Im Jahre 1912 verfaßte der Theaterleiter Carl Hedinger eine Invektive gegen den damals noch jungen Film und bezeichnete ihn als „kulturellen Krebsschaden“.1 Achtzig Jahre später – andere Medien und andere Krankheiten drängten sich in der Zwischenzeit in den Vordergrund des öffentlichen Bewußtseins – macht Neil Postman gegen den Computer und dessen Auswirkungen Front: „Wir leiden unter einer Art von kulturellem Aids.“2 Demgegenüber sieht der Philosoph Istvan Bodnar durch die Neuerungen des Computers „eine Großkultur neuer Art“3 entstehen, und Walter Hasenclever reklamierte 1913 für den Film: „Von allen Kunstfertigkeiten unserer Zeit ist der Kintopp die stärkste“.4 Die Frage, wer von ihnen recht hat und ob man für oder gegen die neuen Medien sein soll, wird in vorliegender Arbeit nicht beantwortet werden. Gleichwohl steht diese Frage meistenteils im Zentrum der folgenden Untersuchung, denn es ist gerade ihre Unbeantwortbarkeit, die den Reiz ausmacht, sie einer eingehenden Analyse zu unterziehen. Solange Medien neu sind, löst die Frage, ob sie denn gut oder von Übel seien, ein beträchtliches Redebedürfnis aus. Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie besteht in der eigentümlichen Sorte Text, in der sich dieses Redebedürfnis niederschlägt und die in Zeiten einer „Medienrevolution“ enorme Blüten treibt: Texte, die mit zumeist unverhältnismäßig anmutender Leidenschaft auftreten und sich mit jenem Aplomb anheischig machen, „das Wesen“ eines neuen Mediums zu bestimmen und es zu bewerten, der gleichermaßen ins Euphorische wie ins Hysterische umschlagen kann. Es werden also keine einzelnen Medien untersucht oder worin ihr Beitrag zu einer „Medienrevolution“ besteht, sondern die Art und Weise wie über neue Medien gesprochen und geschrieben wird. Aufgrund ihrer ähnlichen Formen konstituiert die Rede über verschiedene neue Medien einen eigenen und bislang noch nicht systematisch erschlossenen Objektbereich.5 Die gegenwärtig sich vollziehende „digitale Revolution“ hat historische Vorläufer. Nicht erst die „digitale Revolution“ stellt sich in die Tradition der Erfindung des Buchdrucks, auch für den Film wurde damals reklamiert, daß es sich um die größte Neuerung seit Gutenberg handele. Die „Buchdruckrevolution“ ihrerseits gab vor, Schrift und Sprache neu zu erfinden, „Medienrevolutionen“, auf die sich wiederum auch Film und Computer beziehen. Mediengeschichte scheint die Geschichte von „Medienrevolutionen“ zu sein.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Von der „Kinopest“ zur „siebten Kunst“. Die Kontroverse um den frühen Film
2.1. Zwischen Faszination und moralischer Entrüstung: Die Kinoreformbewegung
2.1.1. Phasen und Entwicklung der Kinoreformbewegung
2.1.2. Positionen und Fraktionen
2.1.3. Gesellschaftliche, politische und ideologische Implikationen
2.1.4. Integrationsund Desintegrationsstrategien
2.2. Zwischen wohlwollender Süffisanz und ästhetischer Entrüstung: Die Auseinandersetzung der Literaten mit dem Film in der Kino-Debatte
2.2.1. Die Krise des Wortes
2.2.2. Der Kino-Theater-Streit
2.2.3. Das Kino-Buch
2.2.4. Ausgrenzung und Assimilation
2.3. Das Schmuddelkind in den Tempeln der Kunst: Frühe Filmtheorien
2.3.1. Ästhetische Nobilitierung des Films: Kunstgriffe
2.3.2. Das Ende der Aura – Rückwirkungen des Films auf den Gesamtcharakter der Kunst
3. Unterwegs nach Digitalien. Die Kontroverse um digitale Medien
3.1. „Cyberdemokratie“. Die politischen Chancen und Gefahren digitaler Medien als Gegenstand des aktuellen Mediendiskurses
3.1.1. Das Internet provoziert, den Status quo der politischen Kultur zu bilanzieren
3.1.2. Zur politischen Theorie des Internetdiskurses
3.1.3. Das Internet als Medium des „herrschaftsfreien Diskurses“
3.1.4. Die Genese des Begriffs politischer Öffentlichkeit bei Habermas
3.1.5. Das Internet ermöglicht der „kritischen Medientheorie“ ein Comeback
3.2. „Computerisierung“ und „Digitalisierung“ und der Strukturwandel von Raum und Zeit
3.2.1. Mimesis und Simulation: Großklaus’ Modell der Geschichte von Medien und Wahrnehmungswandel
3.3. Die Neuordnung von Wissensproduktion und Wissensverfügung durch den Computer als Gegenstand des Diskurses
3.3.1. Externalisierungen von Gedächtnis und Gehirn. Die Bezugnahme auf die „Medienrevolutionen“ Mündlichkeit/Schriftlichkeit und Buchdruck
3.3.2. Memex und Xanadu. Der Wunschtraum von der universalen Bibliothek
3.3.3. Externalisierung, Vernetzung, Vollständigkeit. In der „digitalen Revolution“ bekommt Wissen eine neue Qualität
3.3.4. Ein neues Denken!? Die Debatte um „Künstliche Intelligenz“ verlagert ihren Schauplatz
4. Homologe Strukturen der „Medienrevolutionen“
4.1. Das Polarisierungspotential eines neuen Mediums
4.2. Epochenschwellenbewußtsein
4.3. „Wirklichkeitsverluste“ und technische Tore
4.4. „Anwendungsunbestimmtheit“ und „Universalcharakter“
5. Exkurs: Die Magie des Digitalen
6. Schluß
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Jahre 1912 verfaßte der Theaterleiter Carl Hedinger eine Invektive gegen den damals noch jungen Film und bezeichnete ihn als „kulturellen Krebsschaden“.1 Achtzig Jahre später – andere Medien und andere Krankheiten drängten sich in der Zwischenzeit in den Vordergrund des öffentlichen Bewußtseins – macht Neil Postman gegen den Computer und dessen Auswirkungen Front: „Wir leiden unter einer Art von kulturellem Aids.“2 Demgegenüber sieht der Philosoph Istvan Bodnar durch die Neuerungen des Computers „eine Großkultur neuer Art“3 entstehen, und Walter Hasenclever reklamierte 1913 für den Film: „Von allen Kunstfertigkeiten unserer Zeit ist der Kintopp die stärkste“.4 Die Frage, wer von ihnen recht hat und ob man für oder gegen die neuen Medien sein soll, wird in vorliegender Arbeit nicht beantwortet werden. Gleichwohl steht diese Frage meistenteils im Zentrum der folgenden Untersuchung, denn es ist gerade ihre Unbeantwortbarkeit, die den Reiz ausmacht, sie einer eingehenden Analyse zu unterziehen.
Solange Medien neu sind, löst die Frage, ob sie denn gut oder von Übel seien, ein beträchtliches Redebedürfnis aus. Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie besteht in der eigentümlichen Sorte Text, in der sich dieses Redebedürfnis niederschlägt und die in Zeiten einer „Medienrevolution“ enorme Blüten treibt: Texte, die mit zumeist unverhältnismäßig anmutender Leidenschaft auftreten und sich mit jenem Aplomb anheischig machen, „das Wesen“ eines neuen Mediums zu bestimmen und es zu bewerten, der gleichermaßen ins Euphorische wie ins Hysterische umschlagen kann. Es werden also keine einzelnen Medien untersucht oder worin ihr Beitrag zu einer „Medienrevolution“ besteht, sondern die Art und Weise wie über neue Medien gesprochen und geschrieben wird. Aufgrund ihrer ähnlichen Formen konstituiert die Rede über verschiedene neue Medien einen eigenen und bislang noch nicht systematisch erschlossenen Objektbereich.5
Die gegenwärtig sich vollziehende „digitale Revolution“ hat historische Vorläufer. Nicht erst die „digitale Revolution“ stellt sich in die Tradition der Erfindung des Buchdrucks, auch für den Film wurde damals reklamiert, daß es sich um die größte Neuerung seit Gutenberg handele. Die „Buchdruckrevolution“ ihrerseits gab vor, Schrift und Sprache neu zu erfinden, „Medienrevolutionen“, auf die sich wiederum auch Film und Computer beziehen. Mediengeschichte scheint die Geschichte von „Medienrevolutionen“ zu sein.
Das Auftauchen historisch als „neu“ zu bezeichnender Medien hat immer wieder zu kulturellen und gesellschaftlichen Kontroversen geführt, in denen die „Revolution“ verhandelt wurde, die das neue Medium ausgelöst habe, an deren Ende jedoch noch immer eine Integration von neuem Medium und vormaligem Mediengefüge stand. In der Form der Gegensätzlichkeit der jeweiligen Standortbestimmungen des neuen Mediums und der jeweils daran geknüpften Erwartung weiterer Konsequenzen weisen diese Kontroversen nun derart bestechende Parallelen auf, daß sich die Vermutung, sie gehorchten einem hintergründigen Regelwerk, geradezu aufdrängt. Die hier vorgestellten Überlegungen gehen deshalb davon aus, daß es zwischen diesen Gesichtspunkten – der Polarität der Kontroversen, der Wiederkehr besonderer Topoi und diskursiver Muster sowie der gesellschaftlichen Integration eines neuen Mediums – einen funktionalen Zusammenhang gibt. Diese Funktionslogik gilt es im folgenden aufzudecken und sichtbar zu machen.
Dafür werden zwei öffentliche Debatten um die Etablierung neuer Medien aus zwei unterschiedlichen historischen Kontexten exemplarisch rekonstruiert und einander gegenübergestellt, erstens die Kontroverse um den frühen Film als neues Medium zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Kap. 2) und zweitens die gegenwärtige Kontroverse um Computermedien und „Multimedia“ (worunter – bei aller Unterschiedlichkeit – Computer, Internet, CD-Rom, Virtual Reality usw. und ihre Vernetzung zusammengefaßt werden) auf ihrem Weg zu einem neuen Massenmedium, möglicherweise zum neuen gesellschaftlichen Leitmedium (Kap. 3). Anschließend werden sie einem Strukturvergleich unterzogen (Kap. 4).
