Erst am 5. Februar 1976 wurde Horváths Dramenfragment unter dem Titel „Der
Fall Ella W.“ im Hessischen Staatstheater Wiesbaden uraufgeführt. Noch im
Dezember desselben Jahres gelangte es mit identischem Titel im
Württembergischen Staatstheater Stuttgart das zweite und letzte Mal an
öffentlichen Bühnen zur Aufführung.1 Doch erst drei Jahre später, fast ein halbes
Jahrhundert nach Elly Maldaques Tod, konnten Studenten - als sie im Zuge eines
Seminars im Wintersemester 1978/1979 in Tübingen das Stück zur Aufführung
bringen wollten - der Geschichte einen Hintergrund geben, als sie auf einen
Weltbühnen-Artikel von Peter Nord mit dem Titel Die Tragödie der Lehrerin
Maldaque2 stießen.
Der zugrunde liegende Stoff des Werkes, „[...] der schon den [damaligen]
Journalisten als eine fertige ,Tragödie’ erschien [...]“(S. 12), ist das Schicksal der
Volksschullehrerin Elly Maldaque, die nach 17-jährigem Schuldienst mit der
Begründung, „wirkendes Mitglied der KPD“ zu sein, zum 1. Juli 1930 fristlos und
ohne Versorgungsansprüche entlassen wurde. Sie starb am 20. Juli, nach einem
Nervenzusammenbruch, in der Heil- und Pflegeanstalt Karthaus/Prüll in
Regensburg. Der rapide Ablauf von Horváths tödlicher Handlung folgt genau
diesem authentischen Vorfall.
Der Entstehungszeitraum lässt sich deswegen dahingehend eingrenzen, dass
frühestens August 1930 angenommen werden darf, da der erste Entwurf des
Dramas erst nach der großen Protestversammlung für Elly Maldaque entstanden
sein kann, und spätestens Juli 1931 in Frage kommt, weil Horváth zu dieser Zeit
die Geschichten aus dem Wiener Wald abschloss3, in dessen Vorstufen Schminke
schon als gebrochene Figur auftaucht.4
[...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Zur Geschichte des Fragments
2 Hauptteil
2.1 Zur Edition des Fragments
2.1.1 Gesamtkonzept in neun Bildern
2.1.2 Gesamtfassung in sieben Bildern
2.1.3 Neufassung und Reinschrift des Ersten Bildes
2.1.4 Vorstufen zur Neufassung des Ersten Bildes
2.1.5 Varianten der Dramenexposition
2.2 Zu den Figuren
2.2.1 Der Nationale
2.2.2 Der Beamte
2.2.3 Schaper
2.2.4 Eva Neumeyer
2.2.5 Arzt
2.2.6 Leichenbitter
2.2.7 Vater
2.2.8 Ella Waldt
2.2.9 Frl. Mayer
2.2.10 Anwalt
2.2.11 Redakteur
3 Zusammenfassung: Zur Authentizität der Figuren
Literaturverzeichnis
1 Einleitung: Zur Geschichte des Fragments
Erst am 5. Februar 1976 wurde Horváths Dramenfragment unter dem Titel „Der Fall Ella W.“ im Hessischen Staatstheater Wiesbaden uraufgeführt. Noch im Dezember desselben Jahres gelangte es mit identischem Titel im Württembergischen Staatstheater Stuttgart das zweite und letzte Mal an öffentlichen Bühnen zur Aufführung.[1] Doch erst drei Jahre später, fast ein halbes Jahrhundert nach Elly Maldaques Tod, konnten Studenten - als sie im Zuge eines Seminars im Wintersemester 1978/1979 in Tübingen das Stück zur Aufführung bringen wollten - der Geschichte einen Hintergrund geben, als sie auf einen Weltbühnen-Artikel von Peter Nord mit dem Titel Die Tragödie der Lehrerin Maldaque[2] stießen.
Der zugrunde liegende Stoff des Werkes, „[...] der schon den [damaligen] Journalisten als eine fertige ,Tragödie’ erschien [...]“(S. 12), ist das Schicksal der Volksschullehrerin Elly Maldaque, die nach 17-jährigem Schuldienst mit der Begründung, „wirkendes Mitglied der KPD“ zu sein, zum 1. Juli 1930 fristlos und ohne Versorgungsansprüche entlassen wurde. Sie starb am 20. Juli, nach einem Nervenzusammenbruch, in der Heil- und Pflegeanstalt Karthaus/Prüll in Regensburg. Der rapide Ablauf von Horváths tödlicher Handlung folgt genau diesem authentischen Vorfall.
