Viel hat sich in den Sozialwissenschaften in den letzten Jahren verändert, insbesonders in der Forschung. Um dem Anspruch “ethnographies of intimacy, not distance; of stories, not models; of possibilities, not stabilities; and of contigent understandings, not detachable conclusions” zu entwickeln, gerecht zu werden, wird im ersten Kapitel, neben einer allgemeinen Einbettung der Problematik dieser Arbeit, eine Einführung in die dieser Problematik zugrundeliegender unterschiedlichen Perspektiven von Suchtkarrieren, dargestellt. Es wird ebenfalls die unterschiedlichen Verständnisse der verschiedenen Identitätsniveaus vorgestellt und in die wissenschaftliche, hauptsächlich soziologische, Diskussion eingebettet. Ebenfalls wird in diesem ersten Abschnitt eine historische Perspektive der Suchtproblematik vorgestellt, die den Wandel der Konzepte und des Verständnis der Drogensucht über die letzten hundert Jahre erkennen lassen soll. Um der möglichen Kritik, dass diese Arbeit lediglich eine individuell biographische Arbeit, die individuelle Suchtausstiegskarrieren analysiert, vorwegzugreifen, wird dieser Arbeit ebenfalls eine mesoskopische Ebene eingeführt, die eine institutionelle Ebene der Drogenproblematik darstellt. Diese Ebene wird durch eine Analyse von Annamnesefragebögen einer staatlichen Institution, welche seit 25 Jahren im Lissabonner Raum Suchtkranke behandelt, dargelegt. Ziel ist es, eine institutionelle und eine öffentliche Repäsentation der Drogenabhängigkeit als Ergänzung zur individuell-biographischen Perspektive, vorzulegen.
Im dritten Kapitel geht es darum, eine erste analytische Einbettung dieser Arbeit zu gewährleisten und die ersten subjektiven Erfahrungen des Suchtausstiegs und der Neuorganisation der Identität bei einigen ausgestiegenen Suchtakteuren zu rekonstruieren. Dabei stehen die Fragen der Motivation zu Veränderungen und eine erste analytische Perspektive der neuen Rollenbesetzungen und der neuen Rollenverhalten beim Ausstieg im Mittelpunkt dieses Kapitels.
Im vierten Kapitel werden grundlegende identitäre Mechanismen die zum Ausstieg geführt haben, aus dem vorliegenden Interviewmaterial rekonstruiert. Die grundlegende Dynamik der direkten Interaktion in alltäglichen Zusammenhängen, die aus den einzelnen Ausstiegserfahrungen herausgearbeitet wird, wird mit grundlegenden sozialpsychologischen Verarbeitungsmechanismen verbunden und als neuangeeignete Ausstiegsidentität, die in der neuangeeigneten Suchtausstiegskarriere bündelt, veranschaulicht.
Diese einzelnen rekonstruierten Erfahrungen werden anschliessend im letzten Kapitel in der Form unterschiedlicher identitärer Beziehungen zum Drogenmilieu und dem Produkt Droge zu typischen Drogenkarrieren erschlossen.
INHALTSVERZEICHNIS
I. EINLEITUNG
AKTUALITÄT DES THEMAS
ANLIEGEN DIESER ARBEIT
AUSBLICK AUF DIE KAPITEL
1. DAS KONZEPT “SUCHT” UND “SUCHTKARRIERE”
1.1 UNTERSCHIEDLICHE PERSPEKTIVEN VON SUCHTKARRIERE(N)
1.1.1. Die Perspektive der Medizin: Sucht als Krankheit
1.1.2. Entwicklungspsychologische Perspektiven: Sucht als zeitlich begrenzter und altersabhängiger Reifungsprozess
1.1.3. Die Perspektive der soziologischen Forschung: Suchtkarriere als Sozialisation und Labelingprozess
1.1.3.1.Das Verständnis von sozialer Identität
1.1.3.2.Das Verständnis von persönlicher Identität
1.1.3.3.Das Verständnis von Ich- Identität
1.2. GESELLSCHAFT UND DROGENPROBLEMATIK – WANDEL DER KONZEPTE UND DES VERSTÄNDNIS DER DROGENSUCHT
1.2.1. Zum Beginn des Prohibitionismus und eines öffentlich-moralischen Problems
1.2.2. Der Drogenabhängige als kranker, jedoch selbstverantwortlicher psychosozialer Akteur
1.2.3. Der portugiesische Kontext
1.3. DIE REPRÄSENTATION DER DROGENABHÄNGIGKEIT – EINE INSTITUTIONELLE PERSPEKTIVE
1.3.1. Die Repräsentation des biopsychosozialen Paradigmas
2. DIE QUALITATIVE SOZIALFORSCHUNG UND DAS INTERPRETATIVE PARADIGMA
2.1. FORSCHUNGSDESIGN
3. DAS “AUSGESTIEGEN-SEIN” ERLEBEN: NEUORGANISATION DER IDENTITÄT, VERÄNDERUNG DES SELBST, BIOGRAFISCHE RUPTUR, REKONZEPTUALISIERUNG DER SOZIALEN KOMPETENZEN
3.1. INTERVIEW SITUATIONEN ALS REFLEKTIVER MOMENT DES SUCHTIDENTITÄTWANDELS
3.2. MOTIVATIONEN ZUR VERÄNDERUNG
3.2.1. “P ositive reinforcement” Interaktion
3.2.2. Leidensdruck
3.2.3. Interaktion mit dem Selbst
3.2.4. Erschwerte Zugang zu Konsumgelegenheiten
3.2.5. Ausstieg und “turning-point” Erfahrung
3.3. NEUE ROLLENBESETZUNG UND IDEALISIERTES ROLLENVERHALTEN
3.3.1. Suchtausstieg, Rollenbesetzung und Eindrucksmanipulation
3.3.2. Die Rolle der Sprache beim Verkauf von Kredibilität
3.3.2.1.Beispiele der Aneignung sozial kredibler Sprachen.90
3.3.3. Idealisierte Rollen, virtuelle soziale Identität und Prestigesymbole.96
3.3.4. Die positive und die negative Visibilität99
3.3.5. Suchtausstieg und Identitäts-Ambivalenz
3.4. PROZESS DER MODULATION UND REDEFINITION VON NORMEN UND WERTEN
4. WEGE ZUR KONSTRUKTION EINER SUCHTAUSSTIEGS - IDENTITÄT
4.1. SUCHTAUSSTIEG ALS AKTIVER PROZESS DER GUTEN IMAGEPFLEGE
4.2. DIE SOZIALE DARSTELLUNG DES IDENTITÄREN NEUANFANGS
4.2.1. Sozialer Rückzug als Darstellung des identitären Neuanfangs
4.2.1.1.Der “freiwillige” Rückzug in eine Instituition
4.2.1.2.Der nichtinstitutionelle identitäre Rückzug
4.3. ZUM ALLGEMEINEN IDENTITÄREN BEDÜRFNIS “PLUSPUNKTE” ZU SAMMELN
4.3.1. Beschreibung einiger Verhaltensmerkmale die eine Ausstiegskarriere symbolisieren
4.3.1.1.Die Symbolisierung der Unterwürfigkeit
4.3.1.2.Die Fähigkeit der konstruktiven Ausdruckskontrolle
Exkurs: Zur Fähigkeit des Selbst zur Selbstkontrolle
4.4 DIE ZEREMONIE DER EHRERBIETUNG
4.4.1. Die Vermeidungsrituale
4.4.2. Die Zuvorkommenheitsrituale
4.5. IMAGEPFLEGE, EHRERBIETUNG UND BENEHMEN
4.6. ÜBER DIE ROLLE DER THERAPEUTISCHEN INSTITUTIONEN ZUR BEIBEHALTUNG DER EHRERBIETUNGSRITUALE
4.7. SUCHTAUSSTIEG UND BEDEUTENDE IDENTITÄRE (VERÄNDERUNGS)MECHANISMEN
4.7.1. Die Reduktion von Dissonanzen
4.7.2. Scham und Suchtausstieg
4.7.2.1.Schamgefühle und die nicht erfüllte Erwartung des beruflichen Erfolges durch die Suchtkarriere
4.7.2.2. Schamgefühle und die nicht erfüllte Erwartung innerhalb der Familie
4.7.2.3. Schamgefühle und traumatische Erlebnisse
4.7.2.4.Die Strategie des sozialen Rückzugs
4.7.2.5.Schamgefühle und der Niedergang des “Babykönigs”
4.7.3. Suchtausstieg und der Neid
4.7.3.1.Der Neid und die Identifikation
4.7.3.2.Der Neid innerhalb der Beziehung zwischen Geschwistern
4.7.4. Definition von Suchteinstiegsatributionen
5. “WIE DEFINIERE ICH MEINE NEUE BEZIEHUNG ZUM PRODUKT UND ZUM MILIEU?” – TYPOLOGIE IDENTITÄRER BEZIEHUNGEN ZUM DROGENMILIEU UND ZUM PRODUKT DROGE
5.1. AUSSTIEGSKARRIERE DES TYPS 1: VOM JUNKIE ZUM TOTALEN ABSTINENZLER - DIE FUNDAMENTALISTEN
5.1.1. Die Dimension des Suchtausstiegs als erlebter Neuanfang
5.1.1.1.“.als ich ein klein war, hatte ich einenTraum.” – die Symbolisation der Traumerfüllung durch den Neuanfang
5.1.1.2.Die Suchtkarriere als zweite, aber diesmal “richtige” Jugend
5.1.2. Die Dimension des Suchtausstiegs als Konversionskarriere
5.1.3. Die Dimension des Suchtausstiegs als Rehabilitation verlorengegangener identitärer Referenzen
5.1.4. Die Dimension des Suchtausstiegs als eine altruistische Suchtausstiegskarriere
5.2. AUSSTIEGSKARRIERE DES TYPS 2: VOM FREUDIGEN JUNKIE ZU EINEM SELEKTIVEN KONSUM – DIE RISIKOFREUDEN
5.2.1. Die Suche nach dem idealen Produkt: “Was konsumieren, dass mir nicht schadet?”
5.2.2. Die Dimension der kontrollierten Wochenendkonsumenten: „Wie nur ab und zu mal stoned sein“
5.3. EXKURS: AUSSTIEGSVERSUCHE ODER DIE IDENTITÄRE PROBLEMATIK DES SUCHTSELBSTES IN WANDLUNG
5.3.1. Die identitäre Problematik der Bewältigung des Alltags: „Ich bin ein normaler Typ der morgens arbeiten gehen muss“
5.3.2. Das Aufarbeiten von erfolglosen Suchtbehandlungen: „.es ist während der Behandlung nichts geblieben was hätte bleiben sollen.“
5.3.3. Der spontane Ausstieg im Gegensatz zu programmierten Ausstiegsversuchen: „Der Klick der mir später passiert ist hätte früher passieren sollen“
5.3.4. Psychosoziale Probleme die einen Ausstieg lange Zeit nicht ermöglichen: „Ich habe endlich angefangen mich zu öffnen“
5.3.5. Fehlgeleitete Ausstiegsversuche und der Versuch den Konsum kognitiv zu kontrollieren: „Ich habe nichts kontrolliert und bin wieder zurückgefallen“
5.3.6. Rückfälle und die Reduktion der Sucht auf eine exklusiv körperliche Abhängigkeit
II. SCHLUSSBETRACHTUNG
Typische Ausstiegskarrieren und ihre speziefischen Dimensionen
Anregungen zur gängigen sozialpolitischen Diskussion
Erweiterter Ausblick
EINLEITUNG
AKTUALITÄT DES THEMAS
Über Suchtausstieg wird in unser heutigen Zeit viel geschrieben, viel geforscht und es werden viele neue Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt. Die Mehrheit dieser Erfahrungen im Suchtbereich in unserer post-industrialisierten, immer weiter “entfesselten”[1] Welt, in welcher durch die zunehmende Individualisierung[2] immer mehr individuelle, jedoch ebenfalls “riskante Freiheiten”[3] entstehen, welche wiederum zum Teil immer mehrere “unsichere”[4] Individuen produziert, gehen in Richtung einer sanitären und sozialen Behandlung, oder eher einer psychohygienischen und sanitären Kontrolle von Drogenabhängigen, mit einer grossen Unterstützung von Substitutionsopiaten[5] oder anderen Substitutionsmedikamenten, Antiopiatbehandlungen, bis hin zu einer kontrollierten Heroinverschreibung.
Viele in der Praxis operierende Praktiker scheinen einer eher pessimistischen Wahrnehmung der Drogenproblematik verfallen zu sein, weil sie diese Substitutionsbehandlungen lediglich innerhalb einer Logik eines “damage-controls” oder einer “harmreduction” sehen und das Prinzip des Ausstiegs aus einer Suchtabhängigkeit, welches jahrelang die Intervention von Professionellen im Suchtbereich charakterisiert hat, immer weiter in den Hintergrund der Handlungspraxis geschoben wird: “...”limitar os danos”, “reduzir os danos”, são as únicas ambições a que podemos razoavelmente aspirar. Sejamos pragmáticos, deixemos de sonhar, os toxicodependentes não têm cura, e é necessário organizar a intervenção junto deles a partir deste parâmetro considerado incontestável. Alguns toxicodependentes parecem, eles próprios, aderir a esta visão pessimista (realista?) do seu futuro: toxicodependente um dia, toxicodependente para sempre...”.[6] Die Intervention des Professionellen, meistens unter der Leitung eines Arztes oder eines Psychiaters, hat als Ziel eine Stabilisierung des drogenabhängigen Patienten, bevor jegliche weitere Behandlungen angefangen werden, Stabilisierung die bis zu drei Jahren andauern kann: “...l’objectif du traitement est la stabilisation, c’est à dire la maîtrise des consommations de psychotropes qui ne doivent pas menacer la santé et l’équilibre personnel et social du patient...a partir de trois ou quatre ans de traitement, si l’étayage psychosocial paraît solide, une réduction progressive de la posologie peut être envisagée...”[7] Gängige Praxis dieser Stabilisierungsprogramme sind die unter dem missverständlichen Begriff laufende “niedrigschwellige” Methadonbehandlungsprogramme. In diesen auf unbestimmte Behandlungsdauer festgelegte Programme, wird das Methadon “unter kontrollierten Bedingungen verabreicht ohne Verpflichtung des Patienten auf Heroinabstinenz oder anderer Verändeungen seiner Lebensführung (Distanzierung von der Drogenszene, Verzicht auf Drogendelinquenz, Wiedereingliederung).”[8] Bis zu welchem Punkt eine pessimistische Haltung, ja möglicherweise bis zu welchem Punkt nicht schon eine eingetretene “Kapitulation vor der Sucht”[9] vonseiten der im Alltag mit Drogenabhängigen sich befassenden Professionellen zu beobachten ist, oder andere Faktoren, wie z.B. die enormen finanzielle Gewinne die vonseiten der Pharmakonzerne mit den Opiatverschreibungen erreicht werden können[10], eine entscheidende Rolle beim beobachtbaren Paradigmawechsel[11] spielen, beeinflusst signifikativ die Frage des Sucht ausstiegs als solcher. Die Frage die heute zentral in unserer Gesellschaft gegenüber Suchtabhängigen gestellt werden kann, ist folgende: Kann ein süchtiger Heroinabhängiger als Akteur in unserer Gesellschaft von seiner Abhängigkeit aussteigen, kann er eine drogenfreie Lebensform annehmen, und wenn ja, wie sieht diese aus und welche identitären Strukturen werden dabei ersichtlich und welche identitären Strategien macht sich der Akteur zunutze? Deutlich wird, dass in unserer Gesellschaft eine drogen freie Lebensform vonseiten des Drogenabhängigen keine öffentliche Option vonseiten der staatlichen Politiken und der medizinisch-psychosozialen Hilfsdienste mehr ist[12]. Diese Realität hat schon den Namen “Methadonien”[13] aufkommen lassen, was als das Land des Methadon übersetzt werden kann, was eine interessante und zum Teil beunruhigende Entwicklung darstellt und für die Aktualität dieses Themas steht.
