Diese Masterarbeit befasst sich mit der Bedeutung der Bindung in der stationären Kinder- und Jugendhilfe, und untersucht wie sich eine professionelle Beziehung zwischen BetreuerInnen und Kindern und Jugendlichen gestalten kann.
Da fremduntergebrachte Kinder und Jugendliche mit dem Verlust ihrer wichtigsten Bindungspersonen zu kämpfen haben, stellt die Beziehungsarbeit eine wichtige Aufgabe in der Arbeit mit fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen dar.
Ziel dieser Arbeit ist es herauszufinden, was Beziehungsarbeit in stationären Einrichtungen mit fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen bedeutet. Im Mittelpunkt der Erhebung stehen die Erfahrungen und subjektiven Sichtweisen der befragten BetreuerInnen. Hierzu wird unter anderem auf die Voraussetzungen, die für eine professionelle Beziehungsgestaltung nötig sind und die möglichen Herausforderungen eingegangen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Theoretischer Hintergrund
1. Stationäre Kinder- und Jugendhilfe
1.1 Rechtliche Grundlagen der stationären Kinder- und Jugendhilfe
1.1.1 Grundsätzliche Aufgaben und Leistungen der Länder
1.1.2 Aufgaben des Bundes
1.1.3 Gefährdungsabklärung
1.2 Stationäre Kinder- und Jugendhilfe
1.3 Gründe für eine Fremdunterbringung
1.4 Formen der Fremdunterbringung
1.5 Ziele der Fremdunterbringung
2. Grundlagen der Bindungstheorie
2.1 Begriffsbestimmung Bindung
2.2 Bindungsentwicklung
2.3 Bedeutung einer sicheren Bindung (Bindungsqualitäten)
2.4 Bindungsstörungen
2.5 Sichere Bindung in stationären Einrichtungen
3. Beziehungsgestaltung in der stationären Kinder- und Jugendhilfe
3.1 Die professionelle Beziehung
3.1.1 Vertrauen
3.1.2 Die Balance zwischen Nähe und Distanz
3.1.2.1 Nähe und Distanz im pädagogischen Arbeitsfeld
3.1.2.2 Nähe und Distanz in stationären Einrichtungen
3.2 Die stationäre Kinder- und Jugendhilfe als sicherer Ort
3.4 Professionelle Haltungen
3.4.1 Die Annahme des guten Grundes
3.4.2 Wertschätzung
3.4.3 Partizipation
3.4.4 Transparenz und Berechenbarkeit
3.4.5 Bedürfnis- und Ressourcenorientierung
3.4.6 Freude
3.4.7 Haltung der (Selbst-)reflexion
3.4.8 Beziehungsorientierung
3.4.8.1 Korrigierende Beziehungserfahrungen
3.5 Kompetenzen für den Beziehungsaufbau
4. Chancen und Grenzen in der Beziehungsgestaltung
4.1 Loyalitätskonflikte
4.2 Schichtdienst
4.3 Bezugsbetreuersystem
4.4. Aggressive Verhaltensweisen und Grenzverletzungen
4.5 Elternarbeit
4.6 Systemsprenger
II Empirischer Teil
5. Empirische Untersuchung
5.1 Ziele und Fragestellungen
5.2 Forschungsmethode
5.2.1 Qualitatives Interview
5.2.2 Halbstandardisiertes Leitfadeninterview
5.2.3 ExpertInneninterview
5.4 Erhebungsinstrument
5.5 Stichprobe
5.6 Durchführung der Erhebung
5.7 Transkription
5.8 Qualitative Inhaltsanalyse
6. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
6.1 Beziehung zwischen BetreuerInnen und Kindern und Jugendlichen
6.2 Professionelle pädagogische Beziehung
6.3 Nähe und Distanz
6.4 Professionelle Grundhaltungen
6.5 Kompetenzen
6.6 Gelingende Beziehung und Aufbau einer positiven Beziehung
6.7 Korrigierende Beziehungserfahrungen
6.8 Respekt & Sichere Beziehung
6.9 Einfluss negativer Beziehungserfahrungen
6.10 Förderliche Rahmenbedingungen
6.11 Hinderliche Rahmenbedingungen
6.12 Unterschied Beziehungsqualität BetreuerIn im Vergleich zu familiären Bindungspersonen
6.13 Familienähnliche Strukturen
6.14 Herausforderungen
6.15 Persönliche Grenzen
6.16 Chancen
6.17 Covid-19 Pandemie
7. Zusammenfassung der Ergebnisse und Diskussionen
8. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anhang
Interviewleitfaden
Danksagung
Zuerst möchten wir uns bei Frau Univ.-Prof.in Dr.inphil. Natalia Wächter für die hilfreichen Inputs im Zuge der Masterseminare, sowie für die fachliche und persönliche Unterstützung dieser Masterarbeit bedanken.
Bedanken möchten wir uns auch bei unseren InterviewpartnerInnen, die uns ihre Zeit zur Verfügung gestellt und ihre Erfahrungen mit uns geteilt haben. Ohne ihre Mithilfe wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.
Großer Dank gilt auch allen Personen, die unsere Masterarbeit Korrektur gelesen und hierfür viel Zeit und Mühe investiert haben.
Danksagung von Jacqueline Ammer
Mein größter Dank gilt meinen Eltern, die mir nicht nur das Studium und mein Leben in Graz durch ihre Unterstützung ermöglicht haben, sondern die immer an mich geglaubt und mich in meinem Handeln bestärkt haben.
Weiters möchte ich mich auch bei meiner restlichen Familie und allen meinen FreundInnen bedanken, die mich über die ganze Studienzeit hinweg begleitet und unterstützt haben.
Zusammenfassung
Die vorliegende Masterarbeit befasst sich mit der Bedeutung der Bindung in der stationären Kinder- und Jugendhilfe, und untersucht wie sich eine professionelle Beziehung zwischen BetreuerInnen und Kindern und Jugendlichen gestalten kann. Da fremduntergebrachte Kinder und Jugendliche mit dem Verlust ihrer wichtigsten Bindungspersonen zu kämpfen haben, stellt die Beziehungsarbeit eine wichtige Aufgabe in der Arbeit mit fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen dar. Ziel dieser Arbeit ist es herauszufinden, was Beziehungsarbeit in stationären Einrichtungen mit fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen bedeutet. Im Mittelpunkt der Erhebung stehen die Erfahrungen und subjektiven Sichtweisen der befragten BetreuerInnen. Hierzu wird unter anderem auf die Voraussetzungen, die für eine professionelle Beziehungsgestaltung nötig sind und die möglichen Herausforderungen eingegangen. Mithilfe leitfadengestützter ExpertInneninterviews wurden 13 BetreuerInnen in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe befragt. Diese wurden im Anschluss mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Anhand der empirischen Erhebung wurde deutlich, dass Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen eine komplexe Tätigkeit für BetreuerInnen darstellt, diese mit einigen Chancen und Herausforderungen verbunden ist.
Abstract
This master's thesis is about the importance of attachment in inpatient child and adolescent care and how a professional relationship between caregivers and children or adolescents can be formed. Since children and adolescents in out-of-home care have to cope with the loss of their most important attachment figures, relationship work is an important part of working with children and adolescents in out-of-home care. The aim of this thesis is to find out what relationship work means in institutional settings with out-of-home children and adolescents. The research focused on the experiences and subjective perceptions of the interviewed caregivers. For this purpose, the requirements that are necessary for building professional relationships and the possible difficulties will be discussed. During semi-structured expert interviews, 13 caregivers in inpatient institutions of child and adolescent care were interviewed. These interviews were analysed using qualitative content analysis according to Mayring. Based on the empirical survey it became clear that relationship work with children and adolescents in out-of-home care is a complex task for caregivers, which is associated with several opportunities and challenges.
Einleitung
Im Jahr 2019 wurden in Österreich insgesamt 12.785 Kinder und Jugendliche im Rahmen der Vollen Erziehung betreut. Volle Erziehung bedeutet, dass im Fall einer Kindeswohlgefährdung der Verbleib in der familiären Umgebung nicht mehr möglich ist und die Gefährdung nur durch Betreuung außerhalb der Familie oder des sonstigen bisherigen Wohnumfeldes abgewendet werden kann. Die Betreuung erfolgt in der Regel durch nahe Angehörige, Pflegepersonen oder sozialpädagogische Einrichtungen (BMAFJ, 2020, S. 19f.). Von den voll betreuten Kindern und Jugendlichen lebt der Großteil (60,1%) in sozialpädagogischen Einrichtungen. Der kleinere Teil (39,9%) sind Pflegekinder. Bei Pflegekindern handelt es sich um Kinder und Jugendliche, „die von anderen als den Eltern oder sonstigen mit Pflege und Erziehung betrauten Personen nicht nur vorübergehend gepflegt und erzogen werden“ (BMAFJ, 2020, S. 24f.). Das sind 7800 Kinder und Jugendliche in Österreich, die aus unterschiedlichen Gründen zumindest zeitweise nicht in ihrer Herkunftsfamilie leben können und in einer sozialpädagogischen Einrichtung auf pädagogische Fachkräfte treffen, die zu großen Teilen die Erziehungs- und auch Beziehungsarbeit übernehmen.
