In der vorliegenden Arbeit soll herausgearbeitet werden, wo die Chancen und Schwierigkeiten von weiblichen High Functioning Autisten im Arbeitsumfeld der Kindertagesbetreuung liegen könnten.
Um die Begrifflichkeiten zu klären, wird zunächst auf den theoretischen Hintergrund des High Functioning Autismus eingegangen. High Functioning Autismus im Beruf wird im darauffolgenden Kapitel Thema sein. Anschließend wird der Entwicklungsstand der Kinder und die Anforderungen des Berufs an die pädagogische Fachkraft dargestellt.
Um die Erkenntnisse zusammenzuführen, wird schließlich ein Expertenfragebogen vorgestellt. Die Ergebnisse liefern hinreichend Auskunft zur Beantwortung der Forschungsfrage.
Die Relevanz des Themas findet sich darin begründet, dass weibliche High Functioning Autisten seltener diagnostiziert werden als männliche. Für ein Arbeitsfeld, das stark weiblich dominiert ist, könnte das bedeuten, dass einige nicht diagnostizierte High Functioning Autisten dort beschäftigt sind.
Inhalt
1 Einleitung
2. High Functioning Autismus
2.1 Symptomatik
2.1.1 Besondere Wahrnehmung
2.1.2 Fehlende exekutive Funktionen
2.1.3 Kommunikation
2.1.4 Repetitives Verhalten
2.1.5 Schwache zentrale Koharenz
2.1.6 Theory Of Mind
2.2 Die Besonderheiten weiblicher HFA
2.3 Diagnostik
2.3.1 Baron Cohen: AAA
2.3.1 Baron Cohen: AAA
2.3.1.1 AQ
2.3.1.2 EQ
2.3.2 Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom
2.3.4 Auswirkungen einer spaten Diagnose
2.3.5 Schwierigkeiten einer spaten Diagnose
2.3.6 Komorbiditaten und Differentialdiagnosen
3 High Functioning Autisten im Arbeitsumfeld
3.1 Standpunkte aus der Literatur
3.1.1 Starken von HFA im Beruf.
3.1.2 Schwierigkeiten von HFAim Beruf.
3.1.3 Unterstutzende Faktoren
3.1.4 Erfahrungsbericht einer autistischen Arztin
3.2 SAP Autism At Work
3.3 TEACCH
3.3.1 Strategien erarbeiten
3.3.2 Korpervokabeln
3.3.3 Social Stories
3.3.4 Zeitplane
4 Die Kindertagesstatte
4.1 Eine Ubersicht uber Entwicklung und Bedarf von drei- bis sechsjahrigen Kindern
4.1.1 Dreijahrige
4.1.2 Vierjahrige
4.1.3 Funfjahrige
4.1.4 Sechsjahrige
4.2 Das Berufbild der padagogischen Fachkraft
4.2.1 Ausbildung
4.2.2 Aufgaben
4.2.3 Personliche Eignung
5 Der Expertenfragebogen
5.1 Der Fragebogen
5.1.1 Allgemeine Fragen zu Ihren taglichen Arbeitsanforderungen (Frage 6 - 20)
5.1.2 Ihre Anforderungen an eine Kollegin (Frage 21 - 24)
5.1.3 Anforderungen der Kinder an eine Bezugsperson (Frage 25 - 27)
5.1.4 Anforderungen der Eltern an eine Erzieherin (Frage 28 - 30)
5.2 Kategorisierung der Fragen
5.2.1 Nach Kapiteln
5.2.2 Nach Themen
5.3 Die Auswertung
5.3.2 „Planbarkeit des Arbeitsalltags“ mit den Fragen 6, 7, 8, 9, 10, 11 und 27
5.3.3 „Soziale Anforderungen des Berufs“ mit den Fragen 13, 21, 22, 23, 25, 29 und 30
5.3.4 „Kollegiale Unterstutzung“ (hierzu zahlen die Hilfestellung genauso wie die RucksichtaufihreBedurfnisse) mitdenFragen 12, 15, 16, 17, 18, 19und 20
5.3.5 „Konkrete Alltagsaufgaben im Beruf des Erziehers“ mit den Fragen 14, 26 und 28.
5.3.6 Gemischte Fragen 8, 24 und 25
6 Diskussion
6.1 Forschungsergebnisse und Interpretation
6.2 Erganzung
6.3 Erwartungshaltung
6.4 Kritische Beurteilung der Methode und Beschrankung der Forschung
6.5 Gutekriterien
6.5.1 Objektivitat
6.5.2 Reliabilitat
6.5.3 Validitat
6.6 Unklarheiten aus der Literatur
6.7 Weitere Forschung
7 Fazit
Quellenverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Auswertung qualitativer Teil (eigene Darstellung)
Abbildung 2: Ergebnisse zu Frage 8 (eigene Darstellung)
Abbildung 3: Antworten zu Frage 25 (eigene Darstellung)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Antworten der Kategorie „Planbarkeit des Arbeitsalltags“ (eigene Darstellung)
Tabelle 2: „Soziale Anforderungen des Berufs“ (Eigene Darstellung)
Tabelle 3: „Kollegiale Unterstutzung“ (eigene Darstellung)
Tabelle 4: „Konkrete Alltagsaufgaben“ (eigene Darstellung)
1 Einleitung
In der vorliegenden Arbeit soil zunachst einmal untersucht werden, was High Functioning Autismus eigentlich bedeutet, und welche Relevanz er besonders fur betroffene Frauen hat. Da allgemein angenommen wird, dass Frauen den Beruf des Erziehers weitaus haufiger ergreifen als Manner, wurde er fur ein spannendes Forschungsfeld befunden. Anschlieteend auf den kindlichen Entwicklungsstand und das Berufsbild eingegangen. Am Ende soil eine Zusammenfuhrung der Themen eine Aussage daruber treffen, wo Chancen und Schwierigkeiten weiblicher High Functioning Autisten im Arbeitsumfeld der Kindertagesbetreuung liegen konnten.
Die Motivation zu diesem Thema entstand aus der Beschaftigung mit autistischen Kindern und der Frage, wie sie wohl ihr Leben als Erwachsene bestreiten wurden. Da bislang kein personlicher Kontakt zu weiblichen Autisten bestand, lag das Interesse zusatzlich auf der weiblichen Untergruppe. Um dann noch einen Bezug zur padagogischen Praxis herzustellen, wurde sich der Annahme und der personlichen Erfahrung bedient, dass das Arbeitsfeld der padagogischen Fachkrafte klar weiblich dominiert ist. Wenn es weibliche Autisten gibt, und uberwiegend weibliche Arbeitnehmer in der padagogischen Praxis tatig sind, konnten sich bei naherer Betrachtung Kombinationsmoglichkeiten ergeben.
Die Arbeit lasst bewusst das Leidensbild der Betroffenen aus. Es geht in den betreffenden Kapiteln nicht darum, wie gut oder schlecht eine Autistin selbst mit ihrer Diagnose zurechtkommt, sondern um die reine Darstellung der Symptomatiken.
Diese sind - abgesehen von einem Erfahrungsbericht - der forschenden Literatur entspringend und es muss sich bewusst gemacht werden, dass die Symptomatiken bei jeder betroffenen Person unterschiedlich ausgepragt sind. Zur Einfachheit und Zweckmateigkeit der Darstellung wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass die Symptome alle in mehr oder minder ausgepragter Form auf den Fall zutreffen.
Die Forschungsfrage dieser Arbeit lautet entsprechend, ob die sich in der Literatur ergebenden Fahigkeiten und Schwierigkeiten von weiblichen High Functioning Autisten mit den Gegebenheiten und Anforderungen einer Anstellung als padagogische Fachkraft in einer Kindertagesbetreuung vertragen. Es soil herausgearbeitet werden, welche Fahigkeiten und Schwierigkeiten bestehen, ob und wie sie eingesetzt- und ob und wie sie aufgefangen werden konnen.