HAUPTANLIEGEN DIESER ARBEIT
Nach der Beobachtung der soziopolitischen Orientierungen der letzten zwanzig Jahre, die ausführlich im ersten Kapitel analysiert werden und die eine entscheidende Rolle auf die Ausstiegsproblematik bei Suchtabhängigen Akteuren in unserer heutigen Zeit hat, geht es mir in dieser Arbeit darum zu schauen, wie und welche identitäre Mechanismen bei Suchtakteuren, die seit mindestens zwei Jahren sich als ausgestiegen empfinden und sich als ausgestiegen selbst definieren, dabei eine Rolle spielen und zur Schau gestellt werden. Ich bin davon überzeugt, dass mit dieser Fragestellung zu den Strategien veränderter Identitäten nicht nur ein sozialpädagogisches und soziologisches wichtiges Themengebiet angesprochen wird, welches noch lange nicht genügend dokumentiert und erforscht ist. Denn gerade die biographischen Verarbeitungsweisen, die zentral in dieser Arbeit sind, beziehungsweise, wie ehemalige Suchtakteure mit ihrem Ausstieg umgehen, sind noch kaum erforscht. Es wird weiterhin der sozialpolitischen, sanitären und allgemeinen gesundheitspolitischen Perspektive und dies vor den individuellen biographischen Verarbeitungsweisen Vorrang gegeben. Die Analyse von den Strategien veränderter Identitäten kann nur dann erreicht werden, wenn eine minuziöse Analyse der individuellen identitären Strategien und der individuellen identitären Verarbeitungsmechanismen von einzelnen ausgestiegenen Akteuren gemacht wird, die eine individuelle Ausstiegs karriere verdeutlichen und aufzeigen lassen: “la recherche se propose d’écouter le discours des sujets afin de révéler la réalité: qui sont ces narrateurs et en quelle époque socio-culturelle vivent-ils?”[14]. Im Gegensatz zu den öffentlichen staatlichen Politiken, in denen die Begriffe “maintenance” und “stabilisation” im Mittelpunkt der Intervention liegt, steht in einer Ausstiegskarriere die identitäre Konstruktion einer Ausstiegsidentität im Mittelpunkt des Froschungsinteresses. Es liegt hierbei die Idee dahinter, dass der Ausstieg, ähnlich wie bei einer Berufskarriere, konstruiert werden muss, und dass diese Konstruktion nicht nur multiple Dimensionen hat, sondern ebenfalls ein “travail de rééquilibrage de l’ensemble des lignes biographiques”[15] des ausgestiegenen Suchtakteurs beinhaltet[16]. In den unterschiedlichen Suchtausstiegskarrieren werden dementsprechend biographisch individuelle Ausstiegserfahrungen im Vordergrund untersucht werden, jedoch ebenfalls mesoskopische und makroskopische Gegebenheiten, die dem direkten Einfluss des einzelnen Akeurs entweichen, repräsentiert. Zwar untersucht die Soziologie in vielfältiger Weise die Suchtproblematik, bisher sind jedoch nur wenige qualitative Studien zu diesem Themengebiet vorgelegt worden.,die das Leben und die individuellen Ausstiegsstrategien, die die signifikative identitären Veränderungen, die bei einem Ausstieg zum Vorschein kommen, ins Zentrum der Betrachtung stellen[17]. Dieser Diskurs der ausgestiegenen Suchakteure wird von manchen Autoren somit zu einer sozialen “Institution” die neue analytische Wege eröffnet: “ainsi le discours des narrateurs fonctionne comme une “institution” sociale, de sorte que les sujets, qui s’expriment dans mes recherches, deviennent les interprètes de leur biographie, de leur identité sociale.”[18]
Mit Hilfe eines interpretativen Verfahrens sollen alltagsweltliche Strategien von ausgestiegenen Suchtakteuren gefunden werden, die es soziologisch zu rekonstruieren und zu analysieren gibt. Dabei wird im Sinne der “grounded theory”[19] und mit Hilfe des im symbolischen Interaktionismus und insbesonders der bei Goffman vorzufindenen identitären Strategien zur Bewältigung des Alltages, in welchen Mittelpunkt die Selbstdarstellung im Alltag steht, die alltäglichen Umgangs- und Verarbeitungsweisen von ausgestiegenen Suchtakteuren untersucht. Ziel ist es dabei, der Soziologie, als empirische Wissenschaft, neue Vorgehensweisen und neue soziale Felder eines schon seit über hundert Jahren diskutierten Problems, nämlich der Suchtproblematik, zu eröffnen. Im Hintergrund dieser Arbeit liegt der Anspruch, dass “soziologische Theoriebildung eine empirisch kontrollierte Theoriebildung ist, und deren Stärke in der Verzahnung von Empirie und Theorie”[20] liegt. Versucht wird damit, die Welt von ausgestiegenen Suchtakteuren nicht aus zweiter Hand zusammenzusuchen, sondern durch ein qualitatives interpretatives Verfahren, sich direkt in der Welt des Alltages dieser handelnder Gesellschaftsmitglieder durch eine biographische Analyse zurechtzufinden[21].
Um das oben genannte Ziel zu erreichen, wurden thematisch strukturierte Interviews mit ausgestiegenen Suchtakteuren, die im Grossraum Lissabon wohnhaft sind, durchgeführt. Das Suchtproblem innerhalb eines Grosstadtsettings und neben einigen wenigen und spezifischen kulturellen Eigenschaften, bedingt durch die geographische Lokalisierung dieser Arbeit, entspricht meines Erachtens die in anderen Städten vorzufindenen Problematik und bedarf keiner besonderen Berücksichtigung. Der Lissaboner Heroinabhängige ähnelt Heroinabhängigen von anderen Städten und Ländern. Die Interviews fanden in portugiesisch statt, weil ich aus dieser Stadt und Land entstamme und dadurch einen vertrauten Zugang zu dieser in Lissabon vorliegenden Lebenswelt, habe.
AUSBLICK AUF DIE KAPITEL
Viel hat sich in den Sozialwissenschaften in den letzten Jahren verändert, insbesonders in der Forschung. Um dem Anspruch “ethnographies of intimacy, not distance; of stories, not models; of possibilities, not stabilities; and of contigent understandings, not detachable conclusions”[22] zu entwickeln, gerecht zu werden, wird im ersten Kapitel, neben einer allgemeinen Einbettung der Problematik dieser Arbeit, eine Einführung in die dieser Problematik zugrundeliegender unterschiedlichen Perspektiven von Suchtkarrieren, dargestellt. Es wird ebenfalls die unterschiedlichen Verständnisse der verschiedenen Identitätsniveaus vorgestellt und in die wissenschaftliche, hauptsächlich soziologische, Diskussion eingebettet. Ebenfalls wird in diesem ersten Abschnitt eine historische Perspektive der Suchtproblematik vorgestellt, die den Wandel der Konzepte und des Verständnis der Drogensucht über die letzten hundert Jahre erkennen lassen soll. Um der möglichen Kritik, dass diese Arbeit lediglich eine individuell biographische Arbeit, die individuelle Suchtausstiegskarrieren analysiert, vorwegzugreifen, wird dieser Arbeit ebenfalls eine mesoskopische Ebene eingeführt, die eine institutionelle Ebene der Drogenproblematik darstellt. Diese Ebene wird durch eine Analyse von Annamnesefragebögen einer staatlichen Institution, welche seit 25 Jahren im Lissabonner Raum Suchtkranke behandelt, dargelegt. Ziel ist es, eine institutionelle und eine öffentliche Repäsentation der Drogenabhängigkeit als Ergänzung zur individuell-biographischen Perspektive, vorzulegen.
Im dritten Kapitel geht es darum, eine erste analytische Einbettung dieser Arbeit zu gewährleisten und die ersten subjektiven Erfahrungen des Suchtausstiegs und der Neuorganisation der Identität bei einigen ausgestiegenen Suchtakteuren zu rekonstruieren. Dabei stehen die Fragen der Motivation zu Veränderungen und eine erste analytische Perspektive der neuen Rollenbesetzungen und der neuen Rollenverhalten beim Ausstieg im Mittelpunkt dieses Kapitels.
Im vierten Kapitel werden grundlegende identitäre Mechanismen die zum Ausstieg geführt haben, aus dem vorliegenden Interviewmaterial rekonstruiert. Die grundlegende Dynamik der direkten Interaktion in alltäglichen Zusammenhängen, die aus den einzelnen Ausstiegserfahrungen herausgearbeitet wird, wird mit grundlegenden sozialpsychologischen Verarbeitungsmechanismen verbunden und als neuangeeignete Ausstiegsidentität, die in der neuangeeigneten Suchtausstiegskarriere bündelt, veranschaulicht.
Diese einzelnen rekonstruierten Erfahrungen werden anschliessend im letzten Kapitel in der Form unterschiedlicher identitärer Beziehungen zum Drogenmilieu und dem Produkt Droge zu typischen Drogenkarrieren erschlossen. Hier steht der Versuch an, verschiedene Verlaufskurven auf Gemeinsamkeiten zu untersuchen und diese als typische Muster zu erklären.
THEORETISCHER TEIL
Kapitel
1 DAS KONZEPT „SUCHT“ UND „SUCHTKARRIERE“
Dieser Arbeit liegt das Karrierekonzept zugrunde. Durch Everett Hughes[23] wird der Begriff der Karriere in die soziologische Forschung eingeführt, damals jedoch noch unter einer Perspektive von eher berufsbiographischen Analysen, in welchen der Verlauf eines Arbeitnehmers durch verschiedene Stadien seiner Berufsentwicklung analysiert wird.[24] Im Mittelpunkt standen objektive Aspekte der Karriere, welche „movements that the person may make through a social structure“, erörtern. Es ging darum „status passages, movements in and out of the labor market, educational settings, marriages, friendships, or groups“[25] zu analysieren. Jede Karriere beinhaltet jedoch auch subjektive Faktoren die Auswirkungen auf das Selbst und auf das Selbtsbild haben.[26] Goffman hat die inhaltliche Doppelseitigkeit des Karrierebegriffes in den Mittelpunkt seiner Arbeiten gestellt und diese Doppelseitigkeit in Beziehung zur Identität des Akteurs in Interaktion mit anderen Akteuren illustriert:
„...zu den Vorteilen des Begriffes der Karriere gehört seine Doppelseitigkeit. Einerseits berührt er jene hoch und heilig gehaltenen Dinge wie das Selbstbild und das Identitätsgefühl; andererseits betrifft er die offizielle Stellung, rechtliche Verhältnisse sowie den Lebensstil, und ist Teil eines der Öffentlichlichkeit zugänglichen institutionellen Ganzen. Der Begriff der Karriere erlaubt uns also, uns zwischen dem persönlichen und dem öffentlichen Bereich, zwischen dem Ich und der für dieses relevanten Gesellschaft hin und her zu bewegen, ohne dass wir allzu sehr auf Aufgaben darüber angewiesen sind, wie der betreffende Einzelne sich in seiner eigenen Vorstellung sieht.“[27]
Hervorzuheben ist hierbei der moralische Aspekt der Karriere, „welcher sich auf den regulären Ablauf der Veränderungen, die die Karriere im Selbst des Menschen und im metaphorischen Bezugsrahmen, mit dem er sich und andere beurteilt, zur Folge hat“[28], bezieht. In dieser Arbeit geht es um subjektive Ausstiegskarrieren von ehemaligen suchtabhängigen Individuen, die mindestens eine zweijährige Ausstiegskarriere belegen. Diese moralische, eher dem Akteur eigene Karriere, kann von seiner objektiven und eher allgemeinen und zum Teil selbst ausgewählten Suchtkarriere getrennt werden, weil „whether or not they want to, all individuals have personal moral carrers that encompass all of their experiences, actions, and commitments up to and including the present moment. Thus although many careers are optional, the personal moral careers is not. Every individual, accordingly, has a set of accounts or stories that explain and justify the current status of his or her personal career.“[29] Innerhalb dieses Rahmens sollen die Ausstiegskarrieren von ehemaligen Suchtabhängigen untersucht werden.
Während Goffman von „sozialen Wechselfällen im Lebenslauf eines jeden Menschen“ spricht, schlägt Becker konkret vor, den Karrierebegriff in die Devianzdiskussion einzuführen und „deviante Karrieren“[30] im Lichte seines Sequenzmodells zu analysieren. Obwohl diese Analyse nicht das Ziel dieser Arbeit ist und wir uns nicht mit der labeling-Pespektive beschäftigen werden, ist jedoch der Hinweis auf die Wichtigkeit der Konsequenzen auf die Identität, die in der Folge auf die Stigmatisierung von devianten Akteuren auftreten, von grosser Bedeutung. Verbunden mit der Identitätsproblematik ist der Faktor Zeit[31] in diesem Modell zentral, weil die identitären Veränderungen mit den Veränderungen im Laufe der Zeit, in welcher die Devianz ausgelebt wird und in der sich die in Interaktion sich betreffenden Individuen, also die mit dem als deviant eingestuften Individuum, in Zusammenhang stehen:
„...en tout cas, le fait d’être pris et stigmatisé comme déviant a des conséquences importantes sur la participation ultérieure à la vie sociale et sur l’évolution de l’image de soi de l’individu. La conséquence principale est un changement dans l’identité de l’individu aux yeux des autres. En raison de la faute commise et du caractère flagrant de celle-ci, il adquiert un nouveau statut. On a découvert une personnalité différente de celle qu’on lui prêtait...“[32]
Während für Becker zentral in seinem Sequenzmodell die Analyse von der Bildung von devianten Karrieren und der Einstieg in bestimmten Subkulturen, mit der entscheidenden Hilfe durch die Reaktion der Gesellschaft durch den Prozess der Stigmatisierung, gestanden hat, geht es in dieser Arbeit um den Ausstieg aus einer devianten Karriere und der Bildung einer neuen durch die Aufnahme bestimmter Handlungsmechanismen, die interaktionell ausgelebt werden und die mit dem Akteur sich in Interaktion befindenden Individuen, von dem Ausstieg aus der devianten Karriere und der Aufnahme einer neuen Karriere überzeugen sollen. Durch diese neuangewandten Strategien werden von dem aussteigenden Akteur identitäre Veränderungen vermittelt die ihn unter einem neuen sozialen Gesichtspunkt dastehen lassen und ihn erneut zu einem akzeptierten gesellschaftlichen Mitglied werden lassen sollen. Unter diesem Gesichtspunkt möchten wir in dieser Arbeit die Problematik der Sucht angehen und dabei beleuchten, nicht wie die deviante Suchtkarriere an für sich vonseiten der Akteure angegangen wird, sondern die Identitätsproblematik von Akteuren zu verstehen, die aus einer Sucht, nach einer mehrere Jahre andauernden Suchtkarriere, aussteigen. Die aus dieser Dynamik sich herauskristalisierenden identitären Veränderungen sollen im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen.
Wie wir verstehen werden, ist der entscheidende Moment der Ausstiegskarriere eines suchtabhängigen Akteurs nicht etwa die Tatsache aufzuhören zu konsumieren, oder etwaige andere objektive Faktoren, sondern das Verständnis des aussteigenden Akteurs von den interaktionellen Bedingungen seiner sozialen Umwelt. Dies verdeutlicht, dass der Akteur diese entscheidenden Interaktionsmomente verinnerlicht, diese anschliessend in seine persönliche Identität integriert und dann in direkter Interaktion in alltäglichen Zusammenhängen weitervermitteln muss. Diese Analyse der direkten Interaktion und der in dieser direkten Kommunikation vorliegenden und zum Teil für den guten Verlauf derselben entscheidenden „kleinen Verhaltensmomente“[33] ist einer der zentralen Inhalte dieses Untersuchungsfeldes.
Bevor wir uns jedoch auf die detaillierte Analyse dieser interaktionellen und intersubjektiven[34] Analyse ausgestiegener Suchtakteure und deren Auswirkungen auf die persönliche und soziale Identität konzentrieren, gilt es die allgemeine wissenschaftliche Suchtdiskussion aus drei unterschiedlichen Gesichtspunkten zu erörtern. Ziel dieses Absatzes ist es, unsere Analyse in die allgemeine Diskussion einzubetten und zu zeigen, wie wenig die Perspektive der aussteigenden Akteure und die von denselben Akteure elaborierten identitäre Ausstiegsmechanismen bislang in die wissenschaftliche Diskussion eingegangen sind. Daher wird in dieser Arbeit das Konzept der Karriere eines einer subjektiven und intersubjektiven Karriere definiert, welche von interagierenden Akteuren konstruiert wird und die kontinuierlich die biographische Identität derselben formt.
1.1. UNTERSCHIEDLICHE PERSPEKTIVEN VON SUCHTKARRIERE(N)
Bevor wir uns dem Thema des Ausstiegs aus einer Suchtkarriere widmen werden, geht es in diesem Kapitel darum die unterschiedlichen Perspektiven der Entwicklung von Suchtkarrieren zu erörtern. Die Suchtproblematik ist eine seit mehreren Jahrzehnten unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche berührende Problematik und wird auf unterschiedlicher Weise von verschiedenen Berufsbereichen und Disziplinen angegangen. Das Ziel in diesem Abschnitt ist grob drei Prespektiven, die sich aus der Fülle des wissenschaftlichen Materials zum Thema herauskristalisieren, vorzustellen und zu umschreiben. Dabei ist die Trennung der drei Perspektiven zum Teil eine konzeptuelle Trennung, weil eine Überlappung der Perspektiven nicht wenig öfters zu beobachten ist.
1.1.1. Die Perspektive der Medizin: Sucht als Krankheit
Spätestens seit Jellineks aufgestellten und umschriebenen Krankheitskonzept[35] ist die Definition der Alkoholabhängigkeit und verallgemeinert von anderen Suchtabhängigkeiten, darunter insbesonders die Heroinabhängigkeit, als Krankheiten, ein gängiger Erklärungsansatz[36]. Im Zentrum dieser Perspektive stehen die pharmakologischen Eigenschaften der Drogen und ihre physiologischen Wirkungen. Hauptsächlich geht es dabei um die durch den Konsum zu beobachtbare Entwicklung einer physiologischen Abhängigkeit und die notwendige Dosissteigerung um dieselben pharmakologischen Wirkungen zu erzielen. Verbunden mit dieser pharmakologischen Sichtweise wird davon ausgegangen, dass Drogenabhängige eine bestimmte, vornehmlich kranke, Persönlichkeit haben, denen ein Suchtcharakter zugrunde liegt.[37] Ausgangspunkt dieses Konzeptes eines vorliegenden kranken Suchtcharakters ist eine beim Drogenabhängigen bereits vor dem eigentlichen Drogenkonsum vorliegende latente “Prädisposition” zur Entwicklung der Krankeit Heroinabhängigkeit:
“the most common and widely accepted approach to addiction focuses on the personality structure of the addict. Underlying this group of theories is the asssumption that people become addicts because they are mentally abnormal or inadequate, or at least debilitated by some serious psychological problem”[38].
