Inwieweit findet der Einsatz von KI-Technologien bereits heute in der Praxis des Gesundheitswesens statt? In welchen Bereichen werden Chancen gesehen? Inwiefern werden Grenzen die Entwicklung von KI im Gesundheitswesen eventuell hemmen? Diese Fragen bilden den Kern der Masterarbeit.
Mit Künstlicher Intelligenz wird die Fähigkeit von Maschinen bezeichnet, alleine intelligente Entscheidungen in definierten Fragestellungen zu treffen. Die Technologie, die als Basistechnologie des 21. Jahrhunderts bezeichnet wird, erhält nun schon seit mehreren Jahren Einzug in die meisten Branchen der Wirtschaft.
Auch im Gesundheitswesen wird der Einsatz von Künstlicher Intelligenz erforscht. In diagnostischen Szenarien konnte Künstliche Intelligenz bereits beeindruckende Ergebnisse liefern. So werden Systeme vorgestellt, die in der Diagnose von Lungenentzündungen oder in der Erkennung von Brustkrebs zuverlässiger sind als die Einschätzung des Facharztes.
Dennoch werden auch Grenzen im Einsatz von Künstlicher Intelligenz offensichtlich. Fehlende oder nicht hochwertige Trainingsdaten führen zu suboptimalen Ergebnissen, die mangelnde Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen macht einen klinischen Einsatz schwer und die Infrastruktur ist in vielen Einrichtungen nicht für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz vorbereitet.
Außerdem sieht sich das (deutsche) Gesundheitswesen Herausforderungen des Fachkräftemangels, bürokratischen Hürden und einer alternden Gesellschaft ausgesetzt. Es stellt sich die Frage, inwiefern der Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu Effizienz- und Produktivitätssteigerungen führen kann.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Kurzfassung
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Kunstliche Intelligenz als Wunderheiler?
1.2 Problemstellung und Zielsetzung
1.3 Inhalt und Aufbau
2 Theorie
2.1 Kunstliche Intelligenz
2.1.1 Entstehung & Rahmenbedingungen
2.1.2 Definition und Abgrenzung
2.2 Der Einsatz Kunstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen
2.3 Forschungsfragen
3 Methode
3.1 Empirisch-qualitative Datenerhebung
3.2 Expertenwahl
3.3 Beschreibung der Datenerhebung und des Erhebungsinstruments
3.3.1 Interviewleitfaden und Fragen
3.3.2 Transkription
3.4 Qualitative Inhaltsanalyse zur Auswertung der Interviews
4 Ergebnisse und Diskussion
4.1 Chancen
4.1.1 Behandlung
4.1.2 Forschung
4.1.3 Verwaltung und Administration
4.1.4 Epidemiologie und Prognostizierung
4.2 Grenzen
4.2.1 Infrastruktur
4.2.2 Daten: Schutz und Spende
4.2.3 Daten: Training und Bias
4.2.4 Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Faktor Mensch
4.3 Chancen-Grenzen-Matrix und Handlungsempfehlungen
4.4 Limitationen der Arbeit
5 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abstract
Artificial intelligence refers to the ability of machines to make intelligent decisions on defined issues on their own. The technology, which is described as the basic technology of the 21st century, has now been making its way into most sectors of the economy for several years.
The use of artificial intelligence is also being explored in healthcare. In diagnostic scenarios, artificial intelligence has already been able to deliver impressive results. For example, systems are presented that are more reliable in the diagnosis of pneumonia or in the detection of breast cancer than the assessment of the specialist.
Nevertheless, limitations in the use of artificial intelligence are also becoming apparent. Missing or non-quality training data lead to suboptimal results, the lack of traceability of decisions makes clinical deployment difficult, and the infrastructure in many institutions is not prepared for the use of AI.
In addition, (German) healthcare faces challenges of a shortage of skilled workers, bureaucratic hurdles, and an aging society. The question arises to what extent the use of artificial intelligence can lead to increases in efficiency and productivity.
An empirical-qualitative data collection is conducted to answer the research questions. To ensure a differentiated assessment, experts from the two domains concerned will be interviewed: medicine and IT. The transcribed interviews, together with the literature analysis conducted in advance, form the starting point of the results section.
It is shown that the potential of artificial intelligence in healthcare is very high. However, its practical use depends on a number of challenges that currently still prevail in many scenarios. A lack of digital infrastructure, the need for large qualitative data sets, and the black box hinder widespread use of artificial intelligence in healthcare. If these problems are solved, artificial intelligence as a support function can lead to greater productivity and efficiency in the healthcare system.
Kurzfassung
Mit Künstlicher Intelligenz wird die Fähigkeit von Maschinen bezeichnet, alleine intelligente Entscheidungen in definierten Fragestellungen zu treffen. Die Technologie, die als Basistechnologie des 21. Jahrhunderts bezeichnet wird, erhält nun schon seit mehreren Jahren Einzug in die meisten Branchen der Wirtschaft.
Auch im Gesundheitswesen wird der Einsatz von Künstlicher Intelligenz erforscht. In diagnostischen Szenarien konnte Künstliche Intelligenz bereits beeindruckende Ergebnisse liefern. So werden Systeme vorgestellt, die in der Diagnose von Lungenentzündungen oder in der Erkennung von Brustkrebs zuverlässiger sind als die Einschätzung des Facharztes.
Dennoch werden auch Grenzen im Einsatz von Künstlicher Intelligenz offensichtlich. Fehlende oder nicht hochwertige Trainingsdaten führen zu suboptimalen Ergebnissen, die mangelnde Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen macht einen klinischen Einsatz schwer und die Infrastruktur ist in vielen Einrichtungen nicht für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz vorbereitet.
Außerdem sieht sich das (deutsche) Gesundheitswesen Herausforderungen des Fachkräftemangels, bürokratischen Hürden und einer alternden Gesellschaft ausgesetzt. Es stellt sich die Frage, inwiefern der Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu Effizienz- und Produktivitätssteigerungen führen kann.
Eine empirisch-qualitative Datenerhebung wird zur Beantwortung der Forschungsfragen durchgeführt. Um eine differenzierte Einschätzung zu gewährleisten, werden Experten aus den beiden betroffenen Domänen interviewt: der Medizin und der IT. Die transkribierten Interviews bilden gemeinsam mit der im Vorhinein durchgeführten Literaturanalyse den Ausgangspunkt des Ergebnisteils.
Es wird aufgezeigt, dass das Potenzial der Künstlichen Intelligenz im Gesundheitswesen sehr hoch ist. Der praktische Einsatz jedoch hängt von einer Reihe an Herausforderungen ab, die aktuell in vielen Szenarien noch überwiegen. Eine fehlende digitale Infrastruktur, die Notwendigkeit großer qualitativer Datensätze und die Black Box hindern einen flächendeckenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen. Werden diese Problemstellungen gelöst, kann Künstliche Intelligenz als Unterstützungsfunktion zu mehr Produktivität und Effizienz im Gesundheitswesen führen.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Wichtige Meilensteine in der Entstehung von KI
Abbildung 2: Kunstliche Intelligenz als Oberbegriff fur ML, DL und KNN
Abbildung 3: Lebenszyklus von Forschungsgegenstanden
Abbildung 4: Zehn Schritte zur Planung, Durchfuhrung und Analyse von Experteninterviews
Abbildung 5: Ubersicht der interviewten Experten
Abbildung 6: Operationalisierung der Forschungsfragen zur ErschlieBung von Interviewfragen
Abbildung 7: Die sechs Schritte im Forschungsprozess: vom Interview zum Ergebnis
Abbildung 8: Corona gibt der Digitalisierung und dem Einsatz von KI einen Schub
Abbildung 9: Chancen-Grenzen-Matrix
1 Einleitung
1.1 Kunstliche Intelligenz als Wunderheiler?
Selbst wenn wir es nicht mehr merken, ist Kunstliche Intelligenz (KI) bereits an vielen Stellen in unserem Alltag integriert. Wenn wir auf Amazon nach Buchern suchen, auf Netflix den nachsten Film auswahlen, auf Spotify eine Playlist zusammenstellen.dann laufen im Hintergrund lernende Systeme, die das Nutzerverhalten analysieren und so mit Ergebnissen aufkommen, die dann unter wohlbekannten Phrasen wie „Das konnte Sie auch interessieren“, „Top-Auswahl fur Dein Profil“ oder „Noch mehr Musik, die dir gefallt“ angezeigt werden.