Um praxisorientierte Antworten zu erzielen, wurde ein Fragebogen entwickelt, der sich an den Schwierigkeiten einer High Functioning Autistin ausrichtet und von padagogischen Fachkraften beantwortet wird. Die Antworten sollen Auskunft uber die Inhalte des Berufsalltags geben und eine personliche Einschatzung der Fachkrafte daruber enthalten, ob sie sich vorstellen konnten, an der Seite einer Kollegin mit den beschriebenen Schwierigkeiten zu arbeiten.
Im Text wird zwischen den Bezeichnungen „HFA" und „Autist" gewechselt. An diesen Stellen verwendete die Literatur den Bergriff „Autist" oder „Autismus", und es war nicht abschlieteend klar, auf welche Form sich die Bezeichnung bezieht.
Zur besseren Lesbarkeit und Anonymisierung der Erzieher in der Fragebogenauswertung wird - obwohl diese Arbeit ausdrucklich von weiblichen High Functioning Autisten handelt - ausschlietelich die mannliche Form benutzt.
2. High Functioning Autismus
Der Begriff„High Functioning Autismus" wurde von der Autorin gewahlt, da er ihr aus verschiedensten Inhalten ihrer padagogischen Ausbildung gelaufig war. Im Laufe der Recherchen fur diese Arbeit stellte sich die Beschaffung der Literatur uber High Functioning Autismus als sehr schwierig dar. Eine Erklarung dafur findet sich u.A. bei Dziobek und Stoll (2019).
Die Diagnose HFA wird fur Betroffene gestellt, die die Symptomatik des fruhkindlichen Autismus in Kombination mit einem IQ von 70 oder hoher aufweisen. Sie starten mit einer verzogerten Sprachentwicklung ins Leben, die sie aber problemlos aufholen konnen. Im Erwachsenenalter zeigen HFA und Asperger- Autisten eine ahnliche Schwere der Symptomatik und nicht zu unterscheidende Sprachfahigkeiten (vgl. S. 17). Dziobek und Stoll (2019) halten eine Abgrenzung der Definitionen daher zumindest „[...] fur das gesprachsorientierte psychotherapeutische Setting [fur] nicht relevant" (ebd.). Laut Frith (2013) ist eine Abgrenzung zu anderen Formen des Autismus durch das Kriterium der Sprache als Starke und nicht verzogerten Spracherwerb moglich (vgl. S. 61).
Tony Attwood (2012) spricht sich fur eine Synonymisierung des Krankheitsbildes und der Terminologie aus: „Als Psychologe glaube ich nicht, dass hier Akademiker eine Unterscheidung erzwingen sollten, wenn sich die Profile der sozialen und der Verhaltensfahigkeiten derart ahneln und wenn auch die Behandlung der beiden Gruppen identisch ist." (S. 57).
Auch Eric Schopler (1996) legt nahe, dass es sich bei der Unterscheidung von HFA und Asperger-Syndrom eher um eine Formsache als zwei verschiedene Storungsbilder handelt. Es gebe keine handfesten Kriterien, um HFA vom Asperger- Syndrom zu unterscheiden (vgl. S. 109).
So soil sich in dieser Arbeit auch auf Literatur bezogen werden, die sich mit Asperger- Autisten beschaftigt. Zur besseren Lesbarkeit wird fur die entsprechenden Personen in dieser Arbeit der Term „HFA" verwendet, wo die Literatur es nicht anders vorgibt.
2.1 Symptomatik
HFA ist eine Entwicklungsstorung, die sich im Laufe des Lebens nicht verwachst: „Inzwischen wissen wir, dass aus autistischen Kindern autistische Erwachsene werden." (Frith 2013: S. 46). Seine Symptome konnen aber durch Lebenserfahrung und gezielte Einubung, beispielsweise von Verhaltensweisen in sozialen Situationen, gemildertwerden (vgl.Jprgensen 2018: S. 83).
Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 10) fuhrt Autismus-Spektrum-Storungen unter den Nummern „F80-F89 Entwicklungsstorungen" an (s. https://www.icd- code.de/icd/code/F84.0.html). Die dort aufgelisteten Storungen beinhalten allesamt folgende Aspekte:
- „Beginn ausnahmslos im Kleinkindalter oder in der Kindheit;
- eine Entwicklungseinschrankung oder -verzogerung von Funktionen, die eng mit der biologischen Reifung des Zentralnervensystems verknupft sind;
- stetiger Verlauf ohne Remissionen und Rezidive." (ebd.)
Autistische Storungen werden unter der Nummer F84.- als „Tief greifende Entwicklungsstorungen" (s. https://www.icd-code.de/icd/code/F84.0.html) beschrieben. High-Functioning-Autismus besitzt keine eigene Klassifikationsnummer. Unter Nummer F84.5 findet sich das Asperger-Syndrom. Es „[...] ist durch dieselbe Form qualitativer Abweichungen der wechselseitigen sozialen Interaktionen, wie fur den Autismus typisch, charakterisiert, zusammen mit einem eingeschrankten, stereotypen, sich wiederholenden Repertoire von Interessen und Aktivitaten." (ebd.) Die Betroffenen gelten zudem als korperlich ungeschickt. Psychotische Episoden sind in der Adoleszenz moglich. Asperger-Autisten zeigen im Gegensatz zu den Betroffenen anderer Autismusformen keinerlei Entwicklungsruckstande im Vergleich zu nicht-autistischen Kindern (vgl. ebd.).
Allen autistischen Storungen ist gemein, dass sie die soziale Interaktion erschweren, die Kommunikation insgesamt seltsam wirkt und, dass bei den Betroffenen sich wiederholende, spezialisierte Interessen und Aktivitaten festzustellen sind (vgl. Kamp-Becker & Bolte 2014: S. 12).
Preitemann (2011) erlautert eine schwache Theory of Mind ebenso wie schwache zentrale Koharenz und das Fehlen exekutiver Funktionen als Grundlagen zum Verstehen autistischer Denkmuster (vgl. S. 10). Frith (2013) beschreibt als zentrale Symptome des Autismus den fehlenden sozialen Umgang mit Gleichgestellten, (nonverbale) Kommunikation und zwanghaft repititive Verhaltensweisen (vgl. S. 21 - 25). Remschmidt und Kamp-Becker (2007) beschreiben, dass mit autistischen Storungen auch eine „abweichende Intelligenzstruktur, exekutiven Funktionen [...], theory of mind [...], schwache zentrale Koharenz" einhergehen. Es beeintrachtigt die soziale Interaktion der Betroffenen, die allgemein keine kognitiven Beeintrachtigungen aufweisen, eine normgerechte Sprachentwicklung durchlaufen und stereotypes Verhalten zeigen (vgl. Lehnhardt et al. 2013).
In diesem Kapitel werden die einzelnen Symptome naher erlautert.
2.1.1 Besondere Wahrnehmung
HFA sind in ihrer Wahrnehmung dahingehend besonders, dass alle eingehenden Reize gleichberechtigt wahrgenommen werden. Sie konnen nicht solche Reize aus ihrer Wahrnehmung herausfiltern, die unwichtig fur die gegenwartige Situation sind (vgl. Dziobek & Stoll 2019: S. 26) .
Dziobek und Stoll (2019) berichten von einer hohen Sensibilitat der Betroffenen gegenuber sensorischen Reizen aller Kategorien, was zu allgemeiner Nervositat fuhren kann (vgl. S.25).
Es wurde ein ..Thermometer der Anspannung" (ebd. S. 103) (Anhang 1) entworfen, anhand dessen HFA sowie deren Umfeld das Ausmate ihrer Stressreaktion in gegebener Situation einordnen konnen. Auf der Skala von 10 bis 90 liegen „schaukeln/Manierismen" bereits bei 80 (ebd. S. 103). Eine Strategie gegen Stress ist das Herausfinden einer angenehmen Aktivitat, der jederzeit nachgegangen werden kann, wenn der Betroffene eine zu hohe Anspannung empfindet. Diese Aktivitaten sind sehr personlich und fur Nicht-Autisten nicht immer nachvollziehbar, aber keinesfalls schadlich (vgl. Dziobek & Stoll 2019: S. 108).