Die grundlegende Idee dieser Suchtpersönlichkeit ist die, dass diese erst mit dem ersten Drogenkonsum beim Suchtakteur zum Ausbruch kommt und die Suchtkarriere sich, in Etappen, in die Richtung einer Verelendung des Suchtakteurs entwickelt. Aus diesem Grunde wird diese Art von Karriere von manchen Autoren als eine Verelendungskarriere[39] umschrieben.[40]. Der Verlauf dieser Karriere ist progressiv und entwickelt sich in Richtung einer Verelendung in der Form einer “spiral down”- Karriere:
“...despite its initial glamour and excitement, the life of a “street adict” is a hard one. A host of severe personal problems plague all but the most fortunate addicts, and normally becomes progressively worse as their career continues. Economic problems were the most frequent complaint voiced...as the chippies (occasional users) settle into a pattern of addiction, their tolerance for narcotics steadily increases, and with it the cost of their habits. Savings are quickly exhausted, and the addict’s valuable possessions are sold or traded for narcotics...”[41]
Das Ende dieser abwärtsgehenden Spirale ist mit dem Stadium des “hitting Bottom”[42] erreicht:
“...most addicts find that their personal problems continue to mount during years of addiction. When this spiral down finally reaches its nadir, the addict is overwhemed by a sense of personal despair...the hopeless futility of their lives and their personal isolation. During this period the addicts seemed to lose confidence in their ability o make even the simplest decisions. Their every move appears only to have led deeper into the nightmare their lives have become...”[43]
Die Konsequenz der Perspektive des Drogenabhängigen als medizinisch Krankem, verbunden mit der vor 15 Jahren aufgekommenen AIDS Problematik und dem damit verbundenem und weitausgerichtetem Infektionsmodell[44], mit den neuen therapeutischen Therapien um die Methadonverschreibung und der neuen Diskussion um die sozialmedizinische Verschreibung von Heroin, ist eine zu beobachtende zunehmende und sich verstärkende Medizinalisierung der Drogenabhängigkeit[45], welche die Diskussion um die Rolle der Medizin als Instrument der „Purifikation“[46] erneut aufkeimen lässt. Die zunehmende Einordnung der Drogenabhängigkeit in ein medizinisches Register macht, dass die Drogenabhängigkeit „klar als Krankheit, die Drogenabhängigen als Kranke oder Patienten, und Methadon als Medikament“[47] angesehen wird.[48]
Ohne auf diese Diskussion mit ihren sozial-ethischen und sozialpolitischen Konsequenzen eingehen zu wollen, möchte ich an diesem Punkt über die Rolle innerhalb der Medizin der Psychiatrie in der Person des Psychiaters als ein previlegierter und ausgesuchter Partner zur Behandlung und Kontrolle Drogenabhängiger und die damit zustandekommende und implizite Klassifikation der Drogenabhängigkeit als ein sozial-psychiatrisches Syndrom nachdenken.[49] Als Höhepunkt dieser Klassifikation der Drogenabhängigkeit als ein sozial-psychiatrisches Syndrom ist die Einordnung dieser Abhängigkeit in das DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft. Dieses Handbuch gilt als diagnostische Referenz für alle psychiatrischen Symptome und Syndrome und hat ein eigenes diagnostisches Kapitel für alle durch Substanzen induzierten Abhängigkeit (Kapitel 6 des gängigen DSM-IV). Spätestens seitdem ist die Drogenabhängigkeit nicht nur eine allgemeine medizinische, sondern als eine spezifisch psychiatrische Krankheit definiert, welche psychische Störungen mit sich bringt und die vernehmlich durch einen vorgesehenen medizinischen Spezialisten, nämlich durch einen Psychiater, behandelt werden muss. Diese Regulierung der Drogenabhängigkeit an normative Wertbegriffe stehen im Dienst der wissenschaftlichen Absicherung der praktischen Intervention: „...solange sich wissenschaftliche Arbeit an normative Wertbegriffe hält, gilt sie als seriös und respektabel, denn sie schirmt sich dagegen ab, von der Wirklichkeit in Frage gestellt und widerlegt zu werden...“[50] Wenngleich andere Behandlungsformen toleriert werden, müssen diese in der Regel durch einen Psychiater nicht nur sanktioniert, sondern ebenfalls zugelassen werden. An diesem Punkt ist eine deutliche Delegation von Macht und ein neues Machtsystem zu beobachten, die möglicherweise neue Ausgeschlossene prosuziert: „...die Delegation der Macht an die Techniker, die sie in ihrem Namen verwalten und mit Hilfe neuer Formen der Gewalt, nun der technischen Gewalt, neue Ausgeschlossene schaffen.Die Aufgabe dieser Mittelsmänner besteht also darin, die Gewalt mit Hilfe ihrer Technisierung zu mystifizieren, ohne jedoch damit ihre Substanz anzugreifen; so dass sich das objekt der Gewaltanwendung ohne weiteres der Gewalt anpasst, sich dessen aber nie bewusst wird und auch nie selbst Subjekt einer realen Gewalt wird, die sich gegen das richtet, was ihn – das Objekt – vergewaltigt. Die Aufgabe der neuen Machtdelegierten soll darin bestehen, die Grenzen der Ausschliessung weiter zu ziehen und technisch neue Formen der Abweichung zu entwickeln, die sich bis jetzt noch im Rahmen der Norm bewegen.“[51] Durch diese Definition wird die kontrollierte Drogenverschreibung, die Substitutionsverschreibung, die Antiopiatverschreibung, die Einweisung in therapeutische Institutionen und die Registrierung dieser „Seuche“[52] als Gegenpol zur der auf der Strasse sich vollziehenden Verelendung des Individuums, welches beladen mit psychischen Störungen ist und die eine professionnelle und pharmakologische Intervention bedürfen, eben weil diese krank sind, legitimiert:
„...die ärztlich kontrollierte Verschreibung von Betäubungsmitteln verändert die Wahrnehmung des Drogenproblems. Sie erlaubt eine Akzentverschiebung weg vom Produkt hin zur Person und eine Entstigmatisierung des Abhängigen, der – anerkannt als Kranker - sein Etikett des Delinquenten verliert. Die Existenz der Drogenverschreibungszentren hilft, die Situation der offenen Drogenszenen zu lösen, die als Symptom für Schmutz, aber auch für Gewalt stehen. Symbolisch haben wir es mit einem Prozess der Purifikation zu tun, in welchem ein Problem der Gesellschaft erfolgreich medizinalisiert und zur Krankheit wird, die zwar medizinisch nicht definiert, aber sozial eingekreist werden kann.“[53]
1.1.2. Entwicklungspsychologische Perspektiven: Sucht als zeitlich begrenzter und altersabhängiger Reifungsprozeß
Das bislang umschriebene Karrieremodell der Drogenabhängigkeit, welches auf einem Krankheitskonzept des Drogenabhängigen und der damit zusammenhängenden Annahme einer deterministischen Entwicklung einer Verelendungskarriere aufbaut, wurde unter anderen durch Winick in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, durch neuangelegte Studien erschüttert.
Eine minutiöse Aktenanalyse des Federal Bureau of Narcotics von fast 45000 Drogenabhängigen ergab, dass ein grosser Teil dieser Drogenabhängigen nach einer 10-15 jährigen Drogenkarriere und im chronologischen Alter von unter 40 Jahren in denselben Akten nicht mehr registriert waren, dies bedeutet, kein den Behörden auffallendes Verhalten mehr an den Tag gelegt haben. Dies hat Winnick zu einer „maturing-out of addiction“ - Hypothese verleitet, nach der „the addict stops taking drugs, as the problems for which he originally began taking drugs become less salient and less urgent, if our hypothesis is correct.”[54] Die Erklärung im Gegensatz zu der Verelendungshypothese war, dass seiner Meinung nach keine besondere Gründe zur Beendigung der Drogenkarriere vorliegen. Der Drogenabhängige hört auf zu konsumieren, weil er aus seinem Konsum herauswächst und entwicklungsbedingt, durch eine erreichte Lebensreife und durch das Erreichen eines Reifealters, seinen Drogenkonsum beendet:
„...it is as if, metaphorically speaking, the addicts inner fires have become banked by their thirties. They may feel that less is expected of them in the way of sex, aggressiveness, a vocation, helping their parents, or starting a family. As a result of some process of emotional homeostasis, the stresses and strains of life are becoming sufficiently stabilized for the typical addict in his thirties so that he can face them without the support provided by narcotics.“[55]
Die grundlegende Idee dieser Perspektive ist die, dass nicht individuelle Persönlichkeitsvariablen den Ausstieg aus einer Drogenkarriere und die Erabeitung dieser Persönlichkeitcharakteristiken dem Individuum den Ausstieg ermöglichen, sondern, dass die Suchtkarriere ein Lebenszyklus ist, welcher objektiv verläuft und hauptsächlich wegen den Variablen „Alter“ (höheres Alter bedeutet eine grössere Wahrscheinlichkeit des Ausstiegs) und „Dauer“ (desto länger die Karriere desto mehr nähert sich der Drogenabhängige dem Ausstieg) zu einem Ende kommt, unabhängig von den Persönlichkeitsvariablen der einzelnen Suchtakteure.[56] Maturing-Out wird in diesem Sinne als Umkehrung von „unreifen“ coping-Mechanismen definiert: „if we conceive of chronic opioid drug use as an immature coping device, then any enduring abstinence can be called „maturing-out“.[57]
Trotzdem sich diese Hypothese des „maturing-out“ in der wissenschaftlichen Literatur etabliert hat, wurde Winicks Studie wenige Jahre nach seiner Publikation unter anderen von Vaillant widerlegt, weil dieser durch eine Longitudinalstudie beweisen konnte, wie über die Hälfte seiner Kandidaten länger als fünf Jahre Heroin konsumierten ohne den Behörden aufzufallen und daher nicht registriert wurden und somit nicht in die Statistiken als Drogenabhängige aufgenommen wurden.[58] Ebenfalls sind Maddux und Desmond zu dem Schluss gekommen, dass trotzdem die „maturing-out“ Hypothese „considerable value in stimulating thought and research“[59] hatte, ist sie wissenschaftlich nicht nur „vague“[60], sondern können die vorgestellten Erklärungsansätze nur ungenügend eine Erklärung für „all prolonged abstinence“[61] geben.
Dieses Konzept eines entwicklungsbedingten Reifeprozesses der zu einem Ausstieg aus einer Drogenkarriere führt, wurde von einigen Autoren weitergeführt und neben dem Begriff „maturing-out“ wurden die Termini „natural recovery“[62] oder „Spontanremission“[63] geprägt. Bestimmend für diese Hypothesen waren die Studien von Robins, die 898 ehemalige Vietnamveteranen welche im Vietam eine Opiatabhängigkeit erfahren hatten, nach der Rückkehr in die USA und in ihren Alltag, untersucht hat. Nur ein sehr geringer Prozentsatz dieser ehemaligen Drogenabhängigen haben ihre Drogenkarriere in den USA weitergeführt, die meisten haben nach ihrer Rückkehr ohne Behandlung und anderswertige externe Hilfe ihre Drogenkarriere beendet. Die zur damaligen Zeit gängigen Überlegung „once an addict, always an addict“ musste im Lichte dieser Ergebnisse zur Seite gelegt werden:
„...it does seem clear that the opiates are not so addictive that use is necessarily followed by addiction nor that once addicted, an individual is necessarily addicted permanently. At least in certain circumstances, individuals can use narcotics and even become addicted to them but yet be able to avoid use in other social circumstances“.[64] .
Diese Überlegungen und Ergbnisse zu der „natural recovery“ wurden ebenfalls sehr stark von den Ergebnissen beeinflusst, dass die Interviewpartner keine spezifischen Behandlungen ihrer Drogenabhängigkeit gemacht haben und nicht nur durch die Veränderung ihres social settings und anderer ihrer Persönlichkeit externen Variablen aus der Drogenabhängigkeit ausgestiegen sind. Es wurde gezeigt, dass mit und ohne Behandlungen ein grosser Teil der Drogenabhängigen eine Form von Karrieremüdigkeit[65] zeigen und durch einen enwicklungsbedingten Reifeprozess an einem bestimmten Punkt ihrer Drogenkarriere aus dieser spontan und ohne professionelle Hilfe aussteigen, „in diesem Sinne kann erwartet werden, dass die Länge der Drogenkarriere einen direkten positiven Einfluss auf die Behandlungsmotivation und die Dauer der Behandlung ausübt“.[66] Nach dem Ausstieg aus der Drogenkarriere wird in diesen entwicklungsbedingten Reifemodellen davon ausgegangen, dass die Akteure sich in konventionelle gesellschaftliche Kontexte erneut integrieren und dass die Lebenspraxis sich in diesen stabilisert.
Wie genau der Drogenausstieg aussieht und insbesonders welche Motivationsfaktoren zu einem spontanen Drogenausstieg führen, war Ziel von vielfältigen Studien. Unter anderen wurden unterschiedliche sozialpsychologische Mechanismen von ausgestiegenen Drogenabhängigen anhand von narrativen Interviews mit diesen erarbeitet und umschrieben. Mechanismen wie „diversion from the addiction“[67], in denen der ehemalige Drogenabhangige durch neue Beschäftigungen und Verantwortungen wie Arbeit, neue Zukunftsprojekte, etc., nicht mehr an die Suchtkarriere denkt und von dieser abgelenkt wird. Dieser Mechanismus wurde ebenfalls als „positive Motivationen“[68] um die Drogenkarriere unter Kontrolle zu halten umschrieben: „ces motivations positives constituent même pour nos interviewés une des sources de la volonté de contrôler la consommation: „passions musicales ou sportives, désir de se créer une famille ou de la maintenir unie, projets de voyages permettent à la personne de décentraliser son investissement par rapport à la drogue.“ “[69]
Ein weiterer Motivationsfaktor zum Ausstieg bei spontan ausgestiegenen Drogenabhängigen, sind „deterrent negative models“[70]. Hier tragen schwerwiegende Konsequenzen durch den Drogenkonsum und seine Auswirkungen aus der direkten Erfahrungs- und Lebenswelt von Drogenabhängigen zu einem Aussteig bei: „...death and illness of relatives or former buddies from the drug scene, combined with the fear of AIDS...“[71]
Zur Verfestigung der Ausstiegskarriere werden Mechanismen wie das „focusing more and more on the perceived rewards from the new way of life and on protection of the gains“[72] und die „Internalisierung neuer positiver sozialer Rollen“[73], wie z.B. neuer Helferrollen durch das Arbeiten mit behinderten Menschen, als Erklärungsansätze umschrieben.
1.1.3 .Die Perspektive der soziologischen Forschung: Suchtkarriere als Sozialisation und Labelingprozess
Die Perspektive der soziologischen Forschung hat ihren Ausgangspunkt in der Devianzforschung der Chicago Schule in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts gehabt. Sie wurde von verschiedenen Forschern, unter anderen von Becker impulsioniert, der im Gegensatz zu den damaligen gängigen Forschungsansätzen den Versuch unternommen hat, die Entwicklung abweichender Orientierungen und Kompetenzen als „Identifikations- und Lernprozess in deviante soziale Kontexte“[74], zu erklären. Anhand eines von ihm entwickelten Sequenzmodells, in welchem der Faktor Zeit eine wichtige Rolle spielt, wird der prozessuale Charakter einer devianten Karriere verständlich[75]. Zudem wurde eine Verbindung zwischen entscheidenden „sekundären Sozialisationsprozessen“, anhand deren Lernprozessen ein Akteur erst, zum Beispiel, zu einem Marujuanaraucher wird[76], und einer „differentiellen Assoziation“[77] als Prozess im Rahmen einer Sozialisation in der ein devianter Akteur erst dann deviant wird, wenn die Gesetzesverletzungen und entsprechende Verhaltensmuster bei ihm und von seiner Referenzgruppe eine positivere Bewertung geniessen[78] als die Referenzgruppe die dieselben Verhaltensmuster einer negativen Bewertungen unterziehen, hergestellt.
Basis dieser Arbeit ist das soziologische Verstehen von sinnhaftem Handeln von Individuen die aus einer Drogenkarriere ausgestiegen sind. Handlungstheoretisch muss dieser Ausstieg von ehemaligen Drogenabhängigen innerhalb relevanter sozialer Interaktionen erklärt werden. Spätestens seit Webers Definition von sozialem Handeln[79], sind unterschiedliche wissenschaftstheoretische Debatten zum Themenschwerpunkt „soziales Handeln“ entstanden, die unterschiedliche Perspektiven zu dieser Problematik beleuchten
Zum einen ist die strukturfunktionalistische Handlungstheorie von Parsons zu verstehen, die zu einem normativen Paradigma zuzuordnen ist, und in der die „Struktur von Handlungssystemen aus institutionalisierten (in sozialen und kulturellen Systemen) und/oder internalisierten (in Persönlichkeiten und Organismen) Mustern kultureller Bedeutungen besteht.“[80], das heisst, die Gesellschaft bietet ihren Mitgliedern bestimmte Normen[81] und Rollen an, die von diesen im Verlauf der Sozialisation verinnerlicht und anschliessend in der Form von bestimmten beobachtbaren sozialen Verhalten ausgelebt werden. Hierzu bedarf es Interaktion, weil in dieser diese Normen und Rollen Gesellschaft reproduziert wird. Die Handlungstheorie von Parsons beinhaltet diese doppelte Funktion der sozialen Ordnung, weil sie „réduit la question théorique de l’ordre social à sa dimension pratique: celle du déroulement de l’interaction; et de ce fait même, envisage le problème de la stabilité et de la cohésion sociales sous l’angle de l’activité de communication sur laquelle reposent les relations interpersonnelles.“[82] Trotzdem der Inhalt dieser Interaktion nicht von Parsons analysiert wurde, er dieser interaktionellen Dynamik wenig Aufmerksamkeit geschenkt und sich auf bestimmte gegebene, als konstant angenommene kulturelle Wertmuster bezieht, die als Bezugspunkt für konkretes soziales Handeln vorliegen, waren beide Realität miteinander verknüpfbar und vereinbar: „Parsons écartait ce problème en affirmant que ces deux systèmes s’emboîtent parfaitement: la socialisation, en imposant la motivation à agir en respectant des normes de conduite, permet à l’interaction de s’instaurer et de s’achever sans trouble majeur“.[83]
Schon Alfred Schütz[84] kritisierte diese eher „objektivistische“[85] Position Parsons[86] und entwickelte eine subjektivistische Auffassung, nach der „die Interpretation sozialen Handelns am Bewusstsein des individuellen Aktors ansetzen muss und sich nicht auf vorgegebene kulturelle Muster beziehen kann“.[87] Diese als phänomenologische verstandene Handlungstheorie soll sich an der realen Lebenswelt der Individuen orientieren und keine ausserhalb dieser Lebenswelt existierenden kulturellen Muster oder Normen- und/oder Rollensysteme als Bezugspunkt annehmen.