Kunstliche Intelligenz befindet sich heutzutage nicht nur in der Entwicklung von Endnutzeranwendungen an der Tagesordnung, sondern auch in Unternehmensstrategien, politischen Diskussionen, der Forschung und sogar nationalen Initiativen. Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt der Europaischen Union (EU) zur Entwicklung ziviler Roboter „ SPARC “ aus 2014, Japans „ Robot Strategy “ aus 2015, die Strategie zu „ Robotics and Autonomous Systems “ des Vereinigten Konigreichs aus 2020 sind nur vereinzelt Beispiele nationaler Strategien, um den Einsatz Kunstlicher Intelligenz in verschiedensten Branchen voranzutreiben (Tencent Research Institute 2021, 5). Aus der EU alleine haben 18 Staaten eigens fur die Entwicklung von Kunstlicher Intelligenz Agenden verabschiedet und Kooperationen geschlossen (Hanns Seidel Stiftung 2020, 18-19).
Die Corona-Pandemie hat zusatzlichen Handlungsbedarf in der Entwicklung von KI- Anwendungen offenbart. So appellierte am 16. Marz 2020 das WeiBe Haus in Kooperation mit Forschungsinstituten an KI-Forscher und Wissenschaftler aus aller Welt, um neue KI- gestutzte Methoden zu Covid-19-bezogenen Fragestellungen zu entwickeln (Alimadadi, et al. 2020, 200).
Nach Einsicht des Gartner „Hype Cycle for Emerging Technologies 2020“ fallt auf, dass sich einige Begriffe dem Gesundheitswesen zuordnen lassen. So ist die Rede von „Digital Twin of the Person“, „Brain-Machine-Interface“ und „DNA Computing and Storage“ (Gartner 2020). Einer weiteren Studie ist zu entnehmen, dass sich die Befragten einen KI-Einsatz vor allem im Gesundheitswesen wunschen. 75% wunschen einen Einsatz in der Pflege, 67% in der Medizin (Bitkom Research 2020).
Inwieweit findet der Einsatz von KI-Technologien denn bereits heute in der Praxis des Gesundheitswesens statt? In welchen Bereichen werden Chancen gesehen? Inwiefern werden Grenzen die Entwicklung von KI im Gesundheitswesen eventuell hemmen? Diese Fragen bilden den Kern der vorliegenden Arbeit.
1.2 Problemstellung und Zielsetzung
KI hat nun in vielen Branchen Einzug erhalten. Auch im Gesundheitswesen stellt sich die Frage, inwiefern dort KI-Technologie eingesetzt werden und welcher Nutzen sich daraus ergeben kann.
Mit Kosten von uber 391 Milliarden Euro im Jahr 2018 wird keine unerhebliche Summe fur die Gesundheit der deutschen Bevolkerung und die Forschung in der Medizin ausgegeben. Dies machte im Jahr 2018 mehr als 10% des Bruttoinlandsprodukts aus (Bundesministerium fur Gesundheit 2020, 8). Demgegenuber steht ein langsamer Fortschritt in der Digitalisierung (Bitkom Research 2021). Die Genauigkeit und der Erfolg einer Diagnose beruhen oft noch auf der Erfahrung des Arztes anstatt auf einer Vielzahl von analysierten Daten (Wennker 2020, 65).
Lux (2019) fuhrt als Beispiele von Ineffizienzen in der Patientenbehandlung Fehl- und Mehrfachdiagnosen an. Grunde hierfur lagen in der Informationsaufteilung auf mehrere an der Therapie beteiligten Arzte (Lux 2019, 11). Solche Problemstellungen konnen ebenfalls einen Ansatzpunkt fur die Entwicklung von KI-Technologie darstellen. Hinzu kommen Herausforderungen des Fachkraftemangels, einer immer wachsenden Burokratie und einer alternden Gesellschaft (Wennker 2020, 63).
Fur die Managementwissenschaften entwickelt sich das Forschungsfeld der KI immer mehr zu praxisrelevanten Handlungsfeldern. Aus unternehmerischer Perspektive ist das Abwagen von Chancen und Grenzen in einem bestimmten Anwendungsfall von hoher Wichtigkeit. Deshalb untersucht die vorliegende Arbeit, welche Chancen und Grenzen bei Experten aus dem Gesundheitswesen einerseits und der KI-Forschung andererseits thematisiert werden. Durch eine Literaturanalyse sollen die Aussagen und Ergebnisse diskutiert werden, um perspektivisch die Rolle von KI im Gesundheitswesen einordnen zu konnen.
1.3 Inhalt und Aufbau
Nach einer theoretischen Definition und Einordnung des Themas werden die Forschungsfragen vorgestellt. Die rein-theoretische Auseinandersetzung wird jedoch zu Gunsten des Methoden- und Ergebnisteils kurzgehalten. Dennoch werden zur Diskussion der Ergebnisse Aussagen und Studien der Literatur wieder aufgegriffen, um eine differenzierte Untersuchung zu gewahrleisten.
Das dritte Kapitel umfasst den Methodenteil der Arbeit. Hier werden Forschungsmethode und -prozess erlautert. Die daraus resultierende Konzeptmatrix dient zur Gruppierung des Ergebnisteils.
Im vierten Kapitel werden die Ergebnisse der durchgefuhrten Interviews aufgefuhrt und diskutiert. Die Diskussion der Ergebnisse findet ebenfalls im vierten Kapitel statt. Zusammenfassend zeigt die Chancen-Grenzen-Matrix die Kernaussagen der Arbeit. Ebenso werden die Limitationen der durchgefuhrten Forschung erlautert.
Das letzte Kapitel widmet sich dem Fazit und gibt einen kurzen Ausblick.
2 Theorie
2.1 Kunstliche Intelligenz
2.1.1 Entstehung & Rahmenbedingungen
Auch wenn die Grundlagen schon vor etwa 2500 Jahren geschaffen wurden, namlich durch Forschung in Gebieten der Mathematik, Statistik, Logik, Philosophie, Psychologie und Sprachwissenschaften (Herbrich 2019, 64), so gilt die Konferenz am Dartmouth College in 1956 als Geburtsstunde der KI. Das sogenannte „Summer Research Project on Artificial Intelligence“ versammelte renommierte KI-Forscher wie McCarthy, Minsky, Shannon und Nobelpreistrager Herbert Simon (Buxmann and Schmidt 2019, 3). Uber die genaue Definition und Auslegung des Forschungskorpers KI konnte jedoch keine Einigung erzielt werden - der Begriff blieb damals, wie heute, uneindeutig.