Inwieweit ein selbstbestimmtes Leben fur HFA moglich ist, hangt auch vom Grad der Unterstutzung durch ihr Umfeld ab. Eine mindestens durchschnittliche Intelligenz kann durchaus die Lebensqualitat und Selbststandigkeit erhohen, sie kann aber auch von Angsten und daraus resultierendem erhohten Zwangsverhalten ausgeglichen werden, sodass HFA unglucklicher mit ihrem Leben sein konnen als Autisten mit einer vorliegenden Intelligenzminderung (vgl. Kamp-Becker & Bolte 2014: S. 97).
2.1.2 Fehlende exekutive Funktionen
HFA beschneidet die exekutiven Funktionen der Betroffenen. Dazu gehoren die Entwicklung von Losungsstrategien, die Vorstellung von Konsequenzen der eigenen Handlungen, die zielgerichtete Lenkung der Aufmerksamkeit und die Kontrolle von Impulsen (vgl. Roy et al. 2009).
Preitemann (2011) beschreibt das Fehlen exekutiver Funktionen, „[...] die mit Planungsprozessen, vorausschauendem Denken und zielgerichtetem problemorientierten Handeln verbunden sind [...]" (S. 14.). Diese Funktionen umfassen unter Anderem die „[...] Impulskontrolle, [...] Kontrolle uber Aufmerksamkeit und motorische Funktionen, [...] sowie Flexibilitat in Denken und Handeln." (S. 15). Preitemann (2011) spricht auch davon, dass dieses wahrgenommene Unvermogen vom Umfeld als bewusst eingesetzte Provokation missverstanden werden kann (vgl. ebd.).
2.1.3 Kommunikation
„Der Mensch mitAsperger-Syndrom kann die Hinweise, mit denen Gedanken oder Gefuhle anderer angezeigt werden, nicht in dem Matee erkennen oder verstehen, wie man es von einer Person seines Alters erwartet." (Attwood 2012: S. 143)
Die Symptomatik von HFA wird besonders im direkten sozialen Kontakt deutlich. Sie konnen Korpersprache nicht deuten und merken dadurch beispielsweise nicht, wenn sie ihre Gesprachspartner uberfordern. Sie sind interessiert am Kontakt, verhalten sich aber unangemessen, weil sie Stimmungen nicht erkennen und sich somit nicht anpassen konnen (vgl. Remschmidt& Kamp-Becker 2007).
Auch der Einsatz von nonverbalen Kommunikationsmitteln ist bei HFA reduziert. Sie benutzen etwa Augenkontakt, Mimik oder Gestik nicht, um Inhalte zu transportieren. Sie konnen eine hohe Redegewandtheit aufweisen, und gleichzeitig Schwierigkeiten haben, allgemeine Floskeln, Implikationen oder Ironie zu verstehen (vgl. Lehnhardt et al. 2013). Stattdessen sind HFA in Gesprachen sehr auf Worte fixiert. Subtexte einer Konversation kommen oftnichtbei der Betroffenen an (vgl. Jprgensen 2018: S. 71).
HFA benutzen auch keine Sprachmelodie, um die emotionale Bedeutung des Gesagten zu unterstreichen oder auf den Gesprachspartner einzugehen. Ein Gesprach mit einer HFA wirkt, als sei es zuvor einstudiert worden, und dadurch wenig authentisch. Ihnen fehlt die Spontaneitat und die gedankliche Flexibilitat, um auf unvorhergesehene Wendungen zu reagieren (vgl. Jprgensen 2018: S. 70 f.). Sie gelten als starr in ihren Denkmustern und langsam in der Auffassungsgabe. Diese Eigenheiten machen es ihnen auch allgemein schwer, Ergebnisse und Konsequenzen abzusehen (vgl. Dziobek & Stoll 2019: S.25f.) .
Deshalb kann Smalltalk fur HFA einen groteen Stressfaktor darstellen. Es fallt ihnen leichter, ihre Konversationen auf sachliche Inhalte zu beschranken. Beim Versuch, alle Einzelheiten aufzunehmen, gehen Gesprachsinformationen oft verloren und die Intention hinter dem Gesprach bleibt unerkannt (vgl. Dziobek & Stoll 2019: S. 21).
Preitemann (2011) beschreibt aus eigener Erfahrung als Asperger-Autistin die Schwierigkeit, mit ambivalenten Gefuhlen umzugehen oder sie uberhaupt wahrzunehmen, wenn sie sich nicht in aller Deutlichkeit prasentieren (vgl. S. 12). Schwieriger als auf die eigenen Gefuhle sei es allerdings, „auf die Gefuhle anderer Menschen adaquatzu reagieren." (ebd.: S. 12).
2.1.4 Repetitives Verhalten
Die Repetition ist bei Erwachsenen im Vergleich zu Kindern „[...] weniger auffallig, da diese ihr Repertoire an Verhaltensweisen durch Erfahrung und Lernen erweitert haben." (Frith2013: S.25).
Wahrend repetitives Verhalten mit zunehmendem Alter reduziert vorkommt, begleiten Spezialinteressen und Zwangsverhalten das ganze Leben der Betroffenen (vgl. Kamp-Becker & Bolte 2014: S. 96).
Spezialinteressen sind typisch fur HFA. Sie bedeuten das unbandige Interesse an spezifischen, selbstgewahlten Themen, die sich haufig auf einen Teilbereich des Wissensgebiets beschranken. Der Drang, diese Bereiche zu erforschen, sowie ein mogliches Zwangsverhalten in Bezug auf Ablaufe und Rituale kann einem geregelten Tageslauf im Wege stehen. (vgl. Remschmidt & Kamp-Becker 2007).
Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt dabei rationalen Themen und festen Strukturen, wie sie z.B. in Gesetzestexten zu finden sind, mit wenig sozialem Bezug. Die innere Struktur der Betroffenen kann sich als starr erweisen, indem Tagesstrukturen ritualisiert ablaufen und auf Verzogerungen angstlich reagiert wird (vgl. Lehnhardt et al.2013).
Spezialinteressen orientieren sich an den Talenten der HFA und konnen durchaus auch im Bereich der Padagogik liegen. Die Beschaftigung mit diesen selbstgewahlten Themen gleicht einem andauernden Zustand des Flow. Oft liegt den Spezialinteressen der Wunsch zugrunde, Informationen zu Systematisieren (vgl. Dziobek & Stoll 2019: S. 24 f.).
2.1.5 Schwache zentrale Koharenz
Die zentrale Koharenz lasst sich damit beschreiben, dass einzelne Objekte im Kontext ihres Umfeldes wahrgenommen werden. Eine Situation wird als ein Gebilde aus Einzelteilen erfasst, die in Beziehung zueinander stehen. Die Wahrnehmung ist kontextgebunden. Bei autistischen Menschen ist das eher nicht der Fall: die zentrale Koharenz ist schwacher ausgepragt, und ihre Wahrnehmung ist mehr detailgebunden. Das Gebilde, das aus den Einzelteilen entsteht, wird nicht wahrgenommen. Dadurch kommt es dazu, dass Fehler immer wieder gemacht werden, wenn die Situation auch nur leichtvariiert (vgl. Preitemann 2011: S. 13 f.).
Fur HFA ergibt der Zusammenhang zwischen einzelnen Punkten keinen groteeren Sinn. Mit einer schwachen zentralen Koharenz erscheint jedes Detail gleich wichtig. Im Gegenzug bedeutet eine starke Koharenz, dass Einzelteile so sehr verwurzelt in ihrem Kontext wahrgenommen werden, dass das selbe Element in verschiedenen Kontexten nichtwiedererkanntwerden kann (vgl. Frith 2013: S. 145).
2.1.6 Theory Of Mind
Die Theory ofMind (ToM) beschreibt das Bewusstsein daruber, dass andere Menschen uber einen mentalen Zustand verfugen, und die Fahigkeit, diesen zu erfassen (vgl. Bockler-Raettig 2019: S. 9). Genauer gesagt wird ToM als die Tatigkeit des Sich-Hineinversetzens in die mentale Lage eines anderen Menschen bezeichnet (vgl. ebd. S. 11). Die ToM bedeutet die Fahigkeit, Motive, Vorhaben, Gedanken und Emotionen seiner selbst und anderer Menschen zu erkennen, zu verstehen und in die eigene Planung einzubauen. Dazu gehort u.A. auch, die Konsequenzen der eigenen Handlungvorherzusagen und Sarkasmus zu verstehen (vgl. Preitemann 2011: S. 11).