Erst jedoch mit dem symbolischen Interaktionismus, dies bedeutet, einem Interaktionsmodell einer Theorie einer symbolvermittelnden Interaktion, in der eine Rollenübernahme und eine Interpretation dieser als Grundtheorem ihrer Handlungstheorie definiert wird, wird der fortlaufende Prozess der Interpretation von Interaktionen erst richtig deutlich. Durch diese fortwährende Interpretation bildet sich Identität, die nicht nur etwas subjektives und individuelles, sondern ebenfalls etwas objektives und allen gemeinsam vorliegendes Konzept darstellt, und daher als “Struktur“ zu definieren ist: „die Struktur der Identität ist also eine allen gemeinsame Reaktion, da man Mitglied einer Gesellschaft sein muss, um eine Identität zu haben. Solche Reaktionen sind abstrakte Haltungen, doch formen sie den Charakter des Menschen. Sie geben ihm seine Prinzipien, die anerkannte Haltung aller Mitglieder der Gemeinschaft gegenüber Werten eben dieser Gemeinschaft. Er versetzt sich an die Stelle des verallgemeinerten Anderen, der die organisierten Reaktionen aller Mitglieder der Gruppe repräsentiert.“[88] Es kommt zu einem Identitätsbewusstsein, welches die Handlungen des Einzelnen und der Anderen erklärt: „Der Einzelne hat eine Identität nur im Bezug zu den Identitäten anderer Mitglieder seiner gesellschaftlichen Gruppe. Die Struktur seiner Identität drückt die allgemeinen Verhaltensmuster seiner gesellschaftlichen Gruppe aus, genauso wie sie die Struktur der Identität jedes anderen Mitgliedes dieser gesellschaftlichen Gruppe ausdrückt“.[89] Verständlich wird somit, dass sich die Mechanismen der Konstruktion und Produktion nicht nur von sozialer Realität, sondern ebenfalls von Identität, in alltäglichen Handlungs- und Interaktionsprozessen vollziehen. Goffmans Analysen von den vielfältigen Ausdrucksformen von Individuen innerhalb eines psychiatrischen Krankenhauses und die Entwicklung von Identität innerhalb bestimmter sozialer Interaktionen und sozialer Regeln, gaben eine erweiterte handlungstheoretische Perspektive und Dynamik. Die interaktionelle Dynanik wird von Goffman bis hin zu einer „Dramaturgie“[90] des sozialen Handelns zugespitzt, in der das gesamte soziale und gesellschaftliche Handeln einer Bühnenvorstellung in einem Theater, in der die zentrale Handlung das Rollenspiel ist, verglichen wird[91].
In der Folge dieser interaktionistischen Forschungsrichtung, die das Hauptaugenmerk auf die Identifizierungs- und Identitätsbildungsprozessen gelegt hat, wurde die Perspektive immer mehr auf die soziale Kontrolle, mit anderen Worten auf die Reaktion anderer, die auf abweichendes Verhalten reagieren, gelenkt. Dieser Ansatz, ebenfalls als Labeling- oder Etikettierungsansatz bekannt geworden, analysiert hauptsächlich „die Einstiegs- und Verstärkungsprozesse“[92] von devianten Karrieren und zeigt, inwiefern und welche Zuschreibungsprozesse bei der Entwicklung von devianten Laufbahnen durch die soziale Kontrolle entstehen und bei der Entwicklung einer devianten Karriere eine entscheidende Rolle spielen: „the young delinquent becomes bad, because he is defined as bad“[93].
Dieser Perspektivenwechsel der Analyse der Reaktionen anderer bei der Sanktionierung von Verhalten die entscheidend für die Entstehung devianter Karrieren sind, haben zum Teil tiefgreifende Konsequenzen auf die Identität der als deviant eingestuften Akteure, insbesonders auf die soziale Identität. Vielmals nehmen diese Sanktionen Formen von richtigen Zeremonien an, die von einigen Soziologen als „status degradation ceremonies“[94] gedeutet wurden. Goffman hat in seinen Arbeiten im Detail die Erfahrungen der „Statusdegradation“ von psychiatrischen Patienten in einem psychiatrischen setting und die Veränderung auf die Identität der Akteure untersucht[95]. Die neue soziale Identität der Akteure innerhalb eines psychiatrischen settings lässt sie eine bestimmte moralische Karriere eingehen, die „grosse Veränderungen auf das Selbst des Akteurs und im meaphorischen Bezugsrahmen, mit dem er sich und andere beurteilt, zur Folge hat.“[96]
Voraussetzung für die Statusdegradation ist das gesellschaftliche Vorhandensein von Stigmas, beziehungsweise, von genau bekannten Attributen oder Handikaps, anhand derselben bestimmte Akteure diskreditiert werden können (wie z.B., Drogensucht und/oder mit Drogen assoziiertes Verhalten an den Tag zu legen), und die in der Interaktion und auf der Ebene der interagierenden Individuen ein identitätveränderndes Potential haben. Durch die Applikation dieser Stigma entsteht beim Akteur eine Diskrepanz zwischen virtualer und aktualer sozialer Identität.[97]
Diese Analyse ermöglicht uns die verschiedenen Aspekte des Hauptthemas dieser Arbeit zu erörtern, nämlich die intersubjektive und interaktionelle Verarbeitung von Suchtausstiegsidentitäten und diese in eine soziologische Perspektive einzubetten. Ziel ist hierbei zu schauen, welche und inwiefern verschiedenen Aspekte der Identität dabei zum Vorschein kommen und eine Rolle beim Suchtausstieg spielen. Goffman hat uns zum Verständnis der Analyse einen nützlichen Rahmen mit der Unterscheidung dreier unterschiedlicher Identitätskonzepte geliefert[98].
1.1.3.1. Das Verständnis von sozialer Identität
Als erste Ebene der Analyse hat jedes Individuum eine soziale Identität, die ihn als ein mit verschiedenen allgemeinen Attributen bestückten Akteur charakterisiert. Diese Attribute werden von den sozialen Einrichtungen in denen man bestimmte Individuen antrifft, beziehungsweise, von diesen anderen, etabliert. Das heisst, die Personenkategorien hängen mit der „Routine des sozialen Verkehrs in bestehenden Einrichtungen zusammen, die es uns erlauben mit antizipierten Anderen ohne besondere Gedanken oder Aufmerksamkeit umzugehen.“[99] Hierzu zählen verschiedene Attribute die dreierlei Formen annhemen können: „erstens gibt es Abscheulichkeiten des Körpers, die verschiedenen physischen Deformationen. Als nächstes gibt es individuelle Charakterfehler, wahrgenommen als Willensschwäche, beherrschende oder unnatürliche Leidenschaften, tückische und starre Meinungen und Unehrenhaftigkeit,, welche alle hergeleitet werden aus einem bekannten Katalog, zum Beispiel von Geistesverwirrung, Gefängnishaft, Sucht, Alkoholismus, Homosexualität, Arbeitslosigkeit, Selbstmordversuchen und radikalem politischen Verhalten. Schliesslich gibt es die phylogenetischen Stigmata von Rasse, Nation und Religion.“[100]
Zum Verständnis von sozialer Identität ist hervorzuheben, dass die Perspektive der Beobachtung und die Interpretation der Charakteristiken eines Individuums durch die Augen Anderer stattfindet. Es ist mehr als nur der objektive soziale Status (z.B. durch die Angabe eines Berufs), der mit den strukturellen Merkmalen Hand in Hand geht, weil in diese Kategorie ebenfalls persönliche Eigenschaften wie „Ehrenhaftigkeit“ oder „Vertrauenswürdigkeit“ reinspielen. Wie wir im Laufe dieser Arbeit sehen werden, ist im Falle von devianten Karrieren, wie zum Beispiel, von aussteigenden Drogenabhängigen, die Bewältigung der sozialen Identität ein wichtiger Bestandteil der Ausstiegskarriere, weil die Veränderung bestimmter negativer Charakteristika das Selbstbild bei den Anderen zum positiven verändert wird.
Goffman erwähnt bei der sozialen Identität den Aspekt der moralischen Karriere eines stigmatisierten Individuums, weil in seiner Perspektive eine Unterscheidung zwischen der Naturgeschichte einer Personenkategorie mit einem Stigma und der Naturgeschichte des Stigmas selbst, stattfinden muss. An diesem Punkt kommt die Frage der Stigmaevolution in der Zeit auf, die deutlich auf die gesellschaftlichen Kontexte, in denen die Stigmas eingebettet sind, hinweisen.
1.1.3.2. Das Verständnis von persönlicher Identität
Wie wir gesehen haben erlaubt uns der Begriff der sozialen Identität Stigmatisierungen zu betrachten und zu verstehen. Dieses Verständnis wird durch das Konzept der persönlichen Identität erweitert, weil innerhalb dieses Konzeptes die Informationskontrolle beim Stigma-Management angegangen wird. Soziale Informationssymbole[101] bewerten strigmatisierte Akteure und attribuieren ihnen Stigmasymbole, welche von diesen in sozialen Situationen gemanaged und in die individuelle Lebensgeschichte eingebettet werden müssen. Somit spricht diese persönliche Identität die Einzigartigkeit eines Individuums und seine Differenzierung mit anderen, an:
„Mit persönlicher Identität meine ich nur die ersten beiden Vorstellungen – positive Kennzeichen oder Identitätsaufhänger und die einzigartige Kombination von Daten der Lebensgeschichte, die mit Hilfe dieser Identitätsaufhänger an dem Individuum festgemacht wird. Persönliche Identität hat folglich mit der Annahme zu tun, dass das Individuum von allen differenziert werden kann und dass rings um dies Mittel der Differenzierung eine kontinuierliche Liste sozialer Fakten festgemacht werden kann, herumgewickelt wie Zuckerwatte, was dann die klebrige Substanz ergibt, an der noch andere biographische Faken festgemacht werden können.“[102]
Goffman gibt uns mehrere Beispiele von persönlicher Identität, die sowohl die Form von Dokumenten annehmen (Ausweise und Führerscheine mit Fingerabdrücken, Unterschriften, Familienbilder, Dokumente über den Nachweis einer Militärkarriere, Gesundheitspass, Photokopien von Collegezeugnissen, Studentenkarten, etc.), wie auch das Anziehen von Sonnenbrillen um inkognito zu bleiben und um die persönliche Identität zu verbergen, das Anwenden von Spitznamen und Decknamen im Gegensatz zum normalen Namen, können. Ebenfalls gehört hierzu das Zuschreiben jedes Individuums einer sozialen Versicherungsnummer, hinter der ein komplettes Dossier mit Informationen bezüglich des Individuums existiert. Das Beispiel einer Prostituierten vor Gericht gibt uns einen Hinweis auf das Empfinden von persönlicher Identität beim öffentlichen Sanktionieren eines Stigmas: „Dorren, ein Mayfaur girl, sagt, dass das Erscheinen vor Gericht „ungefähr das Schlimmste an der Prostitution ist, Du gehst durch diese Tür da rein, und jeder wartet auf dich und sieht dich an. Ich halte meinen Kopf gesenkt und blicke niemals auf die Seite. Dann sagen sie diese schreckliche Worte: die eine gemeine Dirne ist...; und man fühlt sich scheusslich und weiss die ganze Zeit nicht, wer einen hinten aus dem Saal beobachtet. Du sagst „schuldig“ und machst, dass du herauskommst, so schnell du kannst“.“[103]
Ähnlich wie bei der sozialen Identität ist ebenfalls bei der persönliche Identität die Rolle der für die Akteure relevanten Anderen eine sehr wichtige Rolle. Dies aus dem wichtigen Grund weil die Anderen eine entscheidende Rolle bei der Informationskontrolle des Stigmas haben, durch die Kenntnis desselben und somit die Information weiterleiten können, und somit bewusst oder unbewusst eine Identitätszuschreibende und –bestimmende Funktion verkörpern.
1.1.3.3. Das Verständnis von Ich-Identität
Ich-Identität bezieht sich auf das subjektive und reflexive Empfinden von Identität und erlaubt, dies auf einer Individuumsebene, uns auf das persönliche Empfinden und Umgehen mit dem Stigma und sein Management von seiten des Individuums einzugehen. Ursprünglich von Erikson beschrieben, ist die grundlegende Idee der Ich-Identität, dass durch das subjektive Empfinden von Identität das Individuum „wesentliche Schritte in Richtung auf eine greifbare kollektive Zukunft zu machen lernt und sich zu einem definierten ich innerhalb einer sozialen Realität entwickelt und dass es sich um eine subjektive Erfahrung und um eine dynamische Tatsache handelt“.[104]
G.H. Mead umschrieb diese Problematik der Ich-Identität vom Standpunkt des reflexiven Denkens und der Spiegelung dieser innerhalb des gesellschaftlichen Kontextes aus: „...die Tatsache, dass sich jede Identität durch den oder im Hinblick auf den gesellschaftlichen Prozess bildet und sein individueller Ausdruck ist-oder vielmehr Ausdruck der für sie typischen organisierten Verhaltensweisen, die sie in ihren jeweiligen Strukturen erfasst-, ist sehr leicht mit der Tatsache zu vereinbaren, dass jede einzelne Identität ihre eigene spezifische Individualität, ihre eigenen einzigartigen Merkmale hat, weil jede einzelne Identität innerhalb dieses Prozesses, während sie seine organisierten Verhaltensstrukturen spiegelt, ihre eigene und einzigartige Position innerhalb seiner formt und somit in seiner organisierten Struktur einen anderen Aspekt dieses ganzen gesellschaftlichen Verhaltensmusters spiegelt als den, der sich in der organisierten Struktur irgendeiner anderen Identität innerhalb dieses Prozesses spiegelt.“[105] Diese Unterscheidung vom „I“ und vom „Me“ veranschaulicht nicht nur die reflexive Struktur der Identität, sondern ebenfalls ihre Doppelseitigkeit, weil das Individuum eben Mitglied einer Gesellschaft sein muss, um eine Identitat zu haben: „...das „I“ ist die Reaktion des Organismus auf die Haltungen anderer; das „Me“ ist die organisierte Gruppe von Haltungen anderer, die man selbst einnimmt. Die Haltungen der anderen bilden das organisierte „Me“, und man reagiert darauf als ein „I“.“[106]
Während Erikson seine Umschreibung der Ich-Identität eher in einen psychoanalytischen Kontext einbettet und die Problematik aus einer klinischen und psychopathologischen Perspektive analysiert, und Mead den reflexiven Prozess, in dem sich Identität entwickelt, veranschaulicht, versucht Goffman sie aus einer soziologischen Perspektive zu definieren und sie als Identitäts-Ambivalenz in der Folge eines Stigmas zu umschreiben: „wenn feststeht, dass das stigmatisierte Individuum in unserer Gesellschaft Identitäts-Standards erwirbt, die es auf sich anwendet, obwohl es ihnen nicht entspricht, ist es unvermeidlich, dass es hinsichtlich seines eigenen Ichs einige Ambivalenz empfinden wird.“[107] Diese Ambivalenz führt zu multiplen Dissonanzen und kann in extremen Fällen zu einer Selbstentfremdung führen, wie wir es im Laufe dieser Arbeit mehrmals bei Suchtakteuren beobachten werden.
Diese drei umschriebenen und eng miteinander vernetzten Ebenen der Identität wurden von Dashefsky[108] nicht nur systematisiert, sondern ebenfalls wurde eine vierte Ebene hinzugefügt. Diese Ebene wird von ihm als die Ebene des „Selbstkonzeptes“ beschrieben, auf der das Individuum durch seine kognitiven Fähigkeiten über seine eigene Identität, insbesonders durch die Rollen die es übernimmt, nachdenkt und dadurch Stellung zu sich selbst annimmt. Aspekt wie beispielsweise das Selbtwertgefühl, die Ergebnis einer Überlegung vonseiten des Individuums über die Perzeption seiner Fähigkeiten, seiner Kompetenzen und seiner Qualitäten innerhalb seiner ausgelebten Rollen sind, können in diese Ebene des Selbstkonzeptes zugeordnet werden.
