidungen finden. Bei einem guten Verhältnis zwischen den leiblichen Eltern und Pflegeeltern birgt die Interpretation der Befugnis „in Angelegenheiten des täglichen Rechts“ die Sorgeberechtigten zu vertreten (§ 1688 Abs.1 S.1 BGB) wenig bis kein Konfliktpotential. Die fehlende Eindeutigkeit des Begriffes „Angelegenheiten des täglichen Rechts“ kann jedoch die Entscheidungsbefugnisse der Pflegeeltern massiv einschränken und die Zusammenarbeit zwischen Pflegeeltern und leiblichen Eltern erschweren (Scheiwe, Schuler-Harms, Walper, & Fegert, 2016, S. 15). Haarlänge, Wahl der Schule, Impfungen usw. bieten dabei die Möglichkeit der leiblichen Eltern erheblichen Einfluss auf den Alltag ihres Kindes zu nehmen und selbst Lappalien können zu Grundsatzdiskussionen führen, die zuweilen nur auf Kosten der Beziehung zwischen den leiblichen Eltern und Pflegeeltern beigelegt werden können. Diese Auseinandersetzungen können sich zu Machtkämpfen entwickeln, bei denen das Wohl des Kindes nicht mehr im Vordergrund steht.
2.2 Der Weg zur Pflegeerlaubnis
Zeitungsannoncen und groß angelegte Werbemassnahmen, die in regelmässigen Abständen das Interesse neuer Pflegefamilien wecken sollen, machen deutlich, dass es einen immer grösser werdenden Bedarf an neuen Pflegefamilien gibt. Seitdem Frühjahr 2021 gibt es z.B. in Flensburg eine Kampagne, in denen in den lokalen Printmedien, sowie in allen Sozialen Medien um Pflegeeltern geworben wird. (Stadt Flensburg, 2021)
Die Anforderungen zur Bewerbung werden bei dabei sehr niedrigschwellig angesetzt, Paare zwischen 30 und 45 Jahren werden angesprochen, die ein eigenes Zimmer für das Pflegekind bieten können und der Umgang mit Kindern ist erwünscht. Die Voraussetzung, um die Pflegeerlaubnis zu bekommen ist in Deutschland nicht einheitlich geregelt, die zuständigen Kreise und Städte, an die die Pflegekinderdienste angebunden sind, entwickeln eigene Kriterien, die die zukünftigen Pflegeeltern erfüllen müssen.
Interessiert sich eine Familie für die Aufnahme eines Pflegekindes, findet meist ein Hausbesuch durch einen Mitarbeiter des örtlichen Pflegekinderdienstes statt. Besteht nach dem Hausbesuch mit den ersten Informationen zu den Anforderungen und Bedingungen noch Interesse an einer Bewerbung für ein Pflegekind, wird das Bewerbungsverfahren in der Regel eröffnet.
Der Pflegekinderdienst erwartet, dass die Wohnverhältnisse gegeben sind und dass das Kind ein eigenes Zimmer bekommt. In dem Versuch, sich dagegen abzusichern, dass das Kind als Einnahmequelle betrachtet wird, muss die Familie in der Lage sein, sich auch ohne das Pflegegeld zu finanzieren. An vielen Orten werden zusätzlich ein polizeiliches Führungszeugnis und ein Gesundheitsattest verlangt. Den Jugendämtern wird hier jedoch ein Ermessensspielraum eingeräumt, um dem Wohl des Kindes gerecht zu werden (Hopp, 2021, S. 5-6).