Ein weiterer Visionar in der Vorgeschichte der KI war der Mathematiker Alan Turing. In den 1950er Jahren entwickelte er den sogenannten Turing-Test, mithilfe dessen die Intelligenz einer Maschine nachgewiesen werden sollte. Demnach galt eine Maschine als intelligent, sobald ein mit ihr kommunizierender Mensch - entweder via Text oder Sprache - die Maschine nicht als solche ausfindig machen konnte (Lexcellent 2019, 5).
Wenn auch die theoretischen Uberlegungen ihren Ursprung in der fruhen zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts hatten und die KI-Forschung durch Turing und die Dartmouth Konferenz viel Auftrieb erfuhr (Tencent Research Institute 2021, 15), so konnten diese Erwartungen in der praktischen Umsetzung nicht erfullt werden. 1997 wurde das Thema der KI durch den Schachwettkampf zwischen Deep Blue und Schachweltmeister Garri Kasparov wieder prominent. Wobei es umstritten ist, ob IBMs Deep Blue Computer tatsachlich intelligent war, oder es sich eher um auswendig gelernte Schachzuge handelte. 2016 schlug Googles AlphaGo den GroBmeister Lee Sedol in einem Spiel namens GO. Durch dieses Event stieg der Bekanntheitsgrad des Forschungsgebietes KI in der Offentlichkeit (Tencent Research Institute 2021, 3). Wissenschaftler sind sich einig, dass in diesem Fall tatsachlich Maschinelles Lernen (ML) zum Sieg der Maschine fuhrte (Hildesheim and Michelsen 2019, 120).
Abb.1 zeigt zusammenfassend die Meilensteine in der Entstehung und Entwicklung des Forschungsgebietes der Kunstlichen Intelligenz.
Abb. 1: Wichtige Meilensteine in der Entstehung von KI
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Buxmann and Schmidt 2019, 6, Wennker 2020, 4
Es ist also wichtig, zu verstehen, dass der Begriff der KI kein neues Phanomen ist. Dennoch haben sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren so geandert, dass sie eine Entwicklung und einen Einsatz von KI moglich machen. Drei wesentliche Rahmenbedingungen und damit Voraussetzungen fur KI werden in der einschlagigen Literatur hauptsachlich angefuhrt: Daten, Rechenleistung und Speicherplatz (Buxmann and Schmidt 2019, 7f, Hildesheim and Michelsen 2019, 120).
Die Verfugbarkeit groBer Datenmengen ist eine der Voraussetzungen fur das Schaffen Kunstlicher Intelligenz. Trends wie Big Data bedeuten die Verfugbarkeit von Daten in umfassendem MaBstab (Ruping and Sander 2019, 17).
Zudem hat die Rechenleistung der Computer in den letzten Jahren stark zugenommen. Wie Herbrich (2019) es treffend ausdruckt, besitzt eine „einfache Smart-Watch [...] mehr Rechenleistung als die Maschinen von damals.“ (Herbrich 2019, 64). GroBrechner sind mittlerweile technisch in der Lage, komplexe Deep-Learning-Algorithmen zu performen (Buxmann and Schmidt 2019, 8). Aktuelle Forschungen und Entwicklungen im Segment der Quantencomputer setzen diesen Trend fort (Frisch, et al. 2020, 527).
Auch ist der benotigte Speicherplatz fur die Menge der Daten nun verfugbar und unkompliziert beziehbar. Durch Cloud Computing und Storage konnen Rechenleistung und Speicherplatz (praktisch) unlimitiert von Cloud-Anbietern in Anspruch genommen werden (Buxmann and Schmidt 2019, 7). Die Entwicklung der Cloud machte zudem eine digitale Verarbeitung der Datenmengen besser moglich (Herbrich 2019, 65) und wird als Motor fur die Technologien des 21. Jahrhunderts bezeichnet (Abolhassan 2016, 24).
2.1.2 Definition und Abgrenzung
Eine eindeutige Definition der Kunstlichen Intelligenz lasst sich aus der einschlagigen Literatur nicht gewinnen. Vielmehr sind sich die Autoren daruber einig, dass eine einheitliche Begriffsbestimmung schwer zu erzielen ist, da bereits der Begriff der Intelligenz uneindeutig definiert sei (Buxmann and Schmidt 2019, 6). Zudem wird der Begriff KI je nach Autor unterschiedlich aufgefasst und dementsprechend definiert. Beispielsweise weichen fruhere Definition von heutigen Auffassungen ab (Tencent Research Institute 2021, 4). Eine grobe Einordnung der Begriffsbestimmungen aus der Literatur soll in der Definition fur die vorliegende Arbeit helfen.
Oft wird der Begriff der Kunstlichen Intelligenz in die schwache (weak or narrow) und die starke (strong or general) KI unterteilt. Wahrend man unter der starken KI alle Ansatze versteht, die versuchen, „den Menschen bzw. die Vorgange im Gehirn abzubilden und zu imitieren“ (Buxmann and Schmidt 2019, 6) und starke KI somit ebenfalls ein Verstandnis, ein Gewissen und Emotionen ausbilden kann (Lexcellent 2019, 6), beschrankt sich die schwache KI auf die Entwicklung gezielter Algorithmen fur bestimmte, abgegrenzte Problemstellungen (Buxmann and Schmidt 2019, 7). Eine starke KI ist somit lediglich theoretischer Natur und findet heutzutage (noch) keinen Einsatz in der Realitat (Tencent Research Institute 2021, 6). Somit wird fur die vorliegende Thesis die Kunstliche Intelligenz in Anlehnung an die Definition der schwachen KI definiert:
Kunstliche Intelligenz ist eine Gruppe an Technologien, die die Fahigkeit besitzen, selbstandig aus Daten lernen zu konnen, um eigenfahig und ohne explizite Programmierung Entscheidungen zu treffen (in Anlehnung an Tencent Research Institute 2021, 6, Buxmann and Schmidt 2019, 8) .
Somit liegt diese Definition nah am Teilgebiet des Maschinellen Lernens (ML), welches als die „Erkennung von Mustern und GesetzmaBigkeiten in Big Data - also groBen Datensatzen“ (Herbrich 2019, 65) definiert wird. Weiter wird der Begriff des Maschinellen Lernens in drei Unterkategorien unterteilt, die die Art des Lernens widerspiegeln:
- Uberwachtes Lernen, durch das Training mithilfe von beschrifteten und bereits durch den Menschen kategorisierten Datensatzen (Buxmann and Schmidt 2019, 9).
- Unuberwachtes Lernen, in dem Algorithmen versuchen, Muster in den Datensatzen zu finden und die Kategorisierung selbstandig vorzunehmen (Buxmann and Schmidt 2019, 10).
- Verstarkendes Lernen, in dem mithilfe von Feedback die Entscheidungen der Maschine durch den Menschen entweder belohnt oder bestraft und somit eine optimale Strategie gelernt werden soll (Buxmann and Schmidt 2019, 11).
Ein weiteres Teilgebiet der KI sind Kunstliche Neuronale Netze (KNN), die die Grundlage des Deep Learnings (DL) darstellen. Deep Learning wird oftmals angewendet, um geschriebene und gesprochene Sprache, Bilder und Videos zu verstehen (Hildesheim and Michelsen 2019, 123). Mit KNN wird versucht, das menschliche Gehirn mit dessen Neuronen und Synapsen zu simulieren und basierend auf der Gewichtung der einzelnen KNN-Schichten eine Entscheidung zu fallen (Buxmann and Schmidt 2019, 13).
Auf eine detaillierte und erschopfende Auseinandersetzung mit den theoretischen Uberlegungen wird an dieser Stelle verzichtet. Es soll vielmehr angemerkt werden, dass die Definition von KI in vorliegender Arbeit die Gebiete des Maschinellen Lernens und des Deep Learnings umfasst (siehe Abb.2).