Dashefsky hat diese vier Identitätsebenen schematisiert und unter anderem wird durch sein aufgestelltes Schema die dynamische Vernetzung zwischen dem Selbst und dem Anderen und dabei insbesonders zwischen dem sozialen und dem persönlichen veranschaulicht und illustriert:
S CHEMA VON D ASHEFSKY
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ausschlaggebend für die in dieser Arbeit vorgeschlagenenen Analyse der Suchtidentitätsveränderungen ehemaliger Suchtakteure, ist das der Identität zugrundeliegende reflexive Selbst. Wie wir in der folgende Analyse sehen werden, entwickelt sich der Reflexionsprozess und die Bildung einer neuen Ausstiegsidentität im gesellschaftlichen Verhalten der aussteigenden oder ausgestiegenen Suchtakteure. Diese Fähigkeit des Selbst die eigene Identität zu einer Handlung anzuspornen, inder man so reagiert, wie der andere es tut, gehört zu den grundlegenden Handlungsmechanismen der sozialen Interaktionen und der Entwicklung von Identität: „...in diesen Beispielen erkennen wir gesellschaftliche Situationen, in denen das Verhalten eines Wesens das andere Wesen bei der Verwirklichung von Handlungen beeinflusst, in die beide eingeschaltet sind. Es sind Handlungen, bei denen die Gesten und die entsprechenden Handlungen einander so ähnlich sind, dass ein Wesen sich selbst zur Einnahme von Geste und Haltung des anderen veranlasst und sich somit selbst neuerlich anregt. Bis zu einem gewissen Grad wird die Rolle des anderen übernommen und somit wird der Ausdruck seiner eigenen Rolle betont“.[109]
Hewitt[110] hat das Selbst in fünf verschiedene Komponenten aufgeteilt und diese miteinander verflochten. Diese Komponenten beziehen sich auf mögliche qualitative Inhalte des Selbst: An erster Stelle muss das Individuum motiviert [im Verlauf dieser Arbeit werden wichtige Konzepte mit „ bold“ betont] sein bestimmte Handlungen einzugehen, wobei seine antreibende Motivationen nicht biologisch, sondern sozial bedürfnisorientiert sind und in Bezug zu bestimmten verinnerlichten sozialen Normen und Rollen stehen. Die zweite Komponente des Selbst ist die Fähigkeit des Individuums seine Rollen in sozial genau festgelegten Kontexten sozial adäquat auszuspielen und diese haben somit eine statusdeterminierende Funktion. Durch dieses Rollenspiele wird nicht nur seine soziale Position sichtbar, sondern ebenfalls „what he does and what he believes he should do in the performance of his roles“.[111]. Die dritte Kompontente bezieht sich auf die Normen und hauptsächlich auf die Werte die diese Normen für das Individuum innehaben. Dabei können diese Werte sowohl verinnerlicht sein oder sie können es auch nicht. Wichtig ist, dass durch seine Handlung, das Individuum zu zeigen gibt, wer es ist und wie sein Selbst charakterisiert ist. Die vierte Komponente des Selbst bezieht sich auf die kognitiven Fähigkeiten die das Individuum hat und durch welche es sich im sozialen Umfeld bewegt und seinen Status verfestigt. Durch diese Fähigkeiten verdeutlicht das Individuum das Verständnis, welches es von den sozialen Interaktionen, in denen es sich befindet, hat. Die fünfte und letzte Komponente des Selbst bezieht sich auf das Selbstbild, welches jedes Individuum von sich selbst hat, und welches sich im Laufe der Sozialisation entwickelt. Dieses Selbstbild befindet sich in einem durch die Zeit und durch die Erfahrungen in dieser in einem permanenten Zustand der Konstruktion und (Re)kontruktion.[112]
Im Laufe der Analyse dieser Arbeit wird sichtbar werden, wie das Selbst in einem ständigen Prozess der Inszenierung in sozialen Institutionen[113] steht und wie das dieser Arbeit zugrundelegende Analysesubjekt, nämlich der aussteigende Suchtakteur, als Hauptdarsteller nicht nur Identität entwickelt, sondern diese ebenfalls vermittelt und damit sozial das gesellschaftliche Leben durch seine Besonderheit seiner eigenen Identität mitkonstruiert:
„...vielmehr muss der Aufbau einer individuierten Identität als eine den Strukturen sozialer Interaktionsprozessen entsprechende Leistung des Individuums angesehen werden, ohne die eine Beteiligung an Kommunikations- und Handlungsprozessen gefährdet oder sogar ausgeschlossen ist. Diese Leistung kann misslingen, sei es, weil antagonistische Verhältnisse dem Individuum nicht gestatten, sich als identisch zu behaupten, sei es, weil ungünstige Sozialisationsbedingungen ihm nicht die Fähigkeit vermittelt haben, Identität auch bei diskrepanten Erwartungen zu bewahren. Das Streben nach Identität wird demnach nicht als eine Art „anthropologische Naturkonstante“ unterstellt, sondern dieses Identitätskonzept soll eine Möglichkeit zeigen, der Aufforderung Goffmans nachzukommen, das „Ich in die Gesellschaft zurückzuholen“...“[114]
Zur Illustration der Inszenierung nicht nur des abhängigen, sondern ebenfalls des aussteigenden und des ausgestiegenen Selbst in sozialen Institutionen, kann das Triadenkonzept[115] der Abhängigkeit und der Suchtidentität zur Hilfe gezogen werden. Ausschlaggebend in diesem Konzept ist die dynamische Interaktion und Interdependenz der drei Dimensionen der Suchtabhängiggkeit, nämlich die Dimension der Suchtpersönlichkeit, die Dimension des Milieus und die Dimension der(s) konsumierten Produkte(s), welche in einem ständigen interagierenden Feld die Suchtkarriere beeinflussen und konditionieren. Die dynamische Beziehung, zu dem der Faktor Zeit untrennbar assoziiert werden muss, konditioniert die Suchtidentität und kann umgekehrt zum Ausstieg ebenfalls sehr hilfreich angewendet werden: „...dans le cas de l’individu X(1) sa situation est caractérisée par M familial qui exerce une socialisation(1) favorable à l’utilisation de médicaments ou d’alcool (2). L’individu rencontre la D(3) dans un milieu (M) qui est modifié (4) et qui est maintenant celui des peers. Ce milieu est lui aussi favorable à l’utilisation de la drogue perçue comme un symbole de ralliement au groupe. Cette phase est celle de l’utilisation des produits du cannabis. Les facteurs socio-culturels expliquant la consommation sont encore prédominants, la brisure (Olievenstein) au niveau du Moi du sujet ne produit pas encore ses effets. Les problèmes d’identité deveinnent de plus en plus oppressants – les problèmes de non-identité écrit Olievenstein – et marquent la trajectoire que suit la P du sujt (5). Le M lui-même se fractionne et des relations plus intenses s’établissent entre ceux qui n’opposent pas un refus catégorique aux drogues dures (6). Le jeune commence à utiliser l’une ou l’autre de ces drogues (7) et l’économie de sa P va subir l’impact de cette consommation (8). La dépendance s’instaure et la triade est remplacée par la diade personnalité-drogue (9). A mesure que le degré de dépendance augmente, les facteurs socio-culturels de la toxicodépendance perdent de leur importance, tandis que grandit celle des facteurs psycho-affectifs.“[116]
LUCCHINIS TRIADENKONZEPT
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dieses Triadenkonzept wird von sechs verschiedenen weiteren Dimensionen vervollständigt, nämlich die Dimensionen der offiziellen Sanktion (Anwendung des Gesetzes), der Komposition des Produktes (die medizinisch-pharmakologische Dimension), des sozio-kulturellen Kontextes in dem sich der Konsum abspielt, die wirtschaftliche Dimension des Konsumes, die psychische Konsequenzen und die psychiatrische Einbettung der Problematik.
Der Verlauf der Suchtabhängigkeit als eine in der Zeit sich verändernden und niemals definitiven Karriere kann in diesem Verständnis eingebettet werden und veranschaulicht nicht nur die Wichtigkeit der Interpretation[117], die der Suchtakteur von seiner eigenen Karriere und von der sozialen Struktur, in der er eingebettet ist, macht. Ebenfalls steht diese subjektive Interpretation in ständiger Interaktion mit den Interpretationen und Reaktionen anderer auf sein Suchtverhalten und diese sind determiniernd für den Verlauf seiner Suchtidentität und insbesonders auf seinen Suchtausstieg, wie wir im Verlauf dieser Arbeit sehen werden.
1.2. GESELLSCHAFT UND DROGENPROBLEMATIK – WANDEL DER KONZEPTE UND DES VERSTÄNDNIS DER DROGENSUCHT
Die in dieser Arbeit vorgeschlagene Analyse von Ausstiegskarrieren bleibt ohne eine Einbettung der subjektiven Karrieren in den allgemeinen gesellschaftlichen Kontext, in dem der Ausstieg stattfindet, unvollständig. Ziel dieses Kapitels ist es daher die Problematik nicht nur in eine allgemeine weltlich-historische Entwicklung einzubetten, sondern ebenfalls eine spezifische Perspektive einer eher national-regionalen Entwicklung, nämlich die der portugiesischen Gesellschaft, aus der die vorgeschlagenen Ausstiegskarrieren stammen, vorzustellen.
1.2.1 . Zum Beginn des Prohibitionismus und eines öffentlich-moralischen Problems
Der Beginn des Weltproblems Drogensucht mit allen heute bekannten geo-sozio-politischen und wirtschaftlichen-steuerlichen Konsequenzen geht zurück zum Ende des 18. Jahrhunderts. De facto waren es die Chinesen die, besorgt mit dem endemischen und sich im Inland ausweitenden problematischen Konsum von Opium ihrer Landsleute, welches billig durch die Weltmacht England aus Indien importiert wurde, begonnen haben, gegen die propagierende Opiumabhängigkeit zu reagieren, wobei diese Reaktion unilateral und militärisch-kriegerischer Natur gewesen ist, und beide Länder in mehrere Kriege verwickelt hat. Diese sind als die Opium-Kriege in die Geschichte eingegangen. In der Folge der nordamerikanischen Kolonialisierung, zum Beispiel, der Phillipinen, der Immigration und dem Ausbau der grossen amerikanischen Infrastrukturen, unter anderen der Eisenbahn in den Westen der USA und der Industrialisierung, zu dem eine grosse Anzahl von chinesischen und philippinischen Arbeitern zur Hilfe geholt wurden, schwappte der Konsum von Opium und anderen damals wenig vorhandenen Rauschmitteln in die USA über und beeinträchtigte liberale Politiken und den „great american dream“ des uneingeschränkten und durch nichts bremsenden wirtschaftlichen Wachstums. Die Entwicklung des öffentlich-moralischen Problems Drogenabhängigkeit, welches unter dem Prisma der sozialen Konstruktion der Droge gesehen werden muss[118], wurde unter anderem auch beeinflusst durch die Morphinepidemie während des Sezesionskrieg 1861-1865, die durch die Erfindung der epidermischen Spritze stark angespornt wurde, und dem Konsum des Alkaloids Kokain in den Intelektuellen-Künstlerischen Oberschichtmilieus. Diese verursachten religiöse-moralische Interventionen aus dem konservativ-puritanischem politischen Lager, die zunehmend an Gewicht zunahmen und politisch begannen, die Drogenproblematik als ein öffentliches und soziales Problem zu konstruieren. Roosevelt organisierte, unter einem immensen öffentlichen Druck[119], eine Konferenz, die man heute als das erste internationale Forum zum Problem der Drogenabhägigkeit bezeichnen kann, die 1909 in Schanghai getagt hat und an der 14 Länder teilgenommen haben. Diese Konferenz war zweigeteilt zwischen zwei antagonistischen Positionen, die auf der einen Seite die USA und China hinter einer radikal prohibitionistischen Linie und einer eher liberaleren Linie, die die Wahrung kommerzieller Interessen durch den Drogenhandel gewährleisten wollte. Die Schanghai Konferenz war der tatsächliche der Beginn des Bewusstseins eines Weltproblems „Droge“, wobei zur damaligen Zeit die verschiedenen Vektoren noch nicht sehr deutlich deliniiert waren. Die Folge dieser Schanghai-Konferenz war die Konferenz in Den Haag im Jahre 1912, in der zum ersten Mal nicht nur über das Opium diskutiert, sondern andere in der Welt konsumierten Substanzen in die Debatte miteingenommen wurde. Einigung wurde erreicht mit dem Beschluss, dass die einzelnen Teilnahmeländer der Konferenz Massnahmen zur Reduktion der Drogenproblematik im Inland ergreifen würden.
Diesem Beschluss nahm die USA Folge an und veröffentlichte 1914 den Harrison Act, ein Gesetz welches als der grundlegenden Baustein der legal-repressiven Politik im Suchtbereich der nächsten fünfzig Jahre gilt. Eine Liste verbotener Substanzen wurde publiziert und die Produktion, der Verkauf und der Konsum dieser Substanzen kriminalisiert. Ausnahme war der Konsum mit ärztlicher Verschreibung. Die meisten Länder nahmen dieses Gesetz als Vorlage für eigene ähnliche interne Gesetzesvorlagen an und bis Mitte der zwanziger Jahre war der Prohibitionismus vervollständigt.
Mit dem Ende des ersten Weltkrieges und dem Beginn der Gesellschaft der Nationen, wurde das Hauptaugenmerk zum ersten Mal weg von unilateralen nationalen Gesetzen hin zu internationalen und alle Teilnehmerländer bindenden Gesetzen[120], deren Durchführung durch internationale Kontrollorgane und Institutionen gewährleiset werden sollten, gesetzt. Diese Situation kann als der Beginn des internationalen Prohibitionismus und allgemein eines “Weltproblems Drogen” verstanden werden. In diesem Sinne stand die Konferenz von Genf im Jahre 1925, die das Internationale Opium Büro und den Permanent Central Narcotics Board ins Leben gerufen und die alle Unterzeichnerländer einer starken Kontrolle und Supervision der in der Den Haag definierten Substanzen verpflichtet hat. Die durch diese Kontrollen bewirkte Reduktion der Opiumproduktion[121] stellt ebenfalls den Beginn der illegalen Produktion und des illegalen Welthandels dar. Eine weitere Konferenz fand 1936 statt, deren Ziel die Verstärkung der Kriminaliserung der Akteure gegen die etablierten Gesetze gewesen ist, jedoch keinen allgemeinen Konsens gefunden hat, weil nur 26 von den 42 Staaten die Beschlüsse der Konferenz ratifiziert haben.
Weitere 1946, 1948 und 1953 stattgefundene Konferenzen, letztere schon unter dem Namen der Vereinten Nationen brachten keine grossen signifikative Neuigkeiten. Erst die 1961 abgestimmte „Single Convention on Narcotic Drugs“ und insbesonders das Genfer Protokoll zu dieser Konvention,welches 1972 unterschrieben wurden, brachten eine neue Wende.
1.2.2. Der Drogenabhängige als kranker, jedoch selbstverantwortlicher psychosozialer Akteur
Das Genfer Protokoll 1972 steht als der Beginn eines Paradigmawandels vom Drogenabhängigen als Kriminellen hin zum kranken Akteur dar. Zum ersten Mal wurde von Behandlung als Ersatz oder Komplement von einer Strafe gesprochen und somit eine Entkriminalisierung angestrebt. Seitdem wird sozio-politisch und legal den Drogenabhängigen die Möglichkeit gegeben aus ihrer Drogen auszusteigen, das heisst, Ausstiegskarrieren werden mit dieser Massnahme somit psychosozial erst ermöglicht. Den Unterzeichnerstaaten wurden Verpflichtungen aufgelegt die eine adäquate Behandlung, eine Nachbehandlung, die Erziehung und die Resozialisation von Drogenabhängigen gewährleisten sollen. Im diesem Sinne steht ebenfalls die Wiener-Konferenz von 1971 die als Neuigkeit nicht nur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine besondere Rolle der Aktualisierung der illegalen Produktetabelle zuschreibt, sondern ebenfalls die Rolle der Erteilung von Lizenzen an die Pharmazeutische Industrie für die Produktion und die Verteilung bestimmter zugelassener Substanzen.
Mit dieser Massnahme wird die soziale Problematisierung und die Medizinalisierung der Drogenabhängigkeit ermöglicht und ein neuer Fokus auf den individuellen kranken , jedoch rehabilitationsfähigen Akteur gelegt. Diese Konventionen entstehen in einer Phase, die soziologisch als die Phase der Subjektivität umschrieben wurde : „...la décomposition progressive de l’univers institutionnel et mental républicain s’est accompagnée d’une redéfinition des frontières et des contenus de la vie publique et de la vie privée: chacun veut et doit devenir l’acteur de sa propre vie. Ce mélange d’aspirations et de normes dessine un style de rapport à la société qui fait de l’estime de soi la condition de l’action. L’estime de soi n’est pas plus l’égoisme d’un moi souverain se satisfaisant tout seul de son bonheur privé qu’un moi divisé assigné à son enfer privé: elle implique, bien entendu, le souci de l’autre, car il n’y a pas de je sans nous.“[122]
Diese Medizinalisierung der Drogenabhängigkeit und die damit legale öffentliche Intervention vonseiten von staatlich-lizenziierten Interventeuren, verschiebt den Fokus auf die Verantwortlichkeit und die Veränderbarkeit aller einzelnen Akteuren: „...dans notre nouvelle configuration normative, chacun, qu’il soit psychanalyste ou RMIste,, doit arrimer sa conduite sur lui-même et de se mettre en avant: l’expérience du monde et de soi se brouille, les repères symboliques ne sont plus données par avance. Nous avons atteint l’âge d’homme, ce qui signifie que nous sommes responsables de nous-mêmes à un point jamais égalé dans l’histoire des sociétés modernes. Cette augmentation de la responsabilité nous rend, dans son mouvement même, plus vulnérables, car elle suppose d’accroître la capacité de chacun à agir à partir de son autorité privée et de son jugement personnel sans lequel on bascule dans l’impuissance et la souffrance psychique.“[123]
Die 1988er Konvention der Vereinten Nationen, die hauptsachlich Massnahmen gegen den internationalen Handel und die damit verbundene wirtschaftliche Kriminalität ergreift, behält im Grosse die Perspektive der medizinisch und psychosoziale Rehabilitation und Reintegration von Drogenabhängigen.
1.2.3. Der portugiesische Kontext
Portugal war eines der Länder, die den Beginn der Internationalen Reaktion auf das Problem „Droge“ von Anfang an mitbegleitet hat. Die vorgeschlagenen Dispositionen der Den Haager Konferenz im Jahre 1912 wurden in die portugiesische Gesetzgebung mit dem Gesetz vom 18.Juli im Jahre 1913 aufgenommen. Hervorzuheben ist hierbei die ambivalente Rolle der portugiesischen Regierung bezüglich der prohibitionistischen Tendenz, die hauptsächlich von den USA und China verfochten und angeregt wurde. Wegen den wirtschaftlichen Interessen des Opiumshandels in der asiatischen Kolonie Macau[124], schloss Portugal sich eher den französischen und englischen Thesen an, welche eine Reglementierung der Verteilung des Opiums vorsahen und dabei einen legal-kontrollierten Konsum tolerierten. Die zweite grosse Gesetzgebungswelle[125] folgte den Dispositionen der Genfer Konferenz aus dem Jahre 1925, an der Portugal ebenfalls teilgenommen hat.