Diese Kinder haben mit dem Verlust ihrer wichtigsten Bindungspersonen, den Eltern, zu kämpfen und müssen die Trennung von ihnen verarbeiten. Schließlich ist das Eingehen von Bindungen ein Grundbedürfnis des Menschen und dient dem Schutz und der Sicherheit (Bowlby, 2015, S. 20f.). Die Bereitstellung von Bindungsbeziehungen ist eigentlich Aufgabe der Familie (Schleiffer, 2014, S. 82). Diese sollte ihrem Kind durch feinfühliges Verhalten eine sichere Basis bieten, damit sich daraus im weiteren Verlauf des Aufwachsens sichere Bindungsrepräsentationen entwickeln können (Bowlby, 2018, S. 9f.). Das Bedürfnis nach Nähe, Liebe und Sicherheit sowie der Wunsch nach dauerhaften Beziehungen machen deutlich, wie wichtig Beziehungsarbeit in der stationären Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist (Schleiffer, 2014, S. 15). Für gewöhnlich ist die Bindung der Kinder zu ihren Eltern am größten und sichersten, da meist diese die Bezugspersonen sind, mit denen sie vom ersten Lebenstag an interagieren und die jederzeit für sie da sind (Bowlby, 2006, S.292). Bowlby (2016) beschreibt auch, dass sogar eine Mutter, die ihr Kind vernachlässigt, viel für ihr Kind tut. Abgesehen von Fällen der Kindeswohlgefährdung, gibt sie ihrem Kind Nahrung, ein Dach über dem Kopf, tröstet es und stellt ihm eine Form der Fürsorge bereit, wodurch sich das Kind geborgen fühlt. (Bowlby 2016, S. 66).
„Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel” (Goethe, zitiert nach Lengning & Lüpschen, 2012, S. 7). Dieses Zitat von Goethe lässt sich gut mit den zentralen Aussagen von Bowlby´s Bindungstheorie verbinden. Für eine gesunde Entwicklung brauchen Kinder verlässliche Bezugspersonen, die ihnen ein sicheres Fundament von Schutz und Sicherheit bilden (Wurzeln). Kinder sollen sich sicher fühlen und den Mut aufbringen, ihre Umwelt zu erkunden (Flügel) (Lening & Lüpschen, 2012, S. 7). In den Jahren der Säuglingszeit, der Kindheit und der Adoleszenz sind Bindungsbeziehungen für Menschen unabkömmlich und überlebenswichtig. Kinder und Jugendliche sind auf eine soziale Einbindung angewiesen. Bindungsbeziehungen bringen eine Schutzfunktion mit sich. Sichere Bindungen, die dem Menschen gut tun, bleiben bis in das Erwachsenenalter bestehen. Im Laufe der Jahre kommen auch immer wieder neue Bindungen hinzu, wie zum Beispiel zu Peers oder Lebenspartnern (Grossmann & Grossmann, 2017, S. 40).
Das Bindungssystem, über das wir Menschen verfügen, stellt gleichzeitig auch ein Motivationssystem dar, welches wiederum mit anderen Motivationssystemen kommuniziert. Eine Bindung kann daher unterschiedliche Qualitäten aufweisen. Unterschieden wird hier zwischen der sicheren Bindung und mehreren Arten der unsicheren Bindung (Bowlby 2016, S. 7f.).
Die Familie ist ein Ort, an dem man sich geborgen fühlt und unterstützt wird. Das Bereitstellen von Bindungsbeziehungen macht es zu etwas Besonderem (Schleiffer, 2014, S. 82). Was passiert aber, wenn genau von dieser kein Schutz und keine Sicherheit, sondern sogar Gefahren ausgehen?
In solchen Fällen kommt die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe zum Einsatz. Diese unterstützt und schützt Kinder und Jugendliche, die dies nicht von ihrer Familie erfahren können. Ambulante Angebote der Kinder- und Jugendhilfe werden den stationären Angeboten aber meist vorgezogen (Höfer, 2010, S. 138f.). Trotzdem sind die Angebote der stationären Kinder- und Jugendhilfe, wie die Heimerziehung nach §34 Achtes Sozialgesetzbuch (SGB Ⅷ) unumgänglich (Bürger, 2007, S. 45).
Ziel dieser Arbeit ist es, folgende Forschungsfrage zu beantworten:
„Welche Chancen und Grenzen ergeben sich in der Beziehungsgestaltung zwischen BetreuerInnen und Kindern und Jugendlichen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe?”
Zusätzlich beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit folgenden Unterfragen:
- Was bedeutet Beziehungsarbeit in stationären Einrichtungen?
- Was wird unter professioneller Beziehungsgestaltung verstanden?
- Über welche Grundhaltungen und Kompetenzen sollten PädagogInnen verfügen, um eine positive Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen aufzubauen?
- Vor welchen Herausforderungen stehen PädagogInnen in Bezug auf den Beziehungsaufbau?
- Welche Unterschiede gibt es in der Beziehungsqualität zu pädagogischen Fachkräften im Vergleich zu familiären Bindungspersonen aus Sicht der BetreuerInnen?
- Wie haben sich die Beziehungen in Zeiten der Covid-19 Pandemie in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe verändert?
Um diese Fragen zu beantworten, gliedert sich diese Arbeit in zwei Abschnitte, in einen theoretischen und einen empirischen Teil. Die theoretischen Grundlagen werden in den ersten vier Kapiteln beschrieben, welche die Grundlage für die darauffolgende empirische Erhebung bilden. Im Fokus des ersten Kapitels steht die stationäre Kinder- und Jugendhilfe. Einführend werden die rechtlichen Grundlagen und der Begriff der stationären Kinder- und Jugendhilfe erklärt. In weiteren Schritten wird näher auf die Gründe und Formen einer Fremdunterbringung eingegangen. Abschließend werden noch die Ziele einer Fremdunterbringung beschrieben. Weiterführend werden im zweiten Kapitel die Grundannahmen der Bindungstheorie nach Bowlby geschildert.
Im Anschluss wird im dritten Kapitel auf die professionelle Beziehungsgestaltung in der Fremdunterbringung eingegangen. Dafür wird unter anderem die Balance zwischen Nähe und Distanz erläutert. Zusätzlich bezieht sich dieses Kapitel auf die nötigen Grundhaltungen und Kompetenzen, um eine positive Beziehung zu den fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen aufzubauen.
Das vierte und letzte Kapitel des theoretischen Teils befasst sich mit dem Aspekt der Chancen und Grenzen der professionellen Beziehungsgestaltung.
Das fünfte Kapitel widmet sich dem empirischen Teil dieser Masterarbeit. Dieses beschreibt zunächst die Ziele und Fragestellungen. Weiterführend wird die qualitative Forschungsmethode, das leitfadengestützte ExpertInneninterview beschrieben. Zusätzlich wird noch auf das Erhebungsinstrument, die Stichprobe, die Durchführung der Erhebung und die Auswertungsmethode eingegangen.
Im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse der empirischen Erhebung dargestellt und interpretiert. Anschließend werden im siebten Kapitel die Forschungsfragen, die sich durch die Verbindung der Theorie und der Forschungsergebnisse ergeben, zusammenfassend beantwortet. Abschließend bildet das Fazit den inhaltlichen Abschluss dieser Masterarbeit.
I. Theoretischer Hintergrund
1. Stationäre Kinder- und Jugendhilfe
Im Fokus des ersten Kapitels steht die stationäre Kinder- und Jugendhilfe. Zu Beginn sollen die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten und der Begriff der stationären Kinder- und Jugendhilfe erläutert werden. In weiteren Schritten wird näher auf die Gründe und Formen einer Fremdunterbringung eingegangen. Abschließend werden noch die Aufgaben und Ziele einer Fremdunterbringung beschrieben. Grundlegend kann gesagt werden, dass das primäre Ziel einer Fremdunterbringung die Rückführung in die Herkunftsfamilie ist, sofern dies möglich ist (Freigang & Wolf, 2001, S. 21).
Wird die Kinder- und Jugendhilfe ganzheitlich betrachtet, werden Leistungen aller öffentlichen und privaten Kinder- und Jugendhilfeträger umfasst. Die Förderung der Kinder und Jugendlichen in ihrer Entwicklung und Erziehung zu eigenverantwortlichen und sozialen Individuen ist ein wichtiger Aspekt. Darüber hinaus sollen Kinder und Jugendliche vor allen Formen der Gewalt geschützt werden und die Erziehungskompetenz der Familien gestärkt werden (BMAFJ, 2020).
1.1 Rechtliche Grundlagen der stationären Kinder- und Jugendhilfe
Als Basis für stationäre Fremdunterbringungen von Kindern und Jugendlichen in Österreich gelten die gesetzlich verankerten Richtlinien des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes aus dem Jahr 2020. Dieses zielt darauf ab, bei Gefährdung des Kindeswohls individuelle Maßnahmen im Rahmen der festgesetzten Hilfeleistungen einzuleiten.
Das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz wurde vom österreichischen Nationalrat erneuert und trat mit 1.1.2020 in Kraft. Die Zielführung basiert darauf, Kindern und Jugendlichen mehr Sicherheit zu bieten und Standards der Arbeit mit Familien einheitlicher zu gestalten (BMAFJ, 2020).
Die Gesetzgebungskompetenz für die Angelegenheiten der Kinder- und Jugendhilfe wurde vollständig den Ländern übertragen. Davor wurden die Grundsätze der Kinder- und Jugendhilfe im Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz (B-KJHG 2013) vom Bund im Rahmen seiner Grundsatzgesetzgebungskompetenz geregelt und die Ausführung von den Ländern konkretisiert.
Seit 1.1.2020 gilt ebenfalls die Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG über die Kinder- und Jugendhilfe. In dieser verpflichten sich Bund und Länder, das bisherige Schutzniveau im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln.
Während der 1. Teil des B-KJHG 2013, der die Grundsatzbestimmungen regelt, mit 1.1.2020 außer Kraft getreten ist, bleibt der 2. Teil des B-KJHG 2013 unverändert. Der 2. Teil regelt das unmittelbar anzuwendende Bundesrech t wie z. B. Mitteilungspflichten, Amtshilfe und die Mitfinanzierung des Bundes bei Forschung und Statistik.
Die direkten Leistungen und Beratungen der Kinder- und Jugendhilfe werden von Dienststellen in den Bezirken und Städten mit deren Jugendämtern vollzogen. Es werden aber auch Dienste von anerkannten privaten Einrichtungen angeboten (BMAFJ, 2020).