Abb. 2: Kunstliche Intelligenz als Oberbegriff fur ML, DL und KNN
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
2.2 Der Einsatz Kunstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen
Auch im Gesundheitswesen wird nach moglichen Einsatzfeldern von KI geforscht. Erste Bekanntheit einer KI-basierten Applikation im Gesundheitswesen erlangte das MYCIN Projekt (siehe Abb.1). Das durch die Stanford University im Jahr 1972 entwickelte KI- basierte Expertensystem konnte Bakterien mit hohem Infektionspotential identifizieren und entsprechende Antibiotika vorschlagen (Villani and Rondepierre 2020, 1). Aufgrund rechtlicher und ethischer Zweifel wurde das System nie in der Praxis eingesetzt (Wennker 2020, 4). Nichtsdestotrotz war ein erster Meilenstein in der Entwicklung von KI-Systemen im Gesundheitswesen geschaffen.
50 Jahre spater lassen sich in medizinischen Publikationen regelmaBig Studien uber den Einsatz von KI fur bestimmte Anwendungsfalle finden. Im Jahr 2017 wurde ein 121- Schichten-tiefes neuronales Netz vorgestellt, das mithilfe bildgebender Diagnostik- Verfahren Lungenkrankheiten genauer diagnostizieren soll als erfahrene Radiologen (Rajpurkar, et al. 2017, 5). 2018 wurde ein weiteres Deep Learning-System vorgestellt, das Brustkrebs in Mammographien mit einer Genauigkeit von 90% klassifizieren kann (Ribli, et al. 2018, 3). Weitere Studien zeigen den hohen Wirkungsgrad von Maschinellen Lernverfahren in Krebserkennungsprogrammen (Nartowt, et al. 2020, 10).
Die genannten Beispiele stammen aus der Diagnostik. Weitere Einsatzbereiche werden in der Behandlung seltener Krankheiten, in Verlaufsvorhersagen, der Pflege, der Wirkstoffentwicklung und -forschung und der medizinischen und chirurgischen Robotik diskutiert (Jorg 2018, 97-104, Lux 2019, 11, Wennker 2020, 64-78). Eine erschopfende Auflistung aller Studien zum Einsatz von KI im Gesundheitswesen wurde den theoretischen Rahmen der Arbeit sprengen und ware ebenfalls von wenig Interesse fur den Leser. Vielmehr sollen Studien punktuell fur die Diskussion der Ergebnisse angefuhrt werden.
Auf der anderen Seite wird die Interaktion zwischen den Nutzern und der Maschine erforscht. Eine kurzlich veroffentlichte Studie zeigt auf, dass vor allem erfahrene Arzte weniger KI-unterstutze Diagnosevorschlage zu Rate ziehen, obwohl die KI-Entscheidungen eine hohere Zuverlassigkeit aufweisen (Gaube, et al. 2021, 4-5). Dieses Phanomen wirft die Frage auf, inwiefern KI-Modelle in der Praxis flachendeckend genutzt werden. Weitere Limitationen werden ebenfalls in Studien offensichtlich. In der oben aufgefuhrten Studie zur Krebserkennung wird auf die Limitation der Bildklassifizierung des KI-Modells hingewiesen, das sich durch eine geringe Datengrundlage ergibt (Ribli, et al. 2018, 5).
2.3 Forschungsfragen
Aus den aufgefuhrten Problemstellungen ergibt sich die Forschungslucke. Zum einen soll durch Empirie der Einsatz von KI-Technologien in der beruflichen Praxis von Experten eingeschatzt werden. Des Weiteren sollen wesentliche Chancen und Grenzen festgestellt und auf theoretischen Befunden aufbauend diskutiert werden.
Zum anderen wird eine kritische Reflektion und Einordnung der Ergebnisse im Chancen- Grenzen-Spannungsfeld unternehmerischer Handlungen als wichtig erachtet. Die Relevanz der Thematik ergibt sich aus dem Bedarf einer managementwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Einsatzpotenzial von KI in der Gesundheitsbranche. So sollen Expertisen aus beiden Fachbereichen, der Medizin und der KI-Forschung, zur Entwicklung einer gesamtheitlichen Einschatzung in Bezug zueinander gesetzt werden.
Aus der Forschungslucke ergeben sich drei Forschungsfragen, deren Beantwortung Gegenstand des vierten Kapitels sein wird.
(1) Welche Chancen eroffnen sich (zukunftig) fur KI-Anwendungen im Gesundheitswesen?
(2) Welche Grenzen und Risiken mussen bei KI-Anwendungen berucksichtigt werden?
(3) Wie werden diese Chancen und Grenzen heute bei Experten eingeschatzt?
3 Methode
3.1 Empirisch-qualitative Datenerhebung
Zur Erhebung der empirischen Daten wurde fur die vorliegende Arbeit die empirisch- qualitative Methode gewahlt. Diese Wahl wird begrundet durch die fruhe Phase im Lebenszyklus des Forschungsgebietes, in dem sich der Forschungsgegenstand der vorliegenden Arbeit, namlich die Kunstliche Intelligenz, befindet. Nach Goldenstein et al (2018, 6) konnen sich Forschungsgegenstande in vier lebenszyklischen Phasen befinden. Aus diesen Phasen lasse sich ableiten, ob eine wissenschaftliche Arbeit das Ziel der Theoriegenerierung (qualitativ) oder der Theorietestung (quantitativ) verfolgen sollte (siehe Abb.3). Wengraf (2001) fuhrt jedoch an, dass qualitative Interviews an mehreren Stellen im Forschungsprozess eingesetzt werden und demnach verschiedene Funktionen einnehmen konnen (Wengraf 2001, 51). Fur diese Arbeit werden jedoch Interviews mit dem Ziel der Generierung von Theorien, also in Phase 2 aus Abb.3, durchgefuhrt.
Abb. 3: Lebenszyklus von Forschungsgegenstanden
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Goldenstein, Hunoldt and Walgenbach 2018, 6
Ausgangspunkt hierbei bilden nach Bogner & Menz (2002) die „Subjektive[n] Handlungsorientierungen und implizite[n] Entscheidungsmaximen der Experten aus einem bestimmten fachlichen Funktionsbereich“ (Bogner and Menz 2002, 38). Somit soll in Konsequenz eine „theoretisch gehaltvolle Konzeptualisierung von (impliziten) Wissensbestanden [.], welche die Experten in ihrer Tatigkeit entwickeln [.]“ (ebd.) dargestellt werden. Auf die Wahl der Experten wird im nachsten Unterkapitel eingegangen. Es wurde im Theorieteil dieser Arbeit deutlich gemacht, dass sich die Forschung der Kunstlichen Intelligenz im Gesundheitswesen noch in einem anfanglichem Stadium befindet. Deshalb erscheint eine empirisch-qualitative Datenerhebung in Form von leitfadengestutzten Experteninterviews als sinnvoll. Kaiser (2014) definiert qualitative Experteninterviews als ein „systematisches und theoriegeleitetes Verfahren der Datenerhebung in Form der Befragung von Personen [.]“ (Kaiser 2014, 6).
In den Sozialwissenschaften, zu denen die Managementwissenschaften gehoren, werden Experteninterviews haufig als Methode eingesetzt (Wassermann 2015, 51). Sie zeichnen sich durch ein induktives Vorgehen aus. Die Induktion hat zum Ziel die Bildung von „(vorlaufigen) allgemeinen Aussagen auf der Grundlage konkreter Einzelfalle“ (Goldenstein, Hunoldt and Walgenbach 2018, 39).