Bei der Rekonstruktion dieser beiden Mediendiskurse mögen zunächst ihre Unterschiede ins Auge fallen. Denn die Kontroverse um das neue Medium Film kann seit der Durchsetzung des Tonfilms, spätestens jedoch seit sich in den fünfziger Jahren eine eigene Filmgeschichtsschreibung etablierte, getrost als beigelegt betrachtet werden, wohingegen die Kontroverse um den Computer als das Medium des kommenden Jahrhunderts noch in vollem Gange ist. Gleichwohl lassen sich schon jetzt auch für die Computerkontroverse Diskursstrategien aufzeigen, die auf eine Funktionslogik der „digitalen Revolution“ schließen lassen. Die Rekonstruktion der beiden Mediendiskurse orientiert sich daran, sie in ihren jeweiligen Eigentümlichkeiten zu zeigen, schließlich sind sie in sehr unterschiedliche historische Kontexte eingebettet. Entsprechend unterschiedlich sind die inhaltlichen Schwerpunkte der Debatten. Im Zentrum der Filmkontroverse stand damals die Frage nach dem Kunstwert des Films beziehungsweise die Konkurrenzsituation, die zwischen dem Film auf der einen und den tradierten Medien des bürgerlichen Kunstverständnisses, Theater und Literatur, auf der anderen Seite entstand. In ungleich stärkerem Maße als heute, barg damals die Frage nach dem Kunstwert des neuen Mediums gesellschaftliche Sprengkraft. Die Rekonstruktion des Filmdiskurses in Kapitel 2 trägt dem Rechnung, indem die drei Teilkapitel unterschiedliche Dimensionen eines überwiegend ästhetisch argumentierenden Gesellschaftsdiskurses ausloten. Demgegenüber ist für die in Kapitel 3 nachgezeichnete Medienkontroverse die Frage nach dem Kunstwert des Computers von allenfalls nachgeordneter Relevanz. Im Vordergrund stehen hier indes die Frage nach den politischen Chancen und Gefahren der jetzt neuen, „digitalen“ Medien, die der Diskurs unter dem Schlagwort „Cyberdemokratie“ verhandelt oder die Möglichkeit, daß mit ihnen das bisherige Wissenschaftssystem aus den Angeln gehoben werden könnte.
Die unterschiedliche inhaltliche Ausrichtung der Kontroversen gibt die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der zu Teilkapiteln organisierten Diskursebenen vor. Die jeweils drei Unterkapitel von Kapitel 2 und 3 sind daher nicht auf eine etwaige spiegelbildliche Entsprechung angelegt, wenngleich die Art der Präsentation des Materials der beiden „Medienrevolutionen“ darauf zielt, bei ihrem Vergleich homologe Strukturen zeigen zu können. Bei der exemplarischen Rekonstruktion der beiden Mediendebatten kann es jedoch weder darum gehen, sie vorschnell auf explizite Parallelen auf ihren semantischen Oberflächen hin zu durchforsten, noch kann es dabei um ihre maßstabsgetreue Nachbildung gehen, die etwa Kriterien empirischer Repräsentativität Genüge leisten würde. Das heißt, die Rekonstruktion der Mediendebatten bleibt notwendig selektiv. Beispielsweise können unmöglich alle in den Diskursen vorgetragenen Argumentationen nachgezeichnet werden und es mögen sich Ungleichgewichte einstellen, was ihre jeweilige quantitative Berücksichtigung betrifft. Hauptsächlich geht es statt dessen darum, den in den Diskursen wirksamen Funktionsmechanismen nachzuspüren und sie in ihrer jeweiligen Eigengesetzlichkeit exemplarisch kenntlich zu machen. So werden auch Strukturen der Diskurse sichtbar, die über ihre jeweils unmittelbar historischen und medientechnischen Bedingtheiten hinausweisen. Im Gegensatz zu den Unterschieden bei den inhaltlichen Brennpunkten der beiden Diskurse kommen dann eher überhistorische formale und strukturelle Kennzeichen der beiden „Medienrevolutionen“ in den Blick, die den Vergleich dieser beiden Inaugurationsdiskurse ermöglichen, obwohl sie ihrer historischen Verankerung und ihrem vordergründigen Gegenstand nach – einerseits Film, andererseits digitale Medien – unterschiedlicher kaum sein könnten.
Dabei erfordert selbstredend die diskursanalytische Anlage der Untersuchung, daß sich ihr Autor einer Bewertung des präsentierten Materials enthält, zumal es sich bei dem Material seinerseits bereits um jeweiliges Meinen und Dafürhalten handelt. So hehr dieser Anspruch, so schwer, ihm gänzlich gerecht zu werden. Daher sind bei abschließender Durchsicht des Textes nicht sämtliche zwischenzeiligen Autorinterventionen getilgt worden.
Ein expliziter Vergleich der beiden „Medienrevolutionen“ und der Nachweis homologer Strukturen wird in Kapitel 4 erbracht, in dem vier Vergleichskategorien vorgestellt und einem Test ihrer Applizierbarkeit unterzogen werden. Das „Polarisierungspotential eines neuen Mediums“ (Kap. 4.1) bezeichnet das Diskursphänomen, daß prinzipiell jede positive Bewertung eines Aspekts einer medialen Neuerung die Negativbewertung desselben Aspekts hervorbringt und umgekehrt. Der Vergleich der beiden „Medienrevolutionen“ in dieser Hinsicht zeigt, daß diese Bipolarisierung nicht etwa zur Erstarrung der Kontroversen führt, sondern – im Gegenteil – gerade den Quell ihrer Dynamik darstellt. Die weitgehende Entsprechung von Standortbestimmungen eines neuen Mediums, bei lediglich unterschiedlich wertendem Vorzeichen, zeigt darüber hinaus, daß es ein gesellschaftlicher Wertekanon ist, der in „Medienrevolutionen“ zur Debatte steht, während das Medium selbst mehr und mehr in den Hintergrund tritt. Der Begriff des „Epochenschwellenbewußtseins“ (Kap. 4.2) – geschichtstheoretisch eine contradictio in adjecto – ist geeignet, die für die untersuchten Kontroversen charakteristische Revolutionsrhetorik zu fassen, die eine neue Medientechnik kurzerhand zum neuen Gravitationszentrum der Weltgeschichte erklärt. Die Rede vom „Wirklichkeitsverlust“ (Kap. 4.3), den ein neues Medium herbeiführe, ist einer der prominentesten Topoi der Diskurse. Wiewohl inhaltlich bestimmt – es geht darin um die jeweils problematisch werdende Unterscheidbarkeit von Schein und Wesen – läßt er sich aufgrund seiner nachgerade identischen Wiederholung einem Vergleich als Form zuführen. Und insofern der Diskurstopos „Wirklichkeitsverluste“ die Frage nach der authentischen Erfahrbarkeit von Wirklichkeit auf den Plan ruft, zielt er, jenseits aller Diskurse, auf die für die Medienwissenschaft gleichermaßen grundlegende wie einstweilen ungelöste begriffliche Bestimmung des eigentlich Medialen. Daher werden in diesem Teilkapitel, wenngleich natürlich auch sie unzulänglich bleiben müssen, Vorschläge gemacht, wie man Medien als „technische Tore“ begreifen könnte. Die Erörterung der Kategorie „Anwendungsunbestimmtheit und Universalcharakter“ (Kap. 4.4) schließt den Vergleich der beiden Mediendiskurse ab.
Wie schon bei der Kategorie „Wirklichkeitsverluste“, jedoch anders als bei den beiden ersten Kategorien, handelt es sich bei diesen beiden Bezeichnungen um Diskurstopoi. Sie sind insofern spiegelbildlich aufeinander bezogen, als die noch fehlende
„ökologische Nische“ des neuen Mediums dazu führt, daß ihm zugetraut wird, schlechthin alles mit ihm bewerkstelligen zu können. Zwischen diesen Diskurspolen scheint jede Anwendungsmöglichkeit gleich wahrscheinlich – und sei sie noch so utopisch. Damit wird ein weiteres Charakteristikum der Mediendiskurse offensichtlich: sie fungieren als Projektionsflächen für gesellschaftliche Wunschund Horrorvorstellungen und können als solche gelesen werden.
Dieser letztgenannte Punkt, daß die Mediendiskurse auch „gelesen“ werden können, daß man sie ihrerseits also als eine Art Medium begreifen kann, wird in einem sich anschließenden Exkurs (Kap. 5) aufgegriffen, was jedoch auch einen Perspektivenwechsel mit sich bringt. Die wesentlichen Bestandteile vorliegender Studie sind die Aufbereitung und die konzise, bisweilen auch „suggestive“ Präsentation immerhin recht umfangreichen Diskursmaterials sowie die daraus entwickelten Vergleichskategorien. Die dabei entfaltete These, daß die Mediendiskurse eine starke Eigendynamik jenseits ihres vordergründigen Gegenstandes entwickeln, wird in diesem Exkurs einer Nagelprobe unterzogen. Während in den Hauptkapiteln weder Filme noch Computer untersucht werden – sie tauchen lediglich im Spiegel ihrer diskursiven Vereinnahmung auf – wird hier am Beispiel des Computers gezeigt, wie wenig das von ihm vorgeblich etablierte „Prinzip Digitalität“ an den Tatsächlichkeiten der Computertechnologie gewonnen ist, wie sehr demgegenüber jedoch sich der Diskurs um die „Digitalisierung der Welt“ als Projektionsschirm für mythische und kosmogonische Motive eignet.