1.1.1 Grundsätzliche Aufgaben und Leistungen der Länder
Die Länder verpflichten sich, die im 1. Teil des B-KJHG 2013, festgelegten Instrumente, Mindeststandards und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen ihrer Gesetzgebung und Vollziehung umzusetzen (RIS, 2020).
Für die Länder sind somit im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJH-G) nachstehende Grundsätze gesetzlich verankert:
- „Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung; sie sind vor Gewalt und anderen Formen der Gefährdung ihres Wohls zu schützen.
- Die Förderung und der Schutz sind in erster Linie die Pflicht und das Recht der Eltern oder der sonst mit der Pflege und Erziehung betrauten Personen.
- Die Kinder- und Jugendhilfe unterstützt die Eltern und die sonst mit der Pflege und Erziehung betrauten Personen in ihrer Verantwortung; in jenen Fällen, in denen eine angemessene Pflege und Erziehung nicht gewährleistet ist, hat die Kinder- und Jugendhilfe für die entsprechende Förderung und den Schutz der Kinder und Jugendlichen zu sorgen" (§ 1 KJH-G).
Die Kinder- und Jugendhilfe verfolgt zusätzlich zu diesen Grundsätzen in Hinblick auf die Gewährleistung des Kindeswohls und die förderliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen außerdem auch die Ziele:
- „Bildung eines allgemeinen Bewusstseins für Grundsätze und Methoden förderlicher Pflege und Erziehung;
- Stärkung der Erziehungskraft der Familien und Förderung des Bewusstseins der Eltern für ihre Aufgaben;
- Schutz von Kindern und Jugendlichen vor allen Formen von Gewalt und anderen Kindeswohlgefährdungen hinsichtlich Pflege und Erziehung“ (§ 2 KJH-G).
1.1.2 Aufgaben des Bundes
Der Bund verpflichtet sich unter anderem, die in § 37 Mitteilungen bei Verdacht der Kindeswohlgefährdung, § 38 Amtshilfe, § 39 Mitteilungen zur Ermittlung von Einkommensverhältnissen, § 40 Datenverarbeitung, § 42 Vereinbarungen mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger und § 43 Gerichtliches Verfahren zur Festlegung des Kostenersatzes B-KJHG 2013 enthaltenen Bestimmungen bundesgesetzlich zu regeln.
Darüber hinaus muss der Bund bei der Erstellung und Veröffentlichung einer bundesweiten Statistik der Kinder- und Jugendhilfe mitwirken, Kinderschutzforschung in Verbindung mit dem Gesundheitsbereich betreiben sowie weiterhin seinen Berichtspflichten gegenüber internationalen Gremien nachkommen (RIS, 2020).
1.1.3 Gefährdungsabklärung
Eine der zentralen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe ist die Gefährdungsabklärung. Besteht ein konkreter Verdacht der Gefährdung des Kindeswohls, muss diese eine Gefährdungsabklärung zum Wohle der minderjährigen Personen durchführen und gegebenenfalls auf eine Gefährdung mit Erziehungshilfen oder einer Fremdunterbringung reagieren (Pantuček-Eisenbacher, 2015, S. 31).
Bei einer Gefährdungsabklärung werden jene Sachverhalte erfasst, die zur Beurteilung des Gefährdungsverdachtes wesentlich sind und eingeschätzt, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Die Abklärung der Lebenssituation erfolgt in einer strukturierten Vorgehensweise, die fachliche Standards beachtet und die Art der zu erwartenden Gefährdung berücksichtigt. Als Erkenntnisquellen werden Gespräche mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen, deren Eltern oder sonst mit Pflege und Erziehung betraute Personen herangezogen. Hinzu kommen auch Besuche des Wohnortes der Kinder und Jugendlichen, Stellungnahmen und Gutachten von Fachleuten sowie die schriftlichen Gefährdungsmitteilungen (FICE Austria, 2019, S. 50 f.).
Sofern aufgrund einer offiziellen oder anonymen Gefährdungsmeldung an den Kinder- und Jugendhilfeträger eine Abklärung stattgefunden hat und sich ein Bedarf einer Erziehungshilfe ergeben hat, wird individuell ein Hilfeplan erstellt und schriftlich festgehalten (Pantuček-Eisenbacher, 2015, S. 31). Die Hilfeplanung zielt auf die „Gewährleistung der angemessenen sozialen, psychischen und körperlichen Entwicklung und Ausbildung der betroffenen Kinder und Jugendlichen” ab (FICE Austria, 2019, S. 51). Dabei ist darauf zu achten, möglichst wenig in familiäre Verhältnisse einzugreifen. Kinder, Jugendliche, Eltern oder sonst erziehungsberechtigte Personen sind vor der Entscheidung über die Gewährung von Erziehungshilfen sowie bei jeder Änderung dieser zu informieren. Ebenfalls müssen sie auf die möglichen Folgen für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hingewiesen werden (ebd., S. 51). Zu den Erziehungshilfen zählen zum einen die Unterstützung der Erziehung und zum anderen die volle Erziehung. Erziehungshilfen können im Einzelfall entweder aufgrund einer Vereinbarung, einer gerichtlichen Verfügung oder bei Gefahr im Verzug gewährt werden (§ 24 StKJH).
Damit erfüllt die Kinder- und Jugendhilfe eine wesentliche Funktion zum Schutz der Rechte von Kindern und Jugendlichen. Kann das Einvernehmen mit den Eltern nicht hergestellt werden, entscheidet das Gericht. Die Macht der behördlichen Kinder- und Jugendhilfe ist damit einer Begrenzung und Kontrolle unterworfen (Pantuček-Eisenbacher, 2015, S. 31).
Um den recht vagen Begriff des Kindeswohles zu konkretisieren, wurden Faktoren definiert, die bei der Einschätzung von möglichen Kindeswohlgefährdungen zu berücksichtigen sind. Zu den Kriterien der Beurteilung gehören:
1. „eine angemessene Versorgung, insbesondere mit Nahrung, medizinischer und sanitärer Betreuung und Wohnraum, sowie eine sorgfältige Erziehung des Kindes;
2. die Fürsorge, Geborgenheit und der Schutz der körperlichen und seelischen Integrität des Kindes;
3. die Wertschätzung und Akzeptanz des Kindes durch die Eltern;
4. die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes;
5. die Berücksichtigung der Meinung des Kindes in Abhängigkeit von dessen Verständnis und der Fähigkeit zur Meinungsbildung;
6. die Vermeidung der Beeinträchtigung, die das Kind durch die Um- und Durchsetzung einer Maßnahme gegen seinen Willen erleiden könnte;
7. die Vermeidung der Gefahr für das Kind, Übergriffe oder Gewalt selbst zu erleiden oder an wichtigen Bezugspersonen mitzuerleben;
8. die Vermeidung der Gefahr für das Kind, rechtswidrig verbracht oder zurückgehalten zu werden oder sonst zu Schaden zu kommen;
9. verlässliche Kontakte des Kindes zu beiden Elternteilen und wichtigen Bezugspersonen sowie sichere Bindungen des Kindes zu diesen Personen;
10. die Vermeidung von Loyalitätskonflikten und Schuldgefühlen des Kindes;
11. die Wahrung der Rechte, Ansprüche und Interessen des Kindes sowie
12. die Lebensverhältnisse des Kindes, seiner Eltern und seiner sonstigen Umgebung.“ (Pantuček-Eisenbacher, 2015, S. 31 f.).
Im Jahr 2019 wurden insgesamt 39.704 Gefährdungsabklärungen in Österreich im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe neu eingeleitet (siehe Tabelle 1). Die Anzahl der Gefährdungsabklärungen ist damit gegenüber dem Vorjahr um 3,5% gestiegen (Bilgili, 2020, S. 34).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1 : Anzahl der eingeleiteten Gefährdungsabklärungen im Jahr 2019 und Veränderung 2018/2019 (Biligili, 2020, S. 35)
1.2 Stationäre Kinder- und Jugendhilfe
Zur stationären Kinder- und Jugendhilfe zählen unter anderem Kinderdörfer, sozialpädagogische Einrichtungen, Heime und Pflegefamilien, in welchen Kinder und Jugendliche fremduntergebracht werden können (DÖJ, o.J., S. 5). Unter Fremdunterbringung wird „die Unterbringung, Versorgung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen außerhalb der eigenen Familie“ verstanden (Birtsch, 2017, S. 332). Diese bietet Hilfe bei Erziehungsproblemen und Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung und ermöglicht einen neuen Lebensort. Zudem bietet eine Fremdunterbringung älteren Jugendlichen und jungen Volljährigen eine Begleitung in die Selbständigkeit (ebd., S. 332). Sind Eltern oder erziehungsberechtigte Personen nicht in der Lage, sich in geeigneter Weise um ihre Kinder und Jugendlichen zu kümmern und auch in Fällen, in denen eine mögliche Kindeswohlgefährdung vorliegt, stellt die Kinder- und Jugendhilfe den notwendigen Schutz hinsichtlich Pflege und Erziehung bereit (Das Land Steiermark). Diese Übernahme der „Vollen Erziehung“ ist demnach eine Maßnahme der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe und wird von den Jugendämtern bzw. den Familiengerichten bestimmt (DÖJ, o.J., S. 5). Eine Fremdunterbringung wird als letzte Instanz der Kinder- und Jugendhilfe gesehen, wenn andere Hilfsmaßnahmen nicht ausreichend sind (Birtsch, 2017, S. 333). Zuweisungskriterien für eine stationäre Fremdunterbringung sind unter anderem:
- „Gefährdung des Kindeswohls umfasst Formen riskanter Lebensbedingungen, die eine Gefahr der Desintegration nach sich ziehen bzw. eine gelungene Entwicklung gefährden und die Entfaltung lebensbewältigender Handlungsfähigkeit nicht erwarten lassen;
- Entwicklungsverzögerungen und Förderdefizite;
- Verhaltensauffälligkeiten (nicht altersgemäßes, sozial unreifes Verhalten, Aggressivität und dergleichen);
- Verwahrlosungssyndrom;
- schwere emotionale Vernachlässigung;
- Folgeprobleme aus Beziehungsabbrüchen“ (StKJHG-DVO, o.J., S. 2).