Seminare und Schulungen zum Umgang mit den Rechten der Herkunftsfamilien, möglichen Gründe zur Inobhutnahme, Verhalten bei Umgangskontakten und den Grundlagen zu Bindungstheorien gehören im Idealfall zur Vorbereitung auf ein Pflegekind. In dem Bewerbungsprozess sollten die Familien vom Pflegekinderdienst begleitet werden und dort einen Ansprechpartner haben. (Sauer, 2017, S. 13)
Wenn die Familien die Seminare und Schulungen abgeschlossen haben, warten die Familien darauf, dass das Jugendamt oder der Träger sie mit einem passenden Kind belegt. Dabei ist auch die fachliche Ausrichtung des zuständigen Jugendamtes entscheidend, ob das Hauptgewicht auf den Bindungen und Lebensperspektiven des Kindes liegt oder sich der Sozialarbeiter an den Interessen der Erwachsenen orientiert. (Zwernemann, 2014, S. 26)
Die Pflegeeltern sollten zu diesem Zeitpunkt die notwendigen Informationen zu dem Kind bekommen. Dabei sind die Gründe, die zur Trennung von der Herkunftsfamilie geführt haben zu nennen sowie die in der Herkunftsfamilie erlebten Vorerfahrungen. Die bisherigen Trennungen, die Rechtssituation sowie die vorsichtige Prognose zum Lebensmittelpunkt des Kindes, aber auch mögliche Informationslücken sind relevant, damit die Pflegeeltern eine realistische Entscheidung für oder gegen die Aufnahme der Kinder treffen können.
Vor Einzug des Pflegekindes muss eine Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII erfolgen, die als Grundlage des Pflegeverhältnisses gilt und in dem unter anderem die therapeutischen Hilfen für das Kind, Umgangskontakte und Ziele festgeschrieben werden. Der Hilfeplan wird regelmässig und nach dem erzieherischen Bedarf des Kindes fortgeschrieben. (Zwernemann, 2014, S. 33)
2.3 Der Weg in eine Pflegefamilie
Aufgrund der Komplexität des Themas und den individuellen Bedingungen vor Ort in den Familien gibt es immer wieder Ausnahmen zu den im Folgenden dargestellten Wegen in eine Pflegefamilie. Hier werden exemplarisch die drei rechtlichen Rahmenbedingungen und die daraus folgenden nächsten Schritten für die Kinder erläutert. Dabei gilt es bei jedem Schritt, das Spannungsfeld zwischen dem besonderen Schutz der Familie (GG Art. 6, Abs. 1) sowie dem sogenannten Wächteramt (BGB § 1666) gerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls zu beachten. In Deutschland werden etwa 60% der Kinder wegen Kindeswohlgefährdung gemäß § 1666 BGB in Pflegefamilien untergebracht. (Zwernemann, 2014, S. 210)
Als Ausgangspunkt wird nach dem SGB VIII bei bekannten Überforderungen in den Familien erstmal der Versuch unternommen, mit ambulanten Hilfen eine Verbesserung der Situation zu erreichen. Erst wenn diese ausgeschöpft wurden oder schon im Vorfeld absehbar ist, dass keine Verbesserung erlangt werden kann, wird das Kind von den leiblichen Eltern getrennt. (Zwernemann, 2014, S. 209) Etwa 40% aller Pflegekinder werden auf Antrag der Eltern gemäß § 27 SGB VIII untergebracht. Die Eltern haben in Deutschland Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn das Wohl des Kindes durch die Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfsmaßnahme für seine Entwicklung notwendig ist. Die Eltern beantragen in diesem Fall durch die Gewährung von Hilfe Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII. Der Antrag der Eltern ist jedoch nicht per se als freiwillig zu beurteilen, da diese Anträge auch dann gestellt werden, wenn den Eltern angedroht wird, dass ihnen sonst die elterliche Sorge entzogen werden könnte. Somit zählen zu diesen 40% auch Kinder, die im Rahmen einer Inobhutnahme nach §42 SGB VIII wegen einer akuten Gefährdung des Kindeswohls aus der Familie entfernt werden. (Zwernemann, 2014, S. 209)
25.000 bis 30.000 Kinder werden in Deutschland jährlich in Obhut genommen. Die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII ist dabei eine hoheitliche Aufgabe des Jugendamtes. Diese befugt und verpflichtet das Jugendamt bei Gefährdung des Kindeswohls, dem Wunsch des Kindes folgend oder im Fall unbegleiteter Flüchtlinge, das Kind in Obhut zu nehmen. (Zwernemann, 2014, S. 211).
3. Trauma
In diesem Kapitel wird zunächst das Trauma definiert und der Blick auf die häufigsten Auslöser für Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) gerichtet. Die häufigsten potentiellen Traumata und deren Folgen sowie die Situation der traumatisierten Kinder bilden den Schluss dieses Kapitels.