Eine schwach ausgepragte ToM auteert sich zum Beispiel darin, dass Subtexte in Konversationen nicht wahrgenommen werden. Die Reaktionen von HFA richten sich am tatsachlich Gesagten aus und konnen entsprechend als unangemessen empfunden werden. Die Konsequenzen ihrer Reaktionen und Handlungen fur den weiteren Verlauf einer Situation sind fur sie schwer zu greifen. Insgesamt ergibt sich eine Schwierigkeit im Aufbau und Erhalt sozialer Beziehungen (vgl. Bockler-Raettig 2019: S. 53).
Die ToM ist eng mit der Kommunikationsfahigkeit verknupft (vgl. Kap. 2.1.3).
2.2 Die Besonderheiten weiblicher HFA
Preitemann (2013) gibt an, dass Madchen und Frauen mit HFA eher in den Ruckzug gehen, was dem allgemeinen Rollenbild grundsatzlich entspricht und daher wenig Verwunderung in ihrem Umfeld hervorruft (vgl. S. 11 f.J.
Aufgrund der Vielfalt und Subtilitat der beobachtbaren Symptome fallt es oft schwerer, Madchen im jungen Alter zu diagnostizieren als Jungen. Es gibt den wissenschaftlichen Wunsch nach einer geschlechtsspezifischen Diagnostik (vgl. ebd.: S. 16].
In einer polnischen Studie wurden 33 mit Autismus oder Asperger-Syndrom diagnostizierte Kinder zwischen 5 und 10 Jahren (davon 16 mannlich, 17 weiblich) verschiedenen Tests, darunter der AQ fur Kinder (s. Kap. 2.3.1.1] und mit einem Auszug eines weiteren verbreiteten Tests, der die Ausfuhrung von Gestik und Blickverfolgung untersucht. Es konnte festgestellt werden, dass Madchen ihre Gestiken energievoller und damit wahrnehmbarer ausfuhrten. Die Forscher nehmen an, dass dieser Einsatz der nonverbalen Kommunikation dazu fuhrt, dass kein Verdacht auf Autismus geschopft wird und die Madchen unerkannt bleiben (vgl. Rynkiewicz etal. 2016].
Eine weitere Studie untersuchte zehn Madchen zwischen 13 und 16 Jahren, die eine Asperger- oder HFA-Diagnose hatten, auf ihre sozialen Bedurfnisse, Kompetenzen und Freundschaftsverhalten. Sie ergab, dass die meisten Teilnehmerinnen grotees Interesse daran hatten, Freundschaften zu schlieteen, aber hauptsachlich Ablehnung unter Gleichaltrigen erfuhren. Sie alle hatten deswegen Strategien entwickelt, um soziales Verhalten zu imitieren und besser akzeptiert zu werden (vgl. Tierney, Burns & Kilbey: 2015) .
Eine englische Forschergruppe (McLennan, Lord & Schopler 1993) fand heraus, dass sich die Unterschiede zwischen mannlichen und weiblichen HFA im Laufe des Lebens wandeln. Im Kindesalter hatten Madchen weniger Probleme als Jungs, sich im sozialen Leben zurechtzufinden. Vor allem initiierten sie ofter Spiele mit anderen Kindern, suchten und spendeten Trost. Im fortschreitenden Alter hatten sie allerdings mehr Schwierigkeiten als mannliche HFA, Beziehungen in ihrem sozialen Umfeld zu gestalten. Als Begrundung wird einerseits angegeben, dass Freundschaften unter jungen Frauen sehr gefuhlsbetont sind und viel verbalen Austausch erfordern, wohingegen Manner Freundschaften mit weniger (verbaler) Interaktion pflegen. Andererseits hatten die teilnehmenden Madchen einen erheblichen Teil ihrer Schulzeit in mannlich-dominierten Klassen verbracht, wodurch sich Kontaktmoglichkeiten ungleich beschrankten und ein Erlernen der sozialen Gepflogenheiten unter jungen Frauen erschwerte (vgl. S. 224 f.).
2.3 Diagnostik
Die Diagnose kann uber die gesamte Lebensspanne hinweg erfolgen. Beispielhaft fur den Verlauf einer Diagnostik werden die Informationen des Autismuszentrums in Langen herangezogen (vgl. http://www.autismus-langen.de/index.php?id=723).
In der Regel nehmen die Betroffenen selbst oder Personen aus ihrem Umfeld (vorrangig bei Kindern die Eltern oder die Betreuungseinrichtungen und Schulen) erste Verhaltensweisen oder Entwicklungsverzogerungen als auffallig wahr. Diese konnen mit einem Arzt besprochen werden, der entweder selbst eine Stellungnahme oder Verdachtsdiagnose schreibt oder zu diesem Zweck an einen spezialisierten Kollegen uberweist (vgl. ebd.).
Mit einer Verdachtsdiagnose konnen die Familien und Betroffenen sich an
Kostentrager wie das Jugendamt oder das Sozialamt wenden, denn das Autismuszentrum in Langen rechnet zumindest sein Diagnoseverfahren nicht uber die Krankenkasse ab. Sobaid eine Zusage uber die Kostenubernahme vorliegt, kann ein Termin zu einer Erstvorstellung vereinbart werden. In der Erstvorstellung kann eine Verdachtsdiagnose untersucht- oder eine bestehende gesicherte Diagnose uberpruftwerden (vgl. ebd.J.
Im Vorfeld des Termins soil von den Eltern und Bezugspersonen ein ausfuhrlicher Fragebogen ausgefullt werden (vgl. Kap. 2.3.5). Vorhandene Vordiagnosen und Berichte werden einbezogen. Der Termin bedeutet fur Jugendliche und Erwachsene ein expertengeleitetes Gesprach von ca. 1,5 Stunden. Bei Kindern wird das Gesprach mit den Eltern gefuhrt, wahrend ein weiterer Therapeut dem Kind Spielangebote macht und sein Verhalten beobachtet. Die Atmosphare soil moglichst stressfrei sein (vgl. ebd.J.
Direkt im Anschluss an das Gesprach erfolgt eine Konsolidierung und die Mitteilung des Ergebnisses an Eltern und Betroffene, die spater nochmals in einem ausfuhrlichen Bericht erfolgt. Dieser Bericht ist Ausgangspunkt fur weitere Therapiematenahmen entsprechend der nun gesicherten Diagnose. In diesem Gesprach ist auch Raum fur weiterfuhrende Fragen und die Erlauterung der verfugbaren therapeutischen Matenahmen (vgl. ebd.J.
Kamp-Becker und Bolte (2014) erlautern das diagnostische Verfahren ebenfalls als einen mehrschrittigen Prozess. Zunachst wird eine ausfuhrliche Anamnese des Kindesalters durchgefuhrt, gefolgtvon einem Screening, das einen ersten allgemeinen Verdacht ermitteln kann. In der Standard-Diagnostik, an der das Erstgesprach in Langen ansetzt, werden dann psychologische Faktoren, Kognition und autismusspezifische Kriterien untersucht. Auch Intelligenz- und Sprachentwicklungstests werden durchgefuhrt. Es folgt eine somatische und neurologische Untersuchung sowie eine Blut- und Genuntersuchung, bevor eine Diagnose auf dem Autismusspektrum abschlieteend gestellt werden kann (vgl. S. 60 - 65).
Im Folgenden werden zwei Screening-Instrumente vorgestellt, die fur eine Verdachtsdiagnose herangezogen werden konnen: Das AdultAsperger Assessment als Screening-Instrument fur Erwachsene, und die Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom fur Kinder und Jugendliche.