Im Jahr 2019 wurden in Österreich insgesamt 12.785 Kinder und Jugendliche im Rahmen der Vollen Erziehung betreut. Es wurden in allen Bundesländern mehr Buben als Mädchen unterstützt. In Summe lag das Verhältnis bei 53,6% zu 46,4% (Bilgili, 2020, S. 20).
43,4% der Kinder und Jugendlichen waren 6 bis 13 Jahre alt; ein ähnlich hoher Anteil (41,2%) entfiel auf die Gruppe der 14- bis unter 18-jährigen, während die jüngste Altersgruppe (0 bis 6 Jahre) bei 15,4% lag (Bilgili, 2020, S. 23).
Von den fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen lebte der Großteil (60,1%) in sozialpädagogischen Einrichtungen und 39,9% waren Pflegekinder. Diese Kinder und Jugendliche werden „von anderen als den Eltern oder sonstigen mit Pflege und Erziehung betrauten Personen nicht nur vorübergehend gepflegt und erzogen“ (Bilgili, 2020, S. 24 f.). Die folgende Tabelle dient zur Veranschaulichung der fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen in sozialpädagogischen Einrichtungen in Österreich im Jahr 2019.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2 : Betreute Kinder und Jugendliche im Rahmen der Vollen Erziehung in sozialpädagogischen Einrichtungen und bei Pflegepersonen im Jahr 2019 (Bilgili, 2020, S. 25)
Laut § 25 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes sind sozialpädagogische Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe „Einrichtungen, die zur Ausübung der Pflege und Erziehung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der vollen Erziehung bestimmt sind“ (KJH-G § 25).
In diesen sozialpädagogischen Einrichtungen wird den fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen ein möglichst familiärer Lebensraum geboten. Ebenso werden die individuellen, entwicklungsbedingten, emotionalen, körperlichen und sozialen Bedürfnisse der dort lebenden Kinder und Jugendlichen gefördert. Der Aufbau einer emotionalen Stabilität sowie Beziehungsfähigkeit ist ein zentraler pädagogischer Grundsatz (Verwaltung Steiermark, o.J., S. 2).
1.3 Gründe für eine Fremdunterbringung
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Trennung der Kinder und Jugendlichen von ihren Eltern als letztmögliche Handlung seitens der Kinder- und Jugendhilfe durchgeführt wird (Birtsch, 2017, S. 333). Die Gründe für eine Fremdunterbringung können sehr vielfältig sein, wobei Hauptgründe für die Unterbringung eines Kindes jeweils in der unzureichenden Versorgung und Betreuung durch die Erziehungsberechtigten liegen (Kaufhold, Pothmann, & Schilling, 2016, S. 8).
Wienerroither (2008) nimmt Bezug auf die Judikatur und definiert verschiedene Arten der Kindeswohlgefährdung. Als erste Art wird die fehlende Erziehungskompetenz angeführt. Resultierend aus psychischen Problemen, Suchtkrankheiten oder einem kriminellen Lebenswandel haben die Eltern keine vernünftige Erziehungskompetenz (Wienerroither, 2008, S. 6).
Zur zweiten Form zählt die grobe Vernachlässigung der elterlichen Pflichten. Dies liegt vor, wenn weder die körperlichen noch psychischen Bedürfnisse der Kinder zufrieden gestellt sind, wobei auch die Verletzung der Aufsichts- und Erziehungspflicht zur groben Vernachlässigung zählt.
Gewalt sowie Formen von Missbrauch, beispielsweise sexueller Missbrauch, Misshandlung, körperliche Züchtigung sowie Gewaltanwendung zählen zum Missbrauch der Erziehungsrechte. In der Regel wird zwischen einem einmaligen Vergehen und wiederholten Gewalteinwirkungen und/oder Formen von Missbrauch unterschieden. Wenn davon ausgegangen werden kann, dass sich zumindest ein Elternteil regelmäßig an dem Kind vergeht, wird von einer Kindeswohlgefährdung gesprochen.
Die letzte Kategorie umfasst Bindungs- und Beziehungsprobleme. In der Judikatur wird in diesem Zusammenhang davon gesprochen, wenn das mündige Kind selbst den Wunsch äußert, wo anders leben zu wollen und die Erziehungsberechtigten ablehnt (Wienerroither, 2008, S. 6 f.).
Zudem gibt es familiäre Risikofaktoren, die eine Kindeswohlgefährdung begünstigen. Alle (2017) hat mögliche Risikofaktoren zusammengefasst, welche in die Kategorien „ökonomische Situation der Familien“, „soziale Situation der Familie“, „familiäre Situation“, „persönliche Faktoren der Eltern“ sowie „Faktoren beim Kind“ unterteilt sind. Zur ökonomischen Situation zählen Armut, Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, geringes Einkommen, Verschuldung oder Schwierigkeiten im Umgang mit Geld. Zur sozialen Situation zählen ein schwieriges Wohnumfeld, unzureichende Infrastruktur, Isolation, wenig Unterstützungsangebote im Umfeld oder ein schwieriger Zugang zu helfenden Institutionen. Die Kategorie der familiären Situation umfasst: Trennung oder Scheidung der Eltern, Alleinerziehung, fehlende Unterstützung von Großeltern, Verwandten und Freunden, Beziehungsstörungen, emotionale Spannungen innerhalb der Familie und häusliche Gewalt. Zu den persönlichen Faktoren der Eltern gehören: eigene Deprivationserfahrungen (Verlust) der Eltern, eigene Gewalterfahrungen, traumatische Erlebnisse in der Vergangenheit, unangemessener Erziehungsstil der eigenen Eltern, (Sucht-)erkrankungen, psychische Krankheit, unerwünschte Schwangerschaft und geringe Belastbarkeit der Eltern. Zur letzten Kategorie, der Faktoren beim Kind, zählen: Frühgeburt, Krankheit, geistige und körperliche Behinderung oder ein schwieriges Sozialverhalten des Kindes (Alle, 2017, S. 59 f.).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die eben erwähnten Faktoren eine Kindeswohlgefährdung begünstigen können und demnach eine stationäre Fremdunterbringung als letzte Möglichkeit meist unumgänglich ist (Schleiffer, 2014, S. 91 f.).
Mögliche Folgen einer Vernachlässigung oder Misshandlung hängen von dem Ausmaß, der Dauer der Misshandlung und wer die misshandelnde Person war, ab. Zusätzlich hängt es auch davon ab, über welche Schutz- und Risikofaktoren ein Kind verfügt (Schleiffer, 2014, S. 90). Vernachlässigungen und Misshandlungen können sich maßgeblich auf die körperliche und seelische Gesundheit eines Menschen auswirken (Schleiffer, 2014, S. 91).
Psychische Störungen, die auf wiederholte Misshandlungen zurückzuführen sind, werden oft als „komplexe posttraumatische Belastungsstörungen“ oder „Entwicklungstrauma“ diagnostiziert. Der Entstehung psychischer Störungen, wie Angst- und Suchtstörungen, Depressionen und Psychosen, liegen oft Misshandlungserlebnisse zugrunde (Schleiffer, 2014, S. 92). Misshandelte oder vernachlässigte Kinder, die fremduntergebracht werden, leiden häufig unter wiederholten oder sogar chronischen Traumatisierungen durch Personen aus dem familiären Umfeld (Schleiffer, 2014, S. 91). Diese können ein gestörtes Gefühlserleben, beeinträchtigte Affektregulation, verringerte Beziehungsfähigkeit, mangelndes Vertrauen zu anderen Personen, sozialen Rückzug sowie aggressives und dissoziales Verhalten aufzeigen (Schleiffer, 2014, S. 92 f.).
1.4 Formen der Fremdunterbringung
Im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe gibt es verschiedene Formen der Fremdunterbringung. Abhängig von den Bedürfnissen und der Ausgangslage wird eine der Unterbringungsmöglichkeiten bestimmt.
Rechtlich gesehen ist der Begriff Fremdunterbringung sehr vielfältig. Eine Fremdunterbringung umfasst die Unterbringung in Heimen, Pflegefamilien und in pädagogischen Betreuungseinrichtungen. Ziel aller ist es, den Kindern und Jugendlichen einen positiven Lebensort zur Verfügung zu stellen, wenn diese zeitweise oder auf Dauer nicht in ihrer Herkunftsfamilie leben können (Freigang & Wolf, 2001, S. 21). Das Land Steiermark unterteilt seine stationären Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in zwölf stationäre Leistungsangebote. Es ist von Bedeutung zu erwähnen, dass die stationären Angebote österreichweit von Bundesland zu Bundesland in ihrer Durchführung variieren können (Verwaltung Steiermark, o.J., S. 1).
Eine ausführliche Erläuterung aller Angebote würde den Rahmen dieser Masterarbeit überschreiten. Nachfolgend wird auf drei bekannte Fremdunterbringungsformen eingegangen.
- Kinder- und Jugendwohngruppe (WG-KIJU)
Eine Kinder- und Jugendwohngruppe ist eine Einrichtung für ungefähr 13 Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis fünfzehn Jahren, die Tag und Nacht von einem Fachpersonal betreut werden. Ausnahmen bezüglich des Alters eines Kindes oder Jugendlichen gibt es bei Geschwistergruppen.
Die Wohngruppe soll ihnen außerhalb der Herkunftsfamilie einen familienähnlichen Lebensraum bieten, indem ihre individuellen, emotionalen, sozialen, körperlichen und entwicklungsbedingten Bedürfnisse sichergestellt sind.
Ziel ist die soziale Wiedereingliederung, der Erwerb von Ressourcen für die Aufarbeitung von sozialen und emotionalen Defiziten sowie die Erarbeitung einer Zukunftsplanung und der Erwerb von Selbstständigkeit und –organisation.