3.1 Definition Trauma und ihre häufigsten Auslöser
Trauma kommt aus dem Griechischen und bedeutet Wunde und ist in Bezug auf die Betroffenen in dieser Thesis als seelische Verletzung zu verstehen. Hierbei kommt es zu einer Überforderung der Schutzmechanismen durch ein traumatisierendes Erlebnis. Diese können durch schwere Unfälle, Krieg oder Naturkatastrophen ausgelöst werden. Darüber hinaus werden auch psychische, körperliche und oder sexuelle Gewalt sowie schwere Verlust- und Vernachlässigungserfahrungen als traumatische Erlebnisse bezeichnet. In den medizinischen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV werden die Ereignisse benannt, die:
Objektiv "mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß" (ICD- 10) einhergehen oder "den tatsächlichen oder drohenden Tod, tatsächliche oder drohende ernsthafte Körperverletzung oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit von einem selbst oder Anderen" (DSM-IV) einschließt, sowie subjektiv "bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“ (ICD-10) beziehungsweise mit "starker Angst, Hilflosigkeit oder Grauen" erlebt wurde (DeGPT o.J.).
Fischer und Riedesser beschreiben Trauma als „Ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt“ (1998, S. 79).
Im Kontext dieser Arbeit beziehen sich die traumatischen Erfahrungen vordringlich auf innerfamiliäre Traumata. 2014 ging eine Welle der Entrüstung durch die deutschen Medien, nachdem Michael Tsokos und Saskia Guddat in ihrem Buch „Deutschland misshandelt seine Kinder“ darauf aufmerksam machten, dass Gewalt in Familien in Deutschland zum Alltag gehört und durchschnittlich drei Kinder je Woche in Deutschland an den Folgen von Misshandlung sterben (Tsokos & Guddat, 2014, S. 8).
Korritko fasst zusammen, dass 15-48% aller Kinder ein Trauma erlebt haben, 3-15% von ihnen entwickeln eine Posttraumatische Belastungsstörung. Demgegenüber steht, dass nahezu 100% aller Kinder eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickeln, wenn sie Zeuge von Gewalt an oder zwischen den eigenen Eltern sind. Bei eigenem Erleben von sexueller oder körperlicher Gewalt entwickeln 80-90% eine Posttraumatische Belastungsstörung (2016, S. 46).
3.1.1 Vernachlässigung
Verschiedene Studien (Hédervári, 1996; Münder, Mutke & Schone, 2000) zeigen, dass bis zu 75% der Kinder, die nicht mehr in ihren Herkunftsfamilien leben, Vernachlässigungen ausgesetzt waren (Weiß, 2016, S. 28). Bei vernachlässigten Kindern blieben über längere Zeit bestimmte Versorgungsleistungen materieller, emotionaler und kognitiver Art aus (Schone et.al, 1997, S. 19).
Eine bundesweite Studie verdeutlicht, dass der häufigste Grund für die Fremdplatzierung in Vollzeitpflege mit 94% die Vernachlässigung der Kinder ist (Walter, 2004, S. 48). Welche schwerwiegenden Folgen Vernachlässigung für die Kinder haben kann, wird deutlich, wenn man erkennt, dass ein vernachlässigtes Kind auch ein misshandeltes Kind ist. Ein Kind, das auf sich gestellt ist, allein gelassen wird, hungert, erlebt Todesangst, weil es diesem Zustand höchster Erregung und existentieller Bedrohung nicht entkommen kann (Nienstedt & Westermann, 2013, S. 54).
Wenn die Kinder nicht erleben, dass sie sich auf ihre Eltern verlassen können, dass diese sie nicht beschützen und Rücksicht auf sie nehmen, können sie weder ein sicheres Selbstwertgefühl noch eine gesunde Selbstachtung entwickeln. Es führt zu tiefem Misstrauen in menschliche Beziehungen und birgt zusätzlich die Gefahr, dass sie sich wieder in Beziehungen finden, in denen es nur Macht- und Ohnmachtsdimensionen gibt; eine Wiederkehr in die Opferrolle ist dann unumgänglich. (Nienstedt & Westermann, 2013, S. 55-56)
3.1.2 Misshandlung
Gewalt in der Familie ist für etwa 85% der Pflegekinder ein Teil des Alltags in ihren Herkunftsfamilien gewesen (Walter, 2004, S. 48).