2.3.1 Baron Cohen: AAA
Das Adult Asperger Assessment (AAA) ist ein Zusammenschluss des Autismus- Quotienten-Tests (AQ) sowie des Empathie-Quotienten-Tests (EQ), die beide von Simon Baron-Cohen mitentwickelt wurden. Das AAA wird speziell beim Verdacht auf HFA oder das Asperger-Syndrom bei Erwachsenen angewandt. Die Vorzuge bestehen darin, dass es die beiden Screening-Instrumente AQ und EQ vereint. Das Assessment ist elektronisch anwendbar und auswertbar und halt sich an sehr enge Kriterien, um falsch-positive Ergebnisse zu vermeiden (vgl. Baron-Cohen et al. 2005).
2.3.1.1 AQ
Der von Baron-Cohen et al. (2001) entwickelte Autismus-Quotient-Test (AQ) ist ein Test zur Bestimmung der autistischen Merkmale, die eine Person tragt. In der zugehorigen Studie erzielte die Gruppe der diagnostizierten HFA/Asperger-Autisten einen mittleren Score von 35,8 (von moglichen 0-50). 80% dieser Gruppe erreichten einen Score von 32 oder hoher, wohingegen nur 2% der Menschen aus drei differenzierten Kontrollgruppen dieses Ergebnis erreichten.
Baron-Cohen et al. (2001) wollten einen Test zu entwerfen, dessen Ergebnis Aussagen daruber treffen kann, ob und wo sich eine Person mit durchschnittlicher Intelligenz auf dem Autismusspektrum befindet. Sie wollten sich dabei in zweierlei Hinsicht von bestehenden Tests unterscheiden: zum Einen sollte ihr Test kurz sein, zum Anderen sollte er von den Probanden selbst durchgefuhrt werden konnen. Er sollte aussagen, wer betroffen ist, und das Ergebnis sollte dem Betroffenen dabei helfen, eine umfangreiche Diagnostikzu erhalten (vgl. ebd.: S. 6).
Der AQ umfasst 50 Fragen aus den Gebieten soziale Fahigkeiten, Flexibilitat der Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit gegenuber Details, Kommunikation und Vorstellungskraft. In der Entwicklung wurde sehr darauf geachtet, falsch-negativen Ergebnissen vorzubeugen. Die Forscher testeten nicht nur die betroffenen Personen, sondern lieteen auch deren Eltern den AQ-Test fur ihre Kinder ausfullen. Auteerdem orientieren sich die Fragen mehr an den Vorlieben und Gewohnheiten einer Person als an ihren subjektiven Fahigkeiten, da es vorkommen kann, dass diese zu hoch eingeschatzt werden und so ein niederigerer Score erzieltwird (vgl. ebd.: S. 6 f.).
Die Ergebnisse zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen mannlichen und weiblichen HFA/Asperger-Betroffenen, ihr durschnittlicher Score lag bei 35,8 (vgl. ebd.: S. 8). Die Scores der von Eltern durchgefuhrten Tests lagen im Schnitt um 2,8 Punkte hoher als die Selbsttests (vgl. ebd.: S. 11). Da 79,3% der HFA-/Asperger- Betroffenen einen Score von 32 oder hoher erreichten und nur 2% der Kontrollgruppen dieses Ergebnis erreichten, wurde die Grenze fur die Wahrscheinlichkeit einer HFA- oder Asperger-Diagnose auf 32 festgelegt. Von 11 Personen einer Kontrollgruppe, die einen Mindestscore von 32 erzielten, erfullten 7 die gangigen Kriterien fur HFA oder Asperger-Autismus. Allerdings wurde wahrend der Studie keine Diagnose gestellt, da die Eltern der Personen nicht interviewt wurden und die Personen selbst keine Nachteile durch die erfullten Kriterien feststellen konnten. Sie berichteten jedoch alle von sozialen Problemen in der Schulzeit (vgl. ebd.: S. 12).
2.3.1.2 EQ
Der Empathy-Quotient-Test (EQ) wurde von Baron-Cohen und Wheelwright entwickelt und 2004 beschrieben. Sie sahen die Notwendigkeit fur einen Test, der Empathie nicht nur einschlietet, sondern sich ganz auf sie konzentriert. Ebenso wie der AQ ist er als Selbsttest fur Erwachsene von durchschnittlicher Intelligenz gedacht (vgl. Baron-Cohen & Wheelwright 2004).
Der EQ enthalt 60 Fragen, von denen sich 40 direkt auf Empathie beziehen, und die restlichen 20 als Fullelemente dienen. Der mogliche Score betragt 0 bis 80. In einer
Testgruppe mit 90 Erwachsenen, die mit HFA oder Asperger-Autismus diagnostiziert waren und nachweislich Problematiken in ihrer Empathiefahigkeit aufwiesen, erreichten 81% einen Score von 30 oder darunter. In der altersgleichen Kontrollgruppe erreichten nur 12% das Ergebnis. Die Forscher leiten daraus eine generelle Empathie-Schwache in HFA- und Asperger-Betroffenen ab (vgl. ebd.).
2.3.2 Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom
Die Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom (MBAS) ist ein ScreeningInstrument fur Kinder und junge Erwachsene zwischen 6 und 20 Jahren. Es beinhaltet 65 Fragen, die hauptsachlich von einer Vertrauensperson des Patienten beantwortet werden. Sie beschaftigen sich sowohl den aktuellen- als auch mit dem Stand des Patienten im Alter von vier bis funfjahren (vgl. Kamp-Becker et al. 2005: S. 18).
Die Fragen stammen aus den Kategorien ..Qualitative Beeintrachtigung: Soziale Interaktion", ..Qualitative Beeintrachtigung: Kommunikation" sowie „Begrenzte, repititive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitaten" (s. ebd.).
An der zugehorigen Studie nahmen insgesamt 91 mannliche Jugendliche mit homogenem Alter und durchschnittlich homogenem IQ teil. 44 von ihnen hatten zuvor die Diagnose Asperger-Syndrom (28) oder HFA (15) erhalten, 47 hatten eine nicht-autistische oder keine Diagnose erhalten (vgl. ebd.). Das Ergebnis stellte einen Unterschied zwischen Asperger-Autisten und HFA fest: Teilnehmer mit Asperger- Diagnose zeigten vorrangig Auffalligkeiten in „Kontaktverhalten / soziale Motivation", „Sonderinteressen“, „Motorik“ und „Theory of Mind" wahrend HFA zusatzlich durch „Sensomotorische Interessen", „nonverbales Verhalten" und „Verstandnis von sozialen Regeln" auffallen (vgl. ebd.: S. 21 f.). Die Forscher geben jedoch an, dass zur eindeutigen Abklarung eine umfangreichere Diagnostik notig ist (vgl. ebd.: S. 23).
Die MBAS eignet sich, um Verdachtsdiagnosen zu stellen, und unterscheidet zuverlassig zwischen autistischen und nicht-autistischen Anzeichen. Aufgrund der unauffalligeren Symptome kann es bei Kindern bis 7 Jahren zu falsch-negativen Ergebnissen der Asperger-Diagnose kommen. 8-Jahrige mit vorangegangener
Diagnose wurden vom MBAS richtig eingestuft. Schwachen zeigt das Verfahren allerdings in der Unterscheidung zwischen HFA/Asperger und AD(H) S aufgrund ahnlicher Aufmerksamkeitsstorungen. Insgesamt wird das Verfahren fur Kinder ab 8 Jahren empfohlen, um Fehldiagnosen fruhestmoglich auszuschlieteen (vgl. ebd. S. 23f.).
2.3.4 Auswirkungen einer spaten Diagnose
Eine Studie von Lehnhardt et al. (2012) untersuchte die Lebenslaufe von 178 Autisten, die im durschnittlichen Alter von 34,1 (+- 9,5 Jahren) diagnostiziert worden waren. 92% von ihnen erhielten die Diagnose High-Functioning-Autismus oder Asperger-Syndrom, 1/3 dieser Patienten war weiblich. Ihr AQ (s. Kap. 2.3.1.1) lag bei durschnittlich 39 (+- 6) und ihr IQbei 115 (+- 20).
Von diesen Patienten lebten rund 2/3 in einem eigenstandigen Haushalt, fast ebenso viele hatten einen hoheren Bildungsabschluss, und 58% lebten oder hatten in einer Partnerschaft gelebt.