Wenn die Möglichkeit besteht, wird an einer Rückführung in die Herkunftsfamilie gearbeitet (Verwaltung Steiermark, o.J., S. 2 ff.).
- Sozialpädagogische Wohngemeinschaft für Kinder und Jugendliche (WG-SPÄD)
Eine sozialpädagogische Wohngemeinschaft ist eine Einrichtung für ungefähr 9 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zehn und achtzehn Jahren, die rund um die Uhr von professionell ausgebildeten Personal betreut werden. Bei Bedarf kann in Ausnahmefällen der Aufenthalt bis zum 21. Lebensjahr verlängert werden.
Die Regeln und Routinen sind möglichst familienähnlich zu gestalten, um eine Selbstständigkeit oder eine Rückführung in die Herkunftsfamilie zu erreichen.
Primär wird in einer sozialpädagogischen WG das Ziel verfolgt, durch den Erwerb von Ressourcen Handlungskompetenzen zu vermitteln, die später ein selbstbestimmtes, autonomes Leben ermöglichen. Zudem soll durch ressourcenorientiertes Arbeiten in der neuen Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen optimal auf die individuellen, körperlichen, emotionalen und sozialen Bedürfnisse eingegangen werden, um emotionale und soziale Defizite aufzuarbeiten und auszugleichen (Verwaltung Steiermark, o.J., S. 7 ff.).
- Kriseninterventionsstelle/ Krisenunterbringung (KRISE)
Bei einer Kriseninterventionsstelle handelt es sich um eine Beratungs- und Zufluchtsstelle mit angeschlossenem stationärem Bereich für Kinder und Jugendliche in akuten Krisensituationen, die professionelle Unterstützung brauchen. Diese bietet Platz für maximal acht Kinder und Jugendliche im Alter zwischen dreizehn und achtzehn Jahren, wovon zwei Notplätze sind. Die Aufnahme und die Soforthilfe erfolgen unbürokratisch und gewährleisten rund um die Uhr Schutz, Hilfe, die Erfüllung der Grundbedürfnisse und die Planung und Bereitstellung weiterer Hilfsmaßnahmen. Die Unterbringung ist auf höchstens zwölf Wochen beschränkt, wobei bei Bedarf eine ambulante Nachbetreuung in Anspruch genommen werden kann. Das Ziel einer Krisenunterbringung ist es einen vorübergehend sicheren Raum zu schaffen, um einer Verschlimmerung der aktuellen Situation entgegenzuwirken und gemeinsam annehmbare Zukunftsperspektiven zu erarbeiten. Zudem soll die psychische Stabilität der Kinder und Jugendlichen in der Zeit der Unterbringung gefördert sowie ihre Ressourcen gestärkt werden (Verwaltung Steiermark, o.J., S. 22 ff.).
- Mobil betreutes Wohnen (MOB)
Die mobile Wohnbetreuung, welche durch professionelles pädagogisches Personal erfolgt, beinhaltet die Begleitung von einer/m einzelnen Jugendlichen in einer eigenen Wohnung (vgl. Verwaltung Steiermark 2019, S.37). Die Jugendlichen sollen lernen selbständig den Haushalt zu führen, eine Tagesstruktur zu entwickeln, sich beruflich zu orientieren und Zukunftsperspektiven zu schaffen. Außerdem sollen die Jugendlichen lernen Verantwortung für sich zu übernehmen und individuelle Bewältigungsstrategien erlernen und stärken. Zielgruppe sind sozial benachteiligte und emotional verhaltensauffällige Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren. In Ausnahmefällen kann der Aufenthalt in einer mobil betreuten Wohnung bis zum 21. Lebensjahr verlängert werden (Verwaltung Steiermark, o.J., S. 32).
1.5 Ziele der Fremdunterbringung
Die angestrebten Ziele innerhalb einer Fremdunterbringung werden für jedes Kind individuell festgelegt. Diese sind sowohl von der Verfassung des Kindes als auch der Ursache für dessen Fremdunterbringung abhängig (Freigang & Wolf, 2001, S. 21).
Das grundlegende Ziel der Fremdunterbringung nach Brötz (2009) ist die Gewährung des Kinderschutzes. Die Kinder sollen aus einer Lebenslage herausgeholt werden, die für sie zur Bedrohung geworden ist bzw. noch werden könnte. Dabei soll dafür gesorgt werden, dass die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen „normal“ verläuft. Dies bedeutet beispielsweise, dass Kinder nicht den Folgen von erlebten Misshandlungen allein ausgesetzt bleiben sollten, sondern dass sie auch psychologische Hilfe in Anspruch nehmen können. Ein weiteres Ziel der Fremdunterbringung ist die Versorgung, Betreuung sowie die Gestaltung von persönlichen und beruflichen Zukunftsperspektiven (Brötz, 2009, S. 132).
Schutz durch Versorgung bedeutet, dass Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Fremdunterbringung eine „reibungslose Sicherung der alltäglichen Lebensnotwendigkeiten“ erhalten (ebd., S. 133). Es soll ein geschützter Raum geschaffen werden, in denen die Kinder und Jugendlichen leben können. Sie sollen mit allem lebensnotwendigen versorgt werden wie beispielsweise Essen und Hygieneprodukte. Zugleich sollen Fachkräfte vor Ort sein, die die Aufgaben der Erziehungsberechtigten übernehmen. Mit Schutz durch Betreuung und Beratung wird gemeint, dass es für die Kinder und Jugendlichen eine psychische Hilfe durch PsychologInnen geben soll, da eine Fremdunterbringung eine psychische Belastung für sie darstellt. Den Kindern und Jugendlichen soll die gesamte Situation erklärt werden und es soll eine gemeinsame Hilfeplanung erstellt werden, um ihnen Perspektiven für ihre Zukunft aufzuzeigen (ebd., S. 132 ff.).
Brötz (2009) merkt auch an, dass die Frage der Zielerreichung bei Jugendlichen oft schwierig ist, besonders wenn die Fremdunterbringung gegen den Willen dieser geschehen ist (ebd., S. 125).
Freigang und Wolf (2001) betonen, dass Ziel und Funktion auch immer in Zusammenhang mit der „(…) Frage nach Ursache und Schuld an dem Zustand, der Anlass zur Fremdunterbringung ist“, zu sehen ist (Freigang & Wolf, 2001, S. 21). Die beiden Autoren haben mehrere Ziele von Fremdunterbringung zusammengefasst, welche aus Ihrer Sicht am häufigsten vorkommen.
Das erste Ziel ist die Beheimatung. Die Beheimatung ist ein primäres Ziel bei Kindern, die ihre Eltern verloren haben bzw. diese früh verlassen mussten. Diesen Kindern soll durch eine Fremdunterbringung ein neues Zuhause geschaffen werden. Deshalb werden hier Ersatzfamilien (Pflegefamilien, Adoptivfamilien) oder familienähnliche Modelle bevorzugt.
Ein weiteres Ziel ist die Zwischenlösung bei befristetem Ausfall von Eltern. Das primäre Ziel bei Kindern, die für eine gewisse Zeit nicht bei ihren Eltern leben können, beispielsweise wegen einer Krankheit eines Elternteils, ist wie bei Waisenkindern einen Ersatz für die Familie zu finden. Nach Freigang und Wolf steht hier die „angemessene Versorgung der Kinder“ im Vordergrund. Die Kinder werden in Pflegefamilien, Heimen oder Kriseninterventionsstellen untergebracht (ebd., S. 21).
Das dritte Ziel wird nach Freigang und Wolf (2001) als Besserung der Kinder und Jugendlichen bezeichnet. Fremdunterbringungen sollen immer das Ziel verfolgen „bei auffälligen Kindern und Jugendlichen Fehlentwicklungen zu korrigieren, Störungen abzubauen und die Anpassung an Normen zu verbessern“ (ebd., S. 21). In der Vergangenheit waren die Menschen der Annahme, dass Verhaltensabweichungen auf charakterliche Verdorbenheit beruhen würden. Aus diesem Grund wurde auf Bestrafung und Umerziehung gesetzt. Mittlerweile ist die Annahme verbreitet, dass Verhaltensauffälligkeiten oft eine psychische Erkrankung zugrunde liegt. Deshalb wird nun vermehrt auf Hilfe und Behandlung der Kinder und Jugendlichen gesetzt (ebd., S. 21). Es ist zu erwähnen, dass das Wort „Besserung“ für die heutige Zeit nicht mehr passend erscheint. Worte wie „Förderung“ oder „Unterstützung“ wären eine bessere Option.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kinder und Jugendlichen in einer Fremdunterbringung bessere Erfahrungen machen sollen als in ihrer Herkunftsfamilie (Schleiffer, 2014, S. 15). Eine Fremdunterbringung soll eine neue Lebenswelt für Kinder und Jugendliche schaffen, in welcher sie sich sicher und geborgen fühlen können. Das bedeutet den Heranwachsenden Schutz und eine adäquate Versorgung zu bieten sowie die individuelle und soziale Entwicklung zu fördern (Freigang & Wolf, 2001, S. 21).
2. Grundlagen der Bindungstheorie
„Die Bindungstheorie beschreibt und klärt wissenschaftlich, warum Menschen dazu tendieren, sich auf enge emotionale Beziehungen einzulassen und inwieweit die psychische Gesundheit einer Person beeinflusst wird, wenn diese Beziehungen beeinträchtigt, unterbrochen bzw. beendet werden“ (Lenging & Lüpschen, 2012, S. 9).