Kaiser (2014) schlagt zehn Schritte zur Planung, Durchfuhrung und Analyse von Experteninterviews vor. Abb.4 zeigt die Abfolge der Schritte, die vorliegender Arbeit zugrunde lagen. In den folgenden Unterkapiteln werden einzelne Schritte wie die Entwicklung des Interviewleitfadens, die Transkription und die Kodierung als Teilschritt der qualitativen Inhaltsanalyse naher erlautert.
Abb. 4: Schritte zur Planung, Durchfuhrung und Analyse von Experteninterviews
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Kaiser 2014, 12
Zur Methodendebatte ist anzufuhren, dass das gewahlte Forschungsinstrument auch zu nicht zufriedenstellenden Ergebnissen fuhren kann. So besteht die Gefahr, dass Experteninterviews aus verschiedenen Grunden misslingen (Meuser and Nagel 2002, 7879). Zudem werden im Vergleich zu quantitativen Erhebungsmethoden individuellere Daten erhoben, was in der Natur einer qualitativen Erhebung liegt. Dennoch ist es wichtig, durch die Interviews einen moglichst umfassenden Uberblick zu schaffen (Niederberger and Wassermann 2015, 11). Das sogenannte Expertendilemma - verschiedene Experten mit unterschiedlichen Argumentationslogiken antworten auf gleiche Fragen - sei in der qualitativen Datenerhebung keine Seltenheit. Daher wird in vorliegender Arbeit auf eine ausreichende Anzahl von Interviews und der Integration mehrerer Experten geachtet, um einen reprasentativen Wissens- und Erfahrungsstand zu erheben.
3.2 Expertenwahl
Angelehnt an den wissenssoziologischen Expertenbegriff von Bogner und Menz (2002) wird der Experte als eine Person mit sicherem und eindeutigem Wissen bezuglich einer Fragestellung definiert. Im Gegensatz zum normalen Burger besitzt er uber „Sonderwissen“, welches sich unter anderem durch die Ausubung seines Berufs etabliert hat (Bogner and Menz 2002, 41). Somit vereint der Experte Information und Zustandigkeit in problembezogenen Fragestellungen (Pfadenhauer 2002, 116).
Um die Forschungsfragen differenziert beantworten zu konnen, wurden die durchzufuhrenden Interviews auf zwei Expertengruppen verteilt. Somit wurden auf der einen Seite Experten aus der KI-Domane und auf der anderen Seite Akteure aus dem Gesundheitswesen interviewt. In der Auswahl der KI-Experten wurde darauf geachtet, dass sie bereits Erfahrungen im Umgang mit Projekten aus dem Gesundheitswesen hatten, um einen Bezug zu dem Forschungsthema leichter herstellen zu konnen.
Insgesamt wurden zehn Interviews durchgefuhrt. Dabei konnten drei Interviews in der Medizin- und sieben Interviews in der KI-Domane durchgefuhrt werden. Die Namen der Experten wurden fur die Thesis anonymisiert. Nachfolgend zeigt Abb.5 die Zusammenstellung der Experten.
Abb. 5: Ubersicht der interviewten Experten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
3.3 Beschreibung der Datenerhebung und des Erhebungsinstruments
3.3.1 Interviewleitfaden und Fragen
Dercc aus methodischer Sicht die Vergleichbarkeit der Expertenaussagen sicher(Bogner and Menz 2002, 38). Er grenzt die interessierenden und hinsichtlich der Forschungsfragen relevanten Themen ein und dient dazu, den Fokus der Interviews auf diese Themen zu legen (Meuser and Nagel 2002, 81f).
Durch die Operationalisierung der Forschungsfragen konnen die Interviewfragen abgeleitet werden. So wird sichergestellt, dass die Aussagen der Experten relevant und informationsreich sind, um die Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit beantworten zu konnen (Kaiser 2014, 56).
Abb.6 zeigt schematisch den Vorgang der konzeptionellen und instrumentellen Operationalisierung. Nachfolgend werden basierend auf diesem Vorgang die Interviewfragen abgeleitet.
Abb. 6: Operationalisierung der Forschungsfragen zur Erschließung von Interviewfragen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Kaiser 2014, 57
Aus den drei Forschungsfragen lassen sich folgende Analysedimensionen ableiten.
A. Chancen der KI im Gesundheitswesen
B. Grenzen der KI im Gesundheitswesen
C. Wahrnehmung von Experten zum gegenwartigen praktischen Einsatz der KI im Gesundheitswesen
D. Konkretisierung von Anwendungsbereichen am Beispiel von Covid-19
Daraus wurden fur den Interviewleitfaden die folgenden Fragen abgeleitet.
1. Wie hat sich KI im Gesundheitswesen in den letzten Jahren entwickelt und welche Rahmenbedingungen haben dazu beigetragen?
2. Welche Rolle wird KI im Gesundheitswesen zukunftig spielen und welche Anwendungsbereiche kommen Ihnen in den Sinn?
3. Welche Risiken fallen Ihnen zu diesem Thema ein? Gibt es Grenzen und Umsetzungsbarrieren, an die KI-Anwendungen im Gesundheitswesen stoBen werden?
4. Inwiefern finden KI-Anwendungen heute schon in Ihrer beruflichen Praxis einen Einsatz?
5. Inwiefern konnte KI im Kampf gegen Corona helfen, bzw. hatte helfen konnen?
Die ersten beiden Fragen berucksichtigen den zeitlichen Rahmen der Entwicklung von KI in der Gesundheitsbranche. Was hat sich in den letzten Jahren getan, und wo geht die Reise der KI im Gesundheitswesen noch hin? Zudem wird ein Bezug zu den Rahmenbedingungen, die im Theorieteil erlautert wurden, geschaffen. Durch die dritte Interviewfrage sollen die Grenzen und Risiken befragt werden. Die vierte Frage widmet sich der Forschungsfrage, wie diese Chancen und Grenzen von den Experten eingeschatzt und inwiefern KI-Anwendungen heute bereits im Gesundheitswesen eingesetzt werden. Die letzte Frage stellt einen Exkurs zur Corona-Pandemie dar und soll konkrete Beispiele fur den Ergebnisteil liefern.
Diese Fragen dienen zur Unterstutzung und thematischen Fuhrung im Interview, werden jedoch nicht wortwortlich vorgelesen. Vielmehr wird darauf geachtet, ein naturliches Gesprach in der Interaktion mit dem Experten aufrechtzuerhalten. Gegebenenfalls werden Ruckfragen seitens des Interviewers gestellt, um einzelne Bemerkungen des Experten zu vertiefen, was sich als inhaltlich wertvoll fur die Beantwortung der Forschungsfragen herausstellt. Dem Experten wird der Spielraum zur Entwicklung und Formulierung seiner „eigenen Relevanzen“ gewahrt (Pfadenhauer 2002, 117).
Die Interviews wurden im Zeitraum des 09.-21. Februars 2021 durchgefuhrt. Sie hatten eine durchschnittliche Lange von 25 Minuten und wurden uber das Videokonferenztool Webex abgehalten.