Lehnhardt et al. (2012) gehen davon aus, dass die generell hohe Intelligenz den Patienten dieser Gruppe ermoglicht hat, ihre autistischen Zuge zu uberlernen und ihr Verhalten den psychosozialen Anforderungen von hoherer Bildung, eigenstandigem Leben und Partnerschaften anzupassen. (vgl. ebd.).
2.3.5 Schwierigkeiten einer spaten Diagnose
Da HFA sowie das Asperger-Syndrom immer mehr Prasenz in der offentlichen Diskussion bekommen, steigt auch die Anzahl der Menschen, die als Erwachsene zum ersten Mai Parallelen zwischen ihrem Verhalten und dem Autismus zugeschriebenen Symptomen feststellen. Die Tendenz geht hin zur Diagnostik des Asperger-Syndroms im Erwachsenenalter. Es wird geschatzt, dass das Verhaltnis von diagnostizierten zu nichtdiagnostizierten Autisten bei 3:2 liegt. Insgesamt sind etwa 1% der Bevolkerung diagnostiziert auf dem Autismusspektrum (vgl. Lehnhardt et al. 2013).
Attwood (2012) merkt an, dass die Diagnose im Erwachsenenalter durch lang zuruckliegende Erinnerungen erschwert werden kann. Er empfiehlt, Fotos aus sozialen Situationen und fruhe Schulzeugnisse einzubeziehen, um Verhalten und Schwierigkeiten des Kindes einschatzen zu konnen (vgl. S. 62). Es kann auch vorkommen, dass Patienten wahrend des Diagnosegesprachs sehr empathisch und sozial kompetent antworten. Ein Indikator dafur, dass die Antworten eher dem intellektuellen Verstandnis als der tatsachlichen Komeptenz entspringen, ist eine Verzogerung durch reifliche Uberlegung der Antwort (vgl. ebd.).
Insgesamt ist ein Anstieg an tatsachlichen Diagnosen zu verzeichnen. Kamp-Becker und Bolte (2014) erklaren ihn mit der fortschreitenden Forschung, der allgemein starkeren Sensibilitat fur Symptome und Weiterentwicklungen in der Diagnostik. Allerdings sind Diagnosekriterien mitunter undeutlich formuliert, wodurch die Grenzen zwischen autistischer und nichtautistischer Diagnose verschwimmen konnen (vgl. S.26).
2.3.6 Komorbiditaten und Differentialdiagnosen
Komorbiditaten treten bei rund 66% der Menschen auf dem Autismusspektrum auf. Es handelt sich dabei um zwei bis drei zusatzliche Diagnosen aus dem psychiatrischen Bereich (vgl. Kamp-Becker & Bolte 2014: S. 22 f.). Die Diagnostik kann von Angststorungen und Depressionen als den haufigsten Komorbiditaten erschwert werden. (vgl. ebd.: S. 97).
In einer Studie mit diagnostizierten HFA im durchschnittlichen Alter von 27 Jahren wurde festgestellt, dass 70% der Teilnehmer als Komorbiditat mindestens eine Episode von schwerer Depression erlebt hatten. 50% hatten widerkehrende depressive Episoden (vgl. Lugnegard, Hallerback & Gillberg: 2011).
Als Komorbiditaten und Differentialdiagnosen sind in der Literatur hauptsachlich Depsressionen und Anpassungsstorungen genannt (vgl. Dziobek & Stoll: 2019. S. 32). Angststorungen resultieren aus vorangegangenen negativen Erfahrungen und auteern sich in alltaglichen sozialen Situationen mit der Angst vor unvorhergesehenen Reizen, die als bedrohlich empfunden werden (vgl. ebd.: S. 33). Auch Zwangs- und Personlichkeitsstorungen gehoren dazu und sollten diagnostisch abgeklart werden (vgl. ebd.: S. 34 ff.).
Die Differentialdiagnose „Persdnlichkeitsstdrung" kann schwierig von einer Asperger- Diagnose abzugrenzen sein. Laut Kamp-Becker und Bolte (2014) ist es wichtig, den Beginn der Symptome so gut wie moglich einzugrenzen, da autismustypisches Verhalten im Gegensatz zur erworbenen Personlichkeitsstorung bereits in der Kindheit beginnt (vgl. S. 67 f.). Wichtig fur eine Diagnose im Erwachsenenalter wird das Niveau von Intelligenz und Sprachentwicklung im Alter von funf bis sechs Jahren angesehen (vgl. ebd.: S. 98). Das unterstreicht nochmals die Wichtigkeit der elterlichen Auskunftim diagnostischen Rahmen (vgl. Kap. 2.3.5).
3 High Functioning Autisten im Arbeitsumfeld
Einem HFA bieten sich auf dem Arbeitsmarkt andere Vorteile und Schwierigkeiten als einem nichtautistischen Menschen - genauso ergeht es dem Arbeitsmarkt mit HFA. Das folgende Kapitel stellt dar, zu welchen Schwierigkeiten es kommen kann, wo die Starken liegen, und, wie HFA ohne Einschrankungen in einem groteen Unternehmen eingegliedert werden. Zuletzt folgt ein Erfahrungsbericht einer Betroffenen, die einen akademischen Weg einschlug und im Erwachsenenalter diagnostiziertwurde.
3.1 Standpunkte aus der Literatur
In der Literatur finden sich einige Ausfuhrungen dazu, welche Berufe besonders geeignet sind und was sie so geeignet macht. Einige dieser Standpunkte sollen im Folgenden genanntwerden.
3.1.1 Starken von HFA im Beruf
HFA konnen im Berufsleben eine ganze Reihe von wertvollen Qualitaten zeigen. Attwood (2008) attestiert ihnen eine hohe Verlasslichkeit, Genauigkeit, Logik und Konsistenz. Er halt sie fur perfektionistisch, versiert im Umgang mit Technik und rechnet ihnen einen hohen Gerechtigkeitsssinn und Integritat zu. Er lobt ihre Detailgenauigkeit, ihre umfangreiche Sachkenntnis, ihre Gewissenhaftigkeit und Ehrlichkeit. Im Gegenzug brauchten sie eine klare Erwartungshaltung und ein Umfeld, in dem Routine entstehen kann (vgl. S. 295).
Zur Berufswahl zahlt Preitemann (2013) Kriterien auf, die Menschen auf dem Autismusspektrum zutraglich sein konnen und die von vielen gezielt ausgesucht wurden. Sie nennt Berufe in einem klar festgelegten Fachbereich, in denen es mehr um Details als um grobe Zusammenhange geht, der Tagesverlauf vorhersehbar ist, und die alleine in einem eigenen, reizarmen Bereich ausgeubt werden konnen (vgl. S. 201). Sie geht gleichzeitig davon aus, dass autistische Frauen sich beruflich gerne in sozialen Bereichen beschaftigen, da sie anderen Menschen durch ihre eigene
Lebenserfahrung helfen mochten, ihr Leben besser zu bewaltigen. Das wurde gut funktionieren, da Frauen sich der sozialen Anforderungen besser bewusst seien und eher Hilfen in Anspruch nahmen, unter der Voraussetzung, dass das Arbeitsumfeld um die Starken und Schwachen der Betroffenen weite und entsprechend darauf eingehen kann (ebd.: S. 201 f.).
Spezialinteressen bieten eine klare Starke der Betroffenen auf dem entsprechenden Gebiet. Gemeinsam mit der Anerkennung und der intrinsischen Befriedigung, die die Beschaftigung mit sich bringt, entsteht hier eine Win-Win-Situation fur Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die detailorientierte Wahrnehmung lasst sie Fehler erkennen, die Menschen mit kontextgebundener Wahrnehmung leicht ubersehen wurden (vgl. Dziobek & Stoll: 2019. S. 27). Laut den Autorinnen gibt es funf explizite Starken, die Betroffene gemein haben: „[...] intellektuelle Starken (z.B. Liebe zum Lernen, Kreativitat und das vorsichtige Abwagen von Alternativen) aber auch Fairness und Authentizitat, [...]" (s. ebd. S.27).