Dieses Kapitel soll die Grundlagen der Bindungstheorie näher beleuchten. Dadurch soll ein theoretischer Einblick ermöglicht werden, welches Fundament für eine Beziehungsgestaltung wichtig ist. Am Anfang wird der Begriff Bindung definiert, dann wird erläutert, wie sich eine Bindung überhaupt entwickelt, welche Bedeutung eine sichere Bindung hat und was unter Bindungsstörungen verstanden wird, wenn Kinder und Jugendliche kein sicheres Bindungsmuster aufweisen können. Am Ende dieses Kapitels wird das Augenmerk auf die Bedeutung einer sicheren Bindung in der stationären Kinder- und Jugendhilfe gelegt.
2.1 Begriffsbestimmung Bindung
Die Bindung wird als eine „enge emotionale, länger andauernde Beziehung zu bestimmten Menschen“ (Lenging & Lüpschen, 2012, S. 12) beschrieben. Diese werden dann als Bindungspersonen bezeichnet. Von einer solchen Bindungsperson wird Schutz und Unterstützung erwartet (Schleiffer, 2014, S. 30). Ist ein Kind zum Beispiel verunsichert oder traurig, hilft diese dem Kind seine Emotionen zu regulieren (Lenging & Lüpschen, 2012, S. 11).
Der britische Kinderpsychiater, Psychoanalytiker und Kinderarzt John Bowlby hat in den 1960er Jahren die Bindungstheorie begründet (Grossmann & Grossmann, 2017, S. 31). 1958 veröffentlichte Bowlby ein Schriftstück mit dem Titel „The nature of the child's tie to his mother“ (Schleiffer, 2014, S. 28). In diesem Werk schilderte er bereits die Grundannahmen seiner Bindungstheorie, die er später in seiner „Trilogie“ (Schleiffer, 2014, S. 28) ausführlich darlegte. Diese Trilogie setzt sich zusammen aus dem ersten Band „Attachment and Loss”, dem zweiten Band „Anxiety and Anger” und dem dritten Band „Loss, Sadness and Depression”. Bowlbys Trilogie “Attachment and Loss” ist der theoretische Grundstein der Bindungstheorie (Brisch, 2009, S. 33 ff.). Die Bindungstheorie nach Bowlby baut auf folgenden fünf Grundannahmen auf:
- Bindung ist ein wesentliches Merkmal der Eltern-Kind-Beziehung.
- Eine Bindungsbeziehung ist von einer Abhängigkeit zu unterscheiden.
- Bindung ist grundsätzlich biologisch fundiert.
- Erfahrungen die Kinder mit ihren Bindungspersonen machen, spiegeln sich in ihren psychischen Repräsentationen wider.
- Späte psychopathologische Auffälligkeiten sind geprägt von Repräsentationen aus früheren Bindungserfahrungen (Schleiffer, 2014, S. 29).
Im Laufe der Evolution hat sich das Bindungssystem zu einem Verhaltenssystem entwickelt. Dieses dient, so wie das reproduktive System, das affiliative System, das Versorgungssystem und das Angstsystem, dazu, dass der Mensch sich der Umwelt anpassen kann und so auf dieser Welt überleben kann. Das Bindungsverhalten ist ein natürlicher Vorgang und basiert auf einer biologischen Grundlage. Die Eigenschaft der Bindung bleibt über die ganze Lebensgeschichte hinweg erkennbar. Bowlby beschreibt ein Bindungsverhaltenssystem, in dem die unterschiedlichen Bindungsverhaltensweisen arrangiert sind. Zweck ist dabei die Nähe zur Bindungsperson zu erreichen, zum Beispiel in Situationen der Gefahr. Nähe kann aber nur erreicht werden, wenn die Bindungsperson auch zur Verfügung steht. Typische Bindungsverhaltensweisen haben also zum Ziel, dass die Bindungsperson verfügbar ist. In der ersten Zeit ist das Kind noch völlig auf die Antwortbereitschaft seiner Bezugspersonen angewiesen. Nicht nur Kinder haben ein biologisch fundiertes Verhaltenssystem, sondern auch die Eltern, und zwar das Pflegeverhaltenssystem. Dieses stimmt mit dem Bindungssystem überein (ebd., 2014, S. 30 f.). Der Mensch kommt motorisch unreif und allein kaum überlebensfähig auf die Welt. Um „das Überleben trotzdem zu sichern, kam es in der Naturgeschichte zu der Verschränkung von Bindungssystem und Pflegesystem“ (Schleiffer, 2014, S. 32).
2.2 Bindungsentwicklung
In diesem Kapitel wird die Entwicklung einer Bindungsbeziehung näher beschrieben. Die Entwicklung der Bindung unterscheidet Bowlby in vier Phasen.
- In der ersten Phase geht es um die Orientierung und um Signale ohne Unterscheidung des Gegenübers.
- In der zweiten Phase sind die Orientierung und die Signale auf eine oder mehrere Personen gerichtet, die bereits unterschieden werden.
- In der dritten Phase wird die Nähe zu einer ausgewählten Person durch die entwickelte motorische Fähigkeit und durch Signale aufrechterhalten.
- In der vierten Phase wird eine zielkorrigierte Partnerschaft gebildet (Schleiffer, 2014, S. 32).
Säuglinge entwickeln erst ab dem vierten Lebensmonat eine Vorliebe für bestimmte Personen und machen Unterschiede im Bezug zu ihrem Gegenüber. „Es entwickelt sich nun eine besondere Beziehung, eben die Bindungsbeziehung, zu wenigen Bindungspersonen, vor allem zur Hauptbezugsperson, bei der es sich im Normalfall um die Mutter handelt“ (Schleiffer, 2014, S. 33). Ab dem zweiten Lebenshalbjahr bis ungefähr zum dritten Lebensjahr (Phase 3), vertieft sich diese Bindung zu Bindungspersonen. Im Beisein von Personen, die dem Kind nicht vertraut sind, verspüren Kinder oft Angst und verhalten sich gehemmt. Dieses Verhalten wird dann als „fremdeln“ bezeichnet. Mit der Zeit und der Verbesserung der motorischen Fähigkeit, ist es dem Kind auch möglich andere Verhaltensweisen einzusetzen, um ihrer Bindungsperson nah sein zu können, zum Beispiel durch Hinterherlaufen oder -krabbeln. Das Kind lernt seine Bezugsperson besser kennen und kann sich ab dem dritten Lebensjahr sogar in sie hineinversetzen und entwickelt so ein empathisches Wissen. Damit wird die Wahrscheinlichkeit eines Bindungsverhaltens erhöht, das durch die Nähe zur Bindungsperson ersichtlich wird. Durch die Entwicklung einer symbolischen Repräsentation lernen Kinder, dass ihre Bindungsperson nicht immer anwesend sein muss. Durch diese Repräsentation bekommt das Kind, auch ohne die körperliche Anwesenheit der Bindungsperson, ein Gefühl von Sicherheit. Zumindest für eine bestimmte Zeitspanne (ebd., 2014, S. 33 f.).
Die Hauptbindungsperson des Kindes ist üblicherweise die leibliche Mutter, da diese von Geburt an als erstes zur Verfügung steht. Setzt diese ihre berufliche Laufbahn nach dem Mutterschutz fort und der Vater schlüpft in die Rolle des Hausmannes oder die leibliche Mutter verstirbt, dann übernimmt meist der Vater die Rolle der Hauptbindungsperson. Die Hauptbindungsperson kann auch eine Mutter-Ersatz-Figur sein, zum Beispiel eine Adoptivmutter, die das Kind adoptiert, weil die leiblichen Eltern das Kind nicht zu sich nehmen können (ebd., 2014, S. 34).
BindungstheoretikerInnen sind allerdings der Meinung, dass sich Kinder nicht nur an ihre Mütter, die ihre Bedürfnisse befriedigen, binden. Bowlby (1986) stellt fest, dass Kinder ihr Bindungsverhalten an mehrere Personen richten und wie vorher genannt, die Hauptbindungsperson auch eine andere als die leibliche Mutter sein kann. Bindungspersonen werden allerdings nicht gleich behandelt, sondern die Beziehungen zu Vätern, Geschwistern oder auch ErzieherInnen weisen unterschiedliche Bindungsqualitäten auf (Remsperger, 2011, S. 48).
Stuft das Kind etwas als große Gefahr ein, kann nur die Hauptbindungsperson erfolgreich helfen, da die psychophysische Gemütslage des Kindes ausschlaggebend ist, wer in solch einer Situation helfen darf. Ist das Kind zum Beispiel krank, ist es eher ängstlich und kontrolliert die Anwesenheit und die Verfügbarkeit seiner Bindungsperson. Um sich sicher zu fühlen ist beides notwendig. Denn ist die Bindungsperson zwar anwesend aber nimmt die Signale des Kindes nicht wahr oder ignoriert diese sogar, fühlt sich das Kind unsicher. Die Aktivierung des Bindungssystems ist am stärksten, wenn die Gefahr der Außenwelt als hoch eingestuft wird und die Bindungsperson weder anwesend noch verfügbar ist (Schleiffer, 2014, S. 34 f.).
Eine Aufgabe der Erziehung ist, dass Kinder die Möglichkeit bekommen angebrachte Anpassungsprozesse zu entwickeln. Schätzen Kinder die Realität falsch ein, kann die gegebene Gefahr überschätzt oder unterschätzt werden. Liegt eine Überschätzung seitens des Kindes vor, soll die Erziehungs- bzw. Bindungsperson das ängstliche Kind zuerst beruhigen, ihm aber dennoch erklären, dass die Angst objektiv grundlos ist. Wird das Kind in dieser Situation der Fehleinschätzung lächerlich gemacht oder sogar bestraft, führt dies wiederum zu einem Schamgefühl. Daraufhin wird das Kind seine Bindungsbedürfnisse überdenken und nicht vorschnell handeln, um nicht in solch eine peinliche Situation gebracht zu werden. Wird das Kind regelmäßig in eine derartige Situation gebracht, in der es ein Gefühl von Scham verspürt, vermischt sich dieses mit dem Gefühl der Angst und das Kind schämt sich seine Bindungsbedürfnisse bzw. -wünsche mitzuteilen (Schleiffer, 2014, S. 35 f.). Bindungspersonen sollten diese Konflikte also vermeiden und sollten, wie es Bowlby (1982) ausdrückte, „´stronger and wiser´, also ´stärker und schlauer´, einflussreicher und wissender“ sein (Schleiffer, 2014, S. 35).