Die These, die die gesamte Untersuchung leitet, besagt, daß es einen starken Wirkungszusammenhang zwischen Konjunkturen eingangs genannter Textsorte und den sogenannten Medienrevolutionen gibt. Das klingt zunächst wenig spektakulär. Wenn sich jedoch zeigen läßt, daß Texte dieser Gattung einerseits ihren Boom einer je historisch und technisch sehr unterschiedlichen Medienkonstellation verdanken, andererseits nicht nur bis in den Wortlaut hineinreichende Homologien aufweisen, sondern auch weitreichende funktionale Entsprechungen, dann drängt sich ein spezifischer Verdacht auf: Die technischen und andere gemeinhin als „genuin“ eingestuften Eigenschaften der historisch jeweils als „neu“ zu bezeichnenden Medien, von denen die sogenannten Medienrevolutionen ihren Ausgang zu nehmen scheinen, sind offensichtlich zu unterschiedlich, als daß mit ihnen die Strukturähnlichkeit von Medienetablierungsdiskursen erklärt werden könnte. Das „Revolutionäre“ neuer Medien scheint sich mithin nicht einzig aus einer technischen Innovation ableiten zu lassen. Vielmehr werden die Revolutions diskurse um Film und Computer ihrerseits zur treibenden Kraft der „Medienrevolutionen“, ja treten sogar mehr und mehr an deren Stelle. Als das, was die Revolution ausmacht, die ein neues Medium auslöst, erscheint dann, der Tendenz nach, jene Ansammlung aufeinander bezogener „Redereflexe“, die hier untersucht und erstmalig in eine vergleichende Systematik gebracht wird. Als Rede reflexe lassen sich die einzelnen Beiträge der Mediendiskurse insofern begreifen, als beide Bedeutungsdimensionenen des „Reflexes“ in ihnen zum Tragen kommen: sie sind sowohl Widerschein, in welchem das je neue Medium Gestalt annimmt, als auch weitgehend unwillkürliche Reaktionen auf einen Stimulus. Die Medien selbst sind den „Medienrevolutionen“ kaum mehr als ein Assoziationsangebot.
2. Von der „Kinopest“ zur „siebten Kunst“. Die Kontroverse um den frühen Film
Die Geschichte des Films beginnt für die meisten Filmhistoriker im Jahre 18956 oder bei seinen verschiedenen Vorläufern, seien es die optischen Bewegungsstudien von Marey und Muybridge oder die psychophysischen Versuchsreihen von Ernst Mach und anderen.7 Weniger an der technischen Geburtsstunde des Films orientiert, formierten sich in den letzten Jahren auch filmhistorische Ansätze, die die Entstehung des Films und seine Etablierung zum Massenmedium in einer sozialund wirtschaftsgeschichtlichen Perspektive in den Grundzügen des 19. Jahrhunderts fundieren.8 In der im folgenden vorgestellten Perspektive beginnt demgegenüber der Film erst um 1910 herum, interessant zu werden, denn erst um diese Zeit dringt der Film als gesellschaftsrelevantes neues Medium ins öffentliche Bewußtsein und stiftet Verwirrung. Die Zeitgenossenschaft scheint einhellig die Nachhaltigkeit der Veränderung zu konzedieren, die das öffentliche Auftauchen des Films bewirke, die Versuche, ihre Qualität zu bestimmen, zeigen hingegen zwischen einer Verunglimpfung des Films als „Kinoseuche“9 und seiner Glorifizierung als „die siebente Kunst“10 höchst aufschlußreiche Divergenzen.
2.1. Zwischen Faszination und moralischer Entrüstung: Die Kinoreformbewegung
Seit seiner ersten öffentlichen Präsentation 1895 führt das Kino zunächst etwa 10 bis 15 Jahre lang ein Schattendasein als Jahrmarktsattraktion und vagabundierendes Varieté-Amusement. Erst gegen Mitte des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts beginnt das Kino seßhaft zu werden. Es etablieren sich zunächst vor allem in Berlin, bald jedoch auch in allen anderen größeren Städten Deutschlands, ortsansässige Kinotheaterbetriebe. Die Filme werden länger, das Filmprogramm insgesamt vielfältiger und kurzlebiger, denn durch die Ortsansässigkeit des Kinos bleibt das Publikum zu großen Teilen das gleiche und verlangt nach mehr Abwechslung. Die Filmwirtschaft floriert und die Nachfrage nach neuen Filmen scheint unerschöpflich zu sein. Allein schon durch seine quantitative Verbreitung – seit 1910 etwa kann man vom Kino als einem Massenmedium sprechen11 – entwickelt sich das Kino zum gesellschaftlich relevanten Faktor. Seine zunehmende Präsenz im öffentlichen Leben und seine Beliebtheit als beinahe tägliches Freizeitvergnügen – zunächst vorwiegend des Proletariats, zunehmend aber auch des Handwerkerund gehobenen Mittelstands12 – lassen es unübersehbar werden und fordern zu dezidierter Stellungnahme heraus, denn insbesondere die beliebtesten Kinodarbietungen, die, die beim breiten Publikum den größ- ten Zuspruch finden, sind nicht mit der herrschenden Vorstellung von Kultur und kultivierter Freizeitgestaltung in Einklang zu bringen. Allerdings geht von der Anschaulichkeit und der Eindrücklichkeit der Bewegtbildprojektion eine Anziehungskraft aus, der sich selbst die schärfsten Gegner der Massenvergnügung Kino kaum entziehen können. Die Reaktion des wilhelminischen Bildungsbürgertums auf Filme, die beginnen, ein Massenpublikum in die Kinos zu locken, ist daher zweischneidig. Große Teile sehen in ihnen die ins Bild gesetzte Fortsetzung der Trivialliteratur, andere wiederum sehen im Film grundsätzlich ein vorzügliches Mittel der Aufmerksamkeitssteuerung und ein pädagogisches Instrument, kritisieren jedoch den Gebrauch, der von ihm gemacht wird. Der Film, wie er als Massenmedium in Erscheinung tritt, gilt jedenfalls als reformbedürftig, weshalb sich in den Jahren 1907 bis 1909 eine Bewegung zu formieren beginnt, die sich auch damals schon „Kinoreform“ nennt. Die Bestrebungen der Kinoreformer im Kampf gegen die „kulturwidrigen und gefährlichen“13 Filme wird begleitet von beständigen Versuchen, diese Bestrebungen zu institutionalisieren und dadurch sowohl dem Kampf gegen „Schmutz und Schund in Wort und Bild“ zu größerer Durchsetzungskraft zu verhelfen, als auch den Film als Mittel zur Aufklärung und Erziehung des Volkes zu veredeln.
Die folgende Rekonstruktion der Kinoreformbewegung orientiert sich zunächst an einer Chronologie ihrer Institutionalisierung in Form von Tagungen, unterschiedlichen publizistischen Organen und insbesondere die Gründung einer Vielzahl von Interessensverbänden. Die Geschichte des sehr wechselhaften Erfolgs der Kinoreformbewegung wird dann in Zusammenhang mit dem Niedergang der wilhelminischen Ära gebracht und den sich daraus ergebenden wechselnden Allianzen zwischen Kinoreformbewegung einerseits, dem erstarkendem Nationalismus und einem Selbstverständigungsbedürfnis des wilhelminischen Bildungsbürgertums andererseits.
2.1.1. Phasen und Entwicklung der Kinoreformbewegung
Der Name „Kinoreformbewegung“ suggeriert, daß sich damit eine programmatische Idee benennen ließe. Diese Einheitlichkeit ist jedoch in kaum einer Phase der Kinoreformbewegung gegeben. Die Vielschichtigkeit des neuen Phänomens Film spiegelt sich in den divergierenden Interessen unterschiedlicher Protagonisten der Kinoreformbewegung wider. Vielfach fällt zunächst deren markige Rhetorik ins Auge, die das Kino in Bausch und Bogen verurteilt. Reformer Gaupp zufolge „bedeutet das Kinematographentheater eine ernste Gefahr für Sittlichkeit und Geschmack“.14 Dem zweiten Blick jedoch erschließt sich, daß die reformerischen Beurteilungen des Films viel ausgewogener ausfallen. Mit der vordergründigen lautstarken Verfemung des Kinos kontrastiert eine grundlegende Wertschätzung des neuen Mediums. „Man denkt dabei in der Regel an die Nutzbarmachung des Kinematographen für wissenschaftliche und für Unterrichtszwecke.“15 Die „wahre Aufgabe“ des Kinos sei, so Roland, „ein Mittel der Aufklärung zu sein“.16
Die Frage nach dem Beginn der Kinoreformbewegung ist zugleich auch die Frage nach ihrer Rekonstruierbarkeit aus heutiger Sicht. In den Anfangsjahren der Kinoreformbewegung dürften Vorträge auf Tagungen das hauptsächliche Forum gewesen sein, doch sind diese nur überliefert, soweit sie abgedruckt und veröffentlicht oder in anderen Schriften erwähnt werden. Proportional zu der explosionsartigen Entwicklung des Kinos17 entsteht neben Artikeln in Fachzeitschriften eine beträchtliche Anzahl kinoreformerischer Monographien. Ackerknecht gibt mit 170 Titeln einen wahrscheinlich noch nicht vollständigen Überblick.18 Ein weiteres Forum der Kinoreformbewegung ist die Arbeit in politischen Gremien und in Staatsämtern. Aufgrund der politischen Nähe vieler Kinoreformer zu nationalkonservativen Kreisen, bekleiden sie mitunter einflußreiche Ämter, wie beispielsweise der Berliner Zensor Karl Brunner.
Je nachdem, wie man diese unterschiedlichen Foren der Kinoreformbewegung gewichtet, lassen sich auch unterschiedliche Zeitpunkte als Beginn der Kinoreformbewegung festlegen. Die Publikation, auf die sich in den Folgejahren die meisten der Kinoreformer beziehen und die den ersten größeren Überblick über die verschiedenen Anliegen der Kinoreform gibt, ist Walter Conradts „Kirche und Kinematograph“ von 1910. Bereits 1907 allerdings gründet der Schulrektor Hermann Lemke die „Kinematographische Reformvereinigung“, was beispielsweise Loiperdinger19 und Schorr20 zum Anlaß nehmen, den Beginn der Kinoreformbewegung zu bestimmen.
