In Rahmen eines Hauptseminars unternehme ich hier einen Versuch, zwei Texte David Bergelsons „Blindheit“ und „Wieder eine Nacht vorbei“ einer Analyse zu unterziehen.
Die Analyse geht von der Hypothese aus, dass in den zwei Texten Bergelsons eine bestimmte Konstellation anzutreffen ist, die durch eine gemeinsame Linie miteinander verwebt ist. Durch eine Außenperspektive werden Bergelsons Protagonisten als Akteure in einer Welt geschildert, von der sie sich durch ein andersartiges Benehmen abheben.
Der Blick auf die Protagonisten, Ehefrau Sonja und Dichter Max Wenzel, erfolgt in dieser Arbeit aus einer distanzierten Perspektive. Die Andersartigkeit der Protagonisten gegenüber ihrem menschlichen Umfeld führt bei den Figuren Bergelsons teilweise zu einem Zustand der Isolation, des Alleinseins und der Einsamkeit.
Gleichzeitig richten sich die Protagonisten ihr eigenes System der Einsamkeit ein. Die vorliegende Arbeit untersucht die zwei Texte Bergelsons bezüglich der Einsamkeit und leistet eine theoretische Darstellung des Phänomens der Einsamkeit. In den ersten Schritten der Untersuchung wird die Schriftstellerfigur David Bergelson präsentiert, danach wird das Phänomen der Einsamkeit erläutert und schließlich wird ein Bezug auf Bergelsons Erzählungen genommen.
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2. Zu David Bergelson
3. Phänomen der Einsamkeit
3.1 Psychologische Perspektive der Einsamkeit
3.2. Sigmund Freuds Perspektive
3.3 Kulturell-Literarische Perspektive
4. Blindheit
4.1 Unter den Emigranten
5. Wieder eine Nacht herum
5.1 Die Nacht als Ort der Zurückgezogenheit
5.2 Am Rande des Bürgersteigs am Rande der Existenz
5.3 Max Wenzels Umgebung
5.4 Ein Dichter für die Dichtung
5.5 Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
5.6 Einsamkeit der Dialoge
6. Schlussfolgerung
7. Literaturliste
1.Einleitung
In Rahmen eines Hauptseminars an der Humboldt Universität zum Thema „Jüdisches Berlin , jüdisches Warschau“ unternehme ich hier einen Versuch, zwei Texte David Bergelsons „Blindheit“ und „Wieder eine Nacht vorbei“ einer Analyse zu unterziehen.1
Die Analyse geht von der Hypothese aus, dass in den zwei Texten Bergelsons eine bestimmte Konstellation anzutreffen ist, die durch eine gemeinsame Linie miteinander verwebt ist. Durch eine Außenperspektive werden Bergelsons Protagonisten als Akteure in einer Welt geschildert, von der sie sich durch ein andersartiges Benehmen abheben. Der Blick auf die Protagonisten, Ehefrau Sonja und Dichter Max Wenzel, erfolgt in dieser Arbeit aus einer distanzierten Perspektive. Die Andersartigkeit der Protagonisten gegenüber ihrem menschlichen Umfeld führt bei den Figuren Bergelsons teilweise zu einem Zustand der Isolation, des Alleinseins und der Einsamkeit. Gleichzeitig richten sich die Protagonisten ihr eigenes System der Einsamkeit ein. Die vorliegende Arbeit untersucht die zwei Texte Bergelsons bezüglich der Einsamkeit und leistet eine theoretische Darstellung des Phänomens der Einsamkeit. In den ersten Schritten der Untersuchung wird die Schriftstellerfigur David Bergelson präsentiert, danach wird das Phänomen der Einsamkeit erläutert und schließlich wird ein Bezug auf Bergelsons Erzählungen genommen.
Die Arbeit entstand in den Monaten Februar, März 2008, ich möchte mich sehr herzlich bei Reiner Krumm bedanken, der die sprachliche Formulierungen und Korrektur auf seine Schulter genommen hat, sowie mich mental unterstützte.
2. Zu David Bergelson
Die Biographieforschung auf dem deutschen Gebiet bietet nur wenige Informationen zum Leben Davids Bergelsons. In Kindlers Literatur Lexikon werden zwei Werke Bergelsons ziemlich ausführlich behandelt Am Dnjepr und Das Ende vom Lied. Am Dnjepr wird als ein autobiographischer Roman gedeutet.(3). Jedoch werden biographische Lebensereignisse nur peripher berührt. Eine große Hilfe in Bezug auf das Leben Bergelsons leistet Angelika Glau im J ü disches Selbstverst ä ndnis im Wandel, sie behandelt David Bergelsons Biographie mit besonderer Fokussierung auf seine anfängliche Schaffensphase. David Bergelsons Figur öffnet Biographen ein breites Feld zur Forschung.