Kinder wollen die Treue zu sich selbst bewahren und verhindern es durch Bindungsbedürfnisse beschämt zu werden. Der Scham wird gewollt und ungewollt in der Erziehung eine große Bedeutung zugewiesen und wird sowohl von den natürlichen Bindungspersonen als auch von professionellen Bindungspersonen eingesetzt, denn bevor es zu einer beschämenden Situation für Kinder kommt, geben sie ihren Erziehungswiderstand auf. Das führt allerdings dazu, dass die ErzieherInnen dann oft nicht erkennen, ob dies aufgrund der Einsicht der Kinder passiert oder weil sie der Scham entgehen wollen (Schleiffer, 2014, S. 36).
Eine weitere Interaktion zwischen zwei Verhaltenssystemen, die beachtet werden sollte, ist die zwischen dem Bindungssystem und dem Erkundungs- bzw. Explorationssystem. Kindern ist es angeboren, ihre Umwelt erkunden zu wollen. Ist das Bindungssystem aktiviert, wird diese Neigung aber blockiert. Die Psychologin Mary Ainsworth, welche als weitere Hauptvertreterin der Bindungstheorie gilt, weist auf die knifflige Balance zwischen Bindung und Exploration hin. Sie ist der Meinung, dass Kinder eine sichere Basis brauchen, um die Welt erkunden zu können. Als sichere Basis bietet sich hier die Bezugsperson an. Fühlt sich das Kind sicher und wohl, ist es offener die Umgebung zu erkunden. Dabei spielt die erlebte Verfügbarkeit seiner Bindungsperson und die mögliche Gefahr, die die geplante Erkundung mit sich bringt, eine wichtige Rolle (ebd., 2014, S. 36).
Auch andere BindungsforscherInnen weisen darauf hin, dass Bindungspersonen durch ihr feinfühliges Verhalten nicht nur kindliche Bindungsbedürfnisse stillen sollen, sondern auch deren Streben nach Exploration und Autonomieentwicklung berücksichtigen müssen, denn nur so kann ein Kind Selbstbestimmtheit und Selbstwirksamkeit erfahren und sich dadurch an die Umwelt anpassen (Remsperger 2011, S. 48). Ist das Kind unsicher, stellt sich das Explorationsverhalten ein und das Bindungsverhalten steigt an (Lenging & Lüpschen, 2012, S. 12).
Verbessert sich die motorische Fähigkeit der Kinder und sie können sich selbstbestimmt fortbewegen, besteht die Gefahr, sich zu weit von Ihrer Bindungsperson zu entfernen. Dies wollen sie aber vermeiden, daher vergewissern sie sich zum Beispiel durch einen kurzen Körperkontakt oder Blickkontakt über die Anwesenheit der Bindungsperson. Hier wird von der Separations- und Individualisationsphase gesprochen. Ängstlichere Kinder tun das Gegenteil und trennen sich eine Zeit lang nicht von ihrer Bindungsperson. Dies wird Wiederannäherungsphase genannt und ist eine Teilphase der Separations- und Individualisationsphase (Schleiffer ,2014, S. 37).
In dieser Separations- und Individualisationsphase (vor allem im zweiten Lebensjahr) spielt die Autonomieentwicklung eine große Rolle. Um selbstständig zu werden, muss man sich von nahestehenden Personen trennen können. Eine Trennung ist nur möglich, wenn einem bewusst ist, dass Trennung nicht gleich mit Einsamkeit verbunden ist (ebd., 2014, S. 37). Schleiffer (2014) zitiert hier Winnicott (1971), denn dieser war der Meinung, dass eine gute Mutter ihrem Kind Erfahrungen anbieten wird, die vertrauensbildend sind, „damit ihr Kind diese ‚Fähigkeit, alleine sein zu können‘ erwerben kann“ (Schleiffer, 2014, S. 37). Das Bedürfnis nach Autonomie der Kinder wird deutlich und ist von den Eltern zu respektieren (ebd., 2014, S. 37).
Bei allen Erkundungstouren des Kindes soll die Bindungsperson dessen Bindungsbedürfnisse nicht außer Acht lassen. Dies ist sowohl im Kleinkindalter als auch im Jugendalter wichtig. Gerade im Jugendalter fällt es vielen Eltern schwer die benötigte Feinfühligkeit aufzubringen und geäußerte Autonomiebedürfnisse zu beachten (ebd., 2014, S. 38).
Die Wissenschaft begründete ein Verhaltenssystem, das zur Funktion hat, ein lebenslanges Zusammensein mit anderen Menschen zu versichern. Dieses System wird affiliatives System genannt. Erkennbar wird dieses System, wenn das Interesse für Gleichaltrige wächst. Sie wollen sich mit den sogenannten Peers beschäftigen, mit ihnen spielen und gemeinsam mit ihnen Zeit verbringen. Genauso wie beim Explorationssystem, besteht beim affiliativen System ein wechselseitiges Verhältnis zum Bindungssystem. Die Aktivierung dieses Systems ist am stärksten, wenn die Aktivierung des Bindungssystems am geringsten ist (ebd., 2014, S. 38).
Beziehungen zwischen zwei Personen können laut Schleiffer nicht auf eine Bindungsbeziehung reduziert werden. Es gibt verschiedene Beziehungstypen, die unterschiedliche Bindungsqualitäten aufzeigen, aber nicht bei jeder kann auch von einer Bindungsbeziehung gesprochen werden. SpielkameradInnen und FreundInnen bzw. die beste Freundin oder der beste Freund können zweifellos auch Bindungsfunktionen erfüllen. Der Unterschied zur Hauptbindungsperson ist hier, dass diese selbst gewählt werden und somit eine Autonomie fördernde Bedeutung haben. Im Jugendalter sind diese Beziehungen von großem Wert und manche EntwicklungspsychologInnen sind sogar der Meinung, dass diese die Bindung zu den Eltern sogar übertreffen. Die Entwicklungspsychologin Judith Harris (2000) beschrieb dazu eine These, die lautet, dass „die elterlichen Einflussmöglichkeiten gegenüber denen der Genetik und der Gleichaltrigen zu vernachlässigen seien“ (Schleiffer, 2014, S. 39). Eltern von erziehungsschwierigen Kindern fanden in dieser These Trost, da sie demnach keine Schuld treffen würde (Schleiffer, 2014, S. 39).
Erste Liebesbeziehungen von Jugendlichen können auch Bindungsmerkmale aufweisen. Von einer Bindungsbeziehung sollte allerdings nur gesprochen werden, wenn der Bindungsaspekt das wesentliche Merkmal der Beziehung darstellt. Nicht einzelne Bindungsverhaltensweisen sind ausschlaggebend für eine Bindungsbeziehung, sondern das Kind muss die Person als Bindungsfigur wahrnehmen und sie im Bezug auf diese Funktion auch nutzen. Bindungsbeziehungen weisen auch andere Qualitäten auf. Ist die Mutter die Hauptbindungsperson sollte diese zum Beispiel auch eine Spielpartnerin des Kindes sein (ebd., 2014, S. 39). Eltern lassen in der Rolle des Spielpartners ihre eigenen kindlichen Explorationsbedürfnisse wieder aufleben. Diese verbinden sich dadurch gleichzeitig mit einer Erziehungsaktivität. Schleiffer (2014) beschreibt das Vätern die Rolle als Spielpartner für ihre Kinder besonders liegt. Durch Spielfeinfühligkeit (sensibel, angepasste und unterstützende Haltung des Vaters auf emotionale Reaktionen des Kindes im Spiel) des Vaters wird auch die Autonomieentwicklung des Kindes gefördert. (ebd., 2014, S. 40). Schleiffer (2014) zitiert Grossmann (2000), der meinte, dass es „nicht nur eine kindliche Balance zwischen Bindung und Exploration“ gibt, sondern „dabei auch eine Rollenteilung der Eltern in diesem System“ (Grossmann, 2000, zitiert nach Schleiffer, 2014, S. 40). Die Mütter bringen die Kinder zur Welt und haben, wenn möglich, am Anfang die Funktion der Versorgerin. Hier sind sie konkurrenzlos, daher haben diese am Anfang eine biologisch fundierte, einmalige Beziehung zu ihren Kindern (Schleiffer, 2014, S. 40).
Es gibt eine weitere Interaktion zwischen den unterschiedlichen Verhaltenssystemen. Diese treten in Verbindung mit dem Erreichen der Adoleszenz auf und führen manchmal sogar zu einschneidenden Erlebnissen. Gesprochen wird hier von einer Interaktion zwischen Bindungssystem, Explorationssystem und affiliativem System. Diese Interaktion passiert im Zusammenhang mit einer Liebesbeziehung. Bei ersten Verabredungen und ersten Flirts wird das affiliative System und vor allem das Explorationssystem aktiviert. Entsteht ein sexuelles Interesse am Gegenüber wird die Explorationslust aktiviert. Übersteht die Liebesbeziehung diese Anfänge, sollten sich Personen dennoch nur binden, wenn sie sich sicher sind, dass sie das möchten. Personen sollten sich aber nur mit einer Person binden, die sie glauben zu kennen bzw. gerne besser kennen lernen möchten. Hat sich auf beiden Seiten bis dahin im affiliativen System noch keine Bindung aufgebaut, stehen die Chancen für eine dauerhafte Beziehung schlecht. Der Verhaltensforscher und Psychologe Norbert Bischof aus Zürich spricht von einer sekundären Vertrautheit. Er entwickelte ein kybernetisches Modell, dass zwar nicht direkt bindungstheoretisch begründet ist, aber laut Schleiffer (2014) vergleichbar ist. Bischof spricht von drei Motivationssystemen, dem Sicherheitssystem (Bindungssystem), dem Erregungssystem (Explorationssystem) und dem Autonomiesystem. In der Phase der sekundären Vertrautheit, kommt es zur Einschränkung des Erregungssystems, da sich dieses mit dem Sicherheitssystem gegenseitig in die Karten spielt (Schleiffer, 2014, S.40f.)