Die ersten Jahre sind von Einzelinitiativen geprägt, zumeist in Form ambitionierter Vorträge zu verschiedenen Anlässen, wie beispielsweise Tagungen zu „Volksbildungsfragen der Gegenwart“21 vermehrt aber auch auf medizinischen Kongressen.22 Aus heutiger Perspektive ist die Kinoreformbewegung jedoch vorwiegend ein in Fachzeitschriften geführter Streit um den ethischen und erzieherischen Wert des Kinos. Ebenfalls 1907 wird die Zeitschrift „Der Kinematograph“ ins Leben gerufen. Sie ist zunächst nur eine, wenige Seiten umfassende, Beilage der Zeitschrift „Der Artist“ (neben dem „Komet“ das führende Fachblatt des Schaustellergewerbes). Innerhalb weniger Ausgaben nimmt ihr Umfang jedoch so sehr zu, daß zugunsten des „Kinematograph“ das Erscheinen der Zeitschrift „Der Artist“ gänzlich eingestellt wird,23 ein Indiz zum einen für die gesellschaftliche Herkunft des Kinound Filmwesens, zum anderen für die raumgreifende Entwicklung dieses neuen Mediums, das in der Lage zu sein scheint, ganze Bereiche der damaligen Kultur in den Hintergrund treten zu lassen.
Zunächst sind es ausschließlich Berichte zu technischen Fragen des Films und seiner Projektionsmöglichkeiten, sowie die Anzeigen von Filmunternehmen, die die Zeitschrift prägen. Ab 1909 entwickelt sich „Der Kinematograph“ jedoch zunehmend zum zentralen Forum der Kinoreformbewegung. Zwar gehört die Chefredaktion nicht zu ihren Vertretern, allerdings sieht sie im Engagement der Kinoreformer eine Chance, dem Film und der Filmindustrie aus ihrem Schattendasein herauszuhelfen. Sowie sich jedoch die Bestrebungen der Kinoreformer immer ausdrücklicher gegen die Filmwirtschaft wenden, sieht sich die Leitung des „Kinematographen“ einem redaktionellen Entscheidungsdruck ausgesetzt und 1912 kommt es zum offiziellen Bruch zwischen dem „Kinematographen“ und den Kinoreformern.24 Das rasche Expandieren des Filmwesens erforderte es, Differenzierungen Rechnung zu tragen, die vorher so nicht in Erscheinung getreten waren. Diente vordem jedes Engagement zur Hebung des Ansehens des Films einer „gemeinsamen Sache“, so läßt die sprunghafte Entwicklung des Kinos seit etwa 1910 immer öfter Situationen entstehen, in denen man sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden hatte. Die Dynamik der Filmkontroverse besteht in der Kumulation von Situationen, in denen Partei ergriffen werden muß.
Im gleichen Jahr, in dem es zum Bruch zwischen Kinoreform und ihrem vormaligen
„Organ25 kommt, wird in Mönchengladbach aus einer katholischen Bildungsinitiative heraus die Zeitschrift „Bild und Film“ gegründet, die in den folgenden Jahren das organisatorische Zentrum der Kinoreformbewegung darstellt. Hier veröffentlichen die meisten der in Erscheinung tretenden Kinoreformer.
Die Kinoreformbewegung gründet sich vorwiegend auf die Eigeninitiative einiger ihrer herausragenden Vertreter. In der Hoffnung, damit eine größere Öffentlichkeit herstellen zu können, gründet fast jeder ihrer Exponenten im Laufe der Entwicklung der Kinoreformbewegung eine eigene Gesellschaft. Das führt jedoch dazu, daß bis in die Jahre des ersten Weltkriegs hinein die Bewegung aufgrund ihrer reichsweiten Zersplitterung nur wenige Erfolge verbuchen kann. Mehr noch als die späteren Jahre, sind die Anfänge der Kinoreformbewegung durch eine fehlende übergreifende und die Interessen vereinende Organisation gekennzeichnet. Bereits ein Jahr nach ihrer Gründung wird die „Kinematographische Reformvereinigung“ zwar der „Gesellschaft zur Verbreitung von Volksbildung“ angegliedert, die vertritt jedoch neben ihren besonderen Interessen am Film auch die anderen „verschiedenen Gebiete (...), die all das Große, Schöne und Gute, das in Buch, Bild und Kunstwerk verschlossen ist, in Millionen Köpfen und Herzen zum Leben erwecken.“26 Immerhin vermag das Aufkommen längerer Spielfilme ab 1912 die kinoreformerische Aufmerksamkeit auf ein neues Genre zu konzentrieren. Die sogenannten Kinodramen bündeln nicht nur divergierende Interessen innerhalb der Kinoreformbewegung, sondern sorgen auch für eine Allianz mit Theaterbesitzern, die im Auftauchen speziell des „Kinodramas“ eine unmittelbare Konkurrenz entstehen sehen und sie für die rückläufigen Besucherzahlen in den Theatern verantwortlich machen. Erstmalig finden Kongresse und Publikationen der Kinoreformer ein reichsweites Echo.
Da jedoch die reformerischen Vorhaben auf eine Umstrukturierung großer Teile der Filmwirtschaft aus sind, bleiben ihre Forderungen weitgehend erfolglos. Erst die Weltkriegsjahre bewirken hier eine Trendwende. Im Anschluß an eine Tagung in der Stettiner „Urania“ im April 191727 wird der „Deutsche Ausschuß für Lichtspielreform“ gegründet, in welchem erstmalig die unterschiedlichen Interessen auf einen Nenner gebracht werden können. Staatliche Propaganda durch das Bildund Filmamt (Bufa), politische Einflußnahme durch die Schwerindustrie (auf der Tagung vertreten durch Hugenbergs „Deutsche Lichtbild-Gesellschaft“), finanzielle Interessen der Filmwirtschaft und die Bildungsinteressen der Kinoreformer lassen sich erstmals auf eine Formel bringen, die plötzlich ein gemeinsames Zentrum der divergenten Interessen hervortreten läßt: Die Indienstnahme des Films als Instrument zur Erziehung des Volkes zu Staatsbürgern mit deutschnationalem Bewußtsein.28 Der Krieg, zumal in einer bereits Aussichtslosigkeit andeutenden Phase, läßt innere Differenzen vordergründig verschwinden und erzwingt den Schulterschluß im Dienste der Stärkung des Nationalbewußtseins. „Selbstverständlich ist, daß nun die Öffentlichkeit, d.h. der Staat, der deutschen Filmindustrie zu diesem Zwecke eine Art ‘wirtschaftliches Rückgrat’ gibt. Der Staat muß an die Stelle der skrupellos geschäftlichen Betriebsorganisation der Filminteressenten eine Anstalt setzen, die sowohl Filmherstellung regelmäßig leitet und veranlaßt, als auch vermittelt und vertreibt und vor allem die Kinematographie endlich ihrem Hauptzwecke zuführt, Wirklichkeitsaufnahmen von Wert, unabhängig von Ort und Zeit aufzubewahren und wiederzugeben. (...) Schleunige Tat ist nötig. Schaffung einer Reichskino-Anstalt mit anzugliederndem Filmarchive, dazu ist dieser Krieg die ungeheuerste weltgeschichtliche Veranlassung.“29 Schon während der Stettiner Tagung laufen die Vorarbeiten zur Gründung einer solchen „Reichskino-Anstalt“, die für Stein den „Gipfel aller Kinoreformbestrebungen“30 darstellen würde. Am 18. Dezember 1917 wird die Ufa gegründet. Von Erfolg waren die Bemühungen der Kinoreformer am ehesten dann gekrönt, wenn ihnen zwischenzeitlich der Schulterschluß mit anderen mächtigen Interessen gelang, wie beispielsweise der Beförderung des deutschnationalen Bewußtseins während des Krieges.31
Mit dem „Deutschen Ausschuß für Lichtspielreform“ konnten die Kinoreformer ihren Forderungen Nachdruck verleihen, haben sie doch durch die formale Rückendeckung seitens des Bufas staatlichen Beistand bekommen. Infolge der Stettiner Tagung wird die Konzessionspflicht für Kinotheaterbetreiber, eine schon lange erhobene Forderung der Kinoreformer, umgehend verabschiedet.32 Auch wird die zähe Gesetzesmaschinerie für eine reichsweite Zensur wieder angekurbelt. Diese fiel bislang in den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen kommunalen Polizeibehörde,33 was dazu führte, daß Filme mitunter in jeder Stadt erneut verboten oder genehmigt werden mußten.
Allerdings steht die Gründung der Ufa weniger im Zeichen, den Film „seiner eigentlichen Kinoaufgabe, der Herstellung und Vervollkommnung von Wirklichkeitsurkunden“34 zuzuführen, vielmehr geht es darum, im Film eine „wirkungsvolle Kriegswaffe“ zu sehen, denn „für einen glücklichen Abschluß des Krieges ist es unbedingt erforderlich, daß der Film überall da, wo die deutsche Einwirkung noch möglich ist, mit dem höchsten Nachdruck wirkt.“35 Dennoch bedeutet die Gründung der Ufa eine Stärkung ihres Bewußtsein, einem gesellschaftlichen Auftrag nachzukommen.36
Die Abschaffung jeglicher Zensur mit Ende des Kaiserreiches, 1918, und vor allem das daraufhin zur Blüte gelangende Genre „Aufklärungsfilm“ verschaffen der Kinoreformbewegung großen Zulauf. Erneut im Aufwind gelingt es den Kinoreformern, entscheidenden Einfluß auf die Verabschiedung des Reichslichtspielgesetzes von 1920 zu nehmen, die den Höhepunkt der Kinoreformbewegung darstellt.
In den 20er Jahren der Weimarer Republik engt sich das Betätigungsfeld der Kinoreformer auf jenen Bereich ein, in welchem sie bereits von Beginn an am ehesten Erfolge verbuchen konnten: Die Schulfilmbewegung. Verdienst der Kinoreformer ist, daß sich die grundsätzliche Einsicht in die Tauglichkeit des Films als didaktisches Mittel bei der Lehrerschaft durchsetzt.37 In den 20er Jahren ist die einzige Phase der Kinoreformbewegung anzusiedeln, in welcher von einer Konsolidierung gesprochen werden kann. Eine beständige Abnehmerschaft von Unterrichtsfilmen ermöglicht die Bildung einer „Lehrund Kulturfilmabteilung“ der Ufa.38 Ein „Bestellabkommen“ zwischen dem „Bund Deutscher Lehrund Kulturfilmhersteller“ und dem „Bildspielbund“, dem Interessenverband der Lehrerschaft, ermöglicht denn auch ein einvernehmliches Zusammenspiel von bis dahin divergierenden Interessen: Der „Bildspielbund“ kann nun konkrete Filmbestellungen vornehmen und der Herstellerverband seinerseits hat Abnehmer unter Umgehung des Verleihbetriebes.39 Die einzige Phase der Kinoreformbewegung, die stabile Organisationsstrukturen ausprägte, ebnet schließlich den Weg zu deren Aneignung und Indienststellung durch die Nationalsozialisten.