3.1.2 Schwierigkeiten von HFA im Beruf
Das Berufsleben halt fur autistische Menschen viele Unsicherheiten bereit. Die schwache zentrale Koharenz (vgl. Kapitel 2.1.5) bedingt, dass ubergeordnete Ziele oft nichtwahrgenommen werden und die Betroffenen sich eher intensiv mitTeilaspekten des Arbeitsauftrags beschaftigen. Dazu kommt ein Gefuhl der Uberforderung in der Anwesenheit vieler Menschen und vieler verschiedener Sinneseindrucke (vgl Preitemann 2011: S. 104 f.).
Der Einsatz in einem sozialen Beruf mag sich schwierig gestalten, wenn wahrend der Tatigkeit Wert auf soziale Interaktion gelegt wird. Autistische Menschen richten ihre Kommunikation sehr fachlich aus und halten sich in eher zuruck, wenn es nicht um konkrete fachbezogene Anliegen geht. Auteerdem versuchen sie, Probleme eher im Alleingang als im Team zu losen (vgl. Preitemann 2013: S. 202 f.), womit ein teamorientiertes Arbeitsfeld zu Kommunikationsproblemen fuhren kann.
Kamp-Becker und Bolte (2014) nennen als ungeeignete Berufe solche, in denen Teamfahigkeit wichtig ist, in denen schnell zwischen verschiedenen Aufgaben gewechselt werden muss und die viel Kundenkontakt beinhalten. Im Einzelfall ist der berufliche Erfolg aber naturlich auch von der individuellen Auspragung der Symptome, Komorbiditaten und der Unterstutzung des sozialen Umfelds abhangig (vgl. S. 103).
HFA haben einen hohen Anspruch an ihre Arbeit, aber es fallt ihnen schwer, ihre Aufgaben zu strukturieren und priorisieren. In Verbindung mit der detailgebundenen Arbeitsweise konnen Abgabefristen zu einem groteen Problem werden (vgl. Dziobek & Stoll 2019: S.95) .
Baumgartner et al. (2009) zahlen einige Tatigkeiten auf, die sie als besonders geeignet fur autistische Menschen halten. Nach ihrer Auffassung sind Autisten hingegen weniger geeignet fur kreative Berufe, die einen stetigen Kundenkontakt beinhalten und schwer vorauszuplanen sind. Autisten brauchten klare Ablaufe, einen klar definierten Start genauso wie ein klar definiertes Ziel der Aufgaben. Sie sollten zu keinen Verantwortungspositionen gezwungen werden und keine Aufgaben bekommen, die ein Multitasking erfordern, sondern solche, die sie in ihrem eigenen Tempo Stuck fur Stuck erledigen konnen. Es soil nicht auf Geschwindigkeit, sondern auf Genauigkeit Wert gelegt werden. Sie sollen sich eine Routine erarbeiten konnen, ihre detaillierte Wahrnehmungs- und Merkfahigkeit einsetzen und weniger mit teamorientierten Aufgaben konfrontiert werden. Auteerdem soil die Tatigkeit keine soziale Interaktion beinhalten in dem Matee, die die Person storen konnte, und keine hochschwelligen (fein-)motorischen Leistungen erfordern (vgl. S. 72 f.).
3.1.3 Unterstutzende Faktoren
Preitemann (2013) nennt Fachkenntnisse im Berufsfeld, Kenntnis des beruflichen Umfelds uber Starken und Schwachen des Betroffenen, Einbeziehung konkreter alltagspraktischer Hilfen fur den Betroffenen, einen erfahrenen Mentor, der Losungen zu bestehenden Problemen anbietet, eine Arbeit, die an den Neigungen und
Fahigkeiten des Betroffenen ausgerichtet ist sowie ein Mindestmate an Sozialkompetenz als Gelingensfaktoren fur ein erfolgreiches Berufsleben. Erweiterte Fachkenntnisse konnten Arbeitgeber dazu bewegen, mehr auf den Betroffenen einzugehen und auch niedrigere soziale Kompetenzen hinzunehmen (vgl. S. 203 f.).
Als Unterstutzung am Arbeitsplatz wird eine detaillierte Einarbeitung in die Tatigkeit, gerne durch visuell gestutzte Kommunikation, angefuhrt. Auteerdem seien ein unterstutzendes Team, routinehafte Arbeitsschritte, fruhzeitige Ankiindigung von Veranderungen und konstante gemeinsame Reflektion der Arbeit hilfreich, um ein beidseitig erfullendes Arbeitsverhaltnis zu fuhren (vgl. ebd.: S. 206).
Es sei fur Betroffene wichtig, gut uber die eigenen Starken und Schwierigkeiten bescheid zu wissen, um sie entsprechend kommunizieren zu konnen und sich seinen Selbstwert uber seine Starken bewusst zu machen (vgl. ebd.: S. 205 f.).
Laut Preitemann (2011) haben autistische Menschen Schwierigkeiten, ihr Inneres zu kommunizieren. Wenn es gelingen wurde, uber einen Mediator den Austausch zwischen autistischer Mitarbeiterin und dem Arbeitsumfeld zu erleichtern, wurde ihr auch der Arbeitsalltag erleichtert und im Gegenzug wurden ihre Fahigkeiten mehr wahrgenommen (vgl. S. 113).
Der autistischen Mitarbeiterin sollten individuelle Pausen sowie ein reizarmer Ruckzugsort dafur zugestanden werden, da ein gemeinsam genutzter Pausenraum anhaltende Reize bedeutet und eine Erholung erschwert. Auf ihr Arbeitstempo und ihre Konzentrationsphasen soil ebenso Rucksicht genommen werden. Der Arbeitsbereich selbst reizarm sollte gestaltet sein oder Hilfsmittel zur Ausschaltung der Reize einsetzbar sein (vgl. Preitemann 2011: S. 109 f.). Auteerdem soil es ihr nachgesehen werden, wenn sie nicht an freiwilligen sozialen Veranstaltungen teilnimmt. Kritik sollte regelmateig erfolgen und klar eingegrenzt sein, da sie sonst als Angriff auf die Person verstanden werden konnte. Eine konstante Bezugsperson ist von groteem Vorteil, um die Betroffene bei Uberforderung und Unsicherheit zu unterstutzen und Brucken zu ihrem Umfeld zu bauen (vgl. ebd.).
Preitemann (2011) betont die Wichtigkeit einer grundlichen Einarbeitung fur autistische Arbeitnehmerinnen, um die Vorhersehbarkeit des Alltags zu sichern und so die Stabilitat und Produktivitat der Betroffenen zu fordern (vgl. S. 108). Aufgaben sollen in Umfang, Zeitraum und Erwartung fruhzeitig gegeben werden und unterschiedliche Informationen sollen einzeln ubermittelt werden. Es soil berucksichtigt werden, dass die Einarbeitungszeit oft langer dauern kann und Arbeitsschritte mitunter oft wiederholt werden mussen, um sicher beherrscht zu werden. Ein Zeitplan in schriftlicher Form kann hilfreich sein (vgl. ebd.).
3.1.4 Erfahrungsbericht einer autistischen Arztin
Die Arztin Nicole Hohlriegel beschreibt ihre Erfahrungen wahrend des Studiums und Berufseinstiegs als Arztin und vorerst unentdeckte Autistin.
Fur Hohlriegel war das Schwierige am Studium nicht der fachliche Teil, sondern die Organisation. Abgabefristen und Termine bekam sie oft nur zufallig mit und war nicht selten davon uberrascht. Sie konnte aber regelmateig Hilfe von Kommilitonen einholen, um auch diesen Teil des Studiums zu bewaltigen (vgl. Preitemann 2011: S. 85 f.).
Die Arztin ist der Ansicht, dass ein Autist es in jeder Branche weit bringen kann, wenn er seinen Beruf an seinen Spezialinteressen ausrichtet. Die Struktur musse aber ermoglichen, dass der fundiert qualifizierte Betroffene sein Potential entfalten kann. Ihr eigenes Spezialinteresse ist das Zusammensetzen einer Diagnose aus vielen Einzelteilen (vgl. ebd.: S. 87 ff.).