3.3.2 Transkription
Eine saubere, qualitative Inhaltsanalyse der Experteninterviews setzt eine Transkription der Interviews voraus, um das Gesprach fur „anschlieBende Analysen zuganglich“ zu machen (Dresing and Pehl 2018, 16). Dazu wurden die virtuell durchgefuhrten Gesprache auf Tonband aufgenommen. Es wurde in Anlehnung an die inhaltlich-semantische Transkription nach Dresing & Pehl (2018, 21f) transkribiert. Dies bedeutet, dass wortlich transkribiert wurde, nicht lautsprachlich oder zusammenfassend. Zudem wurden Wortverschleifungen an das Schriftdeutsch angepasst und abgebrochene Worter und irrelevante Satzanfange ignoriert. AuBerdem wurden Pausen, Stimmlagen sowie nonverbale Elemente in Anlehnung an Meuser & Nagel (2002) ebenfalls nicht transkribiert (Meuser and Nagel 2002, 83). Gedankliche Pausen und relevante Satzsprunge wurden mit einem [.] gekennzeichnet. Um die Nachvollziehbarkeit der Zitate aus den Transkripten im Ergebnisteil der vorliegenden Arbeit zu gewahrleisten, wurden die Transkripte mit Zeilennummern in Anlehnung an Kaiser (2014, 97) ausgestattet. Da es sich um eine anonyme Erhebung handelt, wurde eine laufende Nummer an die Interviews angefugt, um einen Verweis sicherzustellen. Im Ergebnisteil wird durch die Angabe der Lauf- und Zeilennummer auf die Quellstelle hingewiesen.
Die vollstandigen Transkripte konnen im Anhang dieser Arbeit eingesehen werden.
3.4 Qualitative Inhaltsanalyse zur Auswertung der Interviews
Mayring (2020) schreibt der qualitativen Inhaltsanalyse eine bedeutende Rolle in der empirisch-qualitativen Forschung zu. Die Herangehensweise der „induktive[n] Kategorienbildung“ stelle eine wichtige Vorgehensweise dar (Mayring 2020, 497). Basierend auf den Transkripten wird eine „Zuordnung von Kategorien zum Textmaterial regelgeleitet vorgenommen“ (ebd.). Auf Basis dieser induktiv erstellen Kategorien kann eine Kodierung des transkribierten Materials vorgenommen werden. Somit konnen sowohl die deduktiv festgestellten Kategorien, die zur Entwicklung des Leitfadens herangezogen wurden, als auch die durch die Interviews gefundenen neuen Kategorien festgehalten werden. Diese Herangehensweise wird methodisch als „Offenheit dem Material gegenuber“ bezeichnet (Dresing and Pehl 2018, 36).
Wie aus Abb.4 hervorgeht, stellen die Identifikation der Kernaussagen und die theoriegeleitete Generalisierung und Interpretation die nachsten Arbeitsschritte in der qualitativen Inhaltsanalyse dar.
Kuckartz (2012) schlagt basierend auf den codierten Transkripten eine quantifizierende Materialubersicht vor (Kuckartz 2012, 25). Damit meint er die „Darstellung der Ergebnisse der Codierung in Form von Tabellen“ (ebd.). Eine solche Tabelle wurde mithilfe der Konzeptmatrix nach Webster & Watson (2002) angefertigt. Die beiden Wissenschaftler schlagen eine konzept-orientierte - in Opposition zur Autor-zentrierten - Textanalyse vor. Die Erstellung und Zusammenfuhrung von (Sub-)Kategorien ermoglicht eine flexible und zielgerichtete Analyse des Materials (Webster and Watson 2002, 17). Gerade in der Arbeit mit qualitativen Interviews erscheint ein solches Vorgehen als sinnvoll. Denn so konnten die Kernaussagen und Argumente der Experten je nach Konzept miteinander verglichen werden. Wahrend Webster & Watson mit Zeichenmarkierungen der entsprechenden Literatur in der Konzeptmatrix arbeiten (ebd.), wurden fur diese Arbeit die entsprechenden Zeilennummerierungen aus den Transkripten zur Verortung der Quelltextstelle verwendet. Die einzelnen Konzeptcluster werden nun im folgenden Ergebnisteil prasentiert.
Zusammenfassend zeigt Abb.7 den methodischen Forschungsprozess, der dieser Arbeit zugrunde lag.
Abb. 7: Die sechs Schritte im Forschungsprozess: von Interview zum Ergebnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
4 Ergebnisse und Diskussion
4.1 Chancen
4.1.1 Behandlung
Das erste Konzept-Cluster, zu welchem alle Experten Chancenpotenzial geauBert haben, ist die Patientenbehandlung. Unter diese Kategorie fallen die Diagnostik, die therapeutische Behandlung und die Gesundheitsokosysteme. In diesem Kapitel werden also Chancen und Anwendungsbeispiele der KI in Bezug auf den Endnutzer aufgefuhrt und diskutiert.
Der Bezug zu dem Endnutzer1 wird von Interviewpartner 8 als besonders spannend angesehen, wenn man uber KI im Gesundheitswesen spricht (I.08, 028). Zudem wird seiner Meinung nach „vieles vom Endnutzer“ getrieben (I.08, 042). Als die zwei primaren Endnutzergruppen konnen auf der einen Seite der Patient und auf der anderen Seite der Arzt ausgemacht werden (I.05, 012). Es sei wichtig, KI so einzusetzen, dass ein tatsachlicher Mehrwert fur den Nutzer entsteht (I.05, 001-004). Die folgenden drei Einsatzbereiche sollen exemplarisch darstellen, inwiefern KI beiden Endnutzergruppen, dem Arzt und dem Patienten, helfen kann.
Diagnostik. In der Diagnostik finden gerade neuronale Netze vielfaltig Anwendung. Ein klassisches Einsatzgebiet von Kunstlicher Intelligenz ist die Klassifikation von Bildern, was wiederum zur Erkennung von Krankheiten helfen kann. Beispielhaft konnten mithilfe von neuronalen Netzen das Gehirnalter auf Grundlage von MRT2 -Bildern bestimmt werden, mit einer Testgenauigkeit von bis zu 85% (Kumar, Pathak and Stynes 2020, 111). Es lassen sich viele Beispiele fur den Einsatz von KI in der Diagnostik finden (siehe Theorieteil). Die Mehrzahl der Anwendungen stammt aus der Radiologie. Dem stimmt auch Interviewpartner 3, Arzt fur Anasthesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, zu: „[.] in der Radiologie gibt's zum Beispiel KIs, die ziemlich treffsicher auch Rontgenbilder bewerten konnen.“ (I.03, 111). Dem stimmt auch ein KI-Experte zu: „[.] gerade in der Bildverarbeitung gibt es sehr viele Beispiele, wo die KI extrem gut ist [.]“ (I.05, 106).
Der Direktor des Instituts fur Virologie fugt hinzu:
„[.] bei der bildgebenden Diagnostik gibt es ja inzwischen schon Programme mit Kunstlicher Intelligenz, die tatsachlich in der Lage sind,
Diagnosen besser zu stellen, als Arzte, selbst erfahrene Arzte.“ (I.09, 083 085)
Ein beeindruckendes Phanomen schildert der interviewte CTO3:
mein Lieblingsbeispiel[ist]immerdie Befundung von Rontgenbildern.
Da war es jetzt letztes Jahr so, dass die Top Arzte besser sind als die KI, aber nicht mehr am Ende ihres Arbeitstages. Also morgens hat der Arzt die KI geschlagen, am Ende seiner zwolf plus X Stundenschicht war die KI besser als er, weil die KI macht keine Mudigkeitsfehler.“ (I.07, 014-017)
Damit wird eine zentrale Chance der Kunstlichen Intelligenz aufgezeigt. Sobald sie gut trainiert ist, kann sie systematisch und strukturiert diagnostische Entscheidungen treffen, ohne Mudigkeitserscheinungen zu zeigen. Sie unterliegt keinen menschlichen Fehlern, die beispielsweise aus der Mudigkeit oder aus einer unvollstandigen Informationslage resultieren.