2.1.2. Positionen und Fraktionen
Die Kinoreformbewegung ist eine Bewegung des Bildungsbürgertums. Ihre Vertreter sind Professoren, Lehrer, Schulrektoren, Ärzte, Juristen, Publizisten, kurz: die gebildeten Stände.40
Während der wilhelminischen Ära „bezeichnet der Terminus ‘Bildungsbürgertum’ eine bestimmte Gesellschaftsschicht in Deutschland, mit einer ihr eigentümlichen Geschichte, spezifischen geistigen und sozialen Merkmalen und einer – zumindest während der Blütezeit dieser Schicht – relativ einheitlichen Mentalität“41 Die Herausbildung des gesellschaftlichen und politischen Stellenwertes des Bildungsbürgertums, hauptsächlich im Verlauf des 19. Jahrhunderts, steht im Zusammenhang mit den Bestrebungen, das humanistische Bildungsideal Wilhelm von Humboldts zu formalisieren42 und mit der Herausbildung des „Prinzips der Publizität“43. Habermas’ Darstellung des Prinzips der Publizität als Organisationsprinzip des bürgerlichen Verfassungsstaats bindet die bildungsbürgerliche, literarische Öffentlichkeit in einen Legitimationszusammenhang ein. Einer Öffentlichkeit, welche sich als gleichzeitig vermittelnde und die Trennung aufrecht erhaltende Sphäre zwischen Staat und Gesellschaft schiebt, wächst so die Aufgabe zu, politische Herrschaft zu rationalisieren und dadurch zu legitimieren.44 Aus diesem Bewußtsein, in quasi politische, jedenfalls staatskonstituierende Verantwortung genommen zu sein, erwächst das spezifische Selbstverständnis des Bildungsbürgertums des 19. Jahrhunderts. Und insofern sich die Vertreter der Kinoreformbewegung allesamt dem Bildungsbürgertum zurechnen lassen, ist in der Kinoreformbewegung auch eine Lobby zur Verteidigung eines tradierten Selbstverständnisses der gebildeten Stände zu sehen. Zu dessen Genese im 18. Jahrhundert schreibt Habermas: „Literarisch bleibt diese Öffentlichkeit auch, als sie politische Funktionen übernimmt; Bildung ist das eine Zulassungskriterium, der Besitz das andere. (...) Die gebildeten Stände sind auch die besitzenden. (...) Öffentlichkeit ist dann garantiert, wenn die ökonomischen und sozialen Bedingungen jedermann gleiche Chancen einräumen, die Zulassungskriterien zu erfüllen: eben die Qualifikationen der Privatautonomie, die den gebildeten und besitzenden Mann ausmachen.“45 Aus Gründen der Erhaltung eines gesellschaftlichen Stellenwertes, der aus dieser symbiotischen Vereinigung von Bildung und Besitz erwächst und das Bildungsbürgertum zum Garanten des auf Öffentlichkeit basierenden Rechtsstaates macht, sieht sich das Bildungsbürgertum angesichts der gesellschaftspolitischen Umbrüche Anfang des 20. Jahrhunderts geradezu gezwungen, sowohl beim „Einräumen gleicher Chancen“ als auch bei der Bestimmung der „Zulassungskriterien“ mitzudiskutieren. Denn in sein Ressort fällt sowohl, zu bestimmen, was unter Bildung zu verstehen sei – die Kinoreformer verstehen darunter in erster Linie akademische Bildung – als auch, jenen Volksbildungsauftrag wahrzunehmen, der zwar „jedermann gleiche Chancen einräumen“, das Privileg, politische Öffentlichkeit zu konstituieren, jedoch nicht bedrohen soll. „Wenn jedermann, wie es scheinen mochte, die Möglichkeit hatte, [qua Bildung, T.W.] ein Bürger zu werden, dann sollten zur politisch fungierenden Öffentlichkeit eben nur Bürger Zutritt haben, ohne daß diese ihr Prinzip dadurch eingebüßt hätte.“46 Damit wird die Bildung öffentlicher Meinung als „die einzig legitime Quelle dieser [auf Ratio gegründeten] Gesetze“47 und die Volksbildung zu einem spezifischen Anliegen des Bildungsbürgertums.48
Die Publizität, die das Kino innerhalb weniger Jahre erlangt, formiert eine Öffentlichkeit ganz eigener Art. Der exklusive Stellenwert, der der politisch fungierenden Öffentlichkeit zukam und für den das Bildungsbürgertum einstand, wird durch das Kino unterlaufen. Weder die quantitative Exklusivität, die das Bildungsbürgertum mit einer „Aura persönlich repräsentierter Autorität“49 versah, noch die qualitative Exklusivität des einzig möglichen Zugangs zu Öffentlichkeit mittels Bildung, erscheinen angesichts des Kinos als Faktor einer grundlegend anderen Art von Öffentlichkeit noch als glaubwürdig. „Hier erobert sich eine neue Form von Publizität ihr Terrain.“50
Vor dem oben entfalteten Hintergrund wird die Kinoreformbewegung zur Schwadron des Bildungsbürgertums, ein neues Terrain zu domestizieren. Nicht von ungefähr bekleiden ihre Vertreter allesamt öffentlichkeitswirksame Positionen mit meinungsbildender oder erzieherischer Funktion. „Geistige Führerschaft über das Volk“51 ist es sogar, wozu sich der Lehrer Hermann Lemke, Begründer der „Kinematographischen Reformvereinigung“, berufen fühlt.
Gemeinsam ist den Kinoreformern die Einschätzung, vom neuen Medium Film gehe eine Bedrohung aus, die Handlungsbedarf erzeugt hat. Einzelne Positionen und Fraktionen lassen sich danach unterscheiden, wo die notwendige Veränderung anzusetzen hätte. Hauptsächlicher Gegenstand kinoreformerischer Kritik sind die Filminhalte, der Filmkonsum, die Umstände seiner Rezeption und vor allem die angenommenen schädlichen Wirkungen bestimmter Filme.
Die Kampfbegriffe „Schmutz“ und „Schund“, mit welchen gegen die zunehmende Trivialliteratur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts agiert wurde, werden von den Kinoreformern übernommen. Die „Erkenntnisse“ über die schädlichen Auswirkungen der Schundliteratur werden auf den Film bruchlos übertragen, der die Auswirkungen nunmehr potenziere.52 Wurden Kolportageund Hintertreppenromane hauptsächlich in privater Abgeschiedenheit gelesen und ihre „schädlichen Wirkungen“ dadurch immerhin abgemildert, so stellt für die Kinoreformer der Umstand der kollektiven Rezeption solcher Werke ein zusätzliches Gefahrenmoment dar, die schon von der Schundliteratur befürchteten Auswirkungen würden im Kino noch verstärkt. Diese Auswirkungen finden ihren Niederschlag in einer von den Kinoreformern konstatierten Verrohung der Gesellschaft. Die zunehmende Kriminalisierung und Sexualisierung der Gesellschaft, die sie feststellen, sei auf den Einfluß des Films zurückzuführen. Sie machen das häufige Ansehen brutaler, gewalttätiger, erotisch aufreizender usw. Filmszenen dafür verantwortlich, daß Normen sittlichen Verhaltens an Geltung einbüßen.53 Nicht nur, daß die Empfindungsfähigkeit der Zuschauer abstumpfe und damit das Einfühlungsvermögen in das Leid anderer verloren ginge. Der Vorwurf zielt vor allem darauf ab, daß der Film die Hemmschwelle zu kriminellem und promiskuitivem Verhalten herabsetze. Neben diesem Sittenverfall sehen die Kinoreformer im Film auch die Gefahr einer Destabilisierung der Gesellschaft. Dieser Vorwurf findet seine wohl markanteste Prägung in Langes Formulierung, der Film betreibe eine „ Verhetzung der Stände gegeneinander “54 und bezieht sich vor allem auf die sogenannten „Sozialdramen“, Filme, die gesellschaftliches Machtgefälle oder gar dessen Umkehrung zum Thema haben.
Kein Vertreter der Kinoreform lehnt den Film als Ganzes rigoros ab. Die meisten von ihnen unterscheiden sehr wohl zwischen verschiedenen Erscheinungsformen des Films und legen Wert darauf, zu betonen, daß es auf den Umgang mit dem Film und den Gebrauch, der von ihm gemacht wird, ankommt. Bereits Conradt analysiert den Kinospielplan im Hinblick auf unterschiedliche Filmgenres und beurteilt sie nach ihrem pädagogischen Wert. Er stellt fest, daß Naturund Stadtbildaufnahmen, Filme aus Industrie und Forschung sowie Aufnahmen von Militärparaden unbedenklich und sogar empfehlenswert seien und warnt im Gegensatz dazu vor komischen Szenen, Tanzund Ballettfilmen oder sogar biblischen Filmen, die er für ausgesprochen bedenklich hält. „Diese Vielseitigkeit des Kinematographenprogramms bedeutet Anziehungskraft und Fluch zugleich.“55
Unterschiede – und hier lassen sich gegenüber oben dargestellten Gemeinsamkeiten grundsätzlich zwei Fraktionen innerhalb der Kinoreformbewegung voneinander unterscheiden – gibt es in der Frage nach den Mitteln und deren Wirksamkeit zur Veredelung des Films und seiner Umwandlung in ein Instrument der Volksbildung.