Die Dunkelziffer aller misshandelten Kinder ist um ein Vielfaches höher, dennoch wurden allein im Jahr 2019 5.863 Kinder und Jugendliche aufgrund von Anzeichen körperlicher Misshandlungen in Obhut genommen (Rudnicka, 2020).
Tsokos und Guddat (2014, S. 11) unterscheiden zwischen vier Formen der Kindesmisshandlung
1) Physische Misshandlung
2) Sexueller Missbrauch
3) Vernachlässigung
4) Psychische Misshandlung
Der Einbezug von Vernachlässigung in die Formen der Misshandlung unterstreicht, dass ein vernachlässigtes Kind auch ein misshandeltes Kind ist, auch wenn körperlich keine Spuren erkennbar sein müssen. Die psychische/seelische Misshandlung gehört auch in die Kategorie der nicht sichtbaren Wunden, ist jedoch ebenso real und schädigend wie körperlicher und sexueller Missbrauch (Weiß, 2016, S. 31). Die schwerwiegenden Folgen können u.a. eine negative Weltansicht, Misstrauen, geringes Selbstwertgefühl, selbstzerstörerische Verhaltensweisen oder kriminelles Verhalten sein (Gil, 1993, S. 20).
Nach Fischer und Riedesser (1999, S. 71) sowie Herman (1994, S. 54) liegt eine Kindesmisshandlung vor, wenn das Kind von seinen Eltern alleingelassen oder überwältigt wird, statt bei Gefahr und Angst schutzsuchend zu ihnen fliehen zu können. Die Eltern gehen dadurch als Schutzobjekte verloren und die Kinder sind Ohnmachtsgefühlen und Todesängsten ausgeliefert. Aus der Perspektive des Kindes ist die Kindesmisshandlung eine Bedrohung mit Vernichtung. (Nienstedt & Westermann, 2013, S. 23)
3.2 Traumatisierte Pflegekinder
Die vorgestellten Auslöser für traumatische Erfahrungen und deren mögliche Folgen werden bei Pflegekindern zudem um die Herausnahme aus ihren Herkunftsfamilien ergänzt. Eine Inobhutnahme ist in vielen Fällen nur durch Amtshilfe der Polizei möglich und die Erfahrung der Herausnahme ist für manche Kinder ein weiteres Trauma. Die Trennung eines Kindes von seinen leiblichen Eltern und die Unterbringung in einer Pflege- oder Adoptivfamilie gilt als der größte staatliche Eingriff in das Leben der Menschen. Das Kind erlebt eine radikale Veränderung des Lebens und seiner Sozialisationsbedingungen, der gesamten Umwelt und aller menschlichen Beziehungen. (Nienstedt & Westermann, 2013, S. 30)
Kinder, die Deprivation2 und Gewalt erlebt haben, werden in ihren Pflegefamilien häufig zunächst ihre Überlebensstrategien präsentieren. Diese können von strahlenden, charmanten Kindern, die eine Scheinpersönlichkeit entwickelt haben, hinter dem sich eine tiefe Bindungsstörung und Zur Situation traumatisierter Pflegekinder in Deutschland.
Misstrauen befindet, bis hin zu kalten, unabhängigen und tief verletzen Kindern variieren. (Weinberg, 2010, S. 24) Es gilt für die Pflegeeltern hinter diese Scheinpersönlichkeiten zu blicken und das Kind dahinter kennenzulernen, um es dann verstehen zu können.
Die Pflegefamilien werden im Laufe der Zeit durch ihre Kinder mit den unterschiedlichsten Folgen posttraumatischer Belastungsstörungen konfrontiert. Dazu gehören das Wiedererleben und Wiederinszenieren der traumatischen Erfahrungen, Vermeidungsverhalten, Dissoziation3, Entfremdung vom Körper und von Empfindungen sowie eine allgemeine vegetative Übererregbarkeit. Die vielfältigen Auffälligkeiten können sich im Alltag jedoch überlagern und dadurch die eigentliche Beeinträchtigung der Kinder überschatten, die eine Zerstörung des Vertrauens in die erwachsenen Bezugspersonen ist und der daraus resultierenden Bindungsstörungen. (Nienstedt 2015, S. 69-71) Das bekannte Zitat des amerikanischen Schriftstellers William Faulkner (1951) beschreibt das Empfinden der Kinder ausgezeichnet.
„Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“
Viele Kinder, die traumatischen Erlebnissen ausgesetzt waren, leiden unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Diese stellt für die Betroffenen nicht nur eine psychische Belastung dar, die bei Kleinkindern dazu führen kann, dass sich ihre Persönlichkeit nicht zusammensetzen lässt, sondern auch eine physische, die vielfältige körperliche Auswirkungen haben kann. Eine Störung der Hirnentwicklung sowie Beeinträchtigungen des Nerven- und Immunsystems können sich ein Leben lang auf die Gesundheit auswirken. (Korritko, 2016, S. 25)
Wenn wiederholte traumatische Erfahrungen stattgefunden haben, spricht man von der Entwicklungstraumatisierung. Eine Traumafolgestörung besteht, wenn auch 2 Monate nach einem einmaligen traumatischen Ereignis Symptome auftreten. Die Symptome können Folgende sein.
Intrusionen4, die in unterschiedlicher Form, wie Alpträume, Flashbacks oder Panikattacken, zu Tage treten können.
Konstriktionen5, das Vermeiden von bestimmten Orten, Gegenständen oder Situationen.
Emotionale Empfindungslosigkeit und erhöhte körperliche Erregungszustände wie Herzrasen, Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen. (Korritko, 2016, S. 29)
Daraus lässt sich folgern, dass viele traumatisierte Pflegekinder eines oder mehrere dieser Symptome aufweisen, wenn sie in eine Pflegefamilie kommen. Für die Pflegefamilie beginnt dadurch bei Einzug die Suche nach dem Kind, das hinter den vielfältigen Symptomen steckt. Die gesamte Pflegefamilie muss sich darauf einlassen, dass das neue Familienmitglied eine Vielzahl von Zur Situation traumatisierter Pflegekinder in Deutschland.
Verhaltensweisen mitbringt, die ihm bisher geholfen haben zu überleben, und dass Selbstwirksamkeit6 und Vertrauen erstmal wachsen müssen. Diese Verhaltensweisen können jedoch stark von dem abweichen, was die Pflegefamilie von einem nicht traumatisierten Kind erwarten würde.
3.2.1 Folgen der Traumatisierung
Kinder, die Deprivation und Gewalt erlebt haben, werden in ihren Pflegefamilien zunächst die erlernten Verhaltensweisen als Sicherheit empfinden und sie auch weiterhin nutzen. Der durch Angst hervorgerufene Mangel an körperlicher und emotionaler Versorgung schädigt dem Gehirn nachhaltig. Je häufiger das Kind die Notfallreaktionen Übererregung (Flucht oder Kampf) oder Untererregung (Dissoziation, Unterwerfung) einsetzen musste, desto intensiver werden sie zu neuronal gebahntem Stressverhalten tendieren. Es tritt eine Störung exekutiver Affektregulierung ein, die dem Kind auch bei geringem Stress höchste Gefahr signalisiert. (Korritko, 2016, S.68)
Die gestörte Affektregulierung ist eine Folge eines erfolgreichen Eingreifens des limbischen Systems. Das limbische System hat in unserem Gehirn die Aufgabe, uns vor Gefahrensituationen zu warnen und sie zu überleben. Die körperlichen Reaktionen darauf geben uns Kraft, um z.B. zu rennen, wenn wir die Flucht einschlagen oder kämpfen müssen (fright or flight). In manchen Situationen sind jedoch weder Flucht noch Kampf möglich und das Gehirn schützt uns mit einer Notabschaltung: Es werden Regionen im Gehirn abgeschaltet und der Betroffene7 erstarrt. Diese erfolgreichen Schutzmechanismen unseres Gehirns werden für die Kinder zu einem Problem, wenn sie auch später noch durch sogenannte Trigger8 wieder an das Ursprungstrauma erinnert werden und das Hirn so reagiert, wie es in der ursprünglichen Situation reagieren musste um zu überleben. (Rösch, 2013)
Zur Situation traumatisierter Pflegekinder in Deutschland.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Das limbische System
Diese Abbildung wurde aus urhebeberrechtlichen Gründen von der Redaktion entfernt.