Der Entstehungszeitraum lässt sich deswegen dahingehend eingrenzen, dass frühestens August 1930 angenommen werden darf, da der erste Entwurf des Dramas erst nach der großen Protestversammlung für Elly Maldaque entstanden sein kann, und spätestens Juli 1931 in Frage kommt, weil Horváth zu dieser Zeit die Geschichten aus dem Wiener Wald abschloss[3], in dessen Vorstufen Schminke schon als gebrochene Figur auftaucht.[4]
Probleme bereitet der fehlende Titel des Dramenfragments. Findet sich das Werk in den Gesammelten Werken unter dem Titel Der Fall E.[5] , welcher von den Herausgebern gewählt wurde, wahrscheinlich in bezug auf den letzten Satz des Arztes im Stück, so erscheint Die Lehrerin von Regensburg authentischer, wie er in Horváths Romanprojekt „Der Mittelstand“ auftaucht.[6]
2 Hauptteil
2.1 Zur Edition des Fragments
Horváths Nachlass, der sich seit November 1962 im Archiv der Akademie der Künste in Berlin befindet,[7] beinhaltet insgesamt 53 schreibmaschinenschriftliche Blätter mit handschriftlichen Zusätzen, wobei offensichtlich ist, dass das vorhandene Material von der Lehrerin von Regensburg keinesfalls als vollständig angesehen werden kann. „Das läßt [sic] der torsohafte Zustand des Konvoluts, das zufällige Ansetzen und Abbrechen der Entwürfe klar erkennen.“(S. 73)
2.1.1 Gesamtkonzept in neun Bildern
Trotz der Unvollständigkeit der Manuskriptblätter befindet sich darunter ein dreiseitiger erster Entwurf, der schon ein Gesamtkonzept in neun Bildern beinhaltet. Deutlich wird, dass es sich eher um eine dokumentarische Rekonstruktion der Ereignisse a posteriori handelt als um eine schon künstlerische Umarbeitung. „Sein erster Entwurf ist als Dokumentartheater, als öffentliche Rekonstruktion der Begebenheiten angelegt: ,Rekonstruieren wir den Fall! Ohne etwas zu beschönigen!’ eröffnet Irene Neubauer das Stück.“(S. 12) So werden etwa die authentischen Namen verwendet, nämlich Elli, Irene und Schaper.[8] „Vieles deutet darauf hin, daß [sic] es sich dabei um einen ersten Entwurf handelt: [...] [u. a.] die Rahmung des noch weitgespannten analytischen Prozesses durch zwei Ansprachen Irene Neubauers [...].“(S. 73)
2.1.2 Gesamtfassung in sieben Bildern
Ebenso ist eine 33-seitige Gesamtfassung in sieben Bildern erhalten, die im Großen und Ganzen ausgearbeitet ist und sogar gespielt werden kann. Es ist die einzige durchgeschriebene, wenn auch noch weitgehend dokumentarische Fassung der Lehrerin von Regensburg.
Dass Horváth diese Fassung aber als provisorisch betrachtete, zeigen handschriftliche Zusätze (S. 22 f, 28, 31, 37 f, 40 f, 43, 45) und durchgestrichene Absätze (so z. B. S. 22, das untere Drittel von S. 24 und das obere Drittel von S. 25) oder als zweifelhaft markierte Abschnitte (wie die restlichen Teile von S. 24 und S. 25). Darüber hinaus bricht er unvermittelt ab und setzt neu wieder ein (vgl. z. B. S. 25 f). Ganze Passagen sind noch nicht ausgeführt oder fehlen (vgl. z. B. das Gedicht von Zuaven auf S. 30 oder das Fünfte Bild).
Feststellen lässt sich auch, dass Horváth von später entstandenen Entwürfen in diese Gesamtfassung gleichermaßen hineinkorrigierte, ohne dass aber dabei schon ein neues Konzept der Umarbeitung sichtbar würde.
2.1.3 Neufassung und Reinschrift des Ersten Bildes
Auf sechs Blättern findet sich eine Variante des Ersten Bildes. Vieles deutet darauf hin, dass dies der letzte Stand der konzeptionellen Arbeit Horváths gewesen sein muss. Zum einen entfernt er sich mit der Namensänderung der beiden kommunistischen Hauptfiguren in „Schminke“ und „Renate“ weiter von der dokumentarischen Vorlage, zum anderen verzichtet er auf den doch recht dramatischen Coup der Hausdurchsuchung und führt dafür das religiöse Motiv des Klaviergeklimpers neu ein. Horváth verfügt hier also insgesamt souveräner über Stoff und über Motive. „Es ist zu vermuten, dass [sic] Horváth von dieser Neufassung des Ersten Bildes aus den gesamten Entwurf zu überarbeiten gedachte.“ (S. 74)
2.1.4 Vorstufen zur Neufassung des Ersten Bildes
Des weiteren finden sich unter den Manuskripten sieben Blätter, die eindeutig Vorstufen zur Neufassung des Ersten Bildes darstellen, nur fünf sind jedoch von Interesse, da zwei schon nach wenigen Zeilen abbrechen und keine neuen Aufschlüsse bringen.
[...]
[1] vgl. Günther, Gisela: Die Rezeption des dramatischen Werkes von Ödön von Horváth von den
Anfängen bis 1977. Diss. Göttingen 1978, S. 306
[2] vgl. Schröder, Jürgen (Hrsg.): Horváths Lehrerin von Regensburg. Der Fall Elly Maldaque.
Dargest. u. dok. v. Jürgen Schröder, Frankfurt a. M. 1982 (= Suhrkamp Taschenbuch 2014), S.
320 ff. [Ebenso alle nachfolgenden Angaben im laufenden Text]
[3] vgl. Krischke, Traugott (Hrsg.): Materialien zu Ödön von Horváth, Frankfurt a. M. 1970, S. 186
[4] vgl. Krischke, Traugott (Hrsg.): Ödön von Horváth. Gesammelte Werke. Bd.4: Geschichten aus
dem Wiener Wald, Frankfurt a. M., 1986 (= Suhrkamp Taschenbuch 2370)
[5] Krischke, Traugott / Huder, Walter / Hildebrandt, Dieter (Hrsg.): Ödön von Horváth.
Gesammelte Werke. Bd. 4., Frankfurt a. M. 1970, S. 5
[6] ebd., S. 650
[7] vgl. Krischke, Frankfurt a. M., 1970, S. 205
[8] vgl. Schröder, Frankfurt a. M, 1982, S. 19 ff.
- Arbeit zitieren
- Nina Eckert (Autor:in), 2002, Die Lehrerin von Regensburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115472
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