Die eine Fraktion, die für einen eher liberalen Flügel der Kinoreformbewegung steht, versucht über eine Einflußnahme auf die Filmwirtschaft deren Rahmenbedingungen zu verändern. Sie setzt auf die Signalwirkung und den appellierenden Charakter, die von einer moralischen Verfemung der „Schundfilme“ ausgehe. Durch die Etablierung von Musterkinos solle der Geschmack des Kinomassenpublikums veredelt und somit die Nachfrage nach minderwertigen Filmen eingedämmt werden. Vertreter dieser Fraktion setzen auch Vertrauen in eigene filmische Initiativen, die über die Organisation von Reformkinos und eigener Verleihsysteme hinausgehen. Häfker beispielsweise schreibt auch an eigenen Filmdrehbüchern, welche jedoch nicht realisiert werden. Die andere Fraktion steht für den sehr viel konservativeren Flügel der Kinoreformbewegung. Mit ihren Forderungen nach dirigistischen Maßnahmen wollen die Vertreter dieser Fraktion den negativen Einfluß des Films präventiv beschneiden. Dazu gehört die nicht nur auf Inhalte, sondern auch auf die formale Gestaltung bezogene Forderung einer durchgreifenden Zensur (hierfür tritt vor allem Lange ein),56 die Forderung einer strengen Konzessionspflicht für Kinobesitzer, deren Spielpläne strenge Unbedenklichkeitsprüfungen zu bestehen hätten und die Forderung eines Kinderund Jugendverbotes. Dieser Flügel der Kinoreformbewegung fordert die Ausübung einer Kontrolle über die gesamte Filmbranche. Die Filmindustrie, das wirft ihr dieser Teil der Bewegung vor, sei von reiner Erwerbssucht geleitet und habe den Film und sein pädagogisch wertvolles Potential zur reinen Sensationsmache verkommen lassen.
Im Gegensatz zu dieser rigiden Antihaltung gegenüber der Filmwirtschaft und ihrer globalen Aburteilung, setzt sich bei der etwas gemäßigteren Fraktion die Einsicht durch, daß eine Reform des Films nicht gegen oder unter Ausschluß filmwirtschaftlicher Interessen durchzusetzen sei. In diesem unterschiedlichen Verhältnis zur Filmwirtschaft – Ablehnung und Kontrollanspruch auf der einen Seite, zaghafte Kooperationsbereitschaft auf der anderen Seite – spiegelt sich auch die unterschiedliche Einschätzung des kulturellen Stellenwertes des Films durch die beiden Fraktionen. Sehen die einen lediglich die Verhöhnung jeglicher kulturellen Werte durch den Film, so sehen die anderen in ihm die Möglichkeit, die Massen überhaupt erst einmal an kulturelle Werte heranzuführen, wenngleich in dem Bewußtsein, daß beispielsweise die Verfilmung kanonisierter literarischer Werke immer mit der Verkürzung ihres Kunstwertes einhergehe und der kulturelle Wert folglich rudimentär bleiben müsse.57 Schorr verweist auf eine Erhebung zum Verhältnis von Literatur und Kino, die der „Kinematograph“ 1914 durchführte.58 Sie liefert Daten über den Zusammenhang von Literaturverfilmungen und dem Bedürfnis, daraufhin die entsprechenden literarischen Vorlagen zu lesen. So führt beispielsweise der große Erfolg von „Quo vadis?“ im Kino auch zu einem sprunghaften Anstieg der Ausleihquoten des Romans in Bibliotheken.
Bereits 1907, im Rahmen der Gründung der „Kinematographischen Reformvereinigung“, formuliert Lemke Ziele der Reformierung des Kinos, die prinzipiell für die folgenden zwanzig Jahre die gleichen bleiben.59 Das zentrale Vorhaben besteht darin, Einfluß auf alle Schritte der Filmproduktion, -distribution und -rezeption zu nehmen. In der Frühzeit des Films waren diese Schritte zumeist in Personalunion miteinander verwoben. Beispielsweise zog Oskar Messter mit einem von ihm gebauten Projektionsapparat, auf dem er von ihm gedrehte Filme vorführte, von Stadt zu Stadt. Auch hier bedeutet das Seßhaftwerden des Kinos einen Einschnitt in die Organisation des Filmwesens und den Beginn einer zunehmenden funktionalen Ausdifferenzierung der einzelnen Bereiche.
Die Forderungen der Kinoreformer im Bereich der Filmrezeption beziehen sich vor allem auf unzulängliche Umstände der Filmvorführungen. „Der Kino der kleinen Stadt ist noch manchmal ein dumpfes, schlecht ventiliertes Lokal mit stickiger Luft, ein muffiger, manchmal feuergefährlicher Raum, dessen Dunkel nur in den Pausen durch ein spärliches Licht manchmal erhellt wird. (...) Das Flimmern und Wackeln der Bilder blendet und schädigt die Augen ganz zweifellos und es ist mir von verschiedenen Besuchern des Kinos über schmerzhafte Empfindungen in den Augen und im Kopfe geklagt worden.“60 Die Dunkelheit der Kinovorführräume scheint dabei die Phantasien der Kinobesucher und der Kinoreformer gleichermaßen zu enthemmen. „Die Sitzplätze sind so knapp bemessen, daß zwischen den Körpern der Nachbarn kein Luftspielraum bleibt; wodurch – zudem es während der Vorführungen stockdunkel zwischen den Bänken ist, die aus der Tageschronik bekannten Sexualattentate auf Kinder und Frauen geradezu verführerisch bequem gemacht sind. (...) Die kinematographische Darstellung kitzlicher Ehebruchsetc. -Geschichten erregt die sensiblen Sexualnerven der frühreifen Kinder, und die Enge der Sitzplätze im Schutze der Dunkelheit ergibt dann ‘erotische Situationen’, denen die erschütterte sittliche Energie des Kindes nicht gewachsen ist.“61
Andere Forderungen beziehen sich auf feuerpolizeiliche Bestimmungen wie Anzahl der Sitzplätze, Befestigung der Sitzbankreihen, Fluchtwege usw. Nehmen sich die Kinoreformer jedoch Forderungen dieser Art an, so handelt es sich meistens um eine Art Ventilfunktion. Erfolglosigkeit und Ohnmachtsgefühle angesichts der grassierenden „Kulturseuche“62 werden mit dem lautstarken Einfordern strikter baupolizeilicher Vorschriften kompensiert.
Den größten Erfolg für die kinoreformerische Sache scheint der Bereich der Distribution zu versprechen. Erst im Zusammenhang mit der sprunghaften Expansion der Filmwirtschaft schiebt sich der Bereich Filmverleih und -vertrieb als eigenständiger Wirtschaftszweig zwischen Produktion und Rezeption. Die Kinoreformer erkennen schnell seine zentrale Bedeutung und seine Machtstellung.63 Hier liegt folglich auch das Haupttätigkeitsfeld der Kinoreformer. Bereits 1907 hatte Lemke „erkannt, was der Kinematographie fehlt, eine vermittelnde Stelle, die zwischen Volk, Lehrerschaft und Industrie das Bindeglied herstellt (...) um die Interessenten der Kinematographie nach allen Richtungen hin zu fördern.“64 In verschiedenen Versionen wiederkehrend, begleitet die Forderung nach einem reichsweiten, zentral organisierten und nichtkommerziellen Filmverleihsystem die Kinoreformbewegung der folgenden Jahre. Ein Kanon von Filmen, denen sich Unbedenklichkeit in jeder Beziehung bescheinigen läßt, solle unter Kontrolle der Gemeinde verliehen oder überhaupt nur in Gemeindekinos vorgeführt werden.65 Da sich dieses Vorhaben recht schnell als aussichtslos erweist, werden die Forderungen vor allem von Vertretern des gemäßigteren Flügels umformuliert. Über die Einrichtung von Musterkinos soll nun moralischer Druck auf kommerzielle Kinotheaterbetriebe ausgeübt werden. „Diese Geschäftsleute sind zu klug, als daß sie sich das Mißfallen angesehener Bürger zuziehen, sobald sie sehen, daß es diesen mit ihrer Haltung ganz ernst ist.“66 Von der katholischen Kirche initiiert, etabliert sich in Mönchengladbach die „Lichtbilderei“, ein Lehrfilmverleihinstitut, das auch kurzzeitig ein Wanderkino unterhält und Vorträge in Verbindung mit Filmvorführungen hält. Sie ist auch Herausgeberin der Schriftenreihe „Lichtbühnen- Bibliothek“, die es zwar auf kaum zehn Titel bringt, welche aber zum schriftlichen Basiskanon der Reformbewegung wird und auf welche in den folgenden Jahren in Vorträgen und anderen kinoreformerischen Schriften häufig rekurriert wird.
Von Erfolg gekrönt sind die kinoreformerischen Unternehmungen am ehesten dort, wo sie die Notwendigkeit staatlicher Intervention aufzeigen können. Das erschwert freilich die Einflußnahme im Bereich der Filmproduktion. Zu mächtig ist hier das staatliche Interesse an einer Erstarkung der Filmwirtschaft, da die deutsche Filmwirtschaft seit Anbeginn Schwierigkeiten hatte, sich gegen die internationale Konkurrenz, hauptsächlich aus Frankreich und den Vereinigten Staaten, zu behaupten. So zeugt es denn auch von taktischem Gespür, auf die französische Herkunft unsittlicher und die englische Herkunft gewalttätiger Filme hinzuweisen,67 eine Zuschreibung, die sich in den folgenden Kriegsjahren aufs Fruchtbarste mit einer zunehmend nationalbewuß- ten Ausrichtung der Kinoreformbewegung verbinden läßt.
2.1.3. Gesellschaftliche, politische und ideologische Implikationen
Der Film, wie er als junges Massenmedium in Erscheinung tritt, ist in den Augen der Kinoreformer geeignet, einen grassierenden Kulturverfall voranzutreiben, wiewohl es gerade Aufgabe des Films sein könnte, diesen aufzuhalten. Was droht, ist einerseits der Verfall der Sitten, andererseits die Gefahr einer Destabilisierung des gesellschaftlichen Gefüges. „Statt Sittlichkeit finden wir Sinnlichkeit“68, faßt Pastor Conradt die eine Seite zusammen. Für die andere Seite illustriert Lange die Problematik: „Arm und reich, Vorderhaus und Hinterhaus, Schloß und Hütte, so könnte man diesen Gegensatz mit zwei Schlagworten kennzeichnen. (...) Auf diesem zweifachen Hintergrunde beginnt nun ein Spiel und Gegenspiel, bei dem sich die Stände, die materiell betrachtet die Höhen und Tiefen der Menschheit repräsentieren, feindlich gegenüberstehen und (...) der Erfolg ist eben der, daß die Gegensätze verschärft werden.“69 Interessanterweise hebt Lange hier besonders auf die materielle Betrachtung der Gegensätzlichkeit ab, die in „einer großen Zahl von Filmen sexuellen, kriminellen und sensationellen (...) Inhalts“70 zu einer besonderen Feindschaft führen müßten, denn eine Feindschaft zwischen den Höhen und Tiefen auf geistiger Ebene müßte sich gegen seinen eigenen Stand wenden. Zwar ziehen die Kinoreformer meistens eben diesen Gegensatz geistiger Niveaus für ihre Argumentation heran, jedoch ausschließlich, um ihre Bildungshoheit über die „nichtgebildeten Massen“ zu begründen und, um – aus ihrer Perspektive – diesen Gegensatz gerade nicht zu einem feindschaftlichen werden zu lassen.