Bis hin zum umschriebenen Paradigmawechsel[126] und dem Beginn der ersten legislativen Massnahmen des Genfer Protokolls, war Portugal de facto ein Pionierland der psychosozialen Unternehmungen. Bereits im Jahre 1965, also 6 Jahre vor der Publikation des Genfer Protokolls, wurde in Macau, welches im Imaginarium der Leute sozial seit eh und je mit Spiel und Opium assoziiert war, eine psychosoziale Behandlungseinrichtung aufgebaut, die im Sinne einer Behandlungslogik und Entkriminalisierung stand.[127] Es waren die ersten Schritte in Richtung eines neuen Paradigmas, welches aus politischen Gründen erst wieder ab den Jahren 1975/76 weiter verfolgt wurde.
In der letzten Phase der Militärdiktatur, zwischen 1970 und 1974 bis hin zur Revolution am 25.April 1974 fand eine Radikalisierung des politischen Diskurses in Richtung einer zunehmenden Moralisierung der öffentlichen Ordnung statt. In der Tat wurde die Drogenproblematik mit den politischen Oppositionsbewegungen in Verbindung gebracht. Der öffentliche Diskurs versuchte zu vermitteln, dass die Drogenabhängigen antipatriotisch, für die Entkolonialisierung und mit der linken und dabei insbesonders der kommunistischen Bewegung konnotiert sind und eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung darstellen[128]. In der Tat fand eine erneute Kriminalisierung der Drogenproblematik statt, die hauptsächlich mit internen nationalen politischen Bewegungen in Verbindung gebracht werden kann.
Erst nach der Revolution fand eine erneute Angleichung an die Internationalen Richtlinien statt in der Drogenpolitik statt.[129] Auf einem internen Niveau wurden gleich nach der Revolution verschiedene Massnahmen, die eine Behandlung von Drogenabhängigen vorsahen, getroffen. Unter anderen wurden medizinisch-rehabilitative Strukturen aufgebaut[130], diese wurde jedoch sehr scheu vorangetrieben: „embora se trate tão-só de meios institucionalizadores de entidades publicas, sem que operem qualquer modificação na esfera do direito substantivo vigente, certo é que o legislador como que concedeu um auto-retrato do Poder face à problemática dos estupefacientes, socorrendo-se, para tanto, de uma apreciação mais profunda das matérias a tratar e superando a justificação constante no Decreto-Lei 745/75. Acrescente-se ainda que, conforme se referiu, este diploma marcou o inicio, já anunciado em 1975, embora timidamente,, de uma outra fase conceptual sobre a fenomenologia psico-sócio-jurídica da droga, indicadora de transição para uma lógica penal e jurídica diversa, pelo que só à luz dos conceitos expendidos nesses qutro diplomas, observados como realidades integradas, se pode compreender o alcance global do conjunto legislativo promulgado em 1976.“[131]
Mit dem Gesetz 365 vom 8 September 1982, welches die Gesetze von 1975 und 1976 annulierten, wurde der medizinische und der psychosoziale Aspekt der Drogenproblematik verstärkt und definitiv in die Gesetzgebung verankert: „...a experiência ensaiada em 1975 e 1976, ainda que fundamentando-se numa postura que, não raramente, raiou as fronteiras do senso comum, sendo caracterizada por uma tónica afectivo-emocional projectou, no entanto, uma atitude atenta à natureza da toxicodependência e, de certo modo, àvida por a descodificar, em termos psicológicos e sociais, endereçando, para tanto, um apelo ao Saber. Ora, entre 1975 e 1982 os detentores do Poder adquiriram, de maneira definitiva, uma perspectiva clínico-psicosocial da droga, embora não se tenha descurado a vertente criminal, mesmo no palco do consumo; contudo,, a evolução registada ao longo desses sete anos demonstra que houve um processo de maturação, denotando o propósito do Legislador em dotar a política de droga de uma feição científica.“[132]
Zwischen 1983 und 1995 sind in Portugal vielseitige Anpassungen nicht nur der Gesetzgebung, sondern ebenfalls der Praxis der Behandlungspolitiken an internationale gängige Behandlungstechniken und Behandlungsprojekte[133]. Durch die Anfang der 80er Jahre impulsionierte Aidsproblematik fand ein erneutes Paradigmawechsel der Suchtbehandlung statt, und die eine neue Realität der Suchtbehandlung hervorgerufen hat. Dieses neue Paradigma kann man als bio-psycho-soziales Paradigma charakerisieren. Im Mittelpunkt steht eine Logik des sozialen Akteurs, der sozialen Integrierung desselben, der „harmreduction“, der vermehrten medizinisch-pharmakologischen Intervention (die die Logiken der Substitution durch Methadon und durch andere Präparate und der Antiopiate beinhaltet) und der allgemeinen Akzeptanz, dass das Drogenproblem keine allgemeine „Lösung“ hat, sondern sozial und pharmakologisch effizient kontrolliert werden kann: „...as normações que agrupámos nesta fase possuem, commo denominador comum, o intuito de salvaguarda da integridade psíquica do consumidor, atravês da redução ao mínimo da estigmatização social, o que passa logo pela abertura de possibilidades de não pronúncia e de dispensa da pena. Resulta nítido o propósito de censura no acto de uso de droga e não do actor, acolhido agora na simbiose de doente e delinquente, ergido em sujeito de terapias e de reinserção social, visando-se a cura e a reentrada no mundo das pessoas úteis. Esta filosofia pressupõe uma abordagem eminentemente pluridisciplinar, procurando obter a contribuição dos diversos segmentos do Saber social, deixando o sistema jurídico de se postar num estatuto de omnipotência.“[134] Und weiter: „...a lei de 1983 produziu uma configuração do utente de drogas que se inscreve num contexto de continuuidade da racionalidade anunciada nos anos de 1975 e 1976. Efectivamente, o texto ora son apreciação adoptou as duas componentes integrantes do discurso legislativo daqueles anos, realçando, a um tempo, o combate ao tráfico de substâncias estupefacientes e psicotrópicas, e a emergência da psicologização do consumo,, erigindo o consumidor, de modo privilegiado, em sujeito e objecto de intervenção terapêutica, relegendo para plano secundário as vertentes policial e repressiva. Esta é, com efeito, a principal característica da fase do Direito da Droga iniciada com o Decreto-Lei 430/83, inserindo-se, aliás, num discurso de evolução natural do pensamento plasmado no período histórico-legislativo antecendente.“[135] In der Tat wurde im Kapitel IV dieses Gesetzes, unter anderen in den Artikeln 22 und 36, der Hauptfokus auf die Behandlung und Prävention gesetzt, die prinzipiellen Grundlagen dieser auf dem Fundament der 3 Bausteinen der medizinisch-biologischen, der psychologischen und der sozialen Intervention.
Seit 1995 kann in Portugal eine starke, nicht nur soziale, sondern hauptsächlich eine legislative Aktivität im Suchtbereich beobachtet werden. Der Staat, durch den Regierungswechsel 1995 und durch die seitdem regierende sozialistische Regierung, hat eine starke interventionistische Rolle aufgenommen. Haupttonika dieser Intervention ist die endgültige Krönung des biopsychosozialen Paradigmas und der in Portugal damit verbundenen dominierende Rolle der medizinisch-psychiatrischen und medikamentösen Intervention: „...a institucionalização deste instrumento tem acentuado, de forma gradual mas firme, a valência médico-psiquiàtrica e psicosocial na política de tratamento da toxicodependência...“.[136] Diese pragmatische sanitäre Interventionslogik nimmt fast ideologisch ähnliche Konturen an: „ ...a redução de riscos pode tornar-se uma ideologia, que pretende resolver o conjunto dos problemas que a toxicodependência levanta à sociedade e ao individuo...“.[137] Sichtbar wird dieses Paradigma durch die heutzutage mehr als 10.000 Methadonabhängigen in Portugal.[138] Verschiedene Gesetzgebungen sind für die Verstärkung dieses Paradigmas verantwortlich, wichtig hierfür ist das Gesetz, welches die allgemeine Verbreitung des offiziellen-staatlichen Interventionsdienste in jedem Distrikt in Portugal in die Wege leitet[139]. In diesem Kontext ist die Frage nach einer „Ausstiegskarriere“, die ja Hauptthema dieser Arbeit ist, immer problematischer. Da innerhalb des bio-psycho-sozialen Paradigmas die Priznzipien einer „harm-reduction“[140] und der „maintenance“ verstärkte Aufmerksamkeit nicht nur vonseiten der offiziellen Politiken, sondern ebenfalls von den aufnehmenden staatlichen Gesundheitsdiensten und Professionellen geniessen, tritt innerhalb dieses Kontext die Problematik und der Wunsch der Akteure auszusteigen, immer mehr in den Hintergrund. Die Frage des Ausstiegs wird innerhalb dieses neuen Paradigmas immer weniger gestellt und eine Ausstiegskarriere wird innerhalb dieser neuen biologisch-pharmakologischen Realität und Vorgehensweise immer weniger eine Option für den „kranken“ Akteur.
Wichtig ebenfalls war die 1999 adoptierte „Estratégia nacional de luta contra a droga“, die in der Ministerkonferenz 46 vom 22 April angenommen und am 26 Mai 1999 veröffentlicht wurde. In dieser nationalen Strategie wurden zusammengefasst mehr als acht Bereiche der staatlichen Intervention festgelegt und stategisch definiert.[141] Ebenfalls wurden in der Ministerratskonferenz vom 22 Februar 2001[142] 30 strategische Ziele der staatlichen Politiken zur Reduktion der Drogenabhängigkeit angenommen. Weiterhin wurden die bislang festgelegten Strategien in einer weiteren Ministerkonferenz Nr.39 vom 9 April 2001 in einem „Plano de Acção Nacional de Luta contra a Droga e a Toxicodependência“ umgewandelt. Dieser Plan war das erste Ergebnis des neu aufgebauten „Instituto Português da Droga e da Toxicodependência“ (IPDT)[143], welches die diversen staatliche Organe in einem unifiziert hat. Ebenfalls ist der Plan in Konsonanz mit dem vom Europäischen Rat zuerst im Dezember 1999 in Helsinki allgemein definierten und endgültig am 19 und 20 Juni 2000 in Santa Maria da Feira angenommenen europäischen Strategie der Drogenbehandlung, die für die Periode vom Jahr 2000 bis 2004 gilt. Diese grob umschriebene Strategie des biopsychosozialen Paradigmas, welches als Leitmotiv die Reduktion der Nachfrage hat, wurde nicht nur von fast allen europäischen Länder in die einzelnen nationalen Programme aufgenommen, sondern ebenfalls in der 20ten besonderen Sitzung der Vereinten Nationen, die in New York vom 8 bis zum 10 Juni 1998 getagt hat, zur allgemeinen Intervention aller Unterschreiberstaaten der Vereinten Nationen als eine Art von konsensuellen Weltpolitik im Drogenbereich, proklamiert.
1.3. DIE REPRÄSENTATION DER DROGENABHÄNGIGKEIT – EINE INSTITUTIONELLE PERSPEKTIVE
Nach dem bislang Gesagten ist es an diesem Punkt wichtig eine Perspektive der Repräsentationen der Drogenabhängigkeit und der Drogenabhängigen vonseiten der in diesem Bereich intervenierenden Professionellen darzustellen. Ziel dieses Absatzes ist es zu zeigen, inwiefern die staatlich-öffentlichen Politiken sich in der alltäglichen Intervention der mit diesem Problem sich konfrontierender Profissionellen auf der Ebene des Imago dieser Profissionellen reflektiert. Mit anderen Worten geht es mir in diesem Abschnitt darum zu zeigen, welche Anamnesen und welche Behandlungspläne für Drogenabhängige gemacht werden. Diese Anamnesen werden uns erlauben zu sehen, welche symbolischen und empirischen Mechanismen auf der Ebene der Intervention angewandt und wie diese im Alltag mit den Drogenabhängigen umgesetzt werden. Diese Beziehung zu den Kranken wird verständlich in dem Sinne, was Goffman als „set of career contingencies“[144] nennt, beziehungsweise den Umständen, die Einfluss auf die Karriere haben, jedoch nicht mit dem eigentlichen Drogenproblem in Verbindung stehen.
Ziel dieses Abschnittes ist es ebenfalls eine „mesoskopische“ Ebene der Intervention vorzustellen, die eine Brücke zwischen dem im vorhergehenden Kapitel vorgestellten makroskopischen Einbettung der Problematik und der Vorstellung individueller Suchtausstiegsstrategien, die den Hauptteil dieser Arbeit ausmachen werden, herstellen. An diesem Punkt nimmt das Konzept der Repräsentation eine besonderere Rolle, nämlich die der Mediation ein: „le concept de représentation est apparu au coeur des interactions comme un médiateur privilégié; au niveau de l’individu (image du soi), au niveau interindividuel, au niveau intra ou inter groupe, au niveau de la société globale.“[145] Wie wir sehen werden ist die Rolle der Mediation eine sehr komplexe Rolle und nicht immer frei von Konflikten, weil sie unterschiedliche Werte vermitteltet, die im kulturellen Kontext nicht nur eingebettet sind, sondern ebenfalls das soziale Imaginarium ansprechen.[146]
In diesem Abschnitt stelle ich keinen Anspruch an eine eventuelle Repräsentativität. Von dem vielfältigen Angebot der Suchtbehandlung in Portugal fokusiere ich mich auf die öffentlichen Antworten auf die Suchtproblematik, weil diese die dominante politisch-öffentliche Haltung, die wie wir gesehen haben, in einem internationalen Kontext eingebettet ist, darstellen.
1.3.1. Die Repräsentation des biopsychosozialen Paradigmas
Im vorhergehenden Paragraph wurde summarisch die Entwicklungsgeschichte der in Portugal gängigen Suchtbehandlung vorgestellt. Es wurde ebenfalls von dem CEPD (Centro de Estudos da Profilaxia da Droga) gesprochen. Diese Institution wurde von einigen Jahren umbenannt und in das öffentliche Suchtbehandlungsnetz der CAT[147] (Centros de Atendimento para Toxicodependentes) integriert. Diese Institution, die vor zwei Monaten ihre 25 jährige Bestehungsfeier realisiert hat, heute als CAT-Restelo bekannt, gehört zu den ältesten therapeutischen ambulanten und stationären Einrichtungen der Suchtbehandlung in Portugal. Aus der relativ langen historischen Erfahrung der Suchtbehandlung in Portugal wurde diese Institution für den Zweck dieses Abschnittes ausgesucht und kontaktiert. Fünf Anamnesen von Aufzeichnungen der realisierten und niedergeschriebenen Erstkontakte (fichas do utente) mit Drogenabhängigen, die diese Diesntstelle aufgesucht haben und die heute von den Therapeuten als ausgestiegen befunden werden, wurden zum Zweck dieses Abschnittes untersucht.
Wie wir gesehen haben ist die zunehmende Rolle der medizinisch-medikamentösen Intervention im Drogenbhehandlungsbereich ein gewünschtes Ziel internationaler Konventionen und Abkommen. Durch dieses gewünschte politische Ziel werden nicht nur bestimmte Werte vermittelt, sondern ebenfalls das Machtverhältnis innerhalb der sozialen Struktur veranschaulicht und im portugiesischen Fall neufestgelegt und redefiniert.[148] Das neue Machtverhältnis Psychiater-Drogenabhängiger durch das Medium einer pharmakologischen Intervention steht für das neue Machtverhältnis zwischen Dominierenden und Dominierterten und veranschaulichen die neue kollektive Repräsentation der Drogenabhängigkeit innerhalb der portugiesischen Gesellschaft. Dieses im Suchtbereich „neues“ Machtverhältnis lässt eine „alte“ Frage erneut aufkommen: „...wirkt die therapeutische Beziehung zum Kranken nicht in Wirklichkeit wie eine neue Form von Gewalt, wie eine politische Beziehung, mit der seine Integration erreicht werden soll, da der Psychiater als Delegierter der Gesellschaft den Auftrag hat, den Kranken therapeutisch zu behandeln, um ihm zu helfen, sich an seine Kondition als „Objekt der Gewalt“ anzupassen?“[149]
Die Antwort auf diese Frage findet einen Reflex in den Anamnesen der neuankommenden Drogenabhängigen.
Diese Anamnesen sind hauptsächlich objektiver-sachlicher Natur und werden in der Form eines schon vorab festgelegten und vier bis fünf Seiten umfassenden Fragebogens durchgeführt. Die Fragen sind vorab schon gegeben, sie werden gestellt und die gegebenen Antworten werden durch „Ankreuzen“ von seiten des Therapeuten aufgeschrieben. Die hilfesuchende Akteure nehmen eine passive und „auf die Fragen antwortenden“ Rolle ein. Quantitative Fragen stehen im Mittelpunkt der Anamnese und diese werden in Angaben zur „persönlichen“ (Zivilstand, ethnische Zugehörigkeit,Ausbildung, berufliche Situation) , zur „familiären“ (Angaben zur Mutter und zum Vater, Zivilstand der Eltern, Brüderschaft, eigene Familie, Kinder, Kohabitation), zur „toxikologischen“ Geschichte (konsumierte Substanzen und Quantität, vorhergehende Behandlungen, andere therapeutische Angaben, Immunkrankheiten) und zur „juristischen“ Situtation (vorliegende Gerichtsprozesse) der Akteure aufgeteilt. Zum Teil werden von den Therapeuten einige handschriftliche Beobachtungen annotiert. Interessant ist das Aufschreiben eines kompletten familiären Genogramms (Familienstammbaums), welches zurück bis zu zwei Generationen vom interviewten Akteurs geht und vornehmlich Daten wie Scheidungen, Trennungen und Heiraten annotiert. Wie in anderen Kontexten[150] schon analysiert, können diese Anamnesen in ein erweitertes Register der sozialen Repräsentationen eingebettet werden, da diese „représentations s’inscrivent dans un context qui dépasse la relation entre le praticien et l’enfant: elle s’articulent avec d’autres images, notamment celles des enfants et de l’enfance en général, celles de la rue, des familles et des populations défavorisées et de la société dans laquelle ils vivent.“[151]
[...]