Quelle: Rösch, 2013
Es folgt ein erfundenes Beispiel, wie ein Kind, welches getriggert wird, den Prozess erlebt und reagiert.
Die Wahrnehmung ist in diesem Beispiel der Duft von Rotkohl. Der Duft von warmem Rotkohl, der durch das Haus strömt, weckt bei vielen Menschen sicherlich ein Gefühl von Zuhause und gemütlichem Wintertag, möglicherweise sogar Erinnerungen an schöne Weihnachtstage.
Dieser Duft wird bei dem traumatisierten Kind in diesem Bespiel jedoch wegen der Erinnerung an sexuellen Missbrauch durch den Onkel als negativ bewertet, weil die Mutter immer an den Besuchstagen des Onkels ein Festessen mit Rotkohl kochte.
Diese Bewertung löst Alarm bei dem Kind aus und der Körper reagiert wie in der damaligen Gefahrensituation durch die Ausschüttung von Stresshormonen. Die Gefühle der Situation sind wieder präsent und das Kind verhält sich so, wie in der ursprünglichen Gefahrensituation. In diesem Fall stellt es sich tot, wird bewusstlos.
Eine solche Reaktion kann zu einem wiederkehrenden Muster werden, das Aussenstehende erst dann verstehen können, wenn ihnen der Zusammenhang zwischen den Ohnmachtsanfällen und dem Duft von Rotkohl bewusst wird. Dafür müssen sie zunächstdie Auslösereize durch oft mühsame Detektivarbeit oder Ausschlussverfahren erkennen und wissen, wie das limbische System funktioniert.
Um als Pflegeeltern verstehen zu können, warum ihre Pflegekinder in von aussen völlig ungefährlichen Situationen so unerwartet reagieren, ist es von Bedeutung zu verstehen, dass die Kinder gute Gründe für ihr Verhalten haben.
Das Konzept des guten Grundes hilft Integration, Bindung und Gesundung zu etablieren. Dabei wird der Versuch unternommen, die Auffälligkeiten im Alltag der Pflegefamilie durch die Augen des Kindes zu betrachten und im Zusammenhang mit den Erfahrungen in der Herkunftsfamilie sehen. Jedes Verhalten hat einen guten Grund. Durch Gespräche und Handlungen hat das Kind dadurch die Möglichkeit, durch einen Verarbeitungsprozess und korrigierende Erfahrungen einen Selbstheilungsprozeß einzuleiten. (Hardenberg, Stotz & Rodríguez, 2021, S. 45)
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1 Wenn in dieser Ausarbeitung Kinder genannt werden, sind auch Jugendliche gemeint.
2 Seelischer Entbehrungszustand (Cohen 1990, S. 72f.) Misstrauen befindet, bis hin zu kalten, unabhängigen und tief verletzen Kindern variieren. (Weinberg, 2010, S. 24) Es gilt für die Pflegeeltern hinter diese Scheinpersönlichkeiten zu blicken und das Kind dahinter kennenzulernen, um es dann verstehen zu können.
3 Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umwelt (Stangl, 2021)
4 Ungewünschte Erinnerungen (Korritko, 2016, S. 29)
5 Vermeidungsverhalten (Korritko, 2016, S. 29)
6 Unter Selbstwirksamkeit (self-efficacy beliefs) versteht man in der Psychologie die Überzeugung eines Menschen, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können (Stangl, 2021)
7 In dieser Ausarbeitung wird aufgrund der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Ungeachtet dessen wird hervorheben, dass immer Männer und Frauen, Inter- und Trans*Personen gemeint sind sowie auch jene, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen oder können.
8 Auslöserreize (Rösch, 2013)
- Quote paper
- Kelly Bieck (Author), 2021, Traumatisierte Pflegekinder in Deutschland. Welche Unterstützung brauchen Pflegeeltern, damit die Pflegefamilie für traumatisierte Kinder zu einem sicheren Ort wird?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1161406
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