Die kinoreformerische Argumentation basiert auf einem spezifischen Wirkungskonzept des Films, welches die Kinoreformer bei ihren Vorwürfen gegen den Film stillschweigend zur Voraussetzung machen. Sie unterstellen dabei dem Film eine mehr oder weniger direkte Wirkung als Handlungsanleitung und verstehen die im Film gezeigte Handlung als Einladung zur Nachahmung. Entsprechend dem Grad der Unmittelbarkeit des Einflusses, den der Film ausübt, lassen sich drei Stufen dieses Wirkungskonzeptes voneinander unterscheiden: die Verursacherthese, die Kooperationsthese und die Nutzerthese.71
Die Verursacherthese geht davon aus, daß ein unbescholtenes Publikum durch die Suggestivkraft des Films, die er aufgrund seines Abbildrealismus habe, zur Nachahmung der gezeigten Handlungen verführt werde. „Durch den oft wiederholten Anblick von Roheiten und Verbrechen, wenn sie noch dazu als etwas ganz Alltägliches erscheinen, müssen bei der Lebendigkeit der kinematographischen Vorführung und bei der Stärke des Nachahmungstriebes viele Jugendliche auf den Weg des Verderbens und Verbrechens geführt werden.“72
Bei der Kooperationsthese kommt es zu einer wechselseitigen Ergänzung (unterstellter) negativer natürlicher Anlagen des Menschen und den Darbietungen in der Filmhandlung. „Die tendenziösen Schattenrisse aus dem modernen Leben werden den bösen Instinkten des Publikums angepaßt und verrohen auch die besseren Elemente zusehends. Die Effekte werden von Jahr zu Jahr raffinierter ausgeklügelt und stacheln immer mehr das Tier im Menschen auf.“73 „Es kommt nun darauf an, wozu einer prädisponiert ist. Gut veranlagte Kinder wird das von Edelmut, von Güte und Selbstverleugnung triefende Bild zu Nachahmung anfeuern, das Bestialische wird sie abschrecken. Anders Veranlagte wird die Gemeinheit, die Verschlagenheit, das tollkühn Böse und Wilde, das Verwegene mit prickelndem Verlangen erfüllen und böse Hänge herauslocken.“74
Die Nutzerthese hingegen spricht den Film an sich frei von der Schuld einer Wirkung und unterstellt dem Publikum ein vorsätzliches Nutzungsinteresse beim Kinobesuch, um darin „einen glänzenden Unterrichtslehrgang für Anfänger wie Fortgeschrittene im Verbrechen“75 zu sehen. Diese These hat vor allem im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen den Kriminalfilm als „Verbrecherschule“76 Konjunktur und hat als Gegenmodell zu behaviouristischen Ansätzen als „Uses and Gratifications Research“ auch heute noch in der Medienwirkungsforschung Aktualität.77
„Ich habe mich selbst darauf geprüft“, so erläutert der Arzt Robert Gaupp eine weitere spezifische Wirkungsweise des Films: „Landschaftsbilder, die manchmal recht schön sind, vermochten mich doch nur dann tiefer zu interessieren, wenn ich in ihnen Bekanntes wiedersah, d.h. also, wenn ich aus eigenem Wissen und eigener innerer Anschauung, das ergänzen konnte, was ich im Kino dargestellt erhielt. Dem Kinde und dem Ungebildeten ist aber in der Regel noch alles fremd und so wird nicht viel davon bei ihnen tiefer haften können.“78 Hiermit wird eine weitere Voraussetzung gemacht, nämlich, daß ein Vorwissen vorhanden sein muß, um einen Film überhaupt verstehen zu können. Aus der Grundannahme, der Film bewirke beim Publikum die Imitation der gezeigten Handlungen und sei überhaupt nur mit einem gewissen Maß an Bildung verständlich, gewinnen die Kinoreformer die Legitimation ihrer Vorwürfe und Forderungen und können darüber hinaus die Notwendigkeit ihres spezifischen Bildungsund Erziehungsauftrag rechtfertigen.79
Das präsupponierte Wirkungskonzept ermöglicht es, das Kinopublikum für schutzund bildungsbedürftig zu erklären. Am ehesten läßt sich dies bei Kindern und Jugendlichen überzeugend argumentieren, daher fordern Kinoreformer eine Einschränkung des elterlichen Erziehungsrechtes.80 „ Die Notwendigkeit des Schutzes vor demUnverstand der eigenen Eltern ergibt sich für jeden, der die (...) Unsitte kennt, daß Kinder zu allen möglichen Veranstaltungen von den Erwachsenen mitgeschleppt werden, die sich zumeist nur von ihrer eigenen Vergnügungssucht leiten lassen, ohne nach der schädlichen Wirkung für die Kleinen zu fragen.“81 Conradt reklamiert für die Kirche unverhohlen „ein größeres Recht auf die Kinderseelen“, welches ihr „durch jene Vorführungen nicht bloß verkümmert, sondern tatsächlich entrissen wird.“82 Indirekt wird damit freilich auch den Eltern das Urteilsvermögen bezüglich schädlicher Auswirkungen des Films abgesprochen. So wird durch die sukzessive Umwandlung eines Bildungsauftrages in einen Erziehungsauftrag die Erfolglosigkeit der Kinoreformbewegung kompensiert.
Mit dem Aufkommen längerer Spielfilme entwickelt sich auch das sogenannte „Sozialdrama“, eine Kinoversion des bürgerlichen Trauerspiels von ehedem. Speziell dieses Genre einigt erneut die unterschiedlichen Fraktionen der Reformbewegung und verhilft ihr zu seltener Einmütigkeit. In der rigorosen Ablehnung der Thematisierung gesellschaftlicher und speziell schichtenspezifischer Unterschiede im Film zeigt sich die Weigerung der Kinoreformer, sich mit der Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen auseinanderzusetzen.83 Diese Weigerung gibt Aufschluß über das Gesellschaftsbild der Kinoreformer. Es sieht vor, daß trotz allem „Pathos der Allgemeinheit“84, worin Peter Bürger ein Charakteristikum des Bürgertums des 19. Jahrhunderts sieht, die Trennung zwischen der Masse und dem „Stand der Gebildeten“ aufrechterhalten wird. „Es gibt keinen Durchschnittsgeschmack, sondern nur einen guten oder einen schlechten Geschmack. Den guten haben immer nur wenige. Nur er hat für unsere Kultur einen wirklichen Wert.“85 Das Aufkommen des Films als populäres und gesellschaftlich weitverbreitetes Medium stellt aus der Sicht der Kinoreformer eine Bedrohung dieser gesellschaftlichen Struktur dar. Die Filmwirtschaft, selbst darum bemüht, das Ansehen des Films über eine allmähliche Qualitätsverbesserung zu heben, macht Anstalten, in die Domäne einer gesellschaftlichen Schicht einzubrechen, die bis dahin das Monopol beansprucht hatte, zu definieren, was Kultur sei und was nicht.
Kultur hat für die Kinoreformer eine gesellschaftsstabilisierende Funktion. Hausmanninger führt diese Funktion auf ein bestimmtes Menschenbild der Kinoreformer zurück. Er umreißt es mit dem Begriff der „negativen Anthropologie“,86 der vor allem das Ausgeliefertsein des Menschen an seine affektiven, libidinösen und zerstörerischen Triebe bezeichnet. Der negativen, triebhaften Natur des Menschen stellen die Kinoreformer die Kultur gegenüber und weisen dieser eine eindeutige Aufgabe zu: Der tierischen Natur des Menschen müssen Schranken gesetzt werden, damit er ü- berhaupt erst zum Menschen werde. In dieser Natur-Kultur-Dichotomie kommt der Kultur die Funktion des Disziplinators, des Erziehers zu. Sie hat dafür zu sorgen, daß die negativen Grundveranlagungen des Menschen nicht ausbrechen. Der Film, so die Kinoreformer, affiziert diese atavistischen, niederen Instinkte im Menschen. Auf diese Weise wird eine Schutzbedürftigkeit des Kinopublikums vor sich selbst postuliert, welche um so gewichtiger ins Feld geführt wird, als ihre Proklamation geeignet erscheint, von der intendierten Zementierung bestehender Machtverhältnisse abzulenken.
2.1.4. Integrationsund Desintegrationsstrategien
„Freimachung der Kinematographie für ihre Wesensund Kulturzwecke.“87 In dieser Allgemeinheit würde wohl jeder einzelne Kinoreformer seine Aufgabe wiederfinden. Die treibende Kraft der im vorausgehenden beschriebenen kinoreformerischen Bemühungen ist das Anliegen, ein spezifisches Bildungsund Kulturideal in dem neu aufkommenden Medium Film zu verankern. Als Vertreter des Bildungsbürgertums sehen die Kinoreformer in der Verbreitung des Humboldtschen Bildungsideals ihren gesellschaftlichen Auftrag. Ihr höherer Bildungsstand verleiht ihnen das Mandat der Volksbildung und -erziehung und gleichermaßen das Recht und die Pflicht, sich ihres daraus erwachsenen gesellschaftlichen Stellenwertes zu versichern.88
[...]
1 Hedinger 1912, S. 11
2 Postman 1992, S. 62
3 Bodnar 1991, S. 85
4 Hasenclever 1913, S. 220
5 Um beständig vor Augen zu führen, daß nicht die je neuen Medien selbst den Objektbereich vorliegender Untersuchung bilden, sondern die Art und Weise, wie über sie gesprochen wird, wird die Bezeichnung „Medienrevolution“ während des gesamten folgenden Textes konsequent in Anführungszeichen gesetzt (oder gleichbedeutend mit dem Präfix „sogenannt“ versehen). Folgende zwei Ebenen gilt es daher stets auseinanderzuhalten: die Ebene der Medien selbst und mit deren Auftauchen in Zusammenhang stehende Phänomene sozialer, wirtschaftlicher, politischer, gesellschaftlicher, ästhetischer oder ethischer Art und die Ebene der Rede über die Medien und deren Epiphänomene.