[1] Siehe hierzu GIDDENS A., Entfesselte Welt-wie die Globalisierung unser Leben verändert. Suhrkamp, Frankfurt/Main, 2001.
[2] zur Diskussion der Problematik der Individualisierung siehe unter anderen BECK U.., BECK-GERNSHEIM E.(Hrsg), Riskante Freiheiten. Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1994; EHRENBERG A., Le culte de la performance. Calmann-Lévy, Paris, 1991; TOURAINE A., Critique de la Modernité. Fayard, Paris, 1992.
[3] siehe hierzu BECK U.., BECK-GERNSHEIM E.(Hrsg), op. cit., 1994.
[4] Siehe hierzu EHRENBERG A., L’individu incertain. Pluriel, Paris, 1995.
[5] vom klassischen Methadon bis zu sehr verfeinerten halbsyntetischen Opiaten wie das Subutex, etc.
[6] GEISMAR – WIEVIORKA S., Nem todos os toxicodependentes são incuráveis. Terramar, Lisboa, 1999, S. 7.
[7] LOWENSTEIN W., GOURARIER L., COPPEL A., LEBEAU B., HEFEZ S., La Methadone et les traitements de substitution. Doin, Vélizy, 1995, S.101 und S. 104.
[8] Bundesamt für Gesundheitswesen(Hg): Methadonbericht,Suchtmittelersatz in der Behandlung Heroinabhängiger in der Schweiz; Bern, 1989, S.5, in: GERLACH R., SCHNEIDER W., Methadon - und Codeinsubstitution-Erfahrungen, Forschungsergebnisse, Praxiskonsequenzen. Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin, 1994, S.17/18.
[9] HECKMANN W., Wenn der Dealer einen weissen Kittel trägt. in Psychologie Heute, H.3, 1979, S.40-44, in BOSSONG H., STÖVER H., (Hg), Methadonbehandlung-Ein Leitfaden; Campus, Frankfurt/Main, 1992, S.20.
[10] siehe hierzu die Analyse von CABALLERO F., Droit de la drogue. Paris, 1989, der auf die Rolle der pharmazeutischen Konzerne bei der Elaborierung der Wiener Konferenz über Psychotropen (siehe hierzu Kapitel 1.2.3.), in welcher das aktuelle biopsychosoziale Paradigma eingeführt wurde, hinweist. Dabei ist nicht nur auf die eigentlichen Substitutionsmedikamente zu schauen, sondern ebenfalls auf die Begleitmedikamente, wie die Benzodiazepinen, die Neuroleptika, etc, die in grossen Massen verschrieben werden.
[11] siehe hierzu Kapitel 1.3.1.
[12] Die Mehrzahl der z.B. in Frankreich existierenden Projekte in der Suchtbehandlung werden von dieser Logik geleitet, siehe hierzu den Erfahrungsbericht eines in mehreren Projekten tätigen Sozialarbeiters in BUDENAERTS J., Drogues: substitution et polytoxicomanie. l’Harmattan, 2001.
[13] sieh hierzu BALDINO R.G., Welcome to Methadonia. White Hat Communications, Pittsburg, 2000.
[14] RIGAS A.V., Sujet social et complexité de l’approche biographique: la construction du soi par son histoire de vie; in COSTLAT-FOUNEAU A.M., Identité sociale et langage; L’Harmattan, Paris, 2001, S. 153.
[15] BULONCELLI R., Une sortie contraignante-la reconstruction d’un mode de vie autonome après une thérapie communautaire pour toxicomanes. Faculté des Lettres, Université de Fribourg, Schweiz, S. 10.
[16] Cicourel erwähnt an diesem Punkt die Wichtigkeit des “caractère négocié et construit des échanges interpersonnels dans la vie quotidienne”(CICOUREL A, La sociologie cognitive.PUF, S.18)
[17] Ziel dieser Forschungsrichtung ist unter anderen die Reflexivität der Individuen durch den Diskurs ausfindig zu machen und signifikative Erfahrungen die aus dieser Erfahrung entstehen festzuhalten und anschliesslich zu rekonstruieren: “...ma méthode d’analyse proposée oblige l’acteur social à repenser son histoire de vie, son complexe au niveau pulsionnel, conscient, biologique et social” (RIGAS A-V., op.cit., 2001, S.165).
[18] [18] RIGAS A.V., op.cit., 2001, S.158.
[19] siehe hierzu das Kapitel 2 in welchem detaillierter auf die “grounded theory” eingegangen wird.
[20] HAUPERT B., Empirische Fallstudie zu Lebensgeschichten von arbeitslosen Jugendlichen auf dem Land. Universität Oldenburg, 1987, S. 26.
[21] Ziel dieses Ansatzes ist es die identitäre Dynamik aus der Narration einiger ausgestiegener Suchtakteure deskriptiv und illustrativ zu deuten, es ist metaphorisch so zu verstehen, als ob ein Scheinwerfer sein Licht auf eine schon vorliegende Problematik wirft, die nicht zufällig vorliegt, sondern schon eine Repräsentation hat, die es gilt zu illustrieren und zu beschreiben.
[22] ROSE D., op.cit., 1990, S.6.
[23] In seiner Arbeit Institutional office and the person. American Journal of Sociology, 43; S.404-413.
[24] siehe ebenfalls die Arbeiten von HUGHES Men and their work. 1958 (S.56-67;102-115, 157-168); HALL O., The stages of the medical career. American Journal of Sociology, 1956, Vol.17, S.243-253; BECKER H.S., STRAUSS A., Careers, personality and adult socialisation. American Journal of Sociology, 1956, vol.17, S.253-263, zitiert nach BECKER H.S., Outsiders 1985, S.62.
[25] LINDESMITH A., STRAUSS A., DENZIN N. K., Social Psychology. 8th edition, Sage, London, 1999, S. 315.
[26] Siehe zu dieser Diskussion den Aufsatz von STEBBINS R., Career: the subjective approach. Sociological Quarterly, 11, 1970, S.32-49, in dem der Autor die Wichtigeit des subjetiven Inhaltes der Karrieredebatte hervorhebt und diesen in die allgemeine Diskussion einbettet.
[27] GOFFMAN E., Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen”, Suhrkamp, 1973, S.127.
[28] GOFFMAN E., op. cit. 1973. Siehe hierzu ebenfalls das Kapitel 5.1.4., in dem die Problematik der moralischen Entwicklung bei Suchtakteruen diskutiert wird.
[29] LINDESMITH A., STRAUSS A., DENZIN N. K., op.cit., 1999, S. 319.
[30] BECKER H.S., Outsiders. 1985, S. 47.
[31] siehe zu diesem Punkt das auf Seite 18 diskutierte Triadenkonzept, welches die zeitlich dynamische Interaktion und Interdependenz veranschaulicht. Ebenfalls ist im weiteren Verlauf der These der Faktor Zeit ein immer wiederkehrender und wichtiger Faktor bei der Analyse von Ausstiegskarrieren (siehe z.B. das Kapitel 4.2.1.1).
[32] BECKER H.S., op. cit. 1985, S.55.
[33] GOFFMAN E., Interaktionsrituale.Über das Verhalten in direkter Kommunikation. 1971, S.7.
[34] zum Thema und zur Diskussion um die Problematik der Intersubjektivität verweise ich den Leser auf zwei Arbeiten von JOAS H., Praktische Intersubjektivität,1989, und Das Problem der Intersubjektivität, in welchen verschiedene Beiträge zur Theorie der Intersubjektivität und der der Intersubjektivität zugrundeliegenden Aspekte des sozialen Handelns diskutiert werden.
[35] JELLINEK E.M., The Disease Concept of Alcoholism. College and University Press, 1960.
[36] Wie wir im Kapitel 1.2.4. sehen werden, ist die portugiesische Suchtpolitik und allgemein der portugiesische Suchtbehandlungskontext sehr auf dieses Krankheitskonzept aufgebaut Dieses Krankheitskonzept wird, wie wir sehen werden, heute unter einem allgemeinen bio-psycho-sozialen Paradigmabegriff erneut, wenn auch zum Teil vereinfacht und reduktionistisch, diskutiert.
[37] siehe KEUP W.(Hrsg), Sucht als Symptom. 1978, in GROENEMEYER A., Drogenkarriere und Sozialpolitik, Centaurus, 1990, S. 45.
[38] COLEMAN J., The dynamics of narcotic abstinence: an interactionist theory. 1978, in The Sociological Quarterly 19, S.555.
[39] siehe hierzu GROENEMEYER A., Drogenkarriere und Sozialpolitik. Centaurus, 1990, S.40-46.
[40] siehe hierzu ebenfalls Frykholms klassisches 6-Stufenmodell der Drogenkarriere, welches er als Verfeinerung des von einigen Autoren bis dahin umschriebenen 3-Stufenmodells ansieht, in: FRYKHOLM B., The drug career. in Journal of Drug Issues, vol 15, nº. 3, S. 333-346. Hierzu ebenfalls Jellineks 4 Phasen- und 42 Stufen-Schema vom “gelegentlichen Rausch bis zum seelischen und körperlichen Zusammenbruch” (JELLINEK E.M., Stufen des Alkoholismus. Neuland-Verlag, 1988, S.3) Oder die Arbeit von ALKSENE H., LIEBERMAN L., BRILL L., A conceptual model of the life cycle of addiction. The International Journal of the Addictions, vol 2, nº.2, 1967, S.221-240. Diese Stufenmodelle werden heute noch in der Suchttherapie als Basis der therapeutischen Arbeit verwendet.
[41] COLEMAN J., op. cit. 1978, S.559.
[42] COLEMAN J., op. cit. 1978, S. 560.
[43] COLEMAN J., op. cit. 1978, S.560.
[44] siehe hierzu die Diskussion in GEISMAR-WIEVIORKA S., Les toxicomanes. Seuil, 1995.
[45] siehe hierzu die hervorragende Arbeit von ZAPALÁ A., Diskursive Indikatoren der Medizinalisierung. in WIDMER J., BOLLER B., CORAY R., Drogen im Spannungsfeld der Öffentlichkeit. Helbing & Lichtenhahn, Basel, 1997, S.105-120. Die Autorin zeigt wie diese Medizinalisierung der Drogenabhängigkeit in dem journalistischen Diskurs sehr stark vertreten ist und diese Perspektive der Drogenabhängigen als Kranke Akteure in der öffentlichen Debatte und im Vergleich zu anderen Perspektiven eine dominante Position einnimmt.
[46] SZAST T., La persécution rituelle des drogués. Paris, Ed. Du Lézard, 1994, S. 163, in ZAPALÁ A., op.cit., 1997, S. 106.
[47] ZAPALÁ A., op cit. 1997, S. 107.
[48] Zu diesem Ergebnis kommt ZAPALÁ A., BOLLER B., CORAY R., in einer grossangelegten Studie zur Analyse von Presseartikeln aus einige Zeitungen der französischen Schweiz die während des Jahres 1996 zu den Themen Drogenverschreibung, Drogenforschung und Prävention unternommen wurde.
[49] Inwiefern die Rolle der sozialen Kontrolle der Medizin in die Berufstradition eingeschrieben ist oder nicht und die jetzige Abgabe der Behandlung von Drogenabhängigen an die Psychiatrie als previlegierter Partner innerhalb der Medizin ein neueres soziales Phänomen ist, verweise ich den Leser auf die interessante Diskussion bei SZAST T., op cit. , 1997, S.163ff.
[50] BASAGLIA F., Die negierte Institution oder Die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen-Ein Experiment der psychiatrischen Klinik in Görz; Suhrkamp, 1973, S.7.
[51] BASAGLIA F., op.cit., 1973, S. 125.
[52] die epidemische Ausbreitung der Drogenabhängigkeit wird von vielen Autoren vertreten und dieses Argument ist ein gängiges Argument in der öffentlichen Diskussion dieser Problematik, siehe hierzu PÉLICHER I., THUILLIER G., La Drogue. PUF, 1985.
[53] ZAPALÁ A., op cit. 1997, S.119.
[54] WINICK C., Maturing out of narcotic addiction. Bulletin on narcotics, vol. 14, 1962, S. 5.
[55] WINICK C., op. cit. 1962.
[56] verschiedene Untersuchungen wurden in Anlehnung an diese maturing-out-Hypothese gemacht, siehe unter anderen die Arbeit von SNOW M., Maturing-out of Narcotic Addiction in New York City. The International Journal of the Addictions, 8(6),1973, S.921-938.
[57] MADDUX J.F., DESMOND D.P., New light on the maturing-out hypothesis in opioid dependence. Bulletin on Narcotics, vol. XXXII, n.1, 1980, S.24.
[58] VAILLANT G.E., A 20-year follow-up of New York Narcotic Addicts. Arch.Gen.Psychiatry,vol 29, 1973, S. 237-241.
[59] MADDUX J.F., DESMOND D.P., op cit., 1980, S.24.
[60] MADDUX J.F., DESMOND D.P., op. cit., 1980.
[61] MADDUX J.F., DESMOND D.P., op. cit., 1980.
[62] WALDORF D., BIERNACKI P., The natural recovery from opiate addiction:some preliminary findings. Journal of Drug Issues, Winter 1981, S.61-74. Siehe ebenfalls die Arbeiten von SCHARSE R., Cessation patterns among neophyte heroin users. The International Journal of the Addictions, 1, 1966; O’DONNELL J.A., et al., Young men and drugs-a nationwide survey. NIDA Research Monograph 5, 1976.
[63] Der Begriff der Spontanremission stammt aus der Medizin und ist ein Begriff der dann verwendet wird, wenn ohne erklärbare Eingriffe ein Krankheitsverlauf unterbrochen wird und eine Heilung ohne externen Eingriff eintritt.
[64] ROBINS L.N., HELZER J.E., DAVIS D.H., Narcotic use in Southeast Asia and afterwards. Archives of General Psychiatry, 23, 1975, in WALDORF D., BIERNACKI P., Natural recovery from heroin addiction: a review of the incidence literature. Journal of Drug Issues, Spring 1979, S.284.
[65] siehe hierzu ebenfalls. STIMSON G.V., OPPENHEIMER E., Heroin Addiction-treatment and control in Britain. Tavistock publications, London, 1982, S.129.
[66] GROENEMEYER A., Karrieremodelle abweichenden Verhaltens und soziale Kontrolle der Drogenabhängigkeit. Soziale Probleme, 2Jg., 1991, S.169.
[67] KLINGEMANN H.K., Coping and maintenance strategies of spontaneous remitters from problem use of alcohol and heroin in Switzerland; The International Journal of the Addictions, vol.27, nº.12,1992, S.1363.
[68] CAIATA M., La toxicodependance d’integration.analyse des formes de gestion des toxicomanies temperées; Mémoire de licence presenté à la Faculté des Lettres de l’Université de Fribourg, 1994, S. 19.
[69] CAIATA M., op. cit. 1994.
[70] KLINGEMANN H.K., op. cit., 1992, S.1366.
[71] KLINGEMANN H.K., op. cit. 1992.
[72] KLINGEMANN H.K., op. cit. 1992.
[73] KLINGEMANN H.K., op. cit. 1992.
[74] GROENEMEYER A.,op. cit. 1990, , S. 68.
[75] BECKER H., Outsiders. Métailié,1985, S. 45ff.
[76] BECKER H., siehe insbesonders das 3. Kapitel. Wichtig zu verstehen ist die Perspektive, dass die Einstellung des Effektes gelernt ist, in den Worten Beckers: “la consommation de marijuana est fonction de la conception que l’individu se fait des utilisations possibles de celle-ci, et cette conception évolue en fonction de son expérience de la drogue” (page 65) Das Sequenzmodell erlaubt uns zu verstehen, wie jeder Schritt oder Sequenz der abweichenden Orientierung des devianten Akteurs einzeln erklärt werden kann: “...wir brauchen z.B. eine Erklärung dafür, wie eine Person in die Lage kommt, in der Marihuana leicht beschaffbar ist und eine andere Erklärung dafür, warum die Person unter der Voraussetzung leichter Beschaffbarkeit von Marihuana gewillt ist, damit zum ersten Mal zu experimentieren.Und wir benötigen eine weitere Erklärung dafür, warum jemand nach dem ersten Versuch mit Marihuana fortfährt, es zu benutzen. In gewissem Sinne bildet jede Erklärung eine notwendige Ursache des Verhaltens” (Becker, H., Outsiders, in Groenemeyer, op.cit., S.72)
[77] Die Theorie der differentiellen Assoziation wurde von Sutherland zuerst 1939 formuliert. Siehe hierzu Lamnek, S.: “Neue Theorien abweichenden Verhaltens”,Fink, 1997, S.21
[78] Matza benützt in diesem Kontext den Begriff “Affinität” (siehe MATZA D., Abweichendes Verhalten.Untersuchungen zur Genese abweichender Identität. Heidelberg, 1973, S.98ff, in GROENEMEYER op.cit., 1990, S. 72.
[79] “Soziologie soll heissen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. Handeln soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äusseres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heissen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjekiven Sinn verbinden. Soziales Handeln aber soll ein solches Handeln heissen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist”, in WEBER M., Wirtschaft und Gesellschaft.Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen, 1972 (1922), S.1; in MIEBACH B., Soziologische Handlungstheorie. Westedeutscher Verlag, 1991, S. 17.
[80] PARSONS T., Zur Theorie sozialer Systeme. Opladen, 1976, S.342, in ebd., S. 19.
[81] Für Parsons gibt es zweierlei Arten von Normen: die einen “rapportent aux conventions, habitudes et manières d’appréhender le monde qui s’acquièrent dans le cours de la socialisation (entendue comme le mouvement qui transforme un enfant en adulte); et les secondes sont produites par une sorte d’équipement cognitif de base au moyen duquel une signification peut être attribuée à une activité: ce que Parsons nomme des “variables de configuration”, c’est à dire des catégories de pensée qui permettent à li’individu de juger du type d’action dans lequel il est pris et de s’adapter aux circonstances changeantes des échanges sociaux.” (OGIEN A., Sociologie de la Déviance, Colin, S. 1995, S. 166.)