Autisten mussten oft Wege um die gegebenen Arbeitsbedingungen herum finden, um genauso arbeiten zu konnen wie Menschen, die mit den Bedingungen gut zurechtkommen. Ihr half die Diagnose dabei, ihre eigenen Wege und Arbeitsweise zu verstehen und Akzeptanz dafur aufzubauen, dass der Standard fur sie nicht gilt. So habe sie gelernt, sich aus dem lauten Stationszimmer zuruckzuziehen, um die Aufgaben zu erledigen, die voile Konzentration erfordern (vgl. ebd.: S. 89 f.).
Hohlriegel hatte schon immer Probleme im sozialen Umgang, und die wurden besonders deutlich, wenn das Berufliche mit dem Privaten verwische. Als Beispiel nennt sie Anlasse wie den Betriebsausflug oder die Hochzeitseinladung einer Kollegin (vgl. ebd.: S. 91). Sie wunscht sich eine Art Mediator im Arbeitsumfeld, der alle Seiten versteht und zwischen ihnen vermitteln kann. Autisten seien zu direkt, um Erfolg mit dem eigenen Pladieren auf Verstandnis und Mitgefuhl zu haben. Ihr ist bewusst, dass ihre Art als herausfordernd empfunden wird, und dass sie Voruteile hervorrufen kann, wenn der Beruf eine Kommunikation zwischen ihr und nicht-autistischen Kollegen erzwingt (vgl. ebd.: S. 92 f.).
Fur Hohlriegel erscheint die Kommunikation nicht-autistischer Menschen voll von Banalitaten (Smalltalk), fur die sie keine intuitiven Kategorien besitzt. Stattdessen habe sie dann versucht, eine rationalisierte Meinung zum Thema mitzuteilen, und sei als arrogant abgetan worden. Die Menschen hatten sich provoziert gefuhlt, und sie hatte diese Provokation weder beabsichtigt, noch verstanden (vgl. ebd.: S. 93 f.).
Hohlriegel hatte sich sehr verbindliche und gut strukturierte Zeit- und Ablaufplane fur ihre Tatigkeiten gewunscht. Es gab auf ihrer Station viele Unsicherheiten, wodurch Entscheidungen vertagt wurden, und von denen sie mangels besseren Wissens dachte, dass sie an ihrem eigenen Unvermogen lagen (vgl. ebd.: S. 95).
Als sie ihre Diagnose auf der Arbeit bekanntgab, verschlimmerten sich die Dinge weiter. Sie wurde nicht mehr an ihrer mittlerweile facharztlichen Leistung gemessen, sondern bekam plotzlich Tatigkeiten zugetragen, die sonst Berufsanfangern vorbehalten waren. Da sich mit den Tatigkeiten auch die Rahmenbedingungen wieder anderten, und zwar zum Schlechten fur Hohlriegel, fiel ihr der neue Arbeitsalltag sehr schwer und sie wurde schlietelich nach Hause geschickt. Ihr seien diese Aufgaben nicht mehr zugetraut worden, und niemand habe verstanden, dass die Schwierigkeit in der Umstellung und gerade in der Wegnahme des fachlichen Inhalts lag (vgl. ebd.: S. 97).
Hohlriegel betont, dass eine Schnittstelle der Kommunikation zwischen Autisten und Nicht-Autisten wichtig ist, damit autistischen Arbeitnehmern die Rahmenbedingungen geschaffen werden konnen, die sie benotigen, um sich auf das Fach zu konzentrieren (vgl. ebd.: S. 97 f.).
Dieser Erfahrungsbericht gibt im Allgemeinen wieder, was in Kap. 3.1.1 - 3.1.3 erarbeitetwurde. Die Erkenntnisse sollen sollen in die Methodik mit einflieteen.
3.2 SAP Autism At Work
Das IT-Unternehmen SAP hat mit seinem Projekt “Autism at Work” ein Programm zur Einstellung und Forderung autistischer Mitarbeiter ins Leben gerufen.
Das Programm enstand aus einem Bedurfnis nach qualifizierten Arbeitskraften heraus. Auf diese Weise konnte sich SAP einen bisher schlecht erschlossenen Markt sichern (vgl. https://blogs.sap.com/2016/04/21/sap-autism-at-work-summit-day-l- we-want-you-we-need-your-skills-and-your-magic/). Seit dem Start 2013 ist es erklartes Ziel von SAP, 1% seiner weltweiten Arbeitsplatze mit Autisten zu besetzen. Das Projekt Autism at Work ist letztlich Teil eines groteeren Programms, das die Diversitat im Unternehmen durch gezieltes Einstellen von z.B. Frauen und Berufsanfangern erweitern soil - SAP verspricht sich hiervon eine Steigerung von „Wachstum, Innovation und Erfolg" (s. https://blogs.sap.com/2016/04/21/saps- autism-at-work-summit-day-2-advocating-collaboration-innovation-inclusion/J. SAP bietet als IT-Unternehmen ein berufliches Fachgebiet, in dem sich viele Autisten aufgrund klarer Strukturen und vorhersehbarer Ergebnisse sehr wohl fuhlen und besonders produktiv sind (https://news.sap.com/germany/2018/03/autismus- inklusion/) (vgl. Kap. 3.1.1.).
Schon im Bewerbungsverfahren wird auf autistische Bedurfnisse Rucksicht genommen. Der Verlauf des Bewerbungsgespraches ist dem Bewerber von vornherein bekannt, sodass die Nervositat moglichst gering bleibt (vgl. https://news.sap.com/germany/2018/03/autismus-inklusion/) (vgl. Kap. 2.1.1). Im Verfahren werden individuelle Starken und Merkmale des Bewerbers festgestellt (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=H5Pz_GltS6Q). Auf der anderen Seite wird die Motivation des Bewerbers gezielt untersucht und eine Atmosphare der Transparenz etabliert, die offene Kommunikation von Problemen oder Bedurfnissen beinhaltet. Der Bewerber wird als solcher aufgenommen und kann, ausgehend von seinen individuellen Fahigkeiten, gezielt von Fuhrungskraften im Unternehmen ubernommen werden (https://news.sap.com/germany/2018/03/autismus-inklusion/).
Der neue autistische Mitarbeiter wird behutsam in sein Arbeitsumfeld eingefuhrt. Es finden Teamtrainings statt, in denen Feedback ausgetauscht und auf eventuelle Probleme gezielt eingegangen wird. Ziel ist hierbei, fur den Angestellten ein Arbeitsverhaltnis zu schaffen, indem er sich nicht verstellen muss, sondern sich frei ausleben kann. Zur Unterstutzung am Arbeitsplatz existiert fur jeden autistischen Mitarbeiter ein sogenannter Support Circle, der sich aus einem Buddy (einem Ansprechpartner fur betriebsinterne Angelegenheiten), einem Mentor (einem Manager, der sich mit autistischen Bedurfnissen auskennt und Unterstutzung anbieten kann), sowie weiteren, nicht naher definierten Anlaufstellen im Unternehmen zusammensetzt (vgl. https://news.sap.com/germany/2018/03/autismus-inklusion/) (vgl. Kap. 3.1.3). Nach Meghan McCarthy ist es die Aufgabe des Unternehmens, den autistischen Angestellten kennenzulernen, seine Starken zu identifizieren und fur ihn ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem er „glanzen" kann (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=H5Pz_GltS6Q). Das Programm wird von den betreffenden Arbeitnehmern sehr positiv aufgenommen. Mark Jessen, IT Technology Consultant, spricht davon, dass sein Leben sich durch das unterstutzende und respektvolle Umfeld sowie eine Aufgabe, in der er gut ist, verandert hat und dass sich die Investition auch fur das Unternehmen auszahlt (https://www.youtube.com/watch?v=lzSCcCpCtdQ) (vgl. Kap. 3.1.3).
[...]
- Citar trabajo
- Nadine Kromat (Autor), 2021, Chancen und Schwierigkeiten weiblicher High-Functioning-Autisten im Arbeitsumfeld der Kindertagesstätte mit Kindern von 3 bis 6 Jahren, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1159404
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