6 So etwa bei Toeplitz 1956, Sadoul 1957, Gregor/Patalas 1973 und neuerdings wieder Jacobsen/Kaes/Prinzler 1993
7 So etwa Zielinski 1989, grundlegend auch für Kittler, beispielsweise: „Ohne die experimentelle Psychologie der Helmholtz und Wundt kein Edison und keine Lumières, ohne die physiologischen Messungen von Netzhaut und Sehnervensystem kein Kinopublikum.“ (Kittler 1993, S. 102)
8 Engell 1992
9 Roland 1912, S. 130
10 Feyerabend 1914
11 Detailliertes Zahlenmaterial zur Entwicklung in der Frühzeit des Kinos liefert beispielsweise Jason 1925. Es gibt unterschiedliche Ansätze, zu bestimmen, was ein Medium zum Massenmedium macht. Die ohnehin bestehende Unklarheit des Medienbegriffs wird durch das seinerseits nicht ganz klar definierbare Präfix „Masse“ beileibe nicht aufgehoben. Um Massenmedien von anderen Medien zu unterscheiden, wird zumeist der Begriff der Reichweite herangezogen, die wiederum in eine quantitative und eine qualitative unterschieden werden kann. Die quantitative Reichweite ergibt sich beispielsweise aus dem Grad der Abdeckung aller Haushalte mit Radiound Fernsehgeräten, aus der Einschaltquote oder aus der verkauften Auflage einer Zeitung, die qualitative Reichweite bemißt sich nach dem Grad der Präzision mit dem bestimmte Zielgruppen erreicht werden können. Auch das Maß, in dem ein Medium politisch-gesellschaftliche Funktionen wahrnimmt, „Information, Bildung und Unterhaltung“ verbreitet oder die Aufgabe übernimmt, die „öffentliche Meinung“ zu artikulieren, kann als Kriterium herangezogen werden. Desgleichen auch die Unterscheidung von Medien, die nur Einwegkommunikation ermöglichen und solchen, die über einen Rückkanal verfügen. Darüber hinaus konstitutiv für die Informationsrezeption über ein Massen medium ist, laut Merten, ein Wissen zweiter Ordnung: „Jeder der Rezipienten einer (massenmedialen) Aussage weiß (...), daß nicht nur er sondern auch andere diese Aussage rezipiert haben oder haben können, jeder weiß also was die anderen wissen oder sogar: daß sie wissen können, daß er weiß was sie wissen.“ (Merten 1977, S. 147.) Die meisten der genannten Aspekte finden Eingang in die Diskurse um Film und Computer auf ihrer jeweiligen Schwelle zum Massenmedium, wenngleich mit unterschiedlicher Gewichtung. So ist beispielsweise die mit dem Film erreichbare „Masse“ in sehr viel stärkerem Maße strittig gewesen als die über Computer vernetzte „Masse“. In der „digitalen Revolution“ tritt dagegen die politisch-gesellschaftliche Funktion, die das Internet wahrnehmen könnte in den Vordergrund des Disputs. (Siehe unten Kap. 3.1.)
12 Zur genaueren Analyse der Besucher des frühen Kinos und ihrer Schichtzugehörigkeit vgl. Altenloh 1914, besonders S. 58-94
13 Lange 1920, S. 51
14 Gaupp 1911, S. 69
15 Hellwig 1913, S. 98
16 Roland 1912, S. 130
17 Zwischen 1910 und 1913 verfünffacht sich die Zahl der ortsansässigen Kinos in Deutschland (vgl. Jason 1925, S. 22). „Nach Angaben von Fachleuten besuchen in Berlin gegen 90 000 Menschen täglich den Kientopp (...) und jeder veröffentlichte Film wird während seiner Lebensdauer von mindestens 3 1/2 Millionen Menschen gesehen.“ (Bab 1912, S. 312)
18 Ackerknecht 1918, S. 121-134
19 Loiperdinger 1993, S. 481
20 Schorr 1990, S. 60
21 Vgl. Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung 1913
22 Vgl. Gaupp 1912
23 Vgl. Schorr 1990, S. 26-30 und Diederichs 1985
24 Vgl. Schorr 1990, S. 79ff
25 „Der Kinematograph“ entfernte den Zusatz „Organ der Kinematographischen Reformvereinigung“ aus dem Zeitschriftenkopf.
26 J. Tews: Vorwort. In: Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung 1913
27 Thema der Tagung war, auf einen entsprechenden Vorschlag des preußischen Zentralinstituts für Erziehung und Wissenschaft hin, die Errichtung einer staatlichen Filmzentrale im Dienste der Volksund Schulbildung. Zwar spricht Schorr (1990, S. 153) bezeichnenderweise von einer „Stettiner Reformbewegung“, ein Indiz für die regionale Zersplitterung der Bewegung, die zu der inhaltlichen Interessendivergenz noch erschwerend hinzukam, gleichwohl ging von dieser Tagung, bedingt durch ihren quasi staatlichen Charakter, eine reichsweite Signalwirkung aus.
28 Vgl. Schorr 1990, S. 159
29 Stein 1915, S. 65 und 70. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß „Öffentlichkeit“ im Kriegszustand aus militärischen Gründen in ihrer politischen Funktion meistens beschnitten wird, ist hier die Formulierung „Öffentlichkeit, d. h. der Staat“ höchst aufschlußreich. Sie kann als Indiz dafür gewertet werden, daß das bildungsbürgerliche Selbstverständnis, Öffentlichkeit gerade in Gegensetzung zu staatlicher Herrschaft zu garantieren, längst einem umfassenden Auflösungsprozeß anheim fiel.
30 Stein 1915, S. 65
31 Vgl. für diese Engführung v.a. Lange 1918, S. 10ff, der die Kinoreform kurzerhand zur nationalen Sache erklärt: „Die nationale Reform unseres Lichtspielwesens, die wir erstreben, soll vor allem darin bestehen, daß wir in Zukunft die deutschen Bildstreifen in unseren Lichtspieltheatern bevorzugen.“
32 Vgl. Schorr 1990, S. 150
33 Vgl. Conradt 1910, S. 15ff
34 Stein 1915, S. 65
35 Erich Ludendorff in einem Brief an das Kriegsministerium, zitiert nach Kreimeier 1992, S. 34
36 Vgl. Lange 1920, S. 311ff
37 Vgl. Terveen 1959, S. 3-13
38 Als „Kulturfilme“ gelten der Reformbewegung Landschaftsund Naturaufnahmen, sowie ethnographische Filme.
39 Vgl. Schorr 1990, S. 198
40 Als die exponiertesten Vertreter treten in Erscheinung: Erwin Ackerknecht (Stettiner Stadtbibliothekar), Karl Brunner (Berliner Zensor), Hermann Häfker (Lehrer und Publizist aus Dresden), Albert Hellwig (Jurist), Konrad Lange (Tübinger Kunstwissenschaftler), Hermann Lemke (Schulrektor), Ernst Schultze (Philologe), Adolf Sellmann (Gymnasialprofessor in Hagen).
41 Vondung 1976, S. 24
42 Vgl. Vondung 1976, S. 25 und Bollenbeck 1994, S. 148
43 Habermas 1962, S. 121 und passim
44 Vgl. Habermas 1962, besonders S. 148-160
45 Habermas 1962, S. 157
46 Habermas 1962, S. 159
47 Habermas 1962, S. 119
48 Vgl. Vondung 1976, S. 26
49 Habermas 1962, S. 299
50 Hardekopf 1910, S. 159
51 Hermann Lemke, zitiert nach Schorr 1990, S. 59
52 Vgl. Hellwig 1911
53 Vgl. beispielsweise Spier 1912
54 Lange 1920, S. 46. (Hervorhebungen, sofern nicht explizit als [Hervorhebung T.W.] kenntlich gemacht, sind aus dem Original übernommen.)
55 Conradt 1910, S. 16, vgl. S. 9-16
56 Lange 1912/13, S. 137
57 Vgl. die Gegenüberstellung von Trivialisierung und Verallgemeinerung in Kap. 4.1., S. 204
58 Vgl. Schorr 1990, S. 133ff
59 Vgl. Lemke 1912
60 Gaupp 1912, S. 4f
61 Noack 1913, S. 3f. Vgl. auch Sohnrey 1912/13
62 Ackerknecht 1918, S. 12
63 Eine Einsicht, die beispielsweise in den 60er Jahren mit (Wieder-)Aufkommen des Autorenfilms gänzlich vernachlässigt wurde und erst neuerdings wieder in die Diskussion um eine Umstrukturierung der Filmförderung Eingang findet. Beispielsweise wurde erst 1990 die Förderinstitution „efdo“ (European Film Distribution Office, Hamburg) ins Leben gerufen.
64 Lemke 1912, S. 23
65 Vgl. Schulze 1977
66 Conradt 1910, S. 52
67 Vgl. beispielsweise Conradt, S. 16 und 65
68 Conradt 1910, S. 28
69 Lange 1920, S. 46 und 48
70 Lange 1920, S. 46
71 Vgl. Hausmanninger 1992, S. 119-142
72 Lange 1918, S. 82
73 Conradt 1910, S. 14
74 Noack 1913, S. 10
75 Lange 1920, S. 39
76 Vgl. Meier-Kern 1992
77 Vgl. beispielsweise Noelle-Neumann et al., S. 360-400
78 Gaupp 1912, S. 7
79 Vgl. Hausmanninger 1992, S. 164
80 Vgl. Schorr 1990, S. 97
81 Brunner 1913, S. 213
82 Conradt 1910, S. 48
83 Vgl. Hausmanninger 1992, S. 143ff
84 Bürger 1974, S. 59
85 Lange 1912/13, S. 137
86 Vgl. Hausmanninger 1992, S. 113ff
87 Stein 1915, S. 64
88 Siehe S. 18
- Arbeit zitieren
- Dr. Tilman Welther (Autor:in), 2000, Medienrevolutionen und Redereflexe - Die Etablierung neuer Medien im Spiegel ihrer Diskurse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116017
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