[82] OGIEN A., op.cit., 1995, S. 173.
[83] OGIEN A., op.cit., 1995, S. 173ebd.
[84] SCHÜTZ A., Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einführung in die verstehende Soziologie, Frankfurt/Main, 1932/1974
[85] MIEBACH B., op cit., 1991, S.22.
[86] Die von Parsons entwickelte strukturfunktionalistische handlungstheoretische Position, die an diesem Punkt sehr kurz aufgenommen und vorgestellt wurde, hätte die im Kapitel 5 konstruierten Typen von Aussteigskarrieren nicht ermöglicht. Erst die interpretative Arbeit an Interviewtexten und nicht die allgemeine objektive und rationelle Analyse von internalisierten Rollen und Normen ermöglicht das Verständnis von Ausstiegskarrieren.
[87] MIEBACH B., op cit., 1991, S.22.
[88] MEAD G.H.Geist,Identität und Gesellschaft. Suhrkamp, 1998, S.205.
[89] MEAD G.H.op.cit., 1998, S.206.
[90] MIEBACH op.cit.,1991, S.67.
[91] siehe hierzu Goffman,E.: “Wir alle spielen Theater-Die Selbstdarstellung im Alltag”; Piper, 1969
[92] GROENAMEYER, op.cit., 1990, S.70.
[93] TANNENBAUM F., Crime and Community. , 1953, S.17; zitiert aus LAMNEK S., op cit., 1997, S.23.
[94] GARFINKEL H., Conditions of successful degradation ceremonies. American Journal of Sociology, vol. 61,Issue 5, 1956, S. 420.
[95] siehe hierzu GOFFMAN E., op.cit., 1973. Anselm Strauss hat ebenfalls die biographische Verlaufskurve von kranken Patienten und der Umgang mit dem Tod innerhalb eines Krankenhaussettings untersucht und dabei die identitären Verhandlungen, welche beim management der Krankheit mit dem Pflegepersonal, und der eher individuellen Verlaufskurve durch die Krankheit entstehen, umschrieben (siehe hierzu STRAUSS A., La trame de la négociation. Harmattan, 1992, S. 35ff.
[96] GOFFMAN E., op.cit., 1973, S. 127.
[97] sieh hierzu GOFFMAN E., Stigma-über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Suhrkamp, 1999, S. 10ff. und S.30ff.
[98] Die drei Konzepte, die den Rahmen dieser Arbeit ausmachen sind ausführlich in seiner Arbeit Stigma-über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität vorgestellt und diskutiert.
[99] GOFFMAN E., Stigmata, 1999, S.10.
[100] GOFFMAN E., op.cit., 1999, S. 12/13.
[101] siehe hierzu im Detail GOFFMAN E., op.cit., 1999, S.58ff.
[102] GOFFMAN E., op.cit., 1999, S.74.
[103] ROLPH, Women of the street; S. 24, zitiert in GOFFMAN E., Stigma, 1999, op.cit, S.109.
[104] ERIKSON E.H., Identität und Lebenszyklus. Suhrkamp, 1998, S.18. Zu einer eingehenden Analyse von Eriksons Unterscheidung zwischen Ich-Identität und persölicher Identität, verweise ich den Leser auf die von ihm vorgeschlagene Unterscheidung, die leider in dem Kontext dieser Arbeit wenig operational ist, und daher geringe Anwendung findet: „Das bewusste Gefühl, eine persönliche Identität zu besitzen, beruht auf zwei gleichzeitigen Beobachtungen: der unmittelbaren Wahrnehmung der eigenen Gleichheit und Kontinuität in der Zeit, und der damit verbundenen Wahrnehmung, dass auch andere diese Gleichheit und Kontinuität erkennen. Was wir hier Ich-Identität nennen wollen, meint also mehr als die blosse Tatsache des Existierens, vermittelt durch persönliche Identität, es ist die Ich-Qualität dieser Existenz. So ist Ich-Identität unter diesem subjektiven Aspekt das Gewahrwerden der Tatsache, dass in den synthetisierneden Methoden des ichs eine Gleichheit und Kontinuierlichkeit herrscht und dass diese Methoden wirsam dazu dienen, die eigene Gleichheit und Kontinuität auch in den Augen anderer zu gewährleisten.“ (ebd., S.18)
[105] MEAD G.H., Geist,Identität und Gesellschaft. Suhrkamp, 1998, S.245.
[106] MEAD G.H., op. cit. 1998, S. 218.
[107] GOFFMAN op.cit., 1999, S.133. Er beschreibt ein zutreffliches Beipiel eines blinden Mädchen, das die Problematik gut illustriert: “Einst – vor ein paar Jahren – dachte ich, ich würde mit einem sehenden Mann ausgehen als mit einem blinden. Aber ich habe ab und an Verabredungen, und langsam haben sich meine Gefühle darüber gewandelt. Ich achte das Verständnis des Blinden für den Blinden, und nun konnte ich einen blinden Mann um seiner eigenen Qualitäten willen respektieren und glücklich sein über das Verständnis, das er mir geben konnte. Einige meiner Freunde sehen, und einige sind blind. Dies scheint mir irgendwie so zu sein, wie es sein sollte – ich kann nicht verstehen, warum menschliche Beziehungen auf die eine oder die andere Art reguliert werden sollten.” (Henrich und Kriegel, S. 187)
[108] siehe hierzu DASHEFSKY A., Resurgence of ethnicity. Chicago, Éd. Raud McNally, 1976, S. 6.
[109] MEAD G.H., Geist, Identität und Gesellschaft. Suhrkamp, 1998, S.413; Die Reflexivität ist für Mead eine der Bedingungen für die Entwicklung von Geist: “...durch Reflexivität-den Rückbezug der Erfahrung des Einzelnen auf sich selbst-wird der ganze gesellschaftliche Prozess in die Erfahrung der betroffenen Individuen hereingebracht. Durch diese Mittel, die es dem Einzelnen erlauben, die Haltung des anderen gegenüber sich selbst einzunehmen, kann der Einzelnen sich bewusst na diesen Prozess anpassen und die Resultante dieses Prozesses in jeder gesellschaftlichen Handlung im Rahmen seiner Anpassung an sie modifizieren. Reflexivität ist also für die Entwicklung von Geist die entscheidende Voraussetzung innerhalb des gesellschaftlichen Prozesses” (ebd., S. 175)
[110] HEWITT J.P., Social Stratification and deviant behaviour. New York, 1970, S. 32ff.
[111] HEWITT J.P., op. cit. 1970, S.32.
[112] Dieses von Hewitt entwickelte Konzept des Selbst wird als Grundlage des 2ten Abschnitts des 3.Kapitels dieser Arbeit verwendet.
[113] siehe hierzu GOFFMAN E., Wir alle spielen Theater-die Selbstdarstellung im Alltag. Piper, 1983, S. 230ff.; andere Soziologen sprechen von einem “kreativen Akt”: “...Identität zu gewinnen und zu präsentieren ist ein in jeder Situation angesichts neuer Erwartungen und im Hinblick auf die jeweils unterschiedliche Identität von Handlungs-und Gesprächspartnern zu leistender kreativer Akt. Er schafft etwas noch nicht Dagewesenes, nämlich die Aufarbeitung der Lebensgeschichte des Individuums für die aktuelle Situation. Das bedeutet zugleich, dass das Individuum sich durch den Rückgriff auf frühere Interaktionserfahrungen und andere Anforderungen, die mit in die Formulierung seiner Position einfliessen, dieser Situation gegenüber in Distanz setzt. Mit Hilfe seines Identitätsentwurfes, den das Individuum als einen von den anderen wiederum zu berücksichtigen Bestandteil in die Situation einführt, versucht das Individuum eine Interpretation der Situation durchzusetzen, die seinen Handlungsmöglichkeiten und Absichten möglichst weitgehend entspricht” (KRAPPMANN, L., Soziologische Dimensionen der Identität. Klett-Cotta, 1969, S. 11.)
[114] GOFFMAN E., op. cit. 1983, ebd., S.11; aus GOFFMAN E., Encounters. Indianapolis, Bobbs-Merrill, 3.Auflage 1966, S.120.
[115] siehe hierzu LUCCHINI R., Drogues et Société; Ed.Universitaires, Fribourg, Schweiz, 1985, S.123ff
[116] op.cit, S. 121/122 und LUCCHINI R., Culture, personnalité, structure sociale et toxicomanie, Université de Fribourg, Working Paper Nº53, S.20/21
[117] Siehe zu diesem Aspekt ebenfalls CICOUREL A., op.cit.,insbesonders ab S. 42ff.
[118] Thomas SZASZ T., spricht von einer Fabrikation des “Drogenproblems”, in SZASZ T., Les rituels de la drogue. Payot, Paris, 1976, S. 17 in LUCCHINI R., Drogues et societé. Fribourg, 1985, S. 39. Ebenfalls wird der Drogenkonsum mit der Minoritätenproblematik in Beziehung gebracht, der Opiumkonsum wird der Chinesen und der Kokainkonsum den Schwarzen in die Schuhe geschoben.
[119] insbesonders durch den prominenten Pfarrer Brent, der seine moralischen und religiösen Konzepte, nach denen eine Unterwanderung der amerikanischen Gesellschaft durch den grassierenden Drogenkonsum stattfindet, sehr stark propagiert und mit diesen einen grossen Rückhall in der amerikanischen Gesellschaft gefunden hat. (siehe hierzu CABALLERO F., Droit de la Drogue. Paris,Précis Dallox, 1989, S.40).
[120] Gleich mit der Gründung der Gesellschaft der Nationen nach dem ersten Weltkrieg in Versailles wurde dieser Punkt im Artikel 295 der Gesellschaft in Bezug zum Drogenkonsum festgelegt.
[121] Die Produktion von Opium ist z.B. von 42000 Tonnen im Jahre 1906 auf 8000 Tonnen im Jahre 1934 gefallen. Siehe hierzu: STARES P., op.cit., S. 19.
[122] EHRENBERG A., L’individu incertain. Paris, Calmann-Lévy, 1995, S. 23.
[123] EHRENBERG A.,op. cit., 1995.
[124] Ein Viertel des wirtschaftlichen Einkommens dieser Kolonie stammte aus dem Opiumhandel. Siehe hierzu POIARES C., Análise psicocriminal das Drogas-o discurso do legislador. Almeida & Leitão, Porto, 1998, S. 186 ff.
[125] Decreto-lei 12210 vom 24 August 1926 und der Ratifizierungen und andere Protokolle die am 20 Juni 1927 publiziert wurden (Diàrio do Governo, I série, nº 127, de 20 de Junho de 1927
[126] siehe hierzu Punkt 1.2.3.
[127] Es dreht sich um das “Centro de Rehabilitação Social”, welches mit dem Gesetz 8297 am 23.November 1966 entstanden ist. Trotzdem es, im Foucaltchen Sinne als “enclausuramento” (Poaires, op.cit.S.230) funktionierte , war das Ziel dieser Institution wie im Artikel 3 beschrieben: “...receber, em regime de internamento, proteger e guardar, tratar e recuperar socialmente os toxicomanos”.
[128] Siehe hierzu POIARES C., op.cit., 1998, Kap.IV, S.237-258.
[129] Mit der dem Gesetz nº. 21 vom 23 März 1977 fand eine erste gesetzliche Bestimmungen in Materie Drogen und mit dem Gesetz Nr 161 vom 21 Dezember 1978 wurde die Genfer Konvention von 1961 und das Genfer Protokoll vn 1972 ratifiziert und in die portugiesische Gesetzgebung integriert. Ebenfalls wurde mit dem Dekret Nr 10 vom 30 Januar 1979 die Wiener Konvention über psychotropische Substanzen ratifiziert. Diese zwei Konventionen, die die Basis der momentanen gültigen internationelen Gesetzgebung im Bereich der Drogenproblematik , darstellen sind von Portugal ratifiziert worden. Ebenfalls ist die Wiener Konferenz der Vereinten Nationen von 1988 von Portugal ratifiziert worden.
[130] Unter anderen das CEPD (Centro de Estudos da Profilaxis da Droga) im Jahre 1976 (durch das Gesetz Nr. 792 vom 5 November 1976. Diese Struktur war Nachfolger des Centro de Estudos da Juventude, welches trotz des bislang Gesagtem seit 1970 durch das Gesetz Nr. 420 vom 3. September 1970 eine erweiterte Perspektive der Drogenbehandlung initiiert hatte. Ziel dieses Gesetzes war es gewesen eine erweiterte Perspektive der Drogenproblematik zu gewährleisten, die jedoch aus den erwähnten politischen Gründen nie richtig durchgesetzt wurde.
[131] POIARES C., op.cit., 1998, S.276/277.
[132] POIARES C., op.cit., 1998, S.375.
[133] Mit dem Gesetz 430 vom 13 Dezember 1983 (welches das erwähnte Gesetz 429 von 1970 und das Gesetz 21 von 1977 ersetzt hat), mit dem Gesetzesdekret 71 vom 7 September 1984 (welches das erwähnte Gesetz 12210 ersetzt hat) und mit dem Gesetz 27 vom 31 August 1992, dem Gesetzesdekret 15 vom 22 Januar 1993 und dem Gesetzesdekret 61 vom 12 Oktober 1994
[134] POIARES C., op.cit., 1998, S. 383. Institutionnel hat sich diese neue Politiken mit der Konstitution 1987 (Resolução de Conselho de Ministros 23 von 1987 und verändert mit der Resolução de Conselho de Ministros 17 von 1990), der ONG “Projecto VIDA”, die die damamlige Suchtpolitik dunamisiert hat, des Beginns der Centro de Atendimento de Toxicodependentes (CAT) (das erste entstand in Lissabon (Centro das Taipas) 1987, die nächsten in Porto und Algarve im Jahre 1989), die Konstitution des Serviço de Prevenção e Tratamento da Toxicodependência (SPTT) im Jahre 1990, welches heute die allgemeine Suchtpolitik in Portugal festlegt (das Centro de Estudos da Profilaxia da Droga wurde in diesen Dienst integriert).
[135] POIARES C., op.cit., 1998, S. 440.
[136] POIARES C., op.cit., 1998, S.561.
[137] GEISMAR-WIEVIORKA S., Nem todos os toxicómanos são incuráveis. Terramar, 1999, S. 211.
[138] Ohne ins Detail über die internen Methadondebatten zu kommen, möchte ich nur hervorheben, dass diese Debatten eine ähnliche Intensität und Verschiedenheit haben wie Debatten anderer Länder die eine ähnliche Suchtpolitik betreiben. Zur französischen Debatte und zu einem geschichtlichen Überblick anderer Länder, siehe z.B. LUCCHINI R., Drogues et Société. 1985, S.241-269 (Le problème de la méthadone) und EHRENBERG A., L’individu incertain. 1995, S.111-121; (Le procés français de la méthadone).
[139] Despacho Normativo nº 25 vom 23 Juli 1996, welches die Erlaubnis von Hunderten von neuen Staatsfunktionären in diesem Bereich innerhalb des Gesundheitsministeriums zulässt und das Gesetz Nr.7/97b vom 8. März
[140] Zu einer interessanten Diskussion dieses aus dem englischen Sprachraum stammenden Begriffes mit den verschiedensten Implikationen, verweise ich den Leser auf das Buch von MINO A., AESRVER S., J’accuse les mensoges qui tuent les drogués. Calman-Lévy, Paris, 1996, S.93/94. Die Einführung des Konzeptes einer “pragmatischen Intervention”, die eine schnelle Antwort auf die allgemeine AIDS-Problematik, welche fast einer AIDS-Panik gleichkommt, steht im Mittelpunkt dieser Diskussion.
[141] Ebenfalls wurde zum ersten Mal die staatlichen Gelder die für diese globale nationale Strategie zur Verfügung gestellt werden sollen, publiziert: 32 Billionen portugiesische Escudos bis zum Jahr 2004.
[142] Resolution Nr. 30 vom 22 Februar 2001
[143] Das IPDTist mit dem Gesetzesdekret Nr 31 vom 5 Febraur 1999 entstanden und hat die bislang existierenden dispersen Organe des “Observatório Droga”, “Projecto Vida”, “Gabinete de Planeamento e Coordenação do Combate à Droga” ersetzt. Eine weitere Funktion des IPDT ist die epidemiologische Erfoschung der Drogenproblematik in Portugal und der Quantifizierung des Problems.
[144] Siehe hierzu GOFFMAN E., Asyle-über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Suhrkamp, 1973.
[145] CHOMBART DE LAUWE M. J. La représentation des catégories sociales dominées, rôle social, intériorisation. Bulletin de psychologie, Tome XXXVII, nº 366, 1984, S. 878.
[146] CHOMBART DE LAUWE M. J. op. cit., 1984.
[147] Gemäss des öffentlichen Programms liegt das Ziel vor, ein CAT in jeder Distrikthauptstadt von Portugal aufzubauen. Heutzutage sind 53 schon am funktionieren und weitere 23 in Konstruktion. Insgesamt sind mehr oder weniger 1500 Angestellte in diesen Diensten tätig. Die Dienstleistungen dieser öffentlichen Dienste sind ohne Kosten für die Benützer.
[148] Wie wir im vorhergehenden Kapitel gesehen haben, hat sich die Neufestlegung der Suchtbehandlungsstrukturen weg von einem psycho-sozialen und hin zu einem bio-psycho-sozialen Paradigma verlagert.
[149] BASAGLIA F., op.cit.,1973, S.134.
[150] z.B. bei der Analyse von institutionellen Diskursen und Antworten auf die Strassenkinderproblematik in Lateinamerika, siehe hierzu LUCCHINI R. Sociologie de la survie. PUF, 1996, S.221ff.
[151] LUCCHINI R. op. cit., 1996, S.223.
- Quote paper
- Dr Manuel Sommer (Author), 2002, Drogensuchtausstiegskarrieren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115424
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