David Bergelson wurde 1884 in der Ukraine in Ochrimow (4) geboren. Er war das jüngste Kind in der Familie gegenüber seinen weit älteren Brüdern. Sein Vater war ein gebildeter Chassid und arbeitete als Förster und Getreidehändler. Als David neuen Jahre alt war, stirbt sein Vater, als er vierzehn war, verliert er seine Mutter.
Die Erziehung Bergelsons lag in den Händen seiner Geschwister, er lernte im Chader und zusätzlich bei Privatlehrern. Im Jahre 1901 zog David zu seinen älteren Brüder nach Kiew, 1903 reiste er nach Odessa, 1904 besuchte er Warschau. Bergelson war aufgrund des Numerus Clausus für jüdische Studenten ein externer Student an der Universität in Kiew und bildete sich autodidaktisch in hebräischer und russischer zeitgenössischer Literatur. (5) Seine schriftstellerischen Anfänge gehen auf sein 13. Lebensjahr zurück, er begann in russischer und in hebräischer Sprache zu schreiben, aber erst mit 22 Jahren unternahm er einen ersten Versuch einer Veröffentlichung, er schickte seine Erzählung Rikoth an die Redaktion der Zeitschrift Hazman, die sie jedoch ablehnte. Daraufhin begann Bergelson, jiddisch zu schreiben. Er unternimmt weitere Schritte, um seine Erzählungen zu veröffentlichen, aber ebenso - erfolglos. Bergelson und die sich in dieser Zeit um ihn zu formieren beginnende Kiewer Gruppe sahen 1909 die einzige Möglichkeit , Bergelsons Erzählungen an die Öffentlichkeit zu bringen, darin, sie auf eigene Rechnung drucken zu lassen. Seine erste veröffentlichente Erzählung Arum vokzal erscheint im selben Jahr im Warschauer Progress Verlag. Auch im selben Jahr noch gab die Kiewer Gruppe eine Sammlung heraus unter anderem mit Bergelsons Texten. In seinen Texte, die er in der postklassischen(6) Epoche schrieb, kämpfte Bergelson um eine neue Basis der jiddischen Literatur. Zur sozialistisch-realistischen Periode werden die Texte Bergelsons gezählt, die nach dem Ersten Weltkrieg entstehen. Nach der Revolution wird Bergelson ein überzeugter Sozialist, bis zur seiner Ermordung blieb sein literarisches und kulturelles Engagement für die Gegenwart und Zukunft der jiddischen Kultur in den Dienst seiner politischen Überzeugung gestellt(7). Bergelson arbeitete zusammen mit literarischen Zeitschriften, im 1918 gründete er in Kiew einen Verlag unter den Namen Volksveralag, er war einer der Initiatoren der Kultur- Liga, deren Ziel war Unterstützung der linken jüdischen Kultur auf der ganzen Welt.(8)9
In Berlin wurde er ein Mitglied einer der zahlreichen Kolonien russischer Juden; er hat sich mit Max Reinhard angefreundet, der ein Regisseur, Schauspieler und später Leiter des Deutschen Theaters in Berlin war, und auch mit anderen Vertretern der kulturellen Elite der Weimarer Republik. Bergelson schrieb für eine sozialistische Zeitung Forwerts und für die kommunistische Moren frejheit, er schrieb auch für Emes. In seinen Artikeln berührte er revolutionäre Thematik. 1926 wurde er Redakteur der prosowjetischen Zeitschrift Emes. Öffentlich bekannte er sich zur Anerkennung der „proletarischen Diktatur“. (10) Gerade in Bergelsons Berliner Zeit entstehen unter anderem die in dieser Arbeit behandelten Erzählungen Blindheit und Wieder eine Nacht herum, beide aus dem Jahre 1929. Noch im selben Jahr 1929 reiste er nach Paris, wo er ironische Reden über klassische jiddische Literatur hielt. Ebenfalls im selben Jahr reiste er in die USA. 1933 besuchte er die jüdische autonome Gegend Birobidschan in der Sowjetunion, danach blieb er einige Jahre in Moskau. Im Jahre 1941 beim Ausbruch des deutsch-sowjetischen Kriegs, wurde Bergelson aktiv im „Antifaschistischen Komitee.“ Diese Mitgliedschaft wurde ihm nach dem Krieg zum Verhängnis, als Stalin alle Mitglieder des Komitees, de facto die gesamte jüdische Intelligenz der Sowjetunion, als Kosmopoliten und somit Staatsfeinde verhaften und ermorden ließ. David Bergelson, seit der Revolution überzeugter Anhänger der kommunistischen Regierung, wurde 1949 als Feind der Sowjetunion verhaftet und wie damals üblich als Verschwörer angeklagt und schließlich 1952 hingerichtet.(11)