Das gleiche Chancenpotenzial wird ebenfalls in der Literatur diskutiert. Arora & Soni (2021) schreiben, dass obwohl Arzte uber mehr Wissen und Erfahrung verfugen, trifft das System in ihrer Forschung bessere diagnostische Entscheidungen, da es nicht durch Mudigkeit und Voreingenommenheit (Bias) betroffen sei (Arora and Soni 2021, 26). Sonntag (2020) fugt hinzu, dass der „hohe zeitliche Druck und die heterogene Datenlage [.] zu Fehlern fuhren [konnen].“ (Sonntag 2020, 4). In einer Studie wurde durch den Vergleich von Erst- bzw. Uberweisungsdiagnosen mit endgultigen Diagnosen untersucht, inwiefern sich Behandlungsmethoden eines Patienten durch variierende Diagnosen andern. Lediglich 12% der Diagnosen stimmten mit dem Erstgutachten der Arzte uberein. In 20% der Falle unterschieden sich Erst- und Finaldiagnose sogar deutlich (Van Such, et al. 2017, 871). Die in dieser Studie aufgezeigte diagnostische Unsicherheit ist keine Seltenheit (Meyer, Singh and Graber 2015, 1138.e25). Somit wird die Relevanz einer KI-basierten Unterstutzung deutlich.
Ein Kl-basiertes System - wieder unter der Pramisse, dass es gut trainiert wurde - kann in einer kurzen Zeit eine maximale Menge an Daten, die zur Diagnose notwendig sein konnten, zur Entscheidung berucksichtigen. Den gleichen Einblick liefert das Interview mit einer KI-Expertin, die im Bereich von IBM Watson AI & Health tatig ist:
„Der Mensch hat halt gewisse Einschrankungen, der kann nicht so viel lesen, wie eben eine Maschine das kann. Und wenn er dafur AI-Losungen nutzt, bin ich auch davon uberzeugt, dass die Behandlung wirklich besser wird.“ (I.02, 164-166)
Ob und wie ein KI-System gut trainiert werden kann, wird in Kapitel 4.2.3 diskutiert. Dort wird auch auf den oben angesprochenen moglichen Konflikt des Bias eingegangen, welcher zu Fehlentscheidungen fuhren kann.
Im Institut fur Virologie des Universitatsklinikums Essen wird Kunstliche Intelligenz in der Diagnostik fur Viruserkrankungen bereits eingesetzt. Das im Jahr 2019 vom Universitatsklinikum gegrundete Institut fur KI in der Medizin (IKIM) analysiert Gensequenzen einer Vielzahl von Viren mithilfe von KI:
„Ich erwahne das, weil wir schon seit langerem an einer Stelle Beruhrungspunkte mit Kunstlicher Intelligenz haben. [...] Und zwar geht’s da um die genetische Sequenz von Viren.“ (I.09, 004-006)
Therapie. Ein zweites (potenzielles) Einsatzfeld der Kunstlichen Intelligenz wurde in der therapeutischen Behandlung des Patienten ausgemacht. Nachdem eine Diagnose gestellt wurde, konnen auch in der Wahl des Behandlungspfades intelligente Technologien eingesetzt werden, beispielsweise durch ein KI-basiertes „Medical Decision Support System“ (MDSS) (I.08, 032). Mithilfe eines solchen MDSS konnten Arzte die Behandlungsmethoden von Patienten mit ahnlichen Verlaufen vorgeschlagen bekommen, um optimale Entscheidungen fur den vorliegenden Fall zu treffen (I.08, 033-035). Die KI wurde in diesem Fall als eine klinische Unterstutzungsmethode eingesetzt.
Dieser KI-Einsatz wird jedoch in den Fachbereichen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesehen. So erklart der Intensivmediziner:
„Also tatsachlich findet KI in der klinischen Anwendungen, zumindest als Therapieoption, [.] eigentlich keine Anwendung, muss man ehrlicherweise sagen.“ (I.03, 093-094)
Die KI wurde dort in der therapeutischen Behandlung lediglich als Dokumentationsassistent dienen, „ahnlich wie Siri“ (I.03, 095). Dennoch sieht er in der Patientenversorgung das Potenzial, dass KI durch beispielsweise ein MDSS zukunftig nachhaltig unterstutzen konnte (I.03, 104-110).
KI und Covid-19 in der Behandlung. Auch wurden im Austausch mit den Experten konkrete Beispiele fur den moglichen Einsatz von KI im Umgang mit Covid-19 deutlich. In der Diagnostik sollen Deep Learning Verfahren genutzt worden sein, um Lungenrontgenbilder zu klassifizieren (I.01, 122-124). Zu der therapeutischen Behandlung jedoch konnten keine Aussagen getroffen werden (I.07, 106). Zudem auBert der interviewte CTO die Meinung, dass KI heutzutage bereits eingesetzt wird, jedoch in „schmalen Anwendungsfallen“, Mainstream sei es „noch lange nicht“ (I.07, 048-050). Damit wird die Parallele zu der theoretischen Definition der schwachen KI deutlich (siehe Kapitel 2.1.2). Fur den Einsatz in spezifischen und begrenzten Problemstellungen kann KI bereits heute sehr gute Ergebnisse erzielen. Jedoch liegt die KI-Anwendung in Form einer starken oder generellen Intelligenz fernab der Realitat.
In der Literatur lassen sich viele wissenschaftliche Publikationen zu dem Thema der Klassifikation von Rontgenbildern zur Diagnose von Covid-19 finden. So gibt es selbstlernende Systeme, die bestimmte optische Details in den Rontgenbildern lernen, die eine Covid-19 Erkrankung zu einer grippalen Lungenentzundung abgrenzen (Sonntag 2020, 2). Weitere Publikationen zeigen die hohe Genauigkeit von KI-basierten Systemen in der Diagnose basierend auf der Symptomatik und den Testergebnissen (Vaishya, et al. 2020, 337). Bahel & Pillai (2020) schlagen ein Klassifizierungssystem mithilfe von neuronalen Netzen vor, die vermehrt fur intelligente Aufgaben wie die Objekterkennung und -verfolgung eingesetzt werden (Bahel and Pillai 2020, 119). Sie kommen zu dem Ergebnis, dass ihre Methode ein besseres Ergebnis als traditionelle Methoden erzielt und somit fur eine Diagnose der Covid-19 Krankheit eingesetzt werden kann (ebd., p. 129). Dennoch merken sie an, dass die Zuverlassigkeit des Systems auf das AusmaB der Trainingsdaten begrenzt sei. Um die Genauigkeit zu erhohen, musse man also mehr Trainingsdaten in Form von Rontgenbildern besitzen (ebd., p. 127). Arora & Soni (2021) entwickelten ein KI- basiertes Expertensystem mithilfe dessen ein pre-diagnostischer Test durch die Eingabe von moglichen Symptomen durch die Bevolkerung selber durchgefuhrt werden kann. Das System konnte eine Genauigkeit und richtige Testdiagnose in 80% der Falle aufweisen, was uber den gesammelten Referenzwerten der Arzte lag (Arora and Soni 2021, 26).
Studiert man die wissenschaftlichen Texte zu dem Einsatz von KI zur Diagnose von Covid- 19, fallt auf, dass die eingesetzten Methoden jeweils durch spezifische Rahmenbedingungen und Voraussetzungen begleitet werden. Eine Voraussetzung ist beispielsweise die Verfugbarkeit und Qualitat der Trainingsdaten. Auf die Relevanz der Daten wird in Kapitel 4.2.3 eingegangen.