Bei Beziehungen von Kindern sind eine Menge Faktoren zu berücksichtigen. In der Kindheit sind die erwachsenen Bezugspersonen in ihrer Rolle als ErzieherInnen erforderlich, diese soll in andere Faktoren der Beziehung aber integriert werden (ebd., 2014, S. 41).
Im nächsten Kapitel wird die Bedeutung einer sicheren Bindung in der Kindheit beschrieben, indem die inneren Arbeitsmodelle, die durch individuelle Beziehungserfahrungen entwickelt werden, erläutert werden. Weiters werden die unterschiedlichen Bindungsmuster, die mit den inneren Arbeitsmodellen in gewisser Weise zusammenhängen näher beschrieben.
2.3 Bedeutung einer sicheren Bindung (Bindungsqualitäten)
Hier wird das Augenmerk auf die inneren Arbeitsmodelle gelegt, da eine sichere Bindung mit diesen zusammenhängt. Innere Arbeitsmodelle beziehen sich sowohl auf das Verhalten der Bindungsperson als auch auf das eigene Verhalten des Kindes, auf die Beziehung selbst und auf die eigene Bedeutung in solch einer Beziehung (ebd., 2014, S. 42). Durch dieses Zusammenspiel zwischen dem Bindungsverhaltenssystem und dem Pflegesystem entwickelt das Kind innere Arbeitsmodelle. Abhängig sind diese von den individuellen Beziehungserfahrungen. Erhält das Kind, wenn es zum Beispiel die Nähe der Bindungsperson sucht, die gewünschte Nähe, unterscheidet sich das innere Arbeitsmodell von dem eines Kindes, bei welchem die Eltern mit einer Zurückweisung reagieren (Lenging & Lüpschen, 2012, S. 28). Innere Arbeitsmodelle helfen dem Kind sich die Realität vorzustellen, sodass es das eigene Verhalten planen kann und auf die gegebenen Umstände anpassen kann. Innere Arbeitsmodelle beeinflussen die Gefühle, die kindlichen Erwartungen und die kindliche Verhaltensplanung. Sie beinhalten das Selbstbild des Kindes, das Bild seiner Bindungsperson und das Bild seiner Umwelt. Bewusst und auch unbewusst dienen sie als Leitfaden für Informationen, die für die Bindung notwendig erscheinen (ebd., 2012, S. 29).
Lenging und Lüpschen (2012) nennen ein passendes Beispiel für das Einsetzen von inneren Arbeitsmodellen.
„Betrachten wir ein Kind, dass immer Zurückweisung erlebt hat, wenn es negative Gefühle gezeigt hat, z. B. wenn es weinte. Es wird mit der Zeit in seinen internalen Arbeitsmodellen repräsentiert haben, dass es zurückgewiesen wird, wenn es weint. Dieses Kind wird vermutlich in Zukunft keine negativen Emotionen mehr zeigen, da die Zurückweisung durch die Bezugsperson als sehr schmerzhaft erlebt wurde und auch den → Distress des Kindes nicht minderte. Ist das Kind dies von wichtigen Bezugspersonen gewohnt, so wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der gleichen Erwartungshaltung – auch wenn ihm diese nicht bewusst ist – neuen Personen gegenübertreten. Diese Erwartungshaltung und das Auftreten des Kindes werden wiederum das Verhalten des Gegenübers beeinflussen“ (Lenging & Lüpschen, 2012, S. 29).
In der Bindungstheorie geht man davon aus, dass die inneren Arbeitsmodelle mit den verschiedenen Bindungsmustern korrelieren. Beeinflusst werden die emotionale Ebene, wie auch Sprechmuster und Denkweisen. In bindungsrelevanten Situationen, die emotional für Kinder sehr belastend sind, beeinflussen innere Arbeitsmodelle vor allem das Verhalten und die Emotionsregulation (ebd., 2012, S. 30). Mary Ainsworth leistete bei der Entwicklung dieser inneren Arbeitsmodelle wichtige Arbeit. Sie beschrieb drei verschiedene Bindungsmuster, und zwar:
- die sichere Bindung
- die unsicher-ambivalente Bindung
- und die unsicher-vermeidende Bindung (Schleiffer, 2014, S. 42).
Von einem sicher gebundenen Kind wird gesprochen, wenn dieses lernt, seiner feinfühligen Mutter vertrauen zu können und sich auf sie verlassen zu können. Dies geschieht durch Interaktionserfahrungen. Ainsworth beschreibt vier Merkmale, die eine feinfühlige Person auszeichnen.
1. Sie nimmt Signale ihres Kindes wahr, da sie sich immer in der Nähe befindet.
2. Sie deutet diese richtig und durch ihre Empathie erkennt sie die Wünsche des Kindes und unterscheidet diese von den eigenen Bedürfnissen.
3. Ihr gelingt es prompt auf die Bedürfnisse zu reagieren. Das Kind kann entwicklungsbedingt Ereignisse nur begreifen, wenn diese zusammenhängend stattfinden.
4. Sie gibt nicht mehr oder weniger als nötig, sondern reagiert angemessen auf Bedürfnisse des Kindes (Schleiffer, 2014, S. 43).
Von einem unsicher-vermeidenden Bindungsmuster spricht man, wenn das Kind Erfahrung damit macht, dass die Bindungsperson sich durch Bindungsbedürfnisse von Seiten des Kindes eher bedrängt fühlt. Da sie, bei einer Äußerung ihrer Bindungswünsche, eher mit einer Enttäuschung rechnen, vermeiden sie diese offen zu zeigen, obwohl ihr Bindungssystem aktiviert ist (ebd., 2014, S. 43).
Von unsicher-ambivalent gebundenen Kindern wird gesprochen, wenn es dem Kind schwerfällt, die Bindungsperson einzuschätzen, da die Reaktion der Bindungsperson abhängig von ihrer eigenen Befindlichkeit ist. Das heißt, geht es ihr gut, ist sie eine feinfühlige Bindungsperson, ist das aber nicht der Fall, ist es für das Kind von besonderer Anstrengung eine Unterstützung der Bezugsperson zu erfahren, beispielsweise durch lang andauerndes schreien oder anklammern. Das Kind ist die meiste Zeit damit beschäftigt seine Bezugsperson zu kontrollieren, wodurch das Bindungssystem fast durchgehend aktiviert und das Explorationssystem eingeschränkt ist. Ein unsicher-ambivalent gebundenes Kind sucht die Nähe zum Beispiel zu seiner Mutter auch, um ihr seine Wut und Enttäuschung mitzuteilen. (ebd., 2014, S. 43).
Mit der „Fremden Situation“ (im Englischen „Strange Situation“) entwickelten Ainsworth und Wittig eine Laborbeobachtungsmethode, mit der Bindungsmuster von Kindern im Alter von elf bis zwanzig Monaten erfasst werden. (Lenging & Lüpschen, 2012, S. 16). Diese Methode setzte sich als Standardmethode durch, um die Bindungstheorie weiter zu erforschen und mit dieser sich alle weiteren Methoden messen. Daher wird dieses Standardverfahren im Folgenden näher beschrieben. (Schleiffer, 2014, S. 44). Bei dieser
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Fremde Situation nach Ainsworth (Lening & Lüpschen 2012, S.17)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Fremde Situation nach Ainsworth (Lenging & Lüpschen 2012, S.17)
Beobachtungsmethode gibt es acht Episoden:
Die Dauer der einzelnen Episoden ist unterschiedlich. Dies ist abhängig vom Verhalten des Kindes. Hat die Trennungsphase zu folge, dass das Kind stark weint, kann diese etwas verkürzt werden. Lässt sich das Kind dann nur schwer von der Mutter trösten, kann die Wiedervereinigungsphase etwas verlängert werden. Dadurch soll ein zu großer Stress für das Kind vermieden werden (Lenging & Lüpschen, 2012, S. 17). Bei der Auswertung wird darauf geachtet, welche Bindungsverhaltensweisen die Kinder zeigen, wie stark von Seiten des Kindes versucht wird den Körperkontakt zur Mutter aufrechtzuerhalten und wie stark und hartnäckig das Kind versucht in der Nähe der Mutter zu sein und den Kontakt zu ihr zu erlangen. Weiters wird auch auf Abwehrhaltungen des Kindes gegenüber der Mutter geachtet, wie zum Beispiel eine Kontaktvermeidung, ignorieren der Kontaktwünsche und ein Einhalten einer gewissen Distanz. Ausschlaggebend sind hier die Episoden der Wiedervereinigung von Mutter und Kind (5 und 8) (Schleiffer, 2014, S. 44 f.).
Die beobachteten Kinder werden anhand der Fremden Situation den drei genannten Bindungsmustern zugeordnet, und zwar unsicher-vermeidend (A), sicher (B) und unsicher-ambivalent (C) (Schleiffer, 2014, S. 45).
Eigenschaften für sicher gebundene Kinder (B):
- Sie zeigen, dass sie unter der Trennung der Mutter leiden, zum Beispiel durch Weinen.
- Sie freuen sich, wenn ihre Mutter wieder in den Untersuchungsraum kommt.
- Sie suchen die Nähe zur Mutter und lassen sich schnell beruhigen.
- Die Mutter gilt als sichere Basis für die Kinder, von der aus sie ihre Umwelt erkunden können (Schleiffer, 2014, S. 45).
- Auch wenn sie sich von der fremden Person trösten lassen und freundlich zu dieser sind, wünschen sie sich den Kontakt zur Mutter (Lenging & Lüpschen, 2012, S. 18).
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