Die biographischen Entsprechungen zum Werk werden in der Entstehungsebene der Erzählungen deutlich. Beide Erzählungen werden in Berlin geschrieben, und sie sprechen auch von Berlin: „Wenn ich in meiner neuen Dreizimmerwohnung in Berlin aus dem Fenster schaue…“- Blindheit (12) und „Nacht für Nacht, wenn diese Stunde im Wedding…“- Wieder eine Nacht herum (13 ). Die Stadt diente ihm für die o.g. Erzählungen als Kulisse und als
Erfahrungsort. _______________________
Ob David Bergelson eine Dreizimmerwohnung in Berlin bewohnt hatte, und ob sie in Wedding gelgen war, wäre anhand biographischer Forschung noch eine zu klärende Frage. Allerdings mit Bezug auf die von Rohland Barthes und Michael Foucaults geprägte These vom „Tod des Autors“ wird in dieser Arbeit Distanz zur biographischen Analyse geschaffen. Foucault forderte, dass der „durch Verschwinden des Autors frei gewordene Raum (…) gefunden werde“ (14) . Der Textkorpus der Erzählungen wird daher als eigenständige Struktur aufgefasst, deren Entstehungsgeschichte und Autorschaft für die Analyse in dieser Arbeit nur von peripherer Bedeutung sind.
3. Phänomen der Einsamkeit
Im folgenden Kapitel werden theoretische Auseinandersetzungen mit dem Thema der Einsamkeit aus sowohl psychologischer wie auch philosophisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive dargestellt. Damit wird ein Ausgangspunkt geschaffen, um die Hypothese zu verifizieren, dass sich die Einsamkeit als Diskurs durch die Werke „Blindheit“ und „Wieder eine Nacht vorbei“ zieht.
Das Gefühl der Einsamkeit kennt jeder Mensch aus eigener Erfahrung, doch die Ursachen und Bedeutungen sind oft nicht bekannt; oder es werden vereinfachende Erklärungen herangezogen. Die Einsamkeit ist nicht nur ein Gefühl, sie ist ein Phänomen, das wir sowohl emotional als auch intellektuell spüren, und dessen Grenzen zur Traurigkeit, zur Melancholie fließend sind. Die Menschen projizieren sie als Zustand auf die tote und lebende Natur, auf alle Objekte und Abstrakta. In der weitestgehenden Betrachtung erscheint als die Ursache der Einsamkeit die Existenz an sich. Obwohl die Einsamkeit im literarischen Werk und speziell in der Biographie vieler Philosophen und Schriftsteller eine alte Tradition hat (15), ist eine explizierte Behandlung sehr selten. So findet sich in folgenden wichtigen philosophischen Nachschlagewerken kein Eintrag zum Phänomen Einsamkeit: Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe von Kirchner und Michaelis, Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe von Rudolf Eisler, sowie Wörterbuch der Philosophie von Friz Mauthner.
Leider ist die gleiche Tendenz in den psychologischen Lexika festzustellen, auch der Psychologe Eberhard Elbing sagt:
„Eine Durchsicht der einschlägigen Lexika und Nachschlagewerke unter den Stichworten einsam bzw. allein endet weitgehend mit einer Fehlanzeige und eine Überprüfung der Zusammenstellungen von Forschungsarbeiten weist „die relevanten Stichworte nicht systematisch, sondern nur gelegentlich auf. Eine Literaturrecherche für den Zeitraum 1980 bis 1986 erbrachte für den deutschsprachigen Raum 33 Arbeiten, wobei hier auch Arbeiten berücksichtigt werden, die den Begriff nicht im Thema haben, sondern nur nebenbei ansprechen “(16).
Einen sehr wichtigen Beitrag zur Einsamkeitsforschung stellen die Habilitationsschrift von Eberhard Ebing Einsamkeit- Psychologische Konzepte, Forschungsbefunde und Treatmentans ä tze sowie eine Anthologie von Aleida und Jan Assmann, Einsamkeit dar. Die essentiellen Thesen für diese Arbeit werden selektiv dargestellt.