Einige Autoren zeigen die Limitationen der KI in der Diagnostik auf. Wenn auch KI und vor allem Deep Learning-Systeme als ein machtiges Werkzeug in der Diagnose von Covid-19 angesehen wird, so wird die Entwicklung von automatisierten KI-Modellen zur Erkennung, Diagnose und Vorhersage der Covid-19 Infektion fur die breite Bevolkerung noch als offenes Forschungsproblem („ open research problem “) gesehen (Raza 2020, 169). Dennoch hat Raza in einem spateren Artikel der Rolle der KI in der heutigen und vor allem zukunftigen Diagnostik und Pravention von Krankheiten einen hohen Stellenwert zugeschrieben (Raza, Maryam and Qazi 2021, 9).
Gesundheitsokosysteme (Health Systems) . Die Schaffung eines Okosystems, das alle relevanten Gesundheitsdaten um den Patienten herum zusammentragt, ist eine der groBten Chancen in diesem Cluster der Patientenbehandlung (I.05, 006). Im Gesundheitssystem sind eine Vielzahl an Akteuren involviert. Das Bundesministerium fur Gesundheit (BMG) teilt die Akteure in drei Ebenen ein: Der gesetzliche Rahmen (BMG, Bundeslander, Kommunen), die Selbstverwaltung (Krankenkassen, Krankenhausgesellschaft) und die einzelnen Akteure (Patienten, ArztInnen, TherapeutInnen) (Bundesministerium fur Gesundheit 2020, 17-21). Dies bestatigt auch Interviewpartner 5: „[...] die Komplexitat der Akteure im Gesundheitssystem ist recht hoch.“ (I.05, 019). Eine Chance von Kunstlicher Intelligenz liegt nun in der intelligenten Verknupfung und Kommunikation zwischen diesen Akteuren. Am bekanntesten sind die Bemuhungen um die Etablierung einer elektronischen Patientenakte (ePA). Mit der gematik4 gab es bereits 2005 Initiativen in der Entwicklung einer Telematikinfrastruktur und der Einfuhrung einer elektronischen Gesundheitskarte. Doch erst vor Kurzem wurde durch die offizielle Einfuhrung der elektronischen Patientenakte ein wichtiger Meilenstein in der Schaffung eines Gesundheitsokosystems erreicht (Januar 2021, gematik.de). Selbst wenn eine solche Patientenakte nicht auf KI- basierten Systemen per se operiert, stellt sie eine bedeutende Chance fur den Einsatz von KI dar. Sowohl innerhalb von Gesundheitseinrichtungen wie bspw. durch die Entwicklung von In-house-Applikationen fur den Patienten (I.05, 153-160), als auch durch die externe Anbindung von Gesundheitsdaten. Durch diese zentrale Verwaltung und Analyse der Gesundheitsdaten, die dann mithilfe von KI auf auffallige Muster gepruft werden, konnte ein hoher Mehrwert fur die ePA entstehen:
„Mit dieser Patientenakte, die gefuttert wird, durch die Daten, die standig erhoben werden. Mit deinen Wearables, mit dem Aufenthalt beim Arzt, mit deinem Bluttest, den du mal zwischendurch beim Hausarzt machst. Alles muss an einen zentralen Ort kommen.“ (I.08, 082-084)
Eine gut trainierte ePA wurde auch den beiden vorher genannten Anwendungsfallen, der Diagnostik und der Therapie, zugutekommen. Denn durch die digitale Aufbewahrung und Analyse von vergangenen Krankheiten, Diagnosen, Medikationen und Therapien konnen bessere Entscheidungen fur den vorliegenden Fall getroffen werden. Wie Interviewpartner 2 sagt, sei es unheimlich wichtig, zu wissen, welche Medikamente bereits angeschlagen haben, welche nicht und ob bestimmte Behandlungen bereits fehlgeschlagen hatten (I.02, 157-160), mit anderen Worten wurden die behandelnden Arzte auf einen Blick das „bigger picture" erkennen (I.03, 021). Das Einholen eines Zweitgutachtens ist eine gangige Methode von vielen Patienten (Meyer, Singh and Graber 2015). Innerhalb des Unterkapitels zur Diagnostik wurde bereits aufgezeigt, dass diagnostische Unsicherheit nicht selten vorkommt. Mehrfachdiagnosen bedeuten einen ineffizienten Behandlungspfad. Auch in Anbetracht dieser Ineffizienzen wird die Relevanz einer Kl-unterstutzen ePA deutlich.
Beispielsweise konnte die KI dem Arzt durch die Texterkennung im Durcharbeiten von den vielen Arztbriefen assistieren. Die Klassifizierung von Arztbriefen scheint jedoch keine einfache Angelegenheit zu sein. Grunde hierfur sind die fehlende Standardisierung und die oftmals unleserliche Handschrift (I.01, 059). Hinzu kommt, dass die Voraussetzungen fur eine zentrale Datensammlung oft noch nicht vorhanden sind. So sagt der Intensivmediziner, dass es immer noch Stationen gabe, die alles auf Papier dokumentieren und die Daten somit gar nicht digital verfugbar seien (I.03, 056). Das hatte als Folge, dass „[...] naturlich super viele Daten und auch Informationen verloren“ gehen (ebd., 060). Auf die Herausforderungen der Digitalisierung wird im Kapitel 4.2.1 eingegangen.
Perspektivisch kann sich ein KI-Berater folgendes Szenario vorstellen. Es zeigt, welche wichtige Rolle KI im Thema der ePA und des Gesundheitsokosystems spielen konnte und eventuell spielen wird:
interessant wird’s ja erst, wenn ich wirklich die Vitalparameter aus dem Krankenhaus habe. Wenn ich 24/7 merke, das ist der Verlauf meines Patienten, und ich habe alles strukturiert in einer Datenbank. Ich kann praktisch meinen Patienten in einem digitalen Twin, einem digitalen Klon, darstellen. Ich kenne zu jeder Zeit immer sein Bedurfnis und ich kenne genau seine Vitalparameter. Wenn man darauf es schafft, KIs zu trainieren, dann haben die auch einen richtigen Mehrwert fur den Patienten. Aber auch fur den Arzt.“ (I.08, 071-077)
4.1.2 Forschung
In der Forschung hat KI besonders im sogenannten Drug Repurposing Einzug erhalten. Im Drug Repurposing geht um die Wiederverwendung "alter", d.h. bereits bekannter Medikamente zur Behandlung neuer und oftmals seltener Krankheiten (Langedijk, et al. 2015, 1030). Somit stellt das Drug Repurposing eine Unterkategorie in der Medikationsforschung dar. Es ist eines der beliebtesten Forschungsfelder, in dem KI- basierte Systeme eingesetzt werden (Pushpakom, et al. 2019, 41).
[...]
1 Aus Grunden der Lesbarkeit wird auf eine gleichzeitige Verwendung der femininen und maskulinen Schreibform verzichtet. Alle Personenbezeichnungen werden als geschlechtsneutral verstanden.
2 Magnetresonanztomographie
3 Chief Technology Officer
4 Die gematik wurde 2005 als eine GmbH mit dem Ziel der Entwicklung und Einfuhrung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) gegrundet. Gesellschafter sind die Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitssystems wie u.a. das BMG, die Bundesarztekammer, die Krankenhausgesellschaft.
- Citation du texte
- Mathieu Franke (Auteur), 2021, Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen. Chancen und Grenzen am Beispiel von Covid-19, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1154562
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