3.1 Psychologische Perspektive der Einsamkeit
Nach Elbing wird der Terminus Einsamkeit in der Literatur sowohl zur Kennzeichnung positiven als auch zur Kennzeichnung negativen Erlebens physischen Alleinseins oder sozialen Beisammenseins verwendet.(17) Dabei empfehlt er, zwischen dem Alleinsein als einem objektiven Sachverhalt, Einsamkeit und Für-sich-Sein als psychische Befindlichkeitszustände zu unterscheiden.(18)
Elbing weißt Klärungsschwierigkeiten der Termini in der deutschen Sprache auf und stellt ein Ordnungsmodell zur Strukturierung der diversen Begriffsakzentuierungen auf. Das Modell enthält unterschiedliche Konzeptionsebenen, eine übergeordnete antropologische Ebene, eine Ebene physischer bzw. objektiver Realität sowie eine psychische Ebene, die in verschiedene Subbereiche aufteilbar ist, sowie entlang einer Dimension qualitativer Erlebnisunterschiede (positiv versus negativ).(19)
[...]
1. Reiner Maria Rilke, Einsamkeit, Insel, Frankfurt 2002
3. .Vgl. Kindlers Neues Literaturlexikon, Kindlers Verlag, München 1989 Band 2 S. 544
4. Jüdisches Lexikon gibt als Geburtsort Sarne (Gouv. Kiew ) an, S.855 Jüdisches Lexikon Bnd.1 Königstein 1982
5. Glau Angelika, Jüdisches Selbstverständnis im Wandel, Harrassowitz Verlag, Wiessbaden 1999 S. 158
6. Nach Glau, die sich unter anderem auf Liptzins „A History of Yiddish Literature“ bezieht, beginnt die Periode der Postklasik nach dem Ende des zweiten Weltkrieges gefolgt von der Jüdischen Klassik. Nach Glau beziehen sich die postklassischen gedankliche Unterschiede „zum einem auf das jüdische Identitätsgefühl, zum anderen auf ihr künstlerisches Selbstverständnis, ihr literarisches Bewußtsein. Bezüglich des jüdischen Identitätsgefühls sehen sie angesichts derzunehmenden Verweltlichung und der an westeuropäische Bildungsideale orientierten Intellektualiesierung desosteuropäischen Judentums die Notwendigkeit, eine Synthese zwischen ihren ostjüdischen Wurzeln und der westlichen Aufklärung zu finden, ohne die Assimilation aufzugeben.“ Glau S.34
7. Glau Angelika, Jüdisches Selbstverständnis im Wandel, Harrassowitz Verlag, Wiessbaden 1999 S. 161
8. Lustiger Arno, Czerwona Ksiega Stalin i Zydzi, Wydawnictwo W.A.B., Warszawa 2004 S.461Von Kiew geht er für zwei Jahre nach Moskau und im Jahre 1920 floh Bergelson unter dem Eindruck des russischen Bürgerkriegs und wieder aufflackernder Pogrome ins Ausland und lebte von 1921 an in Berlin (9).
9. Radler Rudolf, Kindlers neues Literatur Lexikon, Kindler Verlag, München 1989, Band2 S. 544
10. Lustiger Arno, Czerwona Ksiega Stalin i Zydzi, Wydawnictwo W.A.B., Warszawa 2004 S. 461
11. Ebd. S. 461
12. Vgl. Blindheit S. 87
13. Vgl. Wieder eine Nacht herum S. 120
14.Verg. Foucault Michael: Was ist ein Autor? In: Texte zur Literaturtheorie der Gegenwart. Dorothee Kimmich, Rolf G.Renner und Bernd Steigler (Hg.). Stuttgart 200 S.235
15. Vgl. Georg Dietrich: Der einsame Mensch in der Dichtung, Regensburg 1989. Seite 15
16. Eberhart Elbing: Einsamkeit- Psychologische Konzepte, Forschungsbefunde und Treatmentansätze Göttingen 1991.Seite16 (Habilitationsschrift München 1988)
17. Vgl. Ebd. S.8
18. Vgl. Ebd. S.8
19. Vgl. Ebd. S.8
- Citar trabajo
- Jarek Kracht (Autor), 2008, Das Motiv der Einsamkeit in David Bergelsons "Blindheit" und "Wieder eine Nacht herum